Göttlich verlassen von Anni-chan95 ================================================================================ Kapitel 9: Wieder vereint Teil 1 -------------------------------- Kapitel 9 – Wieder vereint – Teil 1 Die nächsten Tage kam dieses Mädchen immer wieder an den Albtraumbaum und Lucas konnte nicht anders, als sie die ganze Nacht zu beobachten. Auch, wenn Persephone ihm versichert hatte, dass er sie nie gesehen hatte, kam sie ihm so bekannt vor. Er wollte am liebsten zu ihr gehen und sie umarmen und küssen. Was war nur los mit ihm? Wer war dieses fremde Mädchen, dass sie so eine Wirkung auf ihn hatte? Lucas wusste, dass er das nicht einfach tun sollte, aber es schien, wie die natürlichste Sache, sie zu küssen und ihr nah sein zu wollen. Und er wusste nicht, wie lange er noch stark genug war, einfach zu gehen, wenn er musste. Lucas konnte nicht verstehen, wieso dieses Mädchen jeden Tag kam und auf ihn wartete. Auch wenn er sich ihr nie zeigte und sie die Hoffnung, dass er es jemals tat, schon lange aufgegeben haben musste, kam sie doch immer wieder. Jede Nacht sah sie trauriger aus. Lucas wollte nicht, dass sie traurig war. Sie hatte doch ein so schönes Lächeln. Moment, woher weiß ich das so genau, fragte er sich. Das Mädchen stand jetzt auf und lief die paar Schritte bis zur Grenze. Sie wollte die Unterwelt betreten, doch aus irgendeinem Grund wurde sie von einer unsichtbaren Barriere zurückgehalten. Allerdings konnte Lucas sich nicht darin erinnern, jemals eine solche Barriere aufgebaut zu haben und warum das Mädchen jetzt auf ihre Knie sank und weinte, war für ihn ein vollkommenes Rätsel. Wieso wollte sie unbