Vertrau mir deine Flügel an von Erenya ================================================================================ Kapitel 7: Ein Kuss geschenkt in der Nacht ------------------------------------------ Nachdem die Männer sich zu einem ernsten Gespräch versammelt hatten um über die Geschehnisse in Osaka zu reden, hatte Mizu ihren Eimer in unmittelbarer Nähe von ihnen getragen und angefangen den Boden zu putzen. “Wenn ich Serizawa-san nur nicht aus den Augen gelassen hätte…”, brummte Kondou, der sich die Schuld für die Vorkommnisse auf der Reise gab. Mizu konnte sich aber nicht vorstellen, dass mehr Aufmerksamkeit auf das zweite Oberhaupt der Roshigumi, wirklich den Vorfall hätte abwenden können. Vor Mizus innerem Auge blitzte das Bild des alten Mannes auf, der auf der einen Seite so großväterlich wirkte, aber im inneren so verdorben wie fauliges Obst war. “Eure Ausreden sind mir egal!” Erschrocken zuckte Mizu zusammen, als der sonst so ruhige Hijikata seine Stimme erhob und seinen Unmut breit machte. “Warum zum Teufel habt ihr eure Schwerter gegen unbewaffnete Männer gezogen?!” Es war deutlich zu hören, dass Hijikata genug von den fadenscheinigen Ausreden seiner Männer hatte und nun die Wahrheit wissen wollte. “Dann werde ich meinen Bauch aufschlitzen, dafür, dass ich vom Weg eines Kämpfers abgekommen bin.” Mizus Augen weiteten sich, als sie Soujis Stimme hörte und den kalten Unterton in seinen Worten bemerkte. Er war wirklich bereit zu sterben und für sein Vergehen zu büßen, wenn Hijikata es forderte. Zitternd erhob sich Mizu vom Boden und suchte Halt an einem Holzpfeiler. Ein grausiger Schmerz durchzog ihr Herz, das mit einem Mal langsamer zu schlagen schien. Innerlich flehte sie aber Hijikata an, dass er von Souji nicht den Seppuku forderte. “Deinen Bauch aufschlitzen wird diese Angelegenheit nicht lösen!” Erleichtert ließ sich Mizu an dem Holzpfeiler wieder zu Boden gleiten. Sie wusste, was Hijikatas Worte bedeuteten und sie war froh, dass Souji nicht sterben musste. Der Nachmittag verstrich und Mizu hatte, als die Sonne unterging, alle Arbeiten erledigt. Müde lief die Brünette zum Tor, das ihr den Weg in die Freiheit weisen würde, sobald sie es durchquert hatte. “Geht es Eri-chan gut?” Mizu war noch nicht einmal richtig aus dem Tor raus, als sie Haradas Stimme vernahm. Fragend sah sie neben sich, wo der großgewachsene Krieger an der Mauer gelehnt stand. Das Mädchen verstand, dass der Krieger scheinbar hier auf sie gewartet hatte um sie nach Erenyas Befinden zu fragen. “Ihr geht es gut… Aber…” Kurz hielt Mizu inne und sah zu Boden. Sie überlegte, wie sie dem Krieger erklären sollte, was mit ihrer Freundin und Mitbewohnerin war. “Lhikan sagte, dass sie kein Mensch ist. Und scheinbar ist gerade ihre nicht-menschliche Seite erwacht. Sie schläft nicht, sie isst nicht… Sie starrt einfach nur auf dieses Schwert das in der Ecke steht und schweigt.” Mit wenigen Worten beschrieb Mizu den Zustand, in dem Erenya sich wieder befand. Alles war wie am Anfang. Sie konnten sie nicht einmal berühren, ohne dass sie kalt ihre Stimme erhob und sie mit ihren leeren amethystfarbenen Augen ansah. “Was ist passiert?” Ernst fixierten Haradas goldbraunen Augen das Mädchen, das ihm nur einen traurigen, mitleidigen Blick schenkte. “Harada-kun…”, flüsterte sie leise und seufzte innerlich. Sie wusste um die Gefühle des Kriegers. Und sie ahnte, dass Erenya ähnlich wie er empfand. ‘Haben sie überhaupt eine Zukunft… wenn Erenya doch kein Mensch ist?’, fragte sich die Brünette ohne ihren Blick von dem Krieger zu nehmen. Sollte sie sagen was sie dachte? Sollte sie ihm zu verstehen geben, dass er seine Gefühle für Erenya besser unterdrückte? Würde das ihrer Freundin helfen? Oder wäre es der schlimmste Verrat, den sie an dem Puppenmädchen begehen konnte? “Aufwiedersehen!” Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lief Mizu los. Sie musste weg, bevor sie einen Fehler beging und beiden das Herz brach. Auch, wenn sie befürchtete, dass die beiden einander in der Zukunft verletzen würden. Die Sonne war vollends untergegangen, als Daren ein Lokal in Shimabara betrat und bei einem Schälchen Sake und gutem Essen entspannen wollte. Langsam ließ der Oni seinen Blick durch das Lokal streifen, in dem bereits angetrunkene Krieger ihre trockenen Kehlen mit Sake und Schnäpsen befeuchteten. Es war ein gewohntes Bild, das sich ihm hier bot. Zumindest fast, denn in der Menge erkannte er einen blonden Schopf, der wie der Mond am Abendhimmel hervorstach. Ruhig lief Daren dahin, wo der ihm Bekannte saß und genehmigte sich den freien Platz, dem der Mann den Rücken zugewandt hatte. “Was treibt dich in die Hauptstadt, Kazama?”, fragte er ruhig, wissend, dass der Blonde seine Stimme trotz des Tumults nur zu deutlich hörte. “Tze… Dasselbe könnte ich dich fragen. Spielst du wieder deine Spielchen mit den Menschen?” Ein Grinsen