Die Magie der Worte von Feuerblut ================================================================================ Akt 10: Ein Kampf der Gerechtigkeit? ------------------------------------ Die Zeit ist gekommen. Der lang ersehnte Sturm bricht los. Eine längst vergessene Finsternis bricht über alle herein und das Schwert des Hasses vernichtet die abscheuliche Hoffnungslosigkeit. Der scharfe Blick ist kalt, weil er den Schmerz kennt und die Liebe dagegen nicht. Das grausame Schicksal hält für jeden von uns eine ganz persönliche Herausforderung bereit und manchmal erscheint uns eine Last schier erdrückend. Doch dann regt sich urplötzlich ein Windhauch, der die Funken der Hoffnung wieder aufglimmen lässt…   Es war bereits früher Morgen, als Conrad uns mitteilte, dass Neo Verona sich jetzt in Sichtweite befand. Ich fror mittlerweile schon ziemlich, den ganzen Tag und die ganze Nacht auf dem Ryuba zu verbringen und zu fliegen war sehr anstrengend, für sämtliche Körperteile. Die Nachricht, dass wir zurückkehren würden, schien uns wohl vorausgeeilt zu sein, denn wir wurden bereits erwartet: Juliet war als Roter Wirbelwind verkleidet und die Bürger der Stadt fingen an zu jubeln, während wir über sie hinwegflogen. Wir landeten auf einem hohen Gebäude und die Menschen versammelten sich davor. Juliets Umhang wehte majestätisch, als sie elegant von ihrem Ryuba sprang und sich zu den Menschen herumdrehte. Ich sah zum Horizont und hüllte mich dichter in meinen dunkelgrauen Mantel. Ich stellte fest, dass es bereits dämmerte. „Bürger Neo Veronas, hört mich an! Ich bin zurückgekehrt! Die Flammen konnten mir nichts anhaben! Ich werde Montague stürzen und Neo Verona zurückerobern!“, rief die Capulet entschlossen und die Menschen jubelten noch euphorischer. „Lasst uns gemeinsam für die Freiheit kämpfen, denn zusammen sind wir stark! Und ihr, die ihr dem Duce dient, werft eure Waffen weg! Wir verschonen jeden, der sich ergibt! Euch Bürgern gebührt die Macht und nicht einem solchen Tyrannen!“, führte Juliet fort. Ich konnte in der Menschenmenge mehrere Wachen erkennen, die meisten jedoch waren zu erschrocken, etwas zu unternehmen. Doch rechts von uns sah ich plötzlich, wie jemand auf Juliet anlegte. „Pass auf!“, rief ich erschrocken und die Rothaarige duckte sich, allerdings nicht tief genug. Der Pfeil streifte zum Glück nur ihren Hut und beförderte diesen mitsamt ihrer Perücke zu Boden. So viel dazu, dass sie Neo Verona als Roter Wirbelwind erobern wollte. Die Bürger schienen entsetzt, doch auf Juliets Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und als sie sich wieder aufrichtete, ging die Sonne auf und beleuchtete ihre wunderschönen roten Haare, welche im Morgenwind leicht umher wehten. „Ja, der Rote Wirbelwind wird immer wieder wehen... in Neo Verona und überall auf der Welt!“, schrie sie und die Menschen stimmten ihr jubelnd zu. Sie wussten, dass Juliet Fiammata Asto Capulet vor ihnen stand und sie retten wollte, ich erkannte ein gewisses Leuchten in ihrer aller Augen. Es war ein magischer Moment, Juliet war eine starke Frau geworden; ihr Blick strahlte die pure Entschlossenheit aus; ganz egal, wie sehr sie der Flug und die Sorge über ihren Plan auch angestrengt haben mag, man merkte ihr nichts an. Wir zogen uns in das Gebäude zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Curio und Francesco, welche erfolgreich die Ryuba-Flotte außer Gefecht gesetzt hatten, berichteten, dass sich bereits einige Wachen des Duce ergeben hatten und Conrad und Juliet beschlossen, am übernächsten Tag das Schloss der Montagues zu stürmen. Als wir mit den Besprechungen fertig waren, brach bereits der Nachmittag an. Ich war mehr als müde, Juliet und den anderen erging es garantiert nicht anders. Als wir am nächsten Tag mehr oder weniger ausgeruht aufgestanden waren und gerade frühstückten, stürmte Curio in die Küche: „Romeo steht vor den Toren der Stadt und will eingelassen werden!!“ Ich verschluckte mich an meinem Brötchen. War Romeo nicht immer noch in dem Bergarbeiterdorf? Was wollte er plötzlich in Neo Verona?? Auch Juliet sah sichtlich erschrocken aus. „Er behauptet, den Duce zum Rücktritt auffordern zu wollen.“ „Oh mein Romeo...“, flüsterte Juliet. „Los! Lass uns nachsehen! An welchem Stadttor, Curio??“, wollte ich wissen und war aufgestanden. „Dem westlichen!“, antwortete mir der Schwarzhaarige und wir machten uns sofort auf den Weg. Rennend bahnten wir uns einen Weg durch die Menschenmenge. Zum Glück lag das Westtor nicht weit von unserem derzeitigen Aufenthaltsort entfernt und bei unserer Ankunft wurde es sofort geöffnet. „Ich bin nicht wie mein Vater! Ich möchte euch helfen, das Blutvergießen zu beenden! Ich will keine Macht!“, hörte ich Romeo rufen. „Ihr dürft ihm nichts tun! Lasst ihn los!“, befahl Juliet und die Wachen gehorchten ihr augenblicklich „Juliet...“, grüßte sie Romeo erleichtert. „Warum bist du hier?