Keep my Secret von -melinda- (... and love me) ================================================================================ Kapitel 16: Keine Einbildung ---------------------------- Mittwochmorgen. Vierte Unterrichtsstunde. Kagome kritzelte kleine Schnörkel und Kringel neben ihre Notizen. Am gestrigen Abend hatten Yori, Ray und seine kleine Schwester herausgefunden, dass Kaoru ein Mädchen war. Obwohl sie ihr versprochen hatten, das Geheimnis für sich zu behalten, war Kagome furchtbar nervös und rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Konnte ein dreizehnjähriges Mädchen den Ernst dieser Situation verstehen? War Yori in der Lage Kaoru von Kagome zu unterscheiden und sie dementsprechend anzusprechen? Ray war von allen noch der Vertrauenswürdigste. Aber er war furchtbar moralisch, was wenn er es sich doch anders überlegte und die Schulleitung benachrichtigte? Kagome grübelte darüber nach, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre einfach aufzugeben und zu verschwinden. Sie warf Inuyasha einen kurzen Blick zu. Die Umarmung wurde nicht erwähnt, weder von ihm noch von ihr. Die halbe Nacht hatte sie wach gelegen und sich Gedanken darüber gemacht, was sie bedeuten könnte. Vielleicht zeigte Inuyasha langsam Gefühle für sie. Aber wenn nicht, warum diese plötzliche Zärtlichkeit? Wenn sie herausfinden sollte, dass Inuyasha sie nur umarmt hat, damit sie bleibt um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, dann würde ihm das noch leidtun! "Nächste Woche werden wir eine Debatte darüber führen, ob Karl der Erste wirklich einen fairen Prozess erhalten hat", sagte die Lehrerin nach einem etwas längeren Vortrag und schaltete den Projektor aus. Ray stand auf und drückte auf den Lichtschalter. Das weiße Neonlicht an der Decke flackerte auf und Kagome versteckte schnell ihre Kritzeleien. Die Lehrerin sortierte ein paar Unterlagen. Daraufhin begann sie damit einige Arbeitsblätter auszuteilen und erklärte: "Die Fürsprecher stehen für das Parlament. Die Gegenpartei vertritt den Monarchen und soll beweisen, dass die Anklage nicht Rechtens war- Was ist denn so faszinierend, Ito?" Yori hob überrascht den Kopf und blickte verwirrt in das Gesicht der autoritären Frau. "Äh, gar nichts." "Gar nichts?", fragte die Lehrerin und hob kritisch eine Augenbraue. "Meine Notizen", ergänzte Yori schnell und deutete auf die wenigen Sätze auf seinem Block. "Die sind faszinierend!" Die Lehrerin wandte sich von ihm ab und teilte die restlichen Papiere aus. Dann schrieb sie ein paar Stichwörter an die Tafel. "Also, die gegnerischen Parteien erhalten jeweils zwei Minuten für die Einführung. Dazu kommen fünf Minuten für die Debatte, zwei Minuten für das Schlusswort und drei Minuten für Fragen von Zuhörern. Der Sieger wird am Schluss durch Handzeichen von den übrigen Schülern gewählt." Die Lehrerin seufzte genervt. "Klingt das nicht sehr spannend, Ito?" "Was?" "Die Debatte. Ist das nicht alles sehr spannend?", wiederholte sie. Yori ließ den Bleistift fallen, an dessen Ende er gekaut hatte und räusperte sich. "Ja, allerdings." "Das sehen Sie auch so? "Selbstverständlich", antwortete er sehr überzeugend. Die Lehrerin stemmte ihre Hände in die Hüfte und fragte: "Spannender als auf das Ohr von Kaoru zu starren?" Kagome zuckte leicht zusammen und wurde etwas rot. Es war vereinzeltes Gekicher ihrer Mitschüler zu hören und die meisten Blicke richteten sich auf sie. Verlegen