Delilah – Die Liebe einer Wölfin von Darklover ================================================================================ Kapitel 46: 46. Kapitel ----------------------- Die Zeit stand still und die Welt hielt den Atem an. Alles was noch an Regung existierte waren ihr rasender Puls und das mühsame Schlagen ihres Herzens in ihrer beengten Brust. Ihre Gedanken waren zum Erliegen gekommen und in ihrem Inneren war es trügerisch still geworden. Gerade eben hatte die Lage noch ganz anders ausgesehen. Keine Sekunde nachdem die Tür zu ihrem Zimmer hinter den Zwillingen ins Schloss gefallen war, wollte die Wölfin auch schon loslaufen und die gefallenen Worte wieder zurücknehmen. Sie wollte sich in Deans Arme werfen und James‘ Wunden lecken, doch Delilah hatte sie im letzten Moment brutal gepackt und unbarmherzig zurückgerissen. Mit eisernen Ketten und einem Maulkorb gefesselt war die wild um sich schnappende Wölfin hinter so vielen Türen in ihrem Kopf eingeschlossen worden, bis kein Laut mehr zu ihr durchdrang und nun war es still. Sie fühlte kaum noch etwas, außer dem körperlichen Schmerz in ihrem Gesicht und einem dumpfen Nachhall des Schmerzes in ihrem Herzen. Mit ihrer Wölfin hatte Delilah auch ihre Gefühle tief in sich vergraben, bevor es sie endgültig zerreißen konnte. Doch gerade als sie das Gefühl hatte, endlich wieder einen richtigen Atemzug tun zu können, hörte sie Elijas Stimme im Flur und sie hielt gebannt den Atem an, da selbst mit einer geschlossenen Tür zwischen ihnen sein aufbrausender Tonfall sämtliche Härchen an ihrem Körper in die Höhe jagte. „...zieh ich euch vom Gehalt ab! Und eines schwöre ich euch.“ Seine Stimme sank zu einem bedrohlichen Knurren herab, das sie kaum noch verstehen aber körperlich geradezu spüren konnte. „Wenn einer von euch beiden noch mal eine schwächere Person so misshandelt, ob absichtlich oder nicht, dann vergesse ich lange genug, dass er mein Sohn ist, um ihn dafür persönlich zur Rechenschaft zu ziehen. Habt ihr das verstanden!? Was für Väter wollt ihr mal werden, wenn ihr noch nicht einmal die Mutter eures Kindes beschützen könnt? Wenn ihr euch gegenseitig die Köpfe einschlagen wollt, dann ist mir das scheißegal, aber sollte noch einmal einer von euch sie schlagen oder auch nur falsch anrühren, dann bekommt er es mit mir zu tun! Ist das jetzt endlich in euren Dickschädeln angekommen?“ Wie die Antworten ausfielen, konnte Delilah nicht sagen, doch einen Moment später wurden leise die Türen zu Deans und James’ Zimmer geschlossen und schwere Schritte donnerten die Treppe hinab, bevor kurz darauf erneut Krach aus dem Wohnzimmer zu ihr herauf drang. Sie hatte Elija noch nie so viel und so laut sprechen hören. Selbst jetzt noch standen ihr die Haare zu Berge und obwohl der Inhalt der Worte ihr eigentlich zu Gute gekommen war, so hatte der kalte Tonfall darin ihr trotzdem eine Scheißangst eingejagt. Dabei war sie noch nicht einmal im selben Raum gewesen oder hatte sich diesen durchdringenden Sturmaugen stellen müssen, während der Geruch eines tobenden Alphawolfs schwer in der Luft hing. Delilah hätte nie gedacht, dass Elija sich wegen irgendetwas so sehr aufregen könnte, aber es war tatsächlich passiert – ihretwegen. Wie lange sie so dagestanden hatte und ihrer Verblüffung nachgegangen war, konnte sie am Ende nicht mehr so genau sagen. Doch sich mit dieser erstaunlichen Wendung der Dinge zu beschäftigen, war besser, als sich mit dem Schmerz in ihrer Brust und den leise klagenden Lauten der Wölfin in ihrem Kopf auseinanderzusetzen, die verzweifelt an der Tür kratzte, hinter die Delilah sie gesperrt hatte. Irgendwann lösten sich ihre verkrampften Finger vom Holzrahmen der Badezimmertür, an den sie sich bisher festgeklammert hatte und ihre wackeligen Füße trugen sie voran aus dem Zimmer, das sie am liebsten nie wieder verlassen hätte. Doch das schmerzhafte Pochen und die halb zugeschwollene Sicht ihres linken Auges zwangen sie voran. Zumindest diesen Schmerz wollte sie lindern, wenn sie konnte und irgendwelches Tiefkühlgemüse war