Splitterwelt von angelneko ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Als es dunkel wurde, stand die Jägerin schweigend am Bug des Schiffes und starrte in die Ferne. Ich war noch immer bei Kishna im Maschinenraum. Nachdem sie mit zitternden Händen die Geräte zum Laufen gebracht und an dem einen oder anderen Ventil den Druck geregelt hatte, war sie mitgenommen auf die Knie gesunken. Ich wusste, dass ich ihr bei der Arbeit nur bedingt helfen konnte, aber zumindest konnte ich das Mädchen trösten. „Lillja! Bei allen guten Winden! Ich dachte, sie bringt Lokan um...“, flüsterte Kishna leise. Ich nahm das verstörte Mädchen in den Arm und hielt es fest, während es immer wieder unkontrolliert zitterte. So saßen wir noch, als Lokan schließlich in den Maschinenraum trat. Er sah verbittert und erschöpft aus. Sein Haar und seine Kleidung waren durchnässt und hinterließen kleine Pfützen auf dem Boden. Sein Atem ging schwer. Dort, wo die Jägerin ihre Klinge neben seinem Kopf in den Boden gerammt hatte, befand sich ein kleiner Schnitt an seiner Wange. Ich schluckte. Die Klinge war ihm näher gewesen, als ich gedacht hatte. Für einen Moment nahm der Kapitän missbilligend zur Kenntnis, dass das Mädchen sich an mich drückte. Dann seufzte er, was Kishna aufhorchen ließ. Sie sah Lokan an, sprang auf und klammerte sich an seinen nassen Mantel. Der Kapitän zögerte kurz, dann legte er die Hand auf die Schulter der jungen Mechanikerin und sah mich wieder an. „Wir werden diesen ungebetenen Gast vermutlich nicht einfach los. Ravio und ich würden auch zu zweit nicht gegen diese Frau ankommen und euch beiden will ich keinen Kampf zumuten.“ Überraschender Weise schloss er mich mit ein. Hoffte er auch unter diesen Umständen noch darauf, Lösegeld für mich zu bekommen? „Wenn ich mich in aussichtslose Kämpfe stürzen würde, hätte unsere Gruppe nicht so lange überlebt. Ich erkenne, ob ich eine Chance habe oder nicht.“ Schließlich wurde seine Stimme wieder härter und er schob auch Kishna von sich. „Vorerst wirst du uns keinen Gewinn bringen, Prinzessin. Und weg von hier kommst du ebenfalls nicht. Ich kann dich aber nicht einmal mehr wegsperren, solange die Tür deiner Kabine kaputt ist. Jede andere Kabine lässt sich auch von innen entriegeln. Du wirst ab sofort etwas für dein Essen tun, verstanden? Für Faulpelze ist hier kein Platz.“ Ich beobachtete den Kapitän schweigend mit zusammengekniffenen Augen. „Eines der Rohre im unteren Flur leckt. Kishna wird sich morgen darum kümmern. Du wirst ihr helfen und den Flur hinterher sauber machen. Und ich will kein Jammern hören, weil du deine zarten Fingerchen schmutzig gemacht hast.“ „Gut.“, gab ich knapp zurück. Ich musste mich wohl fürs erste von meiner passiven Rolle trennen. Doch ich würde diesem ungehobelten Kerl zeigen, dass ich mehr leisten konnte. Es war keine einfache Sache, die ölige Masse, die aus der leckenden Leitung ausgetreten war, von Wänden und Boden zu schrubben. Schweiß stand mir auf der Stirn und meine Schultern und Hände schmerzten bereits. Obwohl ich mein Haar mit einem Tuch zusammengebunden hatte, war es wirr und immer wieder spuckten die Rohre und Ventile Dampfwölkchen aus, die den ganzen Flur für kurze Zeit in Nebel hüllten. Als ich meinen schmerzenden Rücken streckte, bemerkte ich Lokan, der gerade um die Ecke bog. Schnell widmete ich mich wieder den Flecken auf dem Holz. Ich würde ihm keine Angriffsfläche bieten. Wenn es nötig war, würde ich meinen Teil beitragen ohne zu murren. Er würde sich noch umsehen, was seine Prinzessin zu leisten vermochte. Doch wider Erwarten stapfte der Kapitän einfach an mir vorbei. Dabei hatte er sich noch nie eine Gelegenheit entgehen lassen, auf mir herumzuhacken! Ich drehte mich um und sah ihm nach. Wenige Augenblicke später stürzte Kishna in den Flur. Sie war gegangen, nachdem sie das Leck repariert hatte, da noch andere Geräte zu warten waren. „Lillja! Komm schnell!“ „Was ist denn los?