Das letzte Lächeln von jyorie (Noah x Mokuba Kaiba) ================================================================================ Kapitel 1: Nicht mehr als ein Fragment -------------------------------------- „Von allen traurigen Worten, die je gesagt oder geschrieben wurden, sind die traurigsten: ‚Es wäre möglich gewesen‘" John Greenlaef Whittier, Amerikanischer Dichter. Mit seinen Fingern strich er sich fahrig durch seine Ponysträhnen und rieb sich die brennenden Augen. Wie automatisch glitt seine Hand im halbdunkeln des Büros zu der Tasse, die dort neben dem Laptop stand. Er durfte jetzt nicht schon wieder schlapp machen. Wieso brauchte der Mensch auch so viel Schlaf, konnte man sich das denn nicht für später zusammen sparen? So ein dummes Schlafdefizit Konto ansammeln und es irgendwann abarbeiten, dann wenn dazu Zeit war, dann wenn es eh zu spät war, dann wenn es belanglos war, ob er wachte oder schlief. Er hatte schließlich nicht mehr viel Zeit übrig und diese Arbeit musste dringend fertig werden, er wusste nicht einmal wie viel Zeit er noch hatte. Er führte die Tasse zu seinem Mund, dass sich das Keramik noch warm anfühlte wagte er eh nicht zu vermuten, zudem hatte er sich immer noch nicht an den grässlichen Geschmack des schwarzen Gebräus gewöhnt, aber es hatte ihm geholfen die vergangenen Nächte durchzuarbeiten. Ebenso die Nächte davor, er hatte aufgehört zu zählen, wie viele Tage und Wochen er schon hieran saß. So hoffte er auch jetzt würde es ihm wieder einen kleinen Kick geben, gegen die müden Lieder die ihm die Sicht auf den Bildschirm versperrten, jedes verdammte Mal, wenn sie wieder zufielen. Er setzte die Tasse an die Lippen an, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden. Die herrlich blauen Augen die immer so strahlten und ihn angelacht hatten. In ihm all das gute Gesehen hatten, das er damals nicht hatte, sie trieben ihn an. Er war so dicht dran, es fehlte wirklich nicht mehr viel, dann hatte er es gepackt. Wieder eine Nacht in der an Schlaf und Ruhe nicht zu denken war. "Scheiße", fluchte er leise und knurrte, als er bemerkte, dass schon wieder kein Inhalt in der Tasse war. Seufzend erhob er sich und knipste das Licht an. Hier in der Wohnung war niemand den es stören würde, wenn eine Lampe die ganze Nacht brennen würde. Seit er aus dem virtuellen Gefängnis entkommen war, das sein Vater für ihn gemacht hatte, lebte er hier alleine. Er sah es auch nicht ein die Lichter an zuschalten, wenn er am PC saß. Dunkelheit oder Licht - alles egal. Was jetzt zählte war doch nur das Ergebnis. Die Angst und den Schmerz wenn er ihn verlieren würde, der brannte schon jetzt in seinem Herzen. Ja, es gab da zwar jemand mit dem er liebend gern zusammen gewesen wäre, aber das war nun vergebens, wieder ein Traum der in Schall und Rauch aufging, so wie der Traum von seinem Vater anerkannt zu werden. Aber das war die Vergangenheit. Lediglich in Strümpfen schlurfte er durchs Zimmer, über die kalten Fliesen im Flur und dann die knarrende Holztreppe hinunter zur Küche. Die Kaffeemaschine war auch schon wieder leer, aber was lief auch schon in seinem Leben so wie es sein sollte? - Nichts! Er hatte nie etwas Geschenkt bekommen und immer wurde ihm alles genommen. Er öffnete die Schranktür über der Spüle und holte sich das Kaffeepulver. Schnell war frisches Wasser im Tank der Kaffeemaschine und neben dem Zischen und Brutzeln breitete sich ein angenehmer Duft in der Küche aus. Sein Kopf tat weh und die Glieder waren schwer, ihm war leicht schwindelig, aber aufgeben würde er nicht. Schließlich war der Geist stärker und auch diese Nacht würde sein Antrieb über seine Glieder siegen. Langsam füllte sich die Kanne mit dem schwarzen, heißen Gebräu. Noah leckte sich über die trockenen Lippen die unangenehm spannten. Er nahm die Kanne und schenkte sich vorab schon eine Halbe Tasse ein, dann stellte er sie wieder unter den Filter, damit auch der Rest des Koffein-Elixiers hineintröpfeln konnte. Er nahm einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit und entspannte sich kurz. Lehnte sich an die Küchenzeile und ging die einzelnen Programmierebenen durch. Irgendwo musste dieser verflixte Fehler doch liegen, wieso kam er nicht drauf? Er nahm noch einen Schluck und massierte sich die Schläfen. Diese Kopfschmerzen waren so lähmend für seine Gedanken, aber aufgeben kam schließlich nicht in die Tüte. Nur einmal, nur ein einziges Mal wollte er es noch sehen, dieses Lachen. Unbeschwert und glücklich. Nicht die müden und trüben Augen, die er jetzt hatte. Nicht das was aus ihm geworden war. Mit beiden Händen umklammerte er fest die Tasse und rief sich in Erinnerung, dass es genau diese Geste war, die ihn dazu gebracht hatte ihn schon einmal zu retten, die ihn dazu gebracht hatte zu erkennen, wie groß sein Herz doch war. Er hatte ihm verziehen und ihm Hoffnung gegeben, obwohl er ihn in diesem Moment gelinkt hatte. Obwohl er im Begriff war ihn zu verderben, seinen Geist zurück zu lassen und ihm den Körper zu stehlen. Eben dieses warme und ehrliche Lächeln, das ihn nie wieder los gelassen hatte. An das er dachte, als er sich retten wollte. Als er in seinem Körper auf dem Weg zum Hubschrauber war und ab jetzt nie wieder alleine sein würde. Als ihn in diesem Moment die stahlblauen Augen und die Erinnerung an das Lächeln aufhielten. "Ach Mokuba", seufzte er und zog die Nase hoch, um danach tief durchzuatmen. Er füllte die Tasse noch einmal mit Kaffee, um wieder nach oben zu seinem Laptop zurückzugehen. Einige Stunden später, fielen wärmende Sonnenstrahlen auf sein Gesicht und kitzelten seine Nase. Er legte sich den Arm übers Gesicht und drehte den Kopf zur Seite. Nur um ächzend festzustellen, dass sein Nacken unangenehm schmerzte. "Fuck." Er war über seiner Arbeit am Laptop doch tatsächlich noch eingepennt. "Verflucht." Wieder so viele Stunden die ihm fehlten. Seine Hand glitt zu seinen Schultern und knetete fest die verspannten Muskeln, dass gleiche tat er bei seinem Nacken. Es war eben nicht bequem auf der Tastatur so verkrümmt zu schlafen und schon gar nicht unter dem undichten Fenster, an dem die Handtücher, die er dort verklemmt hatte um die zugigen Spalten etwas abzudecken wieder herunter gefallen waren. Mit immer noch leicht unscharfem Blick, drehte er sich zur Uhr um und schloss gleich darauf die Augen wieder. "So spät schon." In seinem Leben lief aber auch gar nichts mehr rund und noch weniger, seit er mit diesem Projekt begonnen hatte. Noah schüttelte resignierend den Kopf und schleppte sich ins Badezimmer. Er streifte seine Klamotten, die schon nicht mehr frisch rochen, vom Leib und ließ sie an Ort und Stelle auf dem Boden liegen. Na gut, einen kleinen Fußtritt Richtung Ecke bekamen sie noch, da waren sie wenigstens in guter Gesellschaft bei den anderen Kleidungsstücken die dort schon lagen. Zumindest waren seine Klamotten nicht allein. Obwohl der Stapel ebenso ein trauriges Bild wie er selbst abgab. Na egal. Die müden Glieder sträubten sich die kalte Duschwanne zu betreten. Noah graute es selbst vor dem allmorgendlichen Ritual, er kniff die Augen zusammen und biss die Zähne aufeinander als er auch schon die Dusche aufdrehte. Zischend ertrug er das kalte Wasser, das sich über seinen ausgemergelten Körper ergoss und ihn wieder etwas von den lebenden Untoten zurück zu den halbwegs Wachen brachte. Manchmal fragte er sich schon, ob es wirklich die Mühe wert gewesen war? Wieso hatte er nicht einfach die Augen geschlossen? Wieso hatte er so an seinem wertlosen Leben gehangen? Als sein Vater ihn nach dem Unfall vor so vielen Jahren auf ein paar Schaltkreise und elektronische Impulse reduziert hatte, hätte es ihm nicht wehgetan, bei der Explosion der Unterwasserbasis mit vernichtet zu werden. Sein Körper war schon längst Tod gewesen und niemand wusste mehr von seiner Existenz. Man hatte der Natur ins Handwerk gepfuscht, was niemals gut war. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, sein Vater hätte ihn nach dem Unfall gehen lassen. Das was er aufgebaut hatte machte weder ihn noch Gozaburo glücklich. Er hätte es fast geschafft, mit seinem letzten Streich in die erlösende Nichtexistenz zu wechseln und damit noch eine gute Tat vollbracht, während er gleichzeitig, als die Raketen auf dem unaufhaltsamen Weg waren, Gozaburo in dem Netz gefangen hielt und bereit war, gemeinsam mit ihm unterzugehen. Er hatte ihn besiegt, seinen Vater - hatte sich stärker als er Erwiesen. Bitter lachte er auf und rubbelte sich die gerötete, kalte Haut trocken. Langsam verschwand die Gänsehaut und ihm wurde wieder warm. Noch einmal schnaufte er verächtlich. Ja, er hatte es geschafft, er hatte seinem Vater gezeigt, was er konnte, hatte ihn festgesetzt und alle Ausgänge aus der Virtuellen Welt versiegelt und war bereit sich selbst vernichten zu lassen. Das einzige, was er dabei nicht bedacht hatte, dass er ein Stückweit mit seinem Vater verschmolz und so einige Fragmente seiner Gedanken aufnehmen konnte. Gerade diese Gedanken und Ideen, die er im Bruchteil von Nanosekunden zu einem komplexen Fluchtplan zusammen fügen konnte und die tatsächlich die Rettung für ihn bedeuteten, die ihm zeigten wie er selbst dem zerstörenden Schlag der Luftraketen entkommen konnte. Ohne, dass er es weiter steuern konnte, hatte sich schon das Sicherungsprogramm für ihn geschrieben und transferiert. Als die Kurzstreckenraketen dann in die Basis einschlugen und eigentlich den Hauptrechner komplett zerstören sollten und alles löschen was dort war, wurde er mit der Energiewelle, die durch die Explosion freigesetzt wurde, nach außen befördert und konnte sich so auf die PCs von Kaibas Luftschiff übertragen. Mit der großen, roten Feuerwolke die Gozaburos letztes Aufbäumen war, schleuderte er die Daten gleich ein Virus auf den Hauptcomputer des Zeppelins. Jetzt wieder mit etwas wacherem Geist, stapfte Noah immer noch frierend ins Schlafzimmer und zog sich ein paar frische Klamotten aus dem Schrank. Gähnend streifte er sich das Hemd über die Brust und zog sich die Hose hoch. Sein Magen knurrte, aber das war ihm eigentlich egal. Auch gestern schon hatte er nur kurz etwas von der Hand in den Mund gegessen, als er sich beim Bäcker schnell ein Stückchen geholt hatte. Das war eindeutig auch ein Vorteil des Lebens ohne Körper gewesen. Diese blöden Grundbedürfnisse wie Nahrungsaufnahme, die den Menschen eigentlich doch Freude bereiten sollten, dass alles empfand er jetzt als eine lästige Notwendigkeit, die ihm lediglich Zeit raubte. Wozu brauchte man das schon, wenn man es nicht genießen konnte. Wenn man damit nur eine Zellmasse am Leben erhielt für die es bald keinen Grund mehr gab zu existieren. Wozu? Warum? Die Fragen waren nicht so einfach zu beantworten, aber momentan war er noch da, und er würde es sich nicht nehmen lassen, so viel Zeit mit ihm zu verbringen, wie es noch möglich war. So viel wie ihm noch blieb. Auch wenn er damit die