Herbstmädchen von Ling-Chang (Drachentänzerin) ================================================================================ Kapitel 3: Tänzerin ------------------- Hätte dieser Dragoniar, oder was auch immer der Mann mit den grünen Haaren war, nicht Magie gewirkt und sie ins Traumland geschickt, nur damit sie wieder am nächsten Tag in ihrem eigenen Bett aufwachen konnte, hätte sie den Rest des Vortages wahrscheinlich damit verbracht, mit klopfendem Herzen auf ihre Befreiung zu warten. Sie hätte mit Sicherheit kein Auge zugetan. Doch da der gute Mann das getan hatte, war sie erfrischt heute Morgen aufgestanden und hatte sich umgezogen. Obwohl in ihrem Inneren Zweifel über Zweifel herfiel, konnte sie nichts anderes tun, außer zu hoffen, dass dieser seltsame Dragoniar ihr das Leben rettete. Er musste sie einfach aus den Klauen dieser Freiwilligen-Tradition retten! Er musste sie auch vor den Exorzisten retten! Er musste es einfach! Er hatte es ihr versprochen! „Oder hat er das am Ende nur gesagt, um mich zu beruhigen und mir Hoffnung zu machen, sodass ich mit positiver Miene in den neuen Tag schreite?“, hauchte sie misstrauisch in ihren Fruchtsaft. Seit ihr Vater vor zwanzig Jahren gestorben war, hatte sie keinen mehr getrunken. Es mangelte ihr schließlich an Geld und ihre einzige Einnahmequelle war der Unterricht, den sie den jungen Mädchen der Dragoniar im Tanzen gab. Der fand aber in letzter Zeit ohne sie statt, da man ein hübsches neues Mädchen angestellt hatte, dass mit einer Geschicktheit, die nur zu bewundern war, auch Fuxyas Arbeitsstelle an sich gerissen hatte. „Und wie zum Henker der Menschen hat er es schon wieder geschafft, mich in mein Haus zu bringen?“, murmelte sie weiter, um sich abzulenken. Wenn sie das nicht tat, würden ihre Gedanken unweigerlich zu den Androhungen der Priesterin zurückwandern. Das machte ihr Angst, also war sie bereits den ganzen Morgen damit beschäftigt, sich anderweitig die Zeit zu vertreiben. Gerade war sie dabei, sich zu wundern, warum der angekündigte Besuch von Topazza so spät ausfiel, als es an der Tür klopfte. „Herein!“, rief sie, denn hier in der Schlucht schloss niemand seine Türen ab. Das war nicht nötig. Sie alle waren Kämpfer und könnten Eindringlinge ohne weiteres dem Erdboden gleich machen. Außerdem würde man Eindringlinge überhaupt nicht durchlassen beim Eintritt auf den Heiligen Berg. „Guten Morgen“, grüßte Fuxya die Priesterin und einige junge Mädchen. Sie alle waren in weiß gekleidet und nur Topazza in Gold. Es kam nur sehr selten vor, meistens bei heiligen Ritualen, dass sie dieses goldene Gewand anlegte. Fuxya fiel es schwer, den genauen Grund dahinter zu sehen, da sie ihre Überantwortung an Exorzisten für nicht feierlich genug hielt. „Wie ich sehe, seid Ihr bereit“, antwortete Topazza und rümpfte die Nase. Ihr Blick geisterte durch den spärlich eingerichteten Raum, der früher viel voller und heimeliger gewesen war, der nach dem Tod ihres Vaters aber ausgeräumt worden war, um an Geld zu kommen. Warum sprach die Priesterin so förmlich? Das hatte sie noch nie getan! War das also Grünhaars Plan? Fuxya fand, dass sie auf diese Feststellung nichts antworten musste und schwieg. „Heute Morgen ereilte mich …“, begann die goldene Frau und schüttelte ungläubig den Kopf, bevor sie weitersprach, „ein Edikt von den Heiligen. Sie berufen Euch als Tänzerin, Fuxya vir Sallanis.“ Fuxya zuckte zurück. War das Grünhaars Plan? Aber wie sollte ein Dragoniar darauf Einfluss nehmen? Ein Edikt der Heiligen war ein Erlass der Drachen! Das war unmöglich sein Werk! Sie runzelte irritiert die Stirn. Also wurden ihr die Exorzismen und Freiwilligen-Dienste erspart, damit sie als Konkubine zu den Drachen geschickt werden konnte? Sie wusste nicht wirklich, was schlimmer war. „Als Tänzerin?