Die Vergangenheit holt einen immer ein von makotochan271986 ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Titel: Die Vergangenheit holt dich immer ein Autor: makoto chan Pairing: Omi x Nagi Betaleserin: DeepSilence Disclaimer: Ich verdiene mit dieser Geschichte kein Geld. Die Handlung ist frei erfunden, die Charaktere gehören alleine dem Autor Kyoko Tsuchiya. Kapitel 1 Wie viele Jahre lebte er schon hier? Wie viel Zeit war seit dem Zusammentreffen vergangen? Fragen, die er versuchte zu verdrängen. Würde es ihn überhaupt weiterbringen, wenn er sich ihnen stellte? Die Vergangenheit konnte man nicht ändern und viel war in den vergangenen Jahren geschehen. Eine Freundschaft, die nach nur zwei Jahren vorbei gewesen war. Eine Erinnerung, an die er gern dachte. Der Eintritt bei Weiß, neue Bekanntschaften. Mehr Stress, mehr Verantwortung. Doch das Gefühl, gut aufgenommen worden zu sein, bestand auch heute noch. Mit Ken hatte er sich auf Anhieb verstanden, mit Yohji hatte er auch keine Probleme. Aya war der Einzige, an den er nicht gleich herangekommen war. Omi konnte sich gut an den Tag erinnern, an dem Aya ihm zum ersten Mal, seit er zu Weiß gekommen war, von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Ken war beim Fußballspielen gewesen und Yohji hatte sich mal wieder mit irgendeiner Frau getroffen. Aya hatte im Wohnzimmer in einem Sessel gesessen. In dem Sessel, in dem er immer saß und las hatte er sich dazu entschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten. Gegenüber seinem Leader setzte er sich auf die hellbraune Couch und musterte ihn eindringlich. Omi schaute Aya an und er versank dabei in Gedanken, erst ein Räuspern holte ihn wieder ins hier und jetzt zurück. „Kannst du bitte aufhören mich so anzusehen?“ Eigentlich wusste er sehr genau, dass Aya es nicht mochte, angestarrt zu werden. Trotzdem hatte er sich gerade eben nicht zurückhalten können. „Ich frage mich nur die ganze Zeit, warum du bei Weiß bist.“ „Ich möchte nicht darüber sprechen, Omi.“ Omi sah nicht ein, warum er das Thema jetzt auf sich beruhen lassen sollte, auch wenn er wusste, dass es Aya nicht gefallen würde. Kurz grübelte er, denn jetzt musste er seine Worte richtig wählen. „Das ist mir durchaus bewusst, aber du bist… ja, wie soll ich das sagen? So geheimnisvoll.“ „So bin ich nun mal, kann ich nicht ändern.“ Er wandte den Blick nicht von seinem Leader ab, denn aus jeder noch so kleinen Gefühlsregung, die sich in Ayas Gesicht widerspiegeln würde, würde er eventuell mehr herauslesen können, doch leider war das bei Aya nicht ganz so leicht. Der Rothaarige war für ihn immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. „Ja, das bist du.“, bestätigte er noch einmal. „Wir wissen nur aus dem Fernsehen, was mit deiner Familie passiert ist. Du weißt das.“ „Ist das denn so wichtig?“ „Also für mich schon. Ich will dich einfach besser kennenlernen. Ich mag dich, Aya, sehr sogar. Es macht mich traurig, zu sehen, dass wir dir nicht helfen können.“ Er setzte einen besorgten Blick auf. „Schau mich nicht so an, Omi. Ich habe schon meine Gründe.“ Er sprang auf und sah Aya aus wütend funkelnden Augen an. „Ich verstehe dich einfach nicht! Glaubst du, dass Aya-chan das gewollt hätte?“ Je länger er den Rothaarigen ansah, desto feindseliger wurde er, wusste, dass Aya dies nicht entging, gar nicht entgehen konnte. „Lass meine Schwester aus dem Spiel!