huschte über Darens Gesicht, als Kazama ihn nun eine Frage stellte, statt seine zu beantworten. Das konnte nur bedeuten, dass der Bekannte etwas zu verbergen hatte. Aber ihm konnte das auch egal sein, denn obwohl sie einander kannten und auch recht gut miteinander auskamen, waren ihre Ziele und Hoffnungen von Grund auf verschieden. “Nein. Ich bin hier, weil ich etwas suche, dass das lästige Geflügel verloren hat.” Leicht verzog Kazama das Gesicht, als Daren von den Engeln anfing. Er wusste, wie groß die Abneigung gegenüber des Federviehs war und auch, dass der alte Freund alles versuchen würde um sie auszulöschen. Ihm hingegen war das Geflügel egal, solange es ihn in Ruhe ließ. “Und was haben sie verloren?”, fragte er schließlich und nippte an seinem Schälchen Sake. Es war nicht so, dass er es wirklich wissen wollte. Vielmehr wollte er abschätzen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war den Engeln über den Weg zu laufen. “Ihr letztes Püppchen…” Ein breites Grinsen lag auf Darens Gesicht, als er die Worte aussprach. Er spürte, dass Kazama in seiner Bewegung inne hielt und sich der wahren Bedeutung seiner Antwort bewusst wurde. Zufrieden sah der Oni auf den Sake, der vor ihm auf den Tisch platziert wurde. “Ich dachte, das sehende Geschlecht sei ausgestorben”, antwortete Kazama schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens. Kurz dachte Daren darüber nach was er sagen sollte. Er hoffte, dass er den Kühlen von seinem Plan überzeugen konnte, denn er wollte nicht, dass dieser sich ihm in den Weg stellte. “Nicht ganz. Sie ist die Letzte ihres Geschlechts und wurde von einem Schneeengel aus ihrem goldenen Käfig befreit. Stell dir die Macht und die Möglichkeiten vor, die wir bekommen, wenn wir sie als Erstes finden. Weder Menschen noch Engel können unser Volk dann noch dezimieren”, erklärte er und sah mit leuchtenden Augen zur Decke. Er sah dieses Utopia förmlich vor sich. Und es war zum greifen nahe. Das musste selbst Kazama Chikage, der mächtigste Oni des Westens, erkennen. “Tze…” Es war ein leiser, verächtlicher Laut, der Darens Hoffnung auf eine Zusammenarbeit zunichte machte. “Bist du etwa anderer Meinung, Kazama?”, fragte er deswegen und wandte seinen Kopf leicht zu ihm um. “Wenn du ihr ‘Püppchen’ benutzt, bist du nicht besser als das, was du hasst. Onis sind nicht dazu bestimmt sich offen mit Menschen oder Geflügel anzulegen. Die Ruhe unserer Heimat… das ist unsere Bestimmung.” Wütend über Kazamas Worte sprang Daren auf und wandte sich nun gänzlich zu dem Blonden um. “Und der Yukimura-Clan?! Hast du vergessen, was die Menschen mit den stärksten Onis des Ostens gemacht haben? Wir können nie in Frieden leben, wenn weder Menschen noch Engel ihn uns lassen!” Hass spiegelte sich mit jedem Wort, das Daren sprach, in seinen Augen wider. Selbst wenn Kazama diesen erbärmlichen Würmern vergeben hatte, er würde das nie tun. “Der Untergang des Yukimura-Clans war in der Tat ein Verlust und sollte sich nicht mehr wiederholen. Zumindest werde ich dafür sorgen, dass meinem Clan nicht dasselbe widerfährt.” Ruhig erhob sich Kazama von seinem Platz, als er das letzte Sakeschälchen gelehrt hatte, und wandte sich dem Gehen zu. Er hatte keine Lust sich länger mit Daren über dessen größenwahnsinnigen Ideen zu unterhalten. “Du willst einfach so gehen ohne über meinen Plan nachzudenken?” Kazama hörte die wütenden Worte, die ihm Daren nachrief. Doch er lief nicht einfach weiter und ignorierte ihn, so wie er es eigentlich geplant hatte. Er blieb stehen und sah den Oni aus seinen roten Augen heraus ernst an. “Ich muss nicht darüber nachdenken. Es ist offensichtlich, dass dein Plan zum Scheitern verurteilt ist. Und wenn du nicht aufpasst, Kurokage, wird dieses ‘Püppchen’ dein Untergang sein.” Ohne ein weiteres Wort, verließ Kazama das Lokal und ließ Daren wütend mit seinen Plänen alleine zurück. ‘Du wirst schon sehen, Kazama… Ich werde nicht versagen!’ Ein Seufzen kam über Mizus Lippen, als sie nach Hause kam und Erenya, wie am Morgen, auf ihrem Futon saß und das Schwert in der Ecke anstarrte. Mizu erkannte, dass das Mädchen sich wohl während ihrer Abwesenheit keinen Zentimeter bewegt hatte. “Erenya?” Vorsichtig näherte sich die Kriegerstochter dem Mädchen, das puppenhaft weiter zu dem Schwert starrte, aber nicht auf sie reagierte. “Harada-kun hat nach dir gefragt. Ich glaube er macht sich Sorgen um dich. Soll ich ihn zum Abendessen einladen?” Schritt für Schritt kam Mizu dem Mädchen näher, das nun doch auf ihre Worte reagierte und sie ansah. “Harada-kun?”, fragte sie leise, aber vollkommen emotionslos. “Ja genau. Harada-kun von der Roshigumi. Du scheinst ihm viel zu bedeuten, Eri-chan.” Da Erenya scheinbar auf Harada reagierte, hoffte Mizu, dass sie der Puppe mehr Worte entlockte, wenn sie über den Krieger sprach. Doch ihre Hoffnungen wurden zerschlagen, als Erenya ihren Blick wieder zu dem