“, wollte die Capulet-Tochter wissen. „Ich wollte sehen... ob es dir auch gutgeht. Außerdem möchte ich versuchen mit meinem Vater zu reden. Ich möchte verhindern... dass noch mehr Blut vergossen wird“, erklärte der junge Mann. „Das verstehe ich gut“, konnte Juliet nachvollziehen, danach wandte sie sich gebieterisch an die Wachen: „Prinz Romeo darf die Stadt betreten!“ Der Montague-Sprössling durfte augenblicklich passieren. Ich musste unwillkürlich lächeln. Ihre entschlossene Stimme und ihr selbstbewusstes Auftreten fand ich bewundernswert. Sie würde wahrlich eine gute Herrscherin abgeben. Doch zuerst mussten wir den Duce töten. Ich sah zu dem großen, prächtigen Schloss empor. Wir mussten es schaffen! Wir mussten einfach…   Alles erblühte im roten Licht der Hoffnung. Wehendes Haar im Sonnenschein, das Neo Verona von der Tyrannei befreite! War das ein Traum? Oder Realität? Ich war so verwirrt… Ich hörte eine Stimme… eine Stimme, welche ich bisher nur ein einziges Mal gehört hatte: Und zwar in meinem Traum, in welchem Romeo und Juliet damals bei dem alten Mann und Escalus waren. Dieser Mann… er sprach zu mir! „Die Mutter Erde trauert... weil das Ende der Welt sich nähert!“ Ich sah Juliet, wie sie vor dem Grab ihrer Eltern stand und sich die Brust hielt. Ein grünes Leuchten ging davon aus… was hatte das zu bedeuten? Ich wollte ihr helfen, lief zu ihr, doch sie konnte mich nicht sehen. Plötzlich materialisierte sich vor uns eine weitere mir bekannte Person. „Wenn die Tränen der Göttin ihre güldenen Wangen befeuchten, wirst du die Auserwählte sein. Du kannst die Tränen der Göttin fortwischen... mit deinem flammenden Haar. Escalus ist dem Tode geweiht... aber er bäumt sich noch ein letztes Mal auf.“ Irgendwie erinnerte mich diese Situation an jenen Abend, als ich bei William war…   Escalus war wie das Feuer im Kamin… Die Nacht wurde immer dunkler und dunkler und das Feuer loderte noch ein letztes Mal, es bäumte sich noch einmal auf, bevor es schlussendlich starb.   „Escalus? Den Baum kenne ich doch! Den hab ich schon mal gesehen!“, fiel Juliet auf. „Du kannst herauskommen, Watanuki“, sprach Ophelia plötzlich und sah mich direkt an, „Es ist nicht länger nötig, dass du dich versteckst!“ Ich starrte sie überrascht an. Noch nie hatte sie mich direkt angesprochen oder angesehen. Ich war zwar immer ein Teil des Traumes gewesen, hatte jedoch nie aktiv mitgewirkt, sondern immer nur die Rolle des Zuschauers innegehabt. Ich betrachtete meine Hände, welche plötzlich immer mehr an Konsistenz gewannen. „Watanuki, du hier?“, fragte Juliet beinahe entsetzt und ich nickte leicht. „Ja… ich habe alles mitbekommen. Von Anfang an, Juliet“, gestand ich ihr und fiel erschöpft auf die Knie. „Es gibt einen Kontinent, der im Himmel schwebt und Neo Verona genannt wird. Die Welt, soweit wir sie kennen, wurde seit jeher von zwei Bäumen getragen. Der kraftvolle Regen, der von diesen Bäumen hervorgebracht wurde, hat Fruchtbarkeit und Harmonie gebracht. Alles war im Einklang... bis die Menschen irgendwann eine große Sünde begingen... Sie wussten die Geschenke der Bäume nicht mehr zu würdigen. So vertrocknete einer von ihnen, obwohl er ewig hätte weiterexistieren können. Die Welt wird nur noch vom Baum Escalus gehalten. Wenn es ihn nicht mehr gibt... stürzen wir in die Leere“, erklärte Ophelia. „Zerstören wir die Welt... unwiderruflich?“, hauchte Juliet tonlos und die Priesterin trat näher. Es schien alles so ausweglos. Ich legte Juliet eine Hand auf die Schulter, während ich selbst meine Brust umfasste. Was waren das nur für Schmerzen? Die Priesterin streckte ihren linken Arm aus, ihre Hand war vertrocknet, es sah beinahe so aus, als bestünde sie… aus Holz… „Du bist dazu auserwählt, unsere Welt von dieser Sünde zu bereinigen, du hast die erhabene Pflicht, den Keim des Lebens wieder reifen zu lassen. So wie eine Mutter ein Kind in ihrem Leib wachsen lässt... Opfere dich... für das Gleichgewicht auf unserer Erde. Lass den Samen von Escalus... in deinem Körper keimen. Gebäre den Ableger! Rette die Welt!“, flehte Ophelia und meine Augen weiteten sich. Juliet sollte sich opfern? Für die Welt? Für uns alle? „Und du, Watanuki… musst nun gehen!“, befahl mir Ophelia und ich sank bei ihren Worten kraftlos zu Boden. Hatte sie etwa Macht über mich? „Watanuki!“, rief Juliet beinahe panisch und versuchte, mich anzusprechen, doch ich hörte sie kaum. Dann verlor ich alles: Die Umgebung des Friedhofs, Ophelia und auch Juliet. Ich fiel in die Dunkelheit und schrie, aus vollen Kräften.   „Watanuki! Wach auf! Watanuki!“, rief eine Stimme besorgt und ich öffnete flatternd die Augen. „J… Juliet?“, fragte ich verwirrt. War sie eben nicht noch auf dem Friedhof gewesen? „Ja… ich bin es!“, hörte ich ihre Antwort und setzte mich schweißgebadet auf. „Endlich bist du aufgewacht! Ich dachte schon, du träumst immer noch!“ Sie klang besorgt. „Wie bist du so schnell hergekommen?“, wollte ich wissen. „Ich bin zwar hierher gerannt… aber wirklich schnell war ich nicht. Der Samen… hat meine Kräfte geraubt. Ich habe mindestens eine halbe Stunde gebraucht!“, antwortete sie und ich sah sie an. Solange war ich in die Dunkelheit gefallen? „Du wusstest also von Anfang an von Escalus?