Phantom `☂ヽ von jyorie (Jagd durch London) ================================================================================ Kapitel 2: Die Venus vor dem Spiegel ------------------------------------ Rund um den riesigen Gebäudekomplex der National Gallery hatten sich die Mitarbeiter des Scotland Yard unauffällig und in Zivil postiert. Mai hatte Mr. Taylor gebeten, nichts von dem bevorstehenden Überfall des Phantoms an die Presse weiter zu leiten, da dieser Verbrecher schon Publicity genug hatte. Zudem warfen seine ständig gelingenden Raubzüge natürlich auch ein schlechtes Licht auf die Londoner Kriminalpolizei und es gab schon unzählige Karikaturen, in denen sie von dem Phantom gefoppt wurden. Mai wurde immer unruhiger, es ging schon auf 23 Uhr zu und der Dieb hatte sich noch nicht blicken lassen. Ihr erneuter Kontrollgang führte, an der Seite des Direktors, zum Ausstellungsraum Nummer 30 im zweiten Stock, wo das Bild der „Venus vor dem Spiegel“ ausgestellt war. „Sind sie sicher, dass das hier auch noch das Original ist?“, fragte sie nervös, als sie schon zum x-ten Mal vor dem Ölschinken standen. „Miss Valentine wir sind hier gut gesichert gegen Einbrüche und Diebstähle jeglicher Art. Es ist unmöglich, dass man das Bild entwenden kann ohne, dass wir es mitbekommen“, seufzte der Mann. „Sehen sie.“ Er berührte den Rahmen des Bildes nur minimal und schon war alles taghell erleuchtet. Die eingelassenen Gitter der vier Zugangstüren zu diesem Raum schlossen sich augenblicklich und der ohrenbetäubende Lärm der Alarmanlage erfüllte das Gebäude. Von überall her stoben die Sicherheitskräfte zusammen, die Polizisten in Zivil verließen ihren Posten, um ebenfalls das Gebäude zu stürmen. Alles sammelte sich um die Ausgänge des Raumes, in dem der Alarm ausgelöst worden war. Triumphierend hob Tristan Taylor die Hände, drehte sich in seiner Genugtuung schwebend um die eigene Achse und wies auf die Erfolge um sie herum hin. Dann meinte er an Miss Valentine gewandt: „Alles läuft wie am Schnürchen. Das Originalbild hängt noch hier, es wurde nicht ausgetauscht und die Sicherheitsvorkehrungen funktionieren tadellos.“ In Mais Augen glimmte der kalte Zorn auf, sie wäre dem Mann am liebsten an die Gurgel gesprungen, jedoch hielt er seine Lobesrede weiter, ohne die Situation überhaupt zu erfassen: „Ich denke, Sie überschätzen einfach dieses Phantom. Es hätte sich gemäß seiner Ankündigung schon längst blicken lassen müssen. Ich bin mir sicher, es hat die Hosen gestrichen voll, da es sich wohl fürchtet, sich an unserem Museum die Zähne auszubeißen.“ Tou war gerade auf dem Weg zum Museum, er war komplett in eine hautenge, schwarze Montur gekleidet und mit Tenshi über Funk verbunden. Wie sollte es anders sein, die beiden Brüder waren mal wieder am Kabbeln. „Nein, ich sehe es nicht ein!“, motzte Tou. „Aber das kann doch mal vorkommen, dass man viel zu tun hat. Bitte hör auf so über ihn zu reden“, verteidigte Tenshi. „Aber zumindest von diesem Zug bekommt dein Falke keinen Anteil. Er hat sich ja nicht mal blicken lassen um das Museum aus zu spähen.“ „Dann sag du ihm das.“ „Kann ich gern machen und dann sag ich ihm auch gleich die Meinung, dass er dich vernachlässigt. Tenshi, ich sag dir, da stimmt was nicht!“ „Du siehst überall Gespenster.“ Funkstille in der Leitung. Tenshi wartete auf eine Gegenreaktion. Nichts kam. Ihm wurde mulmig. „Tou … ?“, erkundigte er sich. „Tou, hallo? Alles okay bei dir?“ „Pschhh, warte mal.“ „Tou, was soll mit dem Falken nicht stimmen?“ „Wie, was Falken?“, fragte Tou irritiert, der mit den Gedanken gerade nicht mehr bei ihrem Gespräch war. „Achso, mit dem stimmt auch was nicht, hast du dich schon bei den Kameras eingeklinkt?“ „Nein noch nicht, das mach ich doch immer erst, wenn du das Startsignal gibst. Je kürzer ich mich aktiv einhacke, umso weniger Spuren hinterlassen wir.