Zum Inhalt der Seite

Target

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Er strich sich eine lästige, schwarze Haarsträhne aus der Stirn und machte sich weiterhin daran, den Lauf seines Gewehrs zu polieren. Dies tat er vor jedem Auftrag. Er zerlegte seine HK MSG90, säuber-te sie und setzte sie dann wieder mit äußerster Präzision zusammen. Minho war ein Perfektionist und dies sein Ritual, bevor er den Abzug drückte und einen weiteren Auftrag erfolgreich erledigte.
 

Nachdem er sein Gewehr auf der Backsteinmauer des flachen Dachs in Position gebracht hatte, holte er noch einmal das Bild seiner Zielperson aus der Tasche seiner schwarzen Lederjacke. Es zeigte eine Frau Ende 30 mit kurzem, dunkelblondem Haar. Mehrere Tage lang hatte er sie beschattet um ihre Gewohnheiten herauszufinden, ehe er sich nun auf dem Gebäude gegenüber ihrer Arbeitsstelle in Stellung gebracht hatte, um den entscheidenden Schuss abzugeben. Er hatte sich angewöhnt, keine Gedanken über seine Ziele zu verschwenden. Es war immerhin sein Job, diese Leben auszulöschen und er war verdammt gut darin, die Aufträge perfekt auszuführen.
 

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es an der Zeit war. Er legte sich flach auf den Bauch und nahm das Gewehr in den Anschlag. Durch das Korn nahm er den Eingang des gegenüberliegenden Gebäu-des ins Visier. Nur noch eine Minute. Dann müsste die Frau dort erscheinen. Wieder ein Blick auf die Uhr. Auf die Sekunde genau kam die Blonde aus der Tür. Mit einem Lächeln im Gesicht schien sie sich von ihren Kollegen zu verabschieden, ehe sie die wenigen Stufen zur Straße hinab stieg. Mit dem rechten Zeigefinger drückte er blitzschnell den Abzug. Durch das Adlerauge sah er, wie die Frau plötz-lich zusammen zuckte und inne hielt. Ein rotes Rinnsal suchte sich einen Weg von ihrem Haaransatz über ihr Gesicht. Dann gaben ihre Beine unter ihr nach und sie brach auf dem Gehweg zusammen. Minho zerlegte mit gekonnten Handgriffen sein MSG, verstaute sie in einer gepolsterten Tasche, wel-che er schulterte und verließ das Dach. Nie würde die Frau auf den Gedanken kommen, dass er es war, der ihrem Leben ein Ende bereitet hatte. Er – den sie „zufällig“ in einer Bar kennengelernt und mit dem sie sich so gut unterhalten hatte. Er – der mysteriöse, gutaussehende Fremde mit dem charman-ten Lächeln. Nie würde sie erfahren, dass er das Alles aus nur einem einzigen Grund gemacht hatte – um sie zu töten.
 

Gemächlich trat er durch die Haustüre ins Freie, setzte seine Sonnenbrille auf und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Apartment. Den Bericht konnte er auch morgen schreiben, bevor er seinen nächsten Auftrag bekam. Das war der Nachteil, wenn man für die Regierung arbeitete: Man hatte so ziemlich keine Freizeit und musste rund um die Uhr abrufbar sein. Aber für Minho war das kein Prob-lem und er empfand es als Ehre, einen solch wichtigen Job zu haben.
 

Während er in seinen schwarzen Chevrolet Camaro stieg und los fuhr, formulierte er in Gedanken schon einmal den Text, welcher dann zu dem nun abgeschlossenen Fall gehängt werden würde und fragte sich, welche Herausforderungen sein neuer Auftrag wohl mit sich bringen würde.

Als der Wecker anfing zu piepen, war Minho bereits auf den Beinen. Gerade kam er aus der Dusche in seinem geräumigen Bad und ging, nur mit einem Handtuch um die Hüfte bekleidet, zurück in sein Zimmer, während er sich mit einem Kleineren die nassen Haare trocken rubbelte. Nach wenigen Handgriffen gab sein Handy endlich Ruhe und der Schwarzhaarige wendete sich seinem schmalen, jedoch bis zur Zimmerdecke reichenden, aus Kiefernholz bestehenden Kleiderschrank zu, aus wel-chem er eine einfache Jeans fischte, die er sogleich über seine Boxershorts anzog. Danach holte er sich noch ein schlichtes, weißes T-Shirt, welches eng an seinem trainierten Oberkörper anlag und schon setzte er sich mit seinem Laptop auf sein breites Bett, um den Bericht über seinen letzten Auf-trag zu verfassen.
 

Nachdem er den Papierkram erledigt hatte, druckte er die Unterlagen aus und heftete sie in eine Map-pe. Dann zog er seine Schuhe an und verließ sein Apartment. Als er die Haustüre hinter sich zu mach-te, wehte ihm angenehm warme Luft entgegen. Für einen Augenblick schloss er die Augen und atmete den Duft des Spätsommers ein. Anschließend setzte er sich in Bewegung, um das Papier zur Post zu bringen. Als er dies erledigt hatte streckte er sich. Noch dauerte es einige Stunden, eher er seinen neuen Auftrag bekam, bis dahin musste er sich die Zeit vertreiben. Spontan ging er in den nächstge-legenen Coffee Shop um sich eine Ladung Koffein zu holen.
 

Mit einem Pappbecher voll mit Kaffee in der Hand ging Minho schließlich gemächlich durch die Fuß-gängerzone von Seoul. Durch seine Sonnenbrille betrachtete er einen Moment lang den strahlend blauen Himmel und die wenigen weißen Wolken, die dort ihre Bahnen zogen. Gerade als er den Blick wieder auf seine Umgebung richtete und an seinem Getränk nippen wollte, spürte er plötzlich, wie jemand mit voller Wucht in ihn hinein rannte. Der Kaffee schwappte über den Rand des Bechers und verteilte sich auf seinem weißen T-Shirt und dem Oberteil des braunhaarigen Jungen, welcher durch die Wucht des Aufpralls nun auf den Boden gefallen war.
 

„Verdammt. Tut mir Leid“, murmelte der Jüngere und rappelte sich mühsam auf, wobei er einen Mo-ment lang wankte, ehe er sein Gleichgewicht wieder einigermaßen gefunden hatte. Nun hatte der Schwarzhaarige die Möglichkeit, den Braunhaarigen genauer zu betrachten. Er war circa einen Kopf kleiner als er und hatte einen zierlichen Körperbau. Das schmale Gesicht war hübsch, zeigte jedoch eingefallene Wangen und man konnte leichte Schatten unter den Augen erkennen. Doch alles in allem war der Junge wirklich hübsch.
 

„Schon okay. Der Kaffee war nicht teuer und das Shirt kann ich waschen. Geht es dir gut?“, fragte er nun mit hochgezogenen Augenbrauen, während er den Kleinen musterte. Auf den zweiten Blick sah er geschwächt und etwas verwirrt aus. Das schien der Fremde auch zu merken, denn er straffte seine Schultern und strich sich mit einer Hand das Haar glatt, ehe er betont kräftig nickte. „Ja. Mir ist nichts passiert. Sorry nochmal wegen dem Kaffee und deinem Shirt.“ Dass er selbst einen Fleck auf seinem hellgrünen Oberteil hatte, schien ihn nicht weiter zu stören. Er kramte in seiner Hosentasche und för-derte einen Geldbeutel zutage, aus dem er einen Geldschein fischte, welchen er dem verdutzen Minho in die Hand drückte. „Für die Reinigung und den Kaffee. Ich muss jetzt weiter. Sorry.“ Mit diesen Worten setzte er sich in Bewegung, um an dem immer noch etwas überrumpelten Minho vorbei zu gehen. Gerade als sie auf gleicher Höhe waren, gaben die Beine des Braunhaarigen unter ihm nach, was der Größere aus dem Augenwinkel registrierte und dank seiner schnellen Reaktionsfähigkeit in der Lage war, den Jungen aufzufangen.
 

„Woah! Hey, alles klar? Was ist mit dir?“ Er strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und bemerkte, dass sich dort kalter Schweiß gebildet hatte. „Verdammt“, fluchte er, nahm den Fremden kurzerhand auf die Arme und brachte ihn zur nächstgelegenen Bank, welche an einen kleinen Park grenzte, auf die er ihn absetzte. Mit einer Hand wedelte er dem Anderen kühle Luft zu, während er ihn mit der Zweiten weiterhin fest hielt. Es dauerte einen Moment, ehe der Junge wieder zu sich kam. Er öffnete seinen schönen Augen und sah sich verwirrt um, doch ehe er etwas sagen konnte, redete Minho auf ihn ein. „Scht. Du bist umgekippt. Ich habe dich zu einer Bank gebracht“, sagte er beruhigend und strich ihm kurz durchs Haar. Aus irgendeinem Grund hatte er das Bedürfnis, den Unbekannten von allem Übel der Welt abzuschirmen und auf ihn aufzupassen. „Was ist mit dir? Du bist immer noch völlig blass. Warte eine Minute, bin gleich wieder da!“ Schnell stand er auf und rannte in den nächstbesten Laden, in welchem er eine Flasche Wasser für den Anderen kaufte.
 

„Hier, trink erst mal etwas“, forderte er ihn auf und hielt ihm die nun geöffnete Flasche hin. Der Braun-haarige sah von ihm zur Flasche und dann wieder zurück. Erst nach kurzem Zögern nahm er das Getränk entgegen und nippt vorsichtig daran, doch dann wurden seine Schlucke gieriger und schließ-lich hatte er die gesamte Flasche geleert. Danach schloss er die Augen und stöhnt leise auf. Mit Dau-men und Zeigefinger massierte er sich die Nasenwurzel, als hätte er Kopfschmerzen. In dieser Positi-on verharrte er.
 

„Wieder besser?“ Die sanfte Stimme von Minho schien ihn aus seiner Starre zu reißen, denn er öffnete die Augen erneut und sah zu dem Älteren hinauf, der über ihm gebeugt stand. Dann nickte er lang-sam. „Ja. Danke“, kam die Antwort schüchtern zurück. „Tut mir Leid, dass ich dir so viele Umstände bereite.“
 

Der Schwarzhaarige winkte lachend ab. „Kein Problem. Ich muss eh noch etwas Zeit verschwenden. Statt mich in irgendeinem Café zu langweilen kümmere ich mich lieber um dich. Ich bin übrigens Min-ho.“
 

„Taemin.“ Er setzte sich auf der Bank aufrecht hin. Immer noch schien er verwirrt zu sein und die Blässe in seinem Gesicht wollte einfach nicht verschwinden.
 

„Bist du schon öfter umgekippt? Vielleicht solltest du ins Krankenhaus gehen und dich untersuchen lassen?“ Er sah den Kleinen ernsthaft besorgt an, doch der schüttelte nur den Kopf.
 

„Nein das wird schon wieder. Ist jedes Mal so. Ich hatte das schon öfter. Nicht weiter dramatisch. Hab wohl einfach zu viel von meinen Vitaminen genommen.“ Er seufzte auf und legte den Kopf in den Na-cken. Dadurch hatte der Schwarzhaarige die Möglichkeit das Gesicht noch einmal zu betrachten. Die Wangenknochen hatten eine schöne, leicht runde Form und ließen ihn jünger wirken, als er wahr-scheinlich war. Die Haut war makellos und sah sehr zart und weich aus.
 

„Vitamine? Die dürften aber eigentlich keine Nebenwirkungen haben“, murmelte Minho nachdenklich, als der Andere ihn wieder ansah. Nach diesen Worten runzelte er die Stirn. „Stimmt, aber bei meinen scheint es wohl doch welche zu geben.“ Ein schüchternes Lächeln stahl sich auf die vollen Lippen und zeichnete kleine Grübchen in die Wangen. „Wahrscheinlich stimmt etwas nicht mit mir.“
 

„Das wäre natürlich auch möglich“, lachte Minho. „Aber ich glaube nicht. Bis jetzt scheinst du noch ziemlich normal zu sein“, versicherte er ihm zwinkernd.
 

Taemin spielte mit der leeren Flasche in seiner Hand. Er schien mit der Situation etwas überfordert zu sein und nicht zu wissen, wie er sich dem Anderen gegenüber verhalten sollte, was der Ältere – auch wenn er es ungern zugab – ganz süß fand. „Musst du denn eigentlich irgendwo hin? Du schienst es etwas eilig zu haben.“ Schöne, dunkelbraune Augen sahen ihn einen Augenblick lang überrascht an. „Eigentlich ja.“ Ein Blick auf seine teuer aussehende Armbanduhr mit Lederband ließ ihn die Stirn runzeln. „Ich müsste schon längst wieder wo anders sein. Aber so wies mir jetzt geht, kann ich das eh vergessen.“ Sein Lachen klang hell und klar. In diesem Augenblick kam Minho eine Idee. „Ich habe noch einige Stunden, in denen ich mir die Zeit vertreiben muss und alleine ist das ziemlich langweilig. Außerdem möchte ich dich in diesem Zustand nur ungern allein lassen. Willst du mir Gesellschaft leisten?“ Er kam nicht drum herum, Taemin irgendwie faszinierend zu finden. Wieder blickten diese schönen Augen ihn zuerst überrascht, dann abschätzend an. Sein Gegenüber schien einen Augenblick darüber nachzudenken und mit sich selbst zu hadern, ehe er dann doch zögerlich den Kopf nickte. „Etwas Zeit müsste ich aufbringen können, schätze ich mal“, kam die Antwort, wenn auch immer noch etwas unsicher.
 

„Sehr gut!“, grinste Minho, stand auf und reichte ihm die Hand, um ihm auf zu helfen. „Komm, wir ho-len dir erst mal was zu essen. Das sollte dich aufpäppeln.“ Er schloss seine große Hand um die Schmale des Anderen und zog ihn hoch. „Ich kenne jemand, der die besten Nudeln in ganz Korea macht. Die solltest du mal probiert haben“, sagte er, während er gefolgt von Taemin in eine kleinere Gasse am Rande der Fußgängerzone einbog. Die hinteren Straßen waren bei Weitem nicht so belebt und nur wenige kannten die Seitenwege und die dortigen kleinen, versteckten Geschäfte. Als Kind hatte der Schwarzhaarige diesen trüberen, verlasseneren Teil hinter Seouls Einkaufspassage durch Zufall entdeckt. Nur selten verirrten sich Touristen in diese Gegend, die Meisten wurden von den teil-weise etwas heruntergekommenen Fassaden und dem Müll, der auf dem Boden lag, abgeschreckt. Es war das krasse Gegenteil zu dem schillernden und leuchtenden Ambiente und den mit bunten Rekla-metafeln versehenen, großen Kaufhäuser auf der anderen Seite der Mauern. Doch das störte ihn nicht weiter, er hatte es lieber ruhig, als dauernd von zu vielen Menschen umgeben zu sein.
 

Ein Seitenblick auf den Kleineren zeigte ihm, dass er diesen Abschnitt wohl auch nicht kannte, denn er sah sich misstrauisch um. „Keine Sorge. Wir sind gleich da“, sagte der Ältere amüsiert und bog um die nächste Ecke. Dann standen sie auch schon vor einem kleinen Restaurant, welches von außen nicht gerade einladend aussah. Wenn man jedoch durch die quietschende Holztür in den dahinterlie-genden Raum trat, wurde man von einem angenehm gedämpften Licht und dem Duft von Nudeln empfangen. Bis auf ein Paar in der hinteren Ecke waren die Tische unbesetzt. Als sie an der Theke vorbei auf den nächstgelegenen Tisch zusteuerten, hob Minho eine Hand um den Mann hinter dem Tresen zu grüßen. Dann setzte er sich seinem Begleiter gegenüber und sie begannen sich zu unter-halten. Über Hobbies, Lieblingsessen, Sport und häufig diskutierte Themen und der Scharfschütze stellte fest, dass der Junge, der gerade mal zwei Jahre jünger war als er, schon ziemlich reif für sein Alter war. Er war erwachsener als es auf den ersten Blick den Anschein hatte und konnte auch über ernste Themen reden. Er schien sich für viel begeistern zu können, war aufgeweckt und ein aufmerk-samer Zuhörer, der aber auch gut durchdachte Argumente finden konnte, wenn es darum ging, eine Sache zu verteidigen, die er mochte. Beide merkten, dass sie auf gleicher Wellenlänge waren und auf Anhieb gut verstanden. Als sie nach dem Essen das Nudelrestaurant wieder verließen, gingen sie gemütlich zurück zur Fußgängerzone, wo sie sich die restliche Zeit vertrieben. Schnell verflogen die Stunden und als Minho das nächste Mal auf seine Uhr sah, war es an der Zeit, sich zu verabschieden. An dem Punkt, an dem sie sich getroffen hatten, trennten sich ihre Wege nun wieder.
 