“ Juliet klang beinahe anklagend, ich richtete meinen Blick zu Boden. Ich schluckte, danach sah ich ihr in die Augen. „Ja. Ich habe von ihm geträumt. Diese Ophelia ist mir auch erschienen. Ich weiß nicht… zuerst habe ich es nur für Träume gehalten. Aber dann fing irgendwie alles an Sinn zu machen und ich habe dich gesehen… Aber das heute hat mir bewiesen, dass alles wahr ist. Diese Welt… wird wirklich untergehen!“ „Wenn ich mich nicht opfere“, vollendete Juliet und an ihrer Brust glühte es wieder kurz grün auf. Ich wusste nicht, was ich tat, ich zog sie einfach in meine Arme. Sie tat mir so leid, sie hatte das alles nicht verdient. Zuerst hatte sie wie ich auch ihre Familie verloren. Dann fand sie endlich ihre große Liebe, doch sie sollte sich opfern, um die Welt zu retten. Damit würde sie alles verlieren. Nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Liebe. „Es tut mir alles so leid, Juliet!“, flüsterte ich als wir uns trennten und sie lächelte. „Du kannst doch nichts dafür… Watanuki! Aber bitte erzähl niemandem davon… ich möchte nicht, dass meine Freunde traurig sind“, entgegnete sie beinahe ebenso leise und ich nickte. Ein Erdbeben rüttelte das Gebäude durch und wir sahen zum Fenster hinaus, da wir plötzlich Schreie vernahmen. „Was ist das für ein Licht?“, fragte Juliet und auch ich sah dieses gewaltige Leuchten, welches die Nacht erhellte. „Feuer…“, hauchte ich und meine Augen verengten sich. Schnell warf ich mir einen Umhang über und wir eilten aus dem Haus. „Der Duce lässt die Stadt abbrennen! So helft uns doch!“, riefen viele Menschen durcheinander und flohen in alle Richtungen davon. „Wir sollten zum Westtor laufen! Das ist der Treffpunkt für solche Notfälle!“, schlug ich vor und Juliet nickte, als sie aufgeholt hatte. Als wir am Tor ankamen, fanden wir niemanden unserer Gruppe, weder Conrad, noch Curio oder Francesco. „Mach dir keine Sorgen, Juliet! Sie helfen bestimmt den Leuten in der Not!“ „Das beruhigt mich“, sprach die Rothaarige und sie sah schon wesentlich weniger panisch aus. Eine bekannte Stimme ließ uns herumfahren: „Juliet! Wie schön! Dir scheint nichts passiert zu sein!“ „Emilia! Willy!“, begrüßte Juliet ihre Freunde. Natürlich hatte diese Stimme Emilia gehört. Ich glaubte bisher niemanden in meinem Leben zu kennen, deren Stimme einen solchen Wiedererkennungseffekt hatte wie die Emilias. Neben ihr ließ sich William mitsamt seiner Tasche zu Boden fallen. „Nun langt's! Ich bin völlig erledigt! Ich hab mir den Hintern in der Kutsche durchgesessen! Und dann ist die auch noch liegen geblieben!“, klagte der Schriftsteller. „Aber sonst geht’s Euch gut, oder habt Ihr was abgekriegt?“, fragte Juliet schon wesentlich entspannter. „Ich gebe zu: Es könnte schlimmer sein, aber so ein Erdbeben stört schon ganz gewaltig. Ich hab doch soooooo ein unglaublich sensibles Gemüt! Und wenn's auch noch breeeeeennt, dann muss ich andauernd husten!“ Ich verdrehte die Augen. Hatte der im Moment wirklich keine anderen Probleme? „Man könnte meinen, ganz Neo Verona wäre dem Untergang geweiht“, berichtete Emilia besorgt. Juliet neben mir zuckte zusammen und ich sah sie mit einem vielsagenden Blick an. Leider schien er auffälliger gewesen zu sein als beabsichtigt. „Stimmt irgendwas nicht? Was hast du denn?“, erkundigte sich Emilia. „Ach, nein, nein. Schon gut! Es ist nichts! Wirklich nicht!“, winkte die Rothaarige ab. „Lüg nicht, Juliet! Du verschweigst uns doch schon wieder irgendetwas“, bemerkte William und sah sie ernst an. „Willy... Wenn sich... in der Geschichte... die du gerade erfunden hast... die Hauptdarstellerin zum Wohle der Welt opfern soll... Wie würdest du die Geschichte enden lassen? Was würdest du sie tun lassen?“ Ich hielt den Atem an. Ja… was würde er tun? Seine Antwort überraschte mich: „So eine Geschichte schreibe ich nicht! In meinen Theaterstücken geht es um Selbstfindung. Das Feuer, die Flamme, das Liebesglück mag erlöschen, aber die Selbstbestimmung und der eigene freie Wille überleben bis zum Schlussakkord! Ein Applaus für diese beiden Tugenden!“ Er würde so etwas nicht schreiben? Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Er schien wohl doch so etwas wie ein Gewissen zu besitzen… „Selbstbestimmung... Freier Wille...“, wiederholte Juliet nachdenklich. „Ganz genau!“, stimmte ihr der Schriftsteller zu. „Du bist aber auch immer komisch“, stellte Emilia fest und fing an zu lachen. Mir war überhaupt nicht nach Lachen zumute. Doch Juliet stimmte ein, auch wenn es gespielt war, was ich ihr sofort anmerkte. Bald schon trafen wir auf Conrad und die anderen, welche die Flammen gelöscht hatten. Zusammen beschlossen wir, den Duce sofort im Morgengrauen anzugreifen, damit er nicht noch mehr Pläne aushecken konnte, die Stadt zu zerstören, bevor wir sie übernehmen und den Menschen zu einem besseren Leben verhelfen konnten.   