Sekaiichi Hatsukoi von hard-peel_soft-core (Erinnerungen) ================================================================================ Kapitel 1: Ein ganz normaler Tag? --------------------------------- Es war ein ganz normaler Arbeitstag in der Redaktion des Emerald Magazins. Die Höllenwoche war gerade vorbei, deswegen verkörperte das Büro wieder einmal den Traum eines kleinen Mädchens von einem Kinderzimmer. Die Plüschtiere sahen einen aus beinahe schon unheimlich vertrauenswürdigen Augen an und die Atmosphäre war so kitschig, dass man mit ein wenig Anstrengungen ein Funkeln und Glitzern sehen konnte. Auch die Redakteure konnten sich wieder vorzeigen lassen und ließen keine Zweifel mehr offen warum sie bei der Frauenwelt als der "Geile-Typen-Trupp" bekannt waren. Onodera Ritsu konnte sich als Einziger der guten Laune nicht anschließen. Als Koordinator hatte er immerhin dafür zu sorgen, dass die Manuskripte fertig korrigiert zur rechten Zeit eingereicht wurden, was jedoch eher in der Ausnahme als in der Regel geschah. Um dieses Mal einen Verzug zu verhindern, machte er seine Kollegen lieber gleich am Beginn der neuen Arbeitsphase Druck und erinnerte sie ständig an das Abgabedatum. Niemand schien ihn jedoch wirklich ernst zu nehmen. "Ne Richan, warum so schlechtgelaunt? Streit mit deiner Freundin?", erkundigte sich Kisa mit einem frechen Grinsen. Der Ältere hatte keinerlei Bedenken dabei, den Neuling ein wenig aufzuziehen. Dafür waren Neulinge schließlich da. Ritsu konnte nicht verhindern, dass ihm die Röte ins Gesicht schoss. Kisa hatte genau ins Schwarze getroffen. Seine Miesepetrigkeit lag vor allem daran, dass er sich Takano, seit dieser seine Verlobte An kennengelernt hatte, noch schwerer vom Hals halten konnte als gewöhnlich. "N-nein", erwiderte er so scharf es ihm möglich war und versuchte krampfhaft, energisch aufzutreten. "Nur mit eurer Schlampigkeit." Kisa gab ein nicht gerade sehr männliches Kichern von sich. "Oi, ihr zwei Idioten! Hört auf mit dem Kaffeekränzchen und macht euch an die Arbeit!", brüllte der Chefredakteur, Takano, von seinem Schreibtisch aus herüber. Sogleich schraken die beiden Angesprochenen auf und taten wie ihnen befohlen. Mit Takano war in so einem Fall nicht zu spaßen. Er tendierte nämlich dazu, einen Radiergummi oder im schlimmsten Fall ein Lineal zu werfen und die Trefferquote des Mannes und die Kraft seines Wurfes hatten schon einige Beulen und Blutergüsse zur Folge gehabt. Zu ihrem Glück beließ er es dieses Mal allerdings nur bei der Verwarnung, denn er hatte in wenigen Minuten einem Meeting beizuwohnen. Bei dem Meeting hatte auch Hatori anwesend zu sein, denn immerhin war das Thema die Animeproduktion des Mangas eines seiner Mangaka. Und zwar von niemand anderem als Yoshikawa Chiharu, besser bekannt unter dem Namen Yoshino Chiaki. "Ne Richan, du wirkst ziemlich gestresst in letzter Zeit", bemerkte Kisa als die Luft rein war, weil Takano gegangen war und beäugte Ritsu neugierig aus den Augenwinkeln. "Außerdem streitest du noch öfter mit Takano-san als sonst. Ist was zwischen euch vorgefallen?" Obwohl Onodera sich im Klaren darüber war, dass die Frage nicht so gemeint war wie es sich für ihn anhörte, lief er erneut rot an. Innerlich verfluchte er sich selbst für seine Reaktion und schwor sich, sich in naher Zukunft nicht ständig von irgendwelchen Kleinigkeiten verunsichern zu lassen. Als erwachsener Mann wurde man wegen solcher Stichelein nicht mehr rot. Das taten nur Schulmädchen. "N-Natürlich nicht", versicherte er seinem Kollegen eilig. Kisa wollte gerade einen neckenden Kommentar von sich geben, als ein großer Mann mit breiten Schultern die Abteilung betrat. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, was ihm einen sehr einschüchternden Ausdruck verlieh. Mit einem Lächeln hätte dieses Gesicht bestimmt attraktiver gewirkt. Ritsu bemerkte, dass Kisa absolut blass geworden war und fragte sich, ob dieser Muskelmann vielleicht eine Bekanntschaft von ihm war. Der Mann trat näher zu ihnen, fixierte dabei aber nur Kisa mit einem Blick, den Schlangen wohl auch ihrer Beute entgegenbrachten. Ritsu war richtiggehend froh, nicht das Opfer davon zu sein. Umso mehr bedauerte er seinen Kollegen. "Hab ich dich endlich gefunden, Shouta", meinte der Fremde mit kalter, schneidender Stimme, die selbst Ritsu einen Schauer den Rücken hinunter jagte. "Was willst du hier?", fragte Kisa abweisend, wofür er von Onodera sehr bewundert wurde. Wie brachte er es fertig unter diesem Blick nicht zu stottern? "Weißt du wie lange ich schon nach dir suche?", fragte der Muskelprotz und überging dabei die Frage des anderen vollkommen. Seine Stimme war ruhig, doch jeder spürte das Brodeln der Wut hinter dem nüchternen Tonfall. "Endlich hab ich dich gefunden, nachdem du einfach so abgehauen bist." Nicht nur Kisa sondern auch Ritsu fuhr zusammen. Beide ahnten sie bereits, dass es von hier an nur noch schlimmer werden würde. Der Gesichtsausdruck des Fremden war nun vollkommen emotionslos, weshalb es umso unerwarteter für Kisa war, als er von diesem grob am Arm gepackt wurde. "Dafür musst du bestraft werden." Das sadistische Grinsen erinnerte Kisa wieder an den Grund seiner Flucht. Für S&M war er einfach nicht zu haben, schönes Gesicht oder nicht. Bevor sich der Kleinere losreißen konnte, war Ritsu aufgestanden, dem Schrank von einem Mann gegenüber getreten und befahl ihm streng, sofort das Gebäude zu verlassen oder er sähe sich gezwungen die Security hinzuziehen. Darüber konnte sein Gegenüber jedoch nur lachen. "Zwerg, misch dich nicht in die Angelegenheiten von Erwachsenen ein und verschwinde", spottete das Muskelpaket gehässig und sah auf den kleineren Mann herab um seine Größe zu demonstrieren. Tatsächlich kam Ritsu sich im Vergleich zu dem um zwei Köpfe größeren und doppelt so breiten Mann wie ein Kind vor. Davon ließ er sich aber nicht entmutigen. Das Adrenalin rauschte durch seine Adern und gab ihm den Mut, stehenzubleiben und auf seiner Forderung zu beharren. "Gehen Sie." Natürlich bewegte der Kerl sich keinen Zentimeter von der Stelle. Stattdessen gab er Ritsu einen leichten Schubs. Ohne nachzudenken und eher reflexartig wandte dieser das bisschen an Selbstverteidigung an, das er während seiner Schulzeit gelernt hatte, packte das Handgelenk des Anderen und verdrehte es in eine dafür nicht vorgesehene Richtung. Diese Handlung veranlasste den ungebetenen Gast sowohl vor Überraschung als auch vor Schmerz, Kisa loszulassen. "Gehen Sie!", wiederholte Ritsu eisern. Als er jedoch in die hasserfüllten Augen seines Gegenübers blickte, verließ ihn der Mut ganz schnell. Was hab ich mir nur dabei gedacht?! Der sieht wie ein Schlägertyp aus und ich leg mich mit ihm an!!! "Du kleiner Mistkerl!", brüllte der vermeintliche Schlägertyp und stürzte sich im nächsten Moment auf Ritsu, der sich gegen die Stärke des Mannes nicht wehren konnte. Bevor er sich versah spürte er eine Faust in seinem Gesicht und die Kraft des Schlages beförderte ihn gegen die nächste Wand. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen beobachtete Kisa die Szene und hörte das dumpfe Klopfen, das durch die Kollision des Kopfes seines jüngeren Kollegen mit der Wand entstand. Zu ihrer Rettung eilten nun Wachmänner herbei, die vermutlich von zufälligen Zeugen des Geschehenes alarmiert worden waren und drückten den Angreifer zu Boden. Nachdem Kisa sich aus seinem Schockzustand erholt hatte, stürzte er zu Ritsu, der bewegungslos auf dem Boden lag. "Oi, Richan!", rief er ängstlich und schüttelte seinen Kollegen mit zittrigen Fingern. Doch dieser regte sich immer noch nicht. Kisas Weckversuche hatten nur zur Folge, dass der Blutfleck auf dem Teppichboden, den der K.O-Gegangene hinterließ, sichtbar wurde. Nun brach Kisa regelrecht in Panik aus. "Oi, was zur Hölle ist hier los?!", verlangte eine genervte Stimme zu wissen. Takano war soeben dabei, sich einen Weg vorbei an den Schaulustigen zu bahnen. Als er den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit erreichte, hielt er augenblicklich inne, seine Augen eine Spur geweitet. Was er sah, war ein vollkommen aufgelöster Kisa, der immer noch versuchte, den Neuling und zufällig auch Liebe seines Lebens wachzurütteln. In seinen karamellfarbenen Augen war die Sorge um den jüngeren Mann nur zu deutlich geschrieben, doch sein Gesichtsausdruck als auch sein Verhalten blieben davon unbeeinflusst. "Kisa, hör auf Onodera zu schütteln! Er soll nicht noch mehr Gehirnzellen verlieren, die er zur Arbeit braucht. Mino, verständige sofort einen Krankenwagen", ordnete er mit ruhiger Stimme an. Er war jedoch bei weitem nicht so gelassen wie er sich gab. Die Sorge um seinen Nachbarn/Erste Liebe/Beinahe-Lover/Redakteur trieb ihn beinahe in den Wahnsinn. Mit all der Beherrschung die er aufbringen konnte, ging er zu Kisa und fragte ihn, was Onodera in seine derzeitige Lage gebracht hatte. Kapitel 2: Bitteres Erwachen ---------------------------- Hi, wer auch immer die Geschichte gerade liest (demjenigen ich natürlich dankbar bin). Nur mal so zur Vorwarnung für den Fortlauf der Geschichte. Ich werde nicht sehr nett zu Onodera sein- was heißt, dass der Gedächtnisverlust sicher nicht das Schlimmste sein wird, was ihm in dieser Geschichte passiert. Aber für eine Darkfic sind zu viele