“ „Ja, ja, jetzt scheiß drauf“, fiel er ihm eilig ins Wort, „Hier ist gerade die Nebelbeleuchtung angegangen und sogar die Zivilen sind wie ein aufgestochener Hornissenhaufen, da stimmt was nicht. Wie lang brauchst du, um ins komplette System reinzukommen?“ Tenshi grinste, was Tou natürlich nicht sehen konnte: „Du sprichst mit dem Besten der Besten!“ „Ja, jetzt laber nich…“ „Schon drin!“, triumphierte Tenshi, „Okay, also in Raum 30 sind die Scotland Yard Chefin und der Museumsdirex. Sie ist nahe am Durchdrehen und so wie es aussieht, hält ihr dieser Taylor gerade einen Vortrag. Das komplette Sicherheitsteam ist zu den beiden unterwegs, die strömen von überall her.“ „Ha-ha, das sieht denen ähnlich. Chaos pur. Ich geh gleich rein, dass Durcheinander muss ich nutzen, scheiß auf den Plan, let´s rock. Hau mir mal Mucke auf die Ohren und check die Aufzeichnungen was passiert ist.“ „Nein, Tou warte…“, aber der Ältere ließ sich nicht aufhalten. Tenshi hielt nicht viel davon, dass Tou nun auch noch Musik hören wollte, er sollte sich lieber konzentrieren und all seine Sinne nutzen, um nicht ertappt zu werden. Niemand war so verrückt und waghalsig wie das Phantom. Er schaltete ihm die gewünschten Songs auf die Ohrknöpfe und hakte sich einige Ebenen tiefer in das Rechnersystem des Museums und checkte die Aufzeichnungen der Überwachung. „Tou, ich hab´s.“ „Schieß los!“ „Taylor ist mit Valentine durchs Museum getigert, er sah ziemlich selbstsicher aus, fast prahlerisch und die Polizeichefin ziemlich nervös, dann hat Taylor das Bild berührt und Chaos perfekt!“, klärte Tenshi seinen Teamleader auf. „Wo bist du?“ „Ich laufe gerade über den Trafalgar Square und bin gleich am Haupteingang!“ „Sag mal, Tou, hast du sie noch alle?“, Tenshi war kreidebleich. Tou zuckte nur mit der Schulter: „Ist doch alles menschenleer hier. Mach dir mal nicht ins Hemd, Kleiner.“ „Mensch, spinnst du?! Da vorne sind doch auch Cams! Sag mir gefälligst vorher, wohin du dich bewegst, wenn du vom Plan abweichst!“ „Du hast doch mein Signal auf dem Schirm!“, zog er den Jüngeren auf, als er die Stufen zum Haupteingang hinauf eilte. „Ich war aber gerade dabei, die Aufzeichnungen zu checken, damit du weißt, was im Museum los war“, verteidigte sich Tenshi. „Doch nicht multitaskingfähig, hä?“, neckte der Dieb weiter. „Tou, bitte konzentrier dich und hör jetzt auf damit. Ich muss erstmal die Aufzeichnungen löschen auf denen du bist und sag mir vorher, wo du lang gehst, damit ich die Kameras rechtzeitig lahm legen kann.“ Tou grummelte. „Wenn du bei unserem Plan und dem ausgearbeiteten Weg geblieben wärst, hätte ich keine Probleme, das zu bewerkstelligen in der gewohnten Geschwindigkeit und du könntest dich frei bewegen. Aber an den Kameras, die unser Plan nicht beinhaltet, sind keine Sender angebracht, da kann ich die Aufzeichnungen nicht so einfach mit einem leeren Standbild überspielen und …“ „Ja, ja, okay, mach schon, ich warte aber nicht lange, da ich die allgemeine Verwirrtheit nutzen will, so eine Gelegenheit bekommen wir nicht nochmal, das wird viel geiler als alles was wir schon gemacht haben“, freute sich Tou wie ein kleines Kind. Indes wurden Mai und der Direktor aus ihrer misslichen Lage befreit. Durch den Alarm hatte sie das Sicherheitssystem hermetisch in dem Ausstellungsraum eingeschlossen. Die stellvertretende Direktorin musste herbei geeilt kommen, da nur noch sie (außer Tristan) zusammen mit dem Sicherheitschef die Gitter entriegeln konnte. Die Security und die Mitarbeiter des Scotland Yard strömten in den Saal und Mai hatte alle Mühe die Situation aufzuklären, ohne dabei Mr. Taylor zu beleidigen, für dessen inkompetentes, absolut dämliches, blödes und unüberlegtes Handeln in einer derart brenzligen Situation. Tenshi hatte nun die Kameras und Aufzeichnungen unter seine völlige Kontrolle gebracht und überprüfte inwieweit das