Zellansammlung von belebter Materie der ihm als Körper diente total herunter wirtschaften würde. Ohne ihn war es sowieso sinnlos am Leben zu sein. Ein Leben, das es doch seit Jahren nicht mehr gegeben hatte, alles war zu einer Farce geworden. Wenn er sich beeilen würde, war er wieder rechtzeitig zu Beginn der Besuchszeit im Krankenhaus. Der kurze Abstecher beim Bäcker, war auch noch drin. So Kleinkariert wie die Oberschwester war, würde er sowieso nicht früher ins Zimmer kommen. Er ließ sich aus der Auslage eine der klebrig, süßen Rosinen Schnecken geben. Die hatte er als erstes gegessen, nachdem es endlich geklappt hatte, dass sein Geist - seine Daten - in den Körper übertragen wurden. Der jüngste Kaiba hatte grinsend da gestanden und war von einem Fuß auf den anderen getreten. Ungeduldig und neugierig, hatte er neben Seto gestanden, der sich schließlich doch noch dazu überreden hatte lassen einen Körper für ihren Stiefbruder zu replizieren, in den er das Virus übertragen konnte, das sich in sein Luftschiff eingeschlichen hatte, wie er Noah verächtlich geschimpfte. Aber Mokuba hatte auch da an das Gute in dem gebürtigen Kaiba geglaubt. Er hatte seinen großen Bruder überredet und ihn überzeugt, dass auch er zu Familie gehörte und er sie alle gerettet hatte indem er für sich den Freitod wählte. Dass er ihm sogar seinen Körper zurückgegeben hatte und sich aus ihm extrahierte. Dass er es tat, obwohl er schon gerettet war und keine Verpflichtungen gehabt hatte und damit riskierte, selbst vernichtet zu werden, als er ihn frei gab. Für Mokuba hatte es keinen weiteren Beweis mehr bedurft. Er hatte alles vergeben und verziehen was gewesen war. Alles was Seto weiterhin grollen ließ und er nie den Argwohn gegenüber ihm abgelegt hatte. Im Gegenteil, der junge Firmenchef war noch kritischer geworden. Aber gegen Mokuba kam auch er nicht an. Mit einer bestechenden Logik und dem süßesten Miniterroristen Blick, der dem Hündchenblick Joeys in nichts nachstand, hatte er es schließlich geschafft und Seto so weit gebracht und diesem hinterhältigen Schmarotzer ein neues Leben ermöglicht. So standen die beiden Brüder vor ihm, Seto arrogant, kalt und abweisend und Mokuba mit einer Güte und Herzenswärme die den härtesten Felsen bezwingen könnte - wie Licht und Schatten. Mit einem engelsgleichen Lächeln, dass ihm übers ganze Gesicht strahlte, hatte er ihn empfangen, als der Zellhaufen, den Noah als Körper bekommen hatte zum ersten Mal die Augen aufschlug. Und, dass erste was der kleine Wirbelwind getan hatte, er hatte ihm eine von seinen Rosinen-Zimt-Schnecken geholt und unschuldig Grinsend erklärt, dass die virtuelle Welt doch wohl so was sie das Reich der Schatten war, und er da sicher nicht so etwas Gutes zum Essen bekommen hätte. Und wie recht er doch hatte, zwar hatte Noah dort tatsächlich nichts essen müssen, aber allein die Geste und die Liebe mit der er ihn Mokuba empfing, hatten ihn so anziehend wirken lassen. Erschreckt riss der Grünhaarige die Augen auf, als ihn lautes Hupen aus den Gedanken riss. "Verdammt, könnt ihr Kids nicht die Stöpsel aus den Ohren nehmen und einmal mit wachen Augen durch die Gegend laufen", unverständiges Kopfschütteln und weitere genervte Gesten, die der Autofahrer vollführte als er weiter fuhr und Noah fast erwischt hatte, weil dieser nicht auf die rote Ampel geachtet hatte. Dieser zuckte mit den Schultern und regte sich nicht weiter darüber auf. Sein Leben war so belanglos. Er steckte sich das letzte Stück des Teilchens in den Mund und leckte sich die zuckrig, klebrigen Finger ab. Die Papiertüte warf er in den Mülleimer und direkt vor ihm öffneten sich auch schon die Glasschiebetüren des Domino-Klinikums. Der steril wirkende, krankenhaustypische Geruch nach Desinfektionsmitteln und kranken Menschen schlug ihm entgegen und drückte ihm auf den Magen, jedes Mal wieder überkam in die Übelkeit, wenn er daran dachte, wie er Mokuba gleich sehen würde. Noch wenige Schritte waren es, vorbei am Schwesternzimmer, in der Hoffnung nicht gleich heute Morgen schon dieser Oberzicke über den Weg zu laufen und dann schnell durch die schwere, braune Tür aus OSB Platten in Mokubas Krankenzimmer gehuscht. Schmerzlich war kein Ausdruck, für das Bild, das sich ihm jedes Mal bot. Tapfer unterdrückte Noah jegliche schlechte Gedankenregung und zwang sich zu einem aufgesetzten Lächeln. Trübsal konnte er auch hinterher blasen, dann wenn alles vorbei war, aber so lange noch ein letzter Funken Leben in dem schwächenden Körper war, würde er keinen Schwermut in dieses Zimmer bringen. Nichts dergleichen würde er hier anschleifen. So langsam wie Mokuba da am vor sich hinsiechen war, wollte er wenigstens stark für ihn sein. Langsam trat er auf ihn zu, heute sah er wieder schwächer aus als Gestern. Jetzt konnte man schon fast zusehen, wie die Lebenskraft immer mehr aus dem Körper zu weichen begann. Das Letzte was sein jüngere Bruder jetzt brauchen konnte, waren Freunde und Verwandte die schon jetzt um ihn trauerten, ihm Mitleid gaben. Der Kleine wünschte sich gehen zu dürfen, das was ihm als einziges was ihn noch am Leben hielt, war der Gedanken an die Tränen, die dann seine Liebsten vergießen würden, wenn er hier alles losgelassen hatte und in die erlösende schwärz eingetaucht war. Alleine Sterben war nicht schön. Aber war es denn besser zu wissen, das man bald zu gehen hatte und wusste wie schmerzlich es alle traf die einem am Herzen lagen? Die nicht akzeptieren wollten das es für ihn schon so früh an der Zeit war? Nein sicher nicht. Aber man sah einfach nur zu deutlich, das Mokuba den Kampf gegen die Krankheit verloren hatte, dass es für ihn eine Erlösung wäre seinen letzten Atemzug auszuhauchen - war das noch Leben was er da führte? Wenn es nur noch durch Maschinen künstlich verlängert wurde, er aber innerlich den Kampf schon aufgegeben hatte? Am liebsten hätte sich Noah in das grüne Krankenhaushemd verkrallt und all den Frust hinausgeschrien und das Schicksal verklagt, dafür dass es so ungerecht war. Warum er? Warum Mokuba? Wäre es nicht besser gewesen wenn er sein Leben für ihn hätte eintauschen können? Sicher! Aber es gab niemand der diesen Tauschhandel vollziehen konnte. Dunkle Schatten lagen um die einst so strahlenden Augen. Das lange schwarze Haar war kurzen Stoppeln gewichen, die nie mehr zu der vollen Mähne würden wachsen können, die einst das Haupt des Wuschelkopfs zierten und immer ungezähmt und wild waren. Wild und lebensfroh so wie er war - ein wenig wie der Spiegel seiner Seele. Ein Spiegel der zerbrochen war und jetzt blass und krank vor ihm auf dem Bett lag. Röchelnd ging der Atem des Kranken. Die eingefallenen Wangen zeigten kaum mehr eine Regung. Noah ergriff Mokubas Hand. Sie war ganz kalt. Er legte sie in die seine und schloss seine andere darum, um wenigstens etwas Wärme in den Körper zurück zu bringen. Er schaute wie unterschiedlich ihr Teint war. Seine Haut schimmerte, fast durchsichtig, man konnte jede der feinen Adern wie ein Wurzelwerk unter der Haut erkennen. Ganz leise und schwach flüsterte der Jüngere seinen Namen. "Schhh...", sofort strich Noah ihm über die Stirn, die mit kaltem Schweiß bedeckt war, "ich bin da, bitte streng dich nicht zu sehr an." Er lächelte gequält, als sich die blauen Augen öffneten und ohne Fokus den Raum abtasteten. Er legte seine Hand auf die blasse Wange. "Hier bin ich", flüsterte er, um ihm eine Richtung zu geben, in die er schauen konnte. Ohne etwas zu erkennen, außer schemenhaften Umrissen, blieben die leeren Augen an seinem Schatten hängen. Mehr konnte der Kranke nicht mehr erfassen, aber endlich stoppten die hastigen Bewegungen der Augen und etwas Ruhe kam wieder in den zitternden Körper. Noah zog seine Hand von der dünnen Haut zurück, aus Angst ihn verletzen zu können. Dieses Bild sollte nicht das letzte sein, das er von Mokuba hatte. Nein! Er würde es schaffen, er würde den Durchbruch schaffen, nicht nur für den einzigen Bruder der je an ihn geglaubt hatte, auch für sich selbst. Das Lächeln das ihn antrieb. Das Lachen das auch in seinen Erinnerungen langsam immer mehr verblasste. Das wollte er noch einmal sehen. Es sollte nicht ersetzt werden durch das was die Krankheit aus ihm gemacht hatte. Mokuba sollte nicht so von ihm gehen. "Ich habe es dir versprochen, mein Bruder", flüsterte er und spürte einen minimalen Druck an seiner Hand, der von dem Kranken ausging. "Ich werde es halten", eine Träne löste sich aus Noahs Augenwinkel. "Ich werde dir deinen Wunsch erfüllen und du wirst es sehen, du wirst wieder Lachen und Fröhlich sein, Mokuba." Leise und flach ging der Atem des ehemals schwarzhaarigen Wirbelwindes. Seit Stunden hielt Noah nun schon dessen Hand und war neben ihm auf der Matratze zusammen gesunken, als er eingenickt war. Er verschlief vor Erschöpfung die für ihn so wichtige Zeit, die er seinem Bruder schenken wollte, die letzte Zeit in der er noch mit ihm zusammen sein konnte, bevor ihn die Zimtzicke wieder herausschmeißen würde. Seto der ebenso viel Zeit an der Seite seines kleinen Bruders verbrachte, duldete ihn nur mit Misstrauen, weil Mokuba Partei für ihn ergriffen hatte, als es ihm noch besser gegangen war. Noah musste immer lächeln, wenn er daran dachte wie energisch der kleine Kaiba da aufgetreten war, man hatte ihm die Krankheit nicht angesehen. Mit stoischer Überzeugung war er seinem Bruder gegenüber getreten und hatte sich für ihn eingesetzt. Er hatte Seto ins Gesicht gesagt, das Noah hier bleiben sollte, wenn nicht er, dann könnte der große Herr Jungunternehmer, dem sonst alles nach seinem Willen ging, ab sofort auf sein Besuchsrecht verzichten. Aber am stärksten war Noah dabei der klare und entschlossene Blick in den Augen in Erinnerung geblieben. Mokuba wirkte in diesem Moment so stark und das Durchsetzungsvermögen eines echten Kaibas leuchtete in seinen Augen. Er war so entschlossen, dass sogar ein Seto Kaiba klein bei gegeben hatte und notgedrungen zustimmte, dass der grünhaarige Abschaum ihn besuchen durfte. Gleich darauf war er jedoch hustend zusammen gesunken und seine beiden Brüder hatten den Schwarzhaarigen links und rechts gefangen und abgestützt, nur um ihn umgehend zurück ins Bett zu befördern. Eines der letzten frechen Grinsen hatte damals Mokubas Mund umspielt, als Seto ihm eine Strafpredigt gehalten hatte und im jegliche Anstrengungen in seinem Zustand untersagte. Schelmisch hatte er zu Noah geschaut, ihm verschwörerisch zugezwinkert und seinen kleinen Sieg ausgekostet. Diese kurzen kostbaren Momente hatten sich so tief bei ihm eingebrannt, sie zeigten ihm doch nur, das Mokuba ihn auch ein wenig mochte, aber ob er das Gleiche empfand wie er selbst. Wollte er ihn deshalb in seiner Nähe wissen? Hatte er ihm deshalb zu gehaucht, was sein letzter Traum war? Ihm. Nicht Seto. Etwas, was er sich so sehr gewünscht hatte, bevor er diese Erde verlassen musste? Noah wusste es nicht genau, aber war es nicht