„Also dann.. Danke, dass du mit mir die Zeit verbracht hast. Immerhin hast du jetzt auch wieder Farbe im Gesicht.“ Minho grinste Taemin an, welcher ihm gegenüber stand.
 

„Danke, dass du dich um mich gekümmert hast. Die Nudeln waren wirklich erste Klasse. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr“, gab der Jüngere ehrlich zu und lächelte. „Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Bis dann!“
 

„Ja vielleicht. Wäre schön. Bis dann“, sagte auch der Schwarzhaarige und hob zum Abschied die Hand. Dann drehte er sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon, als auch der Andere sich in Bewegung setzte. Gemächlich lief er zu einem großen, beeindruckenden Gebäude mit einer riesigen verspiegelten Glasfront. Es war ein Hochhaus inmitten lauter Bauten von Bürogebäuden. Nicht weiter auffällig und es unterschied sich auch nicht sonderlich von den anderen Gebäuden. Der einzige Unterschied war die große koreanische Flagge, die auf dem Vorbau über der breiten Ein-gangstüre angebracht war und sanft mit dem Wind wog. An den Seiten der Türe war jeweils ein Wachmann postiert, die in ihrer pechschwarzen Uniform so still wie Statuen standen, jedoch äußerst wachsam die Umgebung beobachteten. Minho nickte ihnen zu, ehe er durch die sich öffnende Glastür in das große, lichtdurchflutete Foyer dahinter trat. Er grüßte die Angestellten, an denen er vorbei lief, ging jedoch schnurstracks zum Aufzug, mit welchem er in einen der obersten Stockwerke des Hoch-hauses fuhr. Er holte seine ID-Card aus dem Geldbeutel und hielt sie vor den Scanner, welcher neben der Aufzugstüre angebracht war, ehe diese sich öffnete. Dahinter standen ebenfalls Wachposten, die den Schwarzhaarigen einen Moment lang musterten, dann nickten und er passieren konnte. Hinter ihnen war erneut eine Türe, diese bestand aus Panzerglas. Auch hier war eine Vorrichtung angebracht. Zuerst musste er seinen rechten Daumen auf eine kleine, markierte Fläche drücken, danach wurden seine Pupillen gescannt, ehe auch diese Türe sich nach einem leisen Piepen vor ihm öffnete. Dahinter lag ein langer Gang, der an beiden Seiten von Türen gesäumt war. Zielstrebig ging er auf eine der Türen zu, drückte die Klinke herunter und betrat einen Art Besprechungsraum. In der Mitte stand ein riesiger, runder Tisch aus Mahagoni, um den geordnet die dazugehörigen Stühle standen. An der Wand gegenüber der Eingangstüre stand ein Schreibtisch, auf dem ein PC zu sehen war. Daneben war eine weitere, aber schmalere Tür, die fast unauffällig war, dank der großen, grünen Yucca-Palme daneben. Zielstrebig ging er durch die besagte Türe und fand sich in einem weitaus kleineren Raum wieder, welcher einen weiteren PC beherbergte, ebenso wie einen kleinen Tisch mit vier Stühlen. Auf einem der Stühle saß ein Mann mittleren Altern mit dunkelbraunem Haar, durch das sich vereinzelt feine, graue Streifen zogen. Als er sich zu Minho umdrehte, ging ein Lächeln über sein Gesicht, was seine strahlend weißen Zähne zum Vorschein brachte.
 

„Da ist ja endlich meine Nummer 1“, sagte er freudig, erhob sich und gab dem Jüngeren die Hand.
 

Dieser erwiderte den Händedruck mit einer leichten Verbeugung. „Sajangnim. Tut mir Leid, das ich Sie habe warten lassen.“
 

„Aber nein, ich bin auch erst vor Kurzem hier eingetroffen. Setz dich doch. Ich habe gehört, dass du deinen Auftrag mal wieder mehr als zufriedenstellend zu Ende gebracht hast.“
 

Der Schwarzhaarige nahm auf dem Stuhl gegenüber seines Chefs und Kommandanten Platz und lehnte sich zurück. Er konnte sich ein kurzes, selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen. „Nun ja.. wenn Sie das so gehört haben, muss das wohl auch stimmen“, gab er dennoch ruhig zurück.
 

Der Ältere lachte. „Natürlich, natürlich. Ich habe auch nichts Anderes erwartet. Schließlich bist du trotz deines jungen Alters der beste Scharfschütze, mit dem ich je die Ehre hatte zu arbeiten. All die Jahre deiner Ausbildung haben sich wirklich mehr als bezahlt gemacht.“ Auch er lehnte sich nun zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber kommen wir nun zur Sache. Deinen Bericht hast du schon ausgefertigt?“
 

Minho nickte. „Ja, ich habe ihn wie immer zur Post gebracht, bevor ich hierher kam.“
 

„Gut. Sehr gut. Du weißt ja, in der Umgebung gibt es auch Leute mit einem sehr gut geschulten Auge. Wenn sie dich oder einen anderen meiner Männer mit einem Kuvert sehen, werden diese Leute wissen, was euer Job ist. Aber das weißt du ja.“
 

Der Andere nickte und sah den Mann an, der ihn ausgebildet hatte und ihm all das Wissen, welches er über die Jahre in der Ausführung seines Jobs als Scharfschütze gesammelt hatte, weitergab.
 

„Wie du weißt, haben wir sofort einen neuen Auftrag für dich. Du kennst sicherlich den momentanen Boss der koreanischen Mafia, Lee Chang Jun?“
 

Minho nickte langsam mit gerunzelter Stirn.
 

„Dein nächstes Ziel wird der Sohn von ihm sein, unsere Ermittler versuchen im Moment noch, seinen Namen heraus zu finden“, fuhr der Kommandant fort. „Sobald wir ihn haben, faxen wir dir die Daten sowie ein Bild. Dein Auftrag ist es, den Kerl zu beschatten, seine Gewohnheiten herauszufinden. Das Übliche also. Aber dieses Mal kommt noch etwas hinzu: Du musst versuchen in seinen Freundeskreis vorzudringen und sein Vertrauen zu gewinnen. Nur so können wir noch sehr wichtige Informationen über ihn und die gesamte Mafia sammeln, ehe wir sie allesamt auslöschen. Die ganze Operation un-terliegt strengster Geheimhaltung, mehr noch als bei all deinen bisherigen Fällen. Du bist der Einzige, dem ich diesen Auftrag anvertrauen will. Du besitzt all die Fähigkeiten, die dafür von Nöten sind. Ich weiß, dass du mich nicht enttäuschen wirst. Was sagst du? Nimmst du es an? Du weißt, es steht dir frei es abzulehnen.“
 

Auf der Stirn des Jüngeren hatten sich feine Falten gebildet, als er über die Worte des Kommandanten nachdachte. Dieser Auftrag war bei Weitem gefährlicher als alle bisherigen. Wenn er auch nur eine falsche Bewegung machte, konnte er die gesamte Organisation in Gefahr bringen oder sogar selbst dabei sein Leben verlieren. Aber der Gedanke daran, dem Mann, der gesamt Seoul und noch andere Teile Südkoreas seit Jahren terrorisierte, das Handwerk zu legen, durchschoss ihn Adrenalin. Er brannte darauf, diese Herausforderung anzunehmen – nicht nur um eine alte Rechnung, die er mit diesem Mann noch offen hatte, zu begleichen, sondern auch um alle anderen Menschen hier davor zu bewahren, noch weiter gequält zu werden.
 

Er stand auf, straffte die Schultern und sah dem Chef fest in die Augen. „Ich werde es tun.“

Seufzend durchmaß er sein Zimmer mit langen Schritten, während er immer wieder unruhig einen Blick auf die Uhr an seiner Wand warf. Schon drei Tage waren vergangen, seitdem er den Auftrag angenommen hatte. Doch noch immer hatte er keinerlei Informationen über sein nächstes Ziel. All die relevanten Daten sollten ihm – sobald sie vorlagen – per Fax zugeschickt werden. Aber bis jetzt hatte er immer noch nichts. Diese verdammte Warterei fing an, ihn zu nerven. Er hasste es, wenn er tatenlos rumsitzen musste und nichts tun konnte. Wieder ein Blick auf die Uhr. Die Zeit verging wie in Zeitlupe. Die Zeiger auf der Uhr schienen sich heute besonders langsam zu bewegen und sich einen Spaß daraus zu machen, ihn warten zu lassen. Wieder durchquerte er den Raum von der einen Wand zur Anderen. Wieder ein Blick auf die Uhr. Der Sekundenzeiger bewegte sich langsam über das Zif-fernblatt. Tick Tack. Immer wieder. Er wusste nicht, wie lange er das schon tat, aber es brachte ihn zur Weißglut. Er brannte darauf, endlich diesen Fall in die Hand zu nehmen, freute sich, dass er eine tra-gende Rolle dabei haben würde, diesem Mistkerl das Handwerk zu legen. Aber ihm fehlten die Infor-mationen und dies machte ihn handlungsunfähig. Unruhig fuhr er sich mit einer Hand durch sein Haar. So konnte es nicht weiter gehen. Wenn er hier in diesem engen Zimmer blieb, würde er durchdrehen. Er musste raus und sich ablenken. Und er hatte auch schon eine Idee, wie er das schaffen würde. Er nahm den kleinen Koffer, in dem seine Pistole sicher verwahrt war, setzte sich in seinen Chevrolet und fuhr zu dem Übungsgelände der Regierung. Wenn er schon seinen Auftrag nicht beginnen konnte, so konnte er sich wenigstens darauf vorbereiten und die Gelegenheit nutzen, um mal wieder zu trainieren.
 

Die Wachmänner, die am Eingang postiert waren, nickten ihm grüßend zu und ließen ihn ohne Weite-res passieren. Nachdem er die Schranke hinter sich gelassen hatte, fuhr er eine geteerte Straße ent-lang, die ihn an verschiedenen Gebäuden vorbei führte. Dahinter lag ein großer Parkplatz auf welchem er seinen Wagen abstellte. Abgesehen von ihm war es hier menschenleer. Es gab nicht viele, welche die hintere, kleinere Schießanlage benutzen. Nur er und wenige andere, die er an der Hand abzählen konnte, trainierten hier. Der Rest blieb vorne in der neueren Anlage, doch Minho konnte sich besser konzentrieren, wenn er seine Ruhe hatte und das war hier meistens der Fall. Er nahm den Koffer vom Beifahrersitz, schloss sein Auto ab und betrat den kühlen Schießstand. Auch hier war niemand zu sehen. Der Schwarzhaarige legte den Koffer auf einen der Tische, die an der hinteren Wand in einer Reihe standen, packte die Pistole aus, begutachtete sie kurz mit seinem geschulten Auge und legte sie dann auf dem Stand ab. Er setzte sich eine Schutzbrille und Ohrenschützer auf, stellte sich auf und zielte, während er die Pistole in seiner rechten Hand hielt, auf eine lebensgroße Pappscheibe. Die linke Hand hatte er lässig in der vorderen Hosentasche seiner Jeans verstaut.
 

Er blendete alles um ihn herum aus. Die Geräusche, die gedämpft durch die geschlossene Tür zu ihm hinein drangen. Die etwas stickige Luft, die sich aufgrund des warmen Wetters der letzten Tage im Schießstand angesammelt hatte. Die Fliege, die summend um eine der Lampen schwirrte. Nach und nach gelangte alles in den Hintergrund, bis Minho nur noch seine Waffe sah und sie Zielscheibe in Form eines Menschen, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Wie in Trance zielte er, drückte ab, lud nach, zielte wieder, drückte erneut ab. Weitere Schüsse. Wieder nachladen. Jeder Schuss ein Treffer. Mitten ins Schwarze. Er verlor jegliches Zeitgefühl, während er trainierte. Erst, als er einen feinen Luftzug spürte, legte er die Waffe ab und drehte sich um, um zu sehen wer gerade auf den Stand gekommen war. Ein Grinsen ging über sein Gesicht, als er seinen besten Freund erblickte. „Junhyung-hyung!“
 

„Hey Minho“, grinste der Braunhaarige, während sie sich mit einem Handschlag begrüßten. „Alles klar? Hier siehts aus, als würdest du dich auf den nächsten Krieg vorbereiten.“ Mit einem vielsagenden Blick nickte Yong Junhyung in Richtung der völlig durchlöcherten Zielscheiben seines dongsaengs.
 

Auch der Schwarzhaarigen warf einen Blick in die Richtung und grinste. „Wer weiß. Wieso? Hast du Angst, du kannst dank meiner Vorlage nicht mehr mithalten?“
 

Die Herausforderung, die in diesem Satz mitschwang, ließ den Anderen amüsiert die Augenbrauen heben. „Willst dus drauf anlegen? Wie wärs mit einem Match?“
 

„Genau darauf habe ich gewartet! 40 Schuss? Der Verlierer gibt einen aus!“ Minho brannte regelrecht darauf, denn Wettstreit zu beginnen.
 

„Abgemacht“, erwiderte Junhyung, der ebenso angestachelt war. Er zog seine Jeansjacke aus, unter welcher ein schwarzes Shirt mit V-Ausschnitt zum Vorschein kam. Dann öffnete er seinen eignen Koffer, welchen er zuvor auf einem der hinteren Tische abgelegt hatte und nahm seine Pistole, welche er kurz begutachtete. Dann stellten sich beide nebeneinander auf den Schießstand, jeder mit einer eige-nen Zielscheibe vor sich und begannen, mit beinahe perfekter Effizienz zu schießen. Beide gaben ihre Bestes, denn keiner wollte gegen den Anderen verlieren. Doch am Ende hatten sie beide gleich viele Ringe geschossen, weshalb sie Gleichstand hatten. Junhyung strich sich durch die Haare, nachdem er seine Waffe gesäubert und wieder sicher im Koffer verstaut hatte. Er lehnte sich an den Tisch und musterte einen Moment lang seinen besten Freund, der gerade ebenfalls seine Pistole einpackte.
 

„Jetzt schieß los. Was ist heute mit dir? Du siehst ziemlich gereizt aus und es kommt mir so vor, als würdest du auf heißen Kohlen sitzen“, sprach der Ältere und verschränkte die Arme abwartend vor der Brust.
 

Minho seufzte leise und setzte sich neben seinen hyung auf den Tisch. „Naja.. ich warte auf meinen neuen Auftrag und es macht mich einfach wahnsinnig, dass ich immer noch auf die relevanten Informationen warten muss.“
 

„Du hast schon wieder einen neuen Auftrag?“ Junhyung pfiff anerkennend. „Und um was geht’s bei dem Neuen? Hab noch nie erlebt, dass du so darauf gebrannt hast, endlich los zu legen.“
 

Der Jüngere fuhr sich fahrig mit einer Hand durch die Haare. Bei dem Gedanken an seine neues Ziel verfinsterte sich sein Blick. „Lee Chang Jun“, waren die einzigen Worte, die er von sich gab. Doch mehr bedarf es auch nicht, denn sein bester Freund wusste sofort was Sache war und setzte sich aufrecht hin, während er seinen dongsaeng mit aufgerissenen Augen ansah. “Ist das dein Ernst?! Der Lee Chang Jun?!“
 

Minho hob schnell die Hände. „Ssht! Nicht so laut! Du weißt, dass wir eigentlich niemandem von unseren Aufträgen erzählen dürfen“, zischte er leise und achtete darauf, dass seine Stimme ebenfalls gesenkt blieb. „Ja, der Lee Chang Jun und kein anderer. Genauer gesagt wird sein Sohn mein neues Ziel sein. A-rank Mission. Eigentlich unterliegt der Fall strengster Geheimhaltung.“ Doch er wusste, dass er Junhyung alles erzählen konnte, sie waren sozusagen Sandkastenfreunde und konnten sich immer aufeinander verlassen. Sie waren zusammen aufgewachsen und hatten es Beide in ihren gemeinsamen Beruf weit gebracht. Sie vertrauten sich blind.
 

