Not lost but found von SunnyBunny (Eine Weihnachtsgeschichte) ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- Die klirrend kalte Luft brannte in seinen Lungen. Bei jedem Atemzug bildeten sich weiße Wölkchen vor ihm und verschwanden im Dunkel der Nacht. Dabei war es gar nicht mehr wirklich Nacht. Es war noch stockdunkel, doch heute war er später dran als sonst. Trotzdem war weitaus weniger los. Die Straßen jenseits der knorrigen Bäume, die den Rand des abgelegenen Parks säumten, waren noch leer. Nur ganz vereinzelt hörte er das gedämpfte Knirschen des Schnees, wenn ein Auto vorbei fuhr. Kein Wunder, schließlich war an diesem Tag der zweite Advent. Kai machte sich nichts daraus. Er hatte nie gelernt was Weihnachten war, und als er dann nicht mehr in der Abtei gelebt hatte, war es ihm einfach egal. Irgendeinen Gott anzubeten, der ihm eh nicht half, hatte er nie für sinnvoll empfunden, also brauchte er auch keine dieser Bräuche zu beachten. Es war ihm daher auch egal, dass alle auf nett taten, Geld für unsinnige Geschenke und Stromrechnungen zum Fenster raus warfen, und dabei auch noch Spaß hatten. Das, was ihn störte war, dass die Menschen sich alle verrückt benahmen. "Der Weihnachtsvirus", hatte Ian mal aus Spaß gesagt, dabei war ihm Weihnachten ans Herz gewachsen. Ian liebte alles was damit zu tun hatte. Kai gönnte es ihm. Der Kleine war als letztes zu ihnen in die Abtei gekommen, und hatte nicht so lange gelitten wie die Übrigen. Er hatte sich noch etwas von seiner Lebensfreude bewahren können. Deshalb sah ihre Wohnung dementsprechend aus: Lichterketten im Wohnzimmer und Plätzchendosen in der Küche verrieten Ians Leidenschaft. Das waren die wenigen Zugeständnisse die Kai zuließ. Leider konnte man nicht sagen, dass Ians Backkünste ihn für den ganzen Kitsch entschädigen könnten. Schon gar nicht, wenn Bryan da so heimlich eine nicht ganz legale Zutaten beimischte, was allerdings nur selten vorkam. Das einzige Gute, was er an Weihnachten fand - und das gestand Kai sicher niemandem - war heißer Glühwein mit Wodka. Wie jeden Morgen joggte er auch an diesem, um sich fit zu halten, und der Enge der Wohnung zu entkommen. Es bließ ihm auch den Kopf frei. Sein Blick schweifte ohne wirkliches Ziel durch den Park und blieb an den dicken Ästen hängen, die sich unter den Schneelasten bogen. Ab und an hingen Eiszapfen von ihnen herunter. Die vergangenen Tage waren ziemlich kalt geworden. Die Kälte konnte ihn allerdings nicht von seinen Läufen abhalten. Das Wetter spielte hierbei nämlich keine Rolle. Wie das gute Sprichwort sagte: Es gibt kein schlechtes Wetter. Nur unpassende Kleidung. Ein leises Geräusch im Schnee ließ seinen Blick in die Richtung wandern. Es hätte eigentlich nur ein Tier sein können, oder ein Frühaufsteher. Natürlich war sich Kai dessen bewusst, doch er war mit Misstrauen und gewissen Reflexen groß geworden. Er konnte die Ursache des Geräusches nicht erkennen. Es machte ihn unruhig, deshalb verlangsamte er seine Schritte, sodass ihre gedämpften Töne nicht keine anderen überdeckten. Sein rythmischer Atmen passte sich seinem neuem Tempo an. Erneut vernahm er die Bewegung im Schnee und sah jetzt ein wenig entfernt etwas Dunkles hinter einem kleinen Schneehügel liegen. Erst wollte er einfach vorbei laufen, doch dann siegte ungewöhnlicherweise seine Neugier. Denn Gefahr schien nicht von dem Wesen auszugehen. Als er näher kam, erkannte er Stoff. Jemand lag dort eingerollt im tiefgefrorenen Schnee. Zu klein für einen Erwachsenen. Ein leichtes Zittern ging von der Gestalt aus. Das Kai seine Jacke über das frierende Kind gelegt hatte, registrierte er erst so richtig, als er selber fröstelte. Was musste das für ein unbewusster Impuls gewesen sein. Sonst gab er so etwas nie nach. "Hey!", sagte er laut und rüttelte den kleinen Körper. Unter