Die Magie der Worte von Feuerblut ================================================================================ Akt 12: Shakespeares verlorene acht Jahre ----------------------------------------- Wir können Etwas nur als schön wahrnehmen, weil es auch Hässliches gibt. Daher zeigen sich auch haben und nicht haben gemeinsam. Hoch und tief ruhen aufeinander und obwohl sie nacheinander verlangen, müssen sie mit den Tränen der Trauer kämpfen. Worte des Abschieds müssen gefunden werden. Gefühle der Dankbarkeit sollten anerkannt werden. Sie sind getrennt und dennoch bleiben sie sich ewig nah. Mit einem sanften Lächeln endet eine Liebesgeschichte, die nie bereut wurde!   „Am liebsten würde ich ja immer hierbleiben… diese Welt gefällt mir wirklich sehr gut!“, sagte William und ich blickte auf. War es Zeit zurückzukehren? „Der Gegenwert für diesen Wunsch würde dein Leben überschreiten, Willy. Es ist unmöglich!“, hörte ich plötzlich eine mir vertraute Stimme und wandte mich um. Yuko blickte auf uns hinab, sie war in einer Art rundem Portal erschienen, welches sicherlich Mokona geöffnet hatte. „Hallo Yuko-san!“, grüßte ich sie halbherzig. „Hallo Watanuki. Wir haben uns aber schon sehr lange nicht mehr gesehen!“, fing die Hexe auch munter an zu plaudern und ich nickte leicht. „Du hast dich verändert. Das sehe ich dir an! Deine Gesichtszüge… sie sind plötzlich so anders! So… erwachsen! Dann ist unser Plan ja wohl aufgegangen, oder, William?“ „Ja, man könnte es so sagen. Ich denke, er wird dir viel zu erzählen haben, Hexe… er hat eine Menge erlebt!“, nickte Willy und bedachte mich mit einem Seitenblick. „Ach so?“ Fragend schaute mich Yuko an, dann wandte ich meinen Blick von ihr ab. Ich wollte nicht, dass sie mich weinen sah. „Wir werden bald zurückkehren!“, versprach der Schriftsteller und die Hexe nickte. „In Ordnung. Ihr habt beide eure Aufgabe gut bewältigt! Sie war von Erfolg gekrönt!“, lobte Yuko, doch ich sah sie erneut mit einem traurigen Blick an. „Also war es von Erfolg gekrönt, wenn sich zwei Menschen zum Wohle aller geopfert haben?“, fragte ich und Yuko lächelte, bevor sie nickte. „Oh ja. Es war ihr unvermeidliches Schicksal!“, sprach sie und ich blickte erneut zu Boden, auf dem sich Rosen und weiße Iris gegenseitig berührten. Ich sah augenblicklich Romeo und Juliet vor mir, wie sie sich ein letztes Mal küssten. „Nun denn, Yuko! Den Gegenwert für unseren Aufenthalt hier… werde ich dir zukommen lassen, sobald er wirklich fertig gestellt ist!“ Wovon sprach der Dichter denn da schon wieder? Mochten es eigentlich alle, mich auszuschließen? „Sehr gut. Dann wünsche ich euch eine gute Heimreise!“, verabschiedete sich Yuko, bevor sie verschwand. „Tja, es wird wohl Zeit, dich aufzuklären, Watanuki…“, fing Willy an und ich sah ihm in die Augen. Würde er mir endlich erzählen, was hier alles vor sich gegangen war? „Watanuki… du hast mich sehr oft abends in meiner Schreibkammer besucht. Sicherlich ist dir der ganze Stapel Pergament nicht entgangen… Ja, es ist wahr. Diese Welt hier und alles, was passiert ist… habe ich geschrieben!“ „ICH WUSSTE ES!“, brüllte ich los, hatte ich es doch die ganze Zeit geahnt!! „Allerdings… hast du es gelebt, Watanuki! Ich bin einerseits hierhergekommen, um Ideen zu sammeln für ein neues Buch! Es soll „Romeo und Juliet“ heißen und eine Tragödie werden! Andererseits war ich hier, um einmal in meiner eigenen Geschichte mitspielen zu dürfen. Das muss wahrlich der Traum eines jeden Autoren sein! Und da ich so gute Kontakte zu Yuko pflege, habe ich mir diesen Wunsch erfüllt!“ „Und was sollte ich dann hier genau? Eigentlich dachte ich, ich sei hier, um etwas verändern zu können, aber das erwies sich wohl als Fehlschlag…“, fragte ich. „Diese Frage habe ich dir bereits bei unserem ersten Treffen in dieser Welt beantwortet, Watanuki! Du solltest lernen, dich mit deinen Mitmenschen auseinandersetzen. Das wird dir in deinem Leben unheimlich weiterhelfen, glaub mir! Und du hast diese Welt sehr wohl verändert! Denkst du nicht auch, dass du Juliet sehr oft beschützt hast und ohne dein Zutun einige Situationen ganz anders gekommen wären? Was wäre beispielsweise mit Romeo passiert, wenn du Ophelia nicht von ihm abgelenkt hättest, als er Juliet in den Stamm von Escalus gefolgt ist? Glaubst du, er hätte sie erreicht? Was wäre passiert, wenn Romeo nicht gestorben wäre und Juliet ihren Willen, die Welt zu retten nicht gefunden hätte? Dann wäre auch der Samen in ihr gestorben. Zusammenfassend könnte man sagen, dass du einen ganz wesentlichen Teil zu den Geschehnissen beigetragen hast! Und der letzte Grund, warum ich dich mitgenommen habe… wird sich dir noch erschließen! Da bin ich mir ganz sicher! „Heißt das, die Geister, die ich bei Ophelia und dem Baum gesehen habe… und all diese Träume…“ „Wurden von mir geschrieben, ja!“, bestätigte Willy. „Also, war es nicht meine Schuld, dass die Dinge so einen Lauf genommen haben…“ „Nein. Und das Himawari und Domeki mitgespielt haben, ist Yukos Schuld. Sie hat mir ein… ich glaube bei euch nennt man es Foto, eine Art neuzeitiges Gemälde von den beiden gegeben und ich habe sie so aussehen lassen. Sie wollte sich einen Scherz erlauben!“ Ehe ich meine Meinung dazu kundgeben konnte, wurde ich beim Luftholen bereits unterbrochen: „So, und da gerade die Sonne am Horizont aufgeht, würde ich sagen, es wird Zeit für uns zu gehen!“, endete William, er hatte die Arme um seine Hüfte geschlungen und sein Haar wehte im Wind. Ich blickte über die Wiese. Tatsächlich. Der Himmel hatte sich rosa gefärbt und die Sonne ging auf. Ein Schauspiel, welches aus unserer erhöhten Position einfach fantastisch aussah: Es wirkte, als würde der runde Ball aus dem Meer auftauchen, welches seit wenigen Minuten den neuen Horizont dieser Welt bildete. „Ich werde all das hier nie wieder sehen… was?“, stellte ich fest und blickte noch einmal über Neo Verona. „Nein… niemals. Denn diese Welt wird zerfallen, sobald wir sie verlassen“, erklärte William und ich wirbelte zu ihm herum. „Was? Diese Welt… wird vernichtet?“ „Ja, Watanuki. Denn es war nur eine Traumwelt. Erschaffen aus deinen und meinen Worten. Sobald wir, welche wir der Ursprung dieser Welt sind, aus ihr verschwinden, so wird Neo Verona aufhören zu existieren. Deswegen durften wir beide in dieser Geschichte auch nicht sterben und ich habe dich vorhin vor dem Tod durch Ophelia bewahrt.“ „Wofür haben sich Romeo und Juliet dann eigentlich geopfert? Wieso ist all das geschehen, was geschehen ist? Warum?“ „Weil Geschichten in den Herzen der Menschen leben, Watanuki… nie aber in der Realität. Denn dafür sind Geschichten da: Um ihre Leser zu verzaubern; sie in eine andere, ihnen fremde Welt zu entführen, welche der diesen hier entsprechen könnte; sie mit anderen leiden, lachen und weinen zu sehen. Doch du hast hier eine ganz besondere Rolle gespielt! Du warst nicht nur Zuschauer, sondern du warst hier in dieser Geschichte Kimihiro Watanuki, du hast selbst in ihr mitgewirkt! Darauf kannst du sehr, sehr stolz sein!“ „Ja… ich bin stolz darauf, Romeo und Juliet kennengelernt zu haben… das ist wahr. Leider war unsere Zeit hier nur auf ein knappes dreiviertel Jahr beschränkt…“ „Ja, das war es. Wirklich schade, dass wir nicht länger hierbleiben können…“ „William? Leiden… die Menschen, wenn wir fortgehen?