Die Geschichte des Shinigami Will von undyne ================================================================================ „England ist nach wie vor ein schmutziger Ort“, beschwerte sich Grell, der sich ein Fernglas vor die Augen hielt. Es war völlig dunkel, nicht einmal der Mond stand am Himmel. Auch Will sah sich um und versuchte, das Objekt zu finden. Und – da war er. „Ich habe ihn gefunden“, sagte er, Grell drehte sich um. „Er ist es. Thomas Wallis.“ Dort, an einem Fenster saß er und... schrieb etwas. „Geboren 1775 in Brystal“, erklärte Will. „Ein junger Mann, der Schriftsteller werden will.“ „Ein Schriftsteller?“, fragte Grell gespielt erstaunt. „Eine häufig vorkommende Situation. Völlig mittellos, ohne Talent und unbeliebt“, sagte er abfällig, zückte die Unterlagen. „Das bedeutet“, meinte er ungerührt und wollte gerade einen Stempel auf einen Bogen Papier drücken, „er kann sterben.“ Blitzartig reagierte Will; er schnappte Grell die Unterlagen aus der Hand und erklärte: „Das werden wir einen Monat lang überprüfen.“ Wo käme man denn da hin, dachte er kopfschüttelnd. „Heißt das etwa“, erwiderte Sutcliff mit gesenkter Stimme, „dass du dich mir widersetzen willst?“ Er öffnete die Lippen zu einem Grinsen. Damit holte er aus und schlug mit seiner Sense gegen Will, der seine glücklicherweise auch gerade in der Hand hatte. Er hielt sie sich abwehrend vor den Körper, sodass Grells Sense mit einem metallischen Klirren auf Wills traf und dagegendrückte. Für einen Moment sahen sie sahen sie ich in die Augen. Grell grinste. Dann trat er Will so heftig in den Bauch, dass er zurückgeschleudert wurde und an einem Vorsprung abprallte. Langsam sank er daran hinab auf das Dach und schloss die Augen; er hatte Schmerzen. Da spürte er etwas Kaltes, Hartes an seinem Hals: Sutcliffs Sense. Er hielt sie ihm an den Hals und Will sah zu ihm auf. „Immer noch widerspenstig?“, sagte er und lächelte. „Die Überprüngszeit beträgt einen Monat“, beharrte Will, „und es ist für uns beide immerhin die erste Beurteilung! Damit uns kein Fehler unterläuft, sollten wir ihn weiter beobachten.“ Grell lockerte den Griff seiner Sense und wandte sein Gesicht ab. „Was bist du für ein Langweiler“, sagte er lächelnd. Dann entfernte er sich einige Schritte. „Mach doch einfach, was du willst. Genau das werde ich dann auch tun. Ach ja“, sagte er, „wann war noch gleich der Einsammeltag?“ Will rückte seine Brille zurecht. „1799. Am 16. Dezember, um 16 Uhr.“ Als er in den Himmel blickte, bemerkte er, dass bereits der Morgen dämmerte. Sollte er schlafen? Auf jeden Fall musste er nach Hause. Als er das Gebäude betrat, war sogar der sonst vom Tageslicht erleuchtete Flur stockfister. Erschöpft kämpfte Will sich die Treppe nach oben, er bereute schon, dass er in den 3. Stock gezogen war. Plötzlich spürte er einen Luftzug, wie wenn jemand an einem vorbeirauscht. Er roch nach Kaffee. Hastig drehte er sich um; zweifellos war jemand hier. „Zeigen Sie sich sofort!