immer im Haus. Der Anblick des zerstörten Wohnzimmers war ein deutliches Abbild ihres inneren Gefühlszustandes, auch wenn sie das Horrorszenario wenigstens hatte auf stumm schalten können. Zumindest die meiste Zeit. Überall herrschte Chaos, Zerstörung und das Versprechen von Schmerz beim Anblick der vielen blutigen Spuren. Der Esszimmertisch hatte tatsächlich dran glauben müssen, auch wenn er nicht durch die nächste Wand gerammt worden war. Stattdessen lag er in zwei Teilen zerbrochen in mitten der herrschenden Unordnung und wurde von Elijas Fuß noch weiter brutal auseinander gerissen, als hätte er dem Werwolf etwas Unverzeihliches angetan, wofür er jetzt mit dem Leben bezahlen musste. Elija kochte offensichtlich immer noch vor Wut. Überraschenderweise hielt er bei Delilahs Eintreten dennoch in seiner Tätigkeit inne. Sein Gesicht war eine verschlossene Maske aus Reglosigkeit, doch der warnende Gestank von beißender Aggressivität verriet ihn nur zu deutlich. Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, heftete sich Elijas Blick auf die dunkelviolette Schwellung in ihrem Gesicht und schien seine sonst so hellen Augen noch mehr zu verdunkeln, als sich seine Pupillen bei ihrem Anblick noch weiter weiteten und seine Iris nur noch als dünner bläulicher Rand zu sehen war. „Soll Young sich das einmal ansehen?“ Zumindest sein Tonfall war ruhig und beherrscht. Delilah schüttelte schwach den Kopf – eine verdammt schlechte Idee - und ging schließlich von pochenden Schmerzen getrieben zum Kühlschrank hinüber. „Nein, ist schon in Ordnung. Das geht von alleine wieder weg.“ In spätestens einer Woche würde kaum noch etwas davon zu sehen sein und wenn sie Young schon den weiten Weg hierher kommen lassen würden, dann doch hauptsächlich um sich die Zwillinge genauer anzusehen. Für sie hatten manche Verletzungen durchaus so ausgesehen, als hätte ihnen etwas Nähkunst nicht schaden können, aber solange keiner der Brüder nach dem Arzt verlangte, konnte es nicht so dringend sein. Außerdem heilten Werwölfe schnell, wie man an James‘ Verletzungen hatte sehen können. Auch wenn durch diesen Zwischenfall wieder alles für die Katz beziehungsweise für den Wolf gewesen war. Zumindest schien seine Schulter nicht noch einmal ernsthaft Schaden genommen zu haben. Delilahs Finger fuhren über die riesige Delle im kühlen Metall der Kühlschrankverkleidung und brachten nur zu deutlich die Erinnerung daran zu zurück, wie diese entstanden war. Ohne die Tür zu öffnen, ging sie in die Hocke und sammelte erst einmal die ganzen Magneten und Zettel wieder auf, die während des Kampfes zu Boden gefallen waren. Sorgfältig arrangierte sie alles wieder so, wie es zuvor gewesen war, erst dann nahm sie sich einen Beutel mit Babykarotten aus dem Tiefkühlfach und musste dabei aufpassen, dass ihr nicht der gesamte Inhalt des Kühlschranks entgegen fiel. Delilah wickelte das Gemüse in ein Geschirrtuch ein und drückte dann das Ganze vorsichtig auf ihr schmerzendes Gesicht. Inzwischen machte Elija wieder mit den Aufräumarbeiten weiter, in dem er nach und nach die sperrigen Holzteile in handlichere Stücke zerbrach. Er schien sich nur äußerst langsam wieder zu beruhigen, gerade weil er immer wieder einen flüchtigen Blick zu ihr herüber warf. Eine Weile stand Delilah einfach nur so da, kühlte die schmerzhafte Schwellung in ihrem Gesicht, ließ keine Gedanken zu, die nicht ausschließlich mit dem Hier und Jetzt zu tun hatten und sah Elija dabei zu, wie er allmählich die kaputten Möbel aus dem Haus schaffte. Nachdem ihre geschwollene Gesichtshälfte beinahe taub von der Kälte und der Schmerz darin zu einem erträglichen Maß abgeflaut war, legte sie den Beutel zurück in den Kühlschrank und holte stattdessen Besen und Kehrschaufel aus der Kammer unter der Treppe, um beim Aufräumen zu helfen. Der gröbste Dreck war mit Elijas Hilfe schnell beseitigt und auch die vielen Glassplitter schluckte der Staubsauger anstandslos, aber die richtige Arbeit begann erst mit dem Wegwischen der vielen eingetrocknete Blutflecken. Es schien überall zu kleben. Auf dem Boden, an den Möbeln, sogar die Stehlampe hatte ein paar Spritzer auf dem hellen Lampenschirm abbekommen. Mal waren es nur vereinzelte Tropfen, dann ein feiner roter Sprühnebel, aber allem voran waren es größere Flecken, die wesentlich leichter vom Boden aufzuwischen sein würden, als sie aus den Kissen der Couch zu bekommen. Zum Glück wurde sie langsam ein richtiger Profi darin, Blut vom Boden zu schrubben. „Ich habe die Werkstatt für heute geschlossen und werde neue Möbel besorgen. Du kommst hier klar?