freundschaftliche und romantische Szenen darin. Zu sagen dass Takano über die Situation nicht glücklich war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Im Moment stand ihm nichts lieber im Sinn als jemandem den Kopf abzureißen, vorzugsweise dem Mistkerl der Ritsu in diesen Zustand gebracht hatte. Nachdem Kisa ihm unzusammenhängend und stotternd erzählt hatte was passiert war, waren die Grenzen seiner Selbstbeherrschung überschritten worden. Im Nachhinein fühlte er sich schlecht dafür den bereits verstörten Kisa angeschrien zu haben. Er hätte ihm niemals die Schuld für den Zwischenfall geben sollen. Auch, wenn sein Vorwurf, Kisa hätte seine privaten Probleme nicht mit zur Arbeit bringen dürfen, seiner Meinung nach berechtigt war. Dennoch, er würde sich bei seinem Angestellten entschuldigen müssen. Nach einer gründlichen Untersuchung, die bei einer Kopfverletzung eben notwendig war, wurde Takano erlaubt, Onodera zu sehen. Dieser, so war ihm gesagt worden, war zwar immer noch nicht aufgewacht, aber es konnte sich nur noch um Momente handeln bis dies geschah. Mit einem Seufzen betrat Takano das Krankenzimmer und setzte sich neben das Bett. Der Anblick von einem schlafenden Ritsu mit Kopfverband machte ihn zugleich wütend und traurig. Langsam kam wieder Leben in den Jüngern und er fing an, sich zu bewegen. Ein paar Augenblicke später öffnete er die Augen und stöhnte, da dies ein schmerzhaftes Pochen in seinem Kopf zur Folge hatte. „Was zu Hölle ist falsch mit dir?! Wie konntest du nur denken du hättest gegen jemanden, der doppelt so viel wiegt wie du, eine Chance?! Du IDIOT!!!“, fuhr Takano den noch vollkommen orientierungslosen Onodera verärgert an. Dann zog er ihn in eine Umarmung, die entgegen seiner harten Worte seine Zuneigung ausdrückte. Ritsu war so irritiert von dieser Aktion, dass er sich nicht wehrte und nur wartete, bis er wieder losgelassen wurde. Sein Gesichtsausdruck spiegelte seine Ratlosigkeit und Verwirrung wider. Er sah furchtbar verloren aus. „Ähm… Wo bin ich?“, fragte er schließlich zurückhaltend. Er konnte immer noch nicht verstehen, warum er zuerst angeschrien und einen Augenblick später umarmt worden war und das auch noch von ein und derselben Person. Beide Handlungen für sich waren verwirrend und gemeinsam überforderten sie ihn noch mehr. „Du bist im Krankenhaus, Ritsu.“ Normalerweise wäre er rot geworden, weil Takano ihn ungeniert mit seinem Vornamen angesprochen hatte, doch dieses Mal war seine einzige Reaktion ein hilfloser, verlorener Blick. „Ist das mein Name? Ritsu?“, fragte er leise, als würde er sich deswegen schämen. Und das tat er auch. Er schämte sich dafür, dass sein eigener Name so fremd für ihn klang. Am schlimmsten war, dass er nichts hatte, woran er sich orientieren konnte. Keine Erinnerungen, auf die er zurückgreifen konnte. Keine Vergangenheit, die ihm helfen könnte, die Gegenwart zu verstehen. Es war, als wäre er eben erst geboren worden. Und das machte ihm Angst. Takano sah Onodera geschockt an. Warum konnte er sich nicht erinnern? „Verdammt, mit dir stimmt etwas nicht“, murmelte er und drückte den Schwesternknopf. „So wie es aussieht leidet Onodera-san an posttraumatischer Amnesie, die vermutlich durch den heftigen Aufprall als auch von dem Stress, dem er in dieser Situation ausgesetzt war, ausgelöst wurde. Das ist nicht weiter ungewöhnlich bei Kopfverletzungen, die unter solchen Umständen verursacht worden sind“, erklärte der zuständige Arzt Dr. Uehara ihnen nach einer weiteren Untersuchung. Takano seufzte schwer. Jetzt hatte er seine große Liebe nach zehn Jahren wiedergefunden und sogar schon kleine Fortschritte in ihrer Beziehung gemacht und nun konnte der Idiot sich nicht einmal mehr an ihn, geschweige denn an ihre gemeinsame Vergangenheit erinnern. Das Schicksal machte es ihm bestimmt nicht leicht. „Kann man nichts dagegen tun?“, fragte er während er sich frustriert die Nasenwurzel rieb. Die Aussicht, bei einem solchen Sturkopf wie Ritsu es war, noch einmal bei Null anfangen zu müssen, stimmte ihn nicht gerade euphorisch. Der Doktor schüttelte mit einem mitfühlenden Lächeln den Kopf. „Nein. Onodera-san muss sich von allein erinnern. Das Trauma dieses Ereignisses wird nicht allzu groß sein, also sind die Chancen, dass er in einigen Wochen schon seine Erinnerungen zurück haben wird, sehr groß.“ „Ähm, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber… wie lange muss ich noch hierbleiben?“, warf Ritsu schüchtern ein, was Takano unwillkommenerweise sehr an ‚Oda Ritsu‘ erinnerte. Tatsächlich strahlte er im Moment genau dieselbe Unschuld und Unsicherheit aus wie damals. Offenbar wollte das Schicksal ihn wirklich quälen. „Patienten mit einer leichten Gehirnerschütterung werden immer für eine Nacht zur Beobachtung hierbehalten. Morgen werden Sie entlassen. Ich muss allerdings darauf bestehen, dass jemand auf Sie Acht gibt und Ihnen hilft, sich im Alltag zurechtzufinden, da Sie derzeit keinerlei Erinnerungen an ihr bisheriges Leben haben“, teilte ihm der Arzt freundlich mit. „Ich wohne direkt nebenan, also wäre es für mich kein Problem diese Aufgabe zu übernehmen“, bot Takano sich sogleich an. Ritsu, der wieder etwas Neues über sich selbst erfahren hatte, errötete ein wenig. „Sie müssen das nicht tun…“, begann er. „Ich weiß. Ich möchte es aber tun“, unterbrach Takano ihn und ließ ihn in den Genuss seines seltenen Lächelns kommen, woraufhin er noch roter wurde. Die Sache hatte also doch nicht nur schlechte Seiten, wie der Editor-in-Chief soeben feststellte. Kapitel 3: Der Vergangenheit auf der Spur ----------------------------------------- „Hier wohne ich?!“, stieß Ritsu ungläubig, ja schon beinahe geschockt, aus, nachdem sie seine Wohnung betreten hatten. Gemeinsam mit Takano bahnte er sich einen Weg über Schmutzwäsche, Bücher und Papierstapel. Ich muss eine wirkliche schlampige Person sein!, dachte er wenig begeistert. Es kam ihm vor, als würde er eine vollkommen fremde Person kennenlernen, wenn er etwas Neues über sich selbst erfuhr. Das deprimierte ihn. Zudem mochte er die Person, die er zu sein schien, im Moment nicht besonders. Wer konnte in so einer Müllhalde auch leben? Ordnung schien ihm wohl ein Fremdwort zu sein. „Hm“, machte Takano nachdenklich, während er sich umsah. „Eigentlich hat es sich sogar schon ein wenig gebessert seitdem ich das letzte Mal hier war.“ Zwar kaum merklich, aber er scheint tatsächlich ein wenig aufgeräumt zu haben, bemerkte er erstaunt, was er sich aber nicht anmerken ließ. Diese Bemerkung munterte Ritsu natürlich nicht sonderlich auf. Zumindest sah die Küche besser aus. Eigentlich machte es den Eindruck als wäre sie überhaupt noch nie benutzt worden. Offenbar war er nicht nur unordentlich, sondern er konnte wohl auch nicht kochen. Allmählich wollte er sich gar nicht mehr an die Person erinnern, die er war. Jeder hat auch gute Seiten. Vermutlich auch ich, fiel ihm plötzlich ein, was seine Stimmung ein wenig hob. Während er sich, auf Befehl Takanos hin, an den Küchentisch setzte, kochte Takano ihnen einen Tee. Als sie sich beide gegenüber saßen und in Stille ihren Tee tranken, entschied Ritsu, dass es an der Zeit war, etwas über sich selbst herauszufinden. Doch irgendwas an dem Anderen machte ihn nervös und hemmte ihn so weit ein, dass er kein Wort herausbrachte. Takano beobachtete amüsiert wie sich Onoderas Mund des Öfteren öffnet und gleich wieder schloss und er dabei von mal zu mal roter wurde. „Ich…ähm, also…du…äh… Wo-was ist denn eigentlich…unsere Beziehung z-zueinander, Takano-san?“, brachte der Braunhaarige schließlich mit hochrotem Kopf zustande. Takano musste ein Grinsen wegen der Verlegenheit des anderen unterdrücken. Immerhin war das ein ernstes Thema. Als er so über die Frage nachdachte, sah er auch gar keinen Grund mehr zu grinsen. Was sollte er antworten? Natürlich könnte er es sich leicht machen und ihm sagen, sie wären ein Paar, doch das würde ihn auf lange Sicht vermutlich nicht weiterbringen. Sobald Ritsu wieder er selbst war, würde er ihm vorwerfen, seine Hilflosigkeit ausgenutzt zu haben. Womit er in diesem Fall auch Recht hätte und das wollte Takano erst recht vermeiden. „Ich bin dein Boss und Nachbar“, erklärte er dann widerwillig Das Richtige tun ist so verdammt schwer, wenn er mich aus diesen großen grünen Augen verschämt ansieht und dabei so rot wie eine Tomate ist, dachte der Ältere wehmütig. Ritsus Gesicht leuchtete ein wenig auf. Unter diesen Umständen würde er sogar etwas über seine berufliche Vergangenheit herausfinden können. „Was ist denn mein Job?“ Ritsu war genauso aufgeregt wie ein Kind, das die Eltern über den Weihnachtsmann ausfragte. „Shoujomanga-Editor.“ „Shoujomanga?!?“ „Nicht männlich genug? Unsere Arbeit ist nichts für Weicheier“, ermahnte Takano ihn mit verengten Augen. Der Mann wirkte tatsächlich ein wenig furchterregend. „N-nein, so meinte ich das nicht!“, beeilte Ritsu sich zu sagen und wich angesichts des kühlen Blicks, der ihm entgegengebracht wurde, zurück. „Ich hätte nur nie für möglich gehalten, dass eine Person, die so lebt, einen solchen Job hat.“ „Was Liebe betrifft, stehst du ja auch wirklich völlig auf der Leitung.“ „Das heißt, ich bin schlecht in meinem Job?“ Verwirrung aber auch Enttäuschung standen Ritsu ins Gesicht geschrieben. Takano fuhr ihm beruhigend durch seine haselnussbraune Mähne. „Nein. Du bist sehr fleißig und außerdem lernfähig.