Die Chroniken von Khad-Arza - Die andere Seite des Himmels von Linchan (Drittes Buch) ================================================================================ Kapitel 5: Yasar ---------------- Der Planet Yasar war der einzige Mond eines unbewohnbaren Planeten namens Hare. Er war der am dichtesten an Zuyya gelegene bewohnbare Himmelskörper, den die Raumfahrer entdeckt hatten, dessen Atmosphäre der von Zuyya, Tharr und Ghia ähnlich genug war, um dort zu überleben, ohne Atemprobleme zu bekommen wie im Karanyi-Nebel. Als Thira das Raumschiff durch die Atmosphäre des grün bewaldeten Mondes stieß und auf einem relativ schmalen, lichten Platz mitten im Urwald landete, ging ein Zittern durch die ganze Tari Randora und hätte die Kameraden hinter ihr im Steuerraum beinahe von den Beinen gerissen. Es wurde Zeit, dass sie Pause machte... sie merkte bereits, wie das ewige Wachsein und Steuern sie auslaugte und ihre Kraftreserven zur Neige gingen. Die Zeit, die sie hier auf Yasar rasteten, würde die einzige Gelegenheit für sie geben, zu schlafen... es sei denn, sie brachte den anderen Steuern bei, was sie, wie sie jetzt dachte, vermutlich dringend tun sollte. Sie konnte nicht von hier bis zur Trias durchgehend wach sein... erst recht nicht, wenn sie zwischendurch Scharan begegneten. Die Gedanken ärgerten sie, obwohl sie sich zwang, sich nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Sie brauchte ihre Kraft für anderes und durfte sie nicht an so etwas wie Emotionen verschwenden. Wenn sie überhaupt Emotionen hatte, hieß das. „Wenn dieser Ort bewohnbar ist, wieso bleiben wir denn dann nicht hier?“, wunderte sich Karana, als sie gelandet waren und die Truppe beeindruckt hinaus starrte in offenbar absolut unberührte, wuchernde Natur. „Himmel, was ist denn das hier für ein Dschungel, hier gibt es ja genug Holz und Ressourcen für drei Zuyyas!“ „Weil Yasar... es nicht zulässt.“, sagte Thira monoton, als sie die Maschine abstellte und das Vibrieren des Schiffes aufhörte. „Wie meinst du das?“ „Wenn wir nicht innerhalb von drei Tagen wieder aufbrechen, wird der Mond dafür sorgen, dass wir es tun. Man hat das schon versucht... Yasar erlaubt uns nur einen Zwischenstopp.“ Darauf erntete sie einen Moment der angespannten Stille. „Wie jetzt?“, fragte Tayson, „Der Mond – der Mond sorgt dafür, dass wir verschwinden?“ Die Zuyyanerin schenkte ihm einen kurzen Blick und nickte dann. „Ja, genau. Wer länger als drei Tage zu bleiben versucht... wird ganz sicher sterben. Chenoa hat mir davon erzählt... ich bin nicht gewillt, das herauszufordern.“ Das gesagt schickte sie sich bereits an, den Steuerraum zu verlassen, während alle anderen sie fassungslos anstarrten. In der Tür hielt sie noch einmal inne und drehte den Kopf, um über die Schulter zurück zu blicken. „Geht und sammelt so viele Vorräte, wie wir tragen können. Das ist der einzige Zwischenstopp den wir machen können... und damit die einzige Chance, Vorräte zu sammeln. Aber entfernt euch nicht allzu weit vom Schiff... dieser Urwald frisst Seelen, habe ich das Gefühl.“ Sie warf noch einen Blick aus dem Fenster auf den tropischen Wald, in dem sie gelandet waren, ehe sie das Gespräch für beendet betrachtete und die anderen stehen ließ, um endlich schlafen zu gehen. Der Wald war ungeheuerlich. Die Luft war viel angenehmer zu atmen als die im Karanyi-Nebel, aber dennoch war das Gefühl, das Iana überkam, als sie mit den anderen draußen vor der Tari Randora stand, erdrückend, als würde eine unsichtbare Macht versuchen, sie von innen zusammen zu binden. Sie erinnerte sich an Thiras Worte und konnte sie jetzt durchaus nachempfinden... Dieser Wald frisst Seelen. Sie wusste nicht, ob er das wirklich konnte. Wenn der ganze Mond denken konnte, um sie nach gezählten drei Tagen von hier zu verbannen, traute sie dem Wald definitiv zu, dass er ihre Seele fressen könnte. Unruhig fasste sie nach ihrer Brust, in der das beklemmende Gefühl am heftigsten war, und sah überrascht an den ernsten Gesichtern der meisten anderen, dass es nicht nur ihr so ging. „Das ist unheimlich hier...