In dieser Nacht setzte Schnee ein. Ich erinnerte mich an das letzte Mal, wo ich Schnee gesehen hatte: Es war bei mir daheim gewesen. Wie weit weg mir das erschien. Irgendwie hatte ich mich schon so an diese Welt gewöhnt, hatte eine lange Zeit hier verbracht, die Menschen um mich herum liebgewonnen und zusammen mit ihnen gelacht. Ich hatte versucht, immer für Juliet da zu sein, ihr zu helfen und zu beschützen. Und jetzt? War es bereits Winter und die weißen Flocken bedeckten den Boden. Dennoch wuchsen wie durch ein Wunder noch überall weiße Iris… Sollte mich diese Tatsache hoffnungsvoll stimmen? Vielleicht fand Juliet irgendwie einen Ausweg, der keines Opfers bedurfte? Ich betrachtete sie von hinten. Sie war auf die Wiese zurückgekehrt, wo sie Romeo das erste Mal getroffen hatte, nachdem sie sich im Schloss des Duce kennengelernt hatten. Sie trug einen Strauß weißer Iris in ihren Händen, welche sie gerade gepflückt hatte. Meine Kapuze befand sich auf meinem Kopf, um den Flocken standzuhalten und ich hielt unsere Ryubas fest, während ich auf die Stadt hinabsah. Der Himmel war dunkel und bedeckt. Ein leichter Wind ging, der Juliets leise gemurmelte Worte zu mir hinübertrug: „Romeo... Ich gehe nach diesem Kampf zu Escalus... für das Glück und die Freiheit der Menschen in Neo Verona. Wir bleiben zusammen... bis dass der Tod uns scheidet. Und nichts was geschieht soll uns je wieder trennen. Das schwören wir. Verzeih, aber ich musste unseren Schwur brechen. Doch eins weiß ich sicher, Romeo. Neo Verona ist bei dir in guten Händen. Du bist das große Glück meines Lebens. Ich bin dankbar, dass ich dich lieben durfte, Romeo...“ Ich senkte den Kopf. Sie hatte sich entschieden. „Na, wen haben wir denn da? Der Rote Wirbelwind!“ Ich hob den Blick. Diese Stimme gehörte doch…? „Tybalt!“, sprach Juliet meinen Gedanken aus. „Ich werde Montague töten, bevor Ihr das tut. In dem Fall gehe ich auf Nummer sicher“, wechselte Romeos Halbbruder gleich zum eigentlichen Thema. Ich seufzte. Eigentlich war ich froh, dass er ihr diese Last, diese Verantwortung abnehmen wollte. „Hass und Rache bringen niemanden weiter. So etwas fällt auf einen selbst zurück. Das ist nicht gut. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden. Und deshalb weiß ich... dass ich mich opfern muss, um die Sünden zu tilgen. Nur dann wird alles wieder gut... auf der ganzen Welt... für immer.“ „Ihr wollt Euch für die ganze Welt opfern? Warum sollte das nötig sein?“, wollte Tybalt wissen. „Es gibt einen Baum, der die Welt trägt und den man im Schloss versteckt hat. Er heißt Escalus“, fing Juliet an zu erklären und mich überraschte, dass sie dieses Geheimnis noch jemandem außer mir anvertraute. „Der Baum heißt Escalus?“ „Es ist ein Lebensbaum, der dafür sorgt, dass wir in Wohlstand und Frieden existieren können. Escalus droht zu sterben, was dazu führen würde, dass unsere Erde untergeht“, erzählte Juliet und meine Ryubastute schnaubte. „Neo Verona hatte immer eine Schutzgöttin, die Escalus hieß. Alle Töchter der Capulet-Familie haben seit jeher diese Göttin sehr verehrt“, erinnerte sich Tybalt. Juliet öffnete ihr Oberteil ein wenig. „Siehst du dieses Mal? Ein Samenkorn des Lebensbaumes ist in mich gepflanzt worden. So ist es nun mein Schicksal, diesen Samen reifen zu lassen. Ich bin dazu ausersehen. Ich muss die Welt retten. Zu fragen warum ist sinnlos. Außer dir hab ich es nur Watanuki gesagt.“ Sie nickte in meine Richtung und Tybalt sah zu mir herüber. „Du bist Romeos Bruder. Mit dir kann ich darüber sprechen. Und wenn ich nicht mehr da bin, dann musst du deine Hand über ihn halten. Ich will, dass du deinen Bruder beschützt.“ „Aber wieso müsst Ihr denn gleich Euer Leben opfern? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“, fragte Tybalt und sprach mir damit aus der Seele. „Nein, gibt es nicht! Denn dann wäre es kein Opfer. Meine Entscheidung ist endgültig. Vielen Dank, dass du mir zugehört hast, ich muss jetzt gehen.“ Juliet kam auf mich zu. „Halt! Wartet!“, forderte Tybalt und Juliet blieb tatsächlich kurz stehen und schenkte ihm ihr Lächeln, ging dann aber trotzdem weiter, nahm mir wortlos die Zügel ihres Ryubas aus der Hand und erhob sich in die Luft. Ich folgte ihr schweigend. Ich hatte das Gefühl, der Himmel ließ weiche Tränen der Trauer auf Neo Verona fallen, unschuldig, weiß und rein.   Als der Morgen richtig anbrach, hatten wir unsere Kampftruppen versammelt und standen vor dem verschlossenen Tor des Montague-Schlosses. Ich zitterte vor innerer Erregung. Wie viele Wachen sich uns wohl in den Weg stellen würden? Wie fühlten sich wohl die anderen, beispielsweise Conrad, die das Schloss nach so langer Zeit wieder betreten würden? Montague hatte sich dieses Schloss, welches doch eigentlich der Familie der Capulets gehörte, einfach genommen, nachdem er kaltblütig die komplette Familie außer Juliet ausgelöscht hatte. Nun stand die letzte Überlebende vor dem Eingang dieses Schlosses und forderte ihren rechtmäßigen Platz zurück. Juliet trug eine rote Rüstung, welche ihre Haare einfach perfekt zur Geltung brachte. Sogar ich hatte eine Rüstung bekommen, sie war dunkelblau und ich trug einen schwarzen Umhang darüber. Keine einzige Wolke war mehr zu sehen und die Sonne schien hinter uns. Juliet trieb ihr Ryuba voran und hielt wenige Meter vor den Wachen an, welche das Tor flankierten. „Ich bin Juliet Fiammata Asto Capulet! Ich verlange, dass ihr das Tor öffnet! Wir haben nicht vor jemanden zu verletzten! Ich bin hier um die Macht zu übernehmen, die mir zusteht! Möge Montague Einsicht in sein Schicksal zeigen! In dem Neo Verona, das wir aufbauen, braucht man weder Schwert noch Dolch! Wir geben den Bürgen ihre Freiheit zurück! Tretet zur Seite und lasst mich durch! Ihr könnt mit uns gemeinsam einen Weg in eine neue Welt beschreiten!