„Ich soll mich an ihn heften, Gewohnheiten herausfinden und sein Vertrauen gewinnen, sodass wir es dann schaffen, die gesamte Organisation zusammen mit ihrem Boss zu zerstören.“
 

Der Braunhaarige hatte die Arme vor der Brust verschränkt und geschwiegen, bis Minho geendet hatte. Dann seufzte er leise und ergriff nun das Wort. „Ich freu mich für dich, dass der Chef dir so vertraut, dass er dir diesen Auftrag zutraut. Und immerhin bist du ja auch einer der Besten“, fügte er grinsend hinzu. „Aber pass auf, dass du dich nicht zu sehr dort hinein steigerst, okay? Ich weiß wie wichtig es dir ist, diesen Kerl zu fassen. Ich weiß, dass er endlich bestraft werden muss. Aber es bringt niemandem etwas, wenn du dabei den Kopf verlierst und in Schwierigkeiten gerätst.“
 

Der Jüngere hatte gewusst, dass sein Freund ihm diese Predigt halten würde. Er nickte ernst. „Ja ich weiß. Ich werde auf mich aufpassen, okay?“
 

Sein Gegenüber hob etwas skeptisch die Augenbrauen. „Versprochen?“ Er streckte ihm die Hand entgegen. Der Andere verdrehte schmunzelnd die Augen und schlug ein. „Versprochen hyung.“
 

Gemeinsam verließen sie den Schießstand und gingen gemächlich zurück zum Parkplatz, auf dem sie ihre Wagen geparkt hatten. Ehe sie sich verabschiedeten, trat Junhyung noch einmal nahe an den Größeren heran. „Wenn irgendwas ist, ruf mich an. Egal wann. Klar?“
 

Der Schwarzhaarige erwiderte den Blickkontakt und nickte langsam, was dem Anderen wohl als Antwort genügte. „Gut. Du weißt das ich immer auf die aufpassen werde, kleiner Bruder!“ Er verzog den Mund zu seinem typischen, breiten Grinsen, stieg in seinen Wagen und fuhr wenige Momente später die Straße entlang davon. Auch Minho begab sich nun in seinen eigenen, ließ den Motor anspringen und fuhr nach Hause.
 

Dort erwartete ihn eine willkommene Überraschung. Er hatte ein Fax von seiner Arbeit erhalten, welches aus mehreren Blättern bestand. Plötzlich schlug ihm sein Herz schmerzhaft schnell gegen die Brust. Es war soweit. Die nötigen Informationen waren gesammelt und an ihn weiter geleitet worden. Beinahe ehrfürchtig nahm er den kleinen Stapel in die Hand. Das erste Blatt war wie immer formell. Darauf stand, dass er – solange er noch nicht mit dem Auftrag begonnen hatte – immer noch einen Rückzieher machen und einem Anderen das Feld überlassen konnte. Ebenso ein paar rechtliche Aspekte, eben der allgemeine Kram. Er schenkte dem keine weitere Beachtung, schließlich würde er diesen Auftrag auf jeden Fall durchführen. Was ihn mehr interessierte, waren die darauf folgenden Seiten. Zuerst kam ein Steckbrief von Lee Chang Jun, auch wenn nicht sehr viel über ihn bekannt war. 1,79 m groß, dunkelbraune Haare, Alter unbekannt. Wahrscheinlich um die 42 Jahre alt. Hat einen Sohn. Ist Kopf der Mafia seit nunmehr 24 Jahre. Wahrscheinlich an 16 Verbrechen direkt beteiligt, von denen 8 Morde waren. In wie vielen weiteren er der Drahtzieher war, ist unbekannt. Zahl jedoch stei-gend.
 

Minho betrachtete das kleine Bild, das in der rechten oberen Ecke aufgedruckt war. Es war leicht unscharf, dennoch konnte man den Mann erkennen. Er spürte, wie bei diesem Anblick Wut in ihm aufstieg. Und Hass. Blinder Hass. Schnell blätterte er die Seite um und las sich die Nächste durch, auf der ein paar Informationen über die Mafia an sich aufgelistet waren. Er überflog den Text und prägte sich die wichtigsten Sachen ein. Was ihn jedoch am Meisten interessierte, war sein eigentliches Ziel. Der Junge. Wer war sein Ziel? Die nächste Seite würde die Antwort bringen.
 

Als er das Bild sah, war es für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Er starrte mit aufgerissenen Augen den braunhaarigen Jungen an, welcher dort abgebildet war. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich wieder gefangen hatte. Dann ließ er seinen Blick langsam über den Steckbrief wandern. Lee Taemin. 20 Jahre. 1,75 m groß. Student. Sohn von Lee Chang Jun.
 

Es konnte nicht sein. Nicht dieser Junge. Das passte nicht zusammen. Dieser Kerl sollte der Sohn dieses Bastards sein? Der freundliche Junge, den er durch Zufall getroffen und mit dem er sich so gut unterhalten hatte – der Sohn eines Verbrechers? Er schüttelte den Kopf, als könnte er dadurch die Tatsache verleugnen, die er schwarz auf weiß in seinen Händen hielt. Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch um sich zu beruhigen. Noch einmal sah er auf das Profil seines Ziels. Kein Zweifel. Es war Taemin. Der Taemin, den er erst vor einigen Tagen kennen gelernt hatte.
 

Heftig knallte er den Papierstapel auf seinen Schreibtisch, wendete sich ab und fuhr sich ruckartig durch sein schwarzes Haar. Kein Wunder, dass ihn das gerade so aufgebracht werden ließ. Schließlich war es noch nie vorgekommen, dass jemand, den er kannte, in einen seiner Aufträge verwickelt war. Aber ausgerechnet dieser äußerst brisante Auftrag sollte eine Ausnahme sein? Erst jetzt merkte er, dass er in seinem Zimmer auf und ab gelaufen war. Seufzend blieb er stehen und warf einen Blick aus seinem Fenster. Dass er der Braunhaarigen getroffen hatte… war es Zufall? Oder aber gab es eine undichte Stelle bei der Regierung? Einen Maulwurf, der geheime Informationen nach draußen durchsickern ließ? So auch diesen streng vertraulichen Auftrag, mit dem Minho betraut worden war? Vielleicht hatte Lee Chang Jun Wind von der Sache bekommen, den Schwarzhaarigen ausfindig gemacht und seinen Sohn losgeschickt, damit dieser sich geschickt mit ihm in ein Gespräch verwickelt und einen auf freundlich macht, um Minho dazu zu bringen, den Kleinen sympathisch zu finden? War das möglich?
 

„Verdammt nochmal, was ist mit dir los?! Hör endlich mit diesen Hirngespinsten auf!“, schallte er sich selbst. Spekulationen würden ihm auch nicht weiter helfen. Er konnte die Wahrheit nur herausfinden, indem er endlich mit seinem Job loslegen und den Jüngeren beschatten würde.
 

Erneut nahm er die Blätter in die Hand und laß sich den Steckbrief des Mafiasohnes noch einmal durch. Auf der nächsten Seite standen einige Gewohnheiten des Jungen und Orte, an denen er sich des Öfteren aufhielt.
 

Minho warf einen Blick auf die Uhr. Es war früher Abend, gerade mal kurz nach 20 Uhr. Laut den In-formationen hing Taemin abends manchmal in einer Bar namens Rick’s rum. Vielleicht hatte der Schwarzhaarige Glück und konnte bereits heute mit seinem Auftrag beginnen. Er hoffte es, denn die ganze Sache wurmte ihn, er wollte wissen ob er mit seinen Vermutungen recht hatte oder ob etwas anderes dahinter steckte. Ob es wirklich nur reiner Zufall war, dass sie sich getroffen hatten. Er hoffte es.
 

Um ca. 22 Uhr verließ Minho sein Apartment.
 

------
 

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen!
 

Ich würde mich über Kommentare freuen! :)

Das Rick’s war eine gemütliche Bar, die durch sanft gedämpftes Licht und vielen Ecken und Nischen eine intime Atmosphäre schaffte. Sie war im Stil der 80er gehalten, besaß einen schwarz-weiß karierten Boden, rote, mit Leder überzogene Stühle und Bänke, einen hölzernen Tresen und mehrere schwarz-weiße Bilder, die sich von der ebenfalls in Rot gehaltenen Wand abhebten. Die Mitarbeiter waren auch in schwarz-weiß gekleidet, die Männer meist mit schwarzer Hose und weißem Hemd, die Frauen mit schwarzem Rock und weißer Bluse.
 

Als Minho eintrat, sah er sich einen Augenblick um. Für diese Uhrzeit war es nicht gerade voll, es gab noch einige leere Tische, was wohl daran lag, dass die Bar etwas abseits der üblichen Bars und Clubs lag, die alle in der Innenstadt angesiedelt waren. Der Schwarzhaarige war darüber jedoch froh, er hasste es, wenn die Räume zu vollgestopft mit Menschen waren. Außerdem erschwerte das seine Arbeit meist, da es nicht einfach war, bei einem hohen Geräuschpegel irgendwelchen Gesprächen zu lauschen.
 

Er setzte sich an einen Tisch in einer der vielen Ecken, von welchem aus er die Tür gut im Blick hatte. Er sah sich um und war froh, dass er sich für eine einfache schwarze Hose, ein weißes Shirt und einen schwarzen Blazer entschieden hatte. So würde er nicht weiter auffallen und in den Augen der Anderen nur ein weiterer Gast sein. Taemin hatte er noch nicht entdeckt aber er hoffte, dass der Junge heute noch auftauchen würde, Minho musste einfach warten. In der Zwischenzeit bestellte er sich einen Cocktail, an dem er kurz nippte. Dabei beobachtete er weiterhin jeden, der durch die Tür eintrat.
 

Es dauerte etwa eine halbe Stunde, ehe die Eingangstür erneut aufging, dieses Mal aber ein etwas schmächtiger, blasser, blonder Junge gefolgt von Taemin die Bar betrat. Minho setzte sich bei diesem Anblick aufrecht hin, hielt den Kopf jedoch so, dass man sein Gesicht nicht richtig erkennen konnte, für den Fall, dass der Braunhaarige in seine Richtung sah. Tatsächlich führte der Blonde den Anderen an einen der Tische unmittelbar in Minhos Nähe, was den Größeren jedoch freute. Wären sie an einen anderen Tisch gegangen, wäre es ihm schwer gefallen das Gespräch zu belauschen und er hätte sich in ihre Nähe umsetzen müssen, was ein wenig auffällig gewesen wäre. Sie setzten sich so, dass Taemin mit dem Rücken zu dem Scharfschützen saß, der Unbekannte ihm gegenüber. Die beiden hatten leicht feuchte Haare, anscheinend schien es draußen zu nieseln. Minho beugte sich ein wenig über seinen Tisch, um der Unterhaltung der Jungen besser lauschen zu können. Gerade schienen sie über einen Film zu reden, den sie wohl vor kurzem zusammen im Kino gesehen hatten. Ihm fiel auf, dass Taemin das meiste Reden übernahm, während der Blonde ihm lächelnd zuhörte. Fast wie eine Mutter ihrem Sohn.
 

„…und dann kam plötzlich die Polizei, gerade noch rechtzeitig, um den Bösen davor abzuhalten, ihn zu erschießen. Es war so aufregend! Ich glaube, das war der beste Film, den ich seit Langem gesehen habe!“ Der Sohn des Mafiabosses war völlig aus dem Häuschen und schwärmte weiterhin über den Film. Nachdem sie jeweils ein Getränk bestellt hatten, ergriff nun der Andere das Wort.
 

„Und jetzt erzähl mir nochmal von dem Typen, den du neulich getroffen hast“, forderte er auf.
 

Minho sah, wie Taemin seine Schultern straffte. Er selbst war nun aber ebenfalls neugierig geworden. Einen Typen? Etwa einen Klienten ihrer Organisation? Wusste der Blonde Bescheid? War er ein Mitglied der Bande oder vielleicht doch nur ein einfacher Freund seines Ziels?
 

„Ich habe es dir doch schon gesagt. Er war echt nett, wir haben uns super verstanden und es hat Spaß gemacht, die Zeit mit ihm zu verbringen. Auch wenn ich danach zu spät zu meinem Treffen kam. Dad war nicht gerade begeistert, davon zu hören. Ihm habe ich aber nur gesagt, dass eine Straßenbahn ausgefallen ist und ich daher laufen musste. Er hat es mir zum Glück abgekauft“, seufzte der Braunhaarige und stützte sein Kinn auf eine seiner Hände.
 

Minho war erstaunt, dass sie über ihn sprachen. Es schien also doch bloßer Zufall gewesen sein, dass sie sich getroffen hatten und nicht irgendein arrangiertes Treffen, da die Mafia wusste wer er war.
 

„Und hast du – wie war doch gleich nochmal sein Name? Hast du ihn seitdem wieder getroffen?“ Die Neugierde in den Augen des Unbekannten war nicht zu übersehen.
 

Wieder seufzte Taemin. „Nein. Leider nicht. Wäre ja auch zu viel des Zufalls, ihn hier noch einmal zu treffen. Lass uns das Thema wechseln Key. Erzähl mir lieber von deinem neuen Freund.“ Man konnte hören, dass er grinste.
 

Key – das war also der Name des Unbekannten – errötete leicht, was aufgrund seiner hellen Hautfarbe deutlich sichtbar war. „Naja… also ich habe ihn ja vor zwei Monaten hier im Rick’s kennen gelernt. Irgendwie ist er mir sofort ins Auge gesprungen. Ich weiß nicht wegen was. Vielleicht wegen seiner echt coolen Frisur. Oder aber eventuell auch wegen seinem für mich anziehenden Welpenblick. Jedenfalls hat er sich – als er mich bemerkt hatte – sofort zu mir gesetzt. Ich war natürlich schon etwas irritiert, dass er so zielstrebig auf mich zugegangen ist. Aber nachdem wir uns lange unterhalten hatten, habe ich gemerkt, dass er ganz anders ist, als ich ihn auf den ersten Blick eingeschätzt habe. Danach haben wir uns öfter getroffen und ja.. seit Freitag sind wir eben zusammen.“ Key senkte den Blick auf die Tischplatte, konnte sich ein sanftes Lächeln jedoch nicht verkneifen.
 

Das restliche Gespräch der Beiden drehte sich nur noch um diesen einen Kerl – Kim Jonghyun. Minho hatte gehofft, etwas über die Mafia oder auch nur irgendeinen kleinen Hinweis zu erfahren. Doch heute hatte er wohl kein Glück. Er leerte sein Getränk gerade, als Key sich von seinem Platz erhob, von Taemin verabschiedete und schon einmal ging. Der Braunhaarige nahm sich Zeit, seinen Cocktail langsam zu Ende zu trinken, ehe er ebenfalls bezahlte und aufstand, um nun auch zu gehen. Schnell legte Minho das Geld für seinen Cocktail auf den Tisch und folgte ihm mit einigem Abstand aus der Bar hinaus, wartete jedoch, bis der Jüngere um die Ecke gebogen war, ehe er sich wieder in Bewegung setzte. Jemanden zu verfolgen war nicht so einfach, wie es in den Filmen immer aussah. Meist merkten die Menschen, dass sie beobachtet wurden, fühlten sich unwohl, warfen öfter einen Blick über die Schulter oder beschleunigten ihre Schritte, ehe sie an irgend einen, für sie sicheren Ort, flüchteten. Minho war schon ein ziemlicher Profi was Beschattungen anbelangte und hatte sich daher seine eigene Taktik zurecht gelegt. Er klebte nicht immer an seinen Zielobjekten, sondern ließ ihnen auch Vorsprung, um sie in Sicherheit zu wiegen. Wie ein Adler schwebte er jedoch weiterhin über ihnen, immer bereit, immer die Beute im Auge.
 