so, dass man einem Sterbenden seinen letzten Wunsch unbedingt erfüllen sollte? War es nicht seine Pflicht alles daran zu setzen, dass er Mokuba diesen letzten Gefallen tun konnte? Auch wenn der Kleine nicht mal wusste dass das was er ausgesprochen hatte, doch irgendwie möglich war, nicht lediglich eine unerfüllte Sehnsucht die einfach verblassen würde und zu nichts als einem Dunst werden würde, wenn er fort war? Noah ballte entschlossen die Faust und entkrampfte fast schon erschrocken seine Finger wieder, er hielt ja immer noch Mokubas Hand. Er würde ihm diesen Wunsch erfüllen, so viele Nächte schon hatte er dran gesessen. Kurz vor dem Ziel würde er nicht aufgeben! Niemals! "Ich darf sie dann bitten das Zimmer zu verlassen" Der Grünhaarige schaute auf und seufzte, wie oft hatte er sich schon mit dieser Person gestritten und ihr klar gemacht, das Besuchszeiten doch belanglos waren, dass er an der Seite Mokubas bleiben müsse. Aber all seine Argumente hatten nicht gewirkt. Die Oberschwester hatte es geschafft ihn jedes Mal heraus zu komplimentieren. Aber abgesehen davon, dass Noah zu gern an der Seite seines Bruders geblieben wäre, hatte er zuhause noch eine Aufgabe zu bewältigen. So erhob er sich widerstandslos. Wenn man einmal von dem rebellieren seines Körpers absah, der fast schon konstant gegen den Raubbau rebellierte, den er ihm zumutete. Keinen Deut ausgeruht stapfte er auf den Rückweg in seine vier Wände, die Seto ihm am anderen Ende der Stadt besorgt hatte - entgegengesetzt der Gegend in der die Kaiba Villa lag. Aber glücklicherweise nicht allzu weit vom Krankenhaus entfernt. Die frische Luft an der er unterwegs war tat ihm ungeahnt gut, früher hatte er das alles meiden müssen, als ihm das Wissen ins Hirn geprügelt wurde und er nicht mal einen Blick aus dem Fenster verschwenden durfte, um nach den Wolken zu schauen die draußen dahin zogen, nach den Blättern die sich im Wind wiegten. Damals durfte er sich mit solchen Nebensächlichkeiten nicht ablenken, alles wurde ihm von seinem Vater versagt und jetzt wo er es konnte; es durfte, war das, was ihn damals anzog tatsächlich zur Nichtigkeit geworden. Die kühle Luft die seine Haare durcheinander wehte beflügelte dennoch seinen Geist. Damals im System in dem er eingesperrt war, hatte er sich nie die kompletten Programmierungsreihen angeschaut, lediglich nach den Teilen die er für seine Zwecke modifiziert hatte, hatte er gesucht und diese dann auch studiert. Hatte er denn erahnen können, dass es jemals wichtig werden würde erneut etwas ähnliches zu erschaffen, wie das was damals vernichtet wurde? Der Ort der um ein Haar sein Grab hätte werden sollen. Hätte er es gewusst, hätte er sich damit befasst wie diese virtuelle Wirklichkeit aufgebaut war. Er hätte das System ganz anders unter die Lupe genommen, es studiert, aber so waren schon viele der Erinnerungen an die ganzen Systemeintragungen und die Programme die benötigt wurden um die Matrix aufrecht zu erhalten verblasst. Immer mehr und mehr hatte er alles vergessen, hatte es nicht mehr benötigt. Deshalb musste er sich jetzt so vieles selbst erarbeiten, wenn ihm der Durchbruch gelingen wollte. Bis auf diesen blöden Fehler der immer wieder zum Absturz des Systems führte, hatte er es geschafft das zu programmieren was er sich vorgenommen hatte. Er würde es sicher heute Nacht schaffen, sprach sich Noah den nötigen Mut zu, als er den Schlüssel Zuhause ins Schloss steckte. Es würde ihm gelingen, dass das System stabil laufen würde und er seinem kleinen Bruder diesen letzten Gefallen erweisen konnte. Natürlich nicht ganz uneigennützig. Denn er hatte es auf das verlorene Lachen abgesehen. Wenigstens sollte Mokuba glücklich gehen, wenn er sie schon verlassen musste. Wenigstens das wollte er erreichen, wenn er doch bisher in seinem Leben noch nicht die Möglichkeit erhalten hatte etwas zu leisten. Etwas Großes zu erreichen, mit dem er anderen hätte nutzen können. Er klappte den Bildschirm auf, lauschte wie die Kühlung ansprang und die ersten Zeichen des Lebens auf dem Bildschirm aufleuchteten. Bis der PC oben war, stiefelte er zurück in die Küche, setzte sich eine weitere Kanne Kaffee auf und streifte sich die Turnschuhe von den Füssen, die er in den Flur kickte. Mit einer frischen, duftenden Tasse lief er wieder nach oben und nippte im Laufen vom Kaffee. Er ließ sich auf dem Drehstuhl nieder und holte aus einer Schublade einige Kabel und Klebepads. Er betrachtete die Kabel in seiner Hand und atmete einmal tief durch. Wenn er den Fehler nicht auf logischem Weg finden würde, dann vielleicht in einem Selbstversuch. Er legte sich die Elektroden an die Schläfen, stöpselte die Klinkenstecker ein und startete das Programm. Ein deftiger Ruck durchzuckte seinen Körper, vor seinen Augen erstrahlte ein greller Blitz und für Minuten konnte er nichts erkennen. Dann fühlte er Wind auf seiner Haut, roch ein würzig, frisches Aroma und schwankte etwas benommen. "Notiz an mich selbst", schrieb er sich zum wiederholten Mal hinters Ohr, "ich muss den Einstieg ins System noch viel sanfter gestalten, diesen Schock kann ich Mokuba nicht antun." Er benötigte noch einen Moment bis er wieder soweit war weiter zu gehen und das System selbst zu prüfen. Gemächlich wanderte er durchs Unterholz und schaute sich an, wie die Welt auf ihn wirkte die er für Mokuba hergestellt hatte. Er betrachtete, was er an den Grafiken noch verbessern könnte und überlegte sich dabei, was seinem kleinen Bruder denn am besten gefallen würde und ob auch alles so war, wie er es sich vorgestellt hatte. Einige Zeitlang war er jetzt schon unterwegs und hatte fast alle der versteckten Systemboxen geöffnet und vor Ort die Schaltungen und Eingaben getestet. Einige Sachen hatte er gleich verbessern können und freute sich daran wie sich die Umgebung veränderte und wie es wohl auf Mokuba wirken würde, wenn er ihn hier her entführen würde. Für einen Augenblick schloss er die Augen und versuchte sich noch einmal sein Lächeln in Erinnerung zu rufen. Konnten sich Erinnerungen abnutzen? Es fiel ihm immer schwerer sich an das zu erinnern, weshalb Mokuba so anziehend auf ihn wirkte. Diese Geste die sich so sehr in seine Sinne gebrannt hatte, sie wurde immer mehr durch das ersetzt was ihm so große Sorgen bereitet - wie er im Krankenhaus lag und ein Schatten seiner selbst war. Energisch schüttelte er den Kopf um dieses Bild seines Bruders aus seinen Gedanken zu vertreiben. Fast hatte er es gepackt und alle Anschlusskästen in diesem Abschnitt überprüft, als plötzlich eine Warnmeldung ertönte und die Umgebung um ihn herum ihr Ränderung verlor. Er sah wie erschreckend schnell die lebensecht wirkenden Pflanzen und Wege ihr Shading einbüßten, wie sie zu einfachen Volumenkörpern zerfielen und diese schließlich auch begannen sich in ihre Programmierungs-Oberflächen aufzulösen. Das war gar nicht gut. Wo lag denn jetzt der Fehler? Noah hastete los und sprintete immer schneller werdend zum nächsten Ausgang. Die Sprachsteuerung war immer das erste, was sich bei diesen Gaus abschaltete, so versuchte er erst gar nicht dieses Programm anzusteuern, sondern rannte und hechtete zu einer der vielen Türen, die er für diesen Notfall hier überall ins System eingepflegt hatte. Um ihn herum begann die Umgebung immer mehr ihre Farben zu verlieren, alles wurde schwarz und zunehmend gab es nur noch die leuchtend grünen System Linien. Er sah an sich hinunter, beim Laufen sah er wie die Oberfläche seiner Kleidung und seiner Haut ihre Schattierungen und Farben verlor, es sah fast so aus, als wenn man die Farbe seiner Oberfläche wie aufgelegte Staubteile von seinem Körper pusten würde. Dann begann es zuerst bei seinen Fingern, die sich zu einfachen geometrische Formen zerlegten. "Verdammt", fluchte er und legte noch einen Zahn zu. "So verflixt schnell ist das System noch nie abgestürzt." Er erreichte mit einem Hechtsprung die Linien vor der Tür die auch schon im Prozess der Auflösung inbegriffen waren. Das was von seiner Hand noch übrig war, legte er auf das Touchpad und tippte schnell die Kombination der Zahlen ein. Die Tür öffnete sich und er kam gerade noch hindurch während hinter ihm alles in komplettem Schwarz verschluckt wurde. Er wusste zwar das die Zeit die im System ablief Potentiell länger war und die Flucht die für sein Zeitgefühl eingelogged im PC wie Minuten waren in Wirklichkeit weniger als eine Sekunde war, aber es war so verdammt knapp. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte hörte er endlich, was diesmal für den Systemabsturz verantwortlich war. Er schüttelte den Kopf über sich selbst und fragte sich, wie er nur so leichtsinnig hatte sein können und seinen Laptop nicht von allen Umwelteinflüssen abgeschottet hatte, wie hatte er nur vergessen können das Internet und Telefon zuvor abzuziehen? Moment Telefon? Wer rief ihn denn um diese Uhrzeit an? Wer rief ihn überhaupt an? "Noah Kaiba?", er nahm das Gespräch an. "Sei froh, dass du endlich abgenommen hast, länger hätte ich es nicht klingeln lassen", raunzte es ihm entgegen. "Seto?", fragte der Grünhaarige ungläubig. "Wer sonst?", kam es ihm gereizt entgegen, "Und glaub ja nicht, dass ich dich freiwillig anrufe, jetzt sperre deine Lauscher auf. Ich sag es nur einmal." In der Stimme lag nicht nur der Ärger, dass Seto sich bei ihm melden musste, Noah hörte irgendwie heraus, dass da noch Besorgnis mitschwang. Moment - Kaiba und Besorgt und er rief ihn an... Lange brauchten seine grauen Zellen da nicht kombinieren. "Was ist mit Mokuba?", kam es wie aus der Pistole geschossen, fast noch bevor Seto hatte aussprechen können. "Das Krankenhaus hat angerufen, sie haben nichts Konkretes gesagt nur, dass es Komplikationen gegeben hatte und ...." "... und das sagst du erst jetzt?!" Noah warf das Telefon aufs Sofa, ohne das Gespräch abzudrücken. Rasste in den Flur, schlüpfte in seine Schuhe und wollte im selben Tempo aus der Tür hechten, jedoch stoppte er zwischen Tür und Angel. Was war, wenn es jetzt soweit war, wenn Mokuba... Nein! Daran wollte er gar nicht denken. Er zögerte noch einen Wimpernschlag lang, dann stürmte er wieder zurück und krallte sich die Kabel, die Elektroden und klappte den Laptop zu, den er schnell in die Umhängetasche stopfte, um dann erneut wie ein Wirbelwind aus dem Haus zu stürzen und in einem Affenzahn zum Klinikum zu eilen. "... sie wollen am Telefon nichts weiter sagen, ich soll sofort ins Krankenhaus kommen." Am andern Ende der Leitung hörte Seto den dumpfen Schlag, als das Telefon auf dem Polster ankam. Er funkelte den Hörer böse an, da ihm der Grünhaarige ins Wort gefallen war. "Noah, bist du noch dran?" " ... " "Undankbarer Bengel... so was kann mir aber auch nur mit ihm passieren", schnaubte Seto aufgebracht und war irgendwie froh dass er sich über etwas aufregen konnte, denn die Sorge um Mokuba zerriss ihn innerlich. Auf Roland würde er nicht warten, er musste ebenfalls so schnell