Gebiet sicher war. Dann gab er Tou das finale Go-Zeichen. Dieser schlängelte sich hinter den Säulen hervor und lief über die Treppe nach oben, um einfach so durch den Haupteingang hinein zu spazieren. Tenshi verfolgte seinen leuchtenden Punkt atemlos auf den mittlerweile für ihr System angepassten und digitalisierten Grundrissen des Gebäudes. Er schaltete die entsprechenden Kameras aus und hielt dem Phantom so den Rücken frei. Der Dieb lief einfach und unbehelligt in das Museum hinein. Ein Spaziergang. Der Eingangsbereich war menschenleer, so schlüpfte er durch den großen Saal an der Kasse vorbei und lief die Treppe nach oben. Dort spähte er vorsichtig um die Ecke. „Ist die Luft rein?“ „Alles okay, Tou. Du kannst die Treppe komplett nach oben und dann halte dich links“, wies ihn Tenshi an. Tou lief die Treppe nach oben und hielt sich nicht an die Anweisungen. „Es ist ein riesiger Auflauf rund um Raum 30. Alle Sicherheits- und Polizeikräfte haben sich rund um die Türen gedrängt. Du kannst dich erstmal dort in dem Raum verstecken.“ Tenshi saß zuhause vor dem Bildschirm und lief schon wieder ganz kreidebleich an, als er sah, wie sich der leuchtende Punkt auf seinem Grundrissplan einfach nach der Treppe weiter geradeaus bewegte und nicht dorthin, wo es sicher für ihn gewesen wäre. Tou machte immer, was er wollte und das ergab ein großes Risiko, mit ihm zusammenzuarbeiten. „Was ist vor mir los?“ Tenshi ergab sich dem Willen seines großen Bruders, er würde ja nur wieder nicht auf ihn hören und einen Streit konnte er jetzt auch nicht beginnen, Tou sollte lieber auf sich aufpassen. Seufzend suchte sich Tenshi die Links zu den passenden Kameras und spionierte die Lage aus. „Direkt vor dir stehen alle um die Tür herum und Mai ist noch immer am Toben.“ Tou lief dicht an der Wand weiter zu dem letzten Raum in dem die ganzen Polizisten standen und sich wie eine Traube um die Türen drückten um einen Blick auf das Phantom zu erhaschen, welches nun vermeintlich in dem Raum gefangen war. Tou kicherte unhörbar, als er die ganzen Männer vor sich sah. Alle standen mit dem Rücken zu ihm und keiner achtete auf den Dieb. Für eine Sekunde lang schloss er seine roten Augen und spürte, wie sein ganzer Körper prickelte und das Adrenalin durch seine Adern schoss. Das war genau der Kick, den er brauchte. Es zog von den Zehen bis in die Fingerspitzen und jede Faser seines Körper war angespannt und doch befahl ihm sein Instinkt, ruhig zu bleiben und besonnen. Es war seine Droge. Die Gefahr! Tou holte seinen kleinen harpunenähnlichen Seilwerfer aus dem Halfter an seinem Gürtel und richtete die Mündung nach oben, auf den Balken der Lichtkuppel. Fast geräuschlos schoss die Verankerung samt dem dünnen Drahtseil nach oben. Die minimalen Geräusche gingen in dem Gemurmel der neugierigen Sicherheitsmänner unter. Tou prüfte ob es hielt, dann ließ er sich mit einer Hand an seiner Pistole hängend von der Winde nach oben ziehen. Ein paar Sekunden später saß er schon oben auf dem Balken unter der Lichtkuppel und wartete einfach mal, was passieren würde. Tenshi wischte sich zuhause den Schweiß von der Stirn, Tou war irre. Ein Verrückter. „Bitte mach so etwas nie, nie wieder!“, flüsterte er, was seinen Bruder zum Grinsen brachte. Tenshi prüfte wieder die Kameras und überschrieb die Aufzeichnungen, auf denen das Phantom zu sehen war. Dann schaltete er sich wieder zurück in den Raum, in dem Mai stand. Die Polizeichefin wütete immer noch, als sie endlich befreit wurde und schickte die ganze Mannschaft wieder zurück auf ihre Posten. Viel zu laut und ungeordnet strömten die Beamten und Wachmänner von dem Raum weg. Man hörte ihr Gemurmel und ihr Murren. Kaum einer war mehr aufmerksam, als dass er den leise lachenden Dieb über sich bemerkt hätte. Der Raum leerte sich zusehends, als Mai aufgebracht alle zurück auf ihre Posten scheuchte, da sie mit nur einem Blick erkannte, dass fast das komplette Gebäude jetzt ungesichert war. Sie schäumte immer noch. Derweil war sie noch mit dem Direktor in den Überwachungsräumen, um sich die Kameras anzusehen, vielleicht war das Phantom ja doch schon da gewesen. Wie Recht die Gute hatte, würde sie wohl nie erfahren, wegen Tenshis guter und gründlicher Arbeit. „So du kannst, die Luft ist rein!