Nun bog auch er um die Ecke in die schmale Gasse, durch die Taemin vor ihm gegangen war. Der Jüngere war nicht zu sehen, jedoch war das nicht weiter tragisch. Der Schwarzhaarige war gut darin, Leute aufzuspüren und als er das Ende der Gasse erreicht hatte, sah er, wie der braune Wuschelkopf gerade in die nächste Seitengasse lief. Wieder blieb er stehen um dem Jungen einen Vorsprung einzuräumen. Mit einer Hand fuhr er sich über sein Gesicht. Das hier war komisch. Anders, als alle vorherigen Aufträge. Es fühlte sich so falsch an, Taemin zu verfolgen. Taemin – den aufgeweckten Jungen mit dem hellen Lachen und den schönen braunen Augen. Derjenige, mit dem er von Anfang an auf gleicher Wellenlänge gewesen war und mit dem er – wenn auch nur kurz – viel Spaß gehabt hatte. Taemin. Lee Taemin. Der Sohn des Mafia-Bosses Lee Chang Jun. Derjenige, der bald der nächste Kopf der Mafia sein würde. Der kleine, zierliche Taemin als Kopf einer skrupellosen, organisierten Verbrecherbande. Er schüttelte den Kopf, um diese verdammten Gedanken aus seinem Kopf zu bekommen. Was zur Hölle war los mit ihm? Es hatte ihn zuvor noch nie gestört, wer sein Opfer war und was er tat. Also warum ausgerechnet bei diesem hier – einem der gefährlichsten Menschen? Ausgerechnet bei seinem bisher wichtigsten Auftrag? „Reiß dich zusammen!“, schallte er sich leise selbst und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Jetzt war nicht der richtige Augenblick, um irgendwelchen Gedanken nachzuhängen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er ziemlich viel Zeit vertrödelt hatte. Zu viel. Er musste sich beeilen, um den Jüngeren wieder einzuholen. Fast völlig lautlos sprintete er los in die Richtung, in welche er den Anderen zuletzt hatte gehen sehen. Durch den vorher gefallenen Regen war es zum Glück nicht gerade schwer, seinen Spuren zu folgen. Er musste ihn bald eingeholt haben, als er an einer Kreuzung plötzlich stutzte. Es war nicht nur Taemin, der den Weg in Richtung des alten Fabrikgebäudes eingeschlagen hatte. Es waren noch mehr Leute. Auch ihre Spuren waren frisch. Waren sie vor ihm dorthin gegangen oder nach ihm? Ungewollt beschleunigte sich sein Herzschlag. Er musste sich beeilen und den Anderen schnellstens einholen, denn er hatte ein ungutes Gefühl. Und dieses Gefühl hatte ihn bisher noch nie getäuscht. Ohne weiter darüber nachzudenken rannte er in die besagte Richtung. Schon von weitem hörte er die Stimmen, weshalb er seine Schritte verlangsamte. Gerade ertönte ein kehliges Lachen, gefolgt von gezischten Worten, doch aufgrund seiner Entfernung konnte er nichts Genaues verstehen. Langsam pirschte er sich an und warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke, während er sich mit dem Rücken flach gegen die Hauswand presste. Was er sah, ließ etwas in seiner Brust schmerzhaft zusammen ziehen. Taemin stand mit dem Rücken zur Wand eines ziemlich eingefallenen Backsteinhauses. Vor ihm standen vier Kerle, die etwas älter als er selbst zu sein schienen, in einem Halbkreis. Gerade trat einer von ihnen – wasserstoffblondes, gebleichtes Haar, höchstwahrscheinlich der Anführer – dicht vor den Jungen, welcher sich dadurch noch fester gegen die Wand presste. Jedoch sah sein Gesicht nicht ängstlich aus, sein Blick war eher herausfordernd. Wieder erklang dieses haarsträubende Lachen aus dem Mund des Blonden.
 

„Denkst du also, ja? Dass du nichts mit der ganzen Sache zu tun hast?“ Schlagartig wich das Grinsen einer eiskalten Maske. „Du widerliches Aas! Natürlich bist du schuld daran! Dein verdammter Vater hat das gesamte Viertel aufgekauft und alle aus ihren Wohnungen geschmissen! Alle Geschäfte wurden geschlossen, Familien mussten auf der Straße leben aber Leuten wie euch ist das ja scheiß egal!“
 

„Und was soll ich bitte dazu können? Ich kann meinen Vater nicht beeinflussen! Außerdem hattet ihr lange vorher Zeit, eure Wohnungen zu verlassen. Hättet ihr es rechtzeitig getan, dann wäre euch das ganze Zeug mit dem ‚auf der Straße leben‘ erspart geblieben! Jetzt geh mir aus dem Weg“, zischte der Braunhaarige und Minho musste zugeben, dass er von seinem Mut beeindruckt war.
 

„Wie bitte? Du wagst es, so mit mir zu reden? Du verdammter Hurensohn! Dir werd ich Manieren beibringen!“ Der Anführer holte zum Schlag aus und auch die anderen drei, die bisher nur schweigend zugesehen hatten, näherten sich bedrohlich. Taemin schaffte es dem ersten Schlag auszuweichen, doch wie schon bei ihrem ersten Treffen schien er nicht ganz bei sich zu sein und taumelte zur Seite, was die Bande mit lautem Lachen zur Kenntnis nahm. Doch Minho hatte genug gesehen. Er sprintete um die Ecke und rannte direkt auf die Leute zu. Seine geballte Faust traf den Ersten direkt an die Schläfe und ließ ihn bewusstlos in die Knie gehen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Blonde auf Taemin eindrosch, was ihn zum Kochen brachte. Er schrie auf und stürzte sich auf die anderen Beiden, die sich ihm nun zugewandt hatten, doch auch sie konnte er mühelos mit gezielten Schlägen zu Boden bringen. Nicht umsonst war er der Beste im Selbstverteidigungskurs gewesen.
 

„Finger weg!“, fauchte er wütend und packte den Anführer, der als Einziger noch stand, an der Schulter und wirbelte ihn zu sich herum. Doch ehe er auch ihm einen Faustschlag verpassen konnte, spürte er einen heftigen Schmerz in seinem Magen. Der Fremde kannte wohl auch einige Tricks, denn er hatte Minho sein Knie mit voller Wucht in den Bauch gerammt. Ein Keuchen kam aus seinem Mund, doch er zwang sich, sich wieder aufzurichten, gerade noch rechtzeitig, um dem nächsten Angriff auszuweichen.
 

„Na sieh mal eine an. Du Ratte willst dich wohl mit mir anlegen, was? Aber glaub ja nicht, dass du mich unter kriegst, nur weil du die Luschen hinter dir zu Fall gebracht hast.“ Pure Arroganz sprach aus seiner Stimme, doch der Schwarzhaarige zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Und du glaub nicht, dass du mich zu fassen bekommst, nur weil du mich einmal getroffen hast“, erwiderte er lässig und beobachtete dabei seinen Gegenüber. Der Größere war nicht gerade angetan, da er wohl gehofft hatte, ihn mit seiner Drohung in die Flucht zu schlagen. Doch Minho würde nichts der Gleichen tun. Erstens hatte er sich noch nie vor einem Kampf gedrückt und zweitens reichte schon ein kurzer Seitenblick auf Taemin aus, um ihn noch wütender zu machen, auch wenn er diese Wut gut zu verbergen wusste. Mit einem Satz sprang der Blonde auf ihn zu, doch der Scharfschütze wich dem Schlag mit Leichtigkeit aus und traf dem Anderen stattdessen mit seiner Faust in den Magen. Er krümmte sich, doch holte er mit seinem Bein aus, um den trainierten Kleineren in die Knie zu zwingen. Auch diesem Angriff wich Minho aus und trat ihm dafür mit dem Fuß in die Seite, gerade als der Kerl sich wieder aufgerichtet hatte. Der bekam jedoch das Bein zu fassen, hielt es fest und Schlug Minho gegen die Schläfe, sodass sein Kopf dröhnte. Er wankte einige Schritte rückwärts, hatte sich jedoch schnell wieder unter Kontrolle. Der Anführer schien wohl zu glauben, dass er ihn richtig erwischt hatte, denn er vernachlässigte seine Deckung. Ohne auch nur noch einen Augenblick zu zögern sprintete Minho auf ihn zu und verpasste ihn einen so kräftigen Faustschlag ins Gesicht, dass sein Kiefer knackste. Sofort lief Blut aus der Nase des Kerls, doch als geübter Kämpfer setzte Minho noch einen drauf, indem er ihm mit der Kante seiner Hand in den Nacken schlug und der Blonde dadurch endlich bewusstlos zu Boden sank. Ohne weiter auf ihn zu achten, lief er zu Taemin, der auf dem Boden saß und sich gerade etwas Blut aus seinem Mundwinkel wischte. Als der Schwarzhaarige sich über ihn beugte, sahen die braunen Augen wässrig zu ihm auf. Vergessen war die Tatsache, dass er ihn eigentlich nur verfolgen sollte und sich in die Angelegenheit nicht hätte einmischen dürfen. Er kniete sich vor ihm auf den Boden und zog ein frisches Taschentuch aus seiner Hosentasche, mit welchem er vorsichtig über die aufgeplatzte Lippe tupfte. Dabei musterte er ihn einen Augenblick lang, um erleichtert festzustellen, dass der Jüngere ansonsten wohl keine anderen Verletzungen davon getragen hatte.
 

„D-danke. Aber was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?“ Die Stimme klang rau und Minho musste sich zusammen reißen, um den Anderen nicht einfach in den Arm zu nehmen, denn das würde er in diesem Moment am Liebste tun. Er sah so unschuldig und zerbrechlich aus.
 

„Ich war in der Gegend und hatte dich zufällig gesehen“, erwiderte er ohne mit der Wimper zu zucken. „Dann sah ich die Typen, die dich verfolgt hatten und bin ebenfalls in die Richtung gegangen. Und als ich dich an der Wand hab stehen sehen war die Situation klar.“ Er ließ das Taschentuch langsam sinken. „Bist du sonst noch irgendwo verletzt?“
 

Der Braunhaarige schüttelte den Kopf, runzelte dann jedoch die Stirn während er Minhos Stirn anstarrte. „Was ist denn?“, fragte der etwas verwirrt, doch ohne eine Antwort zu geben nahm der Jüngere ihm das Taschentuch aus der Hand und drückte es vorsichtig an seinen seitlichen Haaransatz. Der Regierungsbeamte zuckte kurz zusammen, als ihn dabei ein unerwarteter Schmerz durchfuhr. „Du hast eine kleine Platzwunde“, klärte Taemin ihn auf und tupfte dabei das Blut weg, das sich langsam einen Weg an seiner Wange entlang nach unten bahnte. Erst jetzt erinnerte er sich an den ziemlich harten Schlag des Blonden gegen seine Schläfe. Noch immer spürte er ein dumpfes Pochen im Kopf, das er bis gerade eben aber verdrängt hatte. Nur der Schmerz in seinem Bauch war allgegenwärtig.
 

Während der Junge sich weiter um seine Wunde kümmerte, ließ Minho den Blick umher wandern. Die Gegend hier wurde von den meisten Menschen gemieden. Gangs und anderes Gesindel trieben hier ihr Unwesen. Niemand wollte freiwillig in einer Streiterei landen. Er selbst versuchte auch, diesen Teil so weit wie möglich zu umgehen. Das sich Taemin allein hier hin gewagt hatte, war ihm ein Rätsel. Sein Blick kehrte wieder zu dem schmalen Menschen zurück, der immer noch damit beschäftigt war, die Platzwunde zu säubern. Sein Arm lehnte leicht an der Schulter des Schwarzhaarigen und er sah, dass der Ärmel ein Stück zurück gerutscht war. Was darunter zum Vorschein kam, waren mehrere blaue Flecken, manche größer und manche kleiner. Er musste den erschrockenen Blick des Älteren wohl bemerkt haben, dann plötzlich ließ er die Hand sinken und zog hastig seinen Ärmel wieder nach vorne. „Sind die auch von diesen Kerlen?“, fragte Minho ernst und hielt den Anderen am Arm fest, als dieser gerade aufstehen wollte.
 

„Nein- ja. Teilweise“, gab er kleinlaut von sich und wich dem forschenden Blick des Scharfschützen aus. „Was heißt hier teilweise? Einig davon sind schon richtig grün und lila. So schnell geht das nicht. Also schieß los: Wer war das?“ Nur mit Mühe konnte er die neu in ihm aufsteigende Wut unterdrücken. „Das geht dich überhaupt nichts an! Wieso sollte ich dir das erzählen? Wir kennen uns eigentlich überhaupt nicht!“ Er versuchte seinen Arm loszureißen, was ihm aber aufgrund Minhos starken Griffs misslang. Dieser erhob sich nun ebenfalls und blickt auf den Anderen hinab. „Ich mache mir aber Sorgen!“ Die ehrlichen Worte ließen den Braunhaarigen stocken und er sah ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Erstaunen an. Minho selbst war überrascht, dass diese Worte gerade tatsächlich seinen Mund verlassen hatten. Doch er konnte sie jetzt nicht mehr zurück nehmen und hatte dies ehrlich gesagt auch gar nicht vor.
 

„Du machst dir Sorgen.. um ich?“, fragte der Jüngere zaghaft.
 

„Ja“, war die einfache Antwort des Anderen. „Also sagst du mir jetzt, woher diese ganzen blauen Flecken kommen? Wer hat dir das angetan?“ Er versuchte in Taemins Augen zu lesen, doch der wich seinem Blick aus.
 

„Das.. werde ich dir ein andermal vielleicht erzählen. Aber ich muss jetzt gehen. Ich muss mich beeilen.“ Er ging einen Schritt zurück und sah den Schwarzhaarigen noch einmal kurz an. Ein Lächeln hatte sich auf seine Lippen geschlichen. „Danke, dass du mir geholfen hast. Und ich bin froh, dich wieder gesehen zu haben.“
 

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Bedank dich nicht dafür. Das war selbstverständlich.“ Er überlegte einen Augenblick. „Hey, sag mal.. kann ich deine Handynummer haben? Falls du mal wieder in Schwierigkeiten steckst, kannst du mich jederzeit anrufen. Ich werde sofort zu dir kommen“, bot er an und musterte den Jungen abwartend.
 

Dessen Lächeln schien sich bei diesen Worten zu vertiefen und er nickte sofort. Sie tauschten ihre Nummern aus und Minho freute sich darüber – natürlich nur, da er so in seinem Auftrag einen Schritt weiter gekommen war.
 

Sie verabschiedeten sich voneinander und der Schwarzhaarige verzichtete darauf, dem Jungen weiterhin zu folgen. Das reichte für einen Abend außerdem hatte er jetzt ja die Möglichkeit, sich immer mit ihm zu treffen, wann es ihm passte. Er konnte ihn erreichen und das war mehr, als er sich für den Anfang des Auftrags hatte vorstellen können. Es ersparte ihm einiges an Arbeit und Überzeugungskraft. Was Taemin hier in dieser Gegend zu suchen hatte wusste er immer noch nicht, aber immerhin hatte er sich durch seine kleine Rettungsaktion ein wenig Vertrauen erschlichen.
 