“ Der Anführer der fürstlichen Leibwache trat vor und ging auf die Knie. Ich erinnerte mich, dass er derjenige war, der damals für den Tod des Arztes Lanzelot verantwortlich gewesen war. Nun war er wohl endlich auch zur Vernunft gekommen… „Euer Hoheit Juliet, wir öffnen Euch das Schloss!“ Seine Worte wurden sofort erhört, es öffneten sich die gigantischen Holztore und alle waren zurückgetreten, um uns durchzulassen. „Uns steht nichts mehr im Weg...“, sagte Conrad tonlos und sprach damit meinen Gedanken aus. „Macht euch bereit! Wir durchschreiten jetzt das Schlosstor!“, rief Juliet nach hinten und erhob ihr Schwert. Alle um mich herum jubelten zustimmend. Ich nahm die Zügel meiner Ryubastute etwas kürzer. Warum war ich eigentlich hier? Warum kämpfte ich mit ihnen? Wer hatte mir diese Rolle zugeteilt? Geschah das alles einfach so? War ich derjenige, der diese Geschichte in der Hand hielt? Allmählich glaubte ich nicht mehr daran, sonst könnte ich doch etwas an ihrem Verlauf ändern, oder? Bei mir hätte es keinen Baum Escalus gegeben… damit hätten wir einige Probleme weniger gehabt. Wir ritten durch das Tor in den Vorhof, wo wir unsere Ryubas zurückließen und uns weiter in das Schloss vorwagten. Conrad führte uns zusammen mit Juliet, auch ich lief neben ihnen, da alle davon ausgingen, dass ich den Weg ebenfalls kannte. Dank William hatte ich eine ungefähre Ahnung… Die Menschen, die uns auf unserem Weg begegneten, wichen aus oder starrten uns ängstlich hinterher. Romeo hatte wahrlich viel zu erledigen, wenn der Duce erst einmal tot und Juliet nicht mehr da war, um die Verhältnisse zum Besseren zu bewenden… Wir traten in den Thronsaal. „Leontes Candore Bando Montague! Macht Euch bereit! Wir übernehmen die Macht!“, rief Conrad, wir zogen unsere Schwerter und traten vor. Der Duce sah genauso aus wie damals in meinem Traum - er war furchteinflößend, wie er regungslos vor seinem Thron stand. Doch eine Tatsache überraschte mich… Romeo und Tybalt bedrohten den Herrscher bereits mit ihren Waffen. Dass Tybalt vorhatte den Duce umzubringen, wusste ich… aber Romeo auch? „Da kommt sie, die infame Tochter der Capulets“, kommentierte der Duce Juliets Erscheinen geringschätzig, als sie sich ihm entschlossen gegenüberstellte. Romeo ließ bei Juliets Anblick seine Waffe sinken. „Was hast du, das dich dazu berechtigt... die Macht zu übernehmen? Hast du den Schlüssel zur Welt?“, fragte der Duce. Alle warteten gebannt auf ihre Antwort und sie kam, wortlos: Juliet warf das heilige Schwert ihrer Familie zu Boden, wir alle starrten sie überrascht und gebannt zugleich an. Sie trat noch näher an den tyrannischen Herrscher heran, sodass sogar Tybalt zurückwich und ihr Platz machte. „Ich brauche weder Schlüssel noch Schwert. Durch so etwas kommt man nicht an die Macht. Obwohl Ihr auf grausame Weise meine Familie umgebracht habt, hasse ich Euch nicht mehr. Ich habe auch nicht vor Euch zu töten, Montague. Ich spiele dieses Spiel nicht weiter! Ich will keine Rache. Ich fange neu an. Ich möchte den Bürgern aus unserer Stadt die Herrschaft über Neo Verona wiedergeben! Duce Montague, tretet zurück und macht den Thron frei! Verlasst Neo Verona! Ich schenke Euch das Leben!“, bot ihm Juliet an und ich fing an, sie immer mehr zu bewundern. Wie konnte sie ihm das einfach vergeben? Er hatte ihre gesamte Familie auf dem Gewissen! Es herrschte eine Totenstille im Thronsaal, bevor der Duce dieses angespannte Schweigen brach: „Ich habe gedacht, dass ich das Schicksal besiegen kann, wenn ich die Macht dazu habe. Doch das erweist sich als Trugschluss. Ich werde immer noch nicht gelie…“ Montague unterbrach sich selbst, riss sein Schwert in die Höhe und schien Juliet angreifen zu wollen. Wir stürmten los, um sie zu beschützen, doch das war nicht nötig: Der Duce rammte sein Schwert vor Juliet in den Boden. „Glück, Glanz und Ruhm verschwinden im Nichts... wie ein Tropfen, der ins Wasser fällt. Eine kreisförmige Welle verläuft am Horizont. Es bleibt nichts zurück.