“, gab er die letzte Anweisung an seinen Bruder. „Okey Dokey!“ Elegant, wie es nur Tou konnte, seilte er sich von seinem Vorsprung ab und lief durch die seitliche Pforte. Hinter dem Stuhl für den Wachmann der tagsüber hier saß und auf die Gemälde achtete, öffnete der Dieb die in die Wand eingelassene und kaum sichtbare Tür der rauminternen Überwachung. Sehr gut, das System war noch nicht vollständig wieder hochgefahren, so konnte er sich diese Arbeit schon sparen. „Wie groß ist mein Zeitfenster noch, bis der Alarm wieder scharf ist?“ Tenshi überprüfte kurz einige Einstellungen, „Maximal eine Minute. An dem System ist noch so viel Altes, das steuert sich nicht komplett über die PC´s es wäre besser du überbrückst den Kontakt!“ Aber Tou langte die Minute. Er wartete gar nicht ab, was ihm sein Bruder noch instruierte, sondern lief gleich los, er wollte keine wertvolle Zeit verlieren. Aus seinem Beutel holte er die entsprechenden Gewichte und nahm das Bild vom Haken, er ersetzte es mit dem, was er mitgebracht hatte und löste auf dem Boden die Leinwand von ihrem Rahmen. „Tou, schnell, es sind drei Wachmänner auf dem Weg, sie haben den Raum gleich erreicht in 15, 14, 13, 12 …“, Tenshi zählte weiter rückwärts. Tou behielt die Ruhe, er hatte das Bild schon fast komplett gelöst. Fix schob er die Leinwand unter das große, braune Besuchersofa, hängte den Rahmen zurück und beförderte sich selbst mit der Seilwinde zu dem Balken unter dem Oberlicht welches am Tag den Raum erhellte. Gerade noch rechtzeitig, kurz bevor die Männer den Raum betraten, war er oben auf dem Betonbalken angekommen und legte sich flach auf den Bauch, so dass man ihn von unten nicht sehen konnte. Ein verräterisches Niesen unterdrückend, beseitigte er den Staub unter seinem Gesicht und verwünschte das Reinigungspersonal. Wieso konnten die hier oben nicht auch Staub wischen? Die Wachmänner betraten den Raum und erstarrten, als sie die Bescherung sahen. Die Drei wollten ihren Augen nicht trauen. „Es ist keine zwei Minuten her, dass wir alle hier waren, wie hat er das gemacht?“ „Höhö, wie wohl?“, dachte Tou, „Das Genie arbeitet, schweigt und genießt den Erfolg!“ Er amüsierte sich köstlich über die Ratlosigkeit der Männer, als sie über Funk ihrer Chefin mitteilten, dass das Bild verschwunden sei. Noch mehr schmunzeln musste er, als das Walki Talki laut knisterte und nicht wirklich dazu in der Lage war einen sauberen Ton zu übertragen, in der Lautstärke wie Mai ihre Kollegen anpflaumte, ob sie sie veräppeln wollten, aber als ihr die Kamera umgeschaltet wurde, fehlte das Bild tatsächlich. Dem dumpfen Gefühl einer Ohnmacht gleich, stütze sich die Scotland Yard Chefin auf dem Pult vor ihr ab und musste einen Augenblick um Fassung ringen. „An alle Einheiten. Das Phantom befindet sich mit Sicherheit noch im Gebäude!“, gab sie die Anweisung per Funk weiter. „Haltet die Augen und Ohren auf, er kann noch nicht weit sein!“ Als sie sich gefangen hatte, machte sie auf dem Absatz kehrt. Sie lief zurück zu Raum 30 und schaute sich die Bescherung an. Die Visitenkarte des Phantoms, zog sie wütend hinter dem Rahmen hervor und warf diese auf den Boden. Man konnte sie gerade noch so zurückhalten, sie nicht mit dem Absatz zu zertreten, vielleicht waren ja diesmal brauchbare Fingerabdrücke darauf. Mai schäumte vor Zorn und Verbitterung. Tou gab auch einen leisen Funkspruch ab: „Tenshi, weck mich, wenn alle abgezogen sind.“ „Wie? Was? Tou?