“, wiederholte sie daher und konnte sich des dümmlichen Gesichtsausdrucks nicht erwehren, der in ihr hochkam. Obwohl sie ihr ganzes Leben lang davon geträumt hatte, tatsächlich in die Familie der Drachen aufgenommen zu werden, schien ihr jetzt, da es so weit war, nichts befremdlicher. „Ja, Kind. Und sie wollen Euch noch heute. Also werden wir Euch jetzt von Eurer … fleischlichen Hülle so gut es geht befreien, um Euch dann den Hütern zu übergeben“, antworte Topazza genervt. In ihr brodelte die Wut, das sah Fuxya in ihren Augen. Die Priesterin hatte Tänzerin werden wollen, war aber durch ihre Ehe und Kinder an die Welt auf dieser Seite des Tempels gebunden. „Aus meiner fleischlichen Hülle befreien?“, hakte Fuxya nach. Das klang fast so, als wollten die Frauen sie töten, damit sie übertreten konnte. Die Mädchen in Weiß schnaubten und sahen sie von oben herab an, als sei sie diese Ehre nicht wert. Und genauso fühlte sich Fuxya auch. War das Grünhaars Plan oder nicht? Hatte er Verbindungen zu den Drachen oder war das hier reiner Zufall? Müde fuhr sie durch ihr Haar und meinte ergeben: „Tut, was ihr tun müsst.“ Die Frauen schnaubten wieder herablassend und nahmen sie dann am Arm, als wäre sie eine Gefangene, die man gerade abführte. Aber sie fühlte sich seltsam schwach, nachdem man sie mit dieser Enthüllung völlig überrumpelt hatte. So merkte sie nur am Rande ihrer geringen Aufmerksamkeit, dass man sie in den Tempel schleppte. Nicht nach rechts in das Büro der Priesterin, sondern nach links in einen riesigen Raum. In der Mitte stand ein Badezuber und Bahnen von durchsichtiger weißer Seide lagen gefaltet auf einem Stuhl in der Nähe. Weiße Bänder hingen über dessen Holzlehne. Sonst war die weiße Halle eher schlicht: An ihren Wänden waren pastellfarbene Mosaiken befestigt worden, doch keine von diesen schien ein Symbol für etwas Bestimmtes darzustellen. Die Fliesen waren weiß und glatt, sodass Fuxya mehrmals ins Rutschen kam. Man fing sie, wenn auch widerwillig, auf, aber sonst … Vielleicht war der Geruch noch nennenswert: Er war zart, verführerisch und machte sie noch schwächer als vorher. „Nehmt es als Eure Hochzeitsnacht“, sagte Topazza und sah sie kühl an. Als Tänzerin würde sie in den feinsten Kleidern und Bändern mit feinstem Goldschmuck und schöner Frisur sowie betörendem Duft auf den Altar gelegt werden. Das war die Hochzeit, die man zu erwarten hatte als Auserwählte. Bevor man sich versah, hieß es, lag man bereits in den Armen eines Drachen, der einen begatten sollte – sie hatte diese Gerüchte aufgeschnappt, da war sie dreißig oder vierzig Jahre alt gewesen, ein junges naives Mädchen, das nicht zuordnen konnte, was mit Letzterem gemeint war. Doch jetzt wusste sie es. Sie würde hergerichtet werden, als sei dies ihre Hochzeit mit einem Dragoniar, würde jedoch ein Mittel zu sich nehmen, das ihr den Verstand vernebelte, damit sie sich den Weg in das Reich der Drachen nicht einprägen konnte und würde in diesem Zustand dann genommen werden. Von einem wildfremden Mann, der ein Drache war, vor dem sie sich fürchtete. Unwillkürlich schlich sich ein kalter Schauer ihren Rücken hinab. Doch man ließ sie nicht zögern. Die Frauen entledigten sich ihrer eigenen Kleidung – waren sie hübsch! –, dann entkleideten sie Fuxya, die sich neben ihnen bemerkenswert hässlich vorkam und führten sie in den Badezuber. Er roch nach Seife und Duftölen und Schaum hatte sich auf der Wasseroberfläche gesammelt. Die jungen Frauen begannen mit harten, kratzenden Bürsten Fuxya abzuschrubben, die sich mehrmals beschweren wollte, sich aber nur düstere Blicke einfuhr. Man ging zu Badesand über, der mit Duft angereichert auf der Haut aufgetragen wurde