Kaffee und Vanille - Sidestory von Jeschi ================================================================================ Kapitel 1: Musik verbindet -------------------------- Tobias Ich weiß nicht viel. Ich weiß nicht, warum Joshua plötzlich verlobt ist. Ich weiß nicht, warum Joshua mich und nicht Benni als Trauzeugen ausgewählt hat. Ich weiß nicht, warum ich dazu ja gesagt habe. Und ich weiß nicht, warum ich jetzt tatsächlich seinen Junggesellenabschied planen muss. Man sieht: Ich weiß nicht viel. Aber eines weiß ich ganz genau: Das ich diese Hochzeit unter allen Umständen verhindern muss!!! "Verrätst du mir, warum ich dein Trauzeuge geworden bin und nicht Benni?", will ich von Joshua wissen, während wir in dem Restaurant sitzen, in dem in ein paar Wochen die Hochzeitsfeier stattfinden soll. Eine wirkliche Antwort bekomme ich drauf nicht. Er murmelt nur etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und stopft sich ein Stück Kartoffel in den Mund. Ich blicke auf meinen Teller. "Was hast du gesagt?", hake ich nach, weil es mich viel zu brennend interessiert, was er zu seiner Verteidigung zu sagen hat, als dass ich sein Genuschel einfach tolerieren kann. "Weil er nicht wollte," faucht er mich daraufhin ungehalten an und ich ziehe die Brauen hoch und seufze. In letzter Zeit ist er immer schlecht gelaunt. Was daran liegen könnte, dass er von jeder Seite Kritik bekommt. Sogar seine Mutter ist gegen die Hochzeit. Und das mag schon was heißen, weil seine Mutter für solche Sachen eigentlich leicht zu begeistern ist. Wenn nun nicht einmal Benni - und sicher auch nicht dessen Langzeitbeziehung Jona - hinter ihm stehen, dann kann ich mir vorstellen, in was für einer Zwickmühle er sich befindet. Allerdings muss man auch sagen, dass er sich selbst in diese Situation gebracht hat. Er hätte ja auch alles so lassen können, wie es war. So, wie er glücklich war. Denn bei einem bin ich mir - und sind sich auch alle anderen - sicher. Glücklich ist er nicht. "Warum ist Teresa nicht mit zum Probeessen gekommen?", frage ich und blicke auf die Häppchen mit Kartoffelsalat, die einfach nur grässlich schmecken, aber von Teresa ausgesucht worden und deshalb fest eingeplant sind. "Weil sie andere Dinge zu tun hat," brummt er und schiebt den Rest seines Kartoffelsalates auf dem Teller hin und her. Ihm schmeckt der Fraß also auch nicht. "Ach so." Ich blicke auf meinen Teller. Ich hab ihn brav leer gegessen - dafür ist mir jetzt schlecht. "Habt ihr schon die Einladungen verschickt?", frage ich, um die Stille, die nun wieder herrscht, zu brechen. Er sieht mich grimmig an und ich ziehe automatisch meinen Kopf ein. Ob man ihn heute auch etwas fragen darf, ohne dass er an die Decke geht? "Was ist eigentlich los mit dir?", frage ich deshalb leicht genervt und nun ist er es, der seufzt. "Ich hab mich mit Teresa gestritten. Weil meine Mutter immer noch gegen die Hochzeit ist...", klärt er mich auf und ich kann nicht wirklich sagen, dass mich das überrascht. Teresa spürt natürlich auch, dass keiner wirklich hinter ihnen steht. "Deine Mutter, Benni, Jona, Chris, Victor, Lukas...", zähle ich alle die auf, von denen ich weiß, dass sie ebenfalls dagegen sind, komme aber nicht dazu, zu Ende zu sprechen, weil er seine Gabel wütend auf den Tisch knallt. "Was willst du mir sagen? Das du auch dagegen bist?" Ich zucke mit den Schultern. "Nein... ich versteh es nur nicht," erwidere ich wahrheitsgemäß und erwarte, dass er nun endgültig ausflippt, aber das tut er nicht. Er runzelt nur die Stirn und meint: "Es ist besser so." "Wenn du das so siehst..." Ich beende den Satz lieber nicht. Denn sonst muss ich nur zugeben, völlig anderer Meinung zu sein. Und ich denke, das haben schon so viele Leute getan - da muss ich mich nicht auch noch einmischen. Ich bin ja auch eigentlich nicht in der Position dazu. Natürlich sind wir schon längere Zeit befreundet, waren an der Uni im gleichen Basketballteam. Aber ich würde mich nicht zu seinen allerbesten Freunden zählen. Da kommen vor mir noch ganz andere Leute. Dennoch kann ich die Sache nicht so ganz ruhen lassen und versuche, von einer anderen Seite anzugreifen. "Um auf die Einladungen zurück zu kommen... Habt ihr Val-" "Sei ruhig!", fällt er mir ins Wort, ehe ich ganz aussprechen kann. "Wo bleibt der Kellner mit der Suppe? Wir sollten schon längst die Suppe probiert haben!", mault er und vermeidet es, mir in die Augen zu sehen. Ich beiße mir auf die Lippen und weiß, dass mein Versuch alles andere als geglückt ist. "Joshua...", versuche ich auf ihn einzugehen, aber ehe ich zu Ende sprechen kann, kommt besagter Kellner mit den Suppen und wir essen sie schweigend. Ich weiß nicht Recht, wie ich ihn auf dieses Thema ansprechen kann, ohne dass er mich wieder unterbricht oder an die Decke geht. Also lass ich es doch. Ich habe ja bereits einen Plan, wie ich die ganze Sache wieder in Ordnung bringen kann. Das ist schließlich meine Pflicht, so als Trauzeuge. Und genau deshalb finde ich mich wenig später in einem anderen Stadtteil von Köln wieder. Genauer gesagt stehe ich vor der Schule, die laut Goolge Maps die von mir gesuchte sein soll.* So ganz glauben kann ich das noch nicht, weil das Gebäude ziemlich schäbig aussieht. Weil ich aber nicht viele Alternativen habe, trete ich doch ein und werde eines besseren belehrt. Von innen sieht es nämlich nicht nur aus, wie eine typische Schule, sondern auch noch einladender, als die äußere Fassade vermuten lässt. Unsicher sehe ich mich um und überlege, wie ich nun fortfahren soll. Ob ich einfach im Sekretariat nachfragen kann? Andererseits käme ich mir dabei ziemlich blöd vor. Ich bin schließlich wegen einer Privatangelegenheit her und möchte niemanden Ärger einhandelnd, in dem ich ihn wegen so was aus dem Unterricht hole. Warten möchte ich aber auch nicht – meine Zeit ist immerhin knapp bemessen -, also versuche ich einfach, den Musiksaal alleine zu finden und mich dabei möglichst von keinem Lehrer entdecken zu lassen. Deshalb kommt es mir auch gerade recht, dass mir plötzlich eine Gruppe Schüler über den Weg läuft, von denen mir sicher irgendwer weiter helfen kann. „Hey! Könnt ihr mir sagen, wo der Musiksaal ist?“, will ich wissen und die angesprochenen Jungs – es sind drei Jungs die aussehen, als hätten sie gleich Sport, so von ihrer Kleidung her – sehen mich skeptisch an und wenden sich dann wortlos wieder ab, lassen mich stehen. „Na danke auch,“ murmle ich verstimmt und schüttle den Kopf. Es geht bergab mit unserer Jugend! So was Unhöfliches! Aus der Vermutung heraus, der Musiksaal könnte, wie in meiner alten Schule, im Keller sein, laufe ich die Treppen nach unten, muss aber feststellen, dass außer seltsamen unnötigen Räumen nichts im Keller zu finden ist. Seufzend begebe ich mich wieder nach oben und erschrecke dabei fast zu Tode, als hinter mir plötzlich jemand meint: „Suchen Sie jemanden?“ Als ich mich umdrehe, erblicke ich hinter mir ein junges Mädchen, das mich fragend mustert. Froh, jemand Hilfsbereites gefunden zu haben, frage ich natürlich sie nach dem Weg zum Musiksaal und Gott sei Dank kann sie mir helfen. „Der ist oben, im Gang rechts von der Eingangstüre… ich glaube, die dritte Türe.“ Ich bedanke mich und will schon gehen, als sie meint: „Da ist jetzt aber kein Unterricht mehr.“ Ich fluche ungehalten, was mir von dem Mädchen einen abschätzigen Blick einbringt. Als würde sie niemals fluchen, schon klar. „Wen suchen Sie denn?