“, aber Tenshi hörte nur noch die ruhigen Atemzüge seines Bruders. Das gab es doch nicht, der machte doch jetzt nicht wirklich in luftiger Höhe bei einem Einbruch ein Nickerchen? Scheinbar doch. Tenshi beobachtete fassungslos die Monitore, sein Bruder antwortete nicht mehr. Es dauerte noch über zwei Stunden bis die Polizei schließlich aufgab und von Dannen zog. Erfolglos und mit hängenden Schultern. Morgen würden die Kollegen von der Spurensicherung den Rest übernehmen und das Museum geschlossen bleiben. Tou hatte sich seinen Kopf gemütlich auf die Arme gebettet und war inzwischen wieder erwacht, weil das geschäftige Treiben um ihn herum nachgelassen hatte. „Tenshi? Hey Kleiner.“ Kurz knisterte es in der Leitung, „Sind alle weg?“ Tenshi war zuhause an sein Headphone gestürmt: „Du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du da oben in zehn Metern Höhe gepennt hast, während alle Welt nach dir gesucht hat, stell dir mal vor, du hättest geschnarcht oder du wärst runter gefallen, oder…“ „Hey, Kleiner“, wurde er unterbrochen und Tou sagte ganz sanft, „es hat doch alles geklappt und wie immer hat mich niemand entdeckt, also ist doch alles in Butter. Und … sind jetzt alle weg?“, um seinen Bruder zu beruhigen. Beleidigt brummelte der: „Ja! Aber mach so was nie, nie wieder. Ich bin hier fast gestorben vor Sorge um dich!“ Tou verdrehte die Augen und lächelte aber dann, er würde seinen kleinen Bruder auch nie in Gefahr wissen wollen: „Ich liebe dich auch!“ Tou seilte sich in dem inzwischen dunklen Raum nach unten und Tenshi setzte sich wieder an den PC und tickerte die Sicherheitssysteme und die Kameras ab, um seinem Großen den Fluchtweg zu ermöglichen. Wie eine Katze geschmeidig kam er auf dem Boden auf und lief zu den Besuchersitzen hinüber. Er holte sich den alten Ölschinken unter dem Sofa hervor und blies den Staub, der jetzt auf dem Gemälde lag weg. Dann schüttelte er seinen weißen Haarschopf, dass dieses simple Versteck niemand bemerkt hatte. Zuhause unter dem Bett wurde doch auch immer zuerst gesucht. Aber gut, ihm sollte es mehr als recht sein. Er packte es vorsichtig ein und ging zu der Zufriedenheit seines Bruders auf dem zuvor vereinbarten und präparierten Weg nach draußen, wobei er noch ihr Equipment einsammelte, das sie zuvor dort zurück gelassen hatten um die Technik des Museums zu manipulieren. Jetzt waren tatsächlich alle ihre Spuren verwischt und niemand würde sie zurückverfolgen können. Sehr zufrieden kam er zuhause an und stellte das Gemälde in ihren gut versteckten Safe im Keller. Er ging nach oben und wurde stürmisch von seinem kleinen Bruder begrüßt, der ihm gleich um den Hals fiel und sich an seine Brust drückte. Tou wuschelte ihm durch die Haare. „Hey Ryou, mein Kleiner! Es ist doch alles gut. Du weißt doch, das mir nichts passieren kann.“ Sein jüngerer Bruder nickte und schlang seine Arme noch fester um den Rücken seines durchgeknallten Bruders. „Ich hab Angst um dich gehabt Bakura, ich hab doch keinen außer dir!“ „Ryou ich habe dir doch versprochen, dass ich immer zu dir zurück komme und auf dich aufpassen werde.“ Ein schwaches Lächeln stahl sich in Ryous Züge, er nickte und sah wieder nach oben in Bakuras rote Augen, sie leuchteten genauso ehrlich wie damals, als er ihm das Versprechen gegeben hatte. Er wurde geweckt vom Rascheln der Decke. „Bakura?“ Verschlafen rieb sich Ryou mit den Handrücken über die Augen und versuchte in der Dunkelheit ihres Zimmers etwas zu erkennen. Ein dunkler Schatten, der zum Fenster schlich. Er drückte sich mit den Armen etwas hoch. „Wo willst du hin?“ „Schhh, schlaf einfach weiter“, knurrte ihn sein Bruder an. Kleine Füße schoben sich unter der kuschelig, warmen Decke heraus über den Rand des Etagenbettes. „Ich will nicht, dass du weg gehst, es ist dunkel draußen“, klang Ryou leicht trotzig. Er wollte in seinem dünnen weißen Nachthemd gerade aus dem Bett krabbeln, da spürte er auch schon wie sich zwei Hände auf seine Schultern legten und ihn zurück ins Bett drückten. „Ryou.