schirmte sie ihr Gesicht mit einer Hand ab. "Ähm, ja", murmelte Yori. "Ja, das glaube ich auch", sagte die Lehrerin deutlich und fuhr fort: "Habt ihr noch Fragen? Gut, dann teile ich die Gruppen ein." Inuyasha drehte den Kopf nach hinten und warf Yori einen verärgerten Blick zu. Nach der Stunde verließ Kagome fluchtartig den Klassenraum und verschwand in der Jungentoilette am Ende des Flurs. Inuyasha warf sich wütend seinen Rucksack über die Schulter und lief im Eiltempo hinter Yori her, Ray folgte beiden misstrauisch. Inuyasha wartete bis seine anderen Klassenkameraden um die Ecke verschwunden waren, bevor er Yori am Kragen packte und ihn gegen die Wand warf. "Hey!", rief er empört. "Was war das eben?" "Das war das Fach Literatur." Er stellte sich dumm, was Inuyasha nur umso mehr provozierte. Er hob die geballte Faust und Yori legte schnell seine Hände schützend vor die Nase. "Nicht ins Gesicht!" Ray griff ein und zog Inuyasha von ihm weg. "Leute, euer Verhalten ist mehr als lächerlich! Ihr seid doch Freunde, oder nicht?" "Das sollte ich vielleicht überdenken", knurrte Inuyasha. Yori erwiderte seine zornigen Blicke, verlagerte aber vorsichtshalber sein Gewicht näher zu Ray. "Was deine Fantasien angeht", sagte dieser und blickte ihn einen Moment lang missbilligend an. "Sie werden Fantasien bleiben. Kagome saß bei deinen Flirtereien lange genug in der ersten Reihe und sie weiß, was für ein Typ du bist." Yori wollte etwas sagen, aber Ray schnitt ihm das Wort ab und sprach weiter: "Sieh den Tatsachen ins Auge. Kagome wäre nie blöd genug, um sich auf dich einzulassen." "Zudem sie sowieso schon auf jemand anderes ein Auge geworfen hat", ergänzte Inuyasha verächtlich und verschränkte die Arme. Seine beiden Mitbewohner sahen ihn kurz überrascht an. "Woher willst du das wissen?" "Sie hat es mir gesagt." "Und für wen schwärmt sie?", fragte Yori ernsthaft neugierig. "Ach, keine Ahnung", schnaubte Inuyasha und wich den prüfenden Blicken von Ray aus. "Okay", sagte Yori und hob demütig die Hände. "Ihr scheint da was missverstanden zu haben. Ihr tut ja so, als würde ich Kagome zu irgendetwas zwingen wollen. Aber ich will sie doch nur etwas besser kennenlernen, also als Mädchen." "Er will sie nur kennenlernen", wiederholte Ray, als wäre das etwas völlig Anderes. "Wie weit kennenlernen?", fragte Inuyasha mit grimmiger Miene. Yori grinste etwas. "So weit, wie sie mich lässt." "Er tut es schon wieder!", rief Inuyasha wütend. "Was?" "Du gehst schon wieder zu weit. Lass es einfach bleiben", erklärte Ray und fuhr sich genervt durch die Haare. "Mir reicht es schon jetzt und ich werde nicht zulassen, dass sich dieser Streit weiter verkeilt. Also, Yori benimmt sich von nun an nicht mehr wie ein Depp und du, Inuyasha, bist nicht mehr so aggressiv!" "Ich werde nicht so tun, als wäre das nie passiert", beharrte Inuyasha stur. "Das verlangt ja auch niemand. Aber gib ihm doch einfach-" "- einen Schubs von einem hohen Gebäude?", beendete er Ray's Satz und beobachtete vergnügt wie Yori eingeschüchtert zurückwich. "Eigentlich dachte ich eher an eine zweite Chance." Es blieb einen Moment lang still, während Inuyasha nachdenklich zwischen seinen beiden Mitbewohnern umherblickte. "Okay", sagte er schließlich. "Aber nur, wenn er sich ab jetzt zurückhält und Kagome nicht mehr belästigt. Eine ähnliche Situation wie die vorhin im Unterricht sollte sich nicht wiederholen, sonst kriegt sie wegen uns