Das Licht der fernen Heimat von Thuja ================================================================================ Kapitel 1: Das Licht der fernen Heimat -------------------------------------- Die Erde bebte, erzitterte vor Angst unter den Einschlägen der Bomben. Gewehrsalven jagten durch die Luft, zerschnitten sie schnell und scharf. Ruinen und Leichen säumten den Weg. Alles um ihn herum war grau und düster. Selbst der Himmel schien seine Farbe verloren zu haben. Unendlich dick türmten sich die Wolken, jederzeit mit Regen drohend. Doch die Drohung blieb leer. So leer wie es in ihm war. In seiner Hand hielt er eine G36. Ein Sturmgewehr. Er war nicht hierher gekommen, um zu bleiben. Aber „Bleiben“ war zu einem Wort geworden, das ihn so sehr begleitete wie sein Schatten. Die Tage zogen sich in die Länge, Stunden wurden zu gefühlten Tagen, Tage zu halben Ewigkeiten. Die Rückkehr nach Hause schien ferner denn je. Oder würde er sie am Ende nie erleben? Würde dieser unfreundliche Ort vielleicht zu seinem Grab werden? Nicht wenige fanden hier ihren Tod, wurden zu einer der vielen leblosen Körper, zu Opfern des Krieges. Einst hatte er die Waffe mit stolz getragen, sich mit Freude für sein Vaterland eingesetzt, Wie dumm war er gewesen. Heute sah er nicht mehr denselben jungen Mann im verdrecktem Spiegel seiner Unterkunft. Nein. In einem halben Jahr, in 182 Tagen war er um Jahrzehnte gealtert. Nicht nur innerlich. Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen von tiefen Schatten umgeben, er selbst nur noch das jämmerliche Abbild seines einstigen Seins. Seine Eltern würden ihn wohl nicht wieder erkennen. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Nicht weil in einiger Ferne der Himmel aufleuchtete und die Einschläge immer näher kamen. Im Kriegsgebiet gab es nur selten Stille. Zerstörung und Vernichtung kündigten sich stets mit lauten Knallen an, ein Geräusch das immer und überall in ihren Ohren erklang, selbst wenn es mal nicht wirklich da war. Es war die Erinnerung, die ihn gepeinigt hatte. Neben ihm jammerte ein Soldat, ein Neuling. Wimmernd saß er da, zu einer höheren Macht betend. Angst. Angst hatten sie alle. Sie schlich wie ein grauer Dämon durch die Reihen und nistete sich tief in jedem ein. Manche konnte sie begraben, schafften es sie zu unterdrücken. Manche besiegten sie durch Wut oder Hass auf den Feind. Und manche litten einfach stumm unter ihr. Sie war ein Tabuthema. Etwas, was nicht sein durfte. Nie fiel ein Wort über dieses Gefühl. Zum wiederholten Male schweifte sein Blick durch den Raum und bemusterte die einzelnen Gesichter seiner Kameraden. Doch in ihren Augen lag kein Glanz mehr. Sie waren gebrochene Seelen, die nicht mehr wussten, wohin ihr Weg sie führte oder ob er nicht sogar jede Minute endete. Oder ging es nur ihm so? Menschen projizierten gerne ihre Gefühle auf andere. Irgendwie machte es alles einfacher, wenn das Umfeld gleich empfand. Dann fühlte man sich weniger allein. Doch in seinem Herzen herrschte nicht nur die Furcht. Sie teilte sich den Thron mit einem anderen starken Gefühl, einer Empfindung, die er nie geglaubt hätte, so stark zu spüren. In all dem Chaos sehnte er sich nach der heilen Welt. Er sehnte sich – ja auch als 22-jähriger Mann - nach der warmen Umarmung seiner Mutter, nach dem distanzierten, aber dennoch liebevollen Schulterklopfer seines Vaters, er sehnte sich nach einem Geburtstagkuchen, den er lachend ausblasen konnte, nach der nervigen Weihnachts-CD, die wahrscheinlich derzeit zu Hause jeden Tag abgespielt wurde, nach den Schimpftiraden, weil sein Wäscheberg im Zimmer immer höher wurde, bevor er seine Klamotten endlich zur Waschmaschine brachte. Er sehnte sich nach Zuhause. Wie gerne würde er jetzt an einem Computer sitzen und spielen oder die Nachbarskatze