“ Ritsu lächelte erleichtert. Die ersten guten Eigenschaften, die auf ihn zutrafen. Es war schon wirklich merkwürdig, sich selbst kennenzulernen und dabei Angst zu haben, das was man entdeckte, nicht zu mögen. „Nichts desto trotz auch ziemlich beschränkt“, ergänzte Takano, woraufhin sein Gegenüber nur große Augen machte. Der alte Ritsu hätte sich jetzt mit Sicherheit aufgeregt. Nicht so dieser, ohne Vergangenheit. Dieser war nach wie vor zu unsicher, um irgendetwas abzustreiten. Natürlich. Er kannte sich selbst ja auch nicht, um für sich gerade zu stehen. „Weißt du auch etwas über meine Familie?“, fragte Ritsu nach einer Weile des Schweigens, das auch schon früher ihr ständiger Begleiter gewesen war, hoffnungsvoll. Takano wusste zu seinem eigenen Bedauern nicht sehr viel über Onodera, aber mit den wenigen Informationen, die er über ihn hatte, konnte er ihm zumindest aushelfen. „Wir sollten sie vermutlich mal anrufen und sie über deine derzeitige Lage informieren. Es wäre ein zu großer Schock für sie, wenn einer von ihnen auf einmal auftauchen würde und du kannst dich nicht an sie erinnern“, meinte Takano, mehr zu sich selbst. Er war nicht sehr begeistert davon, aber er wusste, dass er es tun musste, wenn er sich das Vertrauen der Familie Onodera verdienen wollte. Doch ihm war klar, dass seine überfürsorgliche Familie jede freie Minute nach ihm sehen würde, was ihm die Zeit allein mit Ritsu raubte. Takano kam also die ziemlich unangenehme Aufgabe zu, die Eltern Onoderas zu benachrichtigen, was im schlimmsten Fall sogar zu einem Gehörsturz führen hätte können, als Onodera-san nach einer langen Pause, in der schon die Befürchtung aufkam, sie wäre ohnmächtig geworden, vollkommen durch den Wind „Oh mein Gott! Wie geht es meinem Baby?!“ kreischte. Die Nachricht, ihr Sohn könnte sich nicht an sie, seine eigene Mutter, erinnern, löste wie bereits erwartet keine Begeisterungsstürme bei ihr aus. Sie versprach, so schnell wie möglich da zu sein, obwohl es in Takanos Ohren mehr wie eine Drohung klang. Befürchtete sie, er würde Ritsu gegen sie aufhetzen? Er schrieb es der Sorge um ihren einzigen Sohn zu. Was den Schwarzhaarigen jedoch wirklich beunruhigte war nicht der harte Tonfall Onodera-sans, sondern das baldige Auftauchen von Ritsus „Verlobten“ auf der Bildfläche. Das wollte er sich auf keinen Fall antun. „Deine Familie wird bald hier sein, also werde ich gehen. Falls du irgendwas brauchst, meine Nummer ist in deinem Handy eingespeichert“, verabschiedete er sich und stand auf um sich Mantel und Schuhe anzuziehen. Ritsu folgte ihm bis zur Tür und verbeugte sich tief. „Vielen Dank für deine Unterstützung, Takano-san“, sagte der Braunhaarige aufrichtig. Er konnte immer noch nicht fassen, warum sein Nachbar und Boss so viel für ihn tat. Erst jetzt, im Moment des Abschieds, fiel ihm auf, dass er ihn die ganze Zeit über geduzt hatte. Augenblicklich stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht. „Verzeihen Sie, dass ich jegliche Höflichkeitsformen, die vielleicht angemessen gewesen wären, so ohne weiteres fallen ließ.“ Wow, woher kamen denn jetzt diese Worte? Ich muss eine gute Erziehung genossen haben, folgerte er. Statt einer Antwort fuhr Takano ihm noch einmal durch die bereits zerzausten Haare. Nie hätte er dem Anderen gesagt, dass er einfach das Gefühl der für einen Mann ungewöhnlich weichen, seidigen Haare genoss. „Ach, nur zur Vorbeugung von Missverständnissen, ich mache das nicht aus Hilfsbereitschaft“, Takano wandte sich noch einmal zu ihm um bevor er die Tür hinter sich schloss. „sondern weil ich dich liebe.“ Mit diesen Worten verließ er die Wohnung und ließ einen vollkommen entgeisterten und bis zu den Ohren roten Ritsu zurück. Er hatte sich noch immer nicht ganz von dem Schock dieses Geständnisses erholt als eine Frau mittleren Alters mit haselnussbraunen, an den Ansätzen bereits ergrauten Haaren vor seiner Tür stand und ihn sofort in eine enge Umarmung zog nachdem sie ihn erblickt hatte. Ihn überkam das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, was ihm bestätigte, dass diese Dame zweifellos seine Mutter war. Doch sie war nicht allein. Ein hübsches Mädchen mit langen brünetten Haaren und braunen Augen kam auf ihn zu und umarmte ihn ebenfalls stürmisch. Nun fühlte er sich aber doch etwas unwohl. Ob es an der Überraschung oder an der Vertrautheit der Geste lag, konnte er nicht sagen. „I-ich will ja wirklich nicht unhöflich sein, a-aber… Wer sind Sie?“, fragte er das Mädchen zaghaft. Dieses Mal hatte er nicht vergessen, die höfliche Anrede zu verwenden. „Aber Ritsu!“, empörte sich seine Mutter und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Erkennst du nicht einmal deine eigene Verlobte, An-chan, wieder?!“ Seine Amnesie schien sie als Ausrede in dieser Angelegenheit wohl nicht zu akzeptieren. Bei dieser Erklärung wurden Ritsus Augen groß. Er fühlte plötzlich ein ungeheures Gewicht auf seinen Schultern lasten. Diese Nacht lag Ritsu lange wach. Zu viele Eindrücke und Informationen schwirrten durch seinen Kopf und hinderten ihn daran, Schlaf zu finden. Sein derzeitiger Wissensstand sagte ihm, dass er nicht sehr putzfreudig war und auch nicht kochen konnte. Dafür aber machte es den Anschein, dass er in seinem Job als Shoujomanga-Editor hart arbeiten würde. Seine Eltern schienen von seinem Beruf allerdings wenig begeistert zu sein, da ihm eines Tages der Verlag seines Vaters gehören würde und seine derzeitige Arbeit einfach zu wenig seriös war. Zu seiner Überraschung hatte er erfahren, dass er sich ursprünglich als Literatureditor beworben hatte, doch dann aus irgendeinem Grund bei Shoujomanga gelandet war. Da stellten sich ihm natürlich folgende Fragen: Warum hatte er den Verlag seines Vaters eigentlich verlassen, wenn er dort doch der Herausgeber der berühmtesten Literaturschriftsteller war? Und wenn er schon in einem anderen Verlag arbeitete, warum hatte er dort noch nicht die Abteilung gewechselt? Hinzu kam, dass sein Boss in ihn verliebt zu sein schien, obwohl er eine reizende Verlobte hatte und es moralisch verwerflich war. Wäre das nicht umso mehr Grund gewesen, zu wechseln? Etwas musste ihn in der Abteilung gehalten haben. Ob es sein Boss oder ein anderer Grund war, konnte er jedoch nicht sagen. Was er aber sagen konnte war, dass sich Takanos Berührungen anders anfühlten als die An-chans. Während die seiner Verlobten sich vertraut und angenehm anfühlten, hinterließen Takanos stets das Gefühl, in Flammen zu stehen. Ritsu ahnte bereits, was dies zu bedeuten hatte. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere, doch fand keine Ruhe. Nein, das kann nicht sein! Bin ich wirklich jemand, der seine Verlobte betrügen würde? Und das auch noch mit einem Kerl! Kapitel 4: Unschlüssigkeit -------------------------- Viel Ruhe wurde Ritsu nicht gegönnt, denn bereits früh morgens riss ihn die Türklingel unbarmherzig aus seinen Träumen. Verschlafen und mit Kopfschmerzen im Anflug stand er auf um die Tür zu öffnen und fühlte sich augenblicklich hellwach als er sah, wer ihn auf so brutale Weise aus dem Reich der Träume gerissen hatte. „Willst du mich noch länger anstarren oder stattdessen etwas Sinnvolles tun und mir beim Tragen helfen?“, fragte Takano ungeduldig. Erst in diesem Moment bemerkte Ritsu den Stapel Manga in den Armen des Anderen. Obwohl er die Arme ganz ausgestreckt hatte reichte der Stapel ihm immer noch bis zum Kinn. Wie hatte er das übersehen können? War er eben wirklich so sehr in das Gesicht des Schwarzhaarigen vertieft gewesen um etwas so Offensichtliches nicht zu bemerken? Sofort überzog eine leichte Röte seine Wangen als er Takano ein paar Bücher abnahm – natürlich peinlichst genau darauf bedacht, jeglichen Körperkontakt zu vermeiden – und auf dem Esstisch ablegte. Takano tat es ihm gleich. „Ähm… was soll“, setzte Ritsu zu der Frage an, als der Ältere ihm ins Wort fiel. „Wenn ich heute Abend wiederkomme, hast du sie alle gelesen. Dann können wir mit den Storyboards anfangen“, wies er ihn an. Sein Tonfall ließ keine Widerreden gelten. „Aber… Ich meine, äh, ich werde mein Bestes geben, aber trotzdem… es ist ein wenig viel…“, wandte Ritsu kleinlaut ein. Etwas, das er bei dem Blick des Anderen sofort wieder bereute. „Was? Kannst du es oder nicht?“, erwiderte Takano hart. Bei seinem Anblick bekam Ritsu Gänsehaut – er wirkte in diesem Moment wie der Teufel persönlich. Ritsu war klar, egal wie er seinem Boss als Person gegenüber eingestellt sein mochte, in beruflicher Hinsicht musste er den Ansprüchen des Anderen gerecht werden. Ihm war zwar nicht klar, warum er in diesem Job tätig war, aber er wollte definitiv nicht zu jenen gehören, die zu faul waren für eine Herausforderung waren und gleich aufgaben. „Ja, sir! Ich meine- ich kann es!