wirklich noch Schwierigkeiten." "Du kannst nicht einfach so den Boss raus hängen lassen", entgegnete Yori. "Und ob ich das kann!" "Also, Leute. Herrscht wieder Frieden? Bitte?", fragte Ray und stieß seinen Ellenbogen fest in Yoris Seite. Er stöhnte kurz auf und rieb sich die schmerzende Stelle. "Ah, ja, Frieden!" "Wenn du sie nicht in Ruhe lässt, wird das nächste Mal mehr als nur deine Nase bluten, klar?", sagte Inuyasha drohend und ging. "Ich behalte dich im Auge", rief er noch über die Schulter und verschwand dann ebenfalls in der Jungentoilette. "Er ist wie ein bissiger Pitbull", murmelte Yori säuerlich. Im Toilettenraum war es still. Inuyasha ging an den Waschbecken vorbei und sah, dass die erste Kabinentür verschlossen war. Er überprüfte, ob die anderen drei Kabinen leer waren und klopfte dann vorsichtig an die erste Tür. "Kagome", flüsterte er. "Alles in Ordnung?" "Verschwinde!", zischte sie. Inuyasha verdrehte die Augen und wollte wieder gehen, als er ein kurzes Schluchzen hörte. Er horchte auf und bemerkte Papiergeraschel und leises Schniefen. "Weinst du, Kagome?" "Nein", wimmerte sie. Inuyasha seufzte gequält. "Bitte, nicht weinen. Ich hasse es, wenn Mädchen weinen. Ich habe gerade mit Yori geredet. Ich und Ray sorgen dafür, dass er nicht noch mehr Blödsinn anstellt, okay?" "Es geht doch nicht um Yori!", fauchte Kagome aufgebracht, stieß die Tür auf und blickte ihn mit verheulten Augen an. "Worum denn dann?", fragte Inuyasha verwirrt. Kagome lief an ihm vorbei und stellte sich vor ein Waschbecken. "Ich sollte schon längst im Zug Richtung Tokyo sitzen, meinen Eltern alles beichten und zurück auf meine alte Schule wechseln. Das wäre vernünftig. Stattdessen ignoriere ich das Risiko und denke nur daran, was für eine gewaltige Chance ich mir entgehen lassen würde und-" Sie brach ab und blickte in den Spiegel. Inuyasha stand hinter ihr. "Und- was?" "Gar nichts", murmelte Kagome. Sie drehte den Wasserhahn auf und wusch sich mit dem kalten Wasser das Gesicht. Inuyasha reichte ihr ein paar Tücher zum abtrocknen. "Wir haben das doch gestern alles geklärt." Kagome warf die nassen Tücher in den Mülleimer und schaute Inuyasha fassungslos an. "Geklärt? Nichts haben wir geklärt!" "Ich habe dir versichert, dass die anderen dicht halten werden. Sie selbst haben es dir versprochen. Klar, Yoris Verhalten eben war kein guter Anfang, aber das wird er in den Griff kriegen und niemand wird wegen dieser Kleinigkeit Verdacht geschöpft haben." "Meine Zukunft liegt in den Händen einer Dreizehnjährigen, einem Playboy und einem braven Musterschüler, der nicht gerne die Regeln bricht. Das klingt für mich nicht nach einem Happy End." "Du hattest kein Problem damit, als ich es herausgefunden habe. Warum hast du nicht schon damals direkt deine Koffer gepackt?" "Weil nur du es wusstest und ich dir vertraut habe. Es scheint dir nicht bewusst zu sein, aber du hast mich furchtbar verletzt, Inuyasha. Du hast mich gestern Abend einfach ins kalte Wasser geworfen und dafür gibt es einen Grund, da bin ich mir sicher. Du wolltest mich loswerden. Einen kurzen Moment lang wolltest du, dass ich verschwinde. Warum du deine Meinung dann wieder geändert hast, ist mir allerdings schleierhaft." "Ich habe dir schon gestern gesagt, dass das so nicht gemeint war." "Ja, kurz bevor du mich umarmt hast", sagte Kagome und runzelte die Stirn. "Was das zu bedeuten hatte, würde ich übrigens gerne erfahren. Ich