Rot-Weiß-Rot im Alphabet von Sternenschwester ================================================================================ Kapitel 7: Z-Zug ---------------- Wien 01.04.1938 - Wien Westbahnhof Roderich versuchte sich von Ludwig wegzuziehen. "Verdammt, Ludwig, was ist hier los?", fragte er in einem Ton, aus dem man deutlich heraushören konnte, dass er die Antwort lieber nicht wissen wollte. Stur zog ihn der Deutsche am Arm Richtung Ausgang. Nochmals stemmte sich der Braunhaarige gegen den Blonden und schaffte es, dass sein schmales Handgelenk durch den festen Griff des anderen rutschte. Mit einem Satz hechtete er zu den Bahnsteigen, wo Uniformierte gerade eine kleine Menschenmenge zu einem Transportzug trieben. Die anderen Braunhemden sperrten die Ausgänge ab, um einen ungestörten und nicht allzu wahrgenommen Abtransport zu gewährleisten. Ludwig setzte dem Älteren gleich nach. Ein paar Uniformträger sahen zu ihnen herüber, doch nach einem eindeutigen Blick von Deutschland konzentrierten sie sich weiterhin auf ihre Aufgaben. Mit einem Ruck blieb Roderich im Eingang der Halle stehen und starrte mit leicht geöffneten Mund völlig irritiert auf die letzten Menschen, welche in die Zuganhänger getrieben wurden. Er hatte viele von ihnen erkannt, waren sie es doch gewesen, welche sich in der letzten Zeit so verzweifelt um ihm bemüht haben. Verzweifelt haben sie vieles versucht, um ihm eine politisch unabhängige Zukunft zu gewährleisten. Viele waren unter ihnen gewesen, welche an ihn geglaubt haben. Sie waren in Momenten, wo er sich schon beinahe selbst aufgegeben hatte, da gewesen und hatten ihn wieder auf die Beine gezogen. Ludwig hatte ihn eingeholt und wollte ihn packen, da drehte sich Roderich langsam zu ihm um. "Ludwig, wohin fahren diese Menschen?" Flehend schaute er in die blauen Augen, versuchte eine Antwort zu finden, welche nicht seinen Befürchtungen entsprach. Mit der Situation überfordert, drehte sich der Jüngere weg und wich dem angstvollen Blick des anderen aus. Verlegen rieb er sich am Ellbogen. "Sie werden ins Reich transportiert...", nuschelte er dann. "Aber warum so?" Verstört drehte sich Roderich abermals zum Bahnsteig. Ein Pfiff gellte durch die Halle und der Zug fuhr langsam ab. "Und aus welchen Grund?" Plötzlich weiteten sich die Augen des Braunhaarigen und Ludwig konnte förmlich sehen wie die Erkenntnis sich ins Hirn des ehemaligen Erzherzogtums fraß. Verzweifelt packte der Musikliebhaber den Deutschen am Kragen. Es war kein fester, gewalttätiger Griff, eher mehr als würden die Knie des Braunhaarigen gleich nachgeben. Aus den Augenwinkeln konnte Deutschland die misstrauischen Blicke der Uniformierten wahrnehmen. Mit einer souveränen Geste machte er denen, welche sich auf den Weg zu ihnen befanden, klar, dass er weiterhin alles unter Kontrolle hatte. Unter Schluchzen ging die andere Personifikation vor ihm zu Boden. "Es ist wegen mir, nicht wahr?" Die Stimme bebte gefährlich. Dicke Tränen fielen auf den schmutzigen Boden. Ludwig konnte sehen, wie sich die bleiche Haut um die schlanken Hände spannte, als Roderich die Fäuste ballte. "Ich bin dran Schuld, oder?" Ein trockener Husten folgte, bevor sich eine gespannte Stille über beide legte. Gebannt beobachtete der Deutsche, wie sich der andere vor ihm den Ärmelrücken über die laufende Nase zog. Ein solches Verhalten hätte Roderich unter normalen Umständen nie an den Tag gelegt. Plötzlich schaute der Braunhaarige zu ihm auf. Wut und eine tiefe Zerrissenheit spiegelten sich in den violetten Augen. "Ihr Bekenntnis zu mir ist der Grund, weshalb man sie in den Tod schickt?" Es war nur ein Flüstern, doch Ludwig traf jedes einzelne Wort wie Nadeln. Noch einmal warf Roderich einen verstörten Blick dem in die Ferne verschwindenden Zug hinterher. Warum hatte er nicht aufgeschrien? Warum hatte er die Leute aus dem Zug nicht wieder hinaus gezerrt? Wie konnte niemand außerhalb des Bahnhofes bemerken, was sich hier abspielte? Jegliche Farbe war aus dem eh schon so blassen Gesicht verschwunden. Beinahe konnte der Blonde hören, wie in Roderich etwas zu Bruch ging. Wie dieses Etwas in tausend Stücke zersprang. Leere füllte die tränendurchweichten Augen, bevor sie sich unter einem stummen Schrei schlossen und der ganze Körper lautlos in sich zusammen sackte. Ohne auf seine Umgebung zu achten, ging Ludwig in die Knie und hob den ausgemergelten Körper hoch. Wie viel Gewicht mochte Roderich im letzten Jahr verloren haben? Fasziniert beobachtete Ludwig, wie eine einzelne Träne die farblosen Wangen hinunterrollte. Dann drehte er sich um und verließ den Schauplatz, die neue Ostmark in den Armen. -------------------------- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)