“ Er konnte es zwar nicht sehen, aber der schneidende Ton verriet ihn, das Bakura ihn gerade mit zu schmalen Schlitzen zusammengezogenen Augen ärgerlich ansehen musste. „Du bleibst im Bett und schläfst.“ „Nein.“ „Keine Widerrede ich bin der Ältere und du hast zu hören!“ „Ich will aber nicht.“ Bakura rollte mit den Augen, manchmal war sein kleiner Bruder eine echte Nervensäge. „Du bleibst hier, basta!“ Damit drehte er sich um und wollte wieder zum Fenster huschen. Er hielt jedoch inne, als er die Decke verdächtig rascheln hörte. Vorsichtig war Ryou aus dem Bett gestiegen und ihm hinterher getapst. „Ryou?!“ Jetzt war er wirklich ärgerlich. „Was hab ich dir gerade gesagt?“ „Dass du wieder abhauen willst und mit Malik ganz alleine deinen Spaß hast“, motzte Ryou und zog eine Schnute, „ich will auch mit.“ Die kleinen Hände schlossen sich zu einer Faust, um noch mehr Trotz in der Tonlage mitschwingen zu lassen. Fast schon schmerzhaft spürte er, wie sich der Griff um seine Schultern festigte und er wieder zurück zum Bett geschoben wurde. Ryou begann zu schniefen. „Immer darfst du nur alles allein, ich bleib nicht allein zuhause.“ Seine Beine stießen ans Bett an und gleich darauf wurde er unsanft wieder hineinbefördert. „Ich habe keine Zeit mich um kleine Heulsusen zu kümmern“, knurrte Bakura nachdrücklich, „Du bleibst jetzt im Bett und Feierabend damit.“ Ryou wollte gerade wieder anheben: „Und was ist, wenn ich Papa sage, was du machst?“ „Das wirst du nicht tun.“ „Nicht, wenn du mich mitnimmst.“ „Du bleibst! Ende der Diskussion.“ Leises Grummeln kam vom Bett. „Wenn du etwas sagst, überleben es deine Monster-World-Figuren nicht, also überleg es dir besser.“ Bevor Bakura wirklich in Rage geriet, gab er dann doch lieber klein bei. „Okay“, nuschelte er. Der Größere seufzte und machte sich daran, zu gehen, endlich hatte er seine kleine Nervensäge abgewimmelt. Jedoch hielt ihn das Knarren des Lattenrostes zurück. Im schwachen Licht das ins Zimmer hereinfiel, nachdem Bakura das Fenster geöffnet hatte, sah er wie sich sein Bruder herumgedreht hatte und auf die Ellbogen gestützte, um ihm hinter zusehen. „Bakura?“, flüsterte er ganz leise. „Was ist jetzt noch?“ „Ich hab Angst allein.“ Das war ja wieder so klar, diese Memme. Bakura rollte mit den Augen, ging aber nicht mehr darauf ein. „Kommst du wieder?“ „Ja.“ „Ganz bestimmt?“ „Hab ich doch gesagt.“ „Und du passt auch auf, dass dir nichts passiert?“ Es langte doch jetzt langsam mal. „Ryou, mir passiert schon nix.“ Bakura wusste schon, dass es eine endlose Diskussion werden würde, wenn er nicht über seinen Schatten sprang. So ging er noch einmal zurück zum Bett. Ryou drehte sich schon um und legte sich wieder auf den Rücken. Bakura zog ihm die Decke hoch bis an den Hals und setzte sich kurz zu dem Schürzenkind, um ihm über die Wange zu streicheln, was ihn wieder zum Lächeln brachte. In ganz seltenen Momenten konnte Bakura auch mal nett und ehrlich sein. „Und du kommst ganz, garantiert und bestimmt wieder hier her zurück?“ Ein langgezogenes Seufzen entkam ihm. „Ja, ich komme wieder.“ „Gut.“ Zwar nicht zufrieden, aber notgedrungen, kuschelte sich Ryou in die Decke ein. „Versprichst du es mir?“ „Ich verspreche es, ich komme doch immer wieder zurück zu dir!“ Er wuschelte Ryou durch die Haare und grinste, als der Kleinere grummelnd sofort mit beiden Händen die Strähnen wieder glatt strich. Bevor seinem Bruder noch mehr einfallen würde, um ihn aufzuhalten, schwang sich Bakura aus dem offenen Fenster und rutschte am Regenfallrohr nach unten, wo Malik schon ungeduldig wartete. Ryou hörte die beiden dort unten noch tuscheln und bekam auch mit, wie Bakura über ihn herzog. Wie er ihn, um vor Malik größer zu erscheinen, als lästiges Anhängsel und Feigling bezeichnete und wie er ihn diesmal wieder abspeisen musste um endlich weg zu kommen. Das war ja mal so was von gemein. Ryou schnaubte und drehte sich verärgert auf seinen Bauch. „So, ich bin also ein Angsthase“, er zitterte vor Wut, oder war er mehr verletzt davon, das Bakura so von ihm dachte? „Ich werd dir schon zeigen, dass ich genauso Mutig sein kann wie du.