Perfection von Elena_Jenkins ================================================================================ Kapitel 1: Perfection --------------------- Ich war schon immer ein großer Fan von Salvatore Dalí. Warum, das weiß ich nicht einmal genau. Ich mag seine fließenden Uhren und ich mag den Surrealismus im Allgemeinen sehr gern. Es muss nicht alles real sein, man selbst muss nicht immer real sein. Alles scheint traumhaft und einfach unwirklich, so dass man sich in die Fantasie flüchten kann. Meine Welt sollte auch immer ein wenig absurder sein, als die Realität. In der Realität tut immer alles so verdammt weh und man muss sich so vielen Dingen stellen, denen man sich vielleicht nicht einmal gewachsen fühlt. Ich fühle mich Dingen oft nicht gewachsen, denn ich bin alles andere perfekt. Ich bin gar so etwas wie die Antiperfektion. Während andere Jungs in meinem Alter zu Hause sitzen und Games auf den Konsolen oder dem PC zocken oder mit Mädchen ausgehen, stehe ich vor der Leinwand oder sitze über meinen Blöcken. Ich habe einfach zu viel im Kopf, das ich unbedingt loswerden muss. Fantastische Welten, die mich von meinem grauen Alltag befreien und mir einen kleinen Sprung verschaffen, den ich so nicht bekommen kann. Ablenkung von allem, was mich stört. In den Augen meiner Mitschüler bin ich so oder so eine schreckliche Krankheit oder einfach nur ein psychisch gestörter Bekloppter. Oder einfach das, was man als Schwuchtel bezeichnet. Die Schule war ohnehin schon immer die pure Hölle gewesen, aber nachdem ich meinen ersten Freund und somit mein öffentliches Coming-Out hatte, ist es noch schlimmer geworden. Aber irgendwie … Ja irgendwie ist es mir egal. Ich brauche keine Freunde oder Leute, die mit in den Arsch kriechen. Ich brauchte so etwas nicht und es ist mir auch egal. Ich bin ohnehin lieber für mich allein. Mit einem letzten Pinselstrich wende ich mich von meiner Zimmerwand ab, an der ich seit einer Woche gearbeitet hatte. Es ist schön geworden, es fällt mir. Die vielen Kontraste. Kalt-Warm und die Komplementären… Das Motiv ist eine schon gar surrealistische Landschaft. Wenn später alles getrocknet ist, kann mein Bett wieder davor gestellt werden. Ich schlafe immerhin lange genug auf dieser dämlichen Matratze! Aber man muss ja auch mal Opfer bringen… Meine Pinsel und alles andere wegräumend, fahre ich mir durch das dunkle Haar. Es ist nicht braun oder schwarz, es ist irgendwie ein Mittelding von beidem. Ich kann es nicht erklären und eigentlich mag ich meine Haarfarbe nicht einmal. Aber ich bin strickt gegen etwas zum Haare färben. So etwas kommt nicht an meine Haare…Dann habe ich doch lieber eine undefinierte Haarfarbe als so etwas Künstliches auf dem Kopf! Im Bad wasche ich mir die Farbe von meinen Armen, von den Händen und auch aus dem Gesicht. Überall scheinen diese blauen und roten Spritzer zu sein und noch viel schlimmer ist, dass sie gar nicht mehr zu verschwinden scheinen… Und wenn ich so in den Spiegel gucke, mir selbst in die Augen sehe… Man mag mich vielleicht wirklich für bescheuert halten, aber ich mag auch meine Augenfarbe nicht. Es ist so ein merkwürdiges Braun. Nicht hell und nicht dunkel und vor allem hat es diese verschiedenen Nuancen. Vor allem hasse ich diese Brille, die ich tragen müsste. Jedoch lasse ich die meistens auf dem Nachttisch liegen. Ich habe kein Brillengesicht. Da bin ich lieber halbblind, als dämlich auszusehen… Ich meine, nur weil ich mich selbst nicht sonderlich hübsch finde, was einige Dinge angeht, heißt es nicht, dass ich mich gar nicht mag und auch nichts auf mir halte. Ich akzeptiere mich einfach nur so, wie ich bin. Nachdem mein Freund mich damals verlassen und einfach hat stehen lassen, habe ich versucht, mich wenigstes etwas zu verändern. Ich dachte einfach, ich sei nicht perfekt