“, fragt sie und ich stutze. „Ähm… Herrn… ähm… Valentin…“ Hilflos blicke ich sie an. Wie zur Hölle heißt Valentin eigentlich mit Nachnamen?! Ich will ihn ihr gerade irgendwie beschreiben – ich meine, wie viele Emos haben die wohl als Lehrer? Und ich meine mich daran zu erinnern, dass er wohl auch Vertrauenslehrer ist, wenn die Information von Joshua noch stimmt -, aber sie scheint auch so zu wissen, wen ich meine. „Herrn König? Ja, der könnte dort sogar noch sein, weil er die Nachmittagsbetreuung der Unterstufe macht.“ Ich könnte schreien vor Freude, lass es dann aber doch lieber sein. Mit einem letzten Dank mache ich mich auf den Weg zu besagtem Musiksaal und stehe kurz danach auch schon vor der Türe. Ohne anzuklopfen reiße ich die Türe auf und trete ein, werde sofort von ein paar erstaunten Augenpaaren gemustert. „Hallo,“ meine ich peinlich berührt und sehe mich um. Die meisten Kiddies hier drin sind noch sehr jung, ganz im Gegensatz zu den Schülern, die mir eben im Gang entgegenkamen. Aber das hier ist ja auch die Nachmittagsbetreuung, die ja eher jüngere Schüler in Anspruch nehmen werden. „Tobias?“, ertönt es neben mir und ich wende mich um und blicke in Valentins vertraue kaffeebraune Augen. „Was machst du denn hier?“ Ehrlich gesagt hab ich nichts Besseres zu tun, als ein wenig hilflos mit den Schultern zu zucken. „Ich hab dich gesucht,“ erläutere ich meinen Plan, als würde das erklären, warum ich in seinen Unterricht platze. „Ich brauch deine Hilfe,“ falle ich dann mit der Türe ins Haus. Er blinzelt, dann nickt er. „Wie wäre es, wenn ihr den Song einfach noch mal durchgeht, während wir uns kurz draußen unterhalten,“ schlägt er seinen Schülern vor und überraschender Weise – zumindest überrascht es mich -, stimmen sie alle zu und machen sich dann auch gleiche daran, einen Song zu singen, den ich nach kurzem als ‚Born this way’ von Lady Gaga erkenne. Kaum vor der Türe, frage ich überrascht nach: „Lady Gaga?“ Valentin zuckt mit den Schultern. „Naja… es wäre ja unfair, in der Nachmittagsbetreuung noch mal Unterricht zu machen. Aber um den pädagogischen Hintergrund zu wahren, versuche ich eben, ihnen was fürs Leben mitzugeben. Lady Gaga ist angesagt. Da spielen sie gerne ihre Songs nach. Und lernen dabei noch was über Toleranz und soziale Gleichheit.“ Ich starre ihn an, während er mir seinen Unterricht näher bringen will und muss lächeln. „Was?“, fragt er verwirrt nach. „Du bist immer noch genau der Gleiche.“ Er wird ein wenig rot. „Ist das schlecht?“ Ich schüttle den Kopf. „Nein. Ich finde es wunderbar. Und ich bin überrascht, wie gut du mit den Kids umgehen kannst.“ „Naja… ich versuch einen Zugang über die Musik zu finde. Dafür ist sie doch da, oder? Sie verbindet die Menschen.“ „Und genau deshalb bin ich hier,“ greife ich das Thema Musik auf und er sieht mich fragend an. „Ich hab einen Kumpel, der heiraten will, und soll für ihn Trauzeuge spielen. Jedenfalls muss ich jetzt seinen Junggesellenabschied planen und denke, dass wir uns einfach in eine Bar hocken. Das würde ihm gefallen. Jedenfalls hätte ich an dem Abend gerne gute Musik und da kommst du ins Spiel. Ihr macht doch noch Gigs, oder?“ Valentin nickt und ich bin ehrlich gesagt ziemlich erleichtert. Ich habe ja keine Ahnung mehr von Valentins Leben. Ich weiß nur, dass er zu der Zeit, in der er mit Joshua zusammen war, Gigs gespielt hat. Er hat damals nach der Uni den Job als Musiklehrer bekommen und wurde nach einem Jahr auch Vertrauenslehrer. Nebenbei hat er mit seiner Band aus Universitätszeiten weiterhin Musik gemacht. Zumindest in Köln waren sie auch relativ erfolgreich und durften in einigen Bars und Clubs auftreten. Ich freue mich für Valentin, dass dem noch immer so ist – und ich freue mich für mich, weil es perfekt zu meinem Plan passt. „Es wäre toll, wenn ihr an dem Abend spielen könntet.“ „Du weißt aber schon, dass wir nicht so herkömmliche Partymusik machen, oder?“, hakt er skeptisch nach und ich ziehe die Brauen hoch: „Natürlich weiß ich das. Das wird dem Kerl aber ziemlich egal sein, da bin ich mir sicher.“ „Okay,“ stimmt mein Gegenüber dann zum Glück zu und wir klären noch kurz die Eckdaten ab und tauschen Handynummern aus, ehe er sich wieder dem Musiksaal zuwendet. „Ich muss dann wieder rein, ehe sie übermütig werden,“ verabschiedet er mich und ich nicke und hebe kurz die Hand zum Abschied: „Ich meld mich.“ Er nickt und ich wende mich ab. „Tobias,“ hält er mich mit brüchiger Stimme auf, als ich gerade gehen will, und ich drehe mich nochmals zu ihm um und bin erstaunt, wie schnell seine Stimmung umgeschlagen ist. „Wie geht es Joshua?“ Ich sehe ihn an und versuche, in seinen Augen zu lesen, was er denkt und fühlt. Aber wie soll er sich schon fühlen? Eine Trennung ist nie schön und wenn man verlassen wird, tut es meist mehr weh, als wenn man selbst verlässt. „Gut,“ sage ich nur und er fragt nicht weiter nach. Ich nicke ihm nochmals zu und gehe dann. Hinter mir fällt die Türe des Musiksaals in Schloss. „Der Arme!“, befindet Jona und lutscht aufreizend an einer Erdbeere herum, die Dekoration seines Eisbechers war. Mich persönlich kümmert das ja nur wenig, aber Benni neben mir rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her und starrt seinen Freund. Ich grinse, vor allem weil Jona gar nicht merkt, was er da bei Benni anrichtet. „Ja… er sah aus, als würde er noch immer darunter leiden,“ kläre ich sie auf und werfe Benni einen strengen Blick zu. Dieser errötet daraufhin und wendet den Blick gänzlich von Jona ab. „Ich würde so gerne mit ihm reden, aber er hat den Kontakt ja abgebrochen – da dränge ich mich nicht auf,“ seufzt Jona und ich nicke. Das hat er allerdings. Gleich, nachdem Joshua Schluss gemacht hat. Offiziell, um Joshua vergessen zu können, aber ich denke, er wollte einfach niemanden zwingen, zwischen Joshua und ihm zu entscheiden. Denn so wäre es unweigerlich gekommen. „Vielleicht würde es ihm dennoch helfen…“, überlegt Benni und Jona zuckt mit den Achseln und scheint nicht überzeugt. „Es ist schon alles ziemlich scheiße gelaufen,“ stelle ich wieder einmal fest und wende mich endlich auch mal meinem Eis zu. „Ich hoffe ja immer noch, dass die Beiden wieder zusammen finden, aber ich glaube, das wird nichts mehr,“ seufzt Benni und ich nicke und verschweige ihnen, dass ich bereits daran arbeite. Ich musste ihnen unbedingt von Valentin erzählen, habe aber lieber nicht erwähnt, was genau ich geplant habe. Stattdessen habe ich behauptet, ihn auf der Straße getroffen zu haben, was sie mir sogar glauben. „Nun ja… hören wir auf zu Träumen und finden uns mit dem Übel ab,“ seufzt Benni und ich schnaube belustigt. „Dem Übel? Sprichst du von Teresa?“, meine ich und Jona lacht auf. „Er hat doch Recht,“ wirft er ein. „Sie ist schrecklich!“ „Oh nein, Joshua! Wir müssen Kartoffelsalat zu den Häppchen anbieten,“ ahme ich sie nach. „Nein, Joshua! Wir müssen unbedingt die roten Servietten nehmen, die blauen haben ein schlechtes Karma,“ fällt Jona mit ein. „Nein Joshua! Rosen hat doch jeder! Wir nehmen Lilien als Deko!“, grinst Benni. „Sie will keine Lilien, sie will Tulpen,“ ertönt hinter uns eine Stimme und wir ziehen alle Drei die Köpfe ein, während Joshua sich neben uns niederlässt. Entschuldigend sehe ich ihn an. „Sorry, aber manchmal ist sie schon…“ „Anstrengend?“, fragt er und wir nicken alle gleichzeitig, woraufhin er grinst. „Ich weiß. Aber ihr müsst ja nicht mit ihr auskommen.“ „Du auch nicht,“ wirft Jona ein und bekommt von Benni einen warnenden Blick zugeworfen. „Ich hab den Jungegesellenabschied schon komplett geplant,“ lenke ich hastig vom Thema ab und Joshua nickt und sieht dann in die Runde: „Aber jetzt kommen wir zur größten Herausforderung! Seid ihr fertig?“ Jona seufzt. „Übertreib den ganzen Scheiß doch nicht so,“ murrt er und fängt sich von Benni einen Knuffer und von Joshua einen bösen Blick ein. „Dieser ‚Scheiß’ ist zufällig meine Hochzeit?