“ Wenn ich es nicht gerade aus Montagues Mund gehört hätte, hätte ich gedacht, dass dieser Satz von Yuko stammen würde. Plötzlich wurde die gerade wieder eingetretene Stille von einem grausamen Geräusch erneut durchbrochen: Jemand rammte dem Duce von hinten eine Waffe in den Körper. Ich sah genauer hin: Tybalt stand noch immer wie vorher da, Romeo befand sich an Juliets Seite, welche ebenfalls noch an Ort und Stelle stand. Wer bitte hatte dieses Attentat soeben begangen? Die Mordwaffe wurde wieder aus dem Duce herausgezogen. Er umklammerte stöhnend sein eigenes Schwert, welches immer noch im Boden steckte. „Ihr seid selbst Schuld. Ihr habt meinem Vater und mir Schreckliches angetan“, sagte ein junger Mann zitternd, der hinter dem Thron aufgetaucht war. „Mercutio…“, hauchte Romeo ungläubig und ich erinnerte mich: In der Originalversion von Romeo und Julia war er ein guter Freund und Verwandter von Romeo gewesen. „Hast du... Hast du das Schwert vergiftet, du Verräter?“, fragte der Duce keuchend. Mercutio lachte wie ein Wahnsinniger und zog sich zurück. Montague versuchte nach Juliet zu greifen, scheiterte jedoch bei diesem Versuch und kippte röchelnd nach vorne, in Juliets Arme. Romeo half ihr seinen Vater zu stützen. Mercutio kam wieder hinter dem Thron hervor und lachte so besessen, dass man seine folgenden Worte beinahe nicht verstehen konnte: „Ich hab den Duce... Ich hab den Duce getötet! Ich bin's gewesen! Ich bin ein Held!!“ „Er weiß nicht, was er sagt“, stellte ich fest und Conrad neben mir nickte zustimmend. „Verschwinde!“, rief Tybalt aggressiv und trat bedrohlich näher. „Aber warum denn? Ihr müsstet mir doch dankbar sein. Ich hab Montague erstochen. Ich hab das getan, was ihr tun wolltet! Ich bin der Held des Tages!“, befand Mercutio, doch Tybalt belehrte ihn eines Besseren: „Du bist ein Wurm, der es nicht wert ist, zertreten zu werden!“ Mercutio schien nun auf seinen Rat zu hören und verschwand immer noch lachend aus dem Raum. „Warum nur? Warum... liebt mich keiner? Warum liebt mich kein Mensch?“, fragte der Duce leise und ich blickte überrascht auf den Punkt an seinem Rücken, wo sein Blut weiter das Familienwappen der Montagues durchtränkte, welches an seinem Umhang angebracht war. „Wolltet Ihr denn geliebt werden? Oder vielleicht nur geachtet oder gar gefürchtet?“, wollte Juliet wissen. „Ich wollte, dass die Menschen Angst vor mir haben. Und auf Euer Mitleid kann ich gern verzichten. Das widert mich an… Capulet!“ Mit diesen Worten erschlaffte er endgültig in den Armen von Romeo und Juliet. „Vater...“, murmelte Romeo bedauernd. Tybalt zog einen seiner Langdolche aus dem Halfter, welches er um die Brust trug und schleuderte ihn in einer einzigen fließenden Bewegung Richtung Thron, wo er in mitten des Montague-Wappens stecken blieb. Romeo bettete seinen Vater zuerst auf den Boden und bedeckte ihn dann mit dessen Umhang. Es war vollbracht. Der Duce war tot! Irgendwie… war diese Tatsache so endgültig. „Das Schwert hat ihn gestützt, das Schwert hat ihn gebrochen. Er hat mehr an die Macht als an die Liebe geglaubt und am Ende hat die Macht ihn vernichtet“, schlussfolgerte Romeo und blickte auf den Leichnam seines Vater hinab. Juliet drehte Romeo ihren Rücken zu. „Er hatte vielleicht nur Angst... vor der Liebe. Er hatte Angst davor, jemanden wirklich zu lieben. Deswegen hat er sein Schwert um Hilfe gebeten“, stellte Juliet ihre Vermutung auf. „Aber warum hätte er Angst vor der Liebe haben sollen?“, fragte Romeo. „Weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, denjenigen, den er liebt, einmal verlieren zu müssen“, antwortete Juliet und sah mich vielsagend an. Ich erwiderte ihren Blick, bevor ich mich abwandte. „Oh meine Juliet...“, murmelte Romeo leise. Die Rothaarige nahm ihr Schwert wieder an sich, welches noch auf dem Boden gelegen hatte. „Ich muss dir etwas sagen!“, ergriff der junge Montague Sprössling wieder das Wort. Juliet drehte sich noch nicht einmal zu ihm um. Ich wusste, wieso. Es musste ihr so unglaublich schwerfallen, ihm jetzt noch in die Augen zu blicken. Für Juliet… war es noch nicht vorbei. Sie würde sich Escalus opfern. Irgendetwas sagte mir, dass dies unvermeidbar war… Romeo kniete vor Juliets Rücken nieder, sie drehte sich leicht um, überrascht über seinen Niederfall. „Juliet Fiammata Asto Capulet! Ich schwöre Euch ewige Treue! Ich überlasse Euch als Mitglied der Montague-Familie den Rang des Staatsoberhauptes und trete selbst zurück! Ab sofort werdet Ihr dafür sorgen, dass die Bürger in Freiheit leben! Unter Euren Händen wird Neo Verona neu erblühen! Was mich selbst angeht... Ich gehe in das Dorf zurück, das ich gemeinsam mit meinen Freunden wieder aufbaue. Und irgendwann wirst du mir dorthin folgen.“ Juliet ging in Richtung Ausgang des Thronsaals. „Leb wohl, Romeo.“ Ihre Stimme klang traurig, beinahe leidend. Tybalt und ich sahen ihr nach, bis sie aus dem Raum verschwunden war. „Und wir hissen nun die Flagge der Familie Capulet! Bereitet die Krönungszeremonie vor! Neo Verona wird wieder einer gerechten Herrscherin unterstehen!“, ordnete Conrad feierlich an und erntete Jubelrufe der Capulet-Anhänger. Ich jedoch jubelte nicht. Juliets Blick eben hatte Bände gesprochen, die nur Tybalt und ich verstanden. Ich musste etwas unternehmen! Und zwar schnell!!   William stand auf der Terrasse des Capulet-Schlosses und blickte auf die Stadt hinunter. „Es ist eine Veränderung vor sich gegangen“, stellte der Dichter fest und musste lächeln. „Der Wind weht weiter. Sowohl über einem klaren als auch über einem stürmischen Himmel. Man kann das Schicksal verändern! Hast du es verstanden, Watanuki?