“ „Ihr seid für mich auch immer da, auch wenn ich alleine sein will. Du brauchst einen Freund.“ Doch der Ältere blieb eiskalt. „Ob du es glaubst oder nicht, ich brauche niemanden.“ Omi drehte sich um und stürmte in sein Zimmer davon. Er hatte doch eigentlich von vornherein gewusst, dass es nichts brachte mit Aya zu reden, aber trotzdem wollte er etwas über den Rothaarigen erfahren. Wütend und enttäuscht schlug er seine Zimmertür zu, um sich gleich darauf aufs Bett zu schmeißen. Ohne zu wissen, warum, begannen ihm die Tränen übers Gesicht zu laufen. Minuten vergingen – dann klopfte es plötzlich. „Aya?“, brachte Omi leise über die Lippen. Die Tür wurde geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen, er merkte, dass sich jemand behutsam auf sein Bett setzte. Erst da schlug er die Augen auf. „Es tut mir leid, Omi. Aber mich hat noch nie jemand danach gefragt oder besser gesagt, ich habe solche Fragen noch nie beantwortet.“ Ayas Gesichtsausdruck hatte sich nicht nennenswert verändert, doch seine Stimme verriet ihn. Mit vom Weinen geröteten Augen sah er zu dem rothaarigen Mann auf. „Mir tut’s leid, dass ich überhaupt gefragt habe. War keine gute Idee, überhaupt damit anzufangen. Aber Kens und Yohjis Vergangenheit kenne ich auch und ich weiß, warum sie bei Weiß sind. Von dir weiß ich nur, dass du deine Familie verloren hast, die Hintergründe kenne weder ich noch Yohji oder Ken.“ „Wenn ich ehrlich bin, würde ich die lieber für mich behalten. Aber so, wie ich dich kenne, wirst du eh nicht locker lassen.“ Omi nickte und Aya lehnte sich ans Kopfende des Betts. Fragend sah er den Älteren an, als der für einen Moment die Augen schloss. Es war unverkennbar, dass Aya mit sich kämpfte und er schwieg, um ihm Zeit zu geben sich zu sammeln. Auch wenn er nur ein paar Details erfahren würde – Aya würde hier und jetzt bestimmt nicht sein ganzes Leben vor ihm ausbreiten – war es immer noch mehr, als er zu erfahren gehofft hatte. Eigentlich und im Grunde seines Herzens hatte er doch damit gerechnet, dass Aya versuchen würde, die Angelegenheit totzuschweigen. Mit jedem Wort, das über die Lippen des Rothaarigen kam, verstand Omi besser, weshalb Aya die ganze Zeit über schwieg. Das war nichts, worüber man gerne und freiwillig sprach, doch Ayas Stimmlage war ruhig und kühl. Die Disziplin, die Aya an den Tag legte, war einfach bewundernswert, schoss es ihm durch den Kopf. In seiner Stimme schwang nicht ein einziges Mal überhaupt ein Gefühl mit. Für Omi ein deutliches Zeichen, wie nahe ihm der Tod seiner Eltern wirklich ging und wie das Koma der Schwester an seinen Nerven zehrte. Eigentlich war es erstaunlich, wie so ein junger Mann überhaupt so ein Durchhaltevermögen an den Tag legen konnte. Omi wusste, er an Ayas Stell hätte das aus eigener Kraft nie geschafft. Für ihn war Aya ein Vorbild, einer der immer wieder aufstand, egal, wie dreckig es einen ging. Jemand, der für seine Familie einstand. Je länger Omi seinen Teamkollegen betrachtete und an die anderen zwei Jungs dachte, desto größer wurde seine Gewissheit, dass es etwas gab, was sie alle miteinander verband. Sei es nun ihre Vergangenheit, die unterschiedlicher nicht sein konnte oder eine Zukunft, die nicht absehbar war. Ein Schicksal, das sie durch ihr Handeln selbst besiegelten. Ein Weg, auf dem man nicht mehr umkehren konnte, sobald