“ Vor Aufregung brüllte er schon mehr als das er es sagte. Als ihm das bewusst wurde, senkte er beschämt den Kopf und sah von einer Richtung in die andere, auf der Suche nach einem verfänglichen Objekt, das er anstarren konnte. Schließlich landete sein Blick wieder bei dem Mangastapel. Nun kam ihm der Stapel sogar noch größer vor. Mit dieser Aufgabe würde er wohl den gesamten Tag beschäftigt sein. Dabei hatte er sich eigentlich vorgenommen gehabt, Ordnung in seine Wohnung zu bringen. Leise seufzte er. Da das Berufliche damit geklärt zu sein schien, war die Unterhaltung für Ritsu beendet. Er hatte kein Interesse daran, über die Arbeit hinaus mit seinem Boss Zeit zu verbringen. Nicht, nachdem er beschlossen hatte, ein besserer Mensch zu werden. Und gute Menschen kümmerten sich um die Familie und, wie in seinem Fall, um die eigene Verlobte. Jetzt blieb ihm nur noch die unangenehme Aufgabe über, Takano aus seiner Wohnung zu bekommen ohne dabei unhöflich zu sein. „Ähm, An-chan – also meine Verlobte“, dieses Wort betonte er ganz besonders, „wird bald hier sein, also… Sie verstehen…“ Es war weniger eine Aufforderung als ein dezenter Hinweis, aber damit lief er zumindest nicht Gefahr, gefeuert zu werden. Außerdem zweifelte er nicht daran, dass eine solche Andeutung nicht missverstanden werden konnte. „Also was? Ich soll gehen?“, riet der Schwarzhaarige düster. Er strahlte gerade eine so dunkle Aura aus, dass der Jüngere sogar ein wenig zurückwich. Es war nicht schwer erkennbar, dass diese Aussicht dem Älteren nicht gefiel. Ritsu fühlte sich unbehaglich, beinahe schon schuldbewusst. Warum fühlte er sich schlecht, obwohl er doch das Richtige tat? „Ich… ja… d-das wäre wohl das Beste.“ Daraufhin wurde Takanos Blick so kalt, dass er wohl sogar die Hölle damit zufrieren könnte. Jetzt fühlte sich Ritsu nicht nur schuldig, sondern hatte auch noch die Befürchtung unter diesem Blick zu Stein zu erstarren. „Na schön“, sagte Takano gleichgültig nachdem er als eindeutiger Sieger aus diesem Blickduell hervorging und kam dem Kleineren dabei gefährlich nahe. „Aber erst bekomme ich einen Abschiedskuss.“ Noch bevor Ritsu etwas erwidern konnte, fühlte er die Lippen des Anderen auf den seinen. Er wollte protestieren und ihn von sich drücken, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. So harmlos der Kuss auch begonnen hatte, es blieb nicht lange dabei. Bald spürte Ritsu den Schwarzhaarigen überall, während dieser den Kuss vertiefte. Er selbst blieb vollkommen passiv, zu überfordert von dieser Situation um zu einer Reaktion fähig zu sein. Es war als wäre er tatsächlich erstarrt. Dies lag jedoch nicht an einem Blick sondern einerseits an dem Schock und andererseits von seiner inneren Unschlüssigkeit. Ein Teil von ihm genoss den Kuss und wollte gern daran teilnehmen, während ein anderer Teil von ihm sich dagegen sträubte und damit argumentierte, dass es schlichtweg falsch war. Nach einer halben Ewigkeit, in der beide Parteien sich wie erwartet nicht einigen konnten, löste Takano sich von ihm, ein überhebliches Grinsen im Gesicht, das Ritsu überhaupt nicht gefiel. „Auch wenn du es nicht wahrhaben willst: Du gehörst mir“, stellte Takano todernst klar. Kapitel 5: Konfrontation ------------------------ Erschöpft massierte Ritsu sich die Schläfen, immer noch empört über den besitzergreifenden Tonfall seines Boss‘! Ich bin kein Ding, verdammt!, fluchte er innerlich. Aber noch mehr als Takanos Selbstgefälligkeit nervte ihn seine eigene Reaktion. Warum klopfte sein Herz nur wie wild und warum fühlte er immer noch die Hitze in seinem Gesicht? Er sollte genervt und nicht durcheinander sein! Er schrieb es der Verwirrung zu. Und er hatte auch allen Grund verwirrt zu sein. Es war, als wäre er in das Leben eines Fremden katapultiert worden und nun gezwungen, dessen Leben zu leben. Seine eigene Identität schien dabei verloren gegangen zu sein. Und nun versuchte er, die seines Vorgängers zu entschlüsseln, der ihm mit jeder weiteren Information, die er bekam, unsympathischer wurde. Nein, er wollte sich selbst nicht als diesen sehen und auch nicht dazu werden. Als jemand ohne Vergangenheit hatte er zumindest die Chance, die Person zu sein die er sein wollte. Vielleicht ist die Amnesie meine Strafe für meine schlechte Persönlichkeit. An fand Ritsu lesend in der Küche vor, versteckt hinter einem Riesenstapel Bücher – Manga, um genau zu sein. Neben dem großen Stapel befand sich ein kleiner, der gerade mal aus drei Manga bestand. Mit einem Seufzen legte Ritsu das Buch, das er gerade gelesen hatte, als viertes auf den Stapel. Dann bemerkte er die Anwesenheit des Mädchens und sprang von seinem Stuhl auf. Seine Bewegung war so schnell, dass ihm kurz schwindelig wurde, er konnte sich aber noch auf seinen Beinen halten. „Pass auf, Richan! Deine Kopfverletzung ist noch nicht verheilt! Du musst dich schonen!“, tadelte An ihn und drückte ihn sanft zurück auf den Stuhl. „Hehe, schon gut, An-chan“, wehrte Ritsu mit einem nervösen Lächeln ab. Einen Moment überlegte er tatsächlich ober er sie zur Begrüßung küssen sollte, aber allein die Vorstellung erschien ihm seltsam falsch. Seine Entscheidung wurde ihm jedoch abgenommen, da das Mädchen sich zu ihm herunterbeugte und ihn umarmte. Etwas perplex erwiderte er die Umarmung, die sich kurz darauf auflöste. Dann beobachtete er wie sie eine Einkaufstasche auf der Küchentheke abstellte und die Lebensmittel auspackte. „Lies ruhig weiter, während ich uns was koche. Du hast bestimmt Hunger“, meinte sie sonnig und macht sich bereits an die Zubereitung. „D…das ist… ich kann dir doch helfen“, bot Ritsu eilig an. Es war einfach nicht richtig, sie wie weine Angestellte für ihn arbeiten zu lassen. An aber lächelte nur. „Richan, ich sehe doch, dass du noch viel zu tun hast“, dabei deutete sie auf den nie enden zu wollenden Stapel Bücher vor ihm. „Ich schaff das auch allein.“ Ritsu war überrascht von ihrem Verständnis. Sie war also nicht nur hübsch, sonder besaß auch noch einen vortrefflichen Charakter. Alles in allem war sie perfekt. Warum dann nur fühlte er immer mehr, dass er sie nicht liebte? Zumindest nicht so wie ein Mann seine Verlobte lieben sollte. Er kam gut voran mit dem Stapel, selbst als er unterbrechen musste um mit der Brünetten zu essen. Nach dem Abwasch fing sie dann auch noch an, seine Wohnung aufzuräumen. Er konnte es nicht ertragen, sie weiter für ihn arbeiten zu lassen, deshalb erlaubte er sich eine Pause und folgte ihrem Beispiel. „Richan, du brauchst mir nicht zu helfen. Du musst nur gesund werden“, wandte An besorgt ein. „Keine Sorge. Hausarbeit schaff ich schon noch“, versicherte er ihr mit einem warmen Lächeln. Ans Augen weiteten sich überrascht und einen Augenblick schien sie wie erstarrt zu sein. Bevor es dem Braunhaarigen jedoch auffallen konnte, hatte sich das Mädchen bereits wieder ihrer Aufgabe zugewandt. „Kannst du dich schon an etwas erinnern?“, fragte sie scheinbar beiläufig. Wenn man jedoch genauer hinhörte, bemerkte man einen Anflug von Hoffnung in ihrer Stimme. Ritsu fiel es jedenfalls nicht auf. Er runzelte nur ein wenig frustriert die Stirn. „Nein, noch nicht.“ Sie schmalen Schultern der Brünetten spannten sich an und strafften sich dann wieder bevor sie sich zu ihm umwandte. „Hat denn dein Nachbar dir irgendwas erzählt?“ Diese Frage und der Trotz in ihren Augen ließen Ritsu erstarren. Panik überkam ihn. Wusste sie etwa bereits von seiner Untreue? Fühlte sich ihre Beziehung deswegen so merkwürdig an? Völlig unsicher wie er reagieren sollte, zwang er sich zu einem Lachen. Ohne es zu merken begann er wild zu gestikulieren. „W-was?! Oh, du meinst wahrscheinlich Takano-san oder? Äh, haha, nein, was sollte er mir denn zu erzählen haben?“ An verdrehte die Augen, doch dann seufzte sie. Es war ein tiefes, resigniertes Seufzen, das direkt aus ihrem Herzen zu kommen schien. So seufzte wohl nur ein Kriegsführer, der einsehen musste, dass er die Schlacht verloren hatte. „Ich weiß, dass er mehr als nur dein Nachbar ist“, verkündete sie überraschend nüchtern, was Ritsu umso mehr verwirrte. So reagierte man doch nicht, wenn der eigene Verlobte eine Affäre hatte! Noch dazu mit einem anderen Mann! Den Braunhaarigen machte ihr Tonfall misstrauisch. „Ähm, richtig, äh, er ist außerdem auch noch mein Boss, das weiß ich inzwischen schon“, erwiderte Ritsu mit gespielter Erleichterung, das er eine neue Information über sich selbst und seine Vergangenheit erhalten hatte. Leider nur waren seine schauspielerischen Fähigkeiten noch nicht einmal gut genug für eine drittklassige Seifenoper. „Richan!“, fauchte seine Verlobte aufgebracht. Seine Verleugnungsversuche waren zwecklos, wie er soeben auch selbst erkannte. Beschämt senkte er den Kopf. „Es tut mir so leid, An-chan. Ich kann verstehen, wenn du die Verlobung auflösen willst“, murmelte er mit heiserer Stimme. Ich verstehe das Ganze nicht. Sie ist so ein liebenswertes Mädchen. Es wäre alles so viel einfacher wenn sie es wäre. Warum kann es nicht sie sein? „Sag mir, dass du ihn liebst und ich werde aufgeben!“, verlangte An. „Sag mir, dass meine Hoffnungen umsonst sind!“ Überrascht von dem Zittern ihrer Stimme sah Ritsu auf und was er sah, versetzte ihm einen Stich in der Nähe seines Herzens. Oder war es gar sein Herz, das getroffen worden war? An hatte die Hände zu Fäusten geballt und zwar so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß geworden waren. Ihre Unterlippe zitterte unter der Anstrengung, all die anderen Gefühle und Worte daran zu hindern ihren Mund zu verlassen. Aber am schlimmsten war für ihn der Blick in ihre haselnussbraunen Augen, die Traurigkeit, Schmerz und Resignation widerspiegelten. Er konnte es kaum ertragen, dafür verantwortlich zu sein. „I-ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Nicht einmal wer ich eigentlich bin.