Born in the Dark von 13thBlackCat (Im Schatten geboren) ================================================================================ Kapitel 1: Schatten ------------------- Nachdenklich hatte sich Gaara an die Mauer gelehnt. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte unerbittlich auf den heißen Sand, der Sunagakure beherrschte. Sie kam kurz darauf und gesellte sich zu ihm. Er hatte es geahnt und sein Blick verfinsterte sich. Doch davon ließ sie sich nicht abschrecken. Mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen sprach sie ihn an. Er antwortete kurz angebunden. Noch ein paar Mal versuchte sie, ein Gespräch aufzubauen. Vergeblich. Schließlich schwieg auch sie, lächelte aber demonstrativ leicht weiter. Gaara war nahe daran, zu verzweifeln. Er konnte ihre Naivität und Leichtigkeit nicht nachvollziehen. Er mochte keine oberflächlichen Menschen. Aber immerhin war sie endlich ruhig. Er ließ seinen Blick schweifen. Beim Knirschen des Sandes horchte er auf. Ein kleines Mädchen war zu ihnen getreten und stellte sich vor der jungen Frau auf, den Blick neugierig nach oben gerichtet. Wie immer lächelte sie ein strahlendes Lächeln. „Na Kleine, wo kommst denn du her?“ Das Mädchen zog die Augenbrauen zusammen, schien einen Moment angestrengt nachzudenken, dann sagte es mit ernster Stimme: „Warum bist du so traurig?“ Gaara sah, wie sie für einen Moment erstarrte und die Luft anhielt. Für den Bruchteil einer Sekunde entglitten ihr ihre Gesichtszüge und sie sah fast gequält aus, doch das reichte, damit er es bemerkte. Verwundert runzelte er die Stirn und wartete auf ihre Reaktion. „Traurig? Wie kommst du denn darauf? Sieh mal, traurige Menschen weinen, aber ich lache. Ich bin fröhlich.“ Und wieder war da dieses strahlende Lächeln, das selbst die Sonne neidisch machte. Doch das Mädchen ließ nicht locker. „Du bist nicht fröhlich. Fröhliche Menschen sind hübsch. Du bist sehr schön, wenn du fröhlich bist, aber du bist es nicht. Du bist ganz ganz traurig.“ Zur Bekräftigung nickte das Kind. Im Gesicht der Schwarzhaarigen war während dieser Worte eine Änderung vorgegangen. Sie lächelte unentwegt weiter, doch es erreichte nicht mehr ihre Augen. Und als Gaara diese Augen sah, war es, als durchbohrte ihm ein eiskalter Speer das Herz. Sie waren so voller Trauer und Leid, voller unendlichem Schmerz, dass er sich fragte, ob er die Dimension der Qual, die diese Frau durchlebte, überhaupt nachvollziehen konnte, obgleich er doch selbst unermessliches Leid kennengelernt hatte. Nun sah er sie zum ersten Mal wirklich. Nun konnte er zum ersten Mal einen Blick auf den Menschen werfen, der sich hinter der Maske der Fröhlichkeit verbarg. Und er erschrak, als er die Wahrheit für diesen kurzen Moment erkannte. Das Mädchen hatte sie noch einen Moment lang schweigend und mitleidig angesehen, dann war es gegangen. Einen Augenblick war es still, doch dann wandte sich Mineko mit ihrem fröhlichen Gesicht wieder an Gaara und meinte unbekümmert „Sie scheint eine blühende Fantasie zu haben. Kinder!“ Dann blickte sie einmal auf den Stand der Sonne und verabschiedete sich mit den Worten, sie müsse noch etwas erledigen. Gaara lauschte auf ihre sich entfernenden Schritte; dann, als er sie nicht mehr hörte, sprang er auf das nächstgelegene Dach und lief in die Richtung davon, in die sie gegangen war. Nachdem sie außer Hörweite des Kazekage gekommen war, fing die junge Frau an zu rennen. Sie versuchte vor dem zu fliehen, das ihr solche Angst machte. Zuerst dachte sie, es wäre das Mädchen, doch dann erkannte sie, dass sie die Angst eigentlich vor dem hatte, was es beinahe aufgedeckt hätte. Dieses Geheimnis musste um jeden Preis gewahrt werden. Sie hatte einen Augenblick Schwäche gezeigt und hoffte, dass es Gaara entgangen war. Jede Ahnung war gefährlich. Das Zittern, das ihren Körper erfasst hatte, als die Kleine gegangen war, wurde immer stärker. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurde. Ihr Atem drohte zu einem Schluchzen zu werden. Eine Panikattacke war das Letzte, das sie jetzt gebrauchen konnte. Mit allergrößter Anstrengung drängte Mineko die Tränen zurück und zwang sich, ruhig zu bleiben. Es war alles in Ordnung. Sie war sich sicher, dass der Kage nichts bemerkt hatte. Falls doch, wäre es möglich, dass er ihr folgte, um herauszufinden, ob er Grund zur Beunruhigung hat. Und ob er den hatte! Aber das durfte er nicht erfahren, niemals. Nur eine Ahnung und sie würden – sie würden ... Das Zittern begann wieder, stärker diesmal. Sie konnte es nicht mehr kontrollieren. Blind vor Tränen ließ sie sich gegen die Häuserwand fallen und sackte auf dem Boden zusammen. Ihr Schluchzen musste meilenweit zu hören sein, doch nun war es zu spät, sie konnte einfach nicht mehr, hatte keine Kraft mehr, ihre Maske noch länger aufrecht zu erhalten. Sie würden sie töten. Sie würde sterben, wenn es jemand erfuhr. Und es würde ein sehr langer und qualvoller Tod werden, daran hatten sie keinen Zweifel gelassen. Und nicht nur sie würde leiden. Auch alle anderen Bewohner ihres Dorfes waren, ohne es zu wissen, von ihrem Erfolg abhängig. Wenn sie versagte, würden sie ihre ganze grausame Willkür an ihnen auslassen. Mineko wollte sich nicht ausmalen, welche Gräuel die Dorfbewohner erwarteten. Sie durfte es nicht so weit kommen lassen. Jetzt galt es, den Kage mit allen Mitteln davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Sollte er Zweifel gehabt haben, musste die Schwarzhaarige sie im Keim ersticken, bevor sie zu unbändigen Schlingpflanzen wurden, die sie gefangen hielten. Mit letzter Kraft stemmte sie sich hoch, wischte sich die Tränen notdürftig mit dem Ärmel ab, atmete tief durch und zwang ihre Glieder wieder einigermaßen unter ihre Kontrolle. Dann ging sie langsam die kleine Gasse weiter, in der sie Zuflucht gesucht hatte. Am Hintereingang eines Hauses blieb sie schließlich stehen, streckte zögernd eine Hand aus, ließ sie einen Wimpernschlag auf dem alten Holz ruhen, drückte die Tür dann auf, sah sich noch ein letztes Mal um und verschwand schließlich in der Finsternis des Gebäudes, ohne das von Sand umspielte Auge zu bemerken, das schwerelos in den Schatten schwebte. Kapitel 2: Sturm ---------------- „Ehrenwerter Kazekage, ich wurde gesandt, Euch dieses Geschenk als Zeichen der ewigen und unerschütterlichen Freundschaft meines ehrwürdigen Herrn, des Hokage der sechsten Generation, zu überbringen.“ Mit gesenktem Haupt und feierlicher Armbewegung überreichte der Bote dem Berater des Kage eine schmale längliche Holzschatulle, deren Verzierungen allein schon auf ihre Kostbarkeit hinwiesen. Der Berater brachte die Schatulle zu Gaara, der sie mit einem Nicken zur Kenntnis nahm und dem Boten in knappen Worten seinen Dank an den Hokage ausdrückte. Dieser würde diplomatisch genug sein und die Nachricht noch mit öligen Worten ausschmücken, bevor er sie seinem Herrn überbrachte. Und der kannte Gaara gut genug, um zu wissen, dass es alles nur ein einziges Theater war. Ebenso wusste Gaara, dass Naruto ihm nie von sich aus ein Geschenk machen würde. Vermutlich hatten die Ältesten ihn dazu gedrängt oder es vielleicht sogar ohne sein Wissen gesandt. Ihnen lag viel an der guten