der schwarzen Jacke, die das Kind vorher getragen hatte, kamen kurze dunkle Haare hervor. Irgendwas ließ Kai stutzen. Er konnte erst nur seinen Hinterkopf sehen, denn der Junge hatte sich so eng gegen die Kälte zusammengerollt, dass sein Gesicht unter einem Arm halb verborgen lag. Die Frage war: Was tun? Viele Möglichkeiten hatte Kai nicht. Er wusste ganz genau, wie gefährlich es war, im Schnee zu erfrieren. Ihm war es damals selber fast passiert. Er hoffte, dass es nicht schon zu spät war. Da der Junge nicht reagierte, schob Kai einen Arm unter seinen Oberkörper und den anderen unter die kleinen Kniekehlen und hob ihn hoch. Er war leicht. Er musste zwischen acht und neun Jahre alt sein. Um ihn nicht noch mehr auszukühlen hielt er ihn nah an seiner Brust und versuchte ihn nicht zu viel zu bewegen. Ich muss ihn in ein Krankenhaus bringen, dachte er. So lief er mit schnellen Schritten los, um den Park zu verlassen. Er beeilte sich, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Die Uhr tickte. Kai blickte auf den Jungen herab. Nun da er sein Gesicht sah, schlugen die Erinnerungen an damals auf ihn ein. Er fühlte sich so sehr an sich selber erinnert, dass er sich fragte, ob er nicht genauso ausgesehen haben musste. Hätte Tala ihn damals nicht gefunden, dann wäre er im Schnee erfroren. Er schluckte und schloss ganz kurz die Augen. Schloss die Erinnerungen weg. Der Junge sah erschöpft aus und seufzte angestrengt. Dann öffnete er die Augen und sah Kai an. Sein Blick war trüb und müde. Das dunkle Rot seiner Iris irritierte Kai. Genau diese Farbe hatten seine eigenen Augen. "Nicht...bitte nicht ins... ins Krankenhaus", bat er schwach. Er sprach so leise, dass Kai dachte, er hätte sich das nur eingebildet. Doch dieser Blick, so erschöpft er auch war, dieser Blick war so unglaublich eindringlich. Kai zog die Nase kraus. Verstehen konnte er den Kleinen. Das hieß aber nicht, dass im das gefiel. Wahrscheinlich trug die ungewöhnliche Augenfarbe des Jungen dazu bei, dass er auf ihn hörte. Als es an der Tür klingelte, hatte Tala keine Lust zu öffnen. Er wollte seine Ruhe haben und niemanden sehen. Und Kai konnte es ja wohl nicht sein. Wenn der mal seinen Schlüssel vergessen hätte, dann wäre das echt ein Wunder. So blieb Tala einfach auf der Couch liegen. Er hatte schlechte Laune, da Ian die halbe Nacht mit einem dudenlden Plüschweihnachtsmann durch die Wohnung gelaufen war. Und dieses penetrante "Ho! Ho! Ho!" war bis in jedes Zimmer zu hören gewesen. Als Kai dann in aller Frühe aus dem Haus gegangen war, konnte Tala auch nicht mehr schlafen. Mürrisch hatte er dann auch noch feststellen müssen, dass der Kaffe alle war und er verdammt noch mal nicht wusste, wo er Sonntagsmorgens vor sieben Uhr neuen kaufen sollte. Abermals klingelte es. Diesmal zwei mal hintereinander. Und fünf Sekunden später noch einmal. Genervt stand Tala auf und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. "Haben Sie mal auf die Uhr gesehen?", blaffte er. "Mach die verdammte Tür auf, Tala!" Das war doch Kais Stimme. Er klang mehr als gereizt. "Du hast doch einen Schlüssel", sagte er, drückte aber trotzdem auf den Öffner. Zwei Minuten später hörte er Kai die Treppe rauf hechten. Täuschte sich Tala, oder klangen sein Schritte schwerer? Meist ließ ihn sein Gehör nicht im Stich. Auch dieses Mal hatte er recht. Verwirrt schaute er seinen Freund an, als er auf dem Absatz ankam, und eilig an ihm vorbei in die Wohnung schritt. Ein dunkles Bündel lag in seinen Armen. "Was...?!", begann er doch Kai brachte ihn mit einem schnellen Blick zum Schweigen. Er legte das Kind auf die weiße Couch. Schnell verschwand er im Bad und riss die Schränke auf. Als er gefunden hatte, was er suchte, warf er Tala die alte dunkelblaue Wärmflasche zu. "Heiß machen!", befahl er und riss Talas Zimmertür