wie möglich zum Krankenhaus gelangen. Selbst wenn darunter sein Auto leiden würde. Noah hatte innerhalb weniger Minuten das Krankenhaus erreicht und rannte auf seinem Weg fast einen der Pfleger um. "Sorry, hab's eilig", drehte er sich im Laufen um und wäre fast in den Nächsten gerannt, er konnte ihn gerade noch ausweichen und flitzte die Treppe hinauf, der Fahrstuhl dauerte ihm jetzt zu lange. Als er an der Tür zu Mokubas Zimmer angekommen war, stand diese sperrangelweit auf. Noah stoppte seinen Lauf und näherte sich besorgt. Als er um die Ecke spähte, war das Zimmer leer und er schaute sich verloren im Gang um, dann sah er eine der Schwestern. "Bitte sagen sie mir", er stürmte atemlos auf sie zu, "was ist mit Mokuba Kaiba und wo ist er?" "Er ist im OP, aber genaueres weiß ich auch nicht. Sie müssen zur Station A36 gehen, über weiteres habe ich keine Kenntnis." "Danke." Schon war er losgestürzt und auf dem Weg zu Station. Was ein Glück, hatte er sich oft genug in diesem Labyrinth verlaufen, dass er ungefähr wusste, wohin er musste. Als er dort ankam, sah er Seto schon auf einer der Wartebänke zusammengesunken sitzen. Dieser blickte kurz auf, erkannte den Grünhaarigen und schaute schnaubend wieder auf den Boden. Noah hatte auch nicht gerade jetzt die Ambitionen sich um eine Aussöhnung mit Seto zu bemühen, also setzte er sich auf einen der Plätze neben seinen Adoptivbruder, ließ aber gewissenhaft einen Platz Abstand zwischen ihnen. Noah kaute auf der Unterlippe, und sah wie sich der Firmenleiter mit gespreizten Fingern durchs Haar fuhr und leise stöhnte. Noah nahm sich zusammen, er hatte zwar keine Lust vor dem Älteren zu Kreuze zu kriechen, aber dass er ihm vorenthielt, wie es Mokuba geht hielt er nicht weiter aus. Er räusperte sich und schaute nach rechts wo Seto saß. "Danke, dass du mich angerufen hast", meinte er leise. Seto sah kurz rüber zu ihm, grummelte und nickte stumm, um dann wieder auf den Boden zu schauen. Noah ärgerte sich, konnte dieser Eisklotz ihm denn nicht sagen, was er wollte? "Weißt du schon etwas Genaueres wegen Mokuba?" Der Brünette schaute wieder kurz rüber zu dem Grünhaarigen und musterte ihn einen Moment. Man konnte in seinen Augen ablesen, wie sehr es ihm doch Freude bereitete den Jüngeren hängen zu lassen. Jetzt saß er am längeren Hebel. Noah verdrehte die Augen. "Wie lange willst du eigentlich noch nachtragend sein wegen dieser Sache?" Kurz zuckten die Mundwinkel des Brünetten. - Nerv getroffen. "Du weißt genauso gut wie ich, dass es letzten Endes Gozaburo war..." Setos Augen verengten sich zu Schlitzen. "Er hat weder mich noch Mokuba zu Stein erstarren lassen, er hat weder uns, noch den Rest des Kindergartens gekidnappt und zu perversen Spielen gezwungen", funkelte er ihn sauer an. "Seto..:" "Keine Vertrautheiten bitte! ... Ich weiß nicht wieso, aber Mokuba mag dich, idiotischer weise", ein überhebliches Grinsen glitt wieder auf die Gesichtszüge des CEO, "aber für mich gehörst du nicht zur Familie. Ich habe Mokuba und er hat mich. WIR sind Brüder, aber du gehörst nicht dazu, egal was du dir einbildest." Seto war nicht zum ersten Mal verletzend, aber diesmal stellte Noah die Sache über seine Gefühle und ließ sich nicht wie sonst in eines der hitzigen Wortgefechte verstricken. "Bitte, sag mir doch einfach nur...", der Grünhaarige holte tief Luft, um die Rage die in ihm aufstieg herunter zu schlucken, "... was du weißt... was ist mit Mokuba." Doch der älteste Kaiba grinste nur zynisch und ließ Noahs Flehen unbeachtet. Dieser verkrallte seine Fäuste im Saum seiner knielangen Hose und presste die Zähne aufeinander, um nicht abfällig zu werden. Damit wäre ihm am wenigsten geholfen. Glücklicherweise, musste Noah nicht allzu lange warten, denn als einer der Ärzte aus der gesicherten Tür von den OPs kam, sprang Seto sofort auf. "Dr. Hinato, gibt es Neuigkeiten?" Der Weißkittel nahm Seto zu Seite und Noah spitzte die Ohren. "Die Operation ist gut verlaufen, wir konnten ihren Bruder vorerst retten und die plötzliche Innere Blutung stoppen, aber ..." Seto hatte die Lippen zu dünnen Strichen aufeinander gepresst, man sah wie seine Fäuste zitterten und er würde den Arzt bestimmt gleich am Kragen packen, wenn dieser seine Pause noch länger ausdehnen würde. "Was aber...?", hakte er erbost nach, die Warterei hatte ihn mürbe gemacht. Von dem ruhigen und beherrschten Seto war nie viel geblieben, wenn es um Mokuba ging. "Aber...", der Arzt der es gewohnt war direkt zu sein schluckte und tupfte sich die Stirn, "aber ich fürchte, dass ihm noch weniger Zeit bleibt, als wir bei der letzten Untersuchung geschätzt haben." Setos Hand erhob sich, aber er stoppte sie noch rechtzeitig, sich die Blöße zu geben und handgreiflich zu werden war unangebracht und er würde sich nicht dazu hinreißen lassen. "Wie lange?" Der Mediziner schüttelte den Kopf. "Ich kann es nicht sagen. Vielleicht sind es einige Stunden, oder noch ein paar Tage, aber wir können ihn nicht mehr lange halten." Um Noahs Herz zog sich eine kalte Hand krampfhaft zusammen. Seine Kehle wurde unnatürlich eng und das Schlucken blieb ihm verwehrt. "Mokuba", flüsterte er mit gebrochener Stimme. Seine Augen brannten, die Sicht begann langsam zu verschwimmen und er schaute wie gebannt zu Seto hinüber der immer noch mit dem Mediziner diskutierte, aber er konnte nicht mehr hören, was die beiden sagten. Zusammenhangslos bekam er nur einige Wortfetzen mit. Seto wollte seinen Bruder wohl zu sich in die Vila holen, damit dieser von zuhause aus gehen konnte. Das hieße, er würde ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Der Krampf in seinem Magen verursachte ihm ein Schwindelgefühl. Er hatte es gewusst die ganze Zeit, aber da es jetzt soweit war… es zog ihm dem Boden unter den Füßen weg. Auf so etwas konnte man sich nicht vorbereiten… weder Mental noch Physisch. Wie betäubt blieb er sitzen und wusste nichts mehr mit sich anzufangen. Eine ganze Zeitspanne später, sah er wie sich die Türen zum OP erneut öffneten und ein Bett herausgeschoben wurde, auf dem sein Bruder lag. Mokuba schlief noch in der Narkose und so wie er aussah… Noah konnte es nicht mal in Gedanken aussprechen – er wollte es nicht wahr haben. Mit geröteten Augen sah er den Schwestern und dem Krankenhausbett nach. Er führte einen Schluckreflex aus, ohne dass dieser verdammte Kloß in seinem Hals verschwand. Plötzlich tauchte etwas Weißes in seiner Sicht auf. Seto stand vor ihm, jedoch ohne ihn anzublicken und streckte ihm ein Taschentuch hinter dem Rücken zu. „Du siehst erbärmlich aus“, schnaubte er kühl, „das ist eines Kaibas nicht würdig.“ Noah nahm das Papiertaschentuch zögerlich an. Ziemlich ungläubig und perplex starrte er es in seinen Fingern an und nuschelte irgendwann ein halb verlegenes: "Danke Seto." „Spar dir das. Ich hab lediglich kein Interesse daran in der Presse zu lesen, dass einer der Kaibas heulend auf einem Krankenhausflur gesehen wurde", schnaufte Seto ungerührt. Aha, daher wehte also der Wind, es ging dem großen CEO mal wieder nur um sein Ansehen, er war also weiterhin der faule Apfel, der vom Baum gefallen war. "Nach seinem...", auch der Firmenchef wollte es nicht aussprechen und machte eine Pause, bei der er sich die Nasenwurzel massierte; "also danach... wird sich die Presse ohnehin auf alles Stürzen, was auch nur Ansatzweise mit der Familie Kaiba zu tun hat." Nach diesen Worten, war Seto losgegangen. "Ich denke du weißt auch so, was von dir erwartet wird." Über so viel unmenschlichem Kaltsinn konnte Noah nur den Kopf schütteln und mit offenem Mund dem wehenden Mantel hinterher sehen. Er schnäuzte sich die Nase und schämte sich ein weiteres Mal dafür, den Namen Kaiba zu tragen. Nachdem er die Wut und das Unverständnis halbwegs verdaut hatte, griff er behänd nach seiner Tasche unter dem Stuhl und trottete schweren Herzens durch die langen Gänge zurück zu Mokubas Zimmer, dass er leise betrat. Er sah wie Seto bei Mokuba am Bett stand und ihm wurde Übel dabei, so drückte er sich stumm und leise an die Wand. Seto hatte ihm oft genug zu erkennen gegeben wie unerwünscht er war. Dieses Gefühl war jetzt noch stechender, denn er hatte immer noch schalen Beigeschmack der Taschentuchaktion im Mund. Er konnte sich keinen Reim darauf machen und es in keine Kategorie einordnen. Schweigend wartete er also ab, was geschehen würde. Bis sich Seto irgendwann anschickte aus dem Zimmer zu gehen. Er verließ den Raum ohne ihn überhaupt eines Blickes zu würdigen oder ihm in einer anderen Form Beachtung zu schenken. Was ihm in diesem Moment auch mehr als Recht war, denn Noah wusste, dass nun die letzte Gelegenheit war, sein Vorhaben umzusetzen, auch wenn er noch nicht hundertprozentig zufrieden mit dem Ergebnis war. Er musste es jetzt tun. Mit schweren Schritten lief er zum Bett seines Bruders. "Wie hast du das all die Jahre nur ausgehalten?", fragte er sich und schaute ihn bedrückt an. "Wenigstens hast du dich nie vom Prestige mitreißen lassen und bist ein Mensch geblieben." Vorsichtig legte der Grünhaarige ihm die Hand auf die kalte Stirn. "Du hast dir deine Menschlichkeit bewahrt, all das was dich so anziehend macht." Er strich dem Narkotisierten sanft über die Wange und seufzte bedrückt. „Der Arzt hat gesagt, dass es ist jetzt bald soweit sein wird, dass wir Abschied von einander nehmen müssen?“, hauchte er traurig. "Mokuba, ich… ich bin zwar noch nicht ganz fertig, aber… also du weißt ja, das ich dir noch etwas versprochen habe.“ Noah wusste nicht einmal, ob seine Worte gehört wurden, da keinerlei Regung von Mokuba kam. Der Grünhaarige atmete durch und war sich bewusst, dass niemand außer ihnen beiden im Krankenzimmer war, dennoch schaute er sich verstohlen um und legte dann seine Lippen auf Mokubas Stirn. Dabei fielen heiße Tränen auf die blasse Haut, die er mit zitternden Fingern schnell weg wischte. „Ich weiß ja, du magst es nicht, wenn jemand weint, tut mir leid, kleiner Bruder.“ Er zottelte die Tasche aufs Bett und öffnete die Verschlüsse um seinen Laptop herauszuholen. „Hier schau mal, ich habe dir etwas mitgebracht.“ Er schob mit dem Laptop die Flasche und ein Buch zur Seite, das auf dem Nachtisch lag, damit er ihn dort absetzte und aufklappen konnte. Fahrig nahm er dir kühle Hand in seine und streichelte über die schlaffen Finger. „Ich bin zwar nicht ganz fertig geworden, aber ich werde es dir jetzt einfach zeigen.“ Noah lächelte seinen Bruder an, er entwirrte die Kabel die er vorhin einfach so in die Tasche geknäult hatte und die sich alle ineinander verschlungen und verfangen hatten. Das Piepen der Geräte bekam ein immer längeres Intervall. Hastiger entknotete er die Kabel und stöpselte sie ein. „Bitte bleib noch einen Moment Mokuba, geh noch nicht“, er redete einfach weiter, nicht sicher ob er nur den jungen Mann halten wollte, oder ob es auch war um ihn selbst zu beruhigen, „ich bin gleich fertig.