400 Jahre später von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 1: Schauriger Fund -------------------------- Maya spazierte langsam den einsamen Waldweg entlang und sah sich fasziniert um. Der Wald stand in den strahlendsten Herbstfarben und das Sonnenlicht überflutete alles mit Gold. Irgendwo zirpten ein paar Zikaden und aus den Baumwipfeln sangen volltönend die Vögel, alles war unglaublich friedlich und wunderschön. Maya liebte das. Er konnte stundenlang in diesem Wäldern herumstreifen, es brachte ihn zur Ruhe und machte ihn völlig ausgeglichen. An der Weggabelung blieb er kurz stehen. Es war schon eine Weile her, daß er das letzte Mal die große Runde gelaufen war, vorbei am alten Hexenhaus. Bei diesem Wetter sah es sicher toll aus. Der junge Mann strich sich die hellbraunen Haare aus dem Gesicht, zog seinen Schal zurecht und stopfte seine Hände dann wieder in die Jackentaschen. Das warme Sonnenlicht tat der herbstlichen Kälte leider keinen Abbruch, aber das hatte ihn noch nie von seinen ausgedehnten Spaziergängen abgehalten. Kurzentschlossen bog er nach rechts ab. Vor dem Hexenhaus blieb er eine Weile später stehen. Es hatte weder Dach noch Fenster, es war nicht mehr als eine Handvoll verwitterter Ziegelmauerreste, zugewuchert von Wald und Unkraut. Es führte nicht mal mehr ein Pfad dort hin. Maya war bisher immer achtlos an dieser Ruine vorbeigelaufen, von der er sich lediglich fragte, warum sie noch nicht vom Wind endgültig umgepustet worden war. Früher, vor ein paar hundert Jahren, sollte hier ein Magierzirkel residiert haben. Aber bei einem missglückten Zauber sollte das Haus komplett abgebrannt sein und mit ihm der halbe Wald. Davon sah man heute freilich nichts mehr. Irgendwie doch neugierig geworden – und weil er nichts besseres vorhatte – stapfte Maya durch das Bollwerk von Unkraut und Gestrüpp und stellte sich in die Tür, um einen Blick in das Haus zu werfen. Außer Staub, Geröll und hereingewehten Blättern war freilich nichts drin. Dennoch trat er ein. Es gab ja kein Dach mehr, das über ihm hätte zusammenbrechen können. Nur noch die Reste einer morschen Holztreppe, die in eine nicht mehr vorhandene, obere Etage führte. Unter der Treppe, an der einzigen wettergeschützten Wand, entdeckte Maya verblasste Zeichnungen. Ein Dämon mit roten Augen und wilden schwarzen Haaren, der mit einem bluttriefenden Menschenkopf und gezücktem Schwert auf einem Berg Leichen stand. Ein Ritter mit einer Lanze, der vergeblich gegen den Dämon kämpfte und unterlag. Ein Kreis weißgekleideter Männer und Frauen, die sich selbst töteten. Dann wieder der Dämon mit den roten Augen, tot. War das die Geschichte des Magierzirkels, der hier sesshaft gewesen war? Hatten sie sich selbst geopfert, um jenen Teufel zu bannen? War deshalb auch das riesige Feuer ausgebrochen und hatte die Residenz und den halben Wald verheert? Ob sie erfolgreich gewesen waren?, dachte Maya schmunzelnd. Zwischen den Bildern standen einige Runen. Maya musste sehr nah herangehen, um sie überhaupt noch entziffern zu können. Er hatte mal aus Spaß gelernt, Runen zu lesen, als dieses Thema in seinem Studium behandelt wurde, aber das war schon eine ganze Weile her. Deuten konnte er sie sicher nicht mehr, bestenfalls noch aussprechen. Gestammelt und holprig las er jede einzelne Rune laut vor, in der Hoffnung, sich über das Klangbild wieder an die Bedeutung zu erinnern. Aber mehr als und verstand er nicht. War doch schon zu lange her, daß er sich damit beschäftigt hatte. Mit dem Zeigefinger fuhr er die Zeile nach, während er die letzte Rune laut vorlas, dann richtete er sich seufzend wieder auf. Und sprang erschrocken zurück, als die Wand vor ihm zu knirschen und zu bröseln begann. Sie bekam Risse, der Fugenmörtel rieselte heraus und letztlich fielen sogar zwei Ziegel aus der Wand. Dann kehrte wieder Ruhe ein. Eine gespenstige Ruhe. Der Gesang der Vögel hatte aufgehört. Maya trat unschlüssig und mit klopfendem Herzen von einem Fuß auf den anderen. Was war das gewesen? Ein Erdbeben? Oder hatte er die Wand versehentlich selbst eingedrückt, als er sich beim Lesen dagegengelehnt hatte? Hinter den Löchern, die die herausgefallenen Ziegel hinterlassen hatten, gähnte dichte Schwärze. Da war offenbar ein Hohlraum, vielleicht sogar eine kleine Kammer. Wieso sollte es in einem Hexenhaus zugemauerte Hohlräume geben? Hin- und hergerissen zwischen Neugier und Angst