freundschaftlichen Beziehung zu Suna. Gaara langweilte es nur. Mit einem Wink entließ er den Mann, der sich unter zahlreichen Verbeugungen rückwärts entfernte, und unterdrückte, das Kinn in seine Handfläche gestützt, ein Seufzen, als der nächste Bittsteller kam. Wie er diese Audienzen hasste. Sie stanken nur so nach Falschheit und Heuchelei. Während der junge Mann von seinen Problemen mit seiner Frau berichtete, schweifte der Blick des Kazekages eher zufällig in die Richtung jener Schwarzhaarigen, die sich seit jenem Tag öfter in seine Gedanken schlich, als ihm lieb sein konnte. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre sinnlichen Lippen während sie aufmerksam den Ausführungen des Mannes lauschte und ihre bernsteinfarbenen Augen jede seiner Bewegungen verfolgten. Sie strahlte mit ihrer ganzen Körperhaltung eine natürliche Anmut aus. Seit nunmehr fünf Wochen beobachtete er sie immer wieder, ohne dass sie es bemerkte, doch ihm war seit diesem Vorfall nichts Beunruhigendes mehr aufgefallen. Immer häufiger zweifelte er, ob er sich diesen Ausdruck in ihren Augen nicht doch nur eingebildet hatte. Zwar musste er zugeben, dass es nicht eben typisch für eine Frau wie Mineko war, sich klammheimlich durch den Hintereingang in einer schmalen Gasse eines abgelegenen Stadtteils in ein Haus zu stehlen, doch was ihn eigentlich davon abhielt, seinen Verdacht fallen zu lassen, war ein unbestimmtes mulmiges Gefühl in seiner Magengegend, das ihn seitdem nicht mehr losließ. „Ich weiß, Herr, dass ich als Einwohner von Konoha eigentlich kein Recht auf Euren weisen Rat habe, doch bitte ich Euch, als Euer Gast, mir dennoch einen solchen zu gewähren.“ „Wenn du sie wirklich liebst, dann lasse sie gehen. Ihr Wohl sollte dir dann mehr bedeuten als deines. Und wenn du sie nicht liebst, dann hast du keinen Grund, sie noch länger an dich zu binden.“ Nicht, dass er auch nur im Entferntesten nachempfinden konnte, wie es in einem liebenden Menschen aussah. Er dachte dabei rein pragmatisch und bezog sich nur auf das Wissen, das er sich in vielerlei Gesprächen zu diesem und ähnlichen Themen angeeignet hatte. Danach bedeutete Liebe, dass einem Menschen ein anderer mehr bedeutete und wichtiger war, als er sich selbst und dass der Liebende den Geliebten mit seinem Leben schützen würde. Ein wirklich Liebender hätte diese Frage höchstwahrscheinlich gar nicht erst gestellt, doch da der Mann so lautstark seine Liebe beteuert hatte, war es vermutlich besser, es wenigstens in Betracht zu ziehen, dass er diese Frau wirklich liebte. Der Schwarzhaarige bedankte sich brav und wandte sich zum Gehen. Dabei traf sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf gewisse bernsteinfarbene Augen. Sie lächelte noch immer, doch diesmal strahlte sie eine Ruhe aus, die der Rothaarige nie zuvor an ihr wahrgenommen hatte. Dann ging alles ganz schnell. Der Bittsteller machte auf dem Absatz kehrt und schoss auf den Kazekage zu. Sofort sprangen die Wachen auf, um ihn zurückzuhalten, doch sie waren nicht schnell genug. Mit erbarmungsloser Präzision flogen aus dem Nichts plötzlich hunderte Wurfmesser auf den Kage zu. Doch schon war sein Sand zur Stelle und blockte sie ab. Gaara sprang von seinem Sitz auf und formte sogleich Fingerzeichen für den Gegenangriff, als ihn von hinten ein Schlag mit solcher Wucht traf, dass er haltlos nach vorn stürzte, direkt auf seinen Angreifer zu. Dieser hielt einen langen schmalen Dolch in der Hand, dessen Spitze bedrohlich aufblitzte, als er sie nach vorn schnellen ließ. Im allerletzten Moment warf sich eine der Wachen zwischen den Kage