“, antwortete ich überrascht, doch Kishna rannte bereits wieder nach draußen. „Beeil dich!“, rief sie mir noch zu. Ich ließ die Bürste fallen und rieb die Hände an meinem Rock trocken. Dann folgte ich dem Mädchen. An Deck bot sich mir ein unerwartetes Schauspiel. „Ihr Euch nicht halten an Kurs.“, knurrte die Jägerin Lokan an. Sie griff nach dem Kragen seines Mantels und zog ihn zu sich heran. „Wir werden noch eine Zwischenstation auf der Insel Bejel einlegen.“, erklärte Lokan darauf hin hart und erwiderte ihren Blick kühl. „Nein. Fliegen Mouq co‘on.“ „Bis wir dort ankommen, werden wir verhungert sein, wenn wir keinen Stopp mehr einlegen.“, spie Lokan ihr entgegen und schlug ihre Hand weg. Die Jägerin musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen. „Wir wollten auf der Insel Trendon noch Vorräte besorgen, ehe du Miststück uns überfallen hast. Selbst wenn wir die Reste in kleine Rationen teilen, wird es nicht für die ganze Strecke reichen.“ Die beiden starrten sich eine ganze Weile grimmig an. Lokan schnaubte schließlich und schmetterte eine verschimmelte Kartoffel vor der Jägerin auf die Planken. „Willst du etwa, dass wir alle draufgehen, weil wir jämmerlich verhungern?!“, schrie er ungehalten. Die Jägerin fixierte die Kartoffel für einen Moment. Dann blickte sie wieder in Lokans grimmiges, ernstes Gesicht. Sie zögerte kurz. Letztlich nickte sie. „Gut. Wir dort halten.“ Zischend atmete der Kapitän aus und versuchte, seine Fassung wieder zu gewinnen. Dann veränderte sich Lokans Miene und er warf mir und Kishna einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. „Die Frau und das Mädchen werden wir dort absetzen. Wir können dich auch zu zweit nach Mouq co‘on bringen.“ Unerwartet wirbelte die Jägerin ihre Hellebarde herum und drohte Lokan mit der Klinge. „Nein. Mädchen egal aber Frau bleiben hier.“ „Sie ist nur eine Belastung. Sie gehört nicht einmal zur Mannschaft. Warum sollten wir sie auf dem Schiff behalten?“ „Weil sie sein Grund für Reise.“ Verwundert starrte ich die Jägerin an und auch der Kapitän zuckte überrascht zusammen: „Was?“ Die dunklen Augen musterten mich. „Du von Yeshna berührt. Ich spüren. Ich dich bringen zu Schamanin.“ „Yeshna? Schamanin? Wovon redet Ihr?“, fragte ich verwirrt. Mir war nicht wohl dabei. Die raubtierartige Frau ließ mich nicht aus den Augen. Dann schnellte sie plötzlich auf mich zu. Vor Schreck kniff ich die Augen zusammen. Als ich sie wieder öffnete, bemerkte ich Lokan, der direkt vor mir stand. Seine Haarspitzen, vom Wind aufgewirbelt, kitzelten mein Gesicht. Beinahe konnte ich seine Körperwärme spüren. Er hielt der Jägerin seine Pistole an die Stirn. Die Frau blickte ihn abfällig an und griff dann über seine Schulter hinweg an meinen Hals. Ein erstickter Schrei entwich mir, doch ich stellte fest, dass die Frau nur nach meiner Halskette gegriffen hatte. Sie ließ den fein gearbeiteten Anhänger vor meinen Augen baumeln. „Zeichen der Yeshna. Sie dich gewählt.“ Sie ließ die Kette wieder los und trat zwei Schritte zurück. Lokan senkte langsam die Waffe aber er fixierte die Jägerin noch immer. „Wer, bei der bodenlosen Tiefe der Abgründe, bist du? Und was hast du mit uns vor?“, fragte er angespannt. Die Jägerin sah ihn an. Augenblicke vergingen. „SPRICH ENDLICH!“, herrschte Lokan die Frau an. Ihre Augen wurden schmal und ihr Mundwinkel zuckte nach oben. „Mein Name sein Zachnavhras‘ee. Das sein Wort für Rauch in meine Sprache. Wenn ihr nicht könnt aussprechen, es einfacher wenn ihr mich nennen Haze. Meine Aufgabe sein, dem Amulett folgen und bringen zurück den, den die Yeshna auswählen.“ „Und was wollt Ihr von mir?!“, fragte ich erneut. Ich fühlte mich, als sei ich vom Regen in der Traufe gelandet. Erst wurde ich von Piraten entführt, dann entführte eine seltsame Kriegerin das gesamte Piratenschiff. Und auch dabei schien es nur um mich zu gehen. „Du uns führen zur Yeshna. Die Schamanin werden dir erklären.