“ Mit den Autoschlüsseln für den großen Pick-up in der Hand blieb der alte Werwolf neben der Küchentheke stehen. Delilah sah vom einlaufenden Wasser in dem kleinen Putzeimer hoch zu Elija, der inzwischen wesentlich ruhiger zu sein schien und sie eindringlich ansah. Dabei glitt sein Blick immer wieder über ihre verletzte Gesichtshälfte, als würde etwas daran seine Aufmerksamkeit ständig auf sich ziehen, ohne dass er es hätte kontrollieren können. Sie begriff es immer noch nicht, musste er doch schon weitaus schlimmere Verletzungen gesehen haben, vor allem wenn man seine eigenen Narben bedachte. „Ja. Ich komme klar.“ Sie stellte das Wasser ab und hob den Eimer aus dem Spülbecken. Sie würde hier ohnehin noch eine Weile beschäftigt sein und vielleicht wäre auch alles wieder soweit sauber, bis Elija mit den neuen Möbeln anrückte. Dann könnten sie diesen schrecklichen Tag vielleicht auch bald wieder hinter sich lassen. Der alte Werwolf nickte und verließ nach einem letzten langen Blick in ihr Gesicht sichtlich nachdenklich das Haus. Eine Weile versuchte Delilah sich nur auf ihre Arbeit zu konzentrieren, um nicht an die vergangenen Ereignisse denken zu müssen, die kaum ein paar Herzschläge lang zurückzuliegen schienen. Aber es gelang ihr nicht vollkommen. Immer wieder erschien Deans schmerzerfüllter Blick vor ihren Augen und wie sie das Funkeln darin mit nur einem einzigen Wort hatte auslöschen können. Zudem hatte sie ihn noch nie zuvor weinen gesehen. Der Schmerz in ihrer eigenen Brust verstärkte sich bei diesem Bild explosionsartig und brachte sie aus dem Takt, während das Winseln ihrer Wölfin wieder deutlicher zu ihr durchdrang. Ihr Atem wollte sich für einen Moment überschlagen, ehe sie sich wieder zur Ruhe zwang und jegliche Gedanken aus ihrem Kopf verbannte. Delilah bezweifelte, dass dieses Gefühl je nachlassen oder gar ganz verschwinden würde, aber zumindest konnte sie es für den Moment zur Seite schieben, um weiterarbeiten zu können. Ein Geräusch im Flur ließ sie unvermittelt aufblicken. James schlurfte mit frischen Sachen zum Anziehen im Arm an der Tür vorbei in Richtung Badezimmer. Er sah hundertmal schlimmer aus, als sie sich fühlte. Abgerissen, verprügelt und voller blutiger Kratzer und Bisse, aber so seltsam es auch war, Dean schien James’ ehemals verletzte Schulter tatsächlich so gut wie gar nicht angerührt zu haben. Vielleicht waren die beiden während des Kampfes doch nicht so kopflos gewesen, wie sie bisher gedacht hatte. Als ihre Blicke sich trafen, blieb James kurz stehen und sah sich beinahe vorsichtig im Wohnzimmer um, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf sie richtete und es seinem Vater nachmachte, in dem auch er ihr Gesicht unverwandt anstarrte. Sein Mund öffnete sich ein kleines Stück, ganz so als wollte er etwas sagen, doch dann presste er die Lippen fest aufeinander und wandte sich doch mit einem Ruck von ihr ab, um kurz darauf im Badezimmer zu verschwinden. Für einen Moment blickte Delilah ihm hinterher, dabei die Finger auf das Zeichen an ihrem Hals gelegt, bevor sie sich wieder zusammennahm und weiter schrubbte, ehe noch der Parkett unter ihren Händen aufquellen konnte. Sie war bereits ein gutes Stück an Flecken weiter gekommen, als James frisch geduscht zu ihr stieß. Er ging direkt an ihr vorbei zur Küche, um sich ebenfalls einen Putzlappen zu besorgen und ließ sich schließlich etwas ungelenkig neben ihr auf dem Boden nieder. Wortlos begann er ihr zu helfen und auch Delilah verspürte im Augenblick