und seinen Tod. Schon durchbohrte die Klinge punktgenau das Herz des Mannes, der ein letztes Mal mit grimmiger Entschlossenheit auf den Attentäter blickte, bevor er leblos zu Boden sank. In der Zwischenzeit hatten sich sechs weitere Wachen durch die fliehenden Menschen nach vorn durchgekämpft und stürzten sich nun auf den jungen Mann, der soeben mit wildem Blick das Messer aus dem Leichnam zog, um sich noch einmal auf den Kazekage zu stürzen. Es bedurfte eines nahezu übermenschlichen Kraftaufwandes der sechs Männer, ihn zu überwinden. Er wehrte sich wie ein Tier; wahnsinnig war sein Blick, seine Schreie unmenschlich. Gaara hatte sich inzwischen wieder gefangen und mit knappem Befehl brachte er seinen Sand dazu, sich um den Mann zu winden und ihn vollends ruhig zu stellen. Die Wachen traten zurück. Zwei von ihnen beugten sich über den toten Körper zu den Füßen ihres Herrn und trugen ihn an den Rand. In ihren Gesichtern zeigte sich tiefe Trauer. Der Mann war allen ein guter Kamerad und wahrer Freund gewesen. Umso hasserfüllter waren die Blicke, die sich auf den Attentäter richteten, welcher sie ebenso erwiderte. Da er aufgehört hatte zu schreien, gab der Sand auf Befehl seines Herrn seine Lippen frei. Ein niederträchtiges Lächeln lag auf ihnen. „Du wirst sterben, Kazekage.“ Gaaras Blick war kalt und emotionslos wie eh und je. Einer der Wachen trat einen Schritt vor. Man sah ihm an, dass er alle Energie darauf verwandte, den Attentäter nicht auf der Stelle zu töten, wie es ihm seine Wut eindringlich befahl. Er wollte gerade zu sprechen ansetzen, als ein Wink des Kage ihn verstummen ließ. Sein Blick verfinsterte sich noch etwas mehr und er trat zurück. „Wer hat dich dafür bezahlt?“ Der Mann schwieg, fixierte den Kage jedoch mit tödlichem Blick. Eine kleine Handbewegung und der Sand schloss den Mann fester ein. Ein leises Keuchen entfloh ihm, doch sonst ließ er sich nichts anmerken. Er hatte kaum noch genug Raum, um zu atmen. „Wer ist dein Auftraggeber?“ Seine Stimme war noch immer so ruhig, als gingen ihn die Geschehnisse gar nichts an. Der Mann schwieg eisern. Ein weiterer kleiner Wink. Ein markerschütternder Schrei. Jeder wusste, was geschehen war, obwohl niemand es sehen konnte: unzählige Dornen hatten sich ins Fleisch des Mannes gebohrt; für den Moment nicht lebensbedrohlich tief, doch zogen sie sich immer wieder ein Stück aus dem Körper zurück, um dann wieder hinein zustoßen, wobei sich die kleinen scharfen Widerhaken immer tiefer ins Leben schnitten. „Antworte mir!“ Zum ersten Mal war etwas wie unterdrückte Wut in der Stimme des Herrschers zu hören. „VERRECKEN sollt ihr, du und deine ganze verfluchte Familie!“ Die Stacheln drangen tiefer. Das Schreien wurde unerträglich. Aus dem Augenwinkel bemerkte Gaara eine Bewegung. Ein kurzer Blick zur Seite sagte ihm, dass Minekos Gesicht jegliche Farbe verloren hatte und sie mit gequältem Ausdruck aus dem Raum floh. Außer ihm schien niemand sonst dem Beachtung zu schenken. Alle Augen waren noch immer auf den Mann gerichtet, der sich aus seinem steinharten Sandgefängnis vergeblich zu befreien versuchte. Gaara kannte Menschen wie ihn. Fanatiker. Er würde nichts sagen, kein Sterbenswörtchen; egal, welche Qualen er auszustehen hatte. Kurzentschlossen ballte er die Hand fest zu Faust. Der Sand tat es ihm nach. Deutlich hörte man das Knacken der Knochen und einen letzten Aufschrei, bevor alles ruhig war. Mit sanftem Rauschen zog sich das Element des Kage zurück und ermöglichte so den freien Blick auf das unförmige Häufchen aus Blut, Fleisch und Knochen, das einmal ein Mensch gewesen war. Sofort traten zwei Wachen zu dem Toten und durchsuchten die Überreste nach Hinweisen zu seiner Herkunft. Allen war klar, dass er unmöglich tatsächlich aus Konoha stammen konnte. Warum hätte er sonst den Tod des Kazekage gewollt? „Richtet den Leuten aus, dass die Audienz für heute beendet ist.