man einmal eingeschlagen hatte. Die Gespräche wurden tiefer, emotionaler. Ken, Yohji und Aya waren immer da, wenn er Halt brauchte, er konnte zu ihnen gehen, wenn ihm etwas auf dem Herzen lag und so war er auch für die anderen da. Keiner von ihnen hatte eine schöne Vergangenheit, doch leider gehörte sie zu ihnen wie ihr Schatten. Jeder einzelne von ihnen wusste, was sie zu Weiß geführt hatte. Rache, Verlust, Trauma, Verrat. All dies beinhaltete eine gewisse Trauer und jeder von ihnen hatte seine eigene Art, die Schrecken von Vergangenheit und Gegenwart zu bewältigen oder zu verdrängen. Ken hielt seine Fassade mit Fußball aufrecht, trainierte die Kinder am nahegelegenen Sportplatz, ließ sich nicht anmerken, was er durchgemacht hatte oder was er eigentlich tat. Vor den Kindern wollte er ganz er selbst sein. Omi wusste, dass sein bester Freund – denn das war Ken für ihn geworden – normal behandelt werden wollte, genauso wie jeder andere im Team. Es war auch unnötig, einander die eigenen Fehler oder Vergehen vor Augen zu halten. Yohji vergnügte sich mit Frauen, wollte Spaß, um über den Verlust seiner Freundin hinwegzukommen. Zumindest vermutete Omi, dass das der Grund für sein playboyhaftes Verhalten war. Doch was auch immer dahinterstecken mochte, er konnte dem Teamältesten sein Handeln nicht verdenken. Wer könnte das auch? Asuka war ein Teil seines Lebens gewesen und sie war ihm vor seinen Augen genommen worden. Und Aya? Aya wollte Rache für seine Familie. Seine Maske legte er wohl nur dann ab, wenn er ganz alleine war. Eine Maske, mit der er sich selbst schützte, hatte Omi irgendwann für sich festgehalten, denn etwas Genaues würde er in absehbarer Zeit eher nicht von Aya erfahren. Doch nach dem Gespräch, das sie miteinander geführt hatten, lag dieser Schluss nahe. Und was war mit ihm, Omi, selbst? Er wusste schon gar nicht mehr, wie oft er sich in stillen Momenten gefragt hatte, wann er endlich ein normales Leben führen konnte? Wahrscheinlich viel zu oft und eigentlich kannte er die Antwort längst. Es würde nie passieren. Er würde nie wieder ein ganz normaler Junge sein. Ihr altes Leben, ihr altes Ich, alles, was vorher gewesen war, würden sie nie wieder in den Händen halten können. Jeder von ihnen hatte sein jetziges Leben akzeptiert. Was blieb ihnen anderes übrig? Es war schon schwer genug, diese Identität aufrecht zu erhalten. Wie sollte ihr Leben funktionieren, wenn sie zu viele Leute in ihr Leben ließen? Man konnte mit ihnen Spaß haben, gar keine Frage, aber das Risiko, dass ihnen etwas zustoßen könnte, war zu groß. Sie respektierten sich, hatten ihren eigenen Spaß; selbst der sonst so emotionslose Aya ließ seit geraumer Zeit ein Lächeln zu. Aber es gab etwas in Omis Leben, was er nicht vergessen konnte, und auch nicht wollte. Es war das Einzige, woran er sich noch aus seiner Vergangenheit erinnern konnte, war ein kleiner Junge mit braunen Haaren. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, als ob sie sich schon Jahre kennen würden. Sie waren sogar beste Freunde geworden und er verband auch heute noch viele schöne Erinnerungen mit dieser Freundschaft. Doch dann war dieser Junge einfach ohne ein Abschiedswort gegangen. Er war traurig und wütend zugleich gewesen. Aber vielleicht hatte er es so gewollt, ohne ein Wort einfach zu gehen. Hätte es den Abschied einfacher gemacht, wenn er davon gewusst hätte? Mit Sicherheit nicht. Es hätte es nur noch schlimmer gemacht. Sein Leben war danach in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Es ging drunter und drüber. Erst die Entführung und die Angst, dort nie wieder lebend rauszukommen. Zu erfahren, dass man seinem Vater nichts wert war. Verlassen und verraten von der eigenen Familie. Nach diesem Vorfall hatte er sein Gedächnis verloren. Der Junge war das Einzige, an das er sich noch erinnern konnte. Wie er wohl jetzt aussah? Würde er ihn überhaupt wiedererkennen? Er wusste es nicht. Oft hatte er versucht ihn zu finden. Vergebens. Nach drei Jahren des Suchens hatte er schließlich einfach aufgegeben. Vielleicht wollte er nicht gefunden werden. °°° °°° °°° Es war dunkel und kalt, sehr ungewöhnlich für diese Jahreszeit, war es doch mitten im Sommer. Verängstigt und weinend saß Omi in einer Ecke und schwieg, die Angst, dass man ihm etwas antun könnte, war zu groß. Drei Männer waren anwesend. Einer von ihnen trug seine blonden Haare zu einem Zopf gebunden und hatte eine Zigarette im Mundwinkel. Er war groß gewachsen, trug ein dunkles Shirt, welches so eng anlag, dass sich die Muskeln deutlich abzeichneten. Die Jeans, die er trug, schien eine Nummer zu groß zu sein, denn die Säume waren hinten ausgefranst, als wäre er dort ständig draufgetreten. Er hieß scheinbar Masaki. Der Zweite in der Runde, Akira, war etwas kleiner als Masaki. Mit verschränkten Armen stand er am Fenster, ohne ihn zu beachten. Er war sportlich gekleidet, eine hellblaue Jogginghose und sein Sweatshirt hatte dieselbe Farbe. Braune Haare fielen ihm ins Gesicht. Der dritte Mann, Soichiro, hatte kurze schwarze Haare. Das Langarmshirt verdeckte seinen dicken Bauch kaum, obwohl es eine Nummer zu groß war und man nicht einmal die Fingerspitzen sehen konnte. Seine Stoffhose schien auch schon bessere Tage erlebt zu haben. Er saß am Tisch, das rechte Bein über das linke geschlagen, und ließ ihn nicht aus den Augen. Omi hatte ein gutes Namensgedächtnis, auch wenn er ahnte, dass dies mit Sicherheit nicht ihre richtigen Namen waren. Der Raum, in dem sie sich befanden, war nicht gerade groß. Es gab einen kleinen Tisch, der in der Mitte stand, an jeder Seite stand ein Stuhl und auf dem, der am weitesten von ihm entfernt war, saß Soichiro. Die Lampe, die schon bessere Tage gesehen hatte, flackerte immer wieder auf. Mehr war da nicht zu finden, die einzige Möglichkeit zu entkommen, war eine Tür, die schon mehrmals eingetreten worden zu sein schien, und ein kleines Fenster. Langsam kam Bewegung in die Männer. Akira trat auf ihn zu. Er kroch noch tiefer in die Ecke, merkte dann aber, dass es nicht weiter ging und er dem Mann ausgeliefert war. Ein fieses Lächeln umspielte die Mundwinkel des Entführers. „Na, mein Kleiner? Bete zu Gott, dass dein Vater das Lösegeld bezahlt, sonst bringen wir dich um.“ Die Stimme klang fest, kein Anzeichen dafür, dass der Mann sich nicht sicher war. Omi brachte keinen Ton heraus. Die Tränen, die seine Wangen benetzten, sprachen ihre eigene Sprache. Akira drehte ihm wieder den Rücken zu, wandte sich zu seinen Mitstreitern um. „Werden wir mal den werten Herrn Papa anrufen und das Lösegeld für seinen Sohn einfordern.