nicht den Drang danach, sich mit ihm zu unterhalten, obwohl sie immer wieder einen flüchtigen Seitenblick auf ihn warf, um sich seine Verletzungen genauer anzusehen. Sie hätte ohnehin nicht gewusst, was sie sagen sollte. Da war zu viel zwischen ihnen geschehen. Vor allem was die Nacht zuvor betraf. Erst nachdem sie fast mit dem Boden fertig waren, ließ Delilah den Putzlappen in den Eimer zurückfallen und verlagerte ihr Gewicht auf ihre Fersen, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte. Inzwischen war es schon wieder verflucht heiß geworden, weshalb es ihr nicht nur wegen ihres schmerzenden Gesichts nach Abkühlung verlangte. „Wenn es okay für dich ist, lasse ich dich den Boden fertig machen. Ich werde derweil schauen, was von den Couchbezügen noch zu retten ist.“, durchbrach sie endlich das bedrückende Schweigen und stand auf. James nickte nur und arbeitete weiter, ohne noch weiter auf ihre Worte einzugehen, also ging sie zur Couch hinüber, um sich die Bescherung einmal genauer anzusehen. Zu ihrem Glück konnte man die Polsterbezüge abnehmen und waschen und was noch positiv anzumerken war – es war nichts beschädigt. Obwohl das fast schon einem Wunder gleichkam, immerhin hatte es der Boden vor der Couch nicht so gut getroffen. Dort waren mehrere frische Kratzer wie die von Krallen zu sehen. Aber in einem Haus voller Werwölfe war das schon beinahe zu erwarten gewesen oder sollte es zumindest sein. Delilah zog nacheinander den Überzug der Polster ab, schnappte sich einen leeren Wäschekorb, warf alles hinein und ging damit in die Küche. Es war beinahe sogar praktisch, dass man Blut zuerst mit kaltem Wasser so gut wie möglich herauswaschen sollte. Zumindest das würde etwas Abkühlung versprechen. Zusammen mit einem kleinen Eimer voll Schmierseife funktionierte das eigentlich ganz gut. Obwohl es schon eingetrocknet gewesen war, ließ sich das Blut leicht aus dem Bezug herauswaschen ohne zu stark rubbeln zu müssen. Delilah war schon fast mit der Hälfte fertig, als James neben sie trat und seinen Putzeimer auf der Anrichte neben ihr abstellte. „Geht es raus?“, wollte er tonlos wissen, während er sich etwas zu ihr rüberlehnte, damit er einen Blick ins Spülbecken werfen konnte. Sie wurde unruhig, da ihre Wölfin wieder hinter der verschlossenen Tür in ihrem Kopf zu winseln und betteln begann, bis sie erneut von Delilah zum Schweigen gebracht wurde. „Ja. Ich denke, wenn die Bezüge erst einmal gewaschen wurden, wird man nichts mehr sehen.“ Ihre Stimme blieb ruhig und auch ihre Hände begannen nicht zu zittern, was sie eigentlich in James’ Nähe erwartet hätte. Frisch geduscht war sein Duft einfach überaus reizvoll, egal was alles zwischen ihnen vorgefallen war. Manche Dinge würden sich einfach nie ändern. Das schaffte nicht einmal der Gestank von Blut. „Das ist gut.“ James rührte sich nicht vom Fleck, sondern sah sie stattdessen von der Seite her an. Delilah war sich sogar ziemlich sicher, dass er die Schwellung und das blaue Auge musterte. Sie versuchte es einfach zu ignorieren, immerhin sah James selbst auch nicht wirklich besser aus. Eigentlich sogar viel schlimmer. Es juckte sie regelrecht in den Fingern ihm mit einer Flasche Desinfektionsmittel und einer ganzen Wagenladung voll Pflaster zu Leibe zu rücken. „Ich hoffe, du weißt, dass wir das nicht wollten. Egal was du Dad gesagt hast. Es war wirklich keine Absicht.“ „Ich weiß.“ Sie widerstand ihrem inneren Verlangen und wrang stattdessen den Polsterbezug kräftig zwischen ihren Händen aus, ehe sie nach dem nächsten griff. „Hat er sich denn inzwischen wieder etwas beruhigt?“, wollte James weiter nur etwas leiser wissen und sah sich dabei um, als könne er bei irgendetwas Verbotenem erwischt werden. So wie ihr Vater vorhin mit ihnen geschimpft hatte, wunderte sie seine Vorsicht kein Stück. „Ja, ich denke schon. Auch wenn ich ihn noch nie so wütend erlebt habe.“ „Ich auch nicht.“ James fuhr sich fahrig durch die feuchten Haare. Er wirkte irgendwie nervös und angespannt auf sie, obwohl sein Dad inzwischen meilenweit weg sein dürfte. „Er ist normalerweise nicht der Typ, der leicht ausrastet, oder?