Panem et circenses von UsakoChan (Die Tribute von Panem - Brot und Spiele) ================================================================================ Kapitel 1: Reaping Day ---------------------- „Fröhliche Hungerspiele! Und möge das Glück stets mit euch sein!“ Es ist kurz nach 14 Uhr. Der Tag der Ernte. Ein Tag, der als Feiertag in ganz Panem gilt. Jedenfalls für diejenigen, die nicht Jahr für Jahr mit der Angst leben müssen, als Tribut für das grausamste und menschenverachtendste Ereignis, das die Welt jemals gesehen hat, ausgewählt zu werden. Seit der Rebellion der Distrikte gegen das Kapitol – seitdem als „die dunklen Tage“ bekannt – veranstaltet selbiges jedes Jahr aufs Neue die Hungerspiele; aus den zwölf von einst dreizehn Distrikten werden jeweils ein Junge und ein Mädchen zwischen zwölf und achtzehn Jahren ausgewählt, um trainiert zu werden und sich anschließend in einer eigens für die aktuellen Hungerspiele angefertigten Arena bis auf den Tod zu bekämpfen, bis nur noch ein Tribut am Leben ist. Während das Kapitol jedes Mal ein Fest daraus macht, ist es für die Bewohner der einzelnen Distrikte die reinste Qual. Dreiundzwanzig Familien sind gezwungen mit anzusehen, wie ihre Kinder sterben. Ob nun durch die Hand eines Tributs oder durch höhere Gewalt wie Infektionen oder gar Austrocknung. Es ist kaum vorstellbar, doch es gibt aus Distrikte, 1,2 und 4, die ihre Kinder aufs Töten trainieren und für die es die größte Ehre ist, sich bei der Ernte freiwillig zu melden. Die Statistik zeigt klar und deutlich, dass diese „Karrieretribute“ die Hungerspiele meistens für sich entscheiden. Umso überraschender ist es, wenn gerade ein Tribut aus den äußeren Distrikten gewinnt. Wie letztes Jahr der Junge aus meinem Distrikt – Haymitch Abernathy, Distrikt 12. Es war eine Sensation. Zumal Haymitch das Jubel-Jubiläum, die 50. Hungerspiele, gewonnen hat, in denen nicht nur vierundzwanzig, sondern achtundvierzig Tribute angetreten sind. Es war ziemlich riskant und Haymitch war dem Tod in dem Augenblick so viel näher als dem Leben, doch durch einen Trick hatte er den letzten Tribut, ein Mädchen aus 1, besiegt. Dieses Jahr ist sein erstes als Mentor. Ich kann ihn auf der Bühne neben unserem Bürgermeister sitzen sehen. Er ist sehr angespannt, während Gladis Bellamy, die Betreuerin von Distrikt 12, zu der Glaskugel stiefelt, in der die Namenszettel der zur Wahl stehenden Mädchen sind. Als Siebzehnjährige stehe ich ziemlich weit hinten, doch auch wenn ich von ihnen nur den Rücken sehe, meine ich, die Angst gerade bei den jüngeren Mädchen regelrecht sehen zu können. Während Gladis ihren schlanken Arm in der Kugel verschwinden lässt, suche ich den Blick meines Bruders. Er ist bereits zweiundzwanzig und wurde zum Glück nie ausgewählt. Ihm steht die Sorge um mich ins Gesicht geschrieben. Neben ihm steht Emily, seine Frau, die ebenso viel Angst um mich hat. Ihre wunderschönen, tiefbraunen Augen, die Luca so sehr liebt, sind fest auf mich gerichtet, während ihre Hände schützend auf ihrem Siebenmonatsbauch liegen. „Oh wie spannend! Das ist ja so aufregend“, höre ich Gladis ins Mikrofon flöten. Ich weiß, sie wird gleich den Namen des Mädchens verlesen, das in die Arena muss. Doch ich kann den Blick nicht von Emily und Luca abwenden. Die beiden sind alles an Familie, was ich noch habe. Sowohl unsere als auch Emilys Eltern sind schon lange tot. Ihre Mutter starb vor zwei Jahren an Krebs, noch heute weint sie in stillen Momenten. Ich versuche, so gut es geht sie zu trösten, obwohl ich meine Mutter nie kennen gelernt habe. Als Vater noch lebte, hat er erzählt, sie wäre kurz nach meiner Geburt verstorben. Mein Leben lang hat er versucht, seinen Schmerz in Alkohol zu ertränken, bis er vor ein paar Jahren schließlich daran zu Grunde ging. Durch das Mikrofon kann man auf dem gesamten Platz das Knistern des Namenszettels hören, den Gladis gerade auseinander faltet. Was für wunderbare Eltern das Kind haben wird, denke ich und lächle meiner Familie zu. „Isobel Evans!“ Plötzlich ist alles so still. Emilys Augen werden glasig und füllen sich mit Tränen. Luca weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Augenblicklich stürmt er los, direkt in meine Richtung, doch die Friedenswächter halten ihn auf. Wieso schauen mich alle so an? „Isobel Evans, wo steckst du, Kleines? Komm zu uns auf die Bühne!