“ Ein Lachen durchdrang den kleinen Raum, verängstigte ihn noch mehr. Der Kleinste der drei zog sich schwarze Handschuhe über, griff in seine Jackentasche, holte ein Handy heraus und legte ein weißes Tuch auf den Hörer, nachdem er eine Nummer gewählt hatte. Es dauerte nicht lange, da wurde der Anruf angenommen. „Haben Sie das Lösegeld?“, kam die direkte Frage von Masaki. Kurze Stille kehrte ein, dann gab es unerwartet einen wütenden Schrei, gefolgt von einer Unmenge an Schimpfworten und Flüchen. Einige davon kannte Omi, auch wenn er sich denken konnte, dass manche nicht gerade harmlos oder gar für Kinderohren bestimmt waren und sie ihn entsetzten, hielt er sich die Ohren zu. Akira knallte das Handy auf dem Tisch, ignorierte die Fragen seiner Mitstreiter und kam mit schnellen Schritten auf ihn zu, packte ihm am Kragen und zog ihn auf die wackligen Beine. Da schrie er zum ersten Mal vor Angst auf. „Ja, schrei, solange du noch kannst, Kleiner, denn das wird das Letzte sein, was du in deinem kurzen Leben noch tun kannst. Da sieht man mal, wie wichtig einem der eigene Sohn ist.“ Der Mann schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, immer und immer wieder, ließ seinen Frust an ihm aus. „Was soll das, Mann? Bevor du dich an dem Jungen vergreifst, klär uns erst mal auf.“ Soichiro schrie seinem Gegenüber ins Gesicht. Akira atmete kurz ein und aus, entfernte sich etwas von Omi, der mit voller Wucht zu Boden fiel, als er so plötzlich losgelassen wurde. Er rieb sich den schmerzenden Hinterkopf, der bei dem Sturz an der Wand angestoßen war, kurz hatte er Sterne gesehen. „Er wird das Lösegeld nicht bezahlen, er meinte wir sollen mit dem Jungen machen, was wir wollen, es wäre ihm egal.“ Stille kehrte ein. Plötzlich legte eine Frage Omis ganzes Denken lahm. Warum? Je mehr er sich das fragte, desto schmerzlicher zog sich sein Herz zusammen. Die Erkenntnis, dass all die Zeit, die er in der großen Villa mit seiner Familie gelebt hatte, mit Schmerzen verbunden war, nahm überhand. Er schrie. Schrie seinen Schmerz in den kleinen Raum, sodass alle Anwesenden ihn hören konnten. Soichiro war mit schnellen Schritten bei ihm, holte wie sein Vorgänger immer wieder mit der Hand aus, als er nach dem ersten Schlag nicht schwieg. Omi wehrte sich nicht, hatte nicht die Kraft, noch um sein Leben zu kämpfen. Er wurde angeschrien, geschüttelt, in die Bewusstlosigkeit geprügelt, bis er alles vergaß und in die Finsternis gezogen wurde. Das Letzte, was er noch mitbekam, bevor er das Bewusstsein verlor, war das Gelächter seiner Entführer. Ein lauter Knall folgte, das flackernde Licht der Glühbirne gab den Geist endgültig auf. Stille kehrte für einen Augenblick ein, bis sie plötzlich ein Geräusch hörten, das so klang, als hätte man einen Stein aus Versehen mit dem Fuß angestoßen. Soichiro, Masaki und Akira verhielten sich schlagartig ruhig. Omi kam langsam wieder zu Bewusstsein, als plötzlich die Tür krachend aus den Angeln flog. Wie viele Personen dort standen, konnte er nicht sagen, stattdessen verkroch er sich noch tiefer in die Ecke, als er es eh schon getan hatte. Kein Wort fiel. Die drei Männer näherten sich langsam und vorsichtig der Tür. Wie gut sie bewaffnet waren, sah er zum ersten Mal, als jeder von ihnen eine Pistole zog. Dann schrie plötzlich einer von ihnen auf. Ängstlich hielt sich Omi die Ohren zu, versuchte alles, was um ihn herum geschah, auszublenden. Die Stimmen, die Schritte, einfach alles, was ihn Angst machte. „Wer ist da?