“, mault Letzterer und wendet sich dann explizit an Jona, um ihn schön eines reinwürgen zu können: „Und ich will den besten Anzug dazu tragen, den es geben kann. Also wäre ich sehr dankbar, wenn wir endlich rüber in die Boutique gehen könnten.“ Missmutig stopft sich Angesprochener den Rest seines Eises in den Mund und sieht Joshua dabei bitterböse an, der allerdings ebenso fies dreinschaut. Benni und ich wechseln einen Blick und verkneifen uns das Grinsen. Als Jona endlich fertig ist und wir bezahlt haben, machen wir uns auf den Weg zu dem Herrenausstatter, bei dem Joshua unbedingt seinen überteuerten Anzug kaufen möchte. (Ich wette Tausend Euro, dass dies eine weiter Auflage von Teresa ist!) „Hat Tobias dir erzählt, dass er Valentin vor ein paar Tagen getroffen hat?“, wirft Jona in die Runde, als wir das Geschäft gerade betreten und Benni stöhnt laut auf. Joshua wirft ihm, dann Jona und letztlich mir einen Blick zu. „Ach?“, macht er dann und ich nicke. „Na dann,“ wiegelt er das Thema gleich wieder ab und hinter mir höre ich Jona vor sich hinfluchen, was Joshua entweder nicht bemerkt oder ignoriert. „Wie wäre es mit dem Anzug, der ist doch toll!“, ruft Benni nach einiger Zeit begeistert aus, wohl um die Stimmung etwas zu pushen. Ehrlich gesagt misslingt ihm das, aber der Anzug wird es dann tatsächlich. Natürlich ist es der hässlichste und teuerste im ganzen Laden, also ist er wohl genau nach Teresas Geschmack. Zumindest das muss man Joshua lassen. Er zieht die Sache voll durch, so sehr sie ihn auch selbst gegen den Strich geht. Ob das nun gut ist, sei einmal dahin gestellt… „Findet ihr es zu unspektakulär?“, frage ich die Jungs, während wir an der Bar stehen und auf unsere Getränke warten. Joshua ist mit Benni und Jona unterwegs und macht sich wohl irgendwo zum Affen, weil er allen anwesenden Damen Sexspielzeug verkaufen soll. Wenigsten eine dämliche Aufgabe, die wir ihm aufgedrückt haben, wenn er sonst schon einen gemütlichen Abend in der Bar verbringen darf. „Ich finde, es ist angemessen,“ schnaubt Lukas und will damit sicher ganz galant darauf hinweisen, dass Joshua gar keinen Junggesellenabschied verdient hat. Diese Meinung vertritt er nun schon, seit Joshua uns vor drei Monaten erzählt hat, er hätte Valentin verlassen und sich dafür mit Teresa verlobt, welche er auch so schnell es geht, heiraten möchte. „Also ich finde es toll,“ klärt mich Chris auf und nimmt seinen alkoholfreien Cocktail entgegen. Er und Jona verzichten immer auf Alkohol, weil sie ihr Geld immer noch als professionelle Sportler verdienen. Meistens bringt ihnen das Spott ein, weil auch ein Basketballspieler mal auf den Putz hauen kann – zumindest laut der Aussage von den anderen Jungs. „Joshua steht doch eh nicht so auf Party und den ganzen Kram. Also ist es auch okay, wenn wir einfach hier einen gemütlichen Abend verbringen,“ führt er seine Ansichten aus und Victor nickt. „Alles andere wäre ja gar nicht Joshuas Ding,“ stimmt er zu. „Das dachte ich mir auch,“ meinte ich und zucke zusammen, als mein Handy in meiner Tasche vibriert. Ich zupfe es heraus, lese die SMS und entschuldige mich dann bei den anderen, ehe ich mich auf den Weg mache, Joshua und die anderen Beiden zu suchen. Leider sind wir nicht die einzigen Leute hier, die sich in der Bar drängen und folglich ist es ziemlich voll und unübersichtlich. Ich fluche, während ich mich durch die Menge dränge und den ein oder anderen Ellenbogen abbekomme. Dann endlich taucht Jonas Haarschopf vor mir aus – und ganz ehrlich, den erkennt man unter Tausenden! Ich packe seine Schulter und er wirbelt herum. „Du hast mich erschreckt!“, empört er sich und ich lächle schuldbewusst und murmle ein ‚Sorry’. „Könntest du alle zusammentreiben? Ich habe noch eine kleine Überraschung für Joshua,“ bitte ich ihn und er zieht die Brauen hoch. „Du hast uns gegenüber nichts von einer Überraschung erwähnt,“ mault er beleidigt und ich zucke mit den Schultern und meine: „Sonst wäre es ja keine Überraschung gewesen.“ Dann lasse ich ihn stehen und walte meines Amtes. Ich habe bereits mit dem Clubbesitzer abgeklärt, dass Valentins Band heute Abend spielen kann und unbemerkt von den meisten Gästen haben die Jungs bereits aufgebaut. Ich bin froh, dass es hier so dunkel ist, dass garantiert noch keiner wirklich gemerkt hat, wer da eigentlich spielt. Es würde nämlich gar nicht zu meinen Plan passen, wenn Joshua schon früher davon Wind bekommen hätte. Nun, da ich von Valentin per SMS Bescheid bekommen habe, dass sie mit dem Aufbau fertig sind, ist es an der Zeit, meinen lang gehegten Plan endlich in die Tat umzusetzen. Und deshalb klettere ich auch hoch auf die Bühne und habe Sekunden später die Aufmerksamkeit des ganzen Saales auf mir. Ehrlich gesagt bin ich so aufgeregt, dass mein Herz bis zum Hals schlägt. Nichts kann mehr schief laufen, aber ich fürchte, dass wird genau das Problem sein. Nun wird sich zeigen, wie die ganze Geschichte ausgehen wird. „Hey Leute,“ begrüße ich alle und suche nach Worten. „Für alle, die es noch nicht gemerkt haben: Mein Kumpel da drüben hat heute seinen Junggesellenabschied!“, kläre ich sie auf und deute zu Joshua. Die Menge applaudiert und ich versuche, meine Stimme unter Kontrolle zu bringen. Es ist schon paradox. Es fällt mir nicht schwer vor der ganzen Menge zu reden. Aber die Tatsache, dass Joshua alles hört, was ich sage, macht mich unglaublich nervös. Vielleicht auch nur, weil es ihm eventuell nicht gefallen könnte. „Jedenfalls habe ich eine kleine Überraschung für ihn vorbereitet: Und zwar habe ich eine Band engagiert, die heute nur für ihn spielen wird.“ Erneutes Jubbeln und Klatschen. „Aber eigentlich ist das gar nicht die Überraschung,“ lasse ich die Bombe dann platzen und werde fragend angesehen. Ich werfe einen Blick zu Jona, der die Stirn gerunzelt hat und etwas zu Benni sagt. Ich schnappe mir das Mikrophon und laufe zum Bühnenrand. „Die Überraschung ist gleichzeitig mein vorzeitiges Hochzeitsgeschenk.“ Die Tür zum Hinterzimmer ist offen und dort steht die Band und sieht mich fragend an. „Was ist los?“, fragt Valentin mich, als zu ihm trete und ihn dann kurzerhand mitziehe. „Tobias?!“ Valentin vor mir herschiebend, trete ich wieder auf die Bühne und blicke Joshua dann grimmig an: „Alles Gute für deine Hochzeit, Joshua.“ * Die Schule ist von mir frei erfunden worden. Gibt es eine solche in Köln, wäre das natürlich ziemlich cool, aber ich meine jedenfalls keine bestimmte. Kapitel 2: Den richtigen Weg finden ----------------------------------- Joshua „Die Überraschung ist gleichzeitig mein Hochzeitsgeschenk!“, verkündet Tobias da oben auf der Bühne und verschwindet in einem Hinterzimmer. In mir beginnt alles zu Kribbeln, und ich kann nicht genau definieren, warum. Fragend blicke ich zu Benni, den ich kaum erkennen kann, von dem ich aber weiß, dass er neben mir steht: „Wusstest du davon?“ Angesprochener schüttelt den Kopf. Zumindest glaube ich, dass zu erahnen. Er wendet sich Jona zu, der neben ihm steht, und fragt auch diesen, ob er irgendetwas wüsste. Als auch Jona verneint, werde ich richtig nervös. Dabei sollte ich mich freuen. So ein Hochzeitsgeschenk, ist doch eigentlich etwas Schönes. Warum nur bin ich dann so nervös. Warum habe ich so eine Ahnung, als wenn gleich etwas ziemlich bescheuertes passiert? In meiner Panik, die langsam aufkommt, versuche ich, im Dunkeln etwas zu erkennen, was ziemlich schwer ist. Ich sehe nur Schemen, die sich auf der Bühne bewegen und ich verfluche den Club dafür, dass er so abgedunkelt ist. Meine Augen richten sich auf den Strahl hellen Lichtes, das von einem Scheinwerfer stammt und einen kleinen Teil der Bühne beleuchtet. In dessen Nähe treibt sich Tobias nun wieder herum und dann ruft er auch schon: „Alles Gute für deine Hochzeit, Joshua!