“ Ein Diener verbeugte sich und lief eilig davon. Gaara ließ sich wieder auf seinem Sitz nieder und betrachtete nachdenklich das Tun seiner Untergebenen. Er rief sich noch einmal die Abläufe ins Gedächtnis. Der Mann hätte trotz seiner außerordentlichen Schnelligkeit eigentlich keine Gefahr für ihn darstellen dürfen. Doch sein Sand hatte ihn nach dem Angriff mit den Wurfmessern nicht mehr beschützt. Warum nicht? Dann kam ihm der Stoß in den Sinn. Er hatte den Schwarzhaarigen die ganze Zeit vor sich gesehen. Es war ausgeschlossen, dass er sich hinter ihn geschlichen hatte. Er hätte eine Täuschung sofort erkannt. Es musste ein zweiter Feind anwesend gewesen sein. Und zwar in den eigenen Reihen... Augenblicklich ging Gaara gedanklich die Liste der Anwesenden durch. Seine Blicken schweiften in dem Raum umher, visierten jeden einzelnen, drangen durch ihn hindurch und suchten nach einem Anzeichen von Verrat. Nichts. Sie alle waren vertrauenswürdige Menschen. Dass er ihnen dieses Vertrauen dennoch nicht entgegenbringen konnte, lag nicht an ihnen. Einer seiner Männer trat an ihn heran. „Herr, wir können nichts finden. Es gibt keinerlei Hinweise auf seine Herkunft oder seinen Auftraggeber. Wir haben nur das Messer...“ Damit hielt er ihm die Mordwaffe hin. Gaara nahm sie entgegen und wog den Dolch mit gerunzelter Stirn in der Hand. Ihm war, als habe er etwas Wichtiges übersehen, doch er kam nicht darauf, was es war. Immer wieder ging er die Abläufe durch, ließ die Bilder an sich vorbeiziehen. Er konnte den Fehler nicht finden. Ein Poltern direkt neben ihm ließ ihn herumfahren. Ein schlaksiger junger Mann starrte ihn aus großen Augen erschrocken an. „E-Entschuldigt bitte, das war ein Versehen, i-ich wollte sie nicht hinunter stoßen...“ Mit fahrigen Bewegungen hob er die Holzschatulle wieder auf, die er im Vorbeigehen von dem kleinen Tisch gestoßen hatte, auf den Gaara sie gelegt hatte. Er setzte soeben den Deckel wieder auf, als der Kazekage ihm Einhalt gebot. Mit fragendem Blick sah der junge Mann auf. „Gib mir die Schatulle und dann mach´ dich wieder an deine Arbeit.“ Etwas verwirrt legte der Blonde das Holzkästchen in die Hand des Kage, verneigte sich noch einmal und ging dann davon. Unwillkürlich schloss Gaara die Finger fester um das Schmuckstück und atmete einmal tief durch. Das war es, was er übersehen hatte. Noch einmal betrachtete er die Schatulle, bevor er sie nach kurzem Zögern öffnete. In ihrem Inneren zeichnete sich, mit edler roter Seide ausgepolstert, die Form eines langen schmalen Dolches ab. Kapitel 3: Sorgen ----------------- Matsuri saß nachdenklich auf der hohen Mauer, die den Kakteengarten des Kage begrenzte. Unter ihr liefen immer wieder kleinere Gruppen von Menschen vorbei, deren Gesprächsfetzen trotz ihrer unterdrückten Stimmen an ihre Ohren drangen. Der Anschlag war seit nunmehr fünf Tagen das Gesprächsthema der ganzen Stadt. Die Leute wussten nicht viel mehr, als dass es einige Bedenken wegen der Herkunft des Messers gab. Diese und ähnliche Halbwahrheiten ebneten den Boden für allerlei Gerüchte, eines haarsträubender als das andere. Dabei war die Wahrheit noch viel schlimmer. Die Stimmung der Leute hatte sich mit jedem Tag etwas mehr verändert. Anfängliches Entsetzen und der überall herrschende Unglauben hatten sich