Als Minho wieder zu Hause war und vor seinem Laptop saß, um mit dem Bericht für den Auftrag zu beginnen und die Ereignisse des heutigen Tages fest zu halten, entschloss er sich dazu, die Tatsache auszulassen, dass er Taemin zuvor schon einmal getroffen hatte. Sonst würde sein Chef denken, dass er voreingenommen wäre, was aber nicht der Fall war. Zwar durfte er eigentlich nicht die kleinste Kleinigkeit für sich behalten, doch er war der Ansicht, dass dieser kleine Schwindel keine Auswirkungen auf seinen Auftrag haben würde.
 

Nachdem er nun also in knappen Worten den Abend beschrieben hatte, warf er sich rücklings auf sein Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte die Decke an. Immer noch fragte er sich, weshalb der Braunhaarige diese Route gewählt und nicht einfach einen normalen Weg nach Hause gegangen war – wo auch immer sein Zuhause sein mochte. Doch er wusste, dass es nichts brachte sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen. Er musste es eben selbst rausfinden und das konnte er am besten, indem er sich so bald wie möglich mit Taemin anfreundete. Kurzerhand nahm er sein Handy und schrieb ihm eine SMS.
 

Hey,

wie wärs wenn wir morgen zusammen Mittagessen gehen?

Ich glaube das bist du deinem Retter schuldig ;)
 

Minho
 

Er hatte nicht damit gerechnet, sofort eine Antwort zu bekommen, doch diese traf schon wenige Minuten später ein.
 

Hey,

hm.. ich glaube du hast Recht.

Um 12 Uhr dort wo wir uns das erste Mal getroffen haben? :)
 

Taemin
 

Das war einfacher, als Minho gedacht hatte. Jetzt konnte er loslegen.

Gemeinsam gingen Minho und Taemin durch den Park, während sie sich angeregt über eine Band unterhielten, die sie beide gut fanden. Zuvor hatten sie an einem Straßenimbiss etwas gegessen, bis sie ziellos durch die Gegend spaziert und nun in einem der Stadtparks gelandet waren. Beide genossen es, mit dem Anderen Zeit zu verbringen, seit Minhos erster SMS hatten sie sich oft getroffen und immer besser kennen gelernt. Beide wussten, dass sie auf einer Wellenlänge waren und hatten zusammen immer viel Spaß. Jedoch wusste Taemin nicht, dass der Schwarzhaarige ein anderes Motiv hatte, als er dachte. Für den Älteren war das Ganze hier nichts weiter als ein Auftrag und um diesen erfüllen zu können, musste er sich eben das Vertrauen des Braunhaarigen erschleichen. Dass er aber wirklich Spaß an ihren Treffen hatte und seine gute Laune nicht nur gestellt war, diese Tatsache versuchte er zu verdrängen. Er durfte keine Sympathie empfinden – und dennoch tat er es. Auch wenn er sich weiterhin einredete, dass es nicht der Fall wäre und er einfach nur seinen Job erledigte. Sonst müsste er diesen Auftrag abgeben und das war das Letzte, was er wollte. Es war seine Chance, Rache für das Vergangene zu nehmen und endlich sein Gewissen zu beruhigen. Außerdem wollte er seinem Chef beweisen, dass dessen Vertrauen in ihn nicht umsonst war und er selbst für solch riskante Missionen geeignet war. Daher ignorierte er seinen inneren Zwiespalt so gut er konnte und versuchte, sich einfach nur auf das zu konzentrieren, was er tun musste.
 

Da es ein schöner, sonniger Tag war, ließen die Beiden sich in das Gras einer der großen Wiesen nieder. Minho legte sich auf den Rücken und sah in den Himmel, während Taemin sich neben ihn im Schneidersitz hinsetzte.
 

„Weißt du… irgendwie kommt es mir so vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Und nicht erst ein paar Wochen.“
 

Taemins sanfte Stimme ließ Minho den Kopf heben, um den Jüngeren ansehen zu können. Der Schwarzhaarige lachte leise. „Genau der allerselbe Gedanke ist mir auch gerade durch den Kopf geschossen. Wirklich unglaublich“, grinste er und schloss die Augen, während er die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut genoss.
 

Der Braunhaarige legte sich nun neben Minho und blickte in den Himmel. Der Ältere folgt seinem Beispiel einen Augenblick später und stumm betrachteten sie die wenigen weißen Wolken, die über ihren Köpfen durch den Himmel schwebten. Leicht und schwerelos schienen sie dahin zu gleiten, nur getrieben von einem leichten Lufthauch, der ab und an die Blätter der Bäume um sie herum zum Rascheln brachten. In unregelmäßigen Abständen zogen Vögel über ihnen ihre Bahnen, drehten Kreise und ließen sich durch die Luft treiben. Nach einer Weile brach Taemin das Schweigen. „Wie wird es wohl sein, was denkst du?“, fragte er in die angenehme Stille zwischen ihnen hinein.
 

„Was meinst du?“, erwiderte Minho fragend, während er weiterhin in den Himmel blickte.
 

„Ein Vogel zu sein. Wie wird es wohl sein?“ Diese Frage überraschte den Schwarzhaarigen, so dass er den Kopf wendete und den Anderen ansah, während dieser weiter sprach. „Ich habe mich das schon immer gefragt. Wie es wohl wäre, als Vogel geboren zu sein. Ich meine.. stell dir das mal vor. Keine Verantwortung, niemand, der dich festhält. Du bist frei und kannst dorthin fliegen, wo du willst. Soweit dich deine Flügel tragen.“ Der Blick des Jüngeren war sehnsüchtig. Doch Minho entging nicht, dass auch Traurigkeit darin lag, die ihm irgendwie das Herz schwer machte.
 

„Wer weiß“, antwortete er etwas verspätet, seine Augen immer noch auf Taemin geheftet. Er konnte nicht wegsehen. Die Trauer schien von Sekunde zu Sekunde mehr zuzunehmen.
 

„Ich habe mich das schon immer gefragt. Schon als Kind. Wie es wohl wäre, wenn ich Flügel hätte. Was für ein unbeschreibliches Gefühl es wohl sein mag, die Welt von oben zu sehen. Und niemand kann dich erreichen, wenn du es selbst nicht willst. Nur du allein kannst bestimmen, was du tun und wohin du fliegen willst.“ Ein kleines Lächeln hatte sich auf seinen Lippen gebildet, während er darüber sprach. Doch auch dieses Lächeln schien irgendwie traurig zu sein und plötzlich wünschte sich Minho, dass dieses Lächeln verschwinden sollte. Es passte rein gar nicht zu dem fröhlichen, aufgeweckten Jungen, den er kannte. Ohne es wirklich zu realisieren, hatte er sich auf seinen Unterarm gestützt und über Taemin gebeugt. Dieser sah ihn zuerst überrascht an, dann neugierig und.. auf etwas wartend? Minhos Blick wanderte von den großen, braunen Augen über die feine Nase hinab zu den vollen Lippen, die einen kleinen Spalt geöffnet waren. Unwillkürlich näherte er sich mit seinem Gesicht dem des Anderen, völlig fasziniert von den schön geschwungenen Lippen und er fragte sich einen aberwitzigen Moment lang, ob sie wohl so weich waren, wie sie aussahen.
 

Plötzlich kam ein harter Windstoß auf und zerzauste ihm die Haare. In diesem Moment realisierte er, was er hier gerade tat. Ruckartig setzte er sich auf, räusperte sich und strich sich einige Strähnen, die der Wind ihm ins Gesicht geblasen hatte, aus der Stirn. „Ich-ich dachte du hättest eine Wimper im Gesicht. War wohl nur meine Einbildung“, murmelte er und stand schnell auf.
 

Auch Taemin erhob sich nun und rieb sich verlegen den Nacken. „Ah. Klar. Danke“, antwortete der mit einer etwas rauen Stimme. „Ich denke ich sollte dann gehen“, sagte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Die Zeit vergeht viel zu schnell.“
 

„Du sagst es. Aber beeil dich lieber. Nicht, dass du noch Ärger bekommst.“ Minho machte sich mit dem Jüngeren auf den Weg zurück zum Ausgang des Parks. Der Andere hatte ihm einmal erzählt, dass sein Vater es nicht gerne hatte, wenn er seine Freizeit verschwendete, indem er etwas mit Freunden unternahm, wenn er doch etwas viel Effektiveres tun könnte, wie zum Beispiel lernen. Der Braunhaarige studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der University of Seoul – auch wenn Minho sich fragte, was Lee Chang Jun wohl geritten haben musste, seinen Sohn dazu zu bringen, so etwas zu studieren, wenn sie sich sowieso nicht daran hielten.
 

„Er denkt, dass ich heute noch eine Extra-Vorlesung hatte, daher ist es nicht allzu schlimm. Immerhin ist es ja für meine Zukunft.“ Die verächtlich ausgesprochenen Worte brachten den Schwarzhaarigen dazu, dem Jüngeren einen Seitenblick zuzuwerfen, doch er sagte nichts dazu. „Aber er wird mich in ein paar Minuten abholen, daher solltest du jetzt lieber verschwinden“, sagte Taemin und seufzte leise.
 

„Klar, kein Problem. Ich will doch nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst.“ Minho zwinkerte ihm zu und umarmte den Jungen kurz. „Wir sehen uns“, verabschiedete er sich und machte sich auf den Weg. Doch schon nach einigen Metern blieb er stehen, als er hörte, wie sein Name gerufen wurde.
 

„Hey, Minho! Mein Vater schmeißt demnächst eine Party bei uns zu Hause. Und äh.. er meinte ich könnte ein paar Freunde mitnehmen. Hast du Lust auch zu kommen?“, rief Taemin ihm hinterher. Der Ältere drehte sich um und grinste. „Und wie ich Lust habe!“
 

„Super!“ Der Braunhaarige schien erleichtert zu sein. „Ich schreib dir dann nochmal wenn ich das genaue Datum und die Uhrzeit weiß. Bis dann!“
 

Minho hob zum Abschied die Hand und machte sich wieder auf den Weg. Eine Party. Das war die perfekte Gelegenheit, auch endlich mal näher an Taemins Vater ran zu kommen. Er musste diese Chance auf jeden Fall nutzen. Es war vielleicht seine Einzige.
 

Als er um die nächste Ecke bog und außer Sichtweite des Anderen war, blieb er stehen. Wenn der Junge wirklich von seinem Vater abgeholt wurde, dann sollte er sich das nicht entgehen lassen. Vielleicht konnte er ihnen sogar unauffällig bis zu ihrem Haus folgen. Er spähte um die Ecke und sah gerade noch, wie sein Freund in die entgegengesetzte Richtung davon ging. Er beeilte sich, um ihn verfolgen zu können und folgte ihm bis zu dem riesigen Campus der University. Wie schon die Male zu vor hielt er sich verdeckt und bewegte sich unauffällig, sodass er nicht bemerkt wurde. Es wunderte ihn nicht, dass Taemin den Campus überquerte und dann in eine der Seitenstraßen einbog, die an den Wohnheimen grenzte. Lee Chang Jun wollte bestimmt nicht, dass man ihn öfter als nötig in der Öffentlichkeit sah. Sie warteten keine zwei Minuten, da bog eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben in die Straße ein und hielt vor dem Jüngeren. Minho hatte sich in einen der schmalen Durchgänge zwischen zwei Häusern gequetscht und beobachtete das Geschehen aus einiger Entfernung, jedoch nahe genug, um zu hören was sie sprachen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Kopf der Mafia sich zeigen würde, daher überraschte es ihn, als der Vater von Taemin persönlich aus dem Wagen ausstieg und auf seinen Sprössling zuging. Doch was danach geschah, überraschte ihn noch mehr und ließ ihm das Blut in den Kopf steigen. Lee Chang Jun hatte ausgeholt und dem Jungen mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Das Klatschen war selbst bis zu Minho zu hören gewesen.
 

„Du verdammter Nichtsnutz. Extra-Verlesungen? Das ich nicht lache! Ich habe bei deiner Uni angerufen und sie haben mir gesagt, dass heute ein vorlesungsfreier Tag ist. Du hast es gewagt, mich anzulügen? Lass mich raten. Du hast dich wieder mit einem deiner ach-so-tollen Freunde getroffen. Wie oft muss ich es dir noch sagen? Du brauchst keine Freunde! Sie sind nur ein Klotz am Bein. Früher oder später wirst du sie sowieso verlieren.“ Erneut schlug er ihn, dieses Mal in die Seite, sodass Taemin sich krümmte. „Du bist verzogen. Du widersetzt dich mir. Wieder. Daran sind bestimmt auch nur diese elenden Kerle schuld. Muss ich dir erst wieder zeigen, wo den Platz ist?!“ Heftig schubste er den Braunhaarigen in den Wagen, sodass der sich den Kopf noch am Türrahmen anschlug und leise wimmerte. Dann wurde die Tür mit voller Wucht zugeschlagen und die Limo brauste davon.
 

Minho stand wie versteinert gegen die Wand gelehnt, unfähig, sich zu bewegen. Hatte er gerade tatsächlich richtig gesehen? Er hatte immer geglaubt, dass Lee Chang Jun und sein Sohn beide schlimme Menschen wären, doch das eben Erlebte ließ sich nicht mit seinen Gedanken vereinbaren. Schon zuvor war ihm aufgefallen, dass Taemin anders war als dachte. Er hatte einen arroganten, kalten Jungen erwartet, der auf Andere herab sah und sich nicht darum scherte, wie es den Menschen in seiner Umgebung ging. Doch schon während ihrer ersten Begegnung – als Minho noch nicht wusste, wen er da vor sich hatte – war ihm klar, dass dieser Kerl anders war. Völlig anders. Daher war er auch so geschockt gewesen, als er erfahren hatte, dass Taemin der Sohn dieses verdammten Mistkerls war. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf. Er hatte gehofft, dass alles nur seiner Einbildung entsprach oder Schauspielerei auf Seiten des Braunhaarigen. Aber mit jedem weiteren Treffen wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass dies nicht der Fall war. Der Junge war wirklich anders. Er war liebenswürdig, aufgeweckt und konnte sich selbst für Kleinigkeiten begeistern, was den Schwarzhaarigen ungemein faszinierte. Und auch wenn er es bis heute nicht wahrhaben wollte, so musste er sich nun doch eingestehen, dass er sich um den Anderen sorgte. Die Situation gerade eben hatte ihm den Rest gegeben. Er konnte die Wahrheit nicht mehr verdrängen. Noch immer spürte er die Wut in seinem ganzen Körper und er hatte ungemein Lust, auf etwas – oder jemand – einzuschlagen. Aber richtig. Jedoch schaffte er es, sich soweit zu beherrschen, dass nur die Wand, an welcher er bis eben noch gelehnt hatte, einen kräftigen Schlag abbekam. Dass seine Hand danach schmerzte war ihm völlig egal. Es war nichts im Vergleich zu den Schlägen, die Taemin wohl in diesem Moment einstecken musste. Nun ergab es auch Sinn, woher die vielen blauen Flecken kamen, die Minho damals, als er den Jungen beschützt hatte, entdeckt hatte. Sie stammten allesamt von dessen eigenen Vater.
 

Minho trat aus dem Halbschatten des Durchgangs und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Apartment. Dabei nahm er sein Smartphone aus der Hosentasche und wählte die Nummer seines besten Freundes. In knappen Worten verabredeten sie sich bei Minho zu Hause und Junhyung versprach, dass er sobald wie möglich aufkreuzen würde. Schon anhand seiner Stimme konnte der Ältere erkennen, dass sein dongsaeng ein Problem hatte. Ein gewaltiges.
 