“, schrie Akira in die Dunkelheit. Eine Antwort bekam er auf seine Frage nicht. Das kleine Fenster war die einzige Lichtquelle, die noch vorhanden war. Ein Schuss folgte, traf aber in der Dunkelheit sein Ziel nicht. Wenigstens glaubte Omi das, weil kein Schmerzensschrei folgte. Im schwachen Licht, welches von den Straßenlaternen vor dem Fenster ausging, konnte man gerade noch die Umrisse mehrerer Personen erkennen, die plötzlich aus dem stockfinsteren Flur auftauchten. Seine Entführer hatten keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Die neuen Leute setzten sie so schnell außer Gefecht, dass sie überhaupt keine Chance hatten, sich irgendwie zur Wehr zu setzen. Nur am Rande bekam er mit, dass man seine Entführer schließlich fortschleifte. Schritte kamen auf ihn zu. Eine junge Frau mit roten Haaren kam in sein Sichtfeld, als sie sich vor ihn kniete. Tränen liefen über seine Wangen. Die Frau strich sie liebevoll weg, reichte ihm ihre Hand, wartete aber, bis er danach griff. Als er aus dem Raum geführt wurde, griff ein älterer Mann seine Hand, hielt sie fest. Die rothaarige Frau entfernte sich von ihnen, ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Der Mann, der mit ihm einen langen Flur zur Flucht nahm, kam ihm bekannt vor. Doch je mehr er versuchte sich daran zu erinnern, wer er war oder woher er ihn zu kennen glaubte, desto stärker schmerzte sein Kopf. Mit Tränen in den Augen rannte er, ohne darauf zu achten, ob sie verfolgt wurden. Die Hand des Mannes ließ er nicht los. Erst als sie das Gebäude hinter sich gelassen hatten, blieben sie stehen. Keuchend sank Omi auf den Boden. Der Mann vor ihm hatte einen Vollbart, trug eine Brille und hatte schwarze, kurze Haare. „Wie geht es dir, Kleiner?“ Omi schaute den Mann vor sich, verwirrt und verzweifelt an. „Wer bist du?“, war das Einzige, was er herausbekam. Der Mann ging auf Augenhöhe mit ihm, legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Ich bin von der Polizei. Wie heißt du?“ Doch Omi schüttelte nur stumm den Kopf. Er bekam kein Wort mehr heraus, die Angst, etwas könne passieren, schnürte ihm noch immer die Kehle zu. Der Mann vor ihm kam ihn zwar irgendwie bekannt vor, doch er hatte immer noch keine Ahnung, woher er ihn kennen sollte. „Ruh dich erst einmal aus. Wir werden dich von hier wegbringen. Die Frau, die du gerade gesehen hast, wird dich begleiten.“ Omi schwieg weiterhin. Was sollte er sagen? Alles in ihm schrie danach, von diesem Ort wegzukommen. Ein paar Stunden waren seit dem Vorfall vergangen und man hatte ihn in ein kleines Apartment gebracht, doch er hatte während der ganzen Zeit nicht ein Wort gesprochen. Omi war der Blick, der immer wieder auf ihm ruhte und dafür sorgte, dass er sich unwohl fühlte, nicht entgangen. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich auf die helle Couch, die an der Wand stand. Die Knie zog er fest und schutzsuchend an den Oberkörper. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Manx aufstand und in die angrenzende Küche verschwand. Kurze Zeit später kehrte sie mit einer Tasse Tee zurück, reichte sie ihm und setzte sich dann wieder hin. Omi schaute verwirrt auf die Tasse, erst dann hob er den Kopf und sah in Manx’ ernstes Gesicht. „Trink erst mal was, das wird dir gut tun.