“ Dabei klingt er ziemlich seltsam, fast schon wütend, verbittert. Und ist das ein grimmiger Blick, den er mir da zuschickt? Ich meine, es zu erkennen, kann es aber nicht deuten. Jedenfalls nimmt meine Angst nicht minimal ab – eher im Gegenteil. Im nächsten Moment bestätigt sich meine Vorahnung mit einer solchen Wucht, die mich fast aus den Schuhen haut, als Tobias etwas – oder eher jemanden – ins Scheinwerferlicht stößt und mein Blick sich sofort auf diese Person richtet. Ich höre, wie Benni neben mir scharf die Luft einzieht und ich höre Jona keuchen. Irgendwie höre ich aber auch gar nichts, erstarre nur, unfähig, irgendetwas zu tun oder zu sagen – oder auch nur im Entferntesten zu reagieren. So bewegungsarm ich auch bin, so bewegungsfreudig ist mein Herz, dass auf gefühlte tausend Schläge die Sekunde beschleunigt, während ich Valentin anblicke, der noch immer völlig entgeistert zu Tobias blickt. Ich weiß nicht, ob er sich nicht zu mir wendet, weil er nicht weiß, wo ich stehe, oder ob er einfach nur nicht sehen will und deshalb Tobias fixiert. Allerdings wird zumindest diese Frage in dem Moment beantwortet, in dem sich Valentin dann doch mir zuwendet. Oder eher der Menge. Sein Blick wandert über jedes einzelnes Gesicht, dann bleibt er bei mir hängen. Es ist ein Blick, den man nicht gerne auf sich spürt. Ich habe das Gefühl, er saugt mir damit all meine Kraft aus. Ich traue mich nicht, wegzuschauen, also sehe ich ihn direkt an. Deshalb entgeht mir auch nicht ein winzigstens Detail. Ich sehe alles, sehe, wie sein Gesicht in sich zusammen fällt, als ihm klar wird, dass Tobias tatsächlich mich meint. Ich sehe, wie sich zuerst Schock, dann Wut und letztlich einfach nur Schmerz auf ihm spiegelt. Als sich unsere Blicke treffen, schlucke ich schwer und habe das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. In meinem Kopf rasen die Gedanken, aber ich kann keinen fassen, so als würde ich doch gar nichts denken. Irgendetwas in mir schreit danach, seinen Namen zu rufen. Ein Teil von mir will auf die Bühnen rennen, ihn packen, an mich drücken. Ihn so vor mir zu sehen, ruft all die Wünsche und Sehnsüchte hervor, die ich seit der Trennung so stark zu verdrängen versucht habe. Ich weiß nicht, wie lange wir so da standen. Eigentlich können es nur Sekunden gewesen sein, aber angefühlt hat es sich wie Stunden. Nun aber kommt Bewegung in Valentin und er stürmt von der Bühne, ganz der dramatische Abgang, der so typisch für ihn ist. Aber ich kann verstehen, dass er in seinem aufgewühlten Zustand nicht von allen angestarrt werden möchte. Ich jedenfalls kann mich gar nicht bewegen. Deswegen stürze ich auch fast, als Jona an mir vorbeistürmt und mich dabei fast umwirft. Als ich mühsam mein Gleichgewicht zurückerlangt habe, bleibe ich einfach paralysiert stehen und starre auf den Fleck, auf dem gerade noch Valentin gestanden hat. „Joshua?“ Fragen kommen in mir auf. Solche wie: Warum hat Tobias das getan? Was hat er davon? Wie konnte er mir das antun? Ich meine… gerade hatte ich es geschafft, Valentin aus meinen Gedanken zu vertreiben. Die erste Zeit war hart gewesen. Ich habe überall nur ihn gesehen, gefühlt… Ich hab sogar beim Sex mit Teresa an ihn gedacht und mich danach jedes Mal unglaublich schlecht gefühlt. Ihnen beiden gegenüber. Mir gegenüber. Aber dann hat sich ganz langsam Routine eingeschlichen und ich konnte endlich anfangen, ein neues Leben zu beginnen. Wenn auch eines, in dem nicht alles so toll war, wie zuvor. Aber dafür war es etwas, was ich immer wollte. Etwas, wie eine normale Beziehung. Eine Frau, ein Kind. Seit ich klein bin, Träume ich doch davon, mit einer ganz normalen Familie in einem großen Haus zu leben. Der Bilderbuchvater, der Vorzeigesohn, den mein Vater stolz herumreichen kann. Ich musste nicht mehr in dem Leben stecken bleiben, in dem man auf der Straße hinter mir her sah, hinter versteckter Hand über mich lachte oder mich mit dummen Sprüchen attackierte. Endlich wieder normal. Das wollte ich doch. Auch, wenn ich dafür aufgeben musste, was ich mir noch immer am wichtigstes ist. Das, was ich mich glücklich macht, selbst jetzt noch, wo es nur noch eine Erinnerung ist. „Joshua?!“ Wie konnte Tobias nur Valentin hier her bringen. Er muss doch gewusst haben, dass ich jetzt kaum noch die Chance habe, meine Pläne in die Tat umsetzen zu können. Wie sollte ich es noch einmal schaffen, den Jungen zu verlassen, den ich so viel mehr liebe, als alles andere. Denkt er denn, es wäre so leicht gewesen, es zu tun? Aber wahrscheinlich weiß er all das und hat es deshalb getan. Um mich zu ihm zurück zu treiben, als wäre ich ein dummes, verirrtes Schaf, dass von seiner Herde abgetrieben ist. „Joshua! Verdamm noch mal!“ Ich zucke zusammen, aber obwohl ich langsam wieder in die Realität zurück findet, muss Benni mir unbedingt noch eine Ohrfeige verpassen, um den Vorgang auch ja zu beschleunigen. Ich blinzle und sehe ihn an, nehme ihn aber kaum wahr. Stattdessen wandert mein Blick fast augenblicklich in den Saal und dort geht – so unglaublich es für mich auch sein mag – das Partyleben einfach weiter. Nur Benni, der die Hand noch immer zum Schlag heroben hat, und die anderen Jungs, stehen noch um mich herum und funkeln mich an. „Willst du jetzt ewig hier stehen wie eine Eisskulptur?“, fragt Benni und ich weiß nicht so Recht, was ich antworten soll. Am liebsten würde ich einfach ‚Ja, irgendwie schon’ sagen, aber dann würde er sicher noch einmal zuschlagen. Wahrscheinlich will er das sowieso, weil er seine Hand noch immer nicht sinken lässt. „Was soll ich denn deiner Meinung nach jetzt tun?“, will ich von ihm wissen und tatsächlich zuckt sein Arm und ich zucke ebenfalls – ein Stück nach hinten, ganz im Ausweichmanöver. „Wie wäre es, wenn du mal mit ihm redet,“ schlägt Chris vor und ich erkläre ihn zu meinem besten Freund ab genau jetzt, weil er nämlich viel freundlicher redet, wie Benni und viel freundlicher dreinschaut, wie Lukas, Victor und Tobias. Tobias! Ich mache einen Schritt auf ihn zu und packe seinen Kragen. Ehe ich genau weiß, was ich da tue, schreie ich ihn schon, so laut es nur geht, an: „Was zur Hölle sollte das? Warum hast du das getan?“ „Joshua!“, warnt mich Victor harsch vor und Lukas ist es, der mich ebenfalls am Kragen packt und von Tobias wegzieht. Sicherheitshalber hält er mich auch fest, nachdem meine Finger sich schon von meinem Opfer gelöst haben. „Ist doch klar, warum ich das getan habe,“ geht dieses auf meine Frage ein, „Damit du endlich mit diesem Irrsinn aufhörst!“ Ich ziehe eine Schnute, was so ziemlich das Dämlichste ist, was mir in dem Moment in den Sinn kommen konnte. Dann erwidere ich – und versuche, damit möglichst selbstbewusst zu klingen -: „Das ist kein Irrsinn. Es ist die einzige Möglichkeit, das Leben zu bekommen, was ich immer wollte.“ Das ich sogar selbst in Präteritum gesprochen habe, merke ich erst, als mich Chris triumphierend ansieht und meint: „Aber das ist schon lange nicht mehr, was du willst .“ Und schon habe ich ihn vom Posten des neuen besten Freundes wieder degradiert. „Das Einzige, was du willst, ist Valentin. Weil du ihn liebst und er dich auch. Das weißt du ganz genau,“ fügt Benni hinzu. „Ja, er liebt mich. Und deshalb wollte ich ihn nicht verletzen und habe ihm nichts von der Hochzeit erzählt. Aber du musstest ihn ja hier her holen und es ihm unter die Nase reiben – auf die grausamste Art und Weise, die es gibt!