Schwert wandt. “Harada-kun…”, flüsterte Erenya noch mal leise, ehe sie wieder für den restlichen Abend schwieg. Obwohl Erenya in ihrem Futon lag, konnte sie nicht schlafen. Stumm starrte sie bis zum Morgengrauen an die Holzdecke. “Harada-kun…” Leise kam ihr der Name des Kriegers über die Lippen, als sie sich erhob und aus ihrem Futon stieg. Sie wusste nicht, warum sie tat was sie eben machte. Sie folgte einfach nur ihrem Instinkt und ging zu dem Schwert, das in der Ecke stand. Ohne zu zögern griff sie zu dem Kampfgerät, das sich so vertraut in ihren Händen anfühlte. In ihrem Inneren keimte die Gewissheit auf, dass sie diese Waffe schon einmal geführt hatte. Sie hatte damit ihr Leben vor dem Bösen dieser Welt gerettet. Das Blut das sie beschworen hatte, leuchtete vor ihren Augen auf. Sie sah es förmlich noch an der Klinge kleben. “Harada-kun…”, flüsterte sie, als sie mit dem Schwert in der Hand langsam zum Ausgang lief. Sie hörte nicht einmal, wie das scharfe Metall über den hölzernen Boden kratzte, als sie ihr sicheres Heim und Mizu verließ. Wie aus einem schlechten Alptraum schreckte Mizu plötzlich hoch und sah sich verschlafen in ihrem Zimmer um. Sie überlegte, was sie geträumt hatte, dass ihr Herz nun so schnell schlug, das sie glaubte, dass es sich nicht mehr beruhigen wollte. Als sie sich aber nicht erinnerte, atmete sie ruhig aus und schloss kurz die Augen, um ihren Herzschlag kontrolliert herunterbringen zu können. “Es ist ziemlich frisch…”, flüsterte sie leise, als ihr ein kalter Wind um den leicht bedeckten Körper wehte. Suchend sah sich Mizu in dem Zimmer um, denn dieser Luftzug war nicht normal. Schnell bemerkte sie auch, was diesen seltsamen Umstand herbeigeführt hatte. Speerangelweit stand die Tür offen und ließ Mizu nun endgültig wach werden. Angst erfüllt sah die Brünette neben sich, doch der Futon neben ihr war leer. ‘Erenya!’ Wie ein Stromschlag durchfuhr es Mizu. Ihre Mitbewohnerin war verschwunden. Sofort sprang sie auf und lief zur Tür. Sie hoffte, dass das Mädchen wie schon einmal einfach nur auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses war. Ihr wäre auch egal, wie das Mädchen es darauf geschafft hätte. Sie wollte einfach nur wissen, dass sie noch hier war. Suchend sah Mizu zu dem Dach, doch nirgends war auch nur eine Spur von Erenya zu sehen. Mit einer gewissen Panik drehte sich Mizu wieder um und sah sich die Wohnung genauer an. Vielleicht fand sie ja einen Hinweis auf Erenyas Verbleib. Doch sie fand nichts, nicht einmal das Schwert, das seit Erenyas Ankunft in der Ecke gestanden hatte. Schwer atmend lief Lhikan durch die Straßen Kyotos. Recht früh am Morgen war Mizu kreidebleich zu ihm gekommen und hatte ihm von Erenyas Verschwinden berichtet. Da er ihr erzählt hatte, was er von dem Mädchen erfahren hatte, wussten sie, dass sie das Mädchen unbedingt finden mussten, bevor ein Unheil passierte. “Was ist mit Erenya passiert? Was hast du gemacht?” Kreidebleich sah Lhikan den Mann im hellblauen Yukata an. Dieser Hielt Erenya, die nach vorne gekippt war und immer noch schneeweißes Haar hatte, fest in seinen Armen. “Ihr Menschen seid so armselig. Ich habe nichts mit ihr gemacht. Was du eben gesehen hast, war ihre Gabe.” Ernst fixierten die eisblauen Augen den Händler, der nicht so richtig wusste, was er tun sollte. “Erenya kommt nicht aus dieser Welt. Sie ist kein Mensch… und diese weißen Haare sind der Beweis dafür.” Vorsichtig hob der Gefallene das Mädchen an und brachte es in die Richtung des Lagers. “Was meinst du mit ‘Sie ist kein Mensch’? Was ist sie dann? Ein Oni? Ein Monster? Eine Hexe?” Lhikans Stimme überschlug sich, als er aufzählte was er alles an nicht-menschlichen Wesen kannte. Seine Worte brachten sogar den Mann dazu stehen zu bleiben und sich zu ihm zu drehen, wobei er von ihm einen Blick erntete, der ihn hätte töten können, wenn so etwas möglich gewesen wäre. “Wenn du es noch einmal wagst, diesen Engel einen Oni oder ein Monster zu nennen, dann möge Gott deiner verdorben, menschlichen Seele gnädig sein.” Aus den Worten des Gefallenen hatte Lhikan die Kälte gespürt, was ihm verriet, dass dieser Mann wohl auch von Erenyas Art war. Zumindest erklärte er sich so, woher er soviel über das Mädchen wusste. “Ach, eins noch… Sollten ihre Haare weiß bleiben… zögert nicht sie umzubringen. Denn dann ist sie das gefährlichste Wesen, was ihr je zu Gesicht bekommen habt.” Noch immer fröstelte es Lhikan, wenn er an die Worte des Schönlings dachte. Er und Mizu waren deswegen froh gewesen, als Erenyas Haar wieder eine schwarze Farbe angenommen hatte. Doch nun, wo sie verschwunden war, konnte sie jederzeit zu einer Gefahr für sich oder andere werden. “Andere dazu zu zwingen dir Geld zu leihen ist unentschuldbar.” Lhikan sah auf, als er eine ihm bekannte Stimme hörte. Schnell sah er auch den Ursprung, dank einer Menschenmenge, die sich vor einem Laden