“ Vorsichtig pustete er in die Tasse, um sich nicht die Zunge zu verbrennen, erst dann traute er sich, einen Schluck zu nehmen. Omi schaute sich zaghaft im Zimmer um. Es war hell und freundlich eingerichtet. Er mochte warme und helle Farben besonders. Ein großes Sideboard nahm die kleine Wand vor ihm ganz ein, darauf befand sie ein kleiner Fernseher. Links von ihm war ein größeres Fenster, nein, eigentlich war es eine Tür, die auf einen Balkon führte, soweit er es erkennen konnte. Vor ihm stand ein ovaler Glastisch, auf dem ein Blumenstrauß stand. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Frau vor ihm. Ihre Haare waren zusammengebunden. Sie trug einen kurzen roten Rock und wie eine rote Jacke. Auch wenn er sie erst kurz kannte, fand er sie freundlich. Völlig in Gedanken versunken merkte er nicht, dass er angesprochen wurde. Erst als Manx sich laut räusperte, kam Omi wieder zu sich. „Ein Arzt wird gleich vorbeikommen, um zu schauen, wie es dir geht. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin bei dir, falls was ein sollte.“ Omi schwieg, hörte sich alles an, was Manx von sich gab, doch dann kehrte wieder Stille ein, bis es an der Tür klingelte. Manx öffnete und ließ den Arzt eintreten. Ein großer Mann mit dunkelbraunen Haaren und einem schwarzen Koffer kam auf Omi zu. Er grüßte Manx und ging ohne weiter auf sie ein zu gehen auf Omi zu, langsam, um ihn nicht zu erschrecken. „Hallo, mein Name ist Monoki. Schön, dich kennenzulernen. Ich würde mich gern vergewissern, ob es dir gut geht. Sag mir bitte, wenn dir etwas wehtun sollte. Nur so kann ich dir helfen.“ Omi schüttelte den Kopf, kauerte sich weiter zusammen, sah aus dem Augenwinkel, dass Manx den Arzt besorgt anschaute. Monoki entfernte sich von ihm. Er konnte sehen, dass sie über etwas sprachen, was es war, wusste er nicht, nach ein paar Minuten kehrten beide zu ihm zurück. Manx blieb in Omis Nähe. Monoki kniete sich vorsichtig vor ihm hin. „Ich werde dir jetzt eine Spritze geben, damit du dich besser fühlst.“ Kein Wort, keine Reaktion. Der Arzt wandte sich wieder an Manx. Manx holte aus einem der anderen Zimmer einen Manga um Omi davon abzulenken. Man konnte bei einem Kind nie sagen, wie es reagieren würde, wenn es eine Spritze bekommen sollte. Mit Ablenkung konnte man bei einem Kind viel erreichen, wenn es ängstlich war oder, wie Omi, traumatisiert. „Ich werde dir was vorlesen“ Ein Nicken folgte und sie zeigte Omi den Einband, der den Titel „Sixteen Life“ trug. Sie setzte sich neben ihn, sah ihn kurz an und begann zu erzählen. Erst als sie seine volle Aufmerksamkeit hatte, machte sich der Arzt daran, dem Jungen eine Spritze zu geben. Omi bekam davon nichts mit, er war zu vertieft in den Shojo-Manga. Manx schaute nicht auf sondern las einfach weiter. Als der Arzt fertig war, gab er Manx zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Ein Kopfnicken folgte und sie gab Omi den Manga in die Hand. Beide entfernten sich von ihm. Er vertiefte sich immer mehr in die Welt der Hauptcharaktere. „ Es wäre besser, wenn Sie erst mal einen anderen Arzt zu Rate ziehen. Kritiker hat spezielle Ärzte, die für solche Fälle geschult sind. Soweit ich es sehen kann, sind aber keine bedrohlichen Verletzungen vorhanden. Die Kratzer werden schnell heilen. Das ist nicht schlimmer, als wenn ein Kind beim Spielen stürzt und sich die Knie aufschlägt. Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ „Trotzdem danke.“ „Tun Sie das.