in Wut und Zorn einerseits, sowie Angst und Hilflosigkeit andererseits umgewandelt. Über der gesamten Stadt lag ein Schleier des Misstrauens gegenüber Jedermann. Immer wieder sah das Mädchen unter einem Gewand die Klinge eines Dolches aufblitzen, manche Einwohner trugen ihre Schwerter ganz offen, eine stumme Warnung. Sie alle hatten Angst. Seufzend erhob sich die Dunkelblonde, klopfte den Sand aus ihren Kleidern und sprang kurzerhand hinunter in den Garten, wo sie beim Aufkommen einigen Staub aufwirbelte. Drei Zebrafinken flogen auf und sie sah ihnen betrübt nach. Wenn doch die unsichtbare Bedrohung auch so einfach davonfliegen könnte! Ein Blick zur Sonne sagte ihr, dass die Besprechung, der Gaara beiwohnen musste, beendet war. Unverzüglich wandte sie sich dem Palast zu, um ihn aufzusuchen. Er hatte am Morgen keine Zeit für das Training gehabt, doch sie vermutete, dass er sie absichtlich mied. Am vergangenen Abend war er beim Abschied ausgesprochen gereizt gewesen, nachdem sie ihn die ganze Zeit zu überreden versucht hatte, eine Leibwache als Schutz vor weiteren Anschlägen anzustellen. In ihrer Verzweiflung war sie sogar so weit gegangen, sich selbst vorzuschlagen. Das hatte ihn die Diskussion abrupt beenden lassen. Ohne allzu große Hoffnungen, ihn anzutreffen, klopfte Matsuri gegen die Tür zu seinen Zimmern. Wie erwartet erhielt sie keine Antwort. Mutlos ließ sie die Schultern hängen. Es war nicht unüblich, dass er nicht dort war, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, er ging ihr aus dem Weg. Dabei wollte sie nur, dass er sicher war! Wenn sie den Erzählungen der Augenzeugen Glauben schenken konnte, dann hatte sein Sand ihn bei dem Attentat nicht so geschützt, wie er es üblicherweise tat. Gaara hatte, als sie ihn darauf angesprochen hatte, nur geschwiegen und sie nach einem zweiten Versuch aufgefordert, sich auf die Übungen zu konzentrieren. Noch immer war sie nicht in der Lage, das Jutsu richtig auszuführen. Ihre Gedanken kreisten so unaufhörlich um ihren Sensei, dass sie seit Nächten kaum mehr ein Auge zugetan hatte und am Tage schaffte sie es immer weniger, sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, so sehr sie sich auch bemühte. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, ging sie zurück in den Garten und setzte sich an den Rand einer kahlen Fläche. Der Sand war jetzt, am frühen Nachmittag, heiß und trocken. Sie rief sich die richtigen Fingerzeichen ins Gedächtnis und fing dann an, sie zu formen um den Sand dazu zu bringen, sich wellenförmig fortzubewegen. Gaara hatte ihr gesagt, dass sie es erst auf einer kleinen Fläche üben sollte, bevor sie es draußen in der Wüste wiederholten. Dieses Jutsu konnte in vielerlei Hinsicht nützlich sein, aber trotz ihrer Mühen gelang es ihr ein weiteres Mal nicht, auch nur ein Körnchen vom Fleck zu bekommen. Frustriert gab sie es auf als sie Schritte hinter sich vernahm. In Erwartung eines roten Haarschopfes drehte sie sich um, erkannte aber schnell, dass nicht der Kage sich zu ihr gesellte, sondern die junge Frau, die sie schon des Öfteren bei den Abgesandten hatte sitzen sehen. Wie immer lächelte sie. „Hallo Matsuri. Machst du Fortschritte?“ Mineko hockte sich neben sie und musterte kurz die Sandfläche, die noch immer unverändert vor ihnen lag. Die Jüngere schüttelte den Kopf. „Ich bekomme zur Zeit einfach keinen klaren Kopf. Zu viele Gedanken bestürmen mich.“ Sie lächelte traurig. „Nachts kann ich kaum schlafen.“ Mineko sah sie mitleidig an und setzte sich neben die Dunkelblonde. „Geht es um den Anschlag?