“ Und zum ersten Mal kamen die Verzweiflung und die Verlorenheit zum Ausdruck, die er tief in sich fühlte. Die Luft war mit einem Mal von einer Schwere erfüllt, die sie beide zu erdrücken schien. Innerhalb eines Moments hatte sich die Atmosphäre verändert. Die Leichtigkeit und Vertrautheit schien unwiederbringlich verloren gegangen zu sein. Was sie beide nicht wussten, war, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Gefühle und Situationen immer noch etwas gemeinsam hatten: Sie fühlte sich beide schuldig. „Ich glaube, das wusstest du auch noch nicht als du noch deine Erinnerungen hattest“, überlegte An laut, ihr Gesicht nun wieder entspannter und sanfter. „Aber keine Sorge. Unwissenheit hält nicht ewig an.“ Vielleicht war es gerade dieser Umstand, der ihm am meisten Angst einjagte? Eines Tages könnte er aufwachen und sich an sein altes Selbst erinnern können. Dann würde er endlich wieder jemand sein, ein Leben und eine Geschichte haben. Was aber, wenn ihm dieser Mensch und seine Geschichte nicht gefielen? Er könnte nie wieder zurück in die Unwissenheit. Veränderungen waren etwas furchteinflößendes, denn sie waren nicht mehr rückgängig zu machen. „Du kennst mich gut, An-chan. Was für ein Mensch bin ich?“, fragte er zögerlich. Sein Gesicht versteckte er mit seiner Hand, denn er wollte nicht, dass sie die Angst darin sah. Deshalb konnte er auch das leichte Lächeln auf Ans Gesicht nicht sehen. „Ich liebe dich, Richan“, gestand sie ihm, wobei ihre Wangen sich dabei leicht rot färbten. „Du bist mein bester Freund und das wird sich auch nie ändern. Aber ich kann dir nicht sagen, wer du bist. Das musst du selbst entscheiden.“ Auch seine Wangen nahmen bei diesem Liebesgeständnis einen Rotton an. Langsam ließ er die Hand sinken und blickte sie verstohlen aus den Augenwinkeln an. „W-wenn es so einfach wäre, dann hätte ich… nein, würde ich mich für dich entscheiden“, gab er ein wenig niedergeschlagen zu. Hätte ich tatsächlich ein Mitspracherecht in diesen Angelegenheiten hätte ich mich dafür entschieden, mich in An-chan zu verlieben. Dann wäre alles so einfach und unkompliziert. Und alle wären glücklich. Äh, naja… bis auf einen… Aber… ich bin mir nicht einmal sicher, ob er es ernst gemeint hat als er gesagt hat, dass er mich liebt… Vielleicht war es nur ein Scherz? Aber der Kuss… Geistesabwesend berührte er leicht seine Unterlippe. Gegen seinen Willen rief er sich das Gefühl die Lippen des anderen auf den seinen zu spüren ins Gedächtnis und errötete. Von seinem Gesicht konnte man ganz eindeutig seine Gefühle ablesen. Und das tat An auch. Verlegenheit, Verwirrung, aber auch Verlangen. Deshalb nannte sie es in Gedanken das „V-Gesicht“. Das V-Gesicht sagt mir, dass die Entscheidung bereits gefallen ist, dachte sie ein wenig wehmütig. Sie spürte das allzu bekannte Gefühl eines gebrochenen Herzens, das sie beinahe dazu brachte, weinend die Wohnung zu verlassen. Sie wusste jedoch, wenn sie jetzt ging, würde das das Ende ihrer Freundschaft bedeuten, denn sie würde sich vor Schuldgefühlen nicht mehr trauen ihm in die Augen zu sehen und ihm würde es vermutlich nicht anders ergehen. Jedes Mal wenn er ihr Herz gebrochen hatte, war sie bei ihm geblieben und das würde sie auch jetzt tun – gerade jetzt, wo er einen Freund brauchte. Sie blieb, weil sie ihn genug liebte, um glücklich zu sein wenn sie nur in seiner Nähe bleiben konnte. Außerdem liebte er sie auch, das war ihr bewusst. Und ihm auch. Einen Freund verlässt man nicht, nur weil er einem Schmerzen bereitet. Wenn es auch nicht leicht ist. Wenn man jemanden liebt, nimmt man das in Kauf! , erinnerte sie sich an ihre Moralvorstellungen. Dann setzte sie ein Lächeln auf. „Ganz egal, wer du auch entscheidest zu sein, ich werde nicht zulassen, dass du weiterhin wie ein Messie lebst!“, verkündete sie mit Kampfgeist, angesichts des Müllberges vor ihr. „Richan, die Pizza sieht aus als wäre sie schon ein paar Wochen alt!“ „Oh, entschuldige…“ „Oh mein Gott! Der Belag bewegt sich!“ „W…wa-?“ „HOL EINEN BESEN, SCHNELL! BEEIL DICH! DAS VIEH IST GROß GENUG UM MICH VERSPEISEN ZU KÖNNEN!“ „Schon hier! Äh… wo ist es?“ „DA! ERSCHLAG SIE?“ „Wa-! Warum ich?! Die ist wirklich riesig!“ Danke für alle Kommentare, die mich zum Weiterschreiben ermutigt haben! Tut mir Leid, dass das neue Kapitel so lange gedauert hat. Das nächste wird vermutlich auch nicht schneller da sein. Ich weiß, dass es viele gibt, die An-chan nicht mögen und auch finden, dass weibliche Charaktere in einem Yaoi nichts zu suchen haben, aber ich finde, dass die Beziehung zwischen ihr und Ritsu wichtig für beide ist, auch wenn sie problematisch ist. Da man nicht viel über An-chan weiß, habe ich sie nach meinen Vorstellungen gestaltet. Über Verbesserungsvorschläge über ihren Charakter würde ich mich freuen. Kapitel 6: Ein Hinweis? ----------------------- Takano war Stress in seinem Beruf gewohnt, doch wenn sich dieser auch in seinem Privatleben ausbreitete, konnte selbst er davon überfordert sein. Noch dazu, seitdem sich die Arbeit vermehrt hatte weil einer seiner Editoren ausgefallen war. Aber das Unangenehmste stand ihm erst noch bevor. Er hatte es nun lange genug aufgeschoben. Es wäre schon längst Zeit gewesen, sich bei Kisa zu entschuldigen, der sich wegen dem Vorfall wohl selbst die Schuld zu geben schien. Takano seufzte. Entschuldigungen waren noch nie sein Ding gewesen. Aber er drückte sich nicht vor der Pflicht. Niemals. „Kisa, wir müssen uns unterhalten“, verkündete er mit seiner Autorität als Chefeditor und bedeutete den Älteren ihm in den Aufenthaltsraum zu folgen. Zu sagen, dass Kisa nervös wirkte wäre eine Untertreibung gewesen. Nach seinem letzten Gespräch mit seinem Boss hatte er auch allen Grund zur Furcht vor einer Wiederholung dessen. Niemand wurde gerne angeschrien. Schon gar nicht von jemandem, der darin ein Naturtalent war, einen Nerv zu treffen. Unbeirrt ging Takano zum Automaten und drückte sich einen Kaffee herunter, den er dann Kisa, zu dessen großer Überraschung, gab. Stotternd vor Unglauben bedankte sich dieser. „Ich möchte mich für meinen Wutausbruch bei dir entschuldigen, Kisa“, eröffnete Takano nachdem er tief durchgeatmet hatte. „Du musst dich für den Zwischenfall mit Onodera nicht verantwortlich fühlen. Das beeinträchtigt nur deine Arbeit und ich erlaube nicht, dass mein Team nur halbherzig bei der Sache ist.“ Wäre Ritsu jetzt hier und er selbst, dann würde er sich über die Art meiner Entschuldigung aufregen, dachte er amüsiert. Kisa blickte seinen Vorgesetzten mit großen Augen an. In seiner gesamten Laufbahn bei Marukawa war ihm noch nie die Erfahrung zuteil geworden, eine Entschuldigung von dem Dämon-Chefeditor zu hören. Träumte er das etwa nur? Oder hatten Aliens Besitz von Takanos Körper ergriffen und gaben sich nun als diesen aus um die Weltherrschaft zu ergreifen? „Oi! Drifte gefälligst nicht ab, wenn dein Vorgesetzter zu dir spricht!“ Nein, das war definitiv Takano Masamune, ohne Zweifel. Erholt von dem Schock der unerwarteten Entschuldigung fiel Kisa noch etwas ein, eine Frage, die ihn schon lange beschäftigte, doch die zu stellen er bis jetzt nicht gewagt hatte. „Wie geht es Richan?“ Mit dieser Frage hätte Takano wohl rechnen müssen. Seine Stirn legte sich in Falten. „Abgesehen von der Amnesie wohl gut und der verstauchten Hand, wohl gut“, antwortete er schlicht. „Ah, es wird unnötig viel Arbeit und Zeit kosten, ihm alles noch einmal beizubringen.“ Kisas Augen weiteten sich. „W-wann kommt er zurück?“, fragte er vorsichtig. Er traute dem ruhigen Tonfall des anderen nicht. Selbst ihm war bereits aufgefallen, dass Takano, was das neueste und jüngste Mitglied ihres Teams betraf, überempfindlich reagierte. Der Zwischenfall hatte seine Ahnung nur noch bestätigt. „Ich gebe ihm bis zum Ende der Woche noch Zeit, sich von seiner Kopfverletzung zu erholen. Montags sollte er also wieder einsatzfähig sein.“ Er sah nicht halb so genervt aus wie er klang. In seinen Augen konnte man mit ein wenig Anstrengung sogar Sorge und Müdigkeit sehen. Als Takano Onoderas Wohnung betrat verschlug es ihm vor Überraschung die Sprache. Einen Moment überlegte er, ob er sich vielleicht an der Tür geirrt hatte und im falschen Apartment gelandet war, aber ihm war klar, dass diese Möglichkeit äußerst unwahrscheinlich war. Aber seit wann war Onoderas Wohnung denn sauber und ordentlich? Es war ungewohnt, sich den Weg in die Küche nicht über Hindernisse erkämpfen zu müssen. „OI, wenn du Zeit hattest, aufzuräumen…“ Er verstummte als er den Braunhaarigen schlafend über einem Manga am Küchentisch vorfand. Für einen ansonsten verbitterten jungen Mann, sah er sehr friedlich aus wenn er schlief. Takanos Blick fiel auf den Stapel Manga der neben dem Braunhaarigen lag. Er hat es beinahe geschafft, dachte der Ältere und strich voller Zuneigung über die braune Mähne seines jüngsten Editoren. Und aufgeräumt hat er auch… Das hat er sicher nicht ohne Hilfe geschafft. Seine Miene wurde düster. Dann blickte er wieder in Ritsus schlafendes Gesicht und stellte fest, dass dieser Anblick seiner Wut tatsächlich ein wenig milderte. Das Mädchen mochte zwar während des Tages hier gewesen sein, aber jetzt war sie weg, was bedeutete, dass Ritsu sie nicht gebeten hatte zu bleiben. Das bestätigte ihm erneut, was er ohnehin schon wusste: Ritsu liebte sie nicht. Takano versuchte zuerst sanft dann weniger sanft den Jüngeren aufzuwecken, doch es war zwecklos. Er seufzte. Nun, es war nicht das erste Mal, dass er ihn tragen musste. Zum Glück war der Weg zum Schlafzimmer dieses Mal nur sehr kurz. Leider aber schien es, dass bei der Aufräumaktion das Schlafzimmer vergessen worden war. Beinahe wäre Takano auf einem Socken ausgerutscht. Als er es endlich geschafft hatte, den Braunhaarigen auf das Bett zu legen, fiel ihm das leise Murmeln dessen auf. Es war keine neue Information für ihn, dass Ritsu im Schlaf sprach, aber es faszinierte ihn jedes Mal aufs Neue. Nur auf diese Weise erfuhr er, was Ritsu wirklich dachte. „U…san. U-Urado-san.