hoffe nur du glaubst nicht, dass das alles wieder in Ordnung gebracht hat. Ich bin nach wie vor enttäuscht und wütend auf dich." Inuyasha schaute bedrückt zu Boden. Hatte sie ihn etwa gekränkt? Seufzend strich sie über ihre Stirn. Die Heulerei und Aufregung haben ihr Kopfschmerzen beschert. "Ich möchte dich etwas fragen, was mich die ganze letzte Nacht über beschäftigt hat", sagte sie und suchte seinen Blick. "Gib mir bitte eine ehrliche Antwort. Wolltest du mich verscheuchen, weil du mich nicht ausstehen kannst?" Sie sah ihm tief in die Augen und beobachtete seine Reaktion. "Oder weil du mich mehr magst, als dir lieb ist?" Er wirkte erschrocken und Kagomes Herz schlug ein gutes Stück schneller als ihr klar wurde, dass sie vermutlich den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte öffnete sich die Tür und ein fremder Schüler trat in den Raum. Er wirkte sehr erwachsen, vermutlich war er in der momentanen Abschlussklasse. Er warf den beiden einen kurzen Blick zu, bevor er sich vor ein Urinal stellte und den Reißverschluss seiner Jeans öffnete. Kagome wendete schnell den Blick ab, daran würde sie sich nie gewöhnen. Inuyashas Gesichtszüge hatten sich verhärtet und er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ungeduldig wartete sie darauf, dass sich der Junge fertig erleichtert hatte. Sie hörte wieder das Surren des Reißverschlusses und die Toilettenspülung. Als er auf sie zukam, ging Kagome ein Stück zur Seite um ihm Platz zu machen. Im Spiegel wanderte sein Blick von Kagome zu Inuyasha und wieder zurück, während er sich die Hände wusch. Offensichtlich fragte er sich, warum sie so verkrampft dastanden. Zum Glück wollte er seiner Neugier nicht nachgeben und verschwand wieder. Nachdem die Tür zugefallen war, wandte sie sich wieder diesem Sturkopf zu und trat einen Schritt nach vorne. "Bekomme ich eine Antwort?", fragte sie sanft. "Ich glaube kaum, dass du sie hören willst", antwortete er in einem Ton, der so kalt war, dass Kagome ein leichter Schauer über den Rücken lief. "Wenn es die Wahrheit ist, will ich sie hören." Innerlich bereitete sie sich schon auf den Schlag vor. "Es war nur eine Umarmung. Eine völlig harmlose, freundschaftliche Umarmung. Nichts weiter", sagte er sachlich. Für sie klang es fast, als versuchte er sich selbst zu überzeugen. "Ich wollte, dass du bleibst und so habe ich es erreicht. Mehr war und ist da nicht. Wenn du nicht damit aufhörst, wird das noch zu ernsten Schwierigkeiten zwischen uns beiden führen." "Womit soll ich aufhören?" "Du weißt ganz genau was ich meine", flüsterte er drohend. "Die nächste Stunde fängt gleich an." Er drehte sich um und verschwand durch die Tür. Er log. Er machte ihr etwas vor. Die Umarmung war weder harmlos noch freundschaftlich gewesen. Sie war Inuyashas Moment der Schwäche. Sie war ihm nicht egal. Das bildete sie sich nicht bloß ein, das war ihr jetzt klar und diese Erkenntnis tröstete sie etwas über die erneute Zurückweisung hinweg. Kagome hatte das Gefühl, dass Inuyasha eine furchtbar schwere Last zu tragen hatte, von der er sich einfach nicht befreien konnte und vielleicht auch nicht wollte. Sie wünschte sich, er würde ihr erlauben ihm etwas von dem verfluchten Gepäck abzunehmen. Aber dazu würde es wohl nicht kommen. Welches Problem ihn auch quälte, helfen konnte sie ihm nicht. Nicht, solange er es nicht zuließ. Hosted by Animexx e.V. 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