“, sagte Neisa gerade und sah sich hektisch in der grünen Hölle um, „Habt ihr auch so ein beklemmendes Gefühl oder bin das nur ich?“ „Ich habe es auch.“, erwiderte Simu grollend, „Es... zieht an mir und schnürt mich ein. Meint ihr, Thira hat recht und der Wald frisst unsere Seelen?“ Iana sah den Adoptivbruder ihres Gemahls verblüfft über seine Worte an, und eben jener Gemahl war es jetzt, der seufzend seine Hände ausschüttelte und ein paar Schritte vortrat, nicht ohne noch einmal nervös an seinem bandagierten Unterarm zu kratzen. Seine Nervosität beunruhigte sie, weil sie wusste, wann immer das Fluchmal an seinem Arm zu schmerzen begann, war es Scharans Werk. Und weil sie wusste, dass es dann vielleicht an ihr war, Karana zu kontrollieren... wenn er dank Scharans Fluch die Kontrolle über sich selbst verlor, wie es schon auf Tharr und auch auf Zuyya geschehen war. Ich sehe dich... Dämon der Schatten, Karana Lyra. Ich sehe dich und werde dich... ganz sicher töten, wenn die Zeit gekommen ist. Die Gedanken verwirrten sie und sie fragte sich einen Moment später, ob sie das ernsthaft gedacht hatte. Karana war ihr Mann... sie hatte nicht die Absicht, ihn zu töten. Vielleicht kam dieser innere, bebende Groll tief in ihrem Geist von diesem komischen Wald... irritiert stellte sie fest, dass ihr ihre Gedanken mitunter nicht gehorchten und in ihrem Kopf Dinge spannen, die nicht von ihr selbst ausgingen. „Wenn wir nur drei Tage haben, beeilen wir uns.“, versetzte Karana vorne und zog sein Schwert, „Am besten teilen wir uns in Gruppen auf, ein paar müssen hier bleiben, um das Schiff zu bewachen. Ryanne bleibt hier und Asta auch.“ „Ich bleibe.“, meinte Simu dann, worauf sich ihm auch Eneela etwas schüchterner anschloss. „Wer weiß, wenn uns etwas großes angreift, reicht die Barriere einer hirnamputierten Seherin vielleicht nicht aus, um die Tari Randora zu schützen... und Thira, denn ohne sie und ihre Kenntnisse sind wir hier am Arsch.“ Das waren wahre Worte, wie Iana fand, und sie sah der Reihe nach alle anderen an, die offenbar in Gruppen in den Urwald stapfen würden. Karanas Blick traf ihren und er schenkte ihr ein typisches, sorgloses Grinsen, eine Eigenart an ihm, die sie gleichzeitig faszinierte und empörte. „Kommst du mit mir, Ianachen?“ „Ich hoffe, ihr geht ernsthaft jagen und vertrödelt nicht unsere kostbare Zeit, indem ihr im Wald übereinander her fallt.“, grollte Zoras irgendwo, wurde aber von allen ignoriert. Der kleine Schamane hatte seit dem Karanyi-Nebel-Zwischenfall mit Scharans Schergen übelste Laune, es war generell klüger, einer Diskussion mit ihm aus dem Weg zu gehen, hatte Iana gelernt. Nicht, weil sie Angst vor ihm gehabt hätte... aber für alle Beteiligten war es im Moment gesünder, den Kampfzwerg nicht auch noch zu provozieren. „Auf dann.“, schnarrte Karana und machte eine eher unkontrollierte Armbewegung, „Wir treffen uns hier wieder und seid auf der Hut.“ „Woher wissen wir, ob das, was wir so erlegen und sammeln, ernsthaft essbar und nicht giftig ist?