“ „Nein. Sie werden einfach verschwinden, mitsamt dieser Welt. Wie ein beschriebenes Blatt Pergament, welches ins Wasser gelegt wird: Die Buchstaben verschwimmen darauf und werden eins mit dem Wasser. Dennoch existieren die Worte weiter!“ „Sie… existieren weiter?“, fragte ich verständnislos nach. „Oh ja. Und zwar in jenen Menschen, welche sich an sie erinnern können… also in dir und in mir, Watanuki. Diese Welt wird niemals untergehen, weil wir beide uns an sie erinnern können! Und deswegen… werden sie für immer in unseren Herzen weiterleben! Mit Romeo und Juliet ist das nicht anders… sie mögen zwar von uns gegangen sein, aber weil uns ihre Worte und Taten verändert haben, werden sie in uns weiterleben, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht. Das ruhige Meer, die gerade aufgehende Sonne… der Wind der Hoffnung, der wieder durch Neo Verona weht… all das wird uns begleiten, und zwar unser Leben lang! Die Macht einer Geschichte liegt darin, dass sie uns Dinge lehrt, welche wir vorher nicht begriffen haben… das ist die wahre Kraft einer jeden Geschichte. Ich würde es fast schon als Magie bezeichnen. Ja. Die Magie der Worte besteht darin, dass wir aus jeder Erzählung, sei es Legende oder Geschichte eine gewisse Wahrheit entnehmen können, die uns verzaubert, beeinflusst in unserem Handeln, sie uns unseren Alltag… lebenswerter macht!“ Ich sah ihn lange an, dann holte er plötzlich etwas aus der Satteltasche meines Ryubas. „Hier ein Andenken, welches wir mit uns nehmen werden!“, sagte William und ich weitete überrascht die Augen. „Wo hast du das denn her?“, fragte ich erstaunt. „In einem unbemerkten Moment an mich genommen… ganz einfach!“ Ich nahm das Schwert der Capulets an mich, William hielt das der Montagues noch immer in seiner Hand. „Neo Verona benötigt diese Schwerter nicht mehr, denn die Bewohner haben gelernt, dass man mit Krieg und Tyrannei niemals gerecht regieren kann. Sie sind der Waffen überdrüssig geworden und deshalb werden wir sie an uns nehmen“, erklärte William, ich bückte mich hinunter und pflückte eine rote Rose und eine weiße Iris. „Ihr sollt niemals mehr getrennt werden… bis in alle Ewigkeit!“, versprach ich den Blumen und nahm sie zusammen in eine Hand. Wie zur Antwort fuhr mir der Wind durch mein Haar, er war warm und wohltuend. „Dann… werden wir uns auf den Weg machen… kommst du, Watanuki?“, fragte William, er hatte den Sattel unserer Ryubastute abgenommen und Chielo hob neugierig den Kopf. „Wie kommen wir zurück?“, wollte ich wissen. „Steig auf Chielo. Wir werden einen kleinen Flug unternehmen!“, erklärte der Dichter und ich nickte strahlend. „In Ordnung!“, stimmte ich zu und schwang mich mit Leichtigkeit auf Romeos Ryuba. Sanft streichelte ich ihm über die weißen Flanken. Sicherlich vermisste er seinen Besitzer… „Und los!“, gab William das Startsignal und die Tiere erhoben sich zeitgleich in die Lüfte. Ich durfte noch ein letztes Mal spüren, wie der Flugwind mir dieses gewisse Lebensgefühl gab und Romeos Ryuba schnell an Höhe gewann. Dieses Gefühl war einmalig… Chielo wieherte einmal, als er sich in den Sturzflug sinken ließ. Wir befanden uns nicht mehr über dem Kontinent, unter uns war das Meer. „Jetzt, Watanuki! Lass los!“, rief William und ich starrte ihn an. „Loslassen?“, wiederholte ich und er nickte. „Spring ab!“, brüllte er mir entgegen und machte es mir vor. Die braune Ryubastute flog unter ihm weg und er befand sich im freien Fall. Ich tat es ihm gleich, auch wenn es ein seltsames Gefühl war, plötzlich zu fallen und nicht mehr zu fliegen. Wir stürzten und stürzten. Die Sonne löste sich gerade von der Meeresoberfläche und strahlte plötzlich immer heller und heller, bis ihr nun goldenes Licht das Rosa des Himmels übermalte und alles in sich verschlang… Das Meer, Neo Verona, die fliegenden Ryubas über uns… und schließlich auch William und mich. Mein Flug wurde gebremst, ich drückte das Schwert und die beiden Blumen immer noch dicht an mich… „Lebe wohl, Watanuki! Vielen Dank… für alles!!