versammelt hatte. Mal wieder war es die Roshigumi oder vielmehr ihr Anführer Serizawa, der mit einer Verhaftung für Aufsehen sorgte. “Er macht daraus eine Show.” Lhikan ließ seinen Blick durch die Menschenmassen gleiten, wo er zwei Mitglieder der Roshigumi erblickte. ‘Vielleicht… wenn dieser Harada nach Erenya sucht…’, dachte er und überlegte einen Augenblick. “Hey, ihr beiden! Ich hab eine Nachricht für euren Freund Harada!” Fragend sahen Saito Hajime und Nagakura Shinpachi zu dem Händler auf, der sich ihnen näherte. Summend lief das Fuchsmädchen in ihrer Menschenform und von Yuki in einen Yukata eingekleidet, durch die verwinkelten Wege des Tempels, den sie einst ihre Heimat genannt hatte. Auf ihrem Arm trug sie eine Tüte, die sie von dem Schneeengel bekommen hatte. Darin waren Bestellungen, die die Roshigumi in Shimabara gemacht hatte und sie hatte die Ehre sie ausliefern zu dürfen und vielleicht dem freundlichen, jungen Krieger wieder begegnen zu können. Glücklich umklammerte das Fuchsmädchen die Tüte, als sie plötzlich Krach hörte, der sie zusammenfahren ließ. Vor Schrecke verwandelte sie sich wieder in die Füchsin und ließ die Tüte mit der Bestellung fallen. “Niu?” Neugierig, was nun wieder in ihrem alten Heim passiert war, lief die Füchsin über geheime Wege zu dem Ort des Geschehens, wo sie auch schon Ibuki am Boden sah. Vorsichtig näherte sie sich ihm, doch sie hielt inne, als sie das weißhaarige Wesen bemerkte, dass Ibuki ansah und sich bereit machte ihn anzufallen. “Was war das?!” “Es kam von draußen!” Ängstlich zog sich die Kitsune in die Büsche zurück, als sie die Stimmen der anderen Männer vernahm. Doch nicht nur sie entschied, dass ein Rückzug das Klügste war. Auch dieses blutrünstige Wesen floh über die Dächer und wurde damit zu einer Bedrohung für ganz Kyoto. ‘Yuki ist da draußen!’ Mit Schrecken wurde dem Fuchsmädchen bewusst, dass Yuki irgendwo da draußen war und nach diesem Mädchen suchte. Sie musste den Engel finden und ihn vor diesem Wesen warnen, bevor etwas passierte. Ohne länger zu zögern, lief die Füchsin aus ihrem Versteck und lief in die Richtung Innenstadt, wo sie bereits Yukis Fährte witterte. Suchend sah sich Yuki auf der Straße um. Durch Koji, der sie am Tage aufgesucht hatte, hatte sie erfahren, dass Erenya vor wenigen Tagen eine Vision erhalten hatte. Wenn sie nun SO, alleine durch die Straßen Kyotos, in ihrer puppenhaften Art, umherlief, war es gefährlich. Sie musste das Mädchen also schnell finden. “NIU!!!” Yuki fuhr zusammen, als sie die Stimme der Füchsin hinter sich hörte. Sie war so in Gedanken gewesen, dass sie mit dem Fuchsmädchen nicht gerechnet hatte, zumal sie eigentlich eine Lieferung machen wollte. Es musste also irgendwas passiert sein. “Natsu? Was ist los?”, fragte sie deswegen, als sie die Arme ausbreitete, in die das Fuchsmädchen erleichtert sprang. “Niu Niu… Niu… Niu Niu Niu… Niu…” Fast schon panisch berichtete die Füchsin was sie gesehen hatte, wobei sie Yuki, deren Augen sich weiteten, genau im Auge behielt. “Noch so eines dieser Monster? Bist du dir absolut sicher, Natsu?” Schon am Tag zuvor hatte Yuki von dem Fuchsmädchen erfahren, was sie einst aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Sie war entsetzt gewesen, doch noch mehr entsetzte sie jetzt, dass das erste Monster für die Roshigumi keine Warnung gewesen war. ‘Hat Erenya diese Wesen gesehen?’ Wie von selbst keimte dieser Gedanke auf, denn ihr Informant, der gefallene Engel Koji, hatte sehr detailliert über Erenyas Vision berichtet. “Komm mit. Wir müssen das Monster ausschalten, bevor jemand zu Schaden kommt”, wisperte die Gefallene und ließ die Füchsin wieder auf den Boden. Sie konnte einfach nicht zulassen, dass so ein gefährliches Monster die Straßen unsicher machte. Noch dazu, wenn Erenya auf diesen wandelte. Mit der Hand auf ihrem Schwert, lief Yuki in die Richtung aus der Natsu gekommen war. Vielleicht war dieses Wesen doch noch in der Nähe der Roshigumi. Müde ließ sich Koji am Fluss nieder. Sie Sonne war bereits untergegangen und auch ihm schwanden langsam die Kräfte, nachdem er den ganzen Tag über nach dem Puppenmädchen gesucht hatte. Ihm war im Laufe des Tages der Händler begegnet, der ihm nur widerwillig, aber doch sehr aufgebracht, berichtet hatte, dass Erenya mit einem Schwert verschwunden war. Nachdenklich sah der gefallene Engel auf den Fluss. Ihre Lage sah alles andere als gut aus, denn das Schwert, das er meinte, war mit großer Wahrscheinlichkeit das von Yuki. Da war sich der Gefallene ziemlich sicher. ‘Was hat sie dazu gebracht ihren Aufenthaltsort zu verlassen?” Hochkonzentriert sah der Krieger auf das Wasser und versuchte eine Antwort auf seine Frage zu finden. Es war aber schwer eine zu finden, wenn man nicht wusste, was in dem Kopf einer Puppe vor sich ging. ‘Ob sie zurück in den Himmel will? … Nein, darauf wurde sie sicher nicht erzogen. Wie ich