“, wollte Iana wissen, als sie zusammen mit Karana auf ein kleines, seltsames Tier sah, das sie gerade mit einem geschickten Wurf ihres Kurzschwertes getötet hatte. Es war eine seltsame Mischung aus einem Reh und einem Kaninchen, und es war unachtsam gewesen oder hatte noch nie zuvor Menschen getroffen, es war jedenfalls offenbar nicht sonderlich schwer gewesen, es zu erlegen. Karana kratzte sich unruhig am Kinn und hatte Mühe, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. „Neisa ist Heilerin. Sie kennt sich mit Giften aus. Sie wird das herausfinden. Was genau ist das bitte?“ „Ich würde sagen, ein... Hasenreh. Oder ein Rehhase.“ Karana beäugte das Vieh noch einmal und widerstand dem inneren Drang, nach dem dumpf schmerzenden Bannmal an seinem Arm zu greifen. Es ziepte schon die ganze Zeit... es machte ihn verrückt und er spürte den Schatten in seinem Inneren genauso rumoren wie den Schmerz in der Wunde. Als er wieder aufsah, war Ianas Gesicht direkt vor ihm und sie musterte ihn argwöhnisch. „Du bist nervös.“, ertappte sie ihn kühl. „Schmerzt dein Mal?“ „Ach!“, schnaufte er und wandte mürrisch das Gesicht ab, „Es ist nicht schlimm.“ „Aber du spürst etwas. Meinst du, Scharan... ist auf Yasar?“ „Gut möglich. Die haben wohl genau wie wir nur hier die Chance, Vorräte zu sammeln. Ich hoffe, sie sind auf einem anderen Teil des Mondes gelandet...“ Aber wenn es so leicht wäre, fiel ihm ein, würde das Mal vermutlich nicht schmerzen. Unruhig griff er doch nach dem Verband an seinem Arm, worauf Iana seine Hand packte und energisch festhielt. „Nicht, Karana. Du weißt doch, wie der Hals deines Vaters aussah, weil er sich das ganze Fleisch weg gekratzt hat.“ Karana zischte und spürte das Unbehagen in sich wachsen bei der harten Berührung. Sein Vater... der das Mal genau wie er von Manha hatte. Karana fragte sich, wie es seinem Vater ging... und seiner Mutter, seinem Hund, allen anderen, die sie zurückgelassen hatten. Sie waren erst knapp eine Woche unterwegs... wie viel Zeit war jetzt auf Zuyya vergangen? Thira hatte einmal gesagt, auf Zuyya lief die Zeit dreimal so schnell wie im All. Das hieß, dort waren fast zwei Drittel eines Mondes vergangen. Und was war aus den Imperialisten geworden? Aus dem Krieg, der zwischen jenen und der Allianz von Kisara, Janami, Intario und Tejal auszubrechen gedroht hatte, als Karana mit den anderen Zuyya verlassen hatte? Die Gedanken, auch nur einem von all jenen, die er dort gelassen hatte, könnte etwas zugestoßen sein, verschafften dem jungen Mann Übelkeit, und er riss sich grantig aus Ianas Griff los und spürte in sich ein seltsam brennendes Gefühl der Wut aufflammen. Nicht auf sie... auf was genau, wusste er gar nicht. Auf sich selbst, weil er nicht alle zugleich beschützen konnte, wie er es gerne tun würde. „Nimm dein Vieh und weiter geht es.“, ordnete er dann an und stapfte weiter in den düsteren Urwald zwischen den gigantisch hohen Bäumen und Palmen hindurch. Iana schnaubte hinter ihm, was er dank des Raschelns der üppigen, bunten Blätter kaum hörte. „Jawohl, Majestät, stets zu Diensten, Majestät.“, verspottete sie ihn, und er ging nicht darauf ein. Er wusste, sie nahm ihm übel, wenn er sie herum kommandierte... und er tat es nicht mit böser Absicht, er hatte einfach nur schlechte Laune. „Tut mir leid...“, murmelte er, als sie ihn einholte, das Hasenreh, oder wie sie es genannt hatte, in der Hand. „Ich bin... nur unsicher, Iana. Tust du mir einen Gefallen?“ Er blieb stehen, sodass sie es ihm gleichtat und ihn skeptisch anblickte. „Welchen?“ „Wenn der Schatten zurückkehrt... der irgendwo in meiner Seele schläft...“ Er sah aus dem Augenwinkel, dass sie erstarrte, als er sie anlinste, ehe er fortfuhr. „...dann schlag mich nieder, meine Königin.