und mit dem man sie massierte, damit ihre Haut sanft wurde. Dann wurde wieder geschrubbt, dieses Mal aber mit weicheren Bürsten. Dieser Vorgang wiederholte sich bestimmt fünf oder sechs Mal, bevor sie endlich aus dem Wasser steigen durfte. „Hättet Ihr doch schon immer die Weisheit bewiesen, dass Schönheitsbäder für junge Frauen ihr Leben bedeuten, dann hätten wir es jetzt nicht so schwer, Euch herzurichten“, stöhnte eine der Frauen leise und Fuxya schaute verlegen zu Boden. Sie hatte kein Geld und keine Zeit für solche ausgiebigen Bäder gehabt, die ihre Haut erstrahlen lassen sollten. Stattdessen hatte sie nur bewundernd auf die jungen Frauen geschaut, die es sich leisten konnten, solche Verschwendung mitzumachen. „Nägel und Augenbrauen!“, befahl Topazza und die Frauen führten Fuxya zu einer Liege, die hinter dem Zuber versteckt ebenfalls in der Mitte des Raumes stand. Dort sollte sie sich drauflegen und ruhig halten, während man ihr Haare auszupfte, was ziemlich schmerzte und ihr Tränen in die Augen trieb und man ihre Nägel feilte. Obwohl sie sich danach bereits wie eine reiche Frau vorkam, schnalzten die Mädchen immer noch mit der Zunge, als würde so eine Behandlung bei weitem noch nicht ausreichen. „Die Haare!“, rief eine aus und deutete auf Fuxyas Körper unterhalb ihres Halses. Als sie ihre Scham bedecken wollte, hielten wütende Seufzer sie zurück. Was darauf folgte, war eines ihrer wohl furchtbarsten Erlebnisse: Man entfernte vom Hals abwärts alle Haare mit Magie und Umschlägen, die ein erneutes Wachstum verhindern würden. Es brannte und tat unglaublich weh. Fuxya beschwerte sich, doch man schnitt ihr mit gehässigen Erwiderungen das Wort ab. Diese Qual machte den Frauen wohl Spaß, denn sie schienen besonders lange und gründlich zu arbeiten. Fuxya stand in dem leergeräumten Gebetssaal und starrte das Bild der Drachen hinter dem Altar an. Das war jetzt ihre neue Familie und ihre alte war nicht gekommen, um sich von ihr zu verabschieden, nicht einmal die in Weiß gekleideten Frauen waren geblieben. Nur Topazza, die jetzt einen mürrischen Blick über das deutlich jüngere Mädchen gleiten ließ. Ihre Schönheit, in das Gold ihres Tempelgewandes gehüllt, blendete Fuxya, die sich vorkam, als sei sie ein besonders saftiges Stück Schweinefleisch auf einem Servierteller. „Nun gut. Nicht schlecht. Man kann also noch vieles retten, wenn man sich Mühe gibt“, kommentierte Topazza Fuxyas vollständige Verwandlung. Dieses Mal konnte die junge Frau jedoch keine Widerrede geben, da sie eine ähnliche Feststellung gemacht hatte, als sie vor dem großen Spiegel im Saal der Reinigung gestanden hatte. Ihr Körper war durch die Behandlungen zart und glänzend geworden, Pigmentflecken waren mit Hilfe von Cremes wegmassiert worden und, wie für eine jungfräuliche Braut angemessen, waren ihre Haare entfernt worden. Sie hatte zum ersten Mal wirklich das Gefühl, nicht hässlich zu sein und den anderen Frauen vom Körper her in nichts nachzustehen: Ihre Brüste, durch ein Mieder immer sehr klein gehalten, waren zwar weniger üppig als Topazzas aber auch nicht winzig. Sie war ebenso dünn und leicht muskulös wie alle anderen auch und mit ihren gefeilten und golden lackierten Finger- und Fußnägeln fühlte sie sich unermesslich reich – als hätte sie endlich etwas zu bieten. „Ich hielt die Haare und Augen für unrettbar, aber ich muss zugeben, sie stehen Euch ganz außerordentlich gut“, verwies Topazza jetzt auf Fuxyas Kopf. Diese lächelte stolz: Ihr schwarzes Haar war turmartig aufgeschichtet worden und mit Gold- und Perlenketten durchzogen worden. In der Mitte ihrer Stirn baumelte ein tropfenförmiger Rubin, der sich wunderbar ihren Augen anpasste. Die waren mit schwarzer Schminke umrandet, während die Lider