“ Sie nickte. „Ich befürchte, dass ihm etwas zustößt“, flüsterte Matsuri. „Er weigert sich, einige Männer zu seinem Schutz mitzunehmen. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch machen soll...“ Schluchzend verbarg sie das Gesicht in ihren Händen. Mineko legte ihr sanft einen Arm um die Schultern und zog sie näher zu sich. „Ich h-habe solche Angst... um ihn...“ Minekos Augen wurden feucht bei der fast greifbaren Verzweiflung des Mädchens. Die Tränen weg blinzelnd sah sie in den Himmel und versuchte, an etwas anderes zu denken. Dunkle Wolkenberge türmten sich am Horizont. Schon bald würde ein Unwetter über sie hereinbrechen. Beinahe eine halbe Stunde saßen sie dort am Boden. Matsuri hatte sich schließlich beruhigt und auch ihr Schluchzen war endlich verstummt. Nun lag sie erschöpft und niedergeschlagen in den Armen der Schwarzhaarigen und starrte mit leerem Blick auf die Sandfläche vor ihr. Mineko beobachtete, wie die Wolken langsam näher kamen. Erst als ein Schauder die Jüngere durchlief, wandte sie ihr den Blick wieder zu. „Es hat sich ziemlich abgekühlt. Wir sollten zurück gehen.“ Damit strich sie ihr noch einmal über den Rücken und stand, als Matsuri sich erhob, ebenfalls auf. Gemeinsam gingen sie den Weg zurück. Als sie das Halbdunkel betraten, holte die Dunkelblonde tief Luft, bevor sie ihre Begleiterin bat: „Mineko, ich weiß, dass ich kein Recht dazu habe, aber ich weiß einfach nicht weiter...“ Die Schwarzhaarige blieb stehen und sah ihr fragend in die schwarzen Augen. Matsuri atmete noch einmal tief ein und aus. „Ich bitte dich, rede du mit ihm. Vielleicht hört er auf dich! Du bist meine letzte Hoffnung. Ich würde es nicht verkraften, wenn er getötet würde...“ Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen, doch sie sah der Älteren fest in die Augen, die ihren Blick ruhig erwiderte. „Du liebst ihn, nicht wahr?“ Ihre Augenbrauen zogen sich schmerzhaft zusammen und sie senkte nun doch den Kopf, nickte aber. Mineko atmete aus. „Gut, ich werde mit ihm sprechen. Erwarte aber nicht zu viel, okay?“ Dabei legte sie ihr eine Hand auf die Schulter. Das Mädchen nickte. „Danke“, hauchte Matsuri, schlang dann ihre Arme um die junge Frau und nach einem Augenblick der Verwirrung erwiderte Mineko die Umarmung. „Ist schon gut“, flüsterte sie. Die beiden Frauen lösten sich voneinander, als sie Schritte auf dem Gang hörten. Kurz darauf kam der Kazekage um eine Ecke, blieb aber abrupt stehen, als er die beiden erblickte. Mineko lächelte sofort wieder. Matsuri sah errötend zu Boden. Obwohl es kaum möglich war, fürchtete sie, dass Gaara einen Teil der Unterhaltung mitangehört haben könnte. Dieser ließ sich jedoch nichts anmerken. „Ein Sturm zieht auf, Matsuri. Du solltest nach Hause gehen.“ Seine Stimme war so gefühlskalt wie immer. Die Dunkelblonde wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch als sie den Blick des Rothaarigen sah, schwieg sie und nickte nach kurzem Zögern. Als sie sich zum Gehen wandte, fing sie noch einen aufmunternden Blick von Mineko auf, dann ging sie in Richtung Garten davon. Als ihre Schritte verklungen waren, breitete sich Schweigen zwischen den beiden Zurückgebliebenen aus. Schließlich ergriff Gaara das Wort: „Du kannst es dir sparen, mich zu belehren. Ich werde meine Meinung nicht ändern.“ „Ihr irrt Euch. Ich hatte nicht vor, Euch umzustimmen, denn ich weiß sehr wohl, dass das nicht möglich ist.“ Gaara sah sie zweifelnd an. „Ich wollte Euch nur mitteilen, dass Euer Verhalten egoistisch und verantwortungslos ist“, fuhr sie fort, „denn Ihr habt kein Recht, Euer Leben so leichtfertig auf's Spiel zu setzen. Im Gegenteil – Ihr habt die Pflicht, es zu schützen, so sehr Ihr könnt, denn von Eurem Tod seid nicht Ihr allein betroffen, sondern alle Einwohner Sunas und genauso Eure Verbündeten. Als Kage solltet Ihr soviel Weitblick haben.