“ Der Himmel, welchem er gerade seinen Blick schenkte, antwortete ihm nicht, doch die Menschen taten es durch ihren Jubel, denn Neo Verona hatte sich verändert: Der Duce war tot. „Watanuki… ich befürchte so langsam neigt sich unsere Zeit hier dem Ende zu. Machen wir das Beste daraus, und zwar beide! Dennoch bin ich sehr auf deine Entscheidung gespannt… denn sie zeigt mir, ob du das wirklich Wichtige begriffen hast!“, sagte William und schloss für einen Moment die Augen. „Der Höhepunkt… steht kurz bevor!“ In diesem Moment fing die Erde wieder an zu beben. Die Menschen schrien und der Schriftsteller runzelte missmutig die Stirn: „Es ist noch nicht vorbei… denn die Entscheidung steht noch aus!“   Ich rannte den Flur entlang. Tybalt hatte ich damit beauftragt, die Anhänger Juliets zu beruhigen und wollte nun zu Romeo. Ich wusste genau, dass ich sie nicht davon abhalten konnte sich zu opfern, aber Romeo würde dies garantiert zu verhindern wissen. Schließlich liebte sie ihn und daher war er der Letzte, in den ich meine Hoffnung setzte. Ich öffnete die Tür zum Gebetsraum, in dem Romeo seinen toten Vater auf einen Altar gebettet hatte und neben ihm stand. „Ach du bist es… was willst du?“, fragte Romeo und ich trat näher, bis das Licht der Kerzen mein Gesicht erhellte. „Er hat den Tod bekommen, der ihm gebührte. Dieser Tyrann hat kein besseres Ende verdient!“, fing ich an zu sprechen und sah auf den Duce herab. „Willst du wirklich in dieses Dorf zurückkehren?“, wechselte ich das Thema, da ich eigentlich nicht hergekommen war, um über einen toten Tyrann zu sprechen… „Ja“, bestätigte Romeo. „Und Juliet lässt du hier?“, fragte ich anklagend. „Du kannst mir glauben, es ist besser so. Entschlossen hat sie ihr Schwert wieder in die Hand genommen, was bedeutet, sie wird ihre Position als Fürstin einnehmen und die Stadt Neo Verona gerecht regieren. Ich dagegen bleibe der Sohn eines Montague. Ich will nicht, dass Juliet meinetwegen Schwierigkeiten bekommt. Darüber hinaus haben mich die Erfahrungen der letzten Wochen sehr verändert. Ich habe mit meinen Händen einen Acker gepflügt. Wenn die Menschen unser Erdreich nicht hegen und pflegen, verliert es seine Lebenskraft“, entgegnete Romeo und ich schüttelte verständnislos den Kopf. „Du kümmerst dich zu viel um fremde Leute! Wieso tust du das? Hast du dir eigentlich überlegt, wie es den Menschen geht, die dich am liebsten haben? Du übersiehst bei aller Hilfsbereitschaft, wer dir am nächsten steht! Deine Geliebte braucht dich jetzt am meisten und du lässt sie einfach allein! Hast du schon mal was vom Baum Escalus gehört?“ „Mein Vater, der Duce, hat mich einmal in den geheimen Garten geführt“, erzählte mir Romeo. „Die Töchter der Capulet-Familie leben seit Generationen mit Escalus zusammen. Dieses Familiengeheimnis habe ich auch erst kürzlich erfahren“, erklärte ich. „Zwischen den Frauen der Capulets und dem Lebensbaum besteht eine Verbindung?“, fragte der Montague-Sohn überrascht und entsetzt zugleich und ich nickte traurig. „Genauso ist es! Juliet hat vor, ihr Leben zu opfern um unsere Welt vor dem endgültigen Zusammenbruch zu bewahren!“ „Das... Das kann ich nicht glauben!“ Romeo schien geschockt, was mir nur allzu verständlich war. Juliet hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie sich opfern musste, um Neo Verona den endgültigen Frieden zu bringen. Aber ihre traurige Ausstrahlung ließ erahnen, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Ich war am Überlegen, ob ich wütend auf ihn sein sollte, weil ihm das nicht aufgefallen war, schließlich war er in sie verliebt! - Doch ich entschloss mich dagegen. Romeo hatte seinen Vater verloren und Neo Verona bebte immer noch. Das sorgte bei ihm sicherlich für Verwirrung und in einem solchen Fall fielen einem solche Anzeichen nicht auf. „Und doch ist es so. Der Überlieferung nach soll sie stellvertretend für Escalus seine Schmerzen und Qualen erleiden und dadurch die Erde retten!“, endete ich und sah zu dem steinernen Engel hinauf, vor welchem einige brennende Kerzen standen. Als ob der Kontinent meine Worte unterstreichen wollte, erschütterte ein weiteres Beben die Stadt. Sie wurden immer stärker… „Wie schrecklich! Meine geliebte Juliet wird sterben? Ist das wirklich wahr?“ Romeo sank zu Boden. Langsam ebbte das Beben wieder ab. „Was wirst du jetzt tun?“, wollte ich wissen. Wir mussten endlich etwas unternehmen! „Was kann ich denn tun? Ist ein Opfer wirklich die einzige Möglichkeit Neo Verona zu retten?“, fragte Romeo. „Ich weiß ebenso wenig wie du, ob das die einzige Möglichkeit ist! Aber wenn sie jemand zurückhalten kann, dann bist du es! Sie hat ihr Herz an dich verloren. Nur du kannst sie noch retten!“, erklärte ich eindringlich. Zur Antwort konfrontierte er mich mit einem Satz, der mich doch stark an meine seltsamen Träume erinnerte: „Die großen Sünden der Menschheit können nicht getilgt werden. Jetzt versteh ich. Ich weiß endlich, was der alte Mann damit gemeint hat!