mit Goldstaub eingerieben waren, der das gesamte Gesicht aufhellte. Von den Lidern wölbten sich Wellen und Spiralen von Gold über ihre Schläfen hinauf auf die Stirn, um dort den Rubintropfen einzuhüllen. Ihre Wangen waren mit rotem Puder zum Glühen gebracht und ihr Mund mit goldenem Lack aufgefüllt. „Ihr seht nicht schlecht aus“, murmelte Topazza, aus deren Worten man sprühende Eifersucht hörte, die sie nur mühsam unter Kontrolle hielt. Es war eine völlig neue Erfahrung für Fuxya, dass jemand sich von ihrem Aussehen eingeschüchtert fühlte – gerade, wenn dieser jemand die hübscheste Frau der Dragoniar und zusätzlich dazu die perfekte Priesterin war! Oh, wie gut sich das anfühlte! „Ich danke Euch“, erwiderte sie bloß und spürte den kleinen Luftzug, der die Bahnen durchsichtiger Seide zum Flattern brachte. Man hatte eine Kürzere für die Vorderseite und eine deutlich Längere für die Hinterseite ihres Körpers genommen, diese auf ihren Schultern mit goldenen Schnallen und unter ihrer Brust mit einem vergoldeten Seil zusammengebunden. Dann hatte man noch eine viel längere Bahn Seidenstoffs von hinten in die Schnallen geschoben, damit sie eine Art Umhang über dem durchsichtigen Stoff trug. Erst danach hatte man ein in ein Rechteck mit Spitze geformtes Stück Seide genommen, das mit atemberaubenden Goldstickereien benäht worden war und es unter ihrer Brust am Seil befestigt, dessen Schleife sich übrigens auf dem Rücken befand. Die Spitze des Stoffs reichte bis zu ihren Knöcheln hinab, an denen unterschiedliche, aber sehr feine Goldkettchen hingen, in denen wiederum winzige Rubine eingelassen waren. Ähnlichen Schmuck trug sie auch an den Handgelenken und im Haar. „Ich verstehe es als meine Pflicht, Euch zu wünschen, Ihr möget stärker sein als andere Tänzerinnen und mehr Drachensöhne schenken als je eine andere Frau zuvor“, leierte Topazza widerwillig die formellen Worte der Verabschiedung herunter. Sie gab sich immerhin Mühe, das Protokoll insoweit zu erfüllen, als es das Minimum zuließ. Bei einer normalen Hochzeit, bei der eine Frau den Drachen übergeben wurde, kamen alle Dorfmitglieder und sangen stundenlang Lieder von Fruchtbarkeit und Opferbereitschaft, man aß viel und gut, lachte und schenkte der Braut Goldschmuck, den sie auf der anderen Seite als Mitgift ihrem Herren überreichen sollte. Das gab es für Fuxya nicht, deren Eltern nicht mehr lebten und in Schande von dieser Welt gegangen waren – sie hatten nur eine Tochter auf die Welt gebracht, die auch noch Anomalien aufwies und bis zum Tod ihres letzten Elternteils nicht einmal eine Aussicht auf eine gute Ehe besaß – und die im Dorf keine Freundschaften genoß. Die Priesterin nahm ein letztes Schmuckstück aus einer goldenen Schatulle: Auch dieses war in aller letzter Sekunde beim Goldschmied beantragt worden und schließlich gerade erst fertig geworden. An filigranen Goldringen, so klein wie die Hälfte des Fingernagels ihres kleinen Fingers, hing ein riesiges Goldplättchen auf dem ein flacher Rubin Halt fand. Topazza hängte Fuxya die Kette um den Hals. Dabei rutschte das Herzstück in ihren tiefen Ausschnitt, aus dem sogar ihre Brüste fast herausfielen. Fuxya schaute an sich herab: An den Oberarmen und –schenkeln hatte man Reifen mit Edelsteinen aller Farben befestigt, die mit ihren angehängten Ringen und Glöckchen lustig klimperten. Ebenso verhielt es sich mit ihren Knöchelbändchen und den Ketten im Haar. Sie war ein einziger Haufen Gold. Von so viel Luxus hatte sie nie geträumt. Topazza schritt um sie herum, als würde sie eine kleine Bestandsaufnahme machen, schnaubte dann, blieb vor ihr stehen und sagte: „Zieht diesen Schleier über. Es ist das letzte Stück Stoff, dass Ihr bekommt und das wertvollste von allen. Darüber und über Eure Turmfrisur zieht Ihr diesen Goldreif an, damit das ganze hält. Ich werde Euch mit dem Rücken zum Bild auf den Altar setzen, Ihr werdet aus dieser goldenen Schale diese Kräutermedizin trinken und um Euer Leben beten. Möget Ihr einem ehrwürdigen Drachen zum Kindergebären dienen.