“, wende ich mich nun wieder hasserfüllt an Tobias. Das lässt dieser nicht au sich sitzen: „Du hältst mich für grausam?! Ist das dein Ernst? Du hast ihn doch schon in dem Moment verletzt, in dem du ihn verlassen hast,“ brüllt er zurück. Und zwar so laut, dass sich alle, die in nächster Nähe stehen, nach uns umdrehen und uns komisch ansehen. Ich ignoriere sie alle und will zu einer Erwiderung ansetzen, aber nun fällt mir auch noch Lukas in den Rücken: „Und du verletzt ihn in jeder Sekunde mehr, in welcher du hier stehst, statt zu ihm zu gehen.“ Ich sehe sie alle wütend an und spreche aus, was mir gerade noch nur durch den Kopf ging: „Warum fallt ihr mir nur alle in den Rücken?“ Ich klinge enttäuscht, aber das kümmert sie nicht. „Wir fallen dir nicht in den Rücken,“ wehrt Victor ab, „Wir wollen dir nur helfen.“ Ich blicke zu ihm, dann zu Benni, der das Wort ergreift: „Ich weiß, dass es manchmal schwer ist. Und ich weiß, dass es nicht das ist, was du zu Schulzeiten wolltest. Aber ich weiß auch, wie glücklich du warst, als du mit Valentin zusammen warst. Und das du es jetzt nicht mehr bist. Manchmal ändern sich Dinge, Wünsche. Du solltest es akzeptieren. Du tust dir doch selbst keinen Gefallen.“ Ich schüttle trotzig den Kopf. „Ich brauche ihn nicht, um glücklich zu sein.“ Selbst in meinen Augen klingt es wie eine Lüge. Deshalb geht auch keiner darauf ein. „Irgendwann wird er mir schon danken, was ich getan habe,“ flüstere ich leise und kläglich und Lukas schüttelt den Kopf: „Er wird es dir niemals danken.“ Er schnaubt und das fühlt sich an, als würde er mich schlagen. Und im nächsten Moment setzen sich meine Beine ganz automatisch in Bewegung, als hätte der kleine Lufthauch mich zum Gehen animiert. Sven sieht aus, als würde er mir gerne eine reinhauen. Natürlich tut er das. Weil ich seinen kleinen Gott wehgetan habe. Das kann der Sweeney-Todd-Verschnitt ja nicht zu lassen. Jemand, der das Objekt seiner Begierde verletzt, sollte auf dem Scheiterhaufen landen. Das denkt er doch sicher. Angeblich hat er ja eine Beziehung – einen Freund oder eine Freundin, ich hab es nicht so genau mitbekommen – und angeblich steht er ja schon lange nicht mehr auf Valentin. Aber ich weiß es besser. Klar ist er immer noch scharf auf ihn. Warum sonst starrt er seinen Arsch an, jede Sekunde, in der er Gelegenheit dazu hat. Sicher hat er ihn durchgevögelt, kaum dass ich mit ihm Schluss gemacht hatte. Hat sich auf ihn gestürzt, ihm die Klamotten heruntergerissen und ihn durchgebumst, bis Valentin nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Allein die Vorstellung ist so schrecklich, dass ich fast kotzen muss, während ich darüber nachdenke. Ich balle die Hände zu Fäusten und verwerfe fast meinen Plan – mit Valentin zu reden -, um Sweeney Todd die Fresse zu polieren. Obwohl es sicher befreiend wäre, laufe ich dann aber doch an Sven vorbei. Ich weiß, meine Freunde halten mich für ein herzloses Arschloch. Und was Valentin von mir denkt… ich will es gar nicht wissen. Aber all das bin ich nicht. Ich weiß, dass es Valentin wegen mir scheiße geht. Und genau deshalb geht es mir noch hundertmal schlechter. Es ist mir nicht egal, wenn der Junge, den ich liebe, leidet. Und ja, verdammt. Ich liebe Valentin immer noch. Deswegen ist es mir auch nicht egal, wenn jemand anderes versucht, ihn mir wegzuschnappen. Auch, wenn das absolut scheiße und egoistisch und unfair von mir ist, weil Valentin ja dabei zuschauen kann, wie Terese mich ihm wegschnappt. Obwohl sie das ja nicht tut. Es war ja nicht ihre Idee, sondern meine. Sie war ziemlich überrascht, als ich vor ihrer Türe stand und ihr sagte, wir sollten heiraten. Okay, der Antrag war so ziemlich das Beschissenste, was man einer Frau nur vorsetzen kann. Und von Liebe war da auch nicht die Rede. Das weiß sie alles. Aber sie hat dennoch zugestimmt. Wahrscheinlich hat sie mich immer irgendwie geliebt und war froh, dass ich zurückgekommen bin. Wie dem auch sei. Ich habe Angst vor dem, was nun vor mir liegt, während ich an Sven vorbeilaufe und dann endlich vor Valentin stehe, der zusammen mit Jona im Kofferraum des Vans hockt, den die Band für den Transport ihrer Instrumente gekauft hat. Er blickt auf und ist ziemlich überrascht, mich zu sehen. Ehrlich gesagt bin ich nicht minder überrascht, hier vor ihm zu stehen. „Kann ich mit dir reden?“, frage ich ihn. „Alleine,“ füge ich sicherheitshalber hinzu. Ich glaube nicht, dass das Gespräch irgendwen von den hier Anwesenden etwas angeht. Valentin nickt nur und gemeinsam entfernen wir uns ein Stück von den anderen, bis wir außer Hörweite sind. „Du heiratest also,“ stellt Valentin fest und ergreift somit das Wort. „Valentin, hört zu, du musst verstehen, dass…“ Er unterbricht mich. Das macht er fast nie, außer er ist wirklich sauer. Na super. „Ich muss gar nichts verstehen,“ wettert er los. „Es geht mich nichts mehr an.“ „Doch!“, halte ich dagegen. „Bitte lass es mich dir erklären!“, flehe ich. „Warum sollte ich es dir erklären lassen? Damit du dein Gewissen beruhigen kannst?“, schnappt er und ich schüttle den Kopf: „Damit du es verstehst.“ „Ich will es aber gar nicht verstehen! Ich will nicht wissen, warum du unsere Beziehung einfach weggeworfen hast!“, faucht er und ich habe plötzlich keine Lust mehr. Dieser verdammte kleine Giftzwerg, dieses nervende, aufsässige, sture Monster. „Du blödes Arschloch. Als ich gesagt habe, es ist Schluss, da hast du es hingenommen und hast nicht mal versucht, es mir auszureden. Als ich am nächsten Tag von der Arbeit kam, warst du praktisch schon ausgezogen. Du hast doch nicht eine Sekunde lang für unsere Beziehung gekämpft – aber machst mir Vorwürfe!“ „Ich wollte dir ein wenig Zeit geben, nachzudenken. Aber dann hab ich von Jona erfahren, dass du wieder mit Teresa zusammen bist und dann hatte ich keine Kraft mehr zu kämpfen.“ „Keine Kraft, hm? Tolle Ausrede,“ schnaube ich und bereue es. Warum schiebe ich ihm jetzt die Schuld in die Schuhe? Was bin ich für ein Idiot? „Verdammt! Gib mir nicht die Schuld. Du bist gegangen,“ empört sich nun auch Valentin. „Es ist manchmal schwer, sich zu outen und dann dazu zu stehen. Aber ich dachte, wo du es so lange geregelt bekommen hast, würdest du es langsam hinbekommen. Offenbar bist du nicht so stark, wie ich immer dachte.“ Das zu hören tut weh. Und deshalb meine ich auch nur leise: „Das glaubst du also?“ Überraschenderweise sagt er daraufhin: „Nein. Ich glaube, dass sind alles nur Ausreden.“ Ich ziehe die Brauen hoch. „Ich glaube, du hast Angst, etwas falsch zu machen, weil es nicht das ist, was du einst wolltest. Du denkst, du könntest es bereuen, wenn du jetzt den falschen Weg einschlägst.“ Leider trifft er damit genau ins Schwarze. Ehe ich etwas dazu sagen kann – ich würde es gerne abstreiten, nur, damit er nicht Recht bekommt – fügt er schon hinzu: „Aber manchmal ist der Weg, der falsch aussieht, dennoch der richtige. Und langsam solltest du doch wissen, welcher der richtige ist.