“ Das Puzzle hatte sich nun auch für ihn zusammengesetzt. Ein Teil der Decke stürzte ein, ich wich zurück, während Romeo sich schützend über die Leiche seines Vaters warf. Kleinere Brocken trafen seinen Rücken. „Ich weiß, was ich tue! Ich werde Juliet suchen und ihr Leben retten!“, beschloss er. „Dann… werde ich dir helfen! Beeilen wir uns!“, forderte ich ihn auf und wir rannten die Korridore entlang. Ich vernahm noch die Schreie der Menschen, welche durch die Scheiben gedämpft an mein Ohr drangen. Sie schienen wirklich panische Angst zu haben. Ich wusste nicht, wie weit wir hinunter ins Schloss vordrangen. Irgendwann hörte ich auf, die vielen Treppen und Flure zu zählen, durch die wir stürmten. Ich vertraute einfach darauf, dass Romeo den Weg fand. Schmerz schoss durch meinen Körper, ich sank stöhnend in mich zusammen. „Watanuki! Was hast du denn?“, fragte Romeo panisch. „Ich weiß nicht… ich glaube langsam, dass Juliet und ich miteinander verbunden sind… irgendwie…“, keuchte ich und richtete mich auf. „Geht es wieder?“, wollte mein Gegenüber besorgt wissen und ich nickte, bevor ich losstürmte. Mein Wille trieb mich voran. Der Wille, Juliet zu retten! Wir blieben am Fuße einer Treppe stehen, die auf eine lange Brücke führte, welche von unzähligen, gewaltig hohen Steinsäulen gestützt wurde. Es war dunkel hier unten, nur wenig Licht erhellte den Übergang. Juliet befand sich bereits am Ende der Brücke, sie tastete sich langsam vorwärts. Der Samen von Escalus schien sie bereits sehr zu schwächen. „Juliet, warte!“, rief Romeo und ich stützte mich keuchend an einer Wand ab. Ich sah, wie Juliet ihr Schwert fester umklammerte und urplötzlich stehenblieb. „Mein Romeo...“, murmelte sie leise, doch der Hall trug ihre Worte auch zu uns herüber. „Ich weiß alles! Warum hast du nie davon erzählt, dass du dich Escalus opfern willst?“, fragte er fordernd und wir eilten auf sie zu. Sie richtete sich etwas auf. „Komm bitte nicht näher. Geh! Das hier ist allein meine Sache“, bat Juliet und wir blieben einige Meter hinter ihr stehen. „Da bin ich anderer Meinung! Wir haben uns etwas geschworen, erinnerst du dich noch? Wir bleiben zusammen, bis dass der Tod uns scheidet!“ Ich musste lächeln, als ich ihn so reden hörte. Oh ja. Sie liebten sich wirklich… „Ich habe diesen Treueschwur schon längst vergessen!“, behauptete die Capulet-Tochter. „Selbst wenn du ihn vergessen hättest, was ich nicht glaube, würde ich trotzdem nicht zulassen, dass du dich opferst, denn ich will nicht in einer Welt leben, die durch dein Leid gerettet wurde. Egal, ob du dich opferst oder nicht... Du kannst das Schicksal von Neo Verona nicht ändern!“, wollte Romeo ihr begreiflich machen. „Unsere Stadt hat ihr Schicksal und ich habe meins. Ich habe gelernt, es anzunehmen. Ich bin mit der Pflicht geboren Neo Verona zu schützen. Ich trage die Verantwortung dafür! Und wenn du dich mir in den Weg stellen willst...“, Juliet zog zu meinem Entsetzen ihr Familienschwert und richtete es direkt auf Romeo, „... dann sei Gott deiner Seele gnädig!“ Sie meinte es ernst. Todernst. Ich sah es in ihren Augen. „Bitte, kehr um, Romeo! Ich will dir doch nicht wehtun. Lass mich meinen Weg alleine zu Ende gehen“, sagte sie fordernd, schon fast befehlend. Die Säulen um uns herum stürzten ein, da die Erde erneut bebte. Ich wich den riesigen Gesteinsbrocken aus, welche Romeo und Juliet jedoch noch nicht treffen konnten. „Ich habe vor, dich vor der ewigen Qual zu beschützen! Dafür gehe ich durchs Höllenfeuer. Ich widersetze mich dem Schicksal!“, beschloss Romeo und zog ebenfalls sein Schwert. Er trat langsam näher. „Und selbst wenn ich dich töten muss... Das schmerzt mich weniger als dich ewig leiden zu sehen! Lieber versündige ich mich, als dass ich zusehe, wie du dich quälst!“ Romeos Klinge berührte die Juliets und strich beinahe sanft darüber. Um mich herum spritzte Wasser empor, als die Steinbrocken der Säulen hineinfielen. Die Brücke stand glücklicherweise noch. Allerdings traute ich meinen Augen kaum: Romeo und Juliet wollten… kämpfen? Hier und jetzt? „Bleib zurück, Watanuki. Dies ist ein Kampf zwischen uns beiden, und nur zwischen uns“, bat Romeo und ich musste einmal tief durchatmen, bevor ich einige Schritte zurückging. Sie standen sich gegenüber, beide die Schwerter erhoben. Warum musste das nur so kommen? War jetzt etwa ich Schuld, dass sie sich bekämpften? Aber was hätte ich sonst tun sollen? Das war nicht gerecht… das war nicht fair! Die beiden liebten sich und mussten nun gegeneinander kämpfen? War das etwa ein Kampf der Gerechtigkeit? Nein! Es war schrecklich… Und als ich begriff, wie die beiden jungen Personen vor mir nun empfinden mussten, kämpfte ich mit aufkommenden Tränen. Doch ich schluckte sie hinunter. Ich musste stark sein! Stark für die beiden… damit sie sich schnell im Klaren wurden, dass dieser Kampf sie nirgendwo hinführen würde… Nein! Zwei, die sich liebten, durften sich einfach nicht bekämpfen!! Oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)