auf. Unter dessen Bett holte er die Ersatzdecke hervor und kam ins Wohnzimmer zurück. Das alles dauerte keine drei Minuten. Immer noch perplex stand Tala im Zimmer, die Wärmflasche in der Hand und keine Ahnung was hier vor sich ging. Aber Kai war so ernst, dass er lieber tat was er sagte. Er ging in die Küche und stellte den Wasserkocher an. Dann siegte seine Neugier und er betrachtete den Jungen auf der Couch. Kai hatte inzwischen zwei Jacken auf den Boden geworfen. Die eine gehörte Kai und aus ihrer Tasche ragte auch sein Schlüsselbund. Das erklärte natürlich, warum er selber nicht die Tür aufschließen konnte. Die andere war viel kleiner, aber immer noch zu groß für das Kind, welches jetzt unter der Decke aus Talas Zimmer lag. Zusammengerollt und zitternd sah er wirklich Mitleid erregend aus. "Kannst du mir jetzt mal erklären, was genau hier los ist? Wer ist das?", fragte Tala etwas gereizt, als er versuchte das heiße Wasser in die Wärmflasche zu gießen, ohne sich zu verbrennen. "Ich hab ihn im Schnee gefunden", war alles was Kai dazu sagte. Tala hasste es, ihm alles aus der Nase ziehen zu müssen. "Du weißt schon, dass das Krankenhaus näher und einfacher gewesen wäre?" "Er wollte nicht", antwortete Kai und erinnerte sich an die schwache Stimme. Er nahm Tala die Wärmflasche aus der Hand, und schob sie unter die Decke. "Ach, und nur weil ein halb erfrorenes Kind dir etwas sagt, hörst du direkt auf ihn?", bemerkte Tala unfreundlich. Als Kai nicht antwortete fügte er hinzu: "Was willst du machen wenn er aufwacht?" "Das entscheide ich dann." Dreieinhalb Stunden lang schlief der Junge auf der Couch. Nach einer Weile hatte das unkontrollierte Zittern nachgelassen, bis es schließlich ganz aufhörte. Kai hatte am Fenster gesessen und der Stadt beim erwachen zugesehen. Die Dämmerung war langsam und kriechend gekommen und jetzt tauchte die fahle Wintersonne die Dächer der Stadt in silbergoldenes Licht. Immer mehr Menschen waren auf den Straßen auszumachen und alle von ihnen waren in dicke Mäntel und Jacken gehüllt. Kai hatte selber gefroren, als er zurück zur Wohnung gelaufen war. Aber der Kleine hatte die Jacke mehr gebraucht als er. Als Kai zu ihm rüber schaute, sah er grade, wie der Junge die Augen öffnete und sich umsah. Ihre Blicke trafen sich nach einer Weile und der Kleine schaute ihn unverwandt an. "Wie heißt du, Kleiner?" Der Junge richtete sich auf. Es dauerte etwas, bis er eine bequeme Position gefunden hatte. Strähnen dunkler Haare hingen ihm ins Gesicht, und er wischte sie langsam beiseite. "Ilija", antwortete er. "Bist du Kai?" Kai stutzte, behielt aber seine neutrale Miene bei. Woher kannte der Kleine seinen Namen? Tala streckte in dem Moment den Kopf aus der Küche ins Zimmer. Als er sah, dass der Kleine wach war, trat er herein und musterte ihn. Nach drei Sekunden schaute er zu Kai und zurück zu Illja. "Der sieht genauso aus wie du!", entfuhr es ihm. "Er hat zwar dunklere Haare als du, aber die Augen... und die Form eurer Gesichter..." Tala ließ den Satz in der Luft hängen und ein amüsierte Ausdruck trat auf sein Gesicht. Wusste gar nicht, dass du schon Kinder hast. Gibt es da noch mehr von denen du mir erzählen möchtest, Kai?" Kai schnaubte nur. Er sah Illja an. "Was hast du allein im Schnee gemacht?", fragte er analytisch. "Na ich hab dich gesucht." Er wich Kais verwirrtem Blick nicht aus. "Mich?" "Ja. Ich hab mich aus dem blöden Waisenhaus raus geschlichen um dich zu suchen. Ich will einfach nicht mehr da sein und immer weiter gereicht werden. Ich hab das satt!" "Aber wieso suchst du ihn, Kleiner?", wollte nun Tala wissen. "Ich heiße nicht 'Kleiner'", beschwerte er sich. "Mein Name ist Illja. Illja Alexander Hiwatari. Und Kai ist mein Großer Bruder." FORTSETZUNG FOLGT :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)