“ Mit dem Handrücken wischte sich Ryou die laufende Nase ab, als er aus seinem Bett krabbelte und zum Schrank ging. Schnell hatte er sich ein Shirt und seine Hose übergestreift und schlich sich leise aus dem Zimmer, durch den Flur, die Treppe herunter und drehte vorsichtig den Schlüssel herum. Er hielt die Haustür fest, damit sie nicht so laut aufsprang. Den Schlüssel zog er vorsorglich ab und steckte ihn in seine Hosentasche, über die er mit der Hand tätschelte. „So, Bakura. Du und Malik, ihr werdet schon sehen, dass ich keine Flasche bin!“ Er ärgerte sich immer noch über die verletzenden Worte. Damit stapfte der 7-jährige Knirps den beiden Rabauken hinterher. Ein wenig eifersüchtig war er schon auf Malik, dieser war zwar in seiner Klasse, obwohl fast zwei Jahre älter als er. Und da wurmte es ihn noch mehr, das Bakura ihn seinem eigenen Bruder vorzog. Das war total ungerecht! Er schmollte. Warum sollte Ryou da zuhause bleiben und akzeptieren, dass sich Bakura mit einem Klassenkameraden von ihm abgab, weil dieser Malik ja viel cooler wäre. Der Ägypter hatte ja schon den viel cooleren Decknamen abgesahnt – Falke, und er selbst, Ryou wurde Tenshi genannt. Das war einfach nur blöd, verniedlichend und verharmlosend. Er konnte mindestens so böse, cool und gemein und furchtlos sein, wie die beiden zusammen. Mit den kleinen Füßen stampfte er fest auf den Boden und schaute sich um wo die blöden Jungs waren. In einigem Abstand, stolperte er ihnen dann auch hinterher, Bakura musste ihn ja nicht gleich bemerken, sonst hätte er das Baby bestimmt gleich wieder nach Hause geschickt. Aber so im Dunkeln herumzulaufen, war es doch schon etwas unheimlicher, als es sich Ryou ausgemalt hatte. Wo wollten die beiden nur hin? Bestimmt hatten sie wieder eine blöde Mutprobe ausgeheckt. Die würden Augen machen wenn er es ihnen gleicht tat, danach könnten sie ihn nicht mehr ausgrenzen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen. Denn in der Dunkelheit übersah Ryou eine Wurzelschlinge die so aus dem Waldboden herausragte, dass sein Schuh genau hineinpasste und den kleinen Mann zu Boden riss. Bakura hielt seinen Arm vor Maliks Brust, der ein Stück hinter ihm hertrabte, damit er anhielt. „Hast du das auch gehört?“ Malik schüttelte seinen Kopf. „Willst du mir jetzt Angst machen?“ „Schwachkopf!“ Sofort bekam der Blonde einen Schlag auf den Hinterkopf. „Hör mal, da flennt doch jemand.“ Er lauschte in den Wald hinein und ganz in ihrer Nähe musste noch jemand sein und irgendwie kam ihm das Gejammer auch bekannt vor. Malik kniff die Augen zusammen und horchte angestrengt, ob er auch etwas vernehmen konnte. „Tatsächlich, du hast Recht“, meinte er überrascht. „Hab ich immer, ist ja nix Neues!“, fauchte Bakura, da er sich schon ziemlich sicher war, dass er die Ursache für die Geräusche kannte, „auf, komm mit.“ „Aye-Aye, Käpt‘n“, meinte er bissig. Malik konnte es gar nicht haben, wenn der Ältere ihn herumkommandierte. Die Beiden liefen ein Stück Weg zurück und da saß tatsächlich ein jämmerliches Bündel auf dem Boden und hielt sich den Fuß. Bakura baute sich vor seinem Bruder auf, der ihn flehend ansah. Für heute Nacht könnte er seinen schönen Plan vergessen, Ryou hatte alles durchkreuzt, weil er ja unbedingt nicht auf das hören wollte, was Bakura ihm gesagt hatte. Oh, er war so wütend gerade, weswegen er die Hand erhob und mit aufeinander gebissenen Zähnen und geblähten Nasenflügen auf ihn zuschritt. „Du kleine Heulsuse, wieso bist du nicht zu Hause im Bett und pennst?