“ Gaaras Augen wurden schmal. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging er an ihr vorbei und auf den Garten zu, der mittlerweile in einem trüben, bedrückenden Dämmerlicht lag. In dem Moment trat eine Diener aus einer Seitentür und begann, die Laternen an den Wänden zu entzünden. Mineko eilte hinter dem Kage her und holte ihn schnell ein. Während sie schweigend neben ihm her schritt, bemerkte sie seine zu Fäusten geballten Hände und die angespannten Kiefermuskeln. Lange Zeit war das Heulen des Windes das einzig hörbare Geräusch. Beim ersten Regentropfen, der sie traf, begann der Kazekage mit heiserer Stimme zu sprechen: „Das Leben ist ein merkwürdiger Zustand. So sehr man an seinem eigenen hängt, gibt es doch immer einen Menschen, für den wir es gerne geben würden.“ „Aber nie ist dieser Mensch bereit, es auch anzunehmen“, entgegnete Mineko. „Wie könnte man auch verlangen, dass er mit dem Schmerz weiterleben muss? Welchen Wert hat sein Leben dann noch für ihn?“ Gaara blickte verbittert zu Boden. Die Schwarzhaarige betrachtete ihn von der Seite. „Einen Wert, den es ohne den Tod seines Beschützers nie erlangt hätte!“ Sie zögerte kurz. Dann fuhr sie mit einer im Donnergrollen fast unhörbaren Stimme fort: „Den Wert der Liebe...“ Gaara sah überrascht auf, doch die junge Frau hatte sich abgewandt und sah in den Himmel hinauf. Ihre sonst so strahlenden Züge wirkten in dem Dämmerlicht entrückt. Die Regentropfen auf ihrem Gesicht zeichneten dünne Linien auf die bronzene Haut und plötzlich war der Rothaarige sich nicht mehr sicher, ob es wirklich Regen war. Ihre bernsteinfarbenen Augen blickten in eine weite Ferne, die niemand außer ihr wahrnehmen konnte. Ein jähes Gefühl durchzuckte ihn. Schmerz, Trauer und noch etwas anderes, das er nicht ganz benennen konnte. Eine unbestimmte Sehnsucht... Ein gleißend heller Blitz, dicht gefolgt von dröhnendem Donner, riss ihn aus seiner Verwirrung. Ohne noch darüber nachzudenken, packte er Minekos Oberarm und zog sie in Richtung des Palastes. Sie schien aus einem Traum zu erwachen und sah sich einen Augenblick orientierungslos um. „Was ist?“ „Wir sollten rein gehen. Das Unwetter ...“ Der Körper des Kage reagierte noch ehe er sich des bedrohlichen Gefühles überhaupt bewusst war. Er stieß die Schwarzhaarige zu Boden und ließ sich selbst zur anderen Seite fallen. Bevor er den Boden berührte, formte der Sand einen schützenden Schild um ihn, gerade noch rechtzeitig, um die kaum sichtbaren Waffen abzuwehren, die auf den jungen Mann zugeschossen kamen. Ihm war augenblicklich klar, dass es sich nicht um normales Kampfgerät handelte. Wie von selbst formten seine Hände die Zeichen und mit rasender Geschwindigkeit bildete sich ein Kegel aus Sand um Mineko, die noch immer dort lag, wo er sie hin gestoßen hatte. Ohne Zeitverlust ließ er direkt darauf einen Sturm aus sehr feinkörnigem Sand aufkommen, um seinen unsichtbaren Gegner zu enttarnen. Für einen kurzen Moment schloss er, den Rhythmus der Sandwirbel nach der störenden Stelle durchsuchend, die Augen, doch bevor er den genauen Standort des Feindes hatte orten können, musste er zwei weiteren dieser merkwürdigen Geschosse ausweichen und zu seinem größten Entsetzen streifte ihn eine der schwach silbrig schimmernden Klingen am Arm. Sein Sand hatte ihn abermals im Stich gelassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)