“, hörte ich plötzlich Juliets Stimme sagen und riss meine Augen auf, doch um mich herum war es nur weiß. „Ja… Danke für deine Hilfe!“ Das war doch Romeos Stimme? Überall ertönte Lachen. Jetzt zogen die Bewohner Neo Veronas vor meinem geistigen Auge vorbei: Gesichter, welche ich nur einmal flüchtig in der Stadt gesehen hatte, ältere Menschen, Erwachsene, Kinder, bekannte Gesichter: Conrad, Tybalt, Francesco, Cordelia, Benvolio, Curio, Legan, Balthasar, der Duce, Ophelia, Romeo, Juliet. Alle lachten und strahlten, sogar der Duce. „Nur durch dich war es möglich… dass diese Geschichte ihr glückliches Ende gefunden hat!“, erklang Juliets Stimme erneut. „Ich… werde es niemals vergessen! Euch alle nicht! Ihr werdet in mir weiterleben! Bis ich eure Geschichte einem anderen Herzen erzählen werde, welches unsere Abenteuer in sich weitertragen kann!“, versprach ich und hielt das rote Schwert noch fester, sodass mir meine Hand wehtat.   Als ich die Augen aufschlug, war es Tag. Ich spürte, dass sich mein Körper in einem liegenden Zustand befand und irgendwie steif anfühlte… Vorsichtig richtete ich mich auf und fasste mir an den Kopf. Wo war ich denn bloß? Plötzlich spürte ich, dass etwas auf mir lag. Stimmt ja, ich hatte das Schwert und die beiden Blumen mitgenommen… Die weiße Iris und die rote Rose waren wie durch ein Wunder unversehrt geblieben. Auch das Schwert steckte noch sorgfältig in seiner Scheide und schien keine Schramme abbekommen zu haben. „William?“, fragte ich und blickte mich um. Der Dichter lag neben mir in einem Bett und erhob sich mühsam. „Hatte ich mich in Neo Verona noch über die Kutschfahrt beschwert? Hier aufzuwachen ist ja noch acht Mal schlimmer…“, stöhnte er und fasste sich an den Kopf. Ich hörte plötzlich Schritte, dann wurde eine Tür aufgestoßen und ein heller Schrei entfuhr der Person, welche gerade im Raum stand. Ich hielt mir die Ohren zu, ich hatte gerade solche Kopfschmerzen und dann war diese Stimme auch noch so laut…: „WILLIAM SHAKESPEARE! HÄLTST DU ES NACH ALL DER LANGEN ZEIT ALSO AUCH MAL WIEDER FÜR NÖTIG AUFZUWACHEN, JA?“ Ich blinzelte. Williams Frau stand in der Tür. Doch mir fielen sofort zwei Dinge auf: Erstens… sie war auf einmal sehr schlank. Zweitens: Irgendwie waren ihre Gesichtszüge anders… älter?? „Stell dich nicht so an, Anne… Wir waren doch nicht lange weg…“, seufzte Willy, nachdem er aufgestanden war. „Ach nein…? Ihr wart nicht lange weg? Natürlich… dann muss ich mir die letzten acht Jahre wohl eingebildet haben, was?“, fragte sie beinahe drohend. „ACHT JAHRE?“, brüllte ich los und sprang auf. Ich konnte gerade noch verhindern, dass das Schwert der Capulets auf dem Boden aufschlug. „Ja, acht Jahre!!“ Plötzlich erinnerte ich mich an unsere Schulstunde, in der wir Shakespeares Leben durchgenommen hatten: Es gab eine Zeitspanne in seinem Dasein, welche als „Shakespeares verlorene acht Jahre“ bekannt war, in dieser Zeit hatte man angeblich so gut wie nichts über den Dichter gehört, zumindest wurde nichts davon überliefert. Jetzt verstand ich es… das waren also die acht Jahre, welche wir in Neo Verona verbracht hatten. Aber wieso acht Jahre? Wir waren doch nur ungefähr acht Monate in Shakespeares Welt gewesen? „Oh Watanuki ist aufgewacht, wie schön!“ Diese Stimme kam mir besonders vertraut vor, doch hatte ich mit ihr nun gar nicht gerechnet, weder zu dieser Zeit, noch an diesem Ort… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)