den Alten kenne, hat er höchstens ihren Überlebenswillen geprägt…’ In seinen Gedanken versunken schloss Koji seine eisblauen Augen. Er hoffte, dass er so eine Antwort auf seine Frage fand, denn so konnte er das Mädchen vielleicht schneller finden und vor dem schlimmsten bewahren. “Ryunosuke! Du verdammtes Monster!” Ungewöhnlich laut drangen die Stimmen zweier aufgebrachter Männer an Kojis Ohr. Alarmiert durch das Wort “Monster”, sprach der Gefallene vom Boden auf und lief mit gezogenem Schwert dahin, wo die Stimmen herkamen. Erst wenige Meter von den Männer und einem weißhaarigen Etwas erkannte er, dass seine Befürchtungen vollkommen übertrieben gewesen waren. “Heisuke!” Von seinem sicheren Posten aus beobachtete Koji die Geschehnisse und stellte schnell fest, dass dies hier keine gewöhnliche Rangelei war. Besonders jetzt, wo es dunkel war, sah er glühend roten Augen des Monsters, der sich auf unmenschlichste Weise bewegte. ‘Weiße Dämonen… rote Augen… keine Hörner… Das ist wie in Erenyas Vision!” Obwohl es nicht das erste Mal gewesen war, dass er die Vision eines Sehers mit erlebt hatte, waren ihm die Worte der Puppe deutlich in Erinnerung geblieben. Dieses Wesen was er sah und was der kleine Krieger scheinbar nicht töten wollte, hatte das Puppenmädchen gesehen. ‘Idioten!’ Fest umklammerte Koji sein Schwert und setzte sich in Bewegung. Er war bereit dieses Wesen auszuschalten, wenn die beiden Männer dazu nicht in der Lage waren. Doch obwohl Koji diesen Entschluss schnell gefasst hatte, war es zu spät. Das weißhaarige Wesen rappelte sich wieder auf und floh, indem es runter zum Flussbett und schließlich in das fließende Gewässer sprang. ‘Verdammt!’ Wütend darüber, dass er nicht eher reagiert hatte, wandte sich Koji von den beiden Männern ab. Es machte einfach keinen Sinn, diesem Ding zu folgen. Das einzige, was er und auch die anderen beiden hoffen konnten, war dass dieses Ding vorerst niemanden angriff. Viel zu schnell war die Nacht vergangen und genauso schnell war er späte Nachmittag angebrochen. Müde von ihrer Suche in der Nacht, stand Mizu im Hof von Yagis Tempel und fegte das Laub zusammen. “Ihr habt sie also auch nicht gefunden…” Seufzend schüttelte Mizu den Kopf und sah zu Harada, der sich zu ihr gesellt hatte. Trotz seiner Aufgaben hatte der junge Krieger am Tag zuvor nicht gezögert und sich an der Suche nach dem vermissten Mädchen beteiligt. “Wo kann sie nur sein?” Nachdenklich sah der Krieger zu Boden und seufzte leise. Es war einer dieser Momente, in denen er sich wünschte mehr über Erenya zu wissen. Alles was er aber wusste, war, dass dieses Schwert was sie wohl gerade bei sich trug, nicht ihres war. “Hijikata-san!!!” Fragend sahen Mizu und Harada auf, als Yamazaki den Gang entlang kam und eines der naheliegenden Zimmer öffnete. Da dort vor wenigen Stunden noch eine Besprechung stattgefunden hatte, befand sich der Kommandant noch darin, um einige Kleinigkeiten zu klären. “Yamazaki… Was ist los?” Ruhig aber ernst sah der Kommandant den Inspektor der Roshigumi an und wartete, was dieser zu sagen hatte. “Shimada und ich waren in der Stadt und haben uns wegen des Rasetsu umgehört. Niemand hat auch nur einen Mann mit weißem Haar gesehen… Aber…” Der Akupunkteur stockte, denn noch immer gefror ihm das Blut in den Adern, wenn er daran dachte, was er erfahren hatte. “Aber was? Sag schon, Yamazaki!”, forderte Hijikata. Er wollte über alles, was in Kyoto passierte genauestens informiert werden. “In der Stadt wurden an vier verschiedenen Orten männliche Leichen entdeckt. Alle sind auf dieselbe Art und Weise abgeschlachtet wurden. Und alle waren erfahrene und begabte Schwertkämpfer.” Kaum, dass Hijikata das hörte, weiteten sich seine Augen. Doch er war nicht der einzige Zuhörer, der durch Yamazakis Worte alarmiert wurde. Ernst sahen sich Mizu und Harada an, wobei beide hofften, dass dies nur ein unglücklicher Zufall war. “Wie weit sind diese Orte von einander entfernt?” Die Neugier des Kommandanten war geweckt, denn er musste seine Männer auf die zusätzliche Gefahr vorbereiten. “Zwei der Orte befinden sich hier in der Nähe, der dritte ist im Norden… der vierte aber… ist am anderen Ende der Stadt. Shimada ist auf den Weg dahin und versucht mehr darüber in Erfahrung zu bringen.” Hijikata verstand nun, was Yamazaki so aufgebracht hatte. Es war nicht die Tatsache, dass die Männer abgeschlachtet wurden, obwohl sie wohl gute Kämpfer gewesen waren. Es war vielmehr die Tatsache, dass alle vier Orte so weit von einander entfernt waren und alles dennoch auf denselben Täter hinwies. “Gibt es Augenzeugen?” Ernst sah Hijikata seinen Inspektor an, der schwach nickte. Gleich würde er mehr erfahren, auch wenn Yamazakis Blick verriet, dass seine Worte unglaubwürdig klingen würden. “Eine alte Frau… sie sagte… Ein menschlich aussehendes Wesen mit Flügeln sei vom Tatort weggeflogen.” Nur zu deutlich hatte