“, hakte sie noch einmal nach, da ihr das alles etwas seltsam vorkam. Alle Eltern schimpften mal mit ihren Kindern. Die einen mal mehr, die anderen weniger und gerade deshalb machte James’ Geruch sie misstrauisch. Es hing immer noch ein Hauch von Angst an ihm, obwohl er inzwischen gründlich geduscht hatte. „Eigentlich nie.“ James wandte sich ab und lehnte sich stattdessen mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche. „Oder besser fast nie.“ „Hm.“ Delilah arbeitete weiter. „Mich wundert nur, dass er wegen mir so ausgerastet ist. Die Möbel schienen ihm herzlich egal zu sein. Das hätte ich einfach nicht erwartet.“ Eher das Gegenteil. Wenn man bedachte, was Elija am Anfang von ihr gehalten hatte und wie er jetzt von ihr sprach, dann war das ein himmelweiter Unterschied. Sie könnte nicht einmal so genau sagen, was diesen Wandel bewirkt hatte. „Es liegt nicht unweigerlich an dir als Person. Dad kann es einfach auf den Tod nicht ausstehen, wenn man Frauen misshandelt.“ Dieses Mal flüsterte James und machte sie damit nun wirklich stutzig. Im Gegensatz zu dieser Reaktion war die von Elija noch nachvollziehbar, aber gerade unter Werwölfen nicht vollkommen schlüssig. Delilah müsste nicht einmal Nadine als Beispiel hernehmen, um zu wissen, dass Werwolffrauen ebenfalls ziemlich brutal sein konnten und sich sicherlich nicht so leicht etwas von ihren männlichen Artgenossen gefallen ließen. Aber bestimmt gab es auch hier Ausnahmen. „Und warum? Ich meine, seine Haltung in allen Ehren, aber ich fand seine Reaktion doch etwas übertrieben. Zumal es in eurem Fall auch keine Absicht gewesen ist.“ James’ übertrieben vorsichtiger Tonfall hatte sie neugierig gemacht. Ganz so, als hätte er sich nicht richtig getraut, es laut auszusprechen und dass er sich noch tiefer zu ihr beugte und die Stimme noch weiter senkte, bestätigte ihre Verwirrung darüber nur noch. „Wenn du das wirklich wissen willst, dann musst du mir vorher versprechen, dass du nie auch nur ein Wort darüber verlieren wirst, okay? Zu niemandem.“ Wenn das Ganze vorher schon merkwürdig gewesen war, so hatte James nun definitiv ihre volle Aufmerksamkeit, also trocknete Delilah sich ihre Hände ab und drehte sich ganz zu ihm herum. Warum auch immer ihm dieses Versprechen wichtig war, sie hätte ohnehin nicht gewusst, mit wem sie darüber hätte sprechen sollen, egal was jetzt kommen würde. „Ich verspreche es.“, antwortete sie aufrichtig. „Gut.“ James nickte zufrieden und warf noch einmal einen Blick zur Tür. Ihr war auch, als würde er für einen Moment Witterung aufnehmen, aber offenbar war niemand anderes in der Nähe. Wieder begann er zu flüstern: „Das was ich dir jetzt sage, darf vor allem Dad nie erfahren. Ich wüsste nicht, wie er reagieren würde. Dean und ich haben es selbst nur über mehrere Ecken herausgefunden und wir passen immer auf, dass wir ihn auf keinen Fall darauf ansprechen. Du solltest auf jeden Fall das gleiche tun. Wir schneiden das Thema nicht einmal an. Verstehst du?“ Nun war es an ihr, ernsthaft zu nicken und ihm tief in die Augen zu schauen, denn James würde sich nicht so verhalten, wenn es hier nicht um eine große Sache ginge. Er erwiderte ihren Blick und schien trotz ihres Versprechens eine Weile mit sich zu ringen, doch schließlich schien in seinen Gedanken so etwas wie eine Entscheidung gefallen zu sein, so dass er noch einmal tief Luft holte und dann kaum hörbar zu erzählen begann, wobei Delilah sich stark anstrengen musste, um überhaupt ein Wort zu verstehen. „Man erzählt sich, dass Dads Mutter von seinem Vater regelmäßig verprügelt worden sei, bis dieser es eines Tages offenbar zu weit trieb und sie umgebracht haben soll. Dad war damals anscheinend noch ganz klein und angeblich hat er alles mitangesehen. Darum reagiert er auch so empfindlich auf Gewalt Schwächeren gegenüber. Als Dean und ich vorhin dein Gesicht gesehen haben, dachten wir für einen Moment tatsächlich, Dad würde dieses Mal richtig ausrasten und etwas Unüberlegtes tun. Immerhin hat er sich Jahre später für den Mord an seiner Mutter an seinem Vater gerächt und ihn dafür mit eigenen Händen umgebracht. Zumindest das wissen wir mit Sicherheit.