“ Erneut verfinsterte sich Takanos Miene. Ohne noch weiter zu zögern, legte der Schwarzhaarige seine Tageskleidung ab und legte sich neben Ritsu ins Bett. Er hatte sich zwar vorgenommen, dieses Mal in der richtigen Reihenfolge ihre Beziehung zu starten, aber da Ritsu es tatsächlich wagte, von einem anderen zu träumen, war eine Bestrafung notwendig. Langsam öffneten sich grüne Augen, nur um sich gleich darauf wieder zu schließen weil die Helligkeit im Raum sie überrascht hatte. Da Ritsu seine Augen nicht noch einmal dieser Helligkeit aussetzen wollte, hielt er sie geschlossen. Ihm war ohnehin noch nicht danach, aufzustehen. Immerhin war es so schön warm unter der Decke, sein Kopfkissen fühlte sich so schön weich an und die sanften Bewegungen davon waren wunderbar einschläfernd. Sogar das rhythmische Klopfen, das davon auszugehen schien, war alles andere als störend. Als die Informationen, die seine Sinne ihm lieferten, jedoch in sein Bewusstsein einsickerten, riss er seine Augen plötzlich wieder auf, hellwach. Was er sah, bescherte ihm beinahe einen Herzinfarkt. Sein Kopfkissen war eigentlich eine nackte Brust. Voll böser Vorahnung wanderte sein Blick von der Brust hinauf zu breiten Schultern, dann über ein markantes Gesicht bis hin zu dem rußschwarzem Haar. Takano-san! Warum lag sein Boss und Nachbar in seinem Bett?! Und noch viel wichtiger: Warum hatte er nichts an?! Alarmiert hob Ritsu sacht, um den anderen nicht zu wecken, die Decke, nur um dann ein tonloses Geräusch von sich zu geben. Wie befürchtet war er ebenfalls nackt. Wie zur Hölle ist das passiert?! Ich kann mich nicht daran erinnern!, dachte er panisch während er die gestrigen Ereignisse in seinem Kopf noch einmal Revue passieren ließ. Doch seine Erinnerungen konnten ihm keine Antworten geben. Der Braunhaarige begann sich um sein Gedächtnis zu sorgen. Was, wenn es soweit beschädigt war, dass Informationen nicht mehr in seinem Langzeitgedächtnis verankert wurden? Was, wenn er sich nur noch an eine gewisse Anzahl von Dingen am nächsten Tag noch erinnern konnte? Langsam versuchte er, sich aus den Armen des Älteren zu befreien, doch dieser drückte ihn nur noch enger an sich, als hätte er seine Absicht erkannt. Eine Flucht war in dieser Situation unmöglich. „Bleib“, bat eine unerwartet klare Stimme ihn, die Ritsu erröten ließ. Der Braunhaarige musste sich erst einmal räuspern um etwas darauf erwidern zu können. „D-das ist meine Wohnung! Wenn jemand gehen muss, dann ja wohl du!“ Takano schmunzelte. „Als du geschlafen hast, hattest du kein Problem mit meiner Anwesenheit. Du warst es immerhin, der sich an mich gekuschelt hat“, bemerkte der Schwarzhaarige mit einem selbstgefälligen Grinsen auf den Lippen. Die Röte erreichte eine ganz neue Nuance in Ritsus Gesicht. „Da-das ist Ausnutzen von Wehrlosigkeit! Be-bewusst hätte ich das nie getan!“, verteidigte er sich. „Wir werden sehen…“ Mit diesen Worten vergrub der Ältere sein Gesicht in der haselnussbraunen Mähne und atmete dessen Duft ein. Ritsu lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch als der Atem des anderen sein Ohr streifte, hatte er sie plötzlich vergessen. Mit meinem Gedächtnis muss wirklich irgendwas nicht stimmen. Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, war er bereits wieder eingeschlafen. Als er zum zweiten Mal aufwachte, hatte er das Bett für sich allein. Vielleicht war es ja doch nur ein Traum gewesen? Ein herrlicher Duft, der seinen Weg von der Küche in sein Schlafzimmer gemacht hatte, stieg ihm in die Nase und weckte nun auch seinen leeren Magen, der sich daraufhin mit einem Grummeln beschwerte. Spielten ihm seine Sinne Streiche oder roch es tatsächlich als würde jemand in seiner Küche Frühstück zubereiten? Um das Rätsel zu lösen kroch Ritsu aus dem Bett und öffnete die Tür einen Spalt um seinen Kopf herauszustrecken und nachsehen zu können – immerhin könnte es sich ja auch um einen Einbrecher handeln. „Was zur Hölle machst du da?“, fragte eine Stimme sehr nah an seinem Ohr. Erschrocken zuckte der Braunhaarige zurück, verlor das Gleichgewicht und landete unsanft auf seinem Hinterteil. Er hat wirklich Glück, dass ich mich gestern Nacht zurückgehalten habe, sonst hätte das noch viel mehr wehgetan, dachte Takano amüsiert und beobachtete wie der Jüngere sich wieder aufrappelte. „Takano-san!“ Es klang tadelnd, ja, schon beinahe so als würde er schmollen. „Du bist wirklich ein Tollpatsch. Pass auf deinen Verband auf. Ich hab keine Lust, schon wieder mit dir ins Krankenhaus zu fahren“, erinnerte der Ältere ihn trocken, innerlich aber lachte er sich tot. Ritsu errötete, ob vor Wut oder vor Scham war schwer zu sagen. Er wollte gerade seiner Empörung Ausdruck verleihen, als sein Plan von einem lauten Grollen vereitelt wurde. „Zeit für Frühstück“, schloss Takano daraus und zog den verlegenen Braunhaarigen mit sich. Wenig später beobachtete der Schwarzhaarige wie seine Jugendliebe mit immer noch leicht geröteten Wangen seine Mahlzeit verschlang als hätte er seit Wochen keine vernünftige Nahrung mehr zu sich genommen – was vermutlich auch der Fall war. Wenn du bei mir wohnen würdest, könnte ich jeden Tag für dich kochen, dachte er ein wenig sehnsüchtig. Es waren Gedanken wie diese, die ihm seine Zuversicht nahmen. Er sah zwar die Fortschritte in ihrer Beziehung, doch überkamen ihn manchmal Zweifel, ob sie je den Punkt erreichen würde, den er als Ziel auserkoren hatte. Nicht, dass er dem Jüngeren jemals bemerken ließ, dass er nur halb so selbstsicher war wie er sich gab. Beim Thema Unsicherheit fiel ihm auch wieder ein, was ihn seit heute Morgen beschäftigte. Vielleicht war er zu besitzergreifend, aber er konnte es nicht tolerieren, dass seine große Liebe von jemand anderem träumte, wenn er sich noch nicht einmal an ihn erinnern konnte. „Wer ist dieser Urado-san?“, fragte er ohne Vorwarnung. Ohne zu wissen weshalb löste der Name in Ritsu eine Reaktion aus. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Dies schob er allerdings auf die so plötzlich gestellte Frage. Immerhin sagte ihm dieser Name genauso wenig wie all die seiner eigenen Bekannten. „I-ich weiß nicht.“ Ritsu log nicht, das wusste auch sein Gegenüber. Trotzdem war er weiterhin misstrauisch. Warum beschäftigte sich Ritsu unterbewusst mit einer Person, dessen Name vermeintlich Urado war? „Du hast von einem Urado-san gesprochen, während du geschlafen hast“, erzählte Takano ihm gleichgültig, obwohl ihm dieser Umstand gegen den Strich ging. „Wirklich?“ Seine Missbilligung wuchs angesichts Ritsus neugieriger Frage. Selbst wenn er sich ebenso wenig an Urado erinnern konnte wie an ihn, musste zu diesem Typen doch eine besondere Verbindung bestehen. Der Chefeditor wollte auf keinen Fall, dass Ritsu sich, in der Hoffnung mehr über sich selbst zu erfahren, auf die Suche nach dieser Person machte. „Vielleicht ist Urado aber auch nur ein Charakter in einem der vielen Manga, die du gestern gelesen hast. Übrigens fehlen noch zwei bis deine Aufgabe vollendet ist“, merkte Takano mit seiner üblichen Selbstgefälligkeit an. „Ich bin eingeschlafen…“, erinnerte sich Ritsu da und errötete leicht. „T-tut mir Leid, wird nie wieder vorkommen.“ Dieser Entschuldigung folgte eine tiefe Verbeugung. Angesichts dessen verdrehte Takano die Augen und fuhr dem Braunhaarigen durch die wilde, ungekämmte Mähne. „Das hoffe ich für dich. Halbherzige Arbeit toleriere ich nicht.“ „H-hai.“ Kapitel 7: Die Geschichte eines verliebten Jungen ------------------------------------------------- Ritsu machte sich sofort wieder an die Arbeit, nachdem Takano gegangen war. Die hatte sich allerdings angehäuft, da sein Boss ihm auch noch einen großen Stapel Storyboards vorbeigebracht und ihm die Grundlagen erklärt hatte. Es war nun an dem Jüngeren, die Korrekturen sämtlicher Manga, die er gelesen hatte, durchzugehen und anschließend nachvollziehen zu können. Keine kleine Aufgabe, aber der Ehrgeiz hatte ihn gepackt. Ich werde Takano-san schon beweisen, dass ich meine Arbeit machen kann! Der wird schon noch sehen! Das Thema Urado war für ihn aus seinen Gedanken gedrängt worden, schlich sich allerdings wieder zurück in sein Bewusstsein, als An vorbeikam um ihm Abendessen zuzubereiten. Es war ihm immer noch unangenehm, sie für ihn kochen zu lassen, aber sie ließ sich ja doch nicht abwimmeln. Dieses Mal nahm sie seine angebotene Hilfe jedoch an. Er schnitt gerade das Gemüse klein, während er sich überlegte wie er sich an das Thema herantasten konnte. Je wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als ihm das Messer aus der Hand genommen wurde. „Pass doch auf, Richan! Du hättest dir gerade fast in den Finger geschnitten!