genug, denn der Junge, den er nach mir hatte, war nahezu ein Modell gewesen. Schlank, groß und einfach atemberaubend schön gewesen. Blond war er gewesen und hatte Augen in der Farbe des tiefsten Meeres dieser Welt. An ihm konnte ich mich natürlich nicht messen, wollte es jedoch. Aber ich musste einsehen, dass ich nicht so perfektioniert war, was das angeht. Und dann lernte ich irgendwann Aaron kennen. Es war damals ein ganz dämlicher Zufall gewesen, den ich so niemals erwartet hätte. Ich hatte keine Lust wegzugehen, aber ich hatte auch keine Lust gehabt, allein zu Hause zu sein. Mom und Dad waren auf einer Feier gewesen und allein herumdümpeln … da war mir an dem Abend nicht so nach gewesen. Also hatte ich mich auch fertig gemacht und bin auch weggegangen. In der Kneipe, die ich aufsuchte, war es nicht voll gewesen. Immerhin war es ein Tag in den Ferien gewesen – ein Wochentag. Ich saß also da, unterhielt mich mit der Barfrau über belanglose Dinge dieser Welt und das beinahe den ganzen Abend. Und auf einmal stand er dann neben mit. Dieser unglaublich gut aussehende Typ mit den pechschwarzen Haaren und diesen eisblauen Augen – wirklich knackig kaltes Eisblau! – und sprach mich an. Allein das simple ‚Hi’ hatte mit einen Schauer über den Rücken gejagt und das Lächeln hatte mir dann ohnehin die Sprache verschlagen. Wie ein Idiot hatte ich mich damals verhalten. Ich saß nur da, starrte ihn an und bekam kein beschissenes Wort heraus. Er setzte sich dann einfach neben mich an den Tresen, stellte das Bier auf der Tresenplatte ab und klemmte die Zigarette in den Aschenbecher. Selbst das hatte mich nicht gestört… dass er geraucht hatte. Es hatte dann eine halbe Ewigkeit gebraucht, bis ich mal die Zähne auseinander bekommen und somit eine Konversation angefangen hatte. Er war damals zwanzig, ich siebzehn. Es war einfach Wahnsinn gewesen! Nachdem wir zusammen die Kneipe verlassen und er mich nach Hause gebracht hatte, hatte er mich vor der Haustür geküsst. Einfach so. Ich konnte die Nacht nicht schlafen, habe mich nur hin und her gewälzt und bin beinahe wahnsinnig geworden… Wir hatten uns dann immer wieder getroffen und irgendwann – ja, da waren wir dann halt zusammen gewesen. Aber ich fühlte mich einfach nicht gut genug für ihn. Er war so makellos perfekt, hatte den perfekten Körper – kein Gramm zu viel – und das perfekte Gesicht. Er war sportlich, freundlich. Er hatte das unglaublichste Lächeln, die wunderschönsten Augen und einfach die perfekteste Stimme. Und ich? Ich fühlte mich neben ihm einfach nicht gut genug, obwohl ich immerzu versucht hatte, gut genug zu sein. Er sagte jedoch nie etwas. Er versuchte mich nicht zu verändern, sah mich immer nur auf diese eine Weise an, wie nur verliebte Personen einander ansahen. Und wenn ich an mir herummeckerte, dann küsste er mich einfach und flüsterte mir Dinge ins Ohr, die ich von meinem Ex nie gehört hatte. Ich hatte vor unserem ersten Sex Angst, mich auszuziehen. Ich hatte immer befürchtet, dass er mich nicht mögen würde. Doch hatte er mir immer die Angst genommen. In jeder beschissenen Situation hatte er mir die Angst genommen. Und dennoch habe ich immer versucht, mehr zu sein, bin jedoch immer gescheitert, weil ich dachte, ich könnte es nicht. Einmal jedoch, da hatte er sich hinter mich gestellt, als ich verzweifelt vor meinem Spiegel gestanden hatte. Wir wollten weggehen und ich wusste nicht, was ich anziehen sollte. Ich wusste nicht, ob ich dann nicht zu überzogen oder doch zu schlicht sein würde. Davor hatte ich Angst. Doch werde ich niemals vergessen, was er gesagt hatte. Seine Arme hatten um meine Taille gelegen und er hatte sein Kinn auf meine Schulter gestützt. „Hab keine Angst vor der Perfektion, du wirst sie niemals erreichen“, das hatte er gesagt und es ist mir bis heute nicht