Mizu die Worte des Mannes vernommen. Ihre Hoffnung, ihre Wünsche… das alles war umsonst gewesen. Denn das Schlimmste vom Schlimmsten war eingetroffen. Aufmerksam sahen sich die Männer der Roshigumi auf ihrem Rundgang durch Kyoto um und lauschten jedem Geräusch, das unpassend durch die gewohnten Laute drang. Unter ihnen war auch Harada, der anders als seine Freunde nicht darauf hoffte auf den Rasetsu zu treffen. Irgendwo da draußen war seine Erenya, die wahrscheinlich gegen irgendwelche Rônin oder andere Kreaturen kämpfte und sie aufs brutalste hinrichtete. Er musste sie einfach finden, bevor seine Freunde, vor allem Souji oder Saito, es taten. Nur dann konnte er sie beschützen und vielleicht zur Vernunft bringen. “Oi, Sano!” Unmerklich zuckte Harada zusammen, als sein Freund Shinpachi ihn ansprach. Vorsichtig drehte er sich zu diesem und sah in dessen besorgtes Gesicht. Scheinbar spürte sein bester Freund was in ihm vorging. ‘Sollte ich es Shinpachi erzählen?’ In der Regel erzählten sich die beiden Männer alles. Sie waren schließlich auch die besten Kumpels. Doch konnte er dem liebenswürdigen Riesen seine Sorgen anvertrauen? Harada war unsicher und Shinpachi spürte das, weswegen er lächelnd zu seinem Freund ging und ihm sanft die Hand auf die Schulter legte. “Wird schon. Du wirst deine Kleine finden. Das ist immerhin die Aufgabe eines richtigen Mannes, nicht wahr?” Für einen Augenblick lang fragte sich Harada, was Shinpachi da redete. Doch dunkel erinnerte er sich daran, dass er durch Shinpachi von Erenyas verschwinden erfahren hatte. Kurz darauf war er ja auch schon aufgebrochen und hatte mit der Suche begonnen. Wie konnte sein bester Freund da also nicht wissen, wie er dieses eine Mädchen empfand. “Danke. Und ja. Als Mann ist es meine Aufgabe sie zu finden und sicher zurück zu ihren Freunden zu bringen.” Wieder so selbstbewusst wie eh und je, lächelte Harada den Muskelprotz an, der ihm sanft und zufrieden auf die Schulter klopfte. “W-Was ist das für ein Ding! Lauft!” Nicht weit von Harada und Shinpachi durchschnitt ein Schrei die Stille der Nacht. Kaum, dass sie den Schrei gehört hatten, waren beide Männer in Alarmbereitschaft. Sie mussten schnell handeln. Allerdings war die Frage, was sie vor Ort erwartete. “Shinpachi! Hol schnell Verstärkung. Sollte es das Wesen sein, das diese Krieger ermordet hat, schaffen wir es zu zweit nicht.” Ernst sah Shinpachi seinen Freund an, dessen Blick ihm verriet, dass er wirklich alleine zum Ort des Geschehens wollte. “Saito und Souji sollten in der Nähe sein!”, erklärte der sanftmütige Riese und wandte sich von ihm ab. Was auch immer Harada vor hatte, er musste ihm vertrauen… nein… er konnte es. Er wusste, dass sein bester Freund noch leben würde, wenn er mit der Verstärkung ankam. So schnell Harada laufen konnte, war er in die Richtung geeilt, aus der er den Schrei des Mannes gehört hatte. Er musste schnell handeln, denn die angeforderte Verstärkung hatte ihm nur ein kleines Zeitfenster gegeben. Wenn er jetzt wirklich vor dem Männer mordenden Wesen stand und es wirklich Erenya war, dann hatte er nicht viel Zeit sie zur Vernunft zu bringen. Atemlos bog Harada um die Ecke und sah auch schon wie ein Mann mit gezücktem Schwert auf ihn zugelaufen kam. “Lass mich in Ruhe, du Monster!”, keuchte er und sah sich panisch um. Es waren seine letzten Worte, denn eine Fontäne aus dunkelrotem Blut entstieg seinem Körper und als dieser leblos zu Boden fiel, offenbarte er die Sicht auf einen kleinen zierlichen Körper, auf dessen Rücken vier schneeweiße Flügel thronten. Ein seichter Wind kam auf und schob die Wolken, die den Mond bedeckten und der Nacht kaum Licht gestattete, beiseite. Das erste was die Strahlen des Mondes berührten, war das rot befleckte, weiße Haar, das in verklebten Strähnen sanft das ruhige, emotionslose Gesicht des Puppenmädchens umspielte. Orange und leer leuchteten ihre Augen, wie die Morgenröte auf und fixierten den Speerkämpfer, der den Ort des Geschehens betreten hatte. “Erenya…”, hauchte Harada fassungslos. Obwohl das Bild des zerlumpten Mädchens sich vollkommen von seiner Erinnerung unterschied, wusste er, dass er endlich sein gesuchtes Mädchen gefunden hatte. “Harada-kun…” Leise und kalt kam der Name des Speerkämpfers über ihre blassen Lippen, so dass der Krieger glaubte, dass sie ihn erkannt hatte, weswegen seinem entsetzten Gesichtsausdruck ein Lächeln wich. “Genau, ich bin da. Komm her, Eri-chan… Ich bringe dich nach Hause.” Vorsichtig streckte der Krieger seine Hand nach dem Mädchen aus. Doch sie machte keine Anstalten, dass sie diese ergreifen würde. Langsam und mit puppenhafter Eleganz, hob das Mädchen ihr Schwert und schüttelte das Blut, welches an der weißen Klinge klebte, ab. “Harada-kun…” Erneut sprach sie den Namen des Kriegers aus, der vor ihr stand. Doch dieses Mal verstand Harada, dass sie den Namen nicht sagte, weil sie