“ Fuxya schluckte und kehrte in die unbarmherzige Realität zurück: Für nichts anderes holte man sie. Sie musste Kinder bekommen, bis sie starb, damit die Drachen nicht ausstarben. Topazza würde sie auch nicht eine Minute ihres Lebens mit guten Träumen verbringen lassen. Dafür war die Priesterin viel zu neidisch. Topazza reichte ihr eine Seidendecke, die genauso durchsichtig und weiß wie die anderen, jedoch mit vielen verschnörkelten Goldstickereien versehen und deutlich schwerer war. Sie half Fuxya, sich die Decke wie bei dem Kinderspiel „Geist“ über den Kopf zu ziehen, ohne dass die Frisur davon kaputt ging. Dann holte sie eine goldene Krone hervor: Es war ein Stirnreif mit Rubinen. Die Turmfrisur mit dem Schleier wurde mit einer geübten Geschicklichkeit durch den Reif gezwängt, bis dieser fest und sicher auf der Stirn der Braut lag. Der goldbestickte Schleier lastete schwer auf Fuxya und drückte sie dem Boden entgegen, während sein saum ihre nackten Füße streifte. „Möge der Brautsegen Eure Zukunft erhellen“, vollendete Topazza die Zeremonie, ohne die Worte so inbrünstig auszusprechen, wie es normalerweise der Fall hätte sein sollen. Fuxya hatte einen Kloß im Hals, der ihr eine Erwiderung unmöglich machte. Mit schweren Schritten und Beinen wie aus Stein wurde sie die Stufen zum Altar hochgeführt – mit all dem Gold und dem schweren Seidenstoff fühlte sie sich bewegungsunfähig – und musste dann mit dem Rücken zum Bild auf die Mitte des Altars klettern, wo sie sich auf die Knie setzte. Diese Position mit dem zusätzlichen Gewicht auf ihrer Schulter war das Unangenehmste, was ihr je zugestoßen war, doch sie hielt sich tapfer. „Schließt die Augen und betet, Braut, betet!“, hörte sie Topazza sagen und verkrampfte sich. Sie legte die Handflächen aneinander und hob die Hände vor die Brust, senkte den Kopf und flüsterte das erste Gebet. Sie würde alle siebenhundert Gebete aufsagen müssen, bevor sie Tempeldienerin der Drachen kam. Topazzas Schritte kamen wieder näher und Fuxya beendete das erste Gebet. Sie behielt die Position bei, bis die Priesterin das Wort ergriff und sagte: „Trinkt dies, Braut. Möge es Euch die Hochzeitsnacht erleichtern und Eure Frömmigkeit fördern!“ Zwei Hände hoben eine goldene Schale mit einer klaren Flüssigkeit unter ihrem bodenlangen Schleier an ihren Mund. Mühsam schluckte Fuxya das Gebräu, das so scharf war, dass es ihr beinahe die Kehle versengte und ihren Magen zum Rumoren brachte. Würgend schaffte sie es, die Flüssigkeit an ihrem Kloß im Hals vorbei zu zwängen und begann sofort wieder, die Gebete zu flüstern. Mit geschlossenen Augen, der frommen Position und geraden Haltung konnte Fuxya bald feststellen, dass die gemurmelten Worte ihr Frieden gaben und ihr klopfendes Herz beruhigten, dass nun nicht mehr raste, obwohl es von vielen Geräuschen aufgeschreckt wurde wie ein Kaninchen. Irgendwann musste Topazza gegangen sein, doch auch das hatte Fuxya nicht bemerkt – ihre Gebete, deren Inhalt sie manchmal nur stammelnd zusammenbekam, weil das Gebräu ihr die Gedanken vernebelte, hatten sie zu sehr in ihren Bann geschlagen. „Mögen die Heiligen unsere Bräute vor Unheil und Unwissenheit bewahren, auf dass ihre Körper rein und unschuldig ihren Herren dienen können und …“, murmelte sie das zehnte Gebet und schauderte, ob der grausamen Realität. Fühlten sich alle Frauen so, die einen Mann heirateten, den sie nicht kannten? Irgendwann fand ihre Seele wieder Frieden, während