aus dem Kopf gekommen. Es war ein einziger Satz, der mein Leben ab da verändert hatte. Ab da versuchte ich nicht mehr, zurückhaltend zu sein. Ich versuchte einfach ich zu sein, mit allem, was ich dachte, es wäre richtig. Erst später erfuhr ich, dass dieser Satz von Dalí stammte. Und ab da an vergötterte ich diesen Künstler neben meinem Freund so unglaublich, dass ich es bis heute nicht in Worte kleiden kann. Ich wende mich vom Spiegel ab, vor dem ich immer noch stehe und verlasse das Bad, trete in mein chaotisches Zimmer. Es sieht beinahe so aus, wie bei Bacon im Atelier. Aber hoffentlich nicht mehr so lange… Aus all diesem Chaos suche ich mir etwas heraus, das noch einiger Maßen ok aussieht und nicht riecht, als sei es fünf Wochen nicht gewaschen worden. Mich umziehend, versuche ich meine Haare noch einig zu richten. Leichte Locken sind da doch manchmal ganz ok, die dürften wenigstens katastrophal aussehen und brauchen dafür keine Entschuldigung. Aber dann muss ich auch schon aus dem Haus sprinten. Immerhin habe ich eine Verabredung. Eine Verabredung mit dem einzigen Typen, der in meinen Augen die unmögliche Perfektion erreicht hat. Und das, obwohl er eigentlich alles andere als perfekt ist. Wir passen auf diese verquere Weise so gut zusammen… Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, ziehe ich die Haustür hinter mit zu und sehe den weinroten BMW dort stehen. Ich bin kein Fan von dieser Marke, aber diesen Wagen liebe ich. Aber vielleicht auch nur, weil ich die Person liebe, der er gehört. Die wenigen Stufen, die zu unserer Haustür führen, herunterspringend, steigt Aaron auch gleich aus und kommt auf mich zu. Er sagt nichts, nimmt mich nur einfach in den Arm und küsst mich direkt auf dem Gehweg. „Du hast wieder mit Farbe gematscht“, meint er dann jedoch leise und wischt mir einen Rest blaue Farbe vom Kinn. „Hm-hm“, gebe ich von mir. Gematscht – das klingt immer so unglaublich abwertend, eigentlich. Aber nicht, wenn er das sagt. Bei Aaron klingt es immer liebevoll… „Du wirst dich nie ändern, Jake“, seufzt er leise, wendet sich etwas ab und gibt mir einen Klaps auf den Hintern. „Einsteigen, wir wollen los.“ Er reißt seine Fahrertür schon auf, als ich mich erst aus meiner Starre löse. Geschmeidig lässt er sich hinter das Steuer fallen und startet den PS starken Motor schon, ehe ich auch nur sitze. Hastig lasse ich mich ebenso auf die Polster fallen und schnalle mich an. „Wo geht’s denn eigentlich hin?“ „Erst Kunstmuseum, dann Kino, dann Essen bei mir“, wird mir erklärt und die Vorstellung gefällt mir. „Welche Ausstellung?“, will ich dann wissen. „Surrealismus.“ Er muss irgendwas an dieser Stilrichtung finden, was er mir noch nicht erzählt hat. Er spricht ohnehin nicht viel über Kunst oder das, was er an der Kunst eben nicht mag. Ich weiß nicht warum, aber er lässt lieber mich immer erzählen und hört mir zu. Stundenlang – und ihm wird nicht einmal langweilig dabei. Es ist schön, aber manchmal würde lieber ich mal zuhören und erfahren wollen, was er so denkt. Eigentlich gibt er viel zu wenig von dem Preis, was in seinem Kopf vor sich geht – anders als ich. Ich äußere mich gleich sofort, wenn mir was in den Kopf schießt. Aber so ist Aaron. Er hat keine Angst vor der Perfektion, denn er weiß, dass er sie niemals erreichen kann. Deswegen strebt er dagegen und wenn es für ihn heißt, dass er nicht alles sagt, ist das ok. So ist er nun einmal. „Ich liebe dich, Jake.“ Ich sehe ihn an, als ich das höre und sehe sein Lächeln. „Ich weiß. Ich dich doch auch…“ Ich bin Salvatore Dalí mehr als dankbar, dass er gelebt und uns seine wundervolle Kunst gegeben hat. Aber noch dankbarer bin ich ihm für diesen einen Satz, der mich Aaron endlich so nahe gebracht hat. So unendlich dankbar… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)