“, mit diesen Worten wandte sich Haze wieder dem Horizont zu. Ich fühlte mich schrecklich in dieser Nacht. Dass meine Finger und mein Rücken von der Arbeit schmerzten, war dabei das kleinste Problem. Haze hatte keine Anstalten gemacht, meine drängenden Fragen zu beantworten. An Bord eines Piratenschiffes steuerte ich nun auf die Insel Bejel zu und würde von dort aus direkt weiter nach Mouq co‘on gebracht werden. Mein Magen krampfte sich zusammen. Was wollte diese Schamanin von mir? Und wer um alles in der Welt war die Yeshna? Ich drückte mein Kissen fest an mich. Wenn Wrone doch nur hier wäre und mir mit seiner väterlichen Art Mut zusprechen könnte. Oder Frank, der immer für mich da wäre und mich beschützen würde, auch wenn er wusste, dass wir nie ein Paar sein würden. Selbst an der Seite von Wrendon, dem Sohn des Tuchhändlers, hätte ich mich in diesem Moment besser gefühlt. Das alles wirkte so unwirklich. Der Federanhänger berührte kühl meine Brust. Wie ein Lufthauch, der meine Haut küsste. Sanft ertastete ich den filigranen Kristall und strich über die Maserung. Tränen liefen über meine Wangen. Ich weinte, weil ich mein zu Hause vermisste. Mein Leben. Und wegen all der Unsicherheit, die mir bevorstand. Wie konnte ich nur in so etwas hineingeraten? Ich zog die Decke fester um mich und krümmte mich unter den Ängsten, die mich verfolgten. Viel später erst wiegte das sanfte Schaukeln des Luftschiffs mich in den Schlaf. Es ist dunkel. Eng. Ich bin gefangen und kann mich kaum rühren. Es ist kalt um mich herum. So kalt. Ein Luftzug berührt mich. Ich höre eine Stimme. „Hilf mir!“ „Wo bist du?“, flüstere ich erstickt. Die Worte aus meinem Mund klingen rau. Kratzig. „Komm zu mir!“, erhalte ich zur Antwort. „Wie?“, frage ich erneut. „Folge dem Wind.“ Wieder wird die Stimme schwächer. Sie lässt mich mit meiner Angst allein in der Dunkelheit. Langsam lernte ich die Piraten besser kennen. Ravio hatte aus seinem Leben allerhand Geschichten zu erzählen, denen ich gerne lauschte, während ich meinen Aufgaben nachging. Wenn all diese Geschichten der Wirklichkeit entsprachen, musste er in jungen Jahren wahrlich ein Schwerenöter gewesen sein, dem die Damen Reihenweise erlegen waren. Ein wenig konnte ich es nachvollziehen, denn bis jetzt hatte er sich seine charmante Art bewahrt. Was ihr bisheriges Leben anging, war Kishna sehr verschlossen, sonst aber stets offen und herzlich. Sie zeigte mir die Geräte, mit denen sie arbeitete und einige Maschinen, die sie erfunden hatte. Schrauben, Federn, Öl und Dampf waren ihre Welt. Dennoch schien sie sich auch für das normale Leben in den Städten zu interessieren. Sie wollte von mir wissen, wie ich in meiner Heimatstadt lebte und was ich dort zu tun hatte. Sie verstand nicht, warum eine Frau keine Abenteuer erleben durfte und sich statt dessen früh einen Ehemann suchen musste. Als ich ihr aber von den großen Veranstaltungen erzählte, zu denen ich bisweilen eingeladen war, war sie entzückt. „Ich würde auch gerne einmal in einem schönen Ballkleid auf ein Fest gehen!“, gestand sie mir. Wie ich mit Lokan umgehen sollte, wusste ich nicht. Er war schweigsam, wie so oft, und brütete meist nur über seinen Karten. Hatte er sich tatsächlich vor mich geworfen, als Haze auf mich zugestürzt war? Oder hatte er sich nur eingemischt, weil Kishna in meiner Nähe gestanden hatte? Ich glitt mit dem Messer ab und schnitt mir in den Finger. Verärgert legte ich die Kartoffel weg, die ich gerade geschält hatte und suchte in der Kombüse etwas, was ich um die Wunde wickeln konnte. Ich sollte mich wohl besser auf die Arbeit konzentrieren. Auf meiner Suche warf ich auch einen Blick in die Vorratskammer. Lokan hatte wirklich recht gehabt. Hätten wir die Nahrungsmittel nicht in Rationen eingeteilt, wären wir wohl nicht einmal bis Bejel gekommen. Schon jetzt hatte ich täglich Vergammeltes von Essbarem trennen und die Rationen neu Ordnen müssen. Je weiter wir uns Bejel genährt hatten, desto wärmer war das Klima geworden und umso schneller war das Essen verdorben. Wir hatten uns darauf eingestellt, möglicherweise länger zu brauchen, ehe wir bei der Insel ankamen. Und tatsächlich waren wir nun schon drei Tage länger unterwegs, als geplant gewesen war. Nicht einmal Ravio konnte sich erklären, warum sich unsere Reise so sehr verzögert hatte. Doch vor einer Stunde war Bejel endlich in Sicht gekommen und wir würden bald anlegen können. Wenig später erschien Haze und wies mich an, zusammen mit Ravio und Kishna die Kapitänskajüte aufzusuchen. „Du allein gehen. Andere bleiben hier bei mir. So nicht auf dumme Ideen kommen.