“ Das gesagt ging er weiter, ihr den Rücken kehrend, und ihr Schweigen reichte, um ihm zu signalisieren, dass sie ihn verstanden hatte und es tun würde. Die Dämmerung auf dem Mond Yasar, der nur aus diesem gigantischen Urwald zu bestehen schien, war ein seltsamer Anblick. Der Himmel war eine Mischung aus gelb und grün, jetzt, in der Dämmerung, hatte er etwas von flammendem Orange. Die Kameraden starrten gemeinsam auf den großen Haufen Proviant, den sie über den Tag gesammelt hatten; erlegte Tiere, Massen an Früchten und sogar vereinzelte Pflanzen, Pilze und Wurzeln. Neben den Hasenrehen, von denen sie so einige ergattert hatten, gab es kunterbunt gefiederte Vögel mit bananenförmigen Schnäbeln, überdimensional große Ratten (jedenfalls sahen sie ein wenig wie Ratten aus, dank ihrer Größe ähnelten sie aber schon mehr einem Hund) und eine getigerte Katze, die noch größer war als Aar, der auf Zuyya geblieben war. Die Früchte boten aber einen noch seltsameren Anblick. „Was genau... ist das?“, fragte Tayson blöd und hob eine Frucht auf, deren Schale dauernd ihre Farbe änderte wie eine Signalleuchte. Mal war sie lila, dann plötzlich pink bis rot, orange, gelb und dann wieder lila. Als Tayson sie hochhielt, änderte sie ihre Farbe schlagartig in ein hässliches Gelb. „Ich würde sagen, es ist eine Regenbogenaubergine.“, sagte Neisa stirnrunzelnd, „Wieso wechselt das Ding die Farbe, ist ja albern.“ Sie nahm ebenfalls eine davon auf, bei ihr färbte sich die Frucht schlagartig knallpink. „Hey, wieso ist deine pink und meine hat die Farbe von Erbrochenem...?“, maulte Tayson, worauf Karana anfing zu lachen. „Neisa ist ein Mädchen. Die Frucht spürt das sicher und nimmt deshalb eine voll feminine Farbe-... nein, verdammt, bei mir wird sie auch pink!“ Er starrte entrüstet auf die dritte Aubergine, die er genommen hatte, die ebenfalls pink wurde. Zoras feixte. „Oder sie hält dich für feminin, Karana. Jetzt wo du es sagst, ernsthaft maskuline Muskeln hast du immer noch nicht.“ Karana schnaubte und warf seinem Schwager empört die Frucht zu. „Mach es besser, Alter!“ Dann lachte er laut los, als Zoras die Frucht fing, die im Flug wieder wild die Farbe wechselte, bis sie in Zoras' Händen abermals knallpink wurde. „Siehst du, du bist auch feminin!“ „Bei mir ist sie auch gelb!“, bemerkte Asta kleinlaut, „Meint ihr, das bedeutet irgendetwas?“ „Du bist nicht feminin genug, um pink zu sein, haha!“ „Bei mir ist sie rot.“, fügte Ryanne fröhlich hinzu, „Ich glaube, sie macht das stimmungsbedingt!“ „Alles klar, du meinst, die Frucht ändert ihre Farbe, je nachdem, ob sie gerade gute oder schlechte Laune hat?!“, fragte Zoras grantig und hielt Simu die pink leuchtende Aubergine hin. „Nimm du sie, welche Stimmung hat sie denn bei dir?!“ „...Pink.“, sagte Simu verdattert, der die Frucht nahm. „Ich dachte zuerst, vielleicht liegt es daran, wer hier Magier ist und wer nicht, aber wenn Neisa, Karana, du und ich alle pink sind und Ryanne, die auch Magierin ist, aber rot...“ „Ich habe orange.“, murmelte Yarek mehr oder weniger desinteressiert, der Ryanne die rote Aubergine abgenommen hatte. „Sind sie nicht auch manchmal lila? Hat irgendwer lila?“ Nachdem alle einmal die merkwürdige Frucht angefasst hatten, stellten sie fest, dass niemand lila bekam. Alle hatten pink, abgesehen von Tayson, Asta, Ryanne und Yarek. Es war Eneela, der dazu etwas Verblüffendes auffiel. „Es... es sind nur die, die zu den Sieben gehören, bei denen sie pink wird!“, stellte sie fest, „Was... hat das zu bedeuten?“ „Und wieso sind wir gelb, orange und rot?“, fragte Tayson, „Wir sind alle nicht von den Sieben, warum haben wir verschiedene Farben?“ „Ryanne ist Magierin und ihr anderen nicht.“, sagte Karana. „Ja, aber Yarek ist ein Mensch wie Asta und ich und hat trotzdem eine andere Farbe!“ „Vielleicht, weil er im Gegensatz zu euch Gehirn hat?“, fragte Simu stirnrunzelnd, worauf Tayson zu zetern anfing, bis Zoras mürrisch eine ausschweifende Armbewegung machte. „Schluss jetzt, ist doch egal, was diese Farben sollen! Lasst uns lieber sehen, ob irgendetwas hier giftig ist, und die Vorräte, verstauen! Und essen, bei diesem Haufen hier kriege ich Hunger.“ „Diese Regenbogenauberginen sind nicht giftig.“, erklärte Neisa prompt, die ihre knallpinke Frucht immer noch hielt, und ohne weiteres zu sagen biss sie herzhaft in das weiche Fruchtfleisch. Sie enthielt einen süßen Saft, der über die Finger der jungen Frau lief, während sie kaute, und verblüfft sah sie auf die auch im Inneren pink glühende Frucht, ehe sie sich an ihre Kameraden wandte. „Die... sind echt lecker!“, keuchte sie, „Viel Saft, weich und süß... sie sind genial!“ „Ob sie auch verschieden schmecken, je nach Farbe?“, fragte Tayson und zögerte etwas, ehe er in seine kotzbraune Frucht biss... und ein überraschtes Gesicht machte. „Neisa hat recht, sie schmecken echt gut! Obwohl sie scheiße aussehen...“ „Frag mich mal, ich esse pinke Auberginen.“, stöhnte Zoras, „Jetzt fehlt mir noch Flamingofleisch. Und Himbeersauce. Und heute Nacht werden wir alle zu Frauen...“ „Sei's drum!“, kicherte Karana, „Wir haben so viel, davon können wir heute Abend ein echtes Festmahl machen! Los, bringen wir den Rest ins Schiff und dann wird gegessen... aber wir müssen Thira noch was übrig lassen, wenn sie aufwacht!“ „Ich will nicht mehr sehen... es tut nur weh. Ich wollte nicht sehen, wie mein Vater hingerichtet wird. Ich wollte nicht sehen, wie meine Mutter bestialisch in Stücke gerissen wird, um meinen Vater zu brechen. Ich wollte nicht sehen... wie das Reich, das einst mein werden sollte, zu Grunde geht... in Flammen und Asche.“ „Das ist das Schicksal, Thira... das ist das Schicksal der Sehensgabe, sie hat einen bitteren Preis. Glaub mir, ich habe auch nie sehen wollen. Und dennoch bin ich jetzt hier... so wie du einst an meiner Stelle sein wirst. Als Weise Frau... als Seherin, Thira, und als Erbin eines der vier Himmelclans. Schließ sie weg... die Schmerzen. Wenn du zu viele Schmerzen hast, bringen sie dich um... und dann verlierst du deine Seele. So wie ich...“ „Dann sei es so. Wer keine Seele hat, hat keine Schmerzen. Das ist doch eine gute Sache. Das macht es leichter.“ Die junge Frau schlug die roten Augen in der Dunkelheit auf, als der Traum sich verflüchtigte. Traum... eigentlich war es kein Traum gewesen, sondern eine Erinnerung. Sie war lange bei Chenoa gewesen, um zu lernen... über die Geschichte, über ihre Aufgabe, über ihre eigene Macht, die sie beherrschen musste. Unbewusst fasste sie nach der Kouriha, dem Kurzschwert, das sie immer bei sich trug, das Erbstück ihrer Familie. Die Kouriha war eine Eiswaffe... und sie war das Familienerbstück des Jamali-Clans, sie hatte schon hunderte von Jahren hinter sich. Thira fragte sich, wie viele Hände diesen Griff schon berührt hatten, lange vor ihr oder vor ihrem Vater, ihrem Großvater oder dessen Vorfahren... was die Kouriha in all den Jahrhunderten alles gesehen hatte. Sie war eine mächtige Waffe, Thira würde gut auf sie acht geben. Als sie eine Weile still lag, hörte sie Geräusche draußen. Gelächter und das Lärmen einer Gruppe. Offenbar amüsierten sich die anderen, jetzt, da sie einmal Pause machen konnten. Ohne ein Geräusch rollte sich die Zuyyanerin auf dem Bett auf die Seite. In ihrem Inneren hörte sie nicht das Lärmen der anderen draußen... in ihrem Inneren rumorte der Wald, in dem sie gelandet waren. Ein Tag war bereits um... das hieß, sie mussten übermorgen aufbrechen, wenn sie nicht dem Seelen fressenden Willen von Yasar erliegen wollten. „Ich war nie dort.