Der Schwarzhaarige war den ganzen Weg über in Gedanken. Was er gesehen hatte ließ sich einfach nicht mit dem vereinbaren, was man ihm beigebracht hatte. Taemin war einfach kein skrupelloser Mensch, dafür konnte er seine Hand ins Feuer legen. Er wollte diesen Auftrag nicht weiter durchführen. Nicht, wenn es hieß, dass er dabei auch dem Jüngeren schaden musste. Doch sein Hass auf dessen Vater blieb. Und egal wie er es drehte und wendete, er durfte niemandem – mit Ausnahme von Junhyung – davon erzählen. Selbst wenn er seinem Chef erklären würde was er wusste, der würde ihm niemals glauben. Und selbst wenn – es würde nichts ändern. Der Auftrag würde der Selbe bleiben. Dieser verdammte Zwist in seinem Kopf schien von Minute zu Minute größer zu werden und es drückte ihn beinahe in die Knie. Er war froh, seinen hyung schon vor der Tür warten zu sehen, als er endlich zu Hause ankam. Er musste seine Gedanken los werden und auch wenn Junhyung eigentlich – da sie ja den selben Job hatten – dazu verpflichtet war, jedes Fehlverhalten seiner Kollegen zu melden, so wusste Minho doch, dass sein Freund ihm gegenüber loyal war und er ihn nicht an die Regierung verraten würde. Sie traten beide in die Wohnung und der Schwarzhaarige schloss die Tür ab. Ebenso zog er alle Vorhänge zu und versicherte sich, dass kein Fenster geöffnet war, ehe er sich auf seine Couch fallen ließ, während sein Freund ihm gegenüber saß.
 

„Schieß los, was ist mit dir?“, fragte der ohne Umschweife und betrachtete seinen dongsaeng besorgt. Der fuhr sich mit seiner Hand nun schon zum x-ten Mal durchs Haar. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er nervös war. Oder nicht weiter wusste. Im Moment war Letzteres der Fall. Der Schwarzhaarige suchte einen Moment lang nach Worten, ehe er sich dann geschlagen gab.
 

„Es geht um meinen aktuellen Fall. Der mit Lee Chang Jun“, begann er schließlich und sein Gegenüber setzte sich aufrecht hin, während er ihn abwartend ansah. Einen Augenblick überlegte der Jüngere, was er erzählen sollte und was nicht. Doch dann wiederum schallte er sich innerlich selbst für diesen Gedanken. Es handelte sich hier um seinen besten Freund. Sie waren seit ihrer Kindheit befreundet und konnten sich immer alles erzählen. Und das war auch jetzt der Fall. Als erzähle Minho ihm von allem. Von seiner ersten Begegnung mit Taemin, dem Schock, als er heraus fand wer der Junge wirklich war, seine Versuche, sich ihm zu nähern, der Vorfall im Industriegebiet, jedem ihrer Treffen bis einschließlich dem heutigen. Und die ganze Zeit über lauschte Junhyung schweigend seinen Worten, ohne einen Kommentar abzugeben. Erst, als Minho auch seine Bedenken und den Zwist in seinem Kopf in Worte gefasst hatte und dann verstummte, bewegte sich der Braunhaarige. Er lehnte sich in dem Ledersessel zurück und starrte den Jüngeren minutenlang schweigend an. Der Schwarzhaarige hatte schon die Befürchtung, gar keine Meinung von dem Anderen zu hören, als der dann das Wort ergriff.
 

„Also kurzum: Du denkst nicht, dass der Junge böse ist, sondern dass er von seinem Vater dazu genötigt wird. Und du willst deinen Auftrag auch nicht so ausführen wie du es solltest, sondern diesen Kerl beschützen, während du seinen Vater zu Fall bringst“, stellte er mit einer gleichgültigen, rationalen Stimme fest. Der durchdringende Blick seines hyungs ließ Minho zusammen zucken, doch er wendete seine Augen nicht ab.
 

„Ja“, war das einzige Wort, das er darauf erwiderte. Er rechnete fest damit, dass Junhyung ihn zurechtweisen würde. Oder zumindest auslachen. Da war er sich sicher. Dass der Ältere jedoch aufstand und begann, schweigend in dem Wohnzimmer auf und ab zu wandern, war alles andere als das, was er erwartet hatte.
 

Er erhob sich ebenfalls. „Hyung, was-“, begann er unsicher, doch er wurde unterbrochen.
 

„Wir müssen es irgendwie festhalten. Wenn es so ist, wie du sagst – und ich glaube dir –, dann müssen wir versuchen, Taemin reinzuwaschen. Das ist die einzige Möglichkeit, um ihn davor zu bewahren, zusammen mit seinem Vater unter zu gehen“, sagte dieser und lief weiter nachdenklich durch das Zimmer.
 

Damit hatte Minho nicht gerechnet. Noch mehr Überraschungen an diesem Tag. Doch er wollte sich nicht weiter mit dieser Tatsache aufhalten und hielt Junhyung an den Schultern fest. „Bist du dir sicher? Dass es funktionieren könnte? Wie sollen wir das anstellen? Wir brauchen Beweise, die meine Behauptungen belegen.“
 

„Ich habe da schon eine Idee.“ Der Braunhaarige grinste, was seine weißen und ebenmäßigen Zähne zum Vorschein brachte. „Versteckte Kamera.“
 

Überrascht blinzelte der Jüngere. „Versteckte Kamera? Wie willst du das anstellen?“
 

„Wir befestigen an dir einfach eine Mini-Kamera, die alles aufnimmt. Wenn du willst, kann ich es auch überwachen. Und wenn wir damit dann genügend Beweise gesammelt haben, zeigen wir sie dem Boss. Dann kann selbst er nichts mehr dagegen sagen, schließlich ist er ebenso wie wir dazu verpflichtet, Unschuldige zu schützen und nach Allem was du mir erzählt hast, ist Taemin auch so ein Mensch“, sagte Junhyung und lehnte sich lässig mit dem Rücken gegen die Wand. Er wusste, dass sein Plan perfekt war. „Sie veranstalten eine Party, hast du vorhin erwähnt. Das wäre die perfekte Gelegenheit, mit unserem Vorhaben zu beginnen.“
 

Nachdenklich musterte Minho seinen Freund. Was er sagte ergab durchaus Sinn. Und was hatte er auch für eine andere Wahl? Es gab keinen weiteren Ausweg aus der Situation. Sie mussten es versuchen. Er nickte. „In Ordnung. Auf der Party legen wir los. Und da du gute Erfahrungen im Überwachen hast, wäre es mir am liebsten, wenn du dir alles ansiehst, was ich filme. Am Besten wäre auch eine Headset-Verbindung. Wenn du etwas siehst, das ich nicht bemerkt habe, kannst du mich darauf aufmerksam machen.“ Plötzlich war der Jüngere wieder voller Tatendrang, angespornt durch die Aussicht, seinem neuen Freund Taemin aus der Klemme helfen zu können. Und mit Hilfe von Junhyung war das alles andere als Unmöglich.
 

Sie unterhielten sich noch eine Weile über ihren Plan und auch allgemeine Themen. So erfuhr der Schwarzhaarige zum Beispiel auch, dass im Rick’s seit einigen Tagen unterschiedliche Bands und auch Solo-Künstler auftraten, um die Besucherzahl der Bar anzuheben. Sie beschlossen gerade, sich das mal anzusehen, als Minhos Handy vibrierte. Er hatte seine SMS bekommen. Sie war von Taemin.
 

Kommenden Freitag um 20 Uhr bei mir daheim.
 

Darunter war die Adresse angegeben. Er zeigte Junhyung die Nachricht, der sich Datum und Anschrift sofort notierte.
 

„Ich schätze damit ist es besiegelt. Am Freitag legen wir los.“ Der Braunhaarige streckte sich kurz und sah dann seinen Freund an.
 

Minho nickte in grimmiger Erwartung.