ärgern. Noch einmal Kind sein Irgendwann würde jemand ihn zum Abendbrot rufen und er würde genervt aufspringen, weil er doch gerade mit wichtigerem beschäftigt war. Aber diese Erinnerung erschien so fern. Fast fragte er sich, ob es die Seine war. Wieder ein Knall. Unbehaglich zog er die Beine an seinen Körper. Die Stadt, in der sie saßen, war eine Geisterstadt, vollkommen verlassen. Und hier würden sie auf den Feind warten und dann wieder töten, einfach so, als wären das andere keine Menschen, als hätten sie keine Gefühle. Himmel. Wie viel lieber würde er wenn schon dem Unkraut im Garten an den Kragen gehen Auch wenn er Gartenarbeit bis aufs Blut gehasst hatte, so war sie ihm tausendmal lieber als das hier. Denn es würde ihm das Gefühl von Zuhause geben. Der bittere Geschmack des Heimwehs breitete sich in seinem Mund aus. Er wollte wieder nach Hause, wieder etwas von seinen Eltern hören. Schon mehrmals hatte er ihnen geschrieben. Aber es kam keine Antwort. Warum nicht?? Ging es ihnen nicht gut? Lebten sie vielleicht nicht mehr? Er wusste es nicht. Und vielleicht wollte er das auch nicht. Denn es war nicht das Haus oder die Stadt, nach der sich sein Herz so schmerzhaft verzerrte, sondern die Leute, die sein Zuhause ausmachten. Wenn sie nicht mehr wären, er wollte nicht mehr dahin zurück, ja er würde glatt aufhören zu kämpfen. Denn dann hätte er nichts mehr. „Sie kommen!“, schrie jemand und während er seine Waffe schulterte und auf die staubige Straße trat, wünschte er sich nur eins. Das diese Straße nach Hause führen würde „Last Christmas“ ertönte aus dem Radio, erst das fünfte Mal heute. Frau Tear pfiff trotzdem mit, während sie den Plätzchenteig ausrollte. Überall im Haus roch es schon nach dem leckeren Weihnachtsgebäck. In einer unsichtbaren Wolke schwirrten Zimt und Vanille, Teig und Mandelduft durch die Räume Ihr Mann würde sich freuen und jede Minute würde er mit einem gekauften Weihnachtsbaum an der Tür klingeln und zu dem Geruchscoktail noch Tanne ergänzen. „Last Chrismas“ Sie verstand nicht viel Englisch. Gerade mal diese zwei Wörter bekam sie von dem Text mit. Letztes Weihnachten. Das letzte Weihnachten. Daran musste sie immer denken. Für manche war dies sicher das letzte Weihnachten und sie war immer froh, wenn es niemand aus ihrer Familie war, der sich für immer von dieser Welt verabschiedete. Ganz besonders zum Fest der Liebe sehnte sie sich nach ihrem Sohn. So weit weg war er und immer in Gefahr. Ein tiefer Seufzer verließ ihre Lippen und überschnitt sich mit dem aufdringlichen Klingeln des Telefons. Sofort ließ sie alles stehen und liegen und eilte zu dem Nervtöter, trotz Mehl an den Händen. Die Nummer war unbekannt, die Stimme am anderen Ende männlich und ernst. „Frau Tear. Es tut mir Leid ihnen mitteilen zu müssen…“ Kurze Stille, in der nicht nur der Mann am anderen Ende der Leitung pausierte, sondern auch ihr Herz aussetzte. Wieder klingelte es. Diesmal an der Tür. Sie ging ran, mit zittrigen Beinen, das Telefon noch am Ohr haltend. Vor der Tür befand sich ein schmuddeliger Kerl mit tiefen Augenringen und einem eingefallenen übernächtigten Gesicht, der ihr Herz sofort weiterschlagen ließ. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Und nicht nur in ihren. „Das wir ihre Bestellung vor Weihnachten nicht mehr bearbeiten können,“ sprach der Mann im Hörer weiter. Sie bekam es gar nicht mehr mit. Denn im nächsten Moment fiel ihr heißgeliebter Sohn ihr um den Hals, riss sie einfach mit sich auf die Knie. Unfähig etwas zu sagen, lag er seiner Mutter in den Armen, hemmungslos weinend, schluchzend wie ein Kind…..froh noch am Leben zu sein. ------------------------------------------------------------ Ich hoffe, die Geschichte hat euch gefallen ^_- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)