“, hatte Chenoa zu ihr gesagt, „Aber die Reikyu macht das recht eindeutig. Seid vorsichtig, wenn ihr auf Yasar seid... und wenn ihr länger als drei Tage bleibt, werdet ihr sterben. Diese Welt hat einen Geist, der mit dem von Khad-Arza, Zuyya, Tharr oder Ghia nicht zu vergleichen ist. Auch unsere Welten haben ihren Geist... aber der von Yasar ist bösartiger. Nachtragender... Yasar duldet keine Menschen.“ Sie fragte sich, was genau passieren würde, wenn sie so lange blieben... aber es war auf alle Fälle sicherer, das nicht herauszufordern. Murrend verdrängte sie das Grollen des Urwaldes aus ihrer Seele und setzte sich auf. Es wurde Zeit, dass sie auch etwas aß... und nachsah, was die anderen eigentlich für einen Unfug machten da draußen, dass sie so ausgelassen jubelten. Das, was sie draußen vor der Tari Randora vorfand, überstieg ihre Erwartungen ein wenig. Hatte sie gerade eben noch ausgelassen gedacht? Das hier war mehr.. außerhalb jeglicher geistiger Kontrolle. „Thira!“, wurde sie grölend von Simu, Tayson und Eneela begrüßt, die wild winkten und dabei wie kleine Kinder um die Wette strahlten, Eneela dabei noch mit vollem Mund. In der Hand hielt sie eine angebissene, pink schimmernde Frucht, Simu hatte auch eine und Tayson eine in gammligem Gelb. „Komm zu uns und iss auch eine Regen-... Regen-... öh... wie hießen die gleich, Simu?“ „Regenbogenoberschiinäh, hab isch dir doch schon fünf...tschen mal gesacht!“ Thira zog eine Braue hoch, als Simu theatralisch mit dem Finger vor Taysons Gesicht herum wedelte und dabei augenscheinlich enorme Schwierigkeiten hatte, sich zu artikulieren. Eneela kicherte dumm. „Was bei Katari und allen Mächten der Schöpfung ist denn hier passiert...?“, murmelte die Zuyyanerin dumpf, ehe sie plötzlich, sobald sie das Schiff verlassen hatte, von der Seite angerempelt wurde und zurück stolperte. Als sie herum fuhr, sah sie gerade noch Yarek, der wild mit den Armen ruderte und in offenbar epischer Manier um das Lagerfeuer herum tanzte, das sie gemacht haben mussten. Ryanne tänzelte ihm hinterher und bot einen obskuren Anblick, weil sie sich aus einem Thira unerfindlichen Grund komplett nackt ausgezogen hatte – was noch seltsamer war, war ja, dass es niemanden der anderen zu stören schien. „Was tust du da, Yarek?“, wollte Thira verstört wissen und sah wieder auf den Söldner, der johlend vor Ryanne her tanzte und immer noch wild die Arme schwenkte. „Lass mich arbeiten, ich verjage die Eingeborenen!“, schnarrte er, als er einmal um das Feuer herum gesprungen war und wieder an Thira vorbei kam. Er schubste sie wiederum zur Seite und Ryanne folgte ihm mit einem absolut geisteskranken Lachen, während sie auf offenbar erotische Weise die Hüften kreisen ließ, damit aber irgendwie keine Beachtung fand. Was Thira zu der Frage brachte, wo eigentlich Karana war... sie fand ihn, als sie etwas Abstand vom Feuer suchte und nach rechts sah, und der Sohn des Herrn der Geister war offenbar sehr beschäftigt damit, dämlich gackernd seine Ehefrau vor allen anderen auszuziehen, während diese unter ihm lag und wüst nach ihm schlug – und dabei ebenfalls diabolisch lachte. „Ich schlage dich zu Brei, Karana!“, johlte sie, „Du elender, verblendeter Hornochse!“ „Oh ja, fester!“, keuchte Karana ekstatisch über ihr und grinste dabei von einem Ohr bis zum anderen, als Ianas Faust ihm ins Gesicht fuhr und er lachend und bereits halb nackt zu Boden rollte. Thira zog unbeeindruckt und verwirrt die Brauen hoch bei dem Anblick der absolut außer Rand und Band geratenen Kameraden. Was war hier passiert, während sie geschlafen hatte? „Was habt ihr denn getrunken?