“ Gladis’ grüne Augen fixieren mich. Mein Gesicht ist ganz groß auf allen Leinwänden auf dem Platz zu sehen. Jetzt verstehe ich! Ich bin es geworden. Ich wurde ausgewählt. Ich bin der einundfünfzigste weibliche Tribut aus Distrikt 12. Ich werde an den Hungerspielen teilnehmen! Fast schon fordernd zerrt Gladis mich zu ihrem Mikrofon. Ich schaue kurz zu Haymitch Abernathy. Von Nahem betrachtet wirkt er weniger angespannt als ganz und gar abwesend. Ob die Gerüchte stimmen? Dass das Kapitol all seine Lieben kurz nach seinem Sieg umgebracht hat? Offiziell glaubt jeder daran, dass es ein Virus war, jeder Bewohner von Distrikt 12 wurde sogar dagegen geimpft. Doch hinter vorgehaltener Hand sagt man, es war nichts weiter als eine gewöhnliche, nutzlose Kochsalzlösung. Gladis geht hinüber zu der Glaskugel mit den Jungennamen, während ich unentwegt zu meinem Bruder schaue. Luca, der sonst so stark und tapfer ist, ist über den Schock, dass ich ausgewählt wurde, zusammen gebrochen und kauert am Boden. Emily hat sich zu ihm runtergebeugt, streicht ihm über den Rücken und spricht ihm beruhigende Worte zu. Dabei ist ihr Blick die ganze Zeit auf mich gerichtet. Sie versucht, die Tränen zurückzuhalten, um an Lucas Stelle stark für mich zu sein. Ich lächle ihr leicht zu, will ihr am liebsten zurufen, sie sollen sich keine Sorgen um mich machen. Doch die Wahrheit ist, dass ich Todesängste habe. Die Hungerspiele sind für das Kapitol ein Spaß. Doch für die vierundzwanzig Tribute ist es ein Freifahrtschein ins Jenseits. Ich sehe dabei zu, wie Casey Taylor, ein dreizehnjähriger Junge, der nur zwei Häuser weiter wohnt, zitternd auf die Bühne kommt. Mir wird schlecht. Werde ich diejenige sein, die ihn umbringt? Wieder schaue ich zu Emily und Luca. Sie werden so wunderbare Eltern werden. So liebevoll. Doch eines Tages müssen sie vielleicht ihr Kind hergeben und ihm über einen Bildschirm, machtlos mit dem Wissen, dagegen nichts tun zu können, beim Sterben zusehen… Fröhlich lächelnd nimmt Gladis ihren Platz vor dem Mikrofon ein. „Ich präsentiere: die Tribute aus Distrikt 12! Casey Taylor! Und Isobel Evans!“ Genauso muss es sich anfühlen, wenn der Hammer vom Richter fällt. So endgültig und unwiderruflich! Auf einmal ist alles anders… Sofort nach Beenden der Ernte werden Casey und ich von den Friedenswächtern ins Justizgebäude geführt. Wir bekommen beide einen Raum zugeteilt. Dort haben wir eine Stunde, um uns von unseren Lieben zu verabschieden. Luca kommt sofort auf mich zu und nimmt mich in den Arm. „Ich habe mir geschworen, immer auf dich aufzupassen … ich habe versagt…“ „Es ist nicht deine Schuld. So ist nun einmal der Lauf der Dinge…“ Ich versuche selbstsicher zu klingen. Doch es gelingt mir nicht und Luca merkt das genauso gut wie ich. „Wie soll ich das überleben, Luca? Was für eine Chance hab ich denn gegen die Karrieros?“ Ich merke, wie die Angst in mir Überhand nimmt. Ich zittere und habe das Gefühl, als würden meine Knie nachgeben. „Du bist schnell. Du hast Ausdauer. Das musst du nutzen“, sagt Emily mit fester Stimme. Sie hat Recht. Die größten Chancen werde ich haben, wenn ich entkommen kann. Emily legt ihre warmen Hände um mein Gesicht und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Erzählst du deinem Kind später von mir?“ Ich kann die Tränen nicht mehr zurück halten und schluchze laut auf. „Oh nein! Das machst du selber. Versprich mir, dass du nicht aufgeben wirst!“ Ich verspreche es. Ich habe Angst, aber aufgeben ist nicht meine Art. Ich bin lernfähig, von daher vielleicht gar nicht so ungeschickt im Umgang mit Waffen. Muskelmasse habe ich kaum, deswegen sollte es von Anfang an meine Strategie sein, auf Distanz zu bleiben. Als die Stunde um ist, nimmt mich Luca wieder in den Arm. Ich schließe die Augen, um mir dieses Gefühl auf ewig einzuprägen. „Pass gut auf deine kleine Familie auf, Bruderherz“, flüstere ich ihm ins Ohr und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. Luca schließt die Arme noch etwas enger um mich. „Bitte komm wieder nach Hause, Izzy…“ Ich versuche, den dicken Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. Ich muss nun Stärke bewahren. Emily hat nur noch die Gelegenheit, mich kurz zu umarmen, da kommt auch schon ein Friedenswächter und führt die beiden weg. Von nun an bin ich auf mich allein gestellt… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)