100 Assoziationen von Eldeen (100 Themen Herausforderung ~ Schreibzieher) ================================================================================ Kapitel 1: Zahnschmerz ---------------------- Eine leichte Brise umspielte die gewaltige Klippe, wirbelte einige Blüten durch die Luft und brachte die dichten Baumkronen im Schatten des gewaltigen Felsens zum Säuseln, während sich im Westen die Sonne dem Horizont näherte und ein warmes, freundliches Farbenspiel an den abendlichen Frühlingshimmel zauberte. Am höchsten Punkt der Klippe befand sich das Drachennest, in dem die Drachenmutter ihren Schweif um den kleinen Jungdrachen gerollt und einen mächtigen Flügel schützend über ihn gelegt hatte, während sie den Sonnenuntergang beobachtete. „Mama?“ Sie hob den Flügel ein wenig an, um ihr Junges anzusehen. „Werde ich auch mal so groß wie du?“ „Aber natürlich“, erwiderte sie und ein Lächeln lag in ihren Augen. „Du wirst einmal ein richtiger, großer Drache sein.“ „Kann ich dann auch feuerspucken?“, fragte das Kleine aufgeregt und mit großen Augen. „Und genauso hoch fliegen?“ „Ja, und ich verrate dir noch etwas“, antwortete die Mutter und senkte verschwörerisch den Kopf näher an den Jungdrachen. „Damit unsere Zähne das Feuer überstehen, sind sie besonders hart und ein echter Drache plagt sich niemals mit Zahnschmerzen herum, so wie es andere Lebewesen müssen. Unsere Zähne halten ein Leben lang.“ „Wirklich?“ „Drachenehrenwort.“ Glücklich und stolz darauf, ein echter Drache zu sein, rollte sich das Kleine daraufhin zusammen und presste seinen Körper näher an den der Mutter. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und nur noch ein leichter, orangefarbener Schein erhellte den westlichen Horizont, als das Drachenjunge die Augen schloss. Mitten in der Nacht erwachte es plötzlich. Im ersten Moment wusste es gar nicht wieso, denn seine Mutter schlief ruhig, die Nacht war klar und bis auf vereinzelte Eulenrufe war nichts zu hören. Als der kleine Drache dann aber ganz wach war, erkannte er schnell den Grund für sein Erwachen – er hatte einen dumpfen Schmerz in seinem Maul. Ängstlich riss der Kleine die Augen auf und sein Herz begann schneller zu schlagen. Der junge Drache starrte seine Mutter an. Wenn er doch ein echter Drache war, dann durfte er keine Zahnschmerzen haben! Wieso also hatte er welche? War er vielleicht kein echter Drache? Was würde seine Mutter sagen, wenn sie erfuhr, dass er Zahnschmerzen hatte? Zitternd stand er vorsichtig auf und schob den Flügel seiner Mutter beiseite. Geduckt schlich er an den Rand des Nests und blickte zurück. Welcher Drache wollte schon ein Junges, das Zahnschmerzen hatte und somit kein echter Drache war? Wären Drachen in der Lage gewesen zu weinen, so hätte der kleine Drache sicherlich geweint, als er aus dem Nest sprang und sich mit leisen Flügelschlägen davon machte. Da er aber nicht weinen konnte, blickte er nur ein letztes Mal unendlich traurig zurück, bevor er sich dem Wald zuwandte. Dort landete er unsanft und suchte Schutz zwischen den Bäumen, um sich unter einer großen Kiefer zusammenzurollen. Was sollte er jetzt bloß tun? Und wenn er kein echter Drache war, was war er dann? Gegen Morgen wachte der kleine Drache auf, weil er ein Geräusch im Unterholz vernommen hatte. Er blieb liegen, wickelte seinen Schweif enger um sich und hob nicht einmal den Kopf, um nachzusehen, woher das Geräusch gekommen war. Sein Zahn schmerzte immer noch, vielleicht sogar noch schlimmer als in der Nacht, aber da war sich der Kleine nicht ganz sicher. Das Rascheln wurde lauter und ein Kaninchen sprang aus einem nahegelegenen Busch, um an einigen Blättern wilder Petersilie zu knabbern. Der kleine Drache beobachtete das Kaninchen reglos, bis dieses ihn schließlich bemerkte und zusammenfuhr. Mit angsterfüllten Augen starrte es ihn an. „Bitte, friss mich nicht!“ Das Drachenjunge sah das kleine, pelzige Tier an und seufzte. „Wieso sollte ich?“, fragte es. „Weil du ein Drache bist“, erwiderte das Kaninchen noch immer zitternd, obwohl es mittlerweile neugierig wirkte. „Nein, ich bin kein echter Drache“, antwortete der Kleine und rollte sich enger zusammen. „Ich habe nämlich Zahnschmerzen und ein echter Drache hat niemals Zahnschmerzen.