“, fragte sie Asta, die sie als nächstes vorfand, wie sie auf dem Boden herum kroch wie ein Tier und offenbar an der Erde schnüffelte, als wäre sie ein Hund, der einen Knochen suchte. Das Mädchen aus Holia hob strahlend den Kopf. „Getrunken gar nichts!“, flötete sie, „Aber wir haben bunte Früchte gegessen, sie sind unheimlich lecker! - Hast du das Mini-Faultier gesehen?“ „Das... Mini-Faultier?“, murmelte Thira monoton, und Asta nickte freudestrahlend. „Oh ja! Es war hier, ich habe es gesehen, es war rot, blau, gelb und grün gleichzeitig! Aber dann ist es weggelaufen...“ Thira sparte sich einen Kommentar und Asta schien auch keinen zu erwarten, sie schnüffelte bereits weiter interessiert am Erdboden. Die Zuyyanerin stöhnte, als sie wieder auf die Beine kam und sich umdrehte, doch sie kam nicht dazu, sich eine Methode zu überlegen, wie sie diese offenbar absolut zugedröhnten Leute jetzt wieder nüchtern bekäme, denn plötzlich donnerte es über ihnen und mit einem abrupten Rumms bebte direkt hinter Thira kurz die Erde. Als sie wieder herum fuhr, sah sie Zoras, der seine gigantische Hellebarde in die Erde gerammt hatte wie eine Flagge, den freien Arm in die Hüfte gestemmt und die Beine weiter als nötig auseinander – und zu Thiras Verblüffung war der Spinner genau wie Karana schon oben ohne. „Hiermit erkläre ich dieses Territorium zu dem meiner Familie!“, verkündete er, ehe er seine Hellebarde aus der Erde zog und sie gefährlich dicht an Thiras Nase vorbei durch die Luft schwang. „Und du wirst nie wieder über mir stehen!“, brüllte der kleine Mann weiter, „Ich lösche deine Existenz aus... Kelar, Dämon von Lyrien!“ „Du... redest mit einer Pflanze, Zoras...“, murmelte Thira, während sie eine Weile zusah, wie Zoras absolut von sich selbst überzeugt mit der Hellebarde auf eine arglose Palme zeigte und sie wüst beschimpfte. Dann unterbrach sie die Stimme der einzigen Person, die sie hier noch nicht gesehen hatte. „Ich fürchte, er verträgt nicht so viel Alkohol. Es sind die Früchte, offenbar machen sie betrunken. Oder berauscht. Oder beides.“ „Neisa...“, brummte Thira und sah auf die kleine Heilerin, die plötzlich aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht war. „Und du? Hast du keine gegessen oder wieso bist du noch nüchtern?“ Zu ihrer Verblüffung lächelte Neisa sie auf eine bestialische Art an, die den Ruf von Pazifisten, den eigentlich alle Heiler inne hatten, definitiv vernichtete – als Thira sich noch darüber wundern wollte, sprach die Heilerin weiter und der Blick ihrer verschiedenen Augen war jetzt genauso irre wie der der Seherin. „Tod und Schatten ist es, was auf uns alle wartet... wovor hast du Angst, Thira Jamali? Ich sah dein Schicksal in meinem Traum... das Schicksal der letzten Prinzessin von Okothahp... und das letzte Kind des westlichen Mondes.“ „Genug!“, zischte die Zuyyanerin, als Neisas irrer Blick sie durchbohrte, und sie hob die Hand, darin ihre Reikyu erscheinen lassend, um sie ohne weitere Worte empor zu heben und mit einem kurzen Wimpernschlag augenblicklich all ihre Kameraden verstummen zu lassen. Neisa sank als Letzte zu Boden, als ihre Seele der Hypnose durch die Reikyu nicht mehr standhalten konnte, und Thira verfluchte kurz irgendetwas Unspezifisches, als die ganze Mannschaft hypnotisiert und schlafend am Boden lag und sie allein mittendrin stand. „Großartig... und jetzt kann ich sie alle einzeln in die Tari Randora schleppen. Was denken die sich?“, murrend ließ die Zuyyanerin ihre Reikyu wieder verschwinden und bückte sich, um eine der seltsamen Früchte aufzuheben, die ihre Farbe wechselten. Sobald Thira sie berührte, färbte sie sich leuchtend pink. Sie senkte die Brauen, dabei das Obst betrachtend, ehe sie zu sich selbst weiter sprach. „Wir haben nur noch zwei Tage hier. Und ob ihr morgen alle verkatert seid, wenn ihr weiteren Proviant sammeln, ist mir ja sowas von egal... das glaubt ihr gar nicht, ihr Elenden.