“ Ryou zuckte zusammen und zog den Kopf schnell zwischen die Schultern. Malik handelte umgehend, er breitete seine Arme aus und stellte sich zwischen Bakura und seinen jüngeren Bruder. Kurz kniff er die Augen zusammen und erwartete, dass er vielleicht einen Schlag abfangen müsste. Er war sich nicht sicher gewesen, ob Bakura nur drohte um dem Kleinen Angst zu machen oder ob er ernst machen würde. Da nichts geschah, öffnete er eines seiner Lider, blinzelte, dann das zweite. Bakura hatte die Hand sinken lassen. „Das bringt doch jetzt nichts mehr, ihn dafür auszuschimpfen.“ Sofort kniete er sich neben Ryou und beachtete Bakura nicht mehr. „Tut es arg weh, was hast du denn gemacht? Und wieso bist du uns nachgelaufen?“ Ryou zog die Nase hoch und schaute Malik dankbar an. Er hatte ihn tatsächlich beschützen wollen, irgendwie war Malik jetzt hoch im Kurs gestiegen. „Mein Fuß, er brennt ganz schlimm“, jammerte Ryou und hielt sich krampfhaft den Knöchel. Malik reichte ihm die Hand. „Kannst du aufstehen?“ Bakura stand ein Stück abseits und hatte missmutig die Arme vor der Brust verschränkt. Ryou sackte zurück auf den Boden. „Nein, es geht nicht.“ Er versuchte die Tränen zu unterdrücken und rieb sich wieder den pochenden Fuß. „Was machen wir jetzt?“ „Hm, dann komm.“ Malik drehte sich um und bot Ryou seinen Rücken an. „Ich trag dich!“ Noch bevor Ryou das Angebot annehmen konnte, hatte Bakura den Ägypter zur Seite gestoßen. Malik rieb sich den Arm und funkelte Bakura an. Doch er beachtete ihn nicht und half seinem kleinen Bruder auf seinen Rücken. „Du halbes Hemd packst ihn sowieso nicht“, schnaubte er verteidigend, „Bis wir zuhause sind, habe ich dann zwei Verletzte an der Backe kleben. Danke, darauf kann ich verzichten.“ Ruppig richtete er sich wieder auf und schritt eilig los, damit Malik ihm ja nicht ins Gesicht blicken konnte. Ryou klammerte sich an seinem großen Bruder fest und legte nach einer Zeit seine Wange an dessen Nacken. „Bist du böse auf mich, Kura?“, flüsterte er leise in die langen Haare. „Ich habe dir Schwächling gesagt du sollst zuhause bleiben“, wich er stur aus. „Tu-tut mir leid.“ So leise, das Malik es unmöglich hören konnte, flüsterte Bakura nach einer Weile: „Ich hab dir doch versprochen ich komme zurück, Ryou. Wieso machst du solche Dummheiten und wartest nicht zuhause auf mich?“ Ryou löste sich von Bakura, der immer noch nicht viel vom kuscheln hielt und nickte. „Ja Kura, ich weiß du hast es mir versprochen und es bis heute auch immer gehalten. Aber ich habe mir trotzdem Sorgen um dich altes Schlitzohr gemacht.“ Dann piekte er ihm in die Seite. „Siehst du, nicht mal ein Meisterdieb wie du kann immer Aufmerksam sein.“ Ryous schokobraune Augen funkelten belustigt und er versuchte ihn noch einmal in die Seite zu stechen. Bakura hielt ihn an den Handgelenken fest. Mit einem diebischen Grinsen meinte er: „Ich kenne da jemand der noch viel kitzeliger ist.“ Er wippte mit seinen Augenbrauen nach oben. „Soll ich mal testen?“ „Lieber nicht. Ich war doch brav und bin zuhause geblieben, wie du es mir aufgetragen hast.“ „Das will ich dir auch raten, denn heute ist kein Malik da der dich beschützt.“ „Tu doch nicht immer so, als ob du total böse wärst.“ Bakura legte Ryou seine Hand auf die Stirn. „Du musst dringend ins Bett, du hast schon Halluzinationen und hohes Fieber.“ „Denkst du“, schnurrte Ryou, „Ich besitze lediglich die Fähigkeit, dich zu durchschauen!“ Als ein lautes Rumoren die neckische Diskussion unterbrach, lachte Ryou. „Na komm, ich hab für den großen Meisterdieb als Belohnung für den gelungenen Coup noch ein Steak in der Küche.“ „Hm, vielleicht ist es manchmal doch nicht so schlecht, wenn du mich durchschauen kannst“, überlegte Bakura laut. Danke für die Beta an :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)