ihn erkannt hatte. Sie erkannte ihn nicht. Für sie war er gerade nur ein bewaffneter Mann. Einer ohne Namen, ohne Gesicht. Langsam aber bedrohlich ging sie auf den Rotschopf zu, wobei die Klinge des Schwertes über den Boden schliff. Harada verstand, dass es keinen anderen Weg gab. Er musste gegen Erenya kämpfen und gewinnen, wenn er sie retten wollte. Fest umklammerte Harada seinen Speer, während er Erenya keine Sekunde aus den Augen ließ. Er kannte ihren Kampfstil nicht und wusste somit gar nicht, wie er in diesem Kampf vorgehen sollte. Noch dazu hatte Erenya schon eine gute handvoll erfahrener Kämpfer ausgeschaltet und war augenscheinlich unverletzt aus diesen Kämpfen hervor gegangen. Nur ihr Abendyukata hin in spärlichen Fetzen an ihrem Körper runter und bedeckte ihre weiblichen Geschlechtsmerkmale. “Harada-kun…” Wieder und wieder sprach sie seinen Namen aus, als sie auf die Leichen vor ihr trat, um sich ihm zu nähern. Er wusste, dass er nicht mehr zögern durfte. Er musste sie auf Abstand halten und auf sie einreden. Vielleicht kam sie dann zur Vernunft und beendete diesen Irrsinn. Mit Schwung holte Harada mit seinem Speer aus und griff Erenya ganz offen an. Doch trotz ihrer Puppenart reagierte sie blitzschnell und stieß sich von dem Fleischberg unter ihren Füßen ab und erhob sich in den Himmel. Langsam und mit schlagenden Flügeln ließ sie sich wieder sinken und kam auf dem Griff seines Speeres zum stehen. “Harada-kun…”, flüsterte sie und hob ihr Schwert, bereit für einen Angriff gegen den Krieger. “Ich bin es, Eri-chan! Sieh mich an, ich bin der, dessen Namen du die ganze Zeit sagst.” Harada hatte das Gefühl, dass seine Worte sie nicht erreichten. Das Mädchen hielt nicht in ihrer Bewegung inne und holte mit dem Schwert aus. Nur weil er seinen Speer losließ, konnte er ihrem Angriff ausweichen und darunter wegtauchen. Der weißhaarige Engel jedoch blieb stumm in der Luft schweben und fixierte ihn auch weiterhin. ‘Was soll ich nur tun?’ Zweifelnd, ob das was er tat wirklich das Richtige war, zog Harada sein Schwert und suchte Schutz hinter einem kleinen Holzlager. Er brauchte Zeit, denn irgendwie musste er dieses Mädchen doch retten können. Vorsichtig kam Erenya wieder auf dem kalten Boden auf. Sie wusste, wo dieser Krieger war und es war an der Zeit ihn zu beseitigen, denn dann konnte er niemanden mehr was Böses tun. Langsam lief sie auf das Holzlager zu, hinter dem sich der Krieger versteckte und sich wohl in Sicherheit wog. Doch solange er lebte, war er nirgends sicher, denn sie würde jeden Waffenträger auf der Welt beseitigen und so ihr Leben beschützen. “Eri-chan! Komm wieder zu Sinnen! Du kannst mich doch nicht aus deinen Erinnerungen gelöscht haben.” Wie schon zuvor sprach der Krieger sie an als würde er sie wirklich schon lange kennen. Doch das konnte nicht sein, denn er sah wie jeder andere Krieger aus. Er war einer von vielen, ein Gesichtsloser. “Erinnerst du dich nicht mehr daran wo wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Es war im Tempel unter dem Kirschbaum bei dem Teich.” Erenya hielt in ihrer Bewegung inne. Da war etwas, ein Bild, eine Erinnerung an diesen toten Baum. Irgendjemand hatte ihr gesagt, dass er im Frühling schöner sei, weil er dann erwachte. Sie erinnerte sich an die kalte Rinde und an die eigene Kälte. Und schließlich spürte sie wieder diese Lebenswärme an ihren Fingern. Sie hatte jemanden berührt, der diese Wärme ausgestrahlt hatte. “So warm…”, flüsterte sie leise und hielt sich den Kopf, in dem sich ein brennender Schmerz breit machte. Gleichzeitig signalisierten ihre Worte Harada, dass die Erinnerung an ihr erstes Treffen irgendwas ausgelöst hatte. Er musste nur weitermachen und hoffen, dass Erenya wieder in ihre Welt trat. “Den Tag darauf haben wir uns wieder gesehen. Du hast mir an diesem Tag gedankt. Wir haben das erste Mal richtig miteinander gesprochen.” Durch seine Deckung bemerkte Harada nicht, wie Erenya ihren Kopf schüttelte, so als ob sie versuchte sich von diesen Erinnerungen zu lösen. Und scheinbar hatte sie damit auch Erfolg, denn sie setzte ihren Weg wieder fort und lief auf das Holzlager zu. Langsam hob sie ihr Schwert, als sie näher kam und sich darauf vorbereitete, Harada das Lebenslicht auszulöschen. Nur weil das Licht des Mondes sich an der Klinge des Schwertes reflektierte und sein Licht so auf den Boden vor Harada bündelte, bemerkte dieser Erenyas Angriff und wich im letzten Augenblick aus. Fast schon fassungslos sah Harada wie die Klinge Erenyas in den Boden schnitt, wo er vor wenigen Sekunden noch gehockt hatte. Doch er konnte nicht aufgeben. Einen Moment lang hatte sie definitiv gezögert. “Erinnerst du dich an unsere Gespräche? Du hast mir von deiner Heimat erzählt. Von dem Kirschbaum den deine Eltern gepflanzt haben und unter dem du manchmal eingeschlafen bist. Und ich habe dir erzählt, wie wir einen Schirmherren