“ Seine Finger strichen wieder über die eingefallenen Wangen, hinauf zur Stirn und über den kahlen Kopf. Kurz schreckte er zurück, fuhr aber dann auch über die haarlose Kopfhaut. Es fühlte sich jedes Mal aufs Neue so endgültig an, so schmerzlich real. Er schüttelte den Kopf und verbiss sich die Tränen die ihm kamen, als er wieder zum Monitor blickte und die Linien des EKG immer länger wurden. „Bitte erschreck jetzt nicht“, erklärte er und legte sanft das Klebepad mit den Elektroden an Mokubas Schläfen an, „also weißt du, es ruckt leider immer noch etwas, wenn man ankommt.“ Mit sanftem Druck befestigte er die Elektrode bei dem Jüngeren. „Es geht gleich los. Ich freu mich schon auf dein überraschtes Gesicht mein Bruder.“ Schnell zog er sich einen Stuhl ans Bett, damit er sich nach den Vorbereitungen setzten könnte. Eilig befestigte er noch die zweite Verbindung zum Rechner an sich selbst, steckte diese ebenfalls am PC ein und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Er tastete nach Mokubas Hand, umfasste sie und drückte kurz zu. "Gleich geht es los." Ohne Mokuba los zu lassen, führte er mit seiner freien, der linken Hand, den Doppelklick durch und startete damit das Programm. „Erschreck jetzt nicht, es geht sofort lo…“ Beide Körper zuckten kurz, Noah sank ein Stück auf dem Stuhl zusammen, aber die Verbindung ihre ineinander geflochtenen Finger blieb bestehen. Weißes Licht umfing sie und mit einem stumpfen Ruck öffnete der Grünhaarige die Augen. Wie in der Nacht zuvor, war er kurz benommen, kämpfte diesmal aber vehement gegen den Schwindel an. Ignorierte das dumpfe drücken in seinem Kopf, denn er hatte keine Zeit sich mit dem eigenen Befinden aufzuhalten. Schnell schaute er sich um. „Mokuba?“ Hatte es nicht geklappt? Wo war er geblieben? „Moookubaa?“ Ein Stück weiter erblickte er etwas auf dem weichen Waldboden liegend. Noah lächelte, als er ihn sah. Nein, es war kein einfaches Lächeln – er war richtig glücklich. Nicht allein über die Tatsache, dass er es geschafft hatte und Mokuba ebenfalls hier war. Es gab noch etwas, was ihn weitaus glücklicher machte. Etwas was mit Mokubas Erscheinung zu tun hatte. Er hatte es doch immer gewusst, dass Mokuba nie aufgegeben hatte. Die Krankheit hatte ihn nur Körperlich besiegt, denn sein Brüderchen war in der virtuellen Realität so erschienen wie er zuvor war. Er hatte die Erscheinung seines Gesunden Ichs angenommen. So sehr hatte es sich Noah gewünscht ihn in dieser Gestalt wieder zu treffen. Er hatte genau die Erscheinung wie sie nur noch in seinen verblassenden Erinnerungen lebte. So hatte er ihn wieder sehen wollen, mit der vollen schwarzen Mähne. Gesund und nicht mit dem ausgezehrten, kränkelnden Körper der Momentan im Krankenhaus lag. Das war eine Hürde, die er auf Programmierebene nicht hatte überwinden können. Mit keinem seiner Versuche hatte er ein anderes Erscheinungsbild erschaffen können, als das, welches der Proband von sich selbst, in seinem Kopf hatte und das Mokuba in dieser Gestallt erschienen war, freute ihn ungemein. Sofort ließ er sich neben ihm nieder, nichts sollte ihn daran erinnern was gerade in Wirklichkeit geschah. So packte er ihn bei den Schultern und rüttelte ihn leicht. „Hey Brüderchen, du kannst hier doch nicht einfach einpennen“, mit zwei Fingern krabbelte er über seinen Bauch und zwickte ihn in die kaum vorhandenen Speckröllchen, „Oder willst du, dass dich die Käfer fressen?“ Kaum hatte er das getan, wurden seine Hände gegriffen und festgehalten. „Wenn dann wirst du gefressen, ich schmeck nämlich nicht“, kam es mit einem schelmischen Grinsen von unten. Ein unglaublich großer Felsbrocken fiel Noah in diesem Moment vom Herzen. Begeistert sah er den schwarzhaarigen Wuschelkopf an, der nicht länger herumliegen wollte und sich wie selbstverständlich aufsetzten wollte. Ohne Vorwarnung ächzte er und fasste sich augenblicklich an die Stirn, hinter der es heftig pochte. Noah war sofort hinter ihn gesprungen und stützte ihn besorgt. „Alles okay bei dir?“, erkundigte er sich fürsorglich. „Uh man, ich fühl mich, als wäre mir eine Dampfwalze über den Schädel gebrettert.“ Irritiert schaute der Jüngere ihn an. „Was ist denn passiert?“ „Woran erinnerst du dich noch?“ „Erinnern?", den Kopf schief legend und die Stirn in Falten ziehend, sah ihn der Jüngere mit seinen großen, blauen Augen fragend an, "sollte ich mich an was bestimmtes Erinnern? Ich weiß momentan nicht mal wie ich hierhergekommen bin.“ Auf die Lippe beißend wägte Noah ab, was er ihm offenbaren konnte. Würde der Kleinere den Aufenthalt hier überhaupt genießen können, wenn er wüsste dass er in der Realität gerade dabei war zu... zu… Innerlich seufzte Noah, an so was sollte er nicht einmal denken! Besser er verheimlichte es. Zumindest vorerst. Außerdem war die ganze Sache hier ja auch ein ganz klein wenig für ihn selbst. Schließlich hatte er den Wunsch gehegt noch einen Moment mit dem alten Mokuba verbringen zu dürfen. Selbst wenn es egoistisch sein sollte, aber der Gedanke daran war seit Monaten sein Antrieb. So schnipste er dem jungen Mann gegen die Stirn und lachte. „Du bist eine Marke Moki“, Noah schüttelte den Kopf und neckte ihn, „du hast wohl doch nicht die viele Sonne vertragen, hm? Ja... ja... das kommt davon, wenn du nicht hörst willst.“ Der halbwüchsige Kaiba knurrte kurz und funkelte den frechen Kerl an, doch bevor er eine Schnute ziehen konnte, hatte Erster ihn schon am Arm gepackt. „Kannst du schon aufstehen?“ Entschlossen stemmte Mokuba die Hände in die Hüften. „Nenn mir einen Grund, warum ich es nicht tun könnte.“ „Na ja...", Noah rieb sich das Kinn und überlegte lauernd, "du hast ja eben, auch schon auf dem Boden gepennt…“, er streckte ihm die Hand erneut hin, „Na komm schon Kleiner!“ „Nenn mich nicht immer so“, grummelte er, griff aber dann doch nach der Hand und ließ sich auf helfen. Als er auf seinen eigenen Füßen stand, begann er jedoch gefährlich zu schwanken und klammerte sich an Noah fest, der sich das nur allzu gern gefallen ließ. Es dauerte nicht lange, da durch lief den Körper des Kleineren ein Zittern und er krallte sich mit den Händen noch fester in Noahs Hemd. „Hey, was ist denn los mit dir?“, erkundigte dieser sich und streichelte Mokuba behutsam über den Rücken. Ein Schluchzen unterdrückend wischte sich der Wuschelkopf die Nase an der Schulter ab und er hoffte das Noah nichts mitbekommen hatte. „Nichts, mir war nur irgendwie schwindelig“, er setzte ein Grinsen auf und nahm seine Hand, „hattest du nicht gesagt du wolltest mir unbedingt etwas zeigen?“ Kurz schaute er Mokuba irritiert an. „Na klar, hatte ich das vor“, nickte er, „dann komm mal schön brav mit. Ich hab etwas Tolles entdeckt, es wird dir sicherlich gefallen.“ Als er hinter Noah her lief, wischte er sich noch einmal mit dem Ärmel über die Augen und sah sich begeistert um. Es roch hier herrlich frisch, die Büsche und Sträucher blühten in den leuchtenstden Farben, oder trugen schmackhaft aussehende Früchte und Beeren. „Sag mal, wo sind wir hier?“, erkundigte sich Mokuba, als er gerade die Hand ausstreckte und sich auf seinem Finger ein schillernd, blauer Schmetterling niederließ, den er fasziniert betrachtete. „Moki wir sind in Afrika“, lachte er, „du hast wohl alles vergessen hm?“ Er zuckte mit den Schultern und seufzte. „Vielleicht.“ Dann erhob er seine Hand, damit der anmutige Flattermann sich wieder in die Lüfte erhob. Er wand sich von Noah ab und schaute dem Blauen mit leichter Betrübnis nach, der zusammen mit einigen anderen roten, gelben und grün-türkisen seiner Art im warmen Wind zu tanzen begann. „Es ist wirklich schön hier“, flüsterte Mokuba leise und schaute fast schon wehmütig zu wie ein Kolibri an einer magentafarbenen Blüte nach Nektar suchte und sie wie ein kleiner Hubschrauber umkreiste. Je länger er schaute, umso mehr begann er zu entdecken, begann die Tiefe und die Vielfältigkeit um sie herum wahrzunehmen, genoss die Wärme auf der Haut. Noah hielt immer noch fest seine Hand und folgte zufrieden den Blicken seines kleinen Bruders. Betrachtete wie dieser mit fast schon kindlicher Begeisterung die Umgebung mit seinen Augen verschlang, wie er alles mit seinen Sinnen in sich aufsaugte, denn um sie herum krabbelte und fleuchte es, alles war voller blühendem Leben. „Hörst du das auch?“ Der Grünhaarige nickte. Mokubas Augen leuchteten. „Ich glaub ich habe noch nie so viele Vögel auf einmal gehört.“ Er schloss die Augen und streckte seinen Kopf in die Höhe, erfreute sich der Wärme der Sonnenstrahlen, die vereinzelt durch das dichte Blätterdach auf sein Antlitz fielen. Er konzentrierte sich auf das rascheln der Blätter im Wind, auf die Rufe der Affenbande die übermütig durch die Wipfel tollten und einander nachjagten. Er zog die Luft tief in seine Lungen ein und versuchte alle Eindrücke, die auf ihn einstürmten, aufzunehmen und zu verinnerlichen. Er könnte gerade vor Glück platzen, hier konnte man sich gar nicht satt sehen. So vielfältig waren die Pflanzen und das Gewimmel der Tiere und Insekten. Sein Herz sprang vor Glück und das von Noah schlug im gleich klang. Nach all den Monaten in denen Mokuba immer mehr abgebaut hatte, war es wie ein wahr gewordenes Märchen, das er gerade erleben durfte. Noah nahm ihn wieder bei der Hand und führte ihn zu einer Lichtung auf der hüfthohes Pampasgras wuchs. Mokuba streckte seine freie Hand aus und glitt mit seinen Fingern über die Spitzen der Grasbüschel. "Psch..." Mokuba blieb sofort stehen, als sich sein Bruder zu ihm herumdrehte und nach vorn deutete. "Ich sehe da nix", flüsterte er zurück. "Geh mal ganz langsam weiter", ermunterte er ihn und ließ nun seinen kleinen Bruder vorausgehen. Plötzlich wurde es laut und unruhig um sie herum, im Gras erwachte ein geschäftiges Treiben, ein Zetern und Piepen und schon war der Schwarzhaarige umringt von einer Unmenge an weiß, braun gefiederten Bodenbrütern, die ganze Kolonie hatte sich in Bewegung gesetzt. Die kleinen Vögel hatten sich allesamt nach und nach in die Luft erhoben. Er drehte sich zu Noah um und lächelte, dann schaute er den hunderten von Vögeln nach die um sie herum flatterten und der Schwarm zum Himmel hin auseinander stob. Ergriffen schaute er dem Vogelschwarm nach. "Wow, waren das viele." Noah schmunzelte, er war immer noch überglücklich, dass Mokuba sich so sehr für alles interessierte und ließ dessen Freude auf sich überspringen. Hatte er zuvor nur auf die Programmierung und die Darstellung geachtet, hörte er auf damit, nur auf einzelne Details zu achten, sondern begann alles als gesamtes Wahrzunehmen und es mit Mokuba mitzuerleben, er ließ sich von dessen Begeisterung umgarnen. Sich einfach an allem zu erfreuen, ohne nach Fehlern zu suchen, oder wo er noch etwas verbessern konnte. Der Jüngere hatte ihm mal wieder gezeigt was Genießen bedeutet. Wenig später waren beide an den Ort gelangt, den der Ältere Mokuba zeigen wollte. Sozusagen das Glanzstück seines Ausfluges. Sie standen wieder mitten im