“ Doktor Monoki streckte Manx seine rechte Hand hin, wartet darauf, dass die Geste erwidert wurde und verließ danach das Apartment. Manx setzte sich wieder zu Omi auf die Couch und las mit Omi den Manga weiter. Sie hatte den Auftrag bekommen sich um den Jungen zu kümmern und sie tat es gern. Erst als Omi mitten im Manga einschlief, holte sie eine Decke aus einem Schrank nebenan und deckte ihn zu. Liebevoll strich sie über sein Gesicht, um ihm eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, die auf seiner Wange lag. Er schlief ruhig und das zauberte ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hatte sich einmal im Stillen geschworen für Persha alles zu tun, auch wenn das hieß den Jungen wie einen Augenapfel zu hüten, doch da sie selbst keine Kinder hatte, kam ihr dieser Auftrag gerade recht. Die Tage und Monate vergingen. Der Gedächtnisverlust wurde zwei Tage nach seiner Ankunft im Apartment festgestellt. Manx hat damals darauf bestanden, Omi ein paar Tage Zeit zu geben um zur Ruhe zu kommen. Ein Spezialist von Persha nahm sich daher seiner an. Schritt für Schritt arbeiteten sie daran, dass er wieder ein normales Leben führen konnte. Er trug den Namen Tsukiyono Omi. Stück für Stück nahm er sein Leben wieder auf. Manx zog ganz in das Apartment, um rund um die Uhr bei Omi sein zu können. Sie ging in ihrer Rolle vollkommen auf. Ein Privatlehrer, der ebenfalls für Persha arbeitete, übernahm den Privatunterricht für Omi. Außerdem bekam er immer Besuch von einem Mann namens Takami. In ihm erkannte er den Polizeibeamten wieder, mit dem er aus dem Gebäude, in dem er während seiner Entführung festgehalten worden war, geflohen war. Und auch Birman, Takamis Sekretärin, wurde Teil dieser kleinen Gruppe, wie Omi alle seine Bekannten heimlich nannte. Von ihr wurde er im Kampfsport unterrichtet. Er entdeckte seine Leidenschaft für Computer und Technik und Manx sorgte dafür, dass er auch auf diesem Interessengebiet gefördert wurde. Und schon waren vier Jahre ins Land gegangen. °°° °°° °°° Die Entscheidung, die sein restliches Leben beeinflussen würde, fiel auf Weiß. Erst vor zwei Jahren war er der Gruppe beigetreten, die zu dem Zeitpunkt nur aus Ken, Yohji und ihm bestand, später kam Aya dazu. Er war mittlerweile ein Spezialist im Umgang mit Computern, ein brillanter Hacker. Er plante die Einsätze und führte sie mit seinen Kollegen aus. Von seiner eigenen Familie wollte er nichts wissen. Als er erfahren hatte, dass er zur Familie Takatori gehörte, hatte er Weiß zuerst den Rücken kehren wollen, da er wusste, wie sehr Aya diese Familie hasste. Omi hatte nie in Frage gestellt, was er tat, bis zu diesem Tag. Durch die Entführung hatte er seine Familie aus seinem Leben verbannt und erst jetzt, wo er älter war und alles begreifen konnte, kehrten die Erinnerungen zurück, die das Trauma, das er durch die Entführung erlitten hatte, verdrängt hatte. Aya war derjenige gewesen, der ihm ins Gewissen geredet hatte. Aya wollte, dass er blieb. Immerhin trug er ja keine Schuld an seiner Herkunft und konnte auch nichts daran ändern. Wenn der Name Takatori fiel, fühlte er zwar, dass ihn mit dieser Familie etwas verband, aber er hatte nie das Bedürfnis, weiter darauf einzugehen. Nicht, wenn jemand aus dieser Familie daran schuld war, dass einer seiner Freunde seinen schlimmsten Albtraum durchlebte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)