“, rief er. Aber niemand zeigte sich. Verstört stieg Will die wenigen restlichen Stufen nach oben, die in den 3. Stock führten. Langsam schloss er die knarzende Tür auf und nahm sich vor, so schnell wie möglich Öl zu besorgen. Er hängte seine Jacke an den Garderobenhaken neben der Tür, stellte die Schuhe auf den Boden, legte seine Sense auf einem Kästchen ab und – da war sie. Sie stand mitten im Flur, trug ein weißes dünnes Kleid, das ihr bis zu den Knien reichte. Es schwebte um sie herum wie eine Aura. Sie hatte beide Hände an ihr Herz gepresst und... lächelte ihn an. Will hielt den Atem an. Sie war das Einzige, das er schön fand, von dem niemand wusste, außer ihm selbst. Er hatte sie für sich allein. „Hallo“, hauchte sie. „Hallo“, erwiderte Will, überwältigt von ihrer atemberaubenden Schönheit. „Komm“, sagte sie, kam näher und nahm in an der Hand. Will ließ sich von ihr ziehen, diese Momente mit ihr waren kostbar, kostbarer zumindest als sein Schlaf. Ja, es stimmte: Wenn sie bei ihm war, war er verwandelt. Jemand anderes. Sie liefen die Treppen hinunter nach draußen, Will war es gleich, dass er später wieder nach oben gehen musste. Sie gingen einige Minuten schweigend eine Allee entlang, dann setzten sie sich auf eine Bank. „Sieh nur“, flüsterte sie und zeigte zum Himmel, „der Schütze.“ Will folgte ihrem Blick, und tatsächlich, da war er. Will fragte sich... „Ob er nicht eher ein Shinigami mit einer Sense ist?“, überlegte sie. Will musste lächeln... Das tat er selten. Er sah ihr ins zum Himmel geneigte Gesicht. Ihr wunderschönes Gesicht. Die schmalen, geschwungenen Lippen, deren Schwung er tausendmal im Kopf nachgefahren hatte. Die fein geschwungene Nase, mit der sie einige Male seine angestupst hatte. Die dunklen Augenbrauen, die eine regelmäßige, halbrunde Form beschrieben. Er fragte sich, ob ihre Augen von sich aus so leuchteten oder nur das Funkeln der Sterne spiegelten. Sie drehte den Kopf zu ihm schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann lächelte sie ein zaghaftes, bedachtes Lächeln. „Wirst du jetzt immer so spät kommen? „Ja“, erwiderte Will, „meine Abschlussprüfung hat begonnnen Ich... Wir müssen den Todeskandidaten einen Monat lang überprüfen.“ „Tag und Nacht?“ „Ja“, bestätigte Will und wandte seine Augen wieder dem Himmel zu. Dem Shinigami aus Sternen. Er wollte jetzt nicht über die Arbeit reden. Sie war so wunderschön. Noch nie war er von etwas so fasziniert gewesen. „Will... Ich wollte dich noch etwas fragen.“ Er nickte. „Will... ich...“ Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus. „Ich habe nur überlegt... Wen du mit ´wir´ meinst?“ Warum sagte sie es ihm nicht? Sie wollten sich nichts verschweigen. Andererseits wusste sie nicht wirklich, was er war. Dass sein Beruf das Töten war. Er war eigentlich ein Auftragskiller. „Ich meine mich und Grell Sutcliff. Wir sollen die Abschlussprüfung gemeinsam bestehen.“ Sie nickte. Will fuhr in Gedanken den Verlauf einer Reihe schwach leuchtender Sterne nach. Sollte er ihr von diesem seltsamen Chris erzählen? Der weder die Augen noch die Brille eines Shinigami besaß und trotzdem die Prüfung durchführte? Nein. Er wollte sie nicht mit seinen Problemen bedrängen. Andererseits... Sie wollten sich doch nichts verschweigen.Vielleicht war sie ehrlich zu ihm, wenn er ehrlich zu ihr war. Wieder fiel Will auf, wie sehr ihre Anwesenheit ihn veränderte. Sonst musste er nie überlegen, ob er etwas tun sollte. Er wusste immer alles. „Einer ist mir aufgefallen...“, begann Will und drehte den Kopf zur Seite, aber sie war nicht mehr da. Verschwunden. Langsam machte er sich wieder auf den Weg zu seiner Wohnung. Er sollte schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)