Dschungel, der von dichten Sträuchern gesäumt Weg schien hier zu enden. Noah verlangsamte seine Schritte immer mehr und duckte sich schließlich. Verschwörerisch schaute er seinen Bruder an. "Komm, das musst du dir ansehen", hauchte er. Mokuba ließ sich auf alle viere nieder und krabbelte zu Noah hin, der sich auch nieder gelassen hatte, noch konnte man nichts sehen wegen der riesigen Blätter. Als er ganz nahe bei ihm war grinste er ihn an und hob dann das mannsgroße Blatt über seinen Kopf, und gab somit den Blick frei, den man von ihrem Vorsprung hatte. Überwältigt schaute Mokuba in die Ferne. Es war atemberaubend, so merkte er nicht mal wie ihm der Mund offen stand angesichts der Schönheit der Natur, die sich vor ihm erstreckte. Alles war bewuchert mit dem saftigsten Grün. Es erhoben sich sanfte Hügel, um die sich ein breiter Fluss schlängelte, am Horizont erhob sich ein mächtiges Gebirge und leise hörte man das Tosen der Wasserfälle. Erneut schlang Mokuba seine Arme um Noahs Nacken, drückte sich an ihn und legte seine Wange auf dessen Schulter ab. "Danke, danke", schniefte er, "das ist schöner als ich es mir erträumt hatte, danke dass du mich hierher entführt hast." "Gefällt es dir wirklich?" "Dummerchen, natürlich", grinste der Wirbelwind und abermals wischte er sich mit dem Ärmel übers Gesicht, "können wir da runter?" "Aber klar", meinte Noah selbstsicher, hatte er doch extra dafür einen leichten Kletterpfad modelliert. "Na dann nichts wie los", rief Mokuba und wagte sich näher an den Felsvorsprung und entdeckte etwas was wie ein Weg schien. Rückwärts rutschte er von dem Felsen auf dem sie das Tal überblickt hatten und sah seinen Bruder auffordern an. "Komm schon, oder hast du Angst, dass ich schneller sein könnte?" Voller Tatendrang hüpfte er vom nächsten Felsen, total euphorisch kletterte er den Weg nach unten. "Fang mich doch wenn du kannst", lachte er übermütig. Noah schüttelte den Kopf, er hatte den überdrehten, beschwingten Jungen in Mokuba wieder erwecken können. Und dieses Angebot ließ er sich nicht zweimal machen. Ebenfalls lachend versuchte er den Wildfang einzuholen und sprang und kletterte mit ihm um die Wette. Ausgelassen und viel zu übermütig machten sie sich die Felsen hinunter, bis Mokuba vor dem Sammelbecken stehen blieb in dem der Fluss zu einem kleinen See angeschwollen war. Als Noah wieder an seiner Seite war, ging er in die Hocke und berührte das Wasser mit seinen Fingern, ihr Spiegelbild verwackelte und er spritzte Noah mit einer Handvoll des kühlen Nassen an. "Du legst es wohl drauf an?", flunkerte der Ältere. Mokuba streckte ihm die Zunge raus. "Frech wie eh und je", Noah bückte sich, "dann wollen wir dir Frechdachs mal Anstand beibringen." Damit hatte er seine Finger auch schon im Wasser und begann seinerseits den Schwarzhaarigen nass zu spritzen. Der Lachte nur und lief ihm davon, weiter am Ufer entlang. Wenn der Abstand wieder groß genug war bückte er sich und begann seinen Verfolger nasszuspritzen. Ausgelassen tollten und tobten die Beiden. Mokuba forderte seinen Bruder immer wieder heraus und dieser nahm es an, schließlich klebten ihnen beiden die Klamotten triefend nass am Körper. "Auf du lahme Ente, du bekommst mich ja eh nicht", rief Mokuba und lief rückwärts weiter, "na komm schon und fang mich doch endlich." Kaum hatte er es ausgesprochen, ruderte er auch schon mit den Armen in der Luft, hatte das Gleichgewicht verloren und plumpste mit einem lauten Platsch ins Wasser. „Mokuba!“ Erschrocken rannte Noah an die Stelle an der sein Bruder wie ein Stein untergegangen war. Wie gelähmt schaute er ins Wasser und suchte ihn fieberhaft. Doch schneller als er schauen konnte, war der Jüngere unter ihm aufgetaucht, schnappte ihn grinsend an der Schulter und zog ihn mit ins Wasser. Wie eine Katze die dem bösen Nass entkommen musste, strampelte Noah mit den Beinen und ruderte wie wild mit den Armen, er sah zu, so schnell wie möglich zum Ufer zurück zu kommen. Er krallte sich am Stein fest und prustete das Wasser aus. Keuchend und Hustend hing er dort einen Moment, bis er sich gänzlich aus dem Wasser zog. Einen Weile blieb er auf dem Felsen liegen und erholte sich von dem Schreck. Lachend war auch der Übeltäter aus dem Fluss gestiegen und zu ihm hin gekrabbelt. „Das war doch eine gute Erfrischung“, lachte er. Noah richtete sich auf und funkelte seinen kleinen Bruder hinterlistig an. „Na wenn du das so toll fandest dann kannst du ja gleich noch mal baden gehen.“ Damit hatte er den Jüngeren auch schon wieder zurück ins Wasser geschupst. Der tauchte auf, spuckte das geschluckte Wasser in hohem Bogen aus und schmunzelte. „Warte nur, wenn ich dich bekomme wirst du mir das büßen!“ „Tja, dazu musst du mich halt erst Mal kriegen.“ Noah schaute noch, wie er zum Ufer zurück schwamm und sich über die Felskante nach oben zog, dann rannte er kichernd los. „Du bekommst mich ja eh nicht.“ „Ha, dass wollen wir doch erst Mal sehen.“ So jagte diesmal Mokuba dem Älteren hinter her. Um sie herum scheuchten sie Vögel und andere flatternde Insekten auf. Wieder war alles voller Leben. Die beiden Lachten und tobten ausgelassen. „Da hast du wohl zu große Töne gespuckt, um mich zu kriegen musst du schon früher aufstehen.“ „Das wirst du sehen, wenn ich dich habe.“ Noah schlug einen Haken nach dem andern und Mokuba griff immer wieder ins leere, er hatte ihn fast geschnappt aber im letzten Moment schaffte es der Grünhaarige immer wieder zu entkommen. Doch dann blieb er stehen, da er das Geräusch der trappelnden Turnschuhe auf dem felsigen Untergrund nicht mehr hinter sich hörte. Er wand sich um, um nach seinem Bruder zu sehen. Mokuba kniete auf dem Boden und hielt sich den Fuß. „Fuck.“ Schnell lief er zurück. „Hast du dir arg wehgetan? Kannst du noch laufen?“ Als Noah nah genug an seinem Jäger war, sprang dieser auf. „Verloren mein Lieber“, grinste er und schubste seinen Bruder wieder ins Wasser, um dann selbst hinterher zu springen. „Und wer bekommt hier wen nicht?“, lachte er laut und tunkte den Grünhaarigen unter. Dem gefiel es erneut ganz und gar nicht noch mal im Wasser gelandet zu sein. Das war etwas was er überhaupt nicht abhaben konnte. Sich schüttelnd machte er sich zurück ans rettende und vor allem trockene Land. „Ach komm, dass ist doch nicht so schlimm“, versuchte der Jüngere ihn zu beschwichtigen, der die saure Miene gesehen hatte. Er drehte sich im Wasser mehrmals um die eigene Achse. „Es ist doch herrlich hier.“ „Ich kann mir etwas Besseres vorstellen“, grummelte Noah und kletterte mühsam aus dem Fluss. Schnell machte sich Mokuba hinter ihm her. „Bitte sei nicht sauer“, er schmiegte sich von hinten an den Rücken des Älteren und schlang seine Hände um dessen Bauch. Noah hielt inne in seiner Bewegung, versteifte sich und wusste nicht, wie er mit der unerwarteten Nähe umgehen sollte. Daraufhin ließ ihn der Schwarzhaarige schnell wieder los. „Ich wollte die Atmosphäre nicht zerstören“, flüsterte er, „sorry.“ Dann brachte er etwas Abstand zwischen sie beide und entledigte sich seines Shirts, um es über eines der Nahen Sträucher zu hängen. Er streifte sich seine Schuhe ab und kippte das Wasser aus. Nun folgten auch noch die Socken und die Hose, die er ebenfalls zum Trocknen über das Gestrüpp ausbreitete. Dann setzte er sich ans Flussufer und ließ die Beine im Wasser baumeln. „Vielleicht solltest du auch deine nassen Klamotten los werden?“, schlug Mokuba seinen Bruder vor. Zögernd streifte er sich sein Hemd ab und hängte es neben die Kleidung, die schon auf den Büschen hing. So locker wie Mokuba war er dann doch nicht. Dieser zeigte auf den Horizont. „Schau mal, ist das nicht einfach nur Atemberaubend schön?“. Er drehte sich zurück und lächelte Noah an der Unschlüssig in der Gegend herumstand und klopfte mit der Hand neben sich. „Komm und setz dich, ich hab jetzt auch erst Mal genug vom Wasser.“ Zögernd ging er auf ihn zu. Eigentlich ärgerte er sich mehr über sich selbst, als über Mokuba dass er so reagiert hatte, irgendwo war es doch klar gewesen, dass der Kleinere schon immer so ein Gemüt hatte und ein frecher Strolch war. Er ließ sich langsam neben ihm nieder, zog auch seine Schuhe aus, die er neben sich stellte und streckte die Füße ins Wasser. Mokuba rutschte etwas näher an ihn heran und blickte dann wieder in den glühend roten Himmel. „Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist“, seufzte er, „Ich habe es mir so sehr gewünscht in einer solchen Umgebung einen Sonnenuntergang zu erleben.“ Er drehte sich nicht zu Noah um. Sondern blieb wie gebannt an dem Schauspiel hängen. Beobachtete wie sich die Farben langsam in leuchtendes Rosa wandelten. „Weißt du, je näher man dem Äquator kommt, umso weniger kann man diese herrlichen Farben bewundern. Weil der Übergang vom Tag zur Nacht um so vieles plötzlicher ist, als in den nördlichen Breitengraden.“ Als sich Noah auf die Lippe biss, weil Mokuba es gemerkt hatte, dass hier etwas nicht stimmte. Zwar hatte er diesen Aspekt beim Programmieren extra herausgezögert, damit der Himmel möglichst lang in dieses fantastische Licht getaucht blieb, aber jetzt fühlte er sich ertappte und der Schwarzhaarige schmunzelte darüber. „Ich danke dir Noah, du hättest diesen Ort nicht schöner machen können“, er griff sich den Arm seines älteren Adoptivbruders und umschlang diesen mit seinen Armen fest, dann legte er seinen Kopf auf dessen Schulter und seufzte zufrieden, „alles ist genauso, wie ich es mir erträumt habe.“ Überlegend schaute Noah auf den Jüngeren herab. „Du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr?“ Mokuba nickte. „Und du hast einfach mitgespielt, ob wohl du wusstest, dass es nicht …“ Ein Finger auf den Lippen des Grünhaarigen verhinderte, dass er es aussprach. „Sag es nicht…“, meinte Mokuba leise und sah ihn eindringlich an, dabei hatte er Noahs Arm los gelassen und schaute auf den Wasserfall, der in blassrot einen kleinen Teil der Farben widerspiegelte die der Sonnenuntergang auf diesen Zauberte, „Ja, ich weiß, dass ich in Wirklichkeit wo anders bin… und dass es nicht gut um mich ste…“ „Schhh…“, der Ältere nickte verstehend, „dann lass es uns nicht kaputt machen, in dem wir es aussprechen.“ Ein frösteln durchlief beide, aber bevor sie ihren traurigen Gedanken nachhingen, legte Noah seinen Arm um die Schultern des Jüngeren und zog ihn tröstend an sich. „Lass uns das hier genießen.