Hat leider etwas länger gedauert, da das neue Semester doch stressiger ist als erwartet. Aber hier nun endlich das nächste Kapitel. Viel Spaß! :3
 

~~~~
 

Es war kurz vor 20 Uhr, als Minho aus seinem Chevrolet stieg und langsam die lange Auffahrt – die von großen, sorgfältig geschnittenen Buchsbäumen und in regelmäßigen Abständen leuchtenden Laternen gesäumt war – hinauf schritt, die zu einer prachtvollen Villa führte.
 

„Verdammt. Das nenn ich mal ‘ne Hütte“, hörte er Junhyungs staunende Stimme durch das für normale Augen nicht sichtbare Headset in seinem Ohr. Der Schwarzhaarige grinste, doch musste er zustimmend nicken. Er hatte zwar erwartet, dass Taemin und sein Vater nicht in einem einfachen Haus leben würden, doch mit dem, was er dort vor sich sah, hatte er nicht gerechnet. Die Villa war zwar nicht unbedingt riesig, doch im gotischen Stil gehalten, mit großen, einladenden Fenstern, kleinen Türmchen und vielen feinen Verzierungen, die dem Ganzen einen geheimnisvollen Touch gaben.
 

Minho rückte die schwarze Brille auf seiner Nase zurecht, in der eine winzig kleine Kamera eingebaut war, was von außen her aber wie eine kleine Schraube aussah, strich sich noch einmal über seinen schwarzen Anzug und stieg dann die wenigen Marmorstufen empor, ehe er durch die großen, offen stehenden Flügeltüren in einen langen, etwas gedämpft beleuchteten Flur eintrat, in dem ein paar Menschen in Grüppchen an den Wänden standen und sich unterhielten. Gemächlich ging er an den Leuten vorbei, während er mit den Augen auf der Suche nach Taemin war. Als er das Ende des Flurs erreicht hatte, öffnete sich zu seiner Linken eine weitere, große Tür, die in einen großen, mit vielen Sitzgelegenheiten ausgestatteten Raum – der wohl das Wohnzimmer darstellte – führte. In der Mitte standen mehrere aneinandergereihte Tische, auf denen verschiedene Häppchen und Getränke angeboten wurden. Dort entdeckte er einen blonden, jungen Mann – Key. Er ging ohne Umschweife auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem „Hi“ und einer kurzen Umarmung. Bei seinen Treffen mit Taemin waren Key und dessen Freund Jonghyun auch ein paar Mal dabei gewesen, weshalb sie sich kannten und auch ziemlich gut verstanden. Gerade stieß Jonghyun ebenfalls zu ihnen und der Schwarzhaarige begrüßte den Anderen ebenso wie er zuvor den Blonden begrüßt hatte. Sie tauschten ein paar Worte aus, während Minho sich weiter suchend umsah.
 

„Wenn du Minnie suchst, er ist gerade bei seinem Vater, um ein paar Persönlichkeiten zu begrüßen“, teilt Key mit und seufzte. Man merkte, dass er nicht sonderlich gut auf Taemins Vater zu sprechen war. Der Ältere war wirklich wie eine Mutter und immerzu besorgt um den Jüngeren, was Minho gefiel. Er freute sich, dass der Braunhaarige Freunde hatte, die sich so um ihn sorgten. Der Schwarzhaarige fragte sich, ob sein Gegenüber wusste, in welche krummen Dinge Lee Chang Jun – und somit auch Taemin verwickelt waren. Er nahm sich eines der Sektgläser, die gefüllt auf dem Tisch standen und nippte daran.
 

„Du scheinst seinen Vater nicht gerade zu mögen“, stellte er fest und sah den Blonden dabei an. Der wich seinem Blick ertappt aus und biss sich einen Moment auf die Unterlippe, sagte aber nichts. Gerade wollte Minho den Mund aufmachen, um noch etwas zu sagen, als er spürte, wie ihm jemand auf die rechte Schulter tippte. Er drehte sich in besagte Richtung, konnte aber niemanden sehen. Da hörte er ein helles Lachen, das er sofort erkannte und drehte sich in die andere Richtung, aus der das Lachen kam.
 

„Ha! Du bist endlich drauf reingefallen, hyung“, grinste Taemin und umarmte ihn kurz zur Bergrüßung. Auch der Größere legte seine Arme um die zierlichen Schultern des Anderen und drückte ihn kurz an sich.
 

„Ja ja, du hast mich erwischt. Glücklich?“ Minho verdrehte wegen des spielerischen Verhaltens des Braunhaarigen kurz die Augen, konnte sich ein Grinsen aber nicht ganz verkneifen. Er sah zu, wie der Junge nun auch die anderen Beiden begrüßte, die immer noch bei ihnen standen, ehe er seinen Blick wieder dem Schwarzhaarigen zuwendete und ihn einen Augenblick lang musterte.
 

„Was ist denn? Habe ich was im Gesicht?“, fragte der Ältere und hob verwirrt die Augenbrauen. Er konnte sehen, wie sich eine sanfte Röte auf den Wangen des Anderen ausbreitete, die ihn noch süßer wirken ließ.
 

„N-nein. Du siehst nur anders aus. Mit dem Anzug, meine ich. Und die Brille steht dir“, murmelte Taemin und kratzte sich verlegen im Nacken.
 

Nun spürte auch Minho, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, was er aber gekonnt schaffte zu verbergen, indem er seinen Kopf etwas senkte. „Danke. Dir steht dein Anzug aber auch richtig gut“, grinste er nun, während er den Braunhaarigen wieder ansah. Und wirklich, der schlichte schwarze Anzug gab ihm ein völlig anderes Erscheinungsbild. Er ließ Taemin größer wirken, die Schultern sahen breiter aus, während sich seine Haare wunderbar von den monotonen Farben abhoben und auch die schönen Rehaugen waren deutlicher zu erkennen. Seit wann er so über den Jüngeren dachte? Er wusste es nicht. Er hatte keine Ahnung, wann der ihn in seinen Bann gezogen hatte – ob schon von ihrer ersten Begegnung an oder erst nach und nach. Und doch konnte Minho nicht verleugnen, dass er sich um ihn sorgte. Mehr als er wollte, mehr als er sollte. Aber es war ihm egal. Wann immer er den Wuschelkopf erblickte, in seine Augen sah oder eine einfache Nachricht bekam war es ihm gleichgültig, ebenso wie die Konsequenzen, die es mit sich bringen würde. Dank Junhyungs Plan hatte er nun auch eine Möglichkeit gefunden, den Jungen zu retten, ihn von dem Einfluss von Chang Jun zu befreien und einen Ausweg, um sein Leben nicht beenden zu müssen. Wenn sie ihr Vorhaben so umsetzen konnten wie geplant, würde das Taemin reinwaschen, denn Minho konnte und wollte nicht glauben, dass der Kleinere etwas mit all den schlimmen Dingen zu tun hatte, die sein Vater tat. Es passte einfach nicht.
 

„Hey Romeo, wenn du fertig mit Anstarren bist, dreh deinen Kopf mal etwas nach links. Ich glaube ich hab unser Ziel entdeckt“, hörte er plötzlich die Stimme seines besten Freundes im Ohr. Der Schwarzhaarige verkniff sich den bissigen Kommentar, der ihm auf der Zunge lag – immerhin durfte niemand wissen, dass er verkabelt war. Er tat wie ihm gesagt wurde und drehte seinen Kopf. Und nun erblickte auch er Lee Chang Jun, diesen Mistkerl. Er war gerade im Begriff auf eine kleine Bühne zu steigen, auf welcher nun ein Orchester positioniert war. In der Mitte ganz vorne stand ein Podium, an das der Mann nun trat, kurz gegen das Mikrofon tippte und sich dann räusperte.
 

„Guten Abend meine Damen und Herren, vielen Dank dass Sie alle so zahlreich zu meiner bescheidenen Charity-Feier erschienen sind. Ich hoffe Sie haben alle viel Spaß und amüsieren sich gut. Für Essen, Getränke und Unterhaltung ist gesorgt! Die Auktion, deren Erlös danach einem Kinderheim gespendet wird, findet gegen 22 Uhr statt. Ich wünsche uns allen viel Spaß!“ Mit diesen wenigen Worten verneigte er sich vor den Gästen und verließ die Bühne wieder. Minho folgte ihm mit den Augen und sah, wie der Mafiaboss sich zuerst suchend umsah, bevor er Taemin entdeckte. Der Scharfschütze meinte zu sehen, wie sich der Blick einen Moment lang verfinsterte, ehe er sich auf den Weg zu seinem Sohn und damit auch zu Minho machte. Als er bei der kleinen Gruppe angekommen war, hatte er ein falsches Lächeln im Gesicht, während er jedem die Hand reichte und sie begrüßte.
 

„Ihr seid also alle Freund von meinem lieben Sohn“, begann er, während Minho sich versteifte. „Es ist schön zu wissen, dass mein Junge Menschen hat, denen er vertrauen und auf die er zählen kann.“ Der Scharfschütze ballte eine Hand zur Faust. Unglaublich, wie der Mann lügen konnte ohne rot zu werden. Doch für jemanden, der es im Untergrund so weit gebracht hatte, war das wohl ein Kinderspiel. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, möglichst höflich und gleichgültig zu sein. Doch allein die Anwesenheit dieses Mannes stellte seine Selbstbeherrschung auf die Probe. Er musste sich zusammenreißen, um seinem Gegenüber nicht einfach an den Hals zu springen. Junhyung schien das ebenfalls zu merken. „Ganz ruhig. Reiß dich zusammen, du setzt unseren Plan aufs Spiel.“ Minho brummte leise, setzte dann aber ein ebenso falsches Lächeln auf und wendete sich dem Mann zu, den er seit seiner Kindheit verabscheute und der ihm so viel Leid zugefügt hatte. Auch wenn Chang Jun ihm zum Glück nicht erkannte. Wie sollte er auch, nach all den Jahren, zumal der Schwarzhaarige nur eines von vielen Opfern war, die dieser Bastard im Laufe seiner Karriere erbracht hatte.
 

„Sie sind also Taemins Vater. Mein Name ist Minho. Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen“, erwiderte Minho möglichst freundlich und sah dem verhassten Menschen in die Augen.
 

„Ich bin Jonghyun und das neben mir ist Key“, erhob nun auch Jong die Stimme und zeigte ein kurzes, schmales Lächeln. Jeder hier in ihrem kleinen Kreis wusste, dass sie sich nur der Höflichkeit halber unterhielten. Die Abneigung von Seiten von Taemins Vater war nicht zu übersehen, auch wenn er sich wenigstens noch die Mühe machte, sie so gut wie möglich zu verstecken. Jong, Key und Minho selbst waren jedoch nicht so hervorragende Schauspieler, gaben sich aber auch nicht ganz so viel Mühe. Taemin hatte sich bis jetzt aus der ganzen Situation herausgehalten und sich noch nicht zu Wort gemeldet, was den Schwarzhaarigen wunderte, denn er kannte den Jüngeren als jemand, der immer fröhlich und offen war und zu jeder Konversation etwas beitrug. Er warf dem Jüngeren einen Blick aus dem Augenwinkel zu und musste ein erschrockenes Keuchen unterdrücken. Die Haltung des Braunhaarigen hatte sich völlig verändert. Hatte er zuvor in dem Anzug eine beeindruckende Ausstrahlung gehabt, so könnte man nun meinen, dass er in dem Stoff versank. Seine Schultern waren nach vorne geschoben und er hatte den Kopf etwas – wenn auch kaum merklich – eingezogen. Mit seinen Händen nestelte er nervös am Saum seines weißen Hemdes herum, während er den eingeschüchterten Blick gen Boden gesenkt hatte. Was mochte Chang Jun bloß mit ihm angestellt haben, dass sein Sohn solch eine Angst vor ihm hatte? Er musste daran denken, was er vor einigen Tagen in der Gasse beobachtet hatte und eine Erinnerung blitzt für einen kurzen Moment vor seinem inneren Auge auf.
 

Unter dem hochgerutschten Ärmel des Braunhaarigen kamen mehrere blaue Flecke zum Vorschein, machen größer und manche kleiner.
 

„Sind die auch von diesen Kerlen?“ Minho, der Taemin am Arm festhielt und ihn auffordernd ansah.
 

„Nein- ja. Teilweise.“ Braune Augen, die versuchten, seinem Blick auszuweichen.
 

„Was heißt hier teilweise? Einige davon sind schon richtig grün und lila. So schnell geht das nicht. Also schieß los: Wer war das?“ Wut, die in ihm aufstieg. Wut auf die Person, die dem Jüngeren das angetan hatte.
 

„Das.. werde ich dir ein andermal vielleicht erzählen.“
 

Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich. Warum hatte er das nicht schon früher erkannt? All die blauen Flecken, die Minho an jenem regnerischen Abend nach der Bar auf Taemins Haut gesehen hatte, waren allesamt von Lee Chang Jun. Der Vorfall in der Gasse war keine Ausnahme, es war alltäglich. Unbewusst ballte er die Hände an seiner Seite zu Fäusten und presste seine Lippen zu einem harten Strich zusammen. Er musste sofort hier raus, denn er merkte, wie seine ohnehin schon angeknackste Selbstbeherrschung anfing zu bröckeln und dass Bedürfnis immer größer wurde, dem älteren Mann ihm gegenüber das falsche Lächeln, dass in ihm einen Würgreiz hervorrief, mit einem gezielten Faustschlag aus dem Gesicht zu wischen.
 

„Ich brauche mal eben frische Luft“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ohne die Reaktion der Anderen abzuwarten machte der Schwarzhaarige auf dem Absatz kehrt und verließ schnellen Schrittes den Saal. Als er durch die großen Flügeltüren nach draußen in die kühle Nachtluft trat, hielt er inne und atmete tief durch. Ein kurzer Windstoß, der die wenigen auf dem Boden liegenden, bunten Blätter aufwirbelte, die den Herbst ankündigten, half ihm, sich etwas zu beruhigen. Doch der Drang, auf etwas – oder jemand – einzuschlagen, blieb. Er ging die wenigen Steinstufen runter zur langen Auffahrt, doch anstatt diese ein Stück hinunter zu laufen, bog er nach rechts auf einen schmalen, gepflasterten Weg, der über eine perfekt geschnittene, saftig grüne Wiese in eine kleine Gartenanlage führte, in der einige Laternen aufgestellt waren, welche die träge Dunkelheit, die allgegenwärtig war, durchschnitten. Minho blieb stehen und atmete ein paar Mal tief ein und aus, um ruhiger zu werden, als sich nun Junhyung zu Wort meldete,
 

„Was zur Hölle war das denn gerade? Wieso bist du plötzlich abgehauen?“ In der schneidenden Stimme war auch ein Hauch von Besorgnis zu hören.
 

„Es ist nichts. Jedenfalls nichts, was ich dir hier erzählen kann. Die Wände haben Ohren. Mir ist nur etwas eingefallen, das ist alles“, erwiderte der Schwarzhaarige leise, während er sich aufmerksam umsah. Er wollte nicht riskieren, dass ein Bodyguard oder sonst jemand mitbekam, wie er vermeintlich Selbstgespräche führte. Das würde ihm nur unnötige und ungewollte Aufmerksamkeit bescheren.
 

„Gut, wenn du meinst.. Aber sobald du zurück bist, musst du mir alles genau erklären. Klar?“
 

Die Ungeduld seines besten Freundes war nicht zu überhören, was dem Jüngeren kurz zum Lächeln brachte. „Klar hyung.“
 

Er vertrat sich draußen noch ein paar Minuten lang die Beine, ehe Minho sich entschied, dass es an der Zeit war, wieder zurück zu gehen, er war schließlich schon lange genug weg. Somit machte er kehrt und ging den schmalen Weg gemächlich zurück zum Haus und in den großen Saal, in der nun das Orchester einige ruhige Stücke im Hintergrund spielte. Jonghyun und Key standen noch immer in der Nähe der Tische, doch von Taemin und seinem Vater fehlte jede Spur. Als sich Minho seinen Weg zu den Beiden bahnte, betrat gerade ein Mann in etwa seinem Alter die Bühne. Er hatte ein weißes Hemd und darüber einen schwarzen Blazer an, was ihn trotz seines etwas kindlichen Gesichts männlicher wirken ließ. Die schwarzen Haare waren leicht nach oben gegelt, was sein rundes Gesicht betonte. Die dunklen Augen wanderten einen Augenblick über die Menge, ehe der junge Mann an das Mikrofon trat.
 

„Guten Abend, mein Name ist Yang Yoseob und ich werde nun ein paar Stücke für Sie singen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß!“ Ein Grinsen hatte sich auf den vollen Lippen gebildet und offenbarte tiefe Grübchen in seinen Wangen. Dann gab er dem Pianisten an der Seite der Bühne ein kurzes Handzeichen, woraufhin der zu spielen begann. Und schon kurz darauf erfüllte eine klare, unglaublich zarte Stimme den gesamten Raum.
 

Sofort als der junge Mann die Bühne betreten und seinen Namen gesagt hatte, konnte Minho hören, wie Junhyung ein erstauntes Keuchen ausstieß. Doch noch ehe er die Frage, was denn passiert sei, stellen konnte, gab ihm sein Freund schon die Antwort. „Das ist er. Es ist Yoseob. Er ist einer der Künstler, die seit Neustem im Rick’s auftreten. Ich habe ihn vergangenen Samstag zum ersten Mal gesehen. Er ist ein verdammt guter Sänger“, kam es beinahe ehrfürchtig von dem Braunhaarigen, was Minho zum Grinsen brachte. Es bedarf keiner Worte, denn er wusste sofort, was Sache war. Junhyung war nicht nur von den Gesangskünsten des Schwarzhaarigen begeistert, er war von ihm an sich begeistert und fasziniert. Yong Junhyung hatte einen Crush auf Yang Yoseob. Endlich. Der Scharfschütze hatte sich schon gefragt, wie lange sein bester Freund noch seiner Ex hinterhertrauern wollte, aber das hatte sich nun wohl erledigt.
 

„Wo ist denn Taemin?“, fragte Minho, als er endlich bei Jong und Key ankam und hob eine Augenbraue. Er hatte gedacht, dass der Jüngere bei ihnen stehen würde, doch das war offensichtlich nicht der Fall. Und auch sonst war der Wuschelkopf nirgendwo im Saal zu sehen.
 

Jonghyun rieb sich den Nacken und seufzte. „Schon kurz nachdem du weg warst ist Chang Jun wieder gegangen und hat ihn dabei mit sich genommen. Keine Ahnung wo sie sind, hier jedenfalls nicht.“
 

„Ich mache mir Sorgen. Der Kerl sah nicht gerade gut gelaunt aus, als er Minnie mit sich gezogen hat“, fügte Key hinzu und sah sich besorgt um.
 

Zum wiederholten Male musste Minho an all die blauen Flecken denken. Hatte Chang Jun erneut vor, Taemin etwas anzutun? Die Sorge in ihm wuchs von Sekunde zu Sekunde, bis er es schließlich nicht mehr aushielt.
 

„Ich werde nach ihm suchen. Ihr beide bleibt hier, in Ordnung? Ich bin so bald wie möglich zurück.“ Minho sah seine Freunde eindringlich an, ehe er langsam den Saal verließ, während er sich immer wieder umsah. Er betrat einen anderen, kleineren Raum, in dem ebenfalls einige Leute an hohen, runden Stehtischen zusammen standen, doch auch hier war keine Spur von dem Jungen. Der Schwarzhaarige durchsuchte auch die restlichen Räume, in denen sich einige Gäste aufhielten, aber Taemin konnte er dennoch nicht finden. Er machte sich immer mehr Sorgen. Wo war der Braunhaarige nur abgeblieben? Minho begann, einige der Gäste zu fragen, ob sie den Jüngeren gesehen hatten, doch die meisten schüttelten nur den Kopf. Nur eine Frau Anfang Dreißig mit kurzen, blondierten Haaren sagte ihm, dass sie Taemin von einigen Minuten zusammen mit seinem Vater die Treppe nach oben hatte gehen sehen, wusste aber nicht, wo genau sie hingegangen waren. Der Schwarzhaarige bedankte sich bei ihr und begab sich dann in die Richtung, die ihm die Dame zuvor gewiesen hatte. Das Betreten der oberen Etagen war für Gäste sehr wahrscheinlich untersagt, doch das war ihm egal, er musste einfach nach Taemin sehen. Wenn der ältere Mann dem Jungen wieder etwas antun würde, würde Minho sich das nie verzeihen, schließlich hatte er sich auf dem Weg zu dieser Feier geschworen, ihn von nun an zu beschützen und er wollte nicht gleich nach wenigen Stunden versagen.
 