“ In der Stille nach dieser Offenbarung starrte Delilah James einfach nur mit halb offenem Mund an. Sie war ziemlich ... schockiert. „Er hat ... seinen eigenen Vater umgebracht?“ Die Worte wollten ihr gar nicht recht über die Lippen, da es sich so merkwürdig anhörte und zugleich veränderte sich das Bild, das sie von Elija hatte unwiederbringlich vor ihrem inneren Auge. „Ja, während eines Kampfes um den Führungsanspruch des Great Falls Rudels. Sein Vater war viele Jahre der Alphawolf des Rudels und kein besonders guter, wenn man bedenkt, wie er mit seiner eigenen Familie umgesprungen ist. Angeblich war er sogar ein ziemlich brutales Arschloch, das nach der Methode Friss oder stirb geherrscht hat. Dad wäre bei dem Kampf fast selbst draufgegangen. Die ganzen Narben auf seinem Körper stammen fast ausschließlich von damals.“ „Nur damit ich das richtig verstanden habe: Euer Dad war der Alphawolf des Great Falls Rudels?“ Ihr kam es so vor, als hätte sie das schon einmal irgendwo gehört, nur nicht richtig registriert und dann gleich wieder vergessen. Wo und wann das gewesen war, konnte sie erst recht nicht mehr sagen. Es war auch nicht so, dass Delilah daran zweifelte, dass Elija ein Alphamännchen war, aber soweit sie das mitbekomme hatte, war das Great Falls Rudel kein kleiner Haufen mit einer Handvoll Mitgliedern sondern ein wirklich riesiges, organisiertes Rudel von Werwölfen. Er war also einmal ein verdammt hohes Tier gewesen. Was einiges erklärte. „Ja. Ein paar Jahre lang, bis er Mom kennenlernte. Danach musste er den Posten kampflos räumen.“ Was? „Aber warum?“ Sie verstand gar nichts mehr. Außerdem hatte Delilah nach diesen ganzen Offenbarungen das Bedürfnis, sich für einen Moment zu setzen, also zog sie sich James gegenüber auf die Arbeitsfläche der Theke und strich den Stoff ihres Sommerkleides wieder über die Knie. Er folgte der Geste mit seinem Blick, ehe er schwach den Kopf schüttelte und lieber seine nackten Zehen anstarrte. „Das Rudel ist ziemlich engstirnig und auch altmodisch. Wer kein vollwertiger Werwolf ist, kann kein Mitglied sein und sich als Anführer mit einem Menschen einzulassen, war für die meisten Mitglieder einfach untragbar. Also musste Dad sich zwischen seinem Führungsanspruch und seiner Gefährtin entscheiden. Wie seine Wahl ausfiel, weißt du ja.“ Und dann hat diese Frau Elija einfach für einen anderen Kerl stehenlassen... „Wieso seid ihr danach nicht wieder dem Rudel beigetreten? Ich meine, nun da eure ... Mom weg ist...“ Delilah biss sich auf die Unterlippe. Sie sollte ihre Neugierde zügeln und nicht in alte Wunden bohren. Außerdem ging es sie eigentlich auch überhaupt nichts an. „Tut mir leid, ich sollte nicht-“, begann sie, wurde aber von James jäh unterbrochen. „Weil Dean und ich nur Mischlinge sind.“ Es klang fast verbittert. Für einen Moment lang wusste Delilah nicht, was sie darauf sagen sollte. Für sie hörte sich diese Erklärung einfach nur dumm an, denn sie würde nie daran zweifeln, dass die Brüder echte Werwölfe waren. Gerade jetzt nicht, wo James so ramponiert vor ihr stand, nachdem er sich einen ausgewachsenen Kampf mit seinem Bruder geliefert hatte. „Dann ist das Great Falls Rudel eben doof.“ Überrascht über ihre Aussage hob James den Blick und sah sie an, als könne er einfach nicht glauben, wie man überhaupt auf diesen abwegigen Gedanken kommen konnte oder als hätte sie gerade eine Behauptung aufgestellt, die gegen alle Naturgesetze ging. „Ich würde dort nicht mitmachen wollen, selbst wenn man mich ließe.“, bekräftigte sie ihre Aussage noch einmal. „Solange du und Dean nicht im Team seid, will ich es auch nicht sein. So einfach ist das.