bekommen haben. Weißt du das noch, Eri-chan?” Wie in Zeitlupe drehte sich Erenya zu dem Krieger um. Sie hörte seine Worte, sie erinnerte sich auch daran, doch sie hielt in ihrem Tun nicht inne. Wieder hob sie ihr Schwert und ließ es auf Harada niedersausen, der erneut auswich. Er wollte nicht kämpfen, nicht gegen seine Eri-chan. “Ich weiß nun, dass du kein Mensch bist, Eri-chan. Ich wusste schon immer, dass du nicht von hier bist. Aber das hat mich nie daran gehindert dich besser kennenlernen zu wollen, oder dir nahe zu sein. Wir haben zusammen gekocht, für Mizu-chan. Dir ist das Gemüse angebrannt.” Ein zweites Mal hielt Erenya in ihrer Bewegung inne. Sie erinnerte sich daran, wie Mizu das verbrannte Gemüse aß und schließlich darüber gelacht hatte. “Wegen deiner Kochkünste wird Harada-kun dich nicht lieben.” Die Erinnerung an Mizus Worte durchzogen die Puppe wie einen Blitz. Wie, als würde sie erwachen, weiteten sich ihre Augen. Dieses Herzklopfen, das sie in Haradas Nähe immer verspürte, vernahm sie deutlich in ihrer Brust. “Harada-kun… Ich…” Verwirrt hielt sich das Mädchen ihren Kopf. Alles drehte sich. Sie verbrannte innerlich. Und es gab nur noch einen Gedanken, der sich in ihrem Kopf erhob. “Harada-kun…”, keuchte sie schwer atmend. Ernst sah der Krieger sie an. Er spürte ihre innere Zerrissenheit und wusste, dass es nur noch wenig brauchte, um Erenya wieder zur Vernunft zu bringen. Die Frage war nur was. “Hara… da… kun…” Leicht kniff Harada die Augen zusammen, als er sah, wie sich etwas Glänzendes über Erenyas Wange schlängelte und eine feuchte Spur hinterließ. Es waren Tränen. “Ich liebe dich…” Nur zu deutlich vernahm Harada ihre Worte. Und er wusste nun genau, was er tun musste. Denn er konnte es nicht ertragen wenn eine Frau weinte, schon gar nicht, wenn es Erenya war. Sich seiner Sache sicher, erhob sich Harada und ließ sein Schwert fallen. Er würde es nicht brauchen. Soviel stand fest. Schnell lief der Krieger auf Erenya zu, die das bemerkte und mit Tränen verschmierten Gesicht ihr Schwert erhob. Harada war immer noch ein Krieger und sie musste ihr Leben beschützen. Zitternd stand sie mit erhobenem Schwert da und immer näher kam ihr der Krieger. ‘Schlag zu!’ Wie ein Blitz durchfuhr sie der Gedanke und als der Mann sie fast erreicht hatte, stieß sie zu. Sanft legten sich die kräftigen Arme Haradas um Erenya. Er spürte kalte Metall ihres Schwertes, als er sie dicht an sich heran zog und seine Lippen auf ihre legte. Fest drückte er das Mädchen an sich, als er sie küsste und sie mit dieser Berührung alle Schmerzen der Vergangenheit vergessen ließ. Er ließ seine Wärme in sie strömen und schenkte ihr ein zweites Mal neues Leben. Minuten verstrichen, in denen er Erenya einfach nur im Arm hielt und sie küsste, während ihre Tränen versiegten und sie diese zärtliche Geste erwiderte. Stück für Stück wurden ihre weißen Haare wieder schwarz und ihre leeren orangfarbenen Augen nahmen wieder diesen amethystfarbenen Glanz an, den er an ihr so liebte. Schwer atmend lief Koji durch die Straßen Kyotos. Irgendwo hier musste Erenya doch sein. Er musste sie schnell finden, denn die Neuigkeiten von den abgeschlachteten Kriegern zog bereits seine Kreise. Sowohl er als auch Yuki wussten, dass dies nur Erenya gewesen sein konnte. Sie mussten das Mädchen dringend an weiteren Morden hindern. Wenn es nötig war, mussten sie das Engelchen auslöschen. Keuchend blieb Koji inmitten auf der Straße stehen. Er wollte kurz verschnaufen denn erschöpft brachte er niemanden etwas. “AHHHH!!!” Koji zuckte zusammen als der Schrei einer Frau durch die Nacht hallte. Unsicher sah der Gefallene auf. Irgendwo in seiner Nähe war eine Frau in Nöten. Er war unschlüssig, ob er ihr helfen sollte oder sich lieber weiter auf die Suche nach Erenya machte. ‘Verdammt! Was wäre ich für ein Mann, wenn ich nichts unternehme.’ Vorsichtig sah sich Koji auf der Straße um. Niemand sah ihn. Er war hier ganz alleine. Behände warf er sich den Yukata von den Schultern und breitete seine schwarzen Flügel aus. Zielsicher hob er vom Boden ab und flog in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Doch als er auf einem naheliegenden Dach landete, bemerkte er, dass sein Eingreifen unnötig war. Unter ihm befanden sich zwei Mitglieder der Roshigumi. Und ihnen zu Füßen lag das weißhaarige Wesen, das ihnen einen Tag zuvor entkommen war. “Ryunosuke, ich habe den Weg des Kriegers gewählt. Ich werde jeden umbringen, der gegen meine Überzeugungen ist. Also werde ich töten, töten und weiter töten… Aber…” Leicht sah der kleine Krieger gen Himmel. Koji sah, dass in seinen reinen, klaren Augen ein trauriger Schimmer lag. “… werde ich mich jemals daran gewöhnen…?” Ein kalter Schauer fuhr über den Rücken des gefallenen Engels. Er erinnerte sich daran, dass er sich vor vielen Jahren dieselbe Frage gestellt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)