das Gebräu ihr den Atem und die Gedanken raubte und ihren Körper heiß und wieder kalt werden ließ. Ihr Herz purzelte von einer Anhöhe ins nächste Tal und sprang dann eifrig wieder einen Berg hinauf – sie fühlte sich furchtbar: Ihr Unterleib prickelte und brannte. Die Forderung nach Erlösung war selbst für eine Jungfrau überaus deutlich. Fuxya haspelte hektisch die Gedichte weiter, ihre Hände schwitzten und sie musste sich immer wieder mit der Zunge die Lippen befeuchten, damit sie nicht austrockneten. Ihre Kehle verengte sich und die anfängliche Leichtigkeit, mit der sie die Gebete herausgebracht hatte, war verschwunden. So vergingen die Stunden mehr als nur langsam, fast schon schleichend, während dieses Gebräu immer heftiger anschlug und ihr mehrmals ein Stöhnen entlockte, bevor sie mit zitterndem Leib unruhig hin- und herrutschte. Ihr Unterleib zog sich schmerzhaft zusammen, was ihr ein Zucken entlockte, dann wurde er lodernd heiß und ihre Mitte feucht. „O bitte, ihr Heiligen, erlöst diese unwürdige Seele von ihren Qualen …“, stöhnte Fuxya das sechshundertachtundsiebzigste Gebet und würgte die letzten Worte kaum hörbar heraus. Es waren Stunden vergangen und dennoch wurde es immer schlimmer! Ließ die Wirkung dieses Tranks jemals nach? Fuxya hoffte es inständig. Ein Lufthauch zerrte an ihren Kleidern, die Haare in ihrem Nacken richteten sich höher auf. Der Wind liebkoste ihre aufgerichteten Brustspitzen, die schmerzten und gleichzeitig nach dieser Berührung schrien. Er strich über ihre Arme und Beine, über den nackten Bauch und Rücken, bis er sich nach endlos langen Sekunden in der weiten Halle verlor. Fuxya seufzte und stöhnte gleichzeitig und wäre fast in sich zusammengesackt, hätte nicht ein weiteres, raueres Lüftchen ihr weitere Anstrengungen entlockt. Sie hörte, wie ein leichter Wind um die Tempelvorderseite strich und immer, wenn sie glaubte, gerade nichts befürchten zu müssen, hauchte ein weiterer Stoß Liebkosungen über ihre Gänsehaut. Mit Müh und Not, sie selbst merkte nicht, wie sich ihre Stimme in ein äußerst erotisches Säuseln verwandelte, stammelte sie die letzten Gebete hervor und fühlte sich gleichzeitig in unglaubliche Höhen und Täler katapultiert. Dieser verfluchte Trank! Nie hatte eine Braut die Schale ausgetrunken, aber Topazza hatte ihr eindeutig alles aus der Karaffe eingeflößt! Fuxya befeuchtete ihre goldenen Lippen und stieß das letzte Wort der siebenhundert Gebete aus. Sie fühlte die Erleichterung, als sie aufhören konnte, zu reden. Es war ihr schwer gefallen und das Gebräu hatte ihre Anstrengungen in süße Höllenqualen verwandelt. Mit schmerzenden Beinen und erhitztem Körper, der immer noch nach Erlösung schrie, saß sie da und verharrte in der Gebetsposition. Man hatte ihr nicht gesagt, was sie nun tun sollte, stellte sie fest. Sie hatte gedacht, dass wenn das letzte Wort über ihre Lippen kam, ein Drache sie entführte und in sein Bett nahm. Doch nichts geschah. Sie saß dort und hörte dem Säuseln des Windes zu, der ihr immer noch Schauer über den Körper sandte, die sie aber jetzt bei weitem besser ertragen konnte. Ihr Herz raste und sie schluckte. „Fuxya vir Sallanis“, ertönte eine Stimme hinter ihr. Sie war fest, aber weiblich und beinahe wäre sie herumgefahren, schwieg aber und verharrte ruhig, obwohl ihr Herz in ihrem Inneren in die Sterne gesprungen war vor Schreck. „Die Drachen rufen.“ Fuxya spürte, wie ein Durchzug im Tempel entstand, als sei hinter ihr eine Tür offen, doch der Wind, der an ihr vorüberwehte, raubte ihr ihr Bewusstsein und das Letzte, was sie hörte, war ein leichtes Seufzen und einen gemurmelten Satz: „Schon wieder eine mit diesem Trank vernebelt. Dragoniar!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)