“, tadelte sie ihn und schüttelte den Kopf. „Was beschäftigt dich denn?“ Fast wäre Ritsu die Kinnlade runtergefallen. War er wirklich so durchschaubar? Sie musste ihn tatsächlich sehr gut kennen. Nervös kratzte er sich mit seiner unverletzten Hand am Hinterkopf. Dann platzte er aber doch mit seiner Frage heraus. „Sagt dir der Name Urado etwas?“ An runzelte daraufhin die Stirn. „Du hast bei ihm während deines Aufenthalts in England gewohnt. Wie ich hörte ist er ein guter Freund deines Vaters.“ „Warum fragst du? Kannst du dich etwa an ihn erinnern?“, fügte sie hoffnungsvoll hinzu. Es gefiel dem Braunhaarigen wirklich gar nicht, sie enttäuschen zu müssen, deshalb schüttelte er mit einem entschuldigenden traurigen Lächeln den Kopf. Dann weiteten sich seine Augen überrascht. „Ich war in England?“ An erstarrte. Sie war sich nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Wenn sie ihm die Umstände seines Aufenthaltes erklärte, würde das bestimmt einen Keil zwischen Ritsu und Takano-san treiben. Obwohl dies natürlich zu ihrem Vorteil wäre, zögerte sie. Natürlich wollte sie, dass ihre große Liebe sich für sie entschied, aber war sie dafür bereit jegliche Moral über Bord zu werfen? Wenn er die Wahrheit hört, könnte das vielleicht etwas in ihm auslösen, damit er seine Erinnerungen zurückbekommt ,überzeugte sie sich selbst. Also erzählte sie ihm von einem Jungen names Saga Masamune, der zu seiner High School Zeit sein Sempai und seine erste Liebe gewesen war und davon, wie ihm von ebendiesem das Herz gebrochen wurde, was den jungen Ritsu dazu veranlasste, seine Schulzeit im Ausland zu beenden, um seinen Liebeskummer vergessen zu können. Ritsu lauschte der Geschichte, die ihm kaum wie seine eigene erschien, gespannt und mit weit aufgerissenen Augen. Danach brauchte er fünf volle Minuten um das Gehörte zu verarbeiten. „I-ich war i-in einen Jungen verliebt?!“, wiederholte er geschockt. Obwohl ihn diese Tatsache aus den Socken riss, machte es nun mehr Sinn für ihn, warum er sich als Erwachsener in eine Affäre mit einem Mann eingelassen hatte, anstatt seiner Verlobten treu zu sein. Aus einem Grund, den er selbst nicht ganz verstand, fiel es ihm nun leichter, es zu akzeptieren. „Ja. Du hast mir nur kurz etwas von ihm erzählt. Es war dir sehr peinlich darüber zu sprechen. Du hast gesagt, es wäre Liebe auf den ersten Blick gewesen“, fügte An noch der Vollständigkeit halber hinzu. Das brachte den Braunhaarigen dazu, zu erröten. Liebe auf den ersten Blick? Das klang viel zu sehr nach den Shoujomanga, die er gestern hatte lesen müssen, aber nicht nach Realität. Außerdem spielte das ja ohnehin keine Rolle mehr, da dieser Saga-sempai ihm das Herz gebrochen hatte. Was solche Erinnerungen betraf, war Ritsu doch froh, dass er nicht darauf zurückgreifen konnte. Er spürte auch so einen schwachen dumpfen Schmerz in der Brust aus Empathie für den verletzten Jungen, da wollte er sich nicht einmal ausmalen, wie es sich wohl erst anfühlte, sobald er sich selbst wieder mit dem Jungen identifizieren konnte. „I-ich verstehe nicht ganz… Wenn du wusstest, dass ich diesen Jungen lieb- äh, ah, mochte und dass ich offenbar vor kurzem noch eine Affäre mit Takano-san gehabt habe, warum sind wir dann immer noch verlobt?“, erkundigte sich Ritsu sowohl zurückhaltend als auch neugierig. Er wollte die Rätsel seiner Vergangenheit endlich lösen. An erstarrte abermals. Ja, warum eigentlich? Das hatte sie sich schon oft gefragt. Aber leider noch nie in diesem Zusammenhang. Hätte sie schon früher die Zusammenhänge zwischen Vergangenheit und Gegenwart erkannt, hätte sie sich schon eher mit ihrer eigenen unvermeidlichen Zukunft abfinden müssen. Sie hatte früher schon keine Chance gegen Saga-sempai gehabt und genauso war es noch heute. Die traurige Wahrheit war, dass sie nie die Stelle von Sage-sempai in Ritsus Herzen einnehmen konnte. Denn dieser Platz war immer noch besetzt. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie müde. „Ich wollte wohl etwas haben, was mich an dich bindet, wenn ich schon dich nicht haben kann. Aber tief in mir wusste ich, dass es nie zu einer Hochzeit kommen würde.“ Ritsu zuckte zusammen, als er ihr humorloses Lachen vernahm. Es klang zu traurig. Sie hatte den Blick gesenkt und er befürchtete schon, dass sie weinte. Hilflos stand er da und sah sich im Raum nach einem verfänglichen Objekt um. Vielleicht war ja irgendwo in dem Chaos, das sich seine Wohnung nannte, ein Pony versteckt, das sie aufheitern konnte? „Ich sollte gehen“, kündigte An schließlich mit verräterisch erstickter Stimme an. Bevor er noch etwas erwidern konnte, war sie an ihm vorbei und die Tür hinaus gestürmt. Verdattert sah Ritsu ihr nach, dann fuhr er sich hektisch durch die Haare und ein bekümmerter Ausdruck trat in sein Gesicht. Die Lösungen auf seine Fragen brachten offenbar stets neue Probleme mit sich. Musste das Leben wirklich so problematisch sein? Bevor Takano kam, ging Ritsu noch einmal die Storyboards durch. Es fiel ihm außerordentlich schwer, mit der Storyline und den Hauptfiguren etwas anzufangen, da das Thema Liebe war und er aufgrund des Mangels an persönlichen Erfahrungen absolut keine Ahnung davon hatte. Dennoch bemühte er sich und gab sein Bestes. Er hatte nur kurz eine Pause von seiner Arbeit gemacht, um kurz zu duschen, ansonsten hatte er den ganzen Nachmittag damit zugebracht. Mit Sicherheit wollte er seinem Boss nicht schon wieder seine eigene Unfähigkeit vor Augen führen. Der Braunhaarige wurde jedoch aus seiner Konzentration gerissen als sich zwei starke Arme von hinten um seine Taille legten. „T-Takano-san! Schleich dich n-nicht einfach a-an mich heran!“, schimpfte der Jüngere und befahl seinem wild klopfendem Herzen innerlich sich zu beruhigen. Der Schwarzhaarige kicherte leise. „Deine Schuld, dass du so schreckhaft bist“, entgegnete er mit einem leichten Schulterzucken. Was Ritsu aber mehr schreckte als die plötzliche Umarmung war der Kuss, den er in diesem Moment auf die empfindliche Stelle der Halsbeuge bekam. Ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken. „Hast du deine Aufgaben erledigt?“ Es war schwer, sich auf die Frage zu konzentrieren und auch noch eine Antwort darauf zu geben, während jemand anderer das Gesicht in den eigenen Haaren vergrub und tief einatmete. „Äh- ich ähm, ja… aber“, begann Ritsu, doch verlor den Faden als Fingerspitzen über seine Hüfte tanzten. Trotz des Stoffes seines T-Shirts, das direkten Hautkontakt verhinderte, spürte er die Hitze in sich aufsteigen. War es normal, auf einfache Berührungen derart intensiv zu reagieren? „Aber?“, hackte Takano nach, in seiner Stimme war ein Lächeln hörbar. Die Fingerspitzen führten ihren Weg unter seinem T-Shirt fort. Der nun direkte Hautkontakt entriss dem Jüngeren beinahe ein Stöhnen. „W-was?“, fragte Ritsu verwirrt, unfähig ihrem Gespräch zu folgen, während talentierte Hände ihn reizten. „Hmpf, warst du während deiner Arbeit auch so unkonzentriert? So jemanden kann ich nicht gebrauchen.“ Wütend drehte Ritsu seinen Kopf um seinem Boss einen giftigen Blick zuzuwerfen. „Das ist alles deine Schul-“, regte er sich auf, wurde jedoch von den Lippen des anderen unterbrochen, die sich ohne Erlaubnis auf seine gepresst hatten. Ritsu reagierte wie üblich anfangs gar nicht darauf, sondern ließ es einfach geschehen. Erst als der Kuss immer fordernder wurde und die Hände in eine bestimmte Richtung wanderten, kam wieder Leben in ihn und er drückte den Schwarzhaarigen von sich. „Stop! H-hör auf!“, forderte er mit zittriger Stimme und tomatenrotem Gesicht. Doch darauf wurde keine Rücksicht genommen, was in ihm eine seltsam vertraute Frustration hervorrief. Bevor er überhaupt richtig verstand, was vor sich ging, stand er bereits auf den Beinen und wurde Richtung Schlafzimmer gedrängt. Seine Proteste wurden durch weitere Küsse im Keim erstickt, bis sie letztendlich ganz erstarben. Kapitel 8: Erkenntnis --------------------- Takano wachte als erster auf. Er warf einen Blick auf die Gestalt neben ihm und lächelte leicht. Kurz fragte er sich, ob der Braunhaarige auch in seinem jetzigen Zustand so reagieren würde wie sonst – also zu schreien, alles abzustreiten und zu fliehen. Er würde es später herausfinden. So bequem es in seinem Bett auch war und er am liebsten ewig diesen Moment ausgekostet hätte – wer wusste schon, wie lange dieser noch anhielt? – musste er sich doch für die Arbeit fertigmachen. Etwas unwillig stand er auf, als ihn eine Stimme innehalten ließ. Kurz befürchtete er, Ritsu wäre aufgewacht, doch da dieser sich nicht weiter bewegte, erkannte er, dass dieser nur wieder einmal im Schlaf brabbelte. Manchmal konnte man Worte oder sogar Sätze verstehen, doch die meiste Zeit waren es nur Laute. Er wollte gerade wieder aufstehen, erstarrte dann aber. „…enpai…“ Mit ausdruckslosem Gesicht blickte er zu dem Braunhaarigen hinab. „Saga-senpai.