“ Zumindest für sie war es das. Erstaunt sah sie mit an, wie sich auf James malträtierter Lippe plötzlich ein kleines Lächeln abzeichnete, bis der Gefühlsansturm schlagartig die Richtung wechselte, seine Mundwinkel herab sanken und sich das kurze Funkeln in seinen Augen wieder in dunkle Schatten verwandelte. Trotz der kurzweiligen Ablenkung durch die Erzählung von Elijas Vergangenheit kamen sie nun wieder schlagartig in der Gegenwart an und die war ebenfalls äußerst düster. James raffte sich langsam auf, trat schließlich einen Schritt auf sie zu und obwohl sein Blick immer wieder durch den Raum schweifte, weil es ihm offenbar schwer fiel, ihr in die Augen zu sehen, so fand er doch immer wieder zu ihr zurück. „Deli, ich...“ Mit einer Hand im Nacken und die andere am Saum seines Shirts vervollständigte James das Bild der totalen Verunsicherung und Niedergeschlagenheit zugleich, bis er einmal tief Luft holte und sie in einem Atemzug wieder entließ. Ihr ganzer Körper spannte sich in Erwartung dessen an, was gleich geschehen würde, obwohl sie keine Ahnung hatte, was es sein würde. „Ich wollte das alles wirklich nicht.“ Er ließ seine Haltung fallen und stützte sich stattdessen links und rechts von ihr mit seinen Händen auf der Theke ab, so dass er ihr plötzlich ganz nahe war und seine Augen tief in die ihren schauten. „Ich meine nicht nur das mit deinem Gesicht, sondern auch alles andere. Ich wollte nicht, dass es so weit kommt. Ich hatte mich ... einfach für einen Moment lang nicht mehr im Griff. Du hättest deswegen nicht mit meinem Bruder schlussmachen müssen, obwohl, zugegeben ein ziemlich großer, egoistischer Teil von mir das absolut begrüßt. Aber der Rest davon weiß, dass es falsch ist. Dean wird nicht damit klarkommen.“ Die Wölfin rannte plötzlich so stark gegen die Tür in ihrem Kopf, dass Delilah zusammenzuckte. Das Tier war so wütend und aufgebracht und so vollkommen gegen das, was Delilahs logisch denkender Verstand für das Beste hielt, dass es sich beinahe einen Weg zurück ins Freie gekämpft hätte, hätte Delilah es nicht noch im letzten Moment zurückgehalten. Das Ergebnis aus diesem inneren Konflikt war, dass sie schließlich den Blick senkte und James auswich, ohne wirklich körperlich zurückzuweichen. „Es ist, wie es ist. Mein Entschluss steht fest. Mit der Zeit wird Dean damit fertig werden. So wie du es tust.“ Wieder war ihre Stimme farblos geworden. Sichtlich empört entkam James ein Schnauben, das ihr sogar eine Strähne aus dem Gesicht blies. „Wie kommst du überhaupt auf den bescheuerten Gedanken, ich würde auch nur irgendwie damit klarkommen?“ Gute Frage. Die Antwort darauf kannte sie selbst nicht so genau und dennoch hatte sie das Gefühl, James käme mit alle dem hier besser klar, als Dean es tat. Immerhin stand er bereits jetzt wieder vor ihr und schaute ihr offen in die Augen, auch wenn es ihnen beiden schwer fiel, den Blick des anderen zu erwidern. „Du bist hier.“, hauchte sie leise. „Dean ist es nicht.“ Einen Moment lang funkelte James sie noch an, ehe er sich mit einem schweren Seufzer über das Gesicht fuhr. „Bei ihm ist das auch was völlig anderes.“ „Und warum ist es das? Fühlst du also doch anders als er?“ „Nein, verdammt!“ Delilah zuckte zurück, so dass James seine Stimme sofort wieder senkte und sich etwas zurückzog, damit sie sich nicht so von ihm bedrängt fühlte, obwohl sie das in diesem Augenblick nicht wirklich tat. Eigentlich ließ sie seine Nähe merkwürdig kalt, mit dieser Leere in ihrer Brust. „Nein, ist es nicht.“, begann er noch einmal deutlich ruhiger. „Aber während ich immer nur davon geträumt und mich danach gesehnt habe, was ihr beide miteinander hattet, hat Dean es gelebt. Du kannst dir selbst ausmalen, was für einen Unterschied das macht. Außerdem habe ich noch längst nicht aufgegeben. Nur damit du es weißt.“ Es hätte wie eine Drohung klingen sollen, stattdessen schlug ihr Herz – dieses verräterische Ding – bei seinen Worten schneller, so dass Delilah nun doch gezwungen war, James auszuweichen, indem sie unvermittelt von der Theke rutschte und unter seinem Arm hindurch schlüpfte, damit sie an den Polsterbezügen weiterarbeiten konnte. Seine Worte brachten sie erneut durcheinander, bis sie sich selbst scharf zur Ordnung rief. „Das ist jetzt alles nicht mehr wichtig. In Zukunft werde ich mich nur noch auf das Baby konzentrieren. Es hat schon genug durchmachen müssen. Ich will einfach nicht mehr, dass es so weiter geht. Ich hoffe, irgendwann kannst du das akzeptieren.