“, wies sie Lokan in abgehackten Worten an. Erst als Ravio versicherte, dass er auf sich und auf uns aufpassen konnte, gab der Kapitän widerwillig nach. Erneut hatten wir weit außerhalb einer Ortschaft angelegt, verborgen von Felsen und hohen Palmen. Die schwülwarme Hitze war drückend. Kein Lufthauch war zu spüren. Es würde sicher einige Stunden dauern, ehe Lokan mit den Vorräten zurückkehrte. Da Haze es nicht zuließ, dass wir den Raum verließen, hatte ich zusammen mit Kishna auf dem Bett des Kapitäns platzgenommen. Ich krempelte meine weiten Ärmel nach oben und öffnete einen Knopf meiner Bluse. Die Hitze war kaum ertragbar. Ravio hatte sich unterdessen auf den Stuhl am Arbeitstisch gesetzt und vermaß Routen auf den Karten. Die Jägerin saß neben der Tür auf dem Boden, die Beine übereinandergeschlagen. Die Augen hatte sie geschlossen, als würde sie schlafen. Die Stimmung war angespannt. Wir schwiegen. Neugierig beobachtete Kishna die Frau eine Weile. „Was tust du da?“, fragte sie schließlich. Die Augen der Jägerin öffneten sich sofort und fixierten Kishna, die überrascht zusammenzuckte. „Meditation. Machen Geist ruhig und Körper schnell.“ Kishna biss sich auf die Unterlippe. Die Jägerin hatte die Augen wieder geschlossen. Noch eine Weile betrachtete Kishna die Frau, dann schlug sie die Beine übereinander und versuchte die selbe Pose einzunehmen, wie die Jägerin. Ich stellte fest, dass die Frau das Mädchen aus dem Augenwinkel beobachtete und ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Dein Rücken müssen sein gerade. Dein Atem ruhig. Nicht anspannen Schultern. Locker lassen.“ Überrascht sah Kishna die Frau wieder an. Dann versuchte sie schnell ihre Pose zu korrigieren. Die Jägerin grinste. „Das du machen gut.“ Unter dem wachsamen Blick der Jägerin erhob ich mich und öffnete ein Fenster. Ich hoffte, dass ein wenig frischere Luft hereinziehen würde. Als Haze registrierte, dass ich nicht durch das Fenster fliehen würde, entspannte sie sich wieder. Ich ließ meinen Blick weiter durch den Raum streifen und entdeckte dabei schließlich eine mit Stoff überzogenen Fläche, an der jemand Fotos mit Nadeln fixiert hatte. Ich ging zu der Wand hinüber. Kishna blickte mir nach und ich spürte, dass auch die Augen der Jägerin auf mir ruhten. Ich betrachtete die Fotos, eines nach dem anderen. Auf dem ersten war ein Junge zu sehen, das halblange Haar wirkte ein wenig zerzaust. Er mochte ein oder zwei Jahre älter sein als Kishna. Ernst blickte er in die Kamera. Hinter ihm stand ein Mann mittleren Alters mit hellem Haar. Der Mann lächelte, anders als der Junge, munter zu dem Fotografen hinüber. „Der Junge... ist das Lokan?“, fragte ich überrascht. Ravio blickte von den Karten auf und lächelte. „Ja. Da hatte er gerade die Dämmerschwinge übernommen. Er war nur ein bisschen älter als Kishna es jetzt ist.“ „Und wer ist das bei ihm? Sein Vater?“ „Nein, nein.“, wehrte Ravio ab und grinste mich an. Es dauerte einen Augenblick, dann wurde es mir schlagartig bewusst. „Das seid Ihr!“ „Gut beobachtet.“ „Wie um alles in der Welt kam Lokan in diesem Alter zu einem Luftschiff?“ „Nun, man könnte fast sagen, er hat es vererbt bekommen.“, grinste der alte Steuermann. Es schien, als wolle er mehr erzählen, also ließ ich mich wieder auf der Bettkante nieder und lauschte seinen Worten... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)