“ Leider weiß ich das nicht. Das möchte ich ihm sagen, aber kein Ton kommt über meine Lippen. Stattdessen blicke ich ihn an. Und dann nehme ich ihn ganz plötzlich wahr. Ich meine, ich habe ihn schon die ganze Zeit wahrgenommen. Aber mit einem Mal nehme ich ihn wieder richtig war. Nicht nur als den wütenden Valentin, der mich hasst, sondern überhaupt als Valentin. Da steht er vor mir. Schön und stark und sexy und… Meine Fingerspitzen zucken und ich merke zu spät, dass ich meine Hand hebe und an seine Wange lege. Er schreckt zurück und sieht mich aus großen Augen an, während ich hastig meine Hand zurückziehe. „Ich gehe dann wieder rein,“ quiekt er und ist plötzlich gar nicht mehr so unaufhaltsam, wie gerade eben noch. „Immerhin kriegen wir ja Geld dafür, dass wir spielen,“ meint er und dann ist er weg. Erst steht er noch hier vor mir, dann ist er plötzlich Meter entfernt und rennt regelrecht zurück zu seiner Band. So schnell, dass ich keine Chance habe, nach ihm zu greifen, ihn an mich zu ziehen und ihm zu sagen, wie blöd ich war. Nicht, dass ich dazu in der Lage gewesen wäre. Also blicke ich nur zum zweiten Mal an diesem Tage die Stelle an, auf der er gerade noch stand. Seine Worte rauschen durch meinen Kopf, ab er wirklich nachdenken kann ich gerade nicht darüber. Das einzige, was ich denke, ist, dass ich ihn liebe. Aber dass ich einfach nicht über meinen Schatten springen kann, weil ein Teil von mir noch zu sehr an meinen Träumen für die Zukunft hängt. „Scheint, als liefe euer Gespräch nicht so gut, oder?“ Jona taucht so überraschend neben mir auf, dass ich erschrecke. In der Hand hat er eine Flasche Bier und ich nehme sie ihm ab und trinke sie fast in einem Zug, verschlucke mich noch daran und sehe dann ein wenig peinlich berührt zu ihm. Er ignoriert es und wartet auf eine Antwort zu seiner Frage, die doch eigentlich eine Feststellung war. Ich schüttle nur lasch den Kopf. Es überrascht mich ein wenig, dass ausgerechnet Jona zu mir kommt. Wenn einer Team Valentin angehört, dann ja wohl er. Ich dachte, von all meinen Freunden, ist er es, der am meisten sauer auf mich ist. „Denkst du, etwas, dass richtig aussieht, kann falsch sein? Und etwas, dass falsch aussieht, kann dennoch richtig sein?“, frage ich ihn. Er sagt eine Zeit lang nichts. Ich weiß nicht, ob er nicht verstandne hat, was ich will oder ob er ernsthaft darüber nachdenkt. Dann aber nickt er und meint: „Natürlich kann das so sein.“ „Ich glaube, er hasst mich,“ stelle ich fest, aber Jona schüttelt den Kopf. „Würde er dich hassen, würde er nicht so reagieren. Er ist nur sauer. Und ziemlich verletzt.“ „Aber glaubst du, er liebt mich noch?“, setzte ich anders an und Jonas Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Ich kann es nicht deuten und sehe ihn fragend an. „Oh Joshua. Er wird dich immer lieben.“ Ich nicke und er fragt mich, ob wir wieder reingehen. Aber ich will nicht wieder rein und Valentin ansehen. Ich ertrage das nicht. Ich brauche Zeit zum nachdenken. Zeit für mich. Deshalb sage ich ihm, dass ich nach Hause will. Er ist nicht begeistert, hält mich aber nicht auf. Als ich schon ein paar Schritt entfernt bin, ruft er meinen Namen und ich sehe zu ihm: „Langsam musst du dich entscheiden, Joshua. In zwei Wochen wirst du Teresa heiraten. Dann ist es zu spät.“ Ich nicke nur. Das weiß ich. Das weiß ich nur zu gut. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß es wirklich nicht – aber irgendwie… weiß ich es auch doch. Und das verwirrt mich viel zu sehr, als dass ich noch klar denken könnte. Mein Blick richtet sich auf Valentins Hinter in den engen schwarzen Jeans, die er trägt, während er vor mir durch den Gang tänzelt. Okay, tänzelt ist nicht der richtige Ausdruck. Er tanzt nicht wirklich. Aber umwerfend sieht er dennoch aus. Ich weiß, da gibt es nicht wirklich einen Zusammenhang. Egal… Jedenfalls beeilt er sich, weil er später noch Probe hat. Deswegen schlägt seine Umhängetasche auch bei jedem Schritt gegen sein Bein und die Glöckchen daran machen ein unverwechselbares Geräusch, dass mir unglaublich vertraut ist. Immer, wenn ich es höre, weiß ich, er ist in der Nähe und dann breitet sich eine wohlige Wärme in mir aus, die ich ziemlich kitschig und peinlich finde, aber einfach nur liebe. „Joshua, verdammt, beeile dich doch mal!“, ruft er mir zu und hält zwei verschiedene Brotsorten hoch. „Körner oder normal?“, fragt er und ich antworte ganz automatisch „Körner“, weil ich weiß, dass er lieber Körnerbrot isst. Wir bräuchten uns mit einkaufen nicht so hetzen, wenn er schneller fertig geworden bin. Aber als er von der Arbeit nach Hause kam, musste er ja unbedingt noch Haare färben, weil da angeblich ein Ansatz zu sehen war, mit dem er unmöglich das Haus verlassen konnte. Ich weiß nicht, wo er da einen Ansatz gesehen hat… Dass er schon im nächsten Gang ist, merke ich erst, als ich plötzlich keinen Ausblick mehr auf seinen Po genießen kann. Meine Güte… wir hatten seit drei Tagen keinen Sex, weil ständig etwas dazwischen gekommen ist. Eigentlich sollte man meinen, dass das auszuhalten sei. Aber ich glaube, wenn ich ihn nicht auf der Stelle nehme, sterbe ich. Heute Abend entkommt er mir nicht, egal, wie müde er sein wird! Schnell folge ich ihm in den nächsten Gang und verfluche dabei weiter seine Bandprobe. Er steht bei der Milch und überlegt gerade, welche er wohl nehmen soll. Die Vollmilch, die besser schmeckt, oder die Fettarme, die weniger fett macht. Natürlich nimmt er die Fettarme, weil er ja auf unsere Linie achten möchte. Als würde uns so ein bisschen Vollmilch fett machen. Dann dürfte er auch nicht die Vollmilchschokolade kaufen, die er in Massen in sich reinstopfen kann, während wir DVDs gucken. Aber immer, wenn ich ihn darauf aufmerksam mache, tut er so, als höre er mich nicht. „Vollmilch oder Fettarm?“, fragt er, als ich neben ihm zum stehen komme. „Fettarm,“ erwidere ich und er stellt diese in das Körbchen, dass ich natürlich schleppen muss. Ich grinse und er sieht mich fragend an. „Doch lieber Vollmilch?“, fragt er unsicher und ich schüttle den Kopf und hebe die Hand, streiche mit den Fingerspitzen über seine Wange. „Joshua?“ „Ich liebe dich,“ murmle ich und küsse ihn ganz zärtlich und innig. Überrascht blinzelt er mich an, als wäre er nicht schon an meine Überfälle gewöhnt. Dann lächelt er und ich lächle zurück und bin gerade versucht, ihn noch einmal zu küssen, als hinter uns jemand ruft: „Schaut mal, zwei Schwuchteln.“ Ich halte inne und spüre Valentins Hand, die sich auf meine legt, ehe ich reagieren kann. „Wir brauche noch Kaffee,“ sagt er und bringt mich in der größten Wut noch zum schmunzeln. Ich nicke und will weiterlaufen, aber da steht der Kerl, der das gerufen hat, auch schon neben uns. „Na… wie ist es so, einen Schwanz zu lutschen?“ Ich würde ihn gerne eine reinhauen, aber dann zieht mich Valentin schon weg und ich kann ihm nur „Wichser!“ zurufen. „Haut doch nicht ab. Wir könnten doch mal einen Dreier machen. Oder leihst du mir dein Häschen mal aus? Ich wette, sein Arsch passt sich perfekt meinem Schwanz an.“ „Okay, ich bring ihn kurz um, warte hier,“ meine ich aber Valentins Finger schließen sich unerbittlich fest um mein Handgelenk und hindern mich an meinem Vorhaben. „Wann lernst du endlich, so was zu ignorieren?“ „Gar nicht! Ich will es nicht lernen!“ Valentin seufzt und drückt mir eine Packung Kaffee in die Hand. „Nimm das und komm endlich. Ich bin spät dran.