“ Und vielleicht schaffe ich es auch irgendwann, mit dieser Entscheidung zu leben. „Und du denkst nicht, dass es das Beste für das Baby wäre, wenn es in eine intakte Familie hineingeboren wird?“ James ließ nicht locker. „Es wird eine Mutter haben, einen Großvater und sogar zwei Väter. Das ist mehr Liebe, als andere Kinder bekommen.“ Und was sollte ‚intakt‘ schon bedeuten? Ihre Adoptiveltern waren auch ein ‚intaktes‘ Elternpaar gewesen und trotzdem hätte sie diese Leute keinem anderen Kind an den Hals gewünscht. „Ja, vielleicht hat es irgendwann sogar drei Väter, wenn du dir im Laufe der Zeit einen neuen Mann anlachst. Was für ein Glückspilz das Kleine doch sein wird.“ James‘ Sarkasmus entlockte ihr unvermittelt ein Knurren, ehe sie es wieder hinunterwürgen konnte. „Mach‘ dich nicht lächerlich.“ Allein der Gedanke war vollkommen absurd. „Nein, Deli.“ James trat direkt neben sie und beugte sich so weit zu ihr herab, dass er sie geradezu dazu zwang, von ihrer Tätigkeit auf und ihn anzublicken. „Die Einzige, die sich hier lächerlich macht, bist du, wenn du glaubst, dass deine Entscheidung keine schwerwiegenden Konsequenzen haben wird.“ Sie wollte ihn wegdrücken. „Und dass Dean und ich so einfach dabei zuschauen werden, wie du hier irgendwann einmal mit unserem Kind verschwinden könntest, weil wir hier keine verdammte WG sind und dich vielleicht einmal das Verlangen packt, etwas Eigenes zu suchen.“ Und ihm einen der Polsterbezüge in den Mund stopfen. „Oder dass du vollkommen glücklich damit werden wirst, nur noch eine Mutter zu sein und keine eigenen Bedürfnisse mehr zu haben.“ Oder ihn damit erwürgen. „Aber was wirklich lächerlich ist, ist zu glauben, dass du nach allem was passiert ist, noch zurück könntest. Denn dafür ist es zu spät und das weißt du selbst ganz genau.“ Wasser spritzte, als sie zu James herumfuhr und ihn von unten herauf anfunkelte. Sie bleckte die Zähne, während sich ihre Stirn in wütende Falten legte und die Wucht ihrer Gefühle sie beinahe von den Füßen riss. „Wenn du alles so viel besser weißt, dann sag mir doch, was ich tun soll?!“, fuhr sie ihn knurrend an und packte dabei James‘ Shirt, damit er ihr jetzt bloß nicht ausweichen konnte. „Dean würde dich vor Eifersucht am liebsten unter die Erde bringen und könnte sich anschließend gleich dazulegen! DU würdest am liebsten genauso handeln und die Folge daraus wäre die gleiche! Ihr beiden liebt euch. Genauso wie ich euch liebe und ihr vermutlich auch mich. Also, sag mir verdammt noch mal, was ich unter diesen Umständen tun soll!“ Er starrte sie einfach nur an. Delilah begann an ihm zu zerren, so dass er sogar unter ihrem Ansturm einen Schritt zurückweichen musste. „Sag schon! Für wen soll – nein – kann ich mich entscheiden, ohne dass irgendjemand darunter leiden muss? Was für eine Wahl habe ich deiner Meinung nach noch?!“ „Ich…“ Die Nähte seines Shirts knackten bereits protestierend unter dem Zug ihres Griffes, bis sie ihn völlig unvermittelt losließ und James ein paar Schritte nach hinten taumelte. „Du kannst es nicht.“ Ihr Atem ging schwer und ihr ganzer Körper bebte. Ihre Wölfin war kurz davor gewesen, James einfach auf den Boden zu drängen und ihn hier auf der Stelle als ihren Mann zu markieren, so wie sie es mit Dean schon so oft gemacht hatte. So wie James es in dieser Nacht mit ihr getan hatte. Zumindest in einem Punkt hatte er Recht behalten: Zurück konnte sie auf keinen Fall mehr. Aber sie wusste auch nicht mehr, wie es nach vorne ging. „Es gibt keinen anderen Weg.“ Sie wandte sich von James ab und griff erneut nach dem Polsterbezug im Spülbecken, um ihn gründlich auszuwringen. „Sieh es endlich ein.“ James zog das feuchte und zerknitterte Shirt über seiner Brust wieder glatt. „Nur über meine Leiche.“ Er ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)