“ Nun sah das Kaninchen völlig verwirrt aus und traute sich sogar, einige Zentimeter näher zu hoppeln, bevor es den kleinen Drachen genau beäugte. „Aber du siehst aus wie ein Drache“, stellte es fest, während eines seiner Ohren zuckte. „Wie ein ziemlich kleiner Drache.“ „Aber meine Mama hat gesagt, dass Drachen nie Zahnschmerzen haben.“ Das Kaninchen bekam Mitleid mit dem kleinen Drachen, der so verloren dalag und obwohl das pelzige Tier wohl eine leichte Beute gewesen wäre, hoppelte es näher und saß schließlich unmittelbar vor dem Reptil. „Lass mich mal den Zahn sehen.“ Der kleine Drache zögerte und öffnete schließlich langsam sein Maul. Die messerscharfen Zähne des Drachenjungen waren bereits jetzt für das Kaninchen mehr als angsteinflößend. Mit angelegten Ohren und einem leichten Zittern beäugte es die Zähne und entdecke schließlich einen, der leicht schief stand. „Es sieht so aus, als ob der Zahn locker wäre“, stellte das Kaninchen fest und hastig schloss der junge Drache seine Kiefer, um das kleine Tier vor ihm erschrocken anzusehen. Dabei trafen seine Zähne allerdings schwungvoll aufeinander. Mit einem leisen Jaulen sprang das Jungtier auf und öffnete das Maul. Der Zahn fiel geräuschlos in das Gras. Voller Entsetzen starrte der Drache seinen Zahn an und auch das Kaninchen wirkte überrascht, bevor es dann keck den Kopf schieflegte. „Haben Drachen Milchzähne?“, fragte es dann und stellte dabei die Ohren auf. „Milchzähne?“, hakte der junge Drache nach und wirkte sichtlich verwirrt. „Was ist das?“ „Das sind Zähne, die man während der Kindheit hat“, erklärte das Kaninchen und stupste den Drachenzahn vorsichtig an. „Wenn man älter wird, verliert man sie und bekommt die richtigen, bleibenden Zähne.“ „Oh“, machte das Drachenjunge und blickte von seinem Zahn zu dem Kaninchen. „Dann kriege ich einen neuen Zahn?“ „Vielleicht halten nur die bleibenden Drachenzähne Feuer aus“, schlug das Kaninchen als Erklärung vor. „Drachen können doch auch erst feuerspucken, wenn sie erwachsen sind, oder?“ Der kleine Drache nickte eifrig und spürte, wie in ihm die Hoffnung zurückkehrte, dass das alles ganz normal war und dass er doch zu seiner Mutter zurückkehren konnte. „Also bin ich doch ein echter Drache?“ „Sieht ganz so aus“, erwiderte das Kaninchen mild. „Und ich glaube, dass sich deine echte Drachenmutter Sorgen um dich macht.“ „Dann muss ich sofort nach Hause!“, rief der kleine Drache und spreizte die Flügel. Im letzten Moment hielt er inne und blickte noch einmal das Kaninchen an. „Danke!“ Noch bevor das Kaninchen noch etwas sagen konnte, hatte sich der kleine Drache mit kräftigen Flügelschlägen durch die Baumkrone gekämpft, um sich kurz zu orientieren und dann zielstrebig und so schnell wie möglich nach Hause zu fliegen. Dort wurde es von seiner besorgten Mutter empfangen, die ihr Kleines an sich presste und erst nach mehreren Minuten wieder losließ. „Wo bist du gewesen?“, fragte sie halb verärgert, halb erleichtert. „Ich war schon ganz krank vor Sorge!“ Der kleine Drache ließ den Kopf hängen, bevor er seiner Mutter kleinlaut von seinen Erlebnissen erzählte. „Na dann zeig mir doch mal deine Zahnlücke“, forderte sie das Jungtier auf und dieses öffnete etwas ängstlich sein Maul. „Da ist ja schon die Spitze vom neuen Zahn zu sehen! Kein Wunder, dass es gedrückt hat.“ Der kleine Drache tastete mit seiner Zunge nach der Lücke und bemerkte tatsächlich die scharfe Spitze des nachwachsenden Zahns. Stolz richtete es sich auf. „Bald habe ich alle bleibenden Zähne und dann lerne ich Feuerspucken!“, prahlte es. „Ja, bald“, bestätigte die Mutter, auch wenn das Wörtchen ‚bald‘ aus ihrem Mund nach einer deutlich längeren Zeit klang. „Aber flieg bitte nicht wegen jedem Zahn davon, ja?“ „Nein, jetzt weiß ich ja Bescheid“, informierte das Drachenjunge seine Mutter. „Schade, dass ich den Zahn nicht mitgenommen habe…“ Das Kaninchen hingegen hatte natürlich nicht gewusst, ob Drachen wirklich Milchzähne hatten, aber es war froh darüber, dass der junge Drache zu seiner Mutter zurückkehrte, nicht zuletzt weil es dann keine Gefahr mehr lief, gefressen zu werden. Den Drachenzahn hatte das Kaninchen als Andenken behalten, denn einem Drachen begegnete man im Wald schließlich nicht alle Tage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)