“ Mokuba nickte und drückte sich etwas näher an ihn, langsam wurde es kühl und da war es gut, jemand zu haben bei dem man sich ankuscheln konnte. Beide schauten schweigend zu, wie sich der Himmel weiter verfärbte und langsam von rosa auf violett wechselte. Ein lauer Wind wehte durch die Zweige über ihnen und ließ weiße Blüten über die beiden hernieder regnen. Einige legten sich sanft auf die Wasseroberfläche und wurden langsam von der schwachen Strömung mitgenommen. Mokuba streckte seine Hand aus und fing eine der Blüten auf, betrachtete sie von allen Seiten und setzte sie dann wieder auf der Wasseroberfläche ab, wo sie mit den anderen, auf dem in der selben Farbe wie der Himmel glühenden Fluss davon trieb. Die Atmosphäre war so schön friedsam und legte sich wie ein sanfter Schleier auf sie nieder, so dass sie schweigend verharrten und dem imposanten Naturschauspiel folgten. Wie das Gewand des Tages schwand und sich ein nachtschwarzes Tuch über dem Firmament aufspannte, das mit tausenden und abertausenden kleiner funkelnder Diamanten bestickt war. Mokuba bewegte die Füße im nun viel wärmer wirkenden Wasser und sah wie sich der Mond auf der spiegelnden Oberfläche brach. „Wie lange haben wir noch?“, fragte er leise seufzend, „am liebsten würde ich hier bleiben.“ Er kuschelte sich noch etwas enger an Noah, auf dessen Oberschenkeln er inzwischen seinen Kopf gebettet hatte und sich den Nacken kraulen ließ. Dieser genoss es seinem kleinen Bruder durch die schwarze Mähne zu flauschen. „Ich habe kein Ende programmiert, der Tag fängt immer wieder von neuem an, es steht auf Endlosschleife.“ Er streckte seine Hand wieder aus und schaute zu wie das Wasser durch seine gespreizten Finger strömte. „Ich finde es sehr schade, dass wir in der Realität nicht mehr Zeit zusammen verbringen durften.“ "Durften?", wiederholte Noah verwirrt und seine Hand stoppte. "Wie meinst du das?" Mokuba richtete sich auf und schaute ihm traurig in die Augen. "Es wäre nicht gut gewesen, wenn wir zuviel Zeit zusammen verbracht hätten", er schüttelte den Kopf und drehte sich um, leicht spottend nuschelte er noch: "Glaub mir, es wäre nichts geworden, es war besser so." Der Grünhaarige jedoch verstand nur Bahnhof, ausgerechnet von Mokuba musste so etwas kommen. Es verletzte ihn zutiefst. "Du denkst also genau wie Seto über mich und wärst mich am liebsten los?", erkundigte er sich erbost und Mokuba spürte wie in diesen Worten der verletzte Unterton mitschwang, "ich bin also auch in deinen Augen nichts wert. Ich bin also noch weniger nicht würdig ein Kaiba zu sein, obwohl ich es von Geburt an bin, noch mich mit einem von euch abzugeben." Er sprang auf, drehte sich von Mokuba weg und schnaubte. "Deshalb habt ihr beiden mir auch eine Wohnung besorgt die weit genug weg von euch ist. Von den Personen die ich dachte sie wären meine Familie. Na Danke auch, weißt du, das muss ich mir nicht bieten lassen. Nicht von dir? Von niemandem!" Seine vor Zorn zusammengepressten Fäuste zitterten und er atmete schwer, doch bevor er davonlaufen konnte, war auch Mokuba aufgesprungen. Schnell hatte er den Abstand überbrückt und von hinten beide Arme um seine Hüfte geschlungen. „So meinte ich das nicht Noah, bleib hier.“ Er drückte sich ganz eng an den nackten Rücken und lockerte seinen klammernden Griff erst, als sein Bruder nicht mehr wie eine Feder gespannt war und er befürchtete, das dieser flüchten würde. „Ach ja“, knurrte Noah und drehte sich um, „wie war es dann gemeint?“ „Du weißt doch genau wie die Presse auf Skandale reagiert“, meinte der Jüngere leise und senkte schuldig den Kopf, Noah indes ballte wieder seine Fäuste, „und Seto hätte jeden Paparazzi oder Schmierfinken, der es gewagt hätte etwas zu schreiben oder auch nur ein Foto von uns zu schießen nach Sibirien verbannen lassen, dass man ihn dort vierteilt.“ Noah stieß ihn von sich. „Mokuba, du bist noch abartiger als Seto“, seine Lippe bebte und er wusste nicht mehr wie lange er sich noch beherrschen könnte. Der Angeklagte begann zu lachen. „Du hast recht, es ist abartig, ich bin anormal“, er trat wieder einen Schritt näher auf Noah zu, der wie versteinert vor ihm stand. Sein Gesicht wurde vom Mond fahl beschienen und glich einer Fratze. Der Jüngere atmete noch einmal durch und stellte sich dann auf seine Fußspitzen, als er seinen ganzen Mut zusammen nahm. „Ich hätte meine krankhafte Affinität für dich mit ins Grab nehmen sollen. Es wäre eine Schande für die gesamte Familie Kaiba gewesen, wäre es ans Licht gekommen, aber ich will es nicht länger vor dir verheimlichen. Nun wird es sowieso niemand mehr außer uns erfahren.“ Seine vor Furcht , und Gewissheit einer Zurückweisung, eisig kalten Finger, legte er an Noahs Wangen und zog ihn näher zu sich heran, damit er seine Lippen auf die seines älteren Bruders legen konnte. Mokuba schloss die Augen und wollte für diesen einen Moment alles vergessen, es ausblenden wie stocksteif Noah vor ihm stand und er sich selbst wohl gleich auf dem Boden wiederfinden würde, wenn er harsch von seinem großen Bruder weggestoßen würde, für die Dreistigkeit ihn zu Küssen. Als Mann. Als Bruder. Er hielt die Luft an, bewegte seinen Mund federleicht über den des Grünhaarigen und erfüllte sich somit seinen Herzenswunsch, den er schon so lange gehegt hatte. Voller unerfüllter Sehnsucht glitten seine Lippen über das Paar über ihnen. Die unbekleideten Oberkörper der beiden Männer berührten sich dabei und es war mehr, als der Jüngere je zu hoffen gewagt hatte. In Erwartung einer Rüge, ließ der Wirbelwind von seinem Bruder ab und trat sicherheitshalber einen weiteren Schritt zurück. Seine Augen waren immer noch genussvoll geschlossen und ein schwermütiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Mokuba zog seine Lippen leicht ein, leckte sich vorsichtig darüber, um es noch einmal zu schmecken, er wollte das prickelnde Gefühl, das entstanden war, nicht so schnell verlieren. Schluckend öffnete er seine Augenlieder und sah den Älteren betroffen an. „Jetzt weißt du es Noah“, brachte er nur noch leise heraus, „du darfst mich jetzt dafür hassen, für das was ich für dich empfinde.“ Immer noch ungläubig und perplex schaute dieser ihn an. Als er zitternd seine Hand ausstreckte, kniff Mokuba seine Augen zusammen und zog den Kopf zwischen die Schulterblätter. Der Schlag, den er erwartet hatte, sollte jedoch aus bleiben, so schaute er vorsichtig auf. Die Hand seines Bruders legte sich sanft auf seine Schulter, er drückte mit der anderen Hand das Kinn des Kleineren nach oben. „Und Seto hat es die ganze Zeit gewusst?“ Ein Schuld eingestehendes Nicken war die Antwort. „Hat er mich deshalb wie einen Aussätzigen behandelt und mich von euch ferngehalten?“ Wieder ein Nicken. „Du-du darfst ihm nicht böse sein. Er hat es doch nur gut gemeint.“ „Hm?“, er zog die grünen Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. „Die Presse hätte uns in der Luft zerrissen, wenn etwas durchgesickert wäre. Stell dir doch nur den Skandal vor. Inzest bei den Kaibas. Seto wollte mich doch nur schützen und davor bewahren unglücklich zu werden. Es tut mir so leid“, schniefend zog er die Nase hoch, „bitte verachte mich nicht dafür, dass ich in dir mehr als nur meinen Bruder sehe.“ Noah konnte nicht anders, er zog das weinende Bündel in seine Arme und drückte ihn fest an sich. Sein Bruder vergrub das Gesicht an seiner Brust und schluchzte ohne Unterlass, mit seinen Fingern verkrallte er sich an Noahs Seiten, er hatte immer noch Angst verstoßen zu werden, nach dieser sonst so gut gehüteten Offenbarung. Beruhigend strich ihm der Größere über den Rücken und legte seine Wange auf die schwarzen Haare. „Mokuba, ich verurteile dich nicht. Sch, beruhig dich.“ Er schüttelte den Kopf und begann noch mehr zu Wimmern und zu beben, krallte sich fester an seinen älteren Bruder. Nun verstand er es endlich, warum Seto immer so auf ihn reagierte, ihn mit den kalten Augen bedachte. Es war also in erster Linie keine Rache oder etwas was ihm der CEO nachgetragen hatte und heimzahlen wollte, als Ausgleich für dass, was er ihnen damals in der virtuellen Realität angetan hatte, sondern vielmehr ging es ihm darum seinen leiblichen Bruder zu schützen. Sonnenklar, dass eine Bruderliebe in der High Society natürlich ein gefundenes Fressen für die Aasgeier der zahlreichen Schundblätter gewesen wäre, insofern konnte er es zumindest nachempfinden, wie Seto gehandelt hatte. Was aber nicht gleichzeitig bedeuten musste, dass er es ihm auch einfach so verzeihen könnte, wie er ihn geschnitten, ihn wie den letzten Dreck behandelt und mit Nichtachtung gestrafft hatte. „Ist ja schon gut, hör auf zu weinen Kleiner.“ Noah steckte nun in der Zwickmühle, wie sollte er jetzt am besten reagieren. Würde er Mokuba sagen, dass er genauso empfand, wie würde dieser sich dann fühlen, klar, er würde sich total freuen, aber dann käme auch der bittere Nachgeschmack. Würde sich sein Bruder dann Vorwürfe machen, dass sie beide die ganze Zeit lang durch die gleiche Hölle gegangen waren und er es hätte vielleicht ändern können? Vielleicht hätten sie ja einen Weg gefunden? Wollte er ihn mit diesem Wissen einschlafen lassen? Oder würde er sich dann mit noch mehr Selbstbeschuldigen martern, weil er nichts unternommen hatte? Oder wäre es deshalb besser, er würde es vor ihm verschweigen? Es war nichts mehr daran zu rütteln, für Mokuba war die Zeit so gut wie abgelaufen und so müsste er seine letzten Atemzüge nicht mit dem quälenden Vorwurf beenden, ob er vielleicht doch hätte Kämpfen sollen? Ob es doch geklappt hätte? Noah hielt nun den Mann in seinen Armen, den er liebte und wurde doch nicht schlau wie er handeln sollte. Er hielt ihn einfach fest an sich gedrückt und könnte selbst weinen vor Glück, dsas seine Liebe erwidert wurde und das Bündel in seinen Armen schluchzte unglücklich vor sich hin und ließ sich nicht mehr beruhigen. Wolte er so Herzlos sein? "Fuck it. Scheiß drauf was die anderen sagen, ich will das er glücklich ist", dachte Noah und nahm sich schließlich doch ein Herz, "was könnte ihn Glücklicher machen, als dass er nicht allein mit seinen Gefühlen da steht?" Er drückte ihn noch einmal so fest an sich wie er konnte und schloss die Augen. "Ich muss es ihm sagen." "Mokuba, bitte hör auf zu weinen, ich ... ich möchte, dass du etwas weißt..." Gerade als er die Augen wieder öffnete und in die seines Liebsten blicken wollte, sah er, dass er nichts sah. Hinter ihnen hatten sich die Berge, der Wasserfall und der Fluss schon aufgelöst und der Felsen unter ihnen begann nun auch, wie bei dem Systemabsturz zuvor, sich in seine Bestandteile aufzulösen. "Verdammt, nicht jetzt", stieß Noah verzagt hervor. Wieso musste das auch ausgerechnet jetzt passieren, hätte der Absturz denn nicht etwas länger auf sich warten können. Eigentlich hätte nichts passieren dürfen, da keinerlei störende Umwelteinflüsse auf das System hätten einwirken können. Mokuba wischte sich über die geröteten Augen. "Was ist denn?" Hoffnungsvoll schaute er nach oben, aber alles was er sah, war das von Schreck gezeichnete Gesicht seines Bruders. "Scheiße, komm Mokuba, wir müssen hier weg, dringend." Damit hatte er ihn am Handgelenk gepackt und stürmte schon mit ihm los. Er hatte sich noch nicht umgedreht, und in das große nichts geblickt, das sie Schlucken würde, wenn sie länger an diesem Ort verweilt hätten. "Wa-was ist denn passiert?", fragte er, aber die Panik mit der Noah am Flüchten war, sprang nicht auf