“ Ich wache schweißgebadet auf und wälze mich dann unruhig im Bett herum. Ich verfluche den Traum, der eigentlich kein Traum, sondern eine Erinnerung war. Das ist tatsächlich geschehen. Drei Wochen, bevor ich Schluss gemacht habe. Auf dem Heimweg war ich ziemlich mies drauf und als Valentin dann zur Probe ging und ich alleine zu Hause war, habe ich mich bei dem Gedanken erwischt, dass mir das früher, mit Teresa, nicht passiert ist. Weil ich mich für diesen Gedanken so geschämt habe, habe ich danach versucht, den Kopf freizukriegen. Mit meinem Basketball bewaffnet, bin ich in den Park, ganz in unserer Nähe. Aber als ich dort gerade ein paar Körben geworfen hatte und endlich das Gefühl bekam, mich wieder beruhigt zu haben, sah ihn sie. Eine junge Familie. Der Kerl war sicher nicht älter als ich und die Frau an seiner Seite schob einen Kinderwagen durch die Gegend. Dabei scherzten sie und sahen mit stolzgeschwellter Brust zu, wie eine alte Oma verzückt einen Blick auf ihr Baby warf. Irgendwie erinnerte mich das an den Wunsch, selbst mal ein Kind zu haben. Und ich ertappte mich bei der Frage, wie das mit Valentin gehen sollte. Ob man uns erlauben würde, ein Kind zu adoptieren. Und ob Valentin so was überhaupt wollte. Bisher hatte er nicht viel Interesse an Kindern gezeigt. Ich meine… er unterrichtete sie. Aber es war nie so, als dass er mal davon sprach, ein eigenes zu haben. Ich glaube, die Jungs im Supermarkt und kurz darauf diese Familie, waren der Auslöser. Der Auslöser vieler Gedanken und Grübeleien. Die so lange andauerten, bis ich es nicht mehr aushielt und diesen einen dummen Fehler beging. Diesen Fehler, den ich noch immer begehe… Wütend über mich selbst, stehe ich auf und trabe in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ich sollte aufhören, darüber nachzudenken. Zumindest jetzt. Jetzt sollte ich einfach schlafen und das Geschehen des heutigen – ich blicke auf die Uhr, es ist halb drei nachts -, des gestrigen Abends, erstmal vergessen. Weil mir das im Bett nicht gelingen wird, wandere ich ins Wohnzimmer. Ich bin schon lange nicht mehr gerne in meiner Wohnung, sondern übernachte oft bei Teresa. Denn in meiner Wohnung – die mal unsere Wohnung war -, erinnert mich alles an Valentin. Damals, als wir unser Studium endlich abgeschlossen hatten, sind wir zusammengezogen. Nicht, dass wir nicht schon davor zusammen gewohnt hatten. Irgendwie haben wir es geschafft, uns jahrelang ein Studentenzimmer im Wohnheim zu teilen. Zwar hat Valentin dann doch öfter mal in seinem alten Zimmer geschlafen, aber meistens war er bei mir und es war klar, dass wir uns eine gemeinsame Wohnung kaufen würden, kaum dass wir Beide Geld verdienen würden. Und so war es dann auch. Die Wohnung in einem Kölner Altbau war ideal. Klein und erschwinglich, aber dennoch ausreichend. Und zumindest hat all der Kram hereingepasst, den wir so brauchten. Vor allem Valentins Kram. Im Gegensatz zu mir hatte er nämlich ziemlich viel zu verstauen. Es fing schon bei seinen Klamotten an, die dreiviertel unseres Kleiderschrankes füllten. Oder bei seiner CD-Sammlung – ein Berg an CDs, im Gegensatz zu den wenigen, die ich besaß. Gar nicht erst von den sperrigen Instrumenten zu sprechen, die er mit der Zeit angeschleift und letztlich überall in der Wohnung verteilt hat. Seine drei Gitarren nämlich. Natürlich plus Verstärker. Und das Keyboard, dass zum Bandinventar gehörte, aber trotzdem hier rum stand. Und natürlich sein heiß geliebtes Klavier. Das Klavier, dass die Jungs und ich ihn damals alle zusammen zu seinem Geburtstag Geschenk hatten. Eigentlich sollte es sein Weihnachtsgeschenk werden, aber dann hatten wir das Geld noch nicht zusammen und er musste sich noch zwei Monate gedulden. Es ist ein ziemlich teures Klavier gewesen. Und das war der Grund, warum er es hier gelassen hat, als wir uns trennten. Weil er so ein teures Geschenk nicht behalten wollte. Ich hatte vor, es zu verkaufen und den Jungs das Geld zurück zu geben. Denn was soll ich schon mit einem Klavier anfangen? Aber ich dachte immer, dass er es vielleicht irgendwann doch gerne hätte und habe es behalten. Und ehrlich gesagt kann ich mich auch nicht davon trennen. Weil ich die Nächte vermissen, in denen wir im Wohnzimmer am Klavier saßen und er einfach gespielt hat. Immer weiter gespielt, bis ich eingeschlafen bin. Und noch länger. Ich vermisse den Klang des Klaviers. Ich vermisse Valentin. Vielleicht ist das der Grund, warum ich wenig später davor sitze und zaghaft eine Taste nach unten drücke. Der Ton, der daraufhin ertönt ist weder schön, noch erzählt er eine Geschichte, wie es die Songs von Valentin immer getan hatten. Aber für mich bedeutet er in diesem Moment einfach alles. Vielleicht sollte ich es lernen. Aber es wäre nicht das Gleiche. Ich könnte niemals diesen Zauber entfachen, den Valentin beschwört. Er ist für die Musik gemacht. Oder manchmal kommt es mir auch so vor, als sei die Musik für ihn gemacht. Ein wenig spiele ich noch, auch wenn ich bis auf ‚Alle meine Entchen’ nicht viel hinbekomme. Das Klavier ist ein wenig verstimmt, weil so lange nicht gespielt worden ist. Mich stört es nicht. Valentin hätte es sicher gestört. Meine Hand hält inne und ich lasse sie auf das Klavier sinken. Es ergibt einen komischen Ton, dann Stille. Eine Stille, die jäh unterbrochen wird, als es an der Türe klingelt. In mir kommt Unlust auf. Ich drehe durch, wenn noch mal einer der Jungs hier aufschlägt und mir ins Gewissen reden will. Und ich drehe durch, wenn es jetzt Teresa ist, die Sehnsucht nach mir hat oder einfach nur kontrollieren will, dass ich nicht eine heiße Stripperin abgeschleppt habe. Sie ist nämlich der Meinung, mein Junggesellenabschied würde so aussehen. Nackte Stripperinnen und viel, viel Alkohol. Totaler Quatsch. Als es noch mal klingelt – diesmal länger und eindringlicher – gebe ich auf, es ignorieren zu wollen. Es ist dunkel draußen und ich habe Licht an. Jeder kann das von der Straße aus sehen und weiß, dass ich zu Hause bin. Also brauch ich es auch nicht leugnen. Deshalb stehe ich auf und laufe mürrisch zur Türe, blicke noch einmal mit noch viel mürrischeren Blick auf die Uhr. „Wehe, es ist nicht wichtig!“, fauche ich, noch während ich die Türe aufreiße. „Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich das einfach so hinnehme!“, giftet mich Valentin an, schiebt mich beiseite und tritt in die Wohnung. „Was machst du hier?“, frage ich gänzlich verwirrt und kann nicht umhin, dass sich ein Teil von mir ziemlich freut, ihn zusehen. Ein sehr großer Teil von mir. „Sag mir, dass du mich nicht mehr liebst. Dass ich gehen und für immer wegbleiben soll. Dann werde ich das tun. Aber du musst es mir sagen.“ Er sieht mich auffordernd an: „Sag es mir.“ Ich schüttle den Kopf. „Das kann ich nicht.“ „Dann heirate Teresa nicht. Joshua, bitte… ich werde alles tun, was du willst. Ich werde Ordnung halten. Ich werde nicht mehr so viel Kaffee trinken. Ich werde nicht mehr stundenlang das Bad blockieren… aber bitte verlass Teresa.“ Ich sehe ihn an und denke an all die Dinge, die ich ihm gesagt habe, als ich Schluss gemacht habe. Dass ich es mit ihm nicht mehr aushalte. Dass er mir zu chaotisch, zu aufgedreht, zu unordentlich sei. Dass mich seine Kaffeesucht nerve und dass ich morgens immer spät dran, weil er so lange im Bad brauchte, egal, wie früh er aufstand. Aber eigentlich war das alle eine Lüge. Ich musste etwas sagen um ihn zu vertreiben, als ein einfaches ‚Ich ertrage die Blicke der Leute nicht mehr’ nicht ausreichte. „Das musst du alles nicht. Ich hab das nur gesagt, weil ich nicht wusste, was ich sagen könnte, damit du…“, ich breche ab, aber er weiß auch so, was ich sagen will. „Gehst,“ beendet er meinen Satz und seufzt. „Dann ist es so? Du kommst nicht damit klar, was die Leute teilweise über Homosexuelle denken?“, fragt er und wie magisch zieht es ihn zum Klavier im Wohnzimmer. Ich folge ihm und frage mich, ob mir so kalt ist, weil ich noch die Balkontüre offen habe, oder weil die Stimmung mich frösteln lässt. „Hat mich das je gestört?“, entgegne ich und er schüttelt kurz den Kopf und lässt sich am Klavier nieder. Seine Finger fliegen kurz über die Tasten. „Du hast es verstimmt!“ „Es hat sich von allein verstimmt!“ Er grinst und sieht mich dann an. „Was war der Grund?“ Er hat verstanden, dass es mich manchmal stört, aber nicht immer. Nicht so sehr, dass ich gleich gehen würde. „Vorhin wolltest du ihn nicht hören,“ sage ich, um Zeit zu schinden. Ich weiß nicht, wie ich es ihm erklären soll. „Aber jetzt will ich ihn hören,“ hält er dagegen und löst sich vom Klavier. „Ich sag es dir, wenn du etwas spielst,“ fordere ich und er sieht mich streng an. „Das hier ist aber kein Spiel, Joshua.