“ Das gesagt packte sie zuerst Neisa, die zu ihren Füßen lag, um sie hinein zu tragen. Einen Blick warf sie zurück in den stockfinsteren Wald, der das Lager von allen Seiten umgab. Das letzte Kind des westlichen Mondes, hm? Was immer du... über Yamuru Mirrhtyi gesehen haben magst, Seherin Salihah Ekala... sein Schicksal wird mit meinem nur in sofern zu tun haben, dass ich ihn töten werde, wenn er es wagt, mir in die Quere zu kommen. Yamuru kicherte ein wenig, während er auf dem Dach von Scharans Tari Randora Zwei hockte und den anderen Idioten und Sklaven zusah, wie sie die Kontrolle über sich selbst völlig verloren nach dem Verzehr der merkwürdigen, bunten Früchte. Die ganze Mannschaft lachte, johlte und tanzte, ein paar der Kerle hatten ihren Spaß mit den Lianersklavinnen, was diese, berauscht wie sie waren, zur Abwechslung mal gar nicht zu stören schien. Was für absolut entwaffnende Früchte, dachte Yamuru sich und sah auf die eine, die er, ohne von ihr gegessen zu haben, in seiner Hand hielt. Sie brachten sogar Frauen dazu, sich willig vergewaltigen zu lassen, die Macht dieser Früchte war wahrlich grauenhaft, addierte der junge Mann dazu und musterte immer noch kichernd die Aubergine in seiner Hand, die in pulsierendem Dunkelorange glühte. Bei ihm war sie mehr rot als bei Manha, und das Orange, das sie bei Manha angenommen hatte, war auch kräftiger gewesen als das von Kyeema oder ein paar anderen Mitreisenden, die meisten hatten aber ein kränkliches Gelb bekommen. Was diese albernen Farben zu bedeuten hatten, wusste Yamuru nicht mit Gewissheit... wie seine Reikyu ihm bewiesen hatte, leuchteten sie bei den Sieben ausnahmslos knallend purpur, während die Seherin ein blutiges Rot und Yarek Liaron etwa dasselbe Orange wie Manha bekommen hatte. Eigentlich konnte ihm egal sein, was die Farben bedeuteten. Er beobachtete feixend mit Hilfe seines linken Auges, wie Thira in ziemlicher Entfernung von ihnen ihre bewusstlosen Kameraden zurück ins Schiff schleppte. „Vielleicht eine Meile... das ist nicht weit weg von hier.“, murmelte er dabei vor sich hin grinsend, „Dieser Wald muss nicht nur Seelen, sondern auch Geräusche schlucken, wenn Thira das Grölen unserer Sklaven hier nicht hören kann...“ Er verstummte und lauschte selbst eine kurze Weile dem Johlen der ausgelassen feiernden Irren auf dem großen Lagerplatz, ehe er sich seufzend auf die Beine rappelte und die Reikyu in seinem Augen wieder deaktivierte. Es war anstrengend, sie lange zu benutzen, um seine Cousine zu observieren... die den Schlüssel zu allem hatte, was er haben wollte. „Nun... es wird wohl Zeit, dass wir Nägel mit Köpfen machen, Tochter von Akando Jamali. Und deine Lehrerin Chenoa wird dir nicht helfen können, wenn ich dich habe... ein Jammer, nicht wahr?“ Er schmunzelte zufrieden mit dem Lauf der Dinge, während er, obwohl er ohne die Reikyu die echte Tari Randora gar nicht mehr sehen konnte, weiterhin in die entsprechende Richtung starrte. Ohne weiteres zu sagen hob er die dunkelorange glimmende Aubergine und biss guter Dinge hinein. Der Saft rann ihm zwischen den Fingern hindurch und er kicherte vergnügt, während er das weiche, unglaublich süße Fruchtfleisch kaute. „Hm... gar nicht übel, die Dinger.“ ________________ Yeah! Es geht jetzt etwas schneller wieter, weil bis Kapi 10 fertig ist - danach dauert es wieder etwas, weil ich dann erst bis 20 vorschreibe^^' Oder wenigstens bis 15^^' Applaus für die Regenbogenauberginen :'D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)