Er sah sich vorsichtig um, ehe er die Glasstufen der Treppe betrat und sich auf den Weg nach oben machte. Dabei hielt er sich geduckt und versuchte so wenige Geräusche wie möglich zu machen. Zum Glück war das aus Holz und Metall bestehende Geländer der Treppe so breit, dass man ihn vom Gang aus nicht sehen konnte, wenn er sich nicht aufrichtete. Ohne bemerkt zu werden schaffte er es in die erste Etage. Er arbeitete sich mit dem Rücken zur Wand den Gang entlang, wobei er an jeder Türe Halt machte und lauschte, ob er Stimmen dahinter erkennen konnte. Immer wieder sah er sich um, ob sich ihm jemand näherte, doch er hatte Glück und wurde bisher noch nicht entdeckt. Am Ende des langen Flurs stand eine große und breite Palme, deren Blätter beinahe bis zum Boden reichten. Dahinter war ein schmales Fenster, welches einen Blick auf den Garten freigab, der sich rund um das Haus herum befand. Die Türe zur Rechten war geschlossen, doch die Linke stand einen Spalt breit offen. Minho schlich sich leise an und spähte in das dahinterliegende Zimmer. Zuerst konnte er nichts erkennen, doch als er den Kopf ein wenig drehte, hielt er den Atem an. Dort im Zimmer stand Taemin mit dem Rücken zu ihm, die Schultern nach vorne gebeugt und den Kopf leicht eingezogen. Vor ihm saß sein Vater in einem großen Ledersessel, die Arme vor der Brust verschränkt, den Gesichtsausdruck unleserlich.
 

„Du machst das mit Absicht, nicht wahr? Du willst mich provozieren und bloßstellen. Aber da hast du dich mit dem Falschen angelegt mein Lieber, das sage ich dir“, sagte Chang Jun in diesem Augenblick und Minho konnte sehen, wie der Junge bei diesen scharfen Worten kurz zusammen zuckte.
 

„N-nein, so war das nicht! Du hast mir doch gesagt, dass ich auch Leute einladen darf und dann habe ich nunmal meine Freunde eingeladen“, kam die kleinlaute Antwort.
 

„Ach ja? Ich hatte dir aber gesagt, dass ich deine Freunde nicht sehen will! Was fällt dir ein?! Habe ich mich beim letzten Mal nicht klar genug ausgedrückt? Du brauchst keine Freunde! Wie oft muss ich das noch sagen, bevor das in deinen Dickschädel geht?!“ Der Mafiaboss hatte sich aus dem Sessel erhoben und stand nun direkt vor dem Braunhaarigen, der unwillkürlich einen Schritt zurück ging um etwas Abstand zwischen sich und seinen Vater zu bringen.
 

„Aber.. aber jeder braucht Freunde! Und sie haben dir doch nichts getan, ich weiß gar nicht was überhaupt dein Problem ist! Sie sind alle nett und ich kann ihnen vertrauen. Müsstest du als mein Vater dich nicht eigentlich für mich freuen, dass ich endlich solche Menschen gefunden habe?!“ Die Stimme des Jüngeren wurde immer lauter und er sah nun den Größeren ihm gegenüber an. Dessen Augen verengten sich, ehe er mit der Hand ausholte und Taemin ins Gesicht schlug. Schon wieder. Schon wieder musste Minho dabei zusehen, wie dem Jungen wehgetan wurde. Er ballte die Hände zu Fäusten und seine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in sein Fleisch, doch es hielt ihn davon ab, einfach in das Zimmer zu stürmen. Er konnte hören, wie Junhyung erschrocken nach Luft schnappte, aber er achtete nicht weiter darauf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die zwei Männer in dem Zimmer. Taemin hielt sich mit einer Hand die getroffene Wange, während er einige Schritte zurück getaumelt war.
 

„Du wagst es, mir zu widersprechen? Mir?!!“ Die Wut war deutlich aus der Stimme von Chang Jun heraus zu hören. Wieder ging er auf seinen Sohn zu, dieses Mal schlug er ihm mit der Faust hart in den Magen, was den Jungen dazu brachte, sich keuchend nach vorn zu krümmen. „Du hast es wohl immer noch nicht verstanden: Du hast zu tun, was ich dir sage! Du hast dich mir nicht zu widersetzen! Du hast noch nicht einmal zu atmen, wenn ich es dir nicht erlaube!“ Er trat dem Braunhaarigen mit dem Fuß in die Seite. Taemin wimmerte leise und rollte sich auf dem Boden zu einer kleinen Kugel zusammen, während sein Vater ihn weiter trat. Für Minho war das zu viel. Er war gerade im Begriff, die Tür aufzustoßen und Chang Jun seine geballte Faust schmecken zu lassen, als der von dem am Boden kauernden Jungen zurück trat und seinen Anzug zurecht rückte.
 

„Ich hoffe das war dir eine Lehre!“ Mit diesen Worten wendete er sich von seinem Sohn ab und ging geradewegs auf die Türe zu, hinter der Minho stand. Dieser fackelte nicht lange, sondern versteckte sich lautlos hinter der Palme, die ihn Dank der großen, langen Blätter gut verbergen konnte. Dennoch hielt er den Atem an, als der Mistkerl aus der Tür trat und den Gang hinab zur Treppe lief. Der Schwarzhaarige harrte noch einige Sekunden länger in seinem Versteck aus, bis er sich sicher war, dass der Andere nicht gleich wieder zurückkommen würde, dann sprintete er in das Zimmer und ging neben Taemin in die Knie. Der Jüngere kauerte noch immer auf dem Boden, war zu einem Embryo zusammen gerollt und wimmerte leise vor sich hin. Als der Scharfschütze die Hand ausstreckte und ihm leicht über den Kopf strich, zuckte der Andere zusammen.
 

„Ssh ich bins. Ist schon gut. Ich tu dir nichts“, murmelte er leise und fuhr ihm beruhigend über den Rücken. Taemin schluchzte auf und vergrub sein Gesicht in seinen Armen. Er zitterte am ganzen Körper und Minho konnte sehen, wie sich seine Wange von dem Schlag rot verfärbte. Am liebsten würde der Schwarzhaarige diesen verdammten Bastard umbringen. Er konnte es nicht erwarten, Taemin endlich dort raus zu holen und dessen Vater hinter Gitter zu bringen. Auch wenn das in seinen Augen eine viel zu geringe Strafe für das war, was er all den Menschen angetan hatte. Was er Taemin angetan hatte. Und was er Minho angetan hatte.
 

Ohne nachzudenken legte er seine Arme um den Kleineren und drückte ihn an sich, wobei er darauf achtete, ihm nicht weh zu tun. Taemin klammerte sich an ihn, krallte seine Hände in das Hemd des Schwarzhaarigen und atmete zitternd aus.
 

„Bitte.. bring mich hier raus“, flüsterte der Jüngere mit brüchiger Stimme. Erstaunt sah Minho den Anderen an. Doch dann nickte er, stand auf und half Taemin hoch. Der strauchelte kurz, sodass der Ältere schnell einen Arm um seine Mitte legen musste, um zu verhindern, dass er auf den Boden fiel.
 

„Tut mir Leid“, kamen die leisen Worte des Braunhaarigen aber Minho schüttelte nur den Kopf.
 

„Hör auf dich zu entschuldigen. Lass uns gehen.“ Er ließ seinen Arm um den Kleineren gelegt und führte ihn aus dem Raum.
 

„Gibt es hier einen Hinterausgang? Ich will dich nicht durch die Haustüre nach draußen bringen und Gefahr laufen, dass du von den Gästen oder sogar deinem Vater gesehen wirst.“ Minho sprach gedämpft, während er Taemin schnell den langen Gang entlang führte. Als er seinen Vater erwähnte, verkrampfte sich der Jüngere einen Moment, doch Minhos Nähe half ihm wieder, sich zu beruhigen.
 

„Ja gibt es. Gerade aus den Gang entlang, dann kommt links eine schmale Treppe, die zur Hintertür und hinaus in den Garten führt.“ Seine Stimme klang schwach, während er leicht nach vorne gebeugt in dem Griff des Schwarzhaarigen weiter ging, wenn auch langsam, denn seine schmerzenden Körperstellen machten rasche Bewegungen für ihn im Moment unmöglich. Das wusste auch der Ältere weshalb er seine Schritte dem Anderen angepasst hatte. Wieder hielt er sich an der Wand, darauf bedacht immer seine Umgebung im Auge zu behalten. Doch auch wie zuvor hatte er Glück und niemand begegnete ihnen auf ihrem Weg zum Ausgang. Wahrscheinlich fühlte sich Chang Jun sicher genug, um auf Bodyguards verzichten zu können.
 

Minho ging den ihm beschrieben Weg und schon bald kamen die Beiden an der schmalen Tür an, die zum hinteren Teil des Gartens führte. Er bedeutete dem Jüngeren stehen zu bleiben, ehe er ein Ohr an die Tür legte und auf die Geräusche dahinter lauschte. Als er nichts Ungewöhnliches hörte, öffnete er die Tür fast völlig lautlos einen Spalt breit und spähte hindurch. Er konnte sehen, wie ein Bodyguard im schwarzen Anzug gerade um die nächste Ecke verschwand. Also war der Mafiaboss doch nicht so leichtsinnig wie der Schwarzhaarige gedacht hatte. Nach einem letzten Blick durch den Türspalt legte er erneut seinen Arm um die Mitte des Kleineren und trat mit ihm hinaus in den Garten. So schnell es möglich war zog er ihn mit sich zu einer Gruppe von hohen, breit zugeschnittenen Buchsbäumen, in deren Schutz sie wieder inne hielten.
 

„Wir werden nicht durch den Hof gehen, sonst hätte ich dich gleich durch den Vorderausgang hinaus bringen können damit dich jeder sieht. Aber mach dir keine Sorgen, ich weiß wie ich dich hier raus bringe“, sagte Minho mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Bevor er vorhin seinen Wagen geparkt und das Gebäude betreten hatte, hatte er langsam eine Runde um das gesamte Grundstück gedreht, um sich mit den örtlichen Begebenheiten soweit wie möglich vertraut zu machen. Somit wusste er, dass das Grundstück zwar größtenteils von einer Steinmauer umgeben war, es aber in einigem Abstand zwei Abschnitte gab, an welchen nur weitere Buchsbäume standen und es somit mit etwas Geschick möglich war, sich einen Weg hinein oder hinaus zu bahnen. Er sah sich noch einmal um und stellte sicher, dass sie niemand in der Nähe war und sie sehen konnte. Dann nahm er Taemins Hand in seine und zog ihn mit sich zu einer der besagten Stellen. Der Braunhaarige sah ihn überrascht an, fragte jedoch nicht, woher der Ältere hiervon wusste.
 

„Du gehst zuerst durch, dann folge ich dir gleich. In Ordnung?“, fragte Minho und sah den Anderen an. Der nickte zögerlich. Dann fing er an die vielen kleinen Äste zwischen zwei Bäumen zur Seite zu drücken und zwängte sich hindurch. Der Scharfschütze wartete, bis der Jüngere auf der anderen Seite angekommen war, während er selbst die Umgebung im Auge behielt. Dann folgte er dem Anderen und kam auf dem Gehweg neben einer schmalen Straße heraus. Taemin stand neben ihm, doch bevor er etwas sagen konnte nahm Minho erneut seine Hand – was den Jüngeren erröten ließ – und ging mit ihm weiter, weg von der Villa. Sie überquerten die Straße, gingen zwei Häuserreihen entlang und bogen dann nach links, wo ein Trampelpfad zu einem kleinen Park führte. Da es schon spät war, waren sie die einzigen Besucher. Auch die Laternen, die sonst die Wege beleuchteten, waren schon längst ausgeschalten und so drang nur das Mondlicht durch die wenigen Blätter, die noch an den Bäumen hingen. Der Herbst hatte langsam Einzug gehalten, auch wenn die Abende zurzeit noch angenehm waren. Die wenigen verfärbten Blätter, die auf dem Boden lagen, knisterten unter ihren Füßen, als sie langsam durch den Park gingen. Zu ihrer Linken war ein kleiner See, der vereinzelt von Sträuchern umgeben war. Die rechte Seite des Weges war von Bäumen gesäumt und in regelmäßigen Abständen gab es Bänke, auf die sich die Besucher niederlassen konnten. Die Beiden beschlossen sich auf eine davon hinzusetzen, zumal es Taemin sichtlich schwerer fiel, zu gehen.
 

„Danke, dass du gekommen bist und mich rausgeholt hast. Ich hätte es keine Minute länger dort drinnen ausgehalten. Nicht nur wegen meinem Vater. Ich hasse diese Partys, die mein Vater immer gibt. Jeden begrüßen, ein Lächeln aufsetzen und das tuen was man mir sagt. Ich hasse es“, begann Taemin leise zu sprechen, während er seinen Blick auf die leicht schimmernde Oberfläche des Sees gerichtet hatte.
 

„Wenn du es so sehr hasst, warum tust du es dann?“ Minho lehnte sich zurück gegen die Holzbretter in seinem Rücken und drehte den Kopf, um den Jüngeren ansehen zu können.
 

Der Braunhaarige schnaubte. „Was sollte ich denn anderes machen? Selbst wenn ich mich wehren würde, mein Vater würde mich dazu zwingen. Ich habe es doch schon versucht. Es bringt nichts.“ Er fuhr sich mit einer Hand durch sein mittlerweile zerzaustes Haar. „Tut mir Leid, dass du das mit ansehen musstest. Ich wollte eigentlich nicht, dass es irgendjemand mitbekommt“, murmelte er und sah auf seine Hände, die er in seinem Schoß gefaltet hatte.
 

„Es tut dir Leid?! Bist du noch bei Trost?!“, herrschte Minho ihn an, sodass der Jüngere erschrocken zusammenzuckte. „Dir hat gar nichts Leid zu tun! Du bist doch hier das Opfer! Dein Vater behandelt dich wie ein Stück Dreck und du sagst es tut dir Leid?!“ Der Scharfschütze war aufgesprungen und stand nun vor dem Anderen, der ihn mit großen Augen von unten her anstarrte. „Hör auf dich ständig zu entschuldigen! Du darfst dir das nicht weiter gefallen lassen. Was dein Vater tut ist nicht richtig, es ist strafbar“, fuhr er nun ruhiger fort und ging vor dem Jungen in die Hocke, um auf Augenhöhe zu sein. Dabei bemerkte er, wie sich Tränen in den hübschen Rehaugen des Andere sammelten.
 

„Er ist trotz allem noch mein Vater! Was soll ich in denn tun? Wenn ich mich wehre macht er trotzdem weiter. Er hört nie auf. Ich kann es nicht ändern. Selbst wenn ich irgendwann soweit bin, dass sich seine Firma übernehmen kann – er wird nie aufhören mich zu kontrollieren. Ich kann nicht-“ Weiter kam der Jüngere nicht, denn volle Lippen senkten sich hart auf seine und schnitten ihm das Wort ab. Verblüfft schnappte er nach Atem, während er seine Augen weit aufgerissen hatte. Er war im ersten Moment wie versteinert und wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Doch als der Kuss sanfter wurde entspannte er sich, schloss die Augen und erwiderte es zaghaft, während er versuchte das Kribbeln zu ignorieren, dass seinen gesamten Körper zu dominieren schien. Minho stützte sich mit einer Hand an der Bank ab, während er die andere in den Nacken des Braunhaarigen gelegt hatte. Er wusste selbst nicht was in ihn gefahren war, er wusste nur, dass er es nicht mehr ertragen hatte die Tränen in Taemins Augen zu sehen und die Worte aus seinem Mund zu hören. Und dies war die einzige Möglichkeit, die ihm dabei in den Sinn gekommen war. Zum Glück hatte er, als sie den Park betreten hatten, ein leises Klick in seinem Ohr gehört, was ihm sagte, dass Junhyung die Verbindung zu ihm unterbrochen hatte. Doch selbst wenn sein bester Freund diesen Moment miterleben würde – es wäre ihm völlig egal gewesen. Es hätte nichts an seiner Reaktion geändert. Dass der Jüngere nicht davor zurückschreckte nahm er zum Anlass, um den Kuss zu vertiefen, während er mit einer Hand sanft den Nacken des Anderen streichelte. Sein Herz schlug viel zu schnell in seiner Brust und er glaubte, dass es jeder im Umkreis von 5 km hören konnte, doch das war ihm egal. Taemins Lippen auf seinen zu spüren fühlte sich so unglaublich gut an – dass der Jüngere anfangs etwas unbeholfen war störte ihn kein bisschen. Es war unbeschreiblich, wie richtig es sich in diesem Moment anfühlte und am liebsten hätte Minho nie wieder von dem Anderen abgelassen, doch ihm mangelte es an Sauerstoff und so löste er den Kuss notgedrungen, um keuchend Atem zu holen. Auch der Braunhaarige schnappte nach Luft, ehe er den Blick hob und den Älteren vorsichtig ansah.
 

„Du redest zu viel“, grinste Minho und strich ihm über die geröteten Wangen. Dann stand er auf und zog Taemin mit sich nach oben, ehe er seine Arme fest um ihn legte und seine Stirn gegen die des Anderen lehnte. „Mach dir keine Sorgen. Egal was passiert, ich werde dich beschützen. Ich werde einen Weg finden dich dort raus zu holen, damit dein Vater dir nie wieder etwas antun kann. Das verspreche ich dir.“
 

Und er hatte auch schon eine vage Idee, wie er das schaffen würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu dieser Fanfic (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  TaeminLee
2013-05-02T15:50:09+00:00 02.05.2013 17:50
cool ech gut geschrieben erst dachte ich ja minho sei ein verbrecher aber jetzt echt cool

Von:  Luenchen
2012-10-21T19:23:34+00:00 21.10.2012 21:23
Aah, neues Kapitel! Wieso seh ich das erst jetzt.. >o<'

Uhm.. Taemin's Vater kann so fies sein.. .__.' Zum glück war ja Minho da & half ihm zu 'fliehen' *-*
Ahh, 2Min moment.<3 :'D xD
Ehm.. Ja, wie immer total Toll geschrieben, & ich freu mich auf das folgende Kapitel :'3
Von:  Luenchen
2012-10-09T21:48:47+00:00 09.10.2012 23:48
Wah, ich mag die FF.' voll ._.
Gehts eigentlich noch weiter? :D Freue mich schon auf ne' fortsetzung.. :3 [Vorausgesetzt es gibt eine.. Hoff ich mal :O]
-Lg. c;

Von:  -Lexi-
2012-07-16T19:30:14+00:00 16.07.2012 21:30
Dubudubudu~
Ich liebe Target, das weißt du, oder? *___*
Ich wiederhole mich wie immer und am Telefon und per SMS und und und...aber du bist einfach klasse!
Geschichten mit dir planen/erfinden/kreieren ist einfach klasse!
Ich lieb dich einfach <3 <3 <3
Von:  THEdark_princess
2012-07-15T00:28:08+00:00 15.07.2012 02:28
Deine FF is super :DD
Die Idee mit Minho und Taemin is soooooowaaaaaaas von süüüüüüß *-*
Und Key is mit Junhyung zusammen, richtig? (Wenn ja, dann wunder ich mich, dass Minho nicht stutzig geworden is, als sein Name gefallen war...? O.o) Abbaa egal^^
Ich freu mich super mega doll auf das nächste Kapitel :DD
Biiitteee schreib schnell weiter :DD
Ach ja, und falls du Lust hast, schau auch mal bei meinen FF's vorbei^^ Ich weiß...Werbung is furchtbar, aber ich hab so wenig Leser T.T Ich hoffe du bist jetzt nich böse ó.ò

LG
Sayu-chan *.*
Von:  Patema
2012-07-04T09:35:06+00:00 04.07.2012 11:35
Mir gefällt deine FF wirklich sehr. Dein Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen, deine Idee für die Geschichte ist ebenfalls super und scheint gut durchdacht zu sein.
Ich würde mich freuen, demnächst weiter lesen zu können.^^
lg Naimi


Zurück