“ Er hat Recht. Und ich bin nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Also sage ich: „Ich hatte Angst, irgendwann würde ich doch gerne eine Familie haben und das könnte ich mit dir nicht. Aber so langsam muss ich einsehen, dass es das ist, was ich einmal wollte – nicht mehr das, was ich noch immer will.“ „Was willst du denn jetzt?“, fragt er und ich seufze. „Was ich schon will, seit ich dich kennen gelernt habe.“ „Unglaublich guten Sex mit einem heißen Emo?“, hakt er nach und ich grinse. „Das auch. Aber hauptsächlich geht es mir um den Emo an sich.“ Er hält meinen Blick nicht stand, als ich versuche, eine Bindung zu ihm aufzubauen, sondern wendet sich dem Klavier zu. „Aber ich weiß nicht, ob ich jetzt noch eine Chance von diesem Emo bekommen werde… weil ich viel zu lange viel zu doof war,“ wage ich mich, die Frage aller Fragen zu stellen. Leider erkenne ich sein Gesicht nicht mehr. Er hat sich ganz dem Klavier zugewandt. „Du hast es mir gesagt, jetzt schulde ich dir einen Song,“ stellt er fest und dann beginnt er zu spielen – und zum ersten Mal in seinem Leben ignoriert er es, dass das Klavier ab und an mal ein wenig schief klingt. „Last night I forgot, how the sound of your voice whispered sweet...”* Ich kenne den Song. Natürlich kenne ich ihn. Valentin liebt ihn. Langsam lasse ich mich neben ihm nieder und blicke auf seine Finger, wie sie so mühelos über die Tasten fliegen, als hätte er den Song schon hunderte Male gespielt. Dabei hat er sich immer beschwert, er würde ihm nicht richtig gelingen. Ich finde, er gelingt ihm. Unglaublich gut sogar. „Why not one more night, one last kiss good bye, my sweet love tonight, I hope the stars still spell out your name where you are.” Wir tauschen einen Blick. Nur einen kurzen. Danach weiß ich nicht Recht, was fühlen. Ist es ihm das viertel Jahr so ergangen? Und wenn ja... was heißt das dann für mich? Für uns? „Kiss my closing eyes, help me sleep witout you I’m so lost And tonight I cry Tell me why I can’t live without your warm embrace.” Ich möchte ihn aufhalten. Ihn einfach packen und vom Klavier wegziehen. Und dann an mich drücken und küssen, als gäbe es kein Morgen. Aber das kann ich nicht. Das darf ich nicht. Dazu habe ich kein Recht mehr. Oder jetzt doch wieder? Will er mir das damit sagen? “I close my eyes and you are everything I see, Goodbye...” Valentin spielt den Song noch zu Ende und als der letzte Ton verklingt, verharrt er noch eine ganze Zeit bewegungslos, ehe er sich mir zuwendet. „Also gibst du mir noch eine Chance?“, frage ich heißer nach und er schüttelt den Kopf und blickt mir in die Augen. „Ich dachte, das wäre klar. Würde ich nicht wollen, wäre ich nicht hier.“ Mit einmal beginnt mein Herz so schnell zu schlagen, dass ich fürchte, es springt mir aus der Brust. Ich beuge mich zu ihm und kann kaum atmen, als sich unsere Lippen zu einem ersten, hauchzarten Kuss treffen. Ehe ich den Kuss intensivieren kann, schiebt er mich bestimmt weg. „Du wirst die Hochzeit mit Teresa doch abblasen, oder?“ Ich grinse: „Ich dachte, dass wäre klar.“ Er lächelt und ich küsse ihn wieder. Diesmal lässt er zu, dass der Kuss inniger wird und ich ihn an mich ziehen darf. Eine Weile genügt uns das, dann aber nehmen die Hormone doch überhand und letztlich geht alles ganz schnell. Die Klamotten noch auf dem Weg verlierend, finden wir uns irgendwann im Schlafzimmer wieder und ich drücke Valentin aufs Bett und kann kaum glauben, wie ausgehungert ich bin. Sex mit Teresa war nicht erfüllend. Aber Sex mit Valentin ist alles, was ich brauche. Ich liebe es, ich liebe seinen Körper. Und ich liebe ihn. Es ist erneut die Türklingel, welche die Stille zerstört. Diesmal reißt sie mich damit aber nicht aus Tagräumen, sondern auch echten, weil ich noch schlafe. Neben mir regt sich Valentin und sogleich erfüllt mich ein Glücksgefühl, dass ich so schon lange nicht mehr gefühlt habe. „Kriegst du immer so früh schon Besuch?“, fragt er mich noch leise und verschlafen und ich blicke auf den Wecker. Kurz vor sechs. Eigentlich müsste ich eh gleich aufstehen, heute ist immerhin Montag. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Lust, heute aufzustehen. Lieber würde ich den Tag mit Valentin im Bett verbringen. Aber natürlich muss er in die Schule und ich in die Sporthalle, wo ich Nachwuchsspieler des SG Köln 99ers trainiere. Es klingelt noch drei Mal, ehe ich es schaffe, mich aus dem Bett zu quälen und zur Tür zu laufen. Ein wenig habe ich Angst, es könnte Teresa sein, aber die Angst unbegründet, weil es Jona ist. „Hör mal, lass uns noch mal über die Sache reden. Du musst das nicht mit dir alleine ausmachen,“ plappert er und tritt ungefragt ein. Ich sehe ihn an. „Können wir das auf später verschieben?“, bitte ich und er schüttelt den Kopf. Dabei fällt sein Blick auf die Klamotten, die über alle auf dem Boden verstreut und er zieht die Brauen hoch. „Was zur Hölle hast du hier getrieben?“ Ich werde ein wenig rot. „Kann ich dir das später erklären? Können wir überhaupt später reden?“ Er schüttelt nur den Kopf und blickt mich an. „Weißt du… du liebst Valentin doch. Warum willst du dein Leben zerstören in dem du Teresa heiratest?“, fragt er mich ganz direkt und ich öffne den Mund um zu antworten, aber da hat schon etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. „Ist das Valentins Handy?“, fragt er und schnappt sich das Teil, dass auf dem Wohnzimmertisch liegt. Zusammen mit einem Schlüsselbund, der auch Valentin gehört. „Nein,“ lüge ich und er schnappt danach, ehe ich seine Hand aufhalten kann. „Wen seins soll es denn sonst sein? Nur Valentin hat so ein Bild auf der Rückseite!“, stellt er fest und meint damit ein Herz mit Flügen und einem Totenkopf in der Mitte, dass Valentin mal als Sticker hat drucken lassen und dann auf sein Handy geklebt hat. Leugnen ist also sinnlos. „Okay, er war gestern da und wir haben geredet,“ gebe ich zu. „Geredet?“, echot Jona und blickt dann ungläubig auf die Klamotten. „Verstehe. Geredet .“ „Unterstellst du mir gerade-“ „Morgen.“ Wir wirbeln beide herum und blicken Valentin kann. „Was machst du denn?! Was, wenn es jetzt Teresa gewesen wäre?“, fahre ich ihn an und er zuckt mit den Schulter. „Ich hab doch gehört, dass es Jona ist.“ Er tritt zu uns, nur in Boxershorts, weil der Rest seiner Klamotten am Boden verstreut ist. „ Geredet, “ wiederholt Jona noch einmal belustigt und grinst uns dann an. „Dann will ich mal nicht weiter stören,“ meint er und schwupps ist er weg. Ich seufze. „Eigentlich wollte ich erst Teresa verlassen und es dann offiziell machen,“ kläre ich Valentin auf und er lächelt und drückt mir dann mein Handy in die Hand. „Dann mach schnell, ehe Jona es offiziell macht,“ fordert er und ich grinse. Ein wenig habe ich Angst davor, Teresa anzurufen und um ein Gespräch zu bitten. Ich habe Angst, ihr zu sagen, dass ich sie nicht heiraten kann, weil ich Valentin liebe. Das ich ihn zurück möchte und alles ein Fehler war. Immerhin hat sie sich darauf gefreut und nun wird sie die Nächste sein, die ich verletzte. Aber andererseits weiß ich auch, dass es besser so ist. Und wie weiß es doch eigentlich auch. Außerdem kann ich nicht ohne Valentin. Das muss sie einsehen. Immerhin sind die Wege, die falsch aussehen, manchmal eben doch die richtigen. * Für alle Interessierten: Der Song, den Valentin gespielt hat, heißt ‘Early mourning’ von Alesana. (Ein unglaublich toller Song von einer unglaublich tollen Band! *O*) Hosted by Animexx e.V. 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