“ Dieses Mal war es nur zu deutlich gewesen. Er träumte von ihm? Was hatte das für seinen Gedächtnisverlust zu bedeuten? Begann er allmählich, sich zu erinnern? Takano fuhr flüchtig durch die zimtfarbene Mähne bevor er aufstand um sich fertigzumachen. Heute war einer seiner wenigen freien Tage, dennoch wartete Arbeit auf ihn. Immerhin konnte er sich nicht auf Ritsus Gedächtnis verlassen, also musste er ihn noch einmal anlernen. Eben Genannter wachte einige Zeit später auf, vollkommen verwirrt und noch halb in seinen Träumen. In Gedanken war er immer noch in der Bibliothek und beobachtete einen älteren Jungen, der am Tisch über einem Buch eingeschlafen war. Aus irgendeinem Grund trat ihm bei dieser Vorstellung die Röte ins Gesicht und er bekam ein nostalgisches Gefühl. In seinem Traum war ihm absolut klar gewesen, dass er den anderen Jungen liebte, aber nun, mit den Augen eines Erwachsenen betrachtet, fragte er sich, wie er sich dessen nur hatte so sicher sein können. Sein immer noch laut klopfendes Herz schien ihm darauf die Antwort zu geben, die er jedoch nicht als solche erkannte. Später an diesem Tag saß ein frustrierter Ritsu über einem Berg von Manuskripten und versuchte angestrengt, nicht laut aufzuschreien und sich die Haare zu raufen. Warum fiel es ihm nur so schwer Mädchenmanga zu verstehen? Währenddessen kochte Takano sich in der Küche einen Kaffee. Es erstaunte ihn ein wenig, dass Ritsu sich bezüglich seiner Arbeitshaltung nicht verändert hatte. Ganz offensichtlich fiel ihm das Thema schwer, doch er arbeitete solange an sich selbst und an seinen Fähigkeiten bis es ihm gelang, die Aufgabe zu erledigen. So war er schon immer gewesen. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, existierte das Wort unmöglich nicht mehr in seinem Wortschatz. Das war es auch, was ihm von Takano Respekt einbrachte. „Willst du sagen, dass du nicht einmal so etwas einfaches verstehst?“, spottete der Schwarzhaarige, der Gefallen daran gefunden hatte, Ritsu zu provozieren. Daraufhin lief Ritsu vor Scham rot an. „I-ich… Es tut mir leid, ich werde mich bessern“, versprach er mit hängendem Kopf. Ohne seine Erinnerungen war Ritsu wieder genauso unsicher und zaghaft wie in seiner Jugend. Nur manchmal kam die Person, die er als 26-Jähriger war, durch. Meist nur dann, wenn Takano ihn genug provozierte. Ansonsten aber war er weit nicht so feindlich gegenüber dem Älteren wie vor seinem Unfall. Wäre dieser Mensch aus ihm geworden wenn das Missverständnis vor über 10 Jahren nicht passiert wäre? „Wie geht’s deinem Körper?“, fragte Takano, nur um seine Reaktion zu sehen. Der Braunhaarige zuckte zusammen und die Röte schoss ihm ins Gesicht. In seinem Kopf hörte er dieselbe Frage noch einmal, von derselben Stimme gestellt, aber in einem gleichgültigerem Tonfall. Was war das? Ein Déjà-vu? Dieses Gefühl, schon einmal in dieser Situation gewesen zu sein, aber sich nicht daran erinnern zu können. Es war frustrierend. Die Antwort schien zum Greifen nah zu sein, doch er griff stets ins Leere. „Ritsu?“ Aus den Gedanken gerissen blickte er auf, pure Verwirrung in seinem Gesicht deutlich. Ihm wurde bewusst, dass Takano auf eine Antwort wartete und er wich verlegen dessen bohrendem Blick aus. „Eh?! Ich… Es geht mir gut“, brachte er schließlich hervor und drehte den Kopf beschämt zur Seite. „Wovon hast du geträumt?“ Diese Frage ließ seinen Kopf allerdings in die Richtung des Schwarzhaarigen schnellen. „Huh?“ „Du hast im Schlaf gesprochen. Du hast ‚Saga-senpai‘ gesagt.“ „O-oh.“ Er ließ seinen Blick wieder sinken. „An-chan hat mir gestern von ihm erzählt. Anscheinend hat er was mit meiner Vergangenheit zu tun.“ Er musste ja nicht erwähnen, dass Saga-senpai und er für kurze Zeit miteinander liiert gewesen waren. Das musste Takano, trotz ihrer fragwürdigen Beziehung zueinander, seiner Meinung nach nicht wissen. Hinterhältige Schlange! , fluchte Takano gedanklich bei der Erwähnung von An-chan. „Ist das so“, murmelte er gedankenversunken. „Es ist sowieso nicht wichtig! Ich hab keine Ahnung warum ich überhaupt von ihm geträumt habe“, tat Ritsu die Sache mit einem übertriebenen Lachen ab. „Was hast du genau geträumt?“ Ihm war vollkommen schleierhaft warum Takano sich so sehr dafür interessierte. Aus irgendeinem Grund ließ ihn das unruhig werden. „Äh, wir waren in einer Bibliothek. Er saß schlafend an einem Tisch über einem Buch. Das ist alles.“ Obwohl er leicht verunsichert war, war er neugierig. Das Interesse des anderen an Saga-senpai war mehr als nur merkwürdig in seinen Augen. Da musste mehr dahinter sein. Diese Theorie wurde ihm bestätigt als sich die braunen Augen des Älteren etwas weiteten – eine Reaktion, die man nicht sehr oft an Takano beobachten konnte. „Das ist nicht nur ein Traum. Das ist eine Erinnerung!“ Bei dieser Behauptung wurde der Braunhaarige hellhörig und wäre beinahe vor Aufregung an die Decke gesprungen. Seine Erinnerungen waren noch da, er konnte zurzeit nur nicht darauf zugreifen. Aber sein Unterbewusstsein konnte es. Waren seine Träume sein Zugang zu sich selbst und seinem Leben? „Woher weißt du das? Warst du damals auch anwesend?“, fragte Ritsu aber dann, als er den Zusammenhang berücksichtigte. Takano runzelte darauf nur die Stirn. „Ich dachte, es wäre nicht wichtig?“ Der Jüngere schluckte schwer. Er war mit seinen eigenen Worten Schachmatt gesetzt worden. Das enttäuschte ihn, denn sein Stolz ließ nicht zu, dass er seine Aussage von vorhin zurücknahm und um die Information bettelte. „Äh, richtig. Ist es auch nicht“, log er. Vielleicht würde sein nächster Traum etwas Licht in die Sache bringen. Zumindest sollte ihm bald möglich sein, aus der schemenhaften Gestalt die Person bekannt unter dem Namen Saga erkennen zu können. Er hoffte nur, dass Takano dann mehr dazu bereit war, sein Wissen mit ihm zu teilen, falls er ihn wieder im Schlaf reden hörte. Warte! Wer sagt denn, dass er diese Nacht wieder hier verbringen wird?! , tadelte er sich selbst und lief rot an. Er hatte zwar letzte Nacht mit dem Schwarzhaarigen geschlafen, aber er war immer noch verlobt, auch wenn An-chan bereits wusste, dass es niemals zu einer Hochzeit kommen würde. Also war er ein untreuer Mann oder? Noch schlimmer war, dass Takano auch noch sein Boss war. Das wiederrum rief in ihm einen Verdacht auf, der ihn zutiefst beunruhigte. Er musste es einfach wissen. „Takano-san?“, setzte er zaghaft an. Er hatte Angst davor die Frage zu stellen, aber noch mehr Angst hatte er vor der Antwort. „Hm?“, murmelte der Andere abwesend. Ritsu schluckte. „Ich… I-ich… schlafe mit dir d-doch nicht um –wegen, ähm, meines Jobs?“ Gegen Ende des Satzes war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern, während die Röte sich bis hin zu seinen Ohren ausgebreitet hatte. „Was?!“, fuhr Takano hoch. „Zur Hölle, nein! Als ob ich mit so jemandem schlafen würde!“ Er klang angewidert, dabei musste er sich selbst eingestehen, dass er vor wenigen Jahren noch zu keinem solcher Angebote Nein gesagt hätte. Aber er war nicht mehr der dumme Junge, der seine Probleme in Alkohol ertränkte und die Leere in sich selbst mit bedeutungslosem Sex kompensierte. Ritsu war zwar erleichtert, aber es beantwortete immer noch nicht die vielen anderen Fragen in seinem Kopf. „Was ist es dann?“ Warum konnte er das nicht ein wenig selbstbewusster fragen? Er klang wie einer unsicherer Schüler, der seinem Lehrer eine Frage stellte. „Sag du es mir. Ich sagte dir bereits, dass ich dich liebe.“ „Habe… ich es jemals gesagt?“ „Was?“ Das süffisante Grinsen des anderen sagte ihm, dass der Schwarzhaarige sehr wohl wusste wovon er sprach. „Dass ich dich l-liebe?“ „Nein, aber ich weiß trotzdem, dass du es tust.“ Ritsu beneidete ihn für seine Selbstsicherheit. Nicht ein Funken Zweifel war in seiner Stimme erkennbar. „Wie?“ Daraufhin nahm Takano sein Kinn und drehte seinen Kopf, damit er ihm in die Augen sah. Sie waren sich so nah, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Der Jüngere wurde erneut von der Röte in seinem Gesicht verraten, die mit jedem Augenblick intensiver wurde. Langsam, schmerzhaft langsam lehnte Takano sich zu ihm und ohne es zu bemerken kam Ritsu ihm entgegen, ungeduldig, bis ihre Lippen sich trafen. Es war ein genussvoller Kuss, der sich für Ritsu irgendwie neu und fremd anfühlte, obwohl es nicht ihr erster gemeinsamer war. Er wusste es nicht, da er keine Erinnerungen an die früheren Küsse hatte, aber diesem Kuss fehlten die Eile und die Dringlichkeit. Takano aber kannte den Grund dafür. Dieses Mal musste er ihm nicht seine Gefühle aufzwingen. Dieses Mal musste er sich nicht alles nehmen, was der andere ihm nicht zu geben gewährte. Dieses Mal musste er nicht befürchten, es wäre der letzte. Denn dieses Mal verlor der Jüngere sich in dem Kuss. „Nur ein Idiot würde das Offensichtliche übersehen“, murmelte Takano nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. „Und jetzt arbeite weiter. Morgen ist immerhin dein erster Arbeitstag“, befahl er dann mit schneidender unnachgiebiger Stimme, die so gar nicht zu seinen vorigen Worten passte. Ein vollkommen aufgelöster, rotgesichtiger Ritsu erwachte daraufhin aus seiner Starre und tat wie ihm geheißen, froh eine Ablenkung von den aufwallenden Gefühlen zu bekommen. Viele Fragen waren unbeantwortet eliminiert worden. Ich liebe ihn. Es tut mir wirklich leid, dass es so lange gedauert hat. Tja, ich hab zwar schon eine Ahnung wo die Geschichte hingeht, aber es ist nicht ganz so leicht, es auch niederzuschreiben. Wie auch immer, danke an diejenigen, die diese Geschichte lesen und einen Kommentar hinterlassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)