ihn über. Im Gegenteil, er fühlte sich auf einmal ganz leicht, fast so, als ob er von etwas befreit worden wäre. Seine Schritte wurden immer gewichtsloser und in ihm begann ein glühen. "Das System hat noch einige Macken und bricht gerade zusammen, wir müssen zum nächsten Notausgang, wir haben nicht viel Zeit, aber es wird reichen", schrie er und rannte so schnell er konnte mit dem Jungen im Schlepptau. "Kannst du noch? Ist alles okay bei dir", fragte er besorgt, zwar war Mokuba den ganzen Tag munter unterwegs gewesen, aber er konnte ja nicht beurteilen, inwieweit sich sein schlechter physischer Zustand, dann doch auf die Projektion in seinem Kopf auswirkte. Denn hier waren ja Geist und Körper voneinander getrennt, damit sie sich hier treffen konnten. "Schau, da vorn ist es schon, wir haben es gleich geschafft, bitte halt noch einen kurzen Augenblick durch", beschwor er ihn, "Bitte Mokuba, wir müssen es packen. Nur noch ein kurzes Stück." An der versteckten Tür angekommen, kramte er das Touchpad unter den Blättern frei. Nachdem sein Daumen gescannt wurde erschien das Portal. Er gab hastig den Code ein und sogleich öffnete sich die Tür. Gleißend weißes Licht erstrahlte, so geblendet konnte man nicht erahnen, was auf der anderen Seite war. Deshalb war es auch unmöglich, das eigenartige Glimmen um Mokubas Aura herum zu bemerkten. "Puh gepackt", atmete er erleichtert auf, drehte sich zu seinem Bruder um und lächelte ihn wehmütig an, "Komm Mokuba, wir müssen zurückgehen." Dieser blieb jedoch stehen und Noah strauchelte, da er ihn immer noch am Handgelenk gefasst hielt. Er war schon fast durch das Portal gestolpert, ließ ihn aber nicht los, so dass er eigentlich sicher war, ihn mit zurück in die echte Welt gezerrt zu haben. Als letztes vernahm er noch Mokubas Frage, was er ihm vorhin sagen wollte, während ihn schon das Licht umfing. Aber die Antwort blieb er schuldig, da er im nächsten Moment am Krankenbett Mokubas schon seine Augen öffnete. In der Realität hielten sie noch immer ihre Finger in einander verflochten. Er löste die Verbindung ihre Hände, strich Mokuba über die schweißnasse Stirn und fasste ihn bei seinen Wangen. „Mokuba, ich hatte dir sagen wollen, das ich für dich dasselbe empfinde.“ Er beugte sich zu ihm hinunter und umfing sanft seine Lippen mit denen seinen, die nur noch kalt und leblos waren. „Kleiner Bruder, auch ich habe mich in dich verliebt.“ Liebevoll schaute er ihn an, erst jetzt hörte er, dass durchgängige piepen des Herzstrom Messgerätes. Ungläubig schaute er auf den Monitor mit der durchgezogenen grünen Linie. Er schaute fassungslos auf Mokuba zurück und dann wieder zu dem Monitor, auf dem sich nichts mehr tat. Die Gewissheit, das alles vorbei war, umfing ihn in ihrem eiskalten Schleier. Sofort verkrallte er seine Finger in dem dünnen Krankenhaushemdchen, fasste ihn beim Kragen und begann ihn unwillig zu schütteln. „Mokuba, nein, bitte nicht, bitte komm doch zu dir, sag mir dass es nicht wahr ist“, Tränen stiegen in seine Augen und er sank zusammen, um bitterlich an der Halsbeuge seines heimlichen Geliebten zu klagen. „Mokuba, warum?“, schluchzte er und streichelte dessen Wange. Küsste ihn ein weiteres Mal verzweifelt. Gerade noch hatte er seinen Traum in den Händen gehalten und keine Sekunde später hatte er alles verloren. Als er den Elektroden die noch an seinen Schläfen klebten gewahr wurde, entfernte er sie vorsichtig und strich behutsam über die gerötete Stelle. Die Kabel die noch an ihm selbst klebten riss er achtlos von seiner Haut und schleuderte sie auf den Laptop, den er auch gleich erbost und tieftraurig zuknallte. Heiße Tränen rannen über sein Gesicht und ihm war so als hätte man ihm den Boden unter den Füssen weggerissen. Hilflos nahm er die bleiche Hand wieder in seine und streichelte ohne Unterlass über den Handrücken seines geliebten, kleinen Bruders. Er wusste nicht wie er seinem Schmerz noch Ausdruck verleihen konnte. Das laute knallen der Tür, ließ seinen Kopf herum rucken, einige Ärzte und Schwestern strömten in das Zimmer, nur verschwommen konnte Noah erkennen, dass sie angeführt von Seto den Raum betraten. Hastig stieß ihn der Brünette vom Bett weg. „Troll dich du Missgestalt, deine Anwesenheit ist hier nicht mehr erwünscht“, harschte er ihn an. Noah prallte mit dem Nachttisch zusammen und der Laptop, der knapp über Kante stand, viel herunter in seinen Schoß, reflexartig fing er das herunterstürzende Teil ab. „Das war gerade noch rechtzeitig“, kam ihm der Gedanke in seinem von Schmerz vernebelten Geist, „wie er die Verbindungen und Kabel zur virtuellen Welt gelöst hatte.“ Hätte Seto gesehen, dass er Mokuba mit zu einem kurzen Ausflug genommen hatte, würde dieser ihn sicher beschuldigen, dass er die alleinige Schuld tagen müsse, an Mokubas… Tod. Mit zitternden Fingern glaubte er die Kabel und Elektroden vom Boden auf und stahl sich geknickt aus dem Zimmer. Fünf Tage später nahm Noah lediglich als stummer Beobachter, im Hintergrund, an der Beerdigungszeremonie seines Bruders teil. Es war warm, der herrlichste Sonnenschein und ein wolkenloser, stahlblauer Himmel strahlte an diesem Tag über Domino. Gänzlich unpassend für einen Trauerzug dieses Ausmaßes, aber der Frohnatur des jüngsten Kaibas hätte es sicher gefallen. Für ihn war es eine Erlösung gewesen, das er gehen durfte, obwohl der Grünhaarige sich dessen bewusst war, pochte doch weiterhin unablässig der dumpfe Schmerz über den Verlust tief in seiner Brust. War es denn so egoistisch, dass er ihn trotz der Krankheit nicht hatte gehen lassen wollen? Heiße Tränen rannen über sein Gesicht, unablässig bahnten sich immer wieder neue Kristalle ihren Weg aus Noahs Augen, die er nicht zurückhalten konnte. Es tat so weh. Einfach nur schrecklich weh, dass er jetzt fort war. Seine Glieder fühlten sich taub und kraftlos an. Machtlos stand er in der ersten Reihe und blickte mit leeren Augen auf den dunklen Sarg, der in die Grube hinabgelassen wurde. "Ich werde dich nicht vergessen Mokuba", stumm bebten seine Lippen, "dir wird immer ein Platz in meinem Herzen gehören. Du hast mich damals gerettet und mir ein Leben verschafft, und nun mussten wir dabei zusehen, wie du das deine ausgehaucht hast, ohne das dir jemand helfen konnte." Unbehaglich glitt seine Hand in seinen Nacken, er krallte seine Finger in das kurze Haar am Ansatz. Das schwarze Jackett seines Anzugs, in dem er viel zu wenig Bewegungsfreiraum hatte, spannte sich an seinen Oberarmen und über den Schultern. Er hatte sich nicht in weiß, der üblichen Japanischen Trauerfarbe kleiden können, weiß war das was er jeden Tag getragen hatte. Und dieser Tag war nicht wie all die anderen. Gemäß dem westlichen Brauchtum trugen Seto und er schwarz. Die meisten Trauergäste bekundeten ausschließlich dem hochgewachsenen Brünetten ihr Beileid. Noah blieb wie so oft im Schatten, als ob keiner seine Existenz wahrgenommen hatte. Der Jungmilliardär strafte ihn ebenso mit gewissenhafter Nichtbeachtung. So blieb Noah mit seinem Schmerz allein. Er war einfach nur einer unter vielen, die dem Ereignis beigewohnt hatten. Flüchtig hatte er den Trauergästen in die Gesichter geschaut. Wenn sein Blick von den Tränen nicht ganz verschwommen war, hatte er kaum jemand gesehen, dem der Tod seines Bruders wirklich nahe ging. Wie einsam doch dieses Leben sein konnte, wenn sich niemand für die Person selbst interessierte. Nur mühsam konnte sich der Grünhaarige auf den Beinen halten. Dieses Geheuchel kotzte ihn an und seine Seele brannte. Erst als alle fort waren, gestand er es sich ein, dass seine Knie versagten und er am Grab auf seine Hände sank. Er murmelte einen letzten Abschied, einen letzten Schwur, dann begannen die Friedhofswärter mit ihrem Dienst und füllten die Erde auf. Mit schmerzendem Herzen ging der grünhaarige nach Hause. Als er endlich seine Wohnung erreicht und die Tür hinter sich geschlossen hatte, begrüßte ihn die Stille. Gegenüber dem Geräuschpegel der Trauergäste, war es nun für ihn eine Wohltat, von der Ruhe umfangen zu werden. Hatte ihn genau diese Stille noch gestern die Wände hochgehen lassen, war es nun wie ein Pflaster auf seine Wunden. Er hatte die vergangenen Tage viel Zeit zum Nachsinnen gehabt und war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass der Systemabsturz kein technisches Versagen war, sondern das Mokuba selbst der Auslöser für den Absturz gewesen sein musste. Es war ein schwacher Trost, dass er sich nicht auch noch in Erfüllung des letzten Wunsches für dessen Tod verantwortlich fühlen musste. Denn als seine sterbliche Hülle den Dienst versagte und somit die letzten Fäden, die ihn mit seinem Körper verbunden hielten, gelöst wurden, war es zu einer Überlastung gekommen, welche das System überfordert hatte. Zumindest minderte diese Erkenntnis ein kleinwenig die Last die auf seine Schultern drückte. Aber den Ausführungen der Grabrede hatte er vorhin dennoch nicht folgen können, denn er hielt sich krampfhaft an seinen Erinnerungen fest. Und rief sich immer wieder ins Gedächtnis, wie strahlend das Lächeln seines Bruders war und wie glockenhell sein Lachen jedes Mal sein Herz zum Klingen brachte. Er hing dem schönen letzten Tag und Mokubas Geständnis nach. Und gleichzeitig plagten ihn auch wieder diese zermürbenden Fragen. Wieso hatte er selbst es eigentlich nicht früher bemerkt, wie sein kleiner Bruder fühlte? In den fünf Tagen die seither vergangen waren, fielen ihm immer mehr Begebenheiten ein, die ihm eigentlich ein Indiz hätten liefern können, was Mokuba für ihn empfunden hatte. Jetzt wo alles vorbei war, wollte er noch eine letzte Sache erledigen. Seit jenem Tag im Krankenhaus, hatte er seinen PC nicht mehr angerührt. Er nahm sich die Tasche im Flur, die dort seit Tagen stand und lief damit nach oben, er klappte den Laptop wie so oft schon getan wieder auf. Aber diesmal nicht um zu Arbeiten. Er schloss die Augen, als der PC am Hochfahren war. „Ich werde alles löschen“, murmelte er seinen Beschluss bekräftigend, „Ohne dich, Mokuba ist alles Sinnlos, ich hatte dieses Programm nur für dich geschrieben, es soll niemand sonst sehen und ich, ich kann nicht an diesen Ort zurückkehren.“ Noah suchte sich die Daten heraus und wollte sie gerade zum Löschen markieren, als er ein seltsames Fragment entdeckte, welches er mit Sicherheit nicht programmiert hatte. Dessen Struktur ihm jedoch überaus vertraut war. Er forschte weiter nach und sah das ganze Ausmaß der neuen Daten. Er entdeckte immer mehr Ordner und Dateien die ihm von einem Virus auf die Festplatte geschrieben wurden. Unzählige Datenmengen und kleine Programme hatten sich auf seinem Rechner installiert, die ihm nur zu geläufig waren, von ihrer Struktur und der Art wie sie aufgebaut waren, er kannte jede einzelne von ihnen. Noah fasste sich an seine Brust, dort wo gerade sein Herz drohte vor Glück zu zerspringen. „Du lebst.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)