griff er schließlich nach dem Mauerloch und zog einen dritten Ziegel heraus. Nichts geschah. Also machte er vorsichtig weiter, bereit jederzeit die Flucht zu ergreifen. Irgendwie gespenstig war das ja schon. Nach einer Weile zückte er sein Handy und leuchtete mit seinem Display in das inzwischen recht ansehnliche Loch hinein. Außer Staub und Schwebstoffen sah er zunächst gar nichts. Doch dann, als er das klägliche Licht ein wenig bewegte ... ein Glitzern ... dann Umrisse, flach auf dem Boden. Ermutigt steckte Maya das Handy wieder ein und brach weitere Steine aus der Mauer, um sich einen Zugang zu verschaffen. Bis genug Licht hineinfiel, um zu erkennen, was er da eigentlich gerade ausbuddelte. Ihm rutschte das Herz in den Magen. Die Umrisse auf dem Boden waren menschlich gewesen. Minutenlang stand er einfach nur vor dem Loch und rang um Fassung und eine Entscheidung über das weitere Vorgehen. Eine Weile später kauerte der junge Student neben seinem Fund und wusste schon wieder nicht was er tun sollte. Es sah wie ein Mann in schwarzen Klamotten aus. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht in die Ellbeuge gelegt und dadurch verdeckt. Er rührte sich nicht. Er war eingemauert gewesen, wer weis wie lange schon, er KONNTE nicht mehr leben! Seine Haare und seine Lederjacke waren ziemlich eingestaubt. Aber die Haut auf seinen Händen sah so natürlich aus. So lebendig. Maya hatte Angst, daß ihm die Maden aus seinen Augenhöhlen und seinem Mund entgegenquollen, wenn er den Kerl umdrehte. Vielleicht war er erst kürzlich ermordet und hier versteckt worden, damit ihn keiner fand, sinnierte Maya und schauderte. Letztlich fasste es sich doch ein Herz und tippte dem schwarzgekleideten Typen mit dem Zeigefinger auf das Schulterblatt. Ihm stellten sich die Nackenhaare auf, als ein leises Seufzen erklang. Seine Angst und Fantasie spielten ihm einen Streich, ganz sicher! Er zögerte. Aber er hatte es doch gehört, oder? Probehalber tippte er den Kerl nochmal an. Ein unwilliges Zucken, wie von jemandem der gerade auf lästige Weise geweckt wurde, ließ Maya zurückprallen. „Hallo? Le ... lebst du noch?“, wollte er heißer wissen und kam sich dabei ziemlich dämlich vor. Weil es einfach unlogisch war, daß der noch lebte, egal was sein Gehirn ihm vorgaukelte. Langsam hob sich der Kopf. Langsam, furchtbar langsam, schwebte das Gesicht aus dem Jackenärmel empor, in den es gebettet gewesen war, und sah Maya mit geblendet zusammengekniffenen Augen an. Mayas Herz sackte in quälender Deutlichkeit vom Magen aus noch tiefer, bis in die Kniekehlen, während es ihm heiß und kalt den Rücken hinunterlief. Die Augen waren weinrot, um das rechte rankte sich eine kunstvolle Tätowierung. „Wie ... wie kommst du hier her?“, wollte Maya wissen als er endlich seine Fassung wiedergefunden hatte. Der andere wandte das Gesicht ab und griff sich stöhnend an den Kopf. „Wo bin ich denn hier?“, stellte er eine Gegenfrage. „Na im Hexenhaus.“ „Hexenhaus?“ Der Schwarzhaarige sah sich verständnislos um. Langsam gewöhnte er sich an das Tageslicht. „Wo ist hier ein Hexenhaus?“ „Du liegst mittendrin.“ „Welche Stadt?“ „Außerhalb von Dachau.“ Wieder sah der Auferstandene Maya fragend an. Dachau schien er nicht zu kennen. „Welches Jahr?“ Nun zog Maya doch ungläubig eine Augenbraue hoch und half dem Fremden, der sich mühsam in eine sitzende Position hochzurappeln begann. Der Kerl schien nicht gefährlich zu sein, so langsam gewöhnte sich Maya an ihn. „2012. Der 14. Juli. ... Erinnerst du dich an irgendwas? Wer bist du überhaupt, man?“ „Ich weis nicht ...“, meinte der junge Mann in den schwarzen Klamotten nachdenklich. „Ich heiße Shinda ... glaube ich.“ „Glaubst du?“ „Das ist alles, was ich weis.“ „Nagut ...“ Maya seufzte ratlos und kratzte sich überlegend am Hinterkopf. „Nagut, ich bin Maya. Komm, ich nehm dich erstmal mit zu mir nach Hause, da kannst du duschen, was essen, saubere Klamotten anziehen, und dann kriegen wir schon raus, wo du hingehörst.“, beschloss er und zog den anderen hilfsbereit am Ellenbogen auf die Beine. Sein Blick wanderte unmerklich zurück zu der halb eingerissenen Wand, auf der noch das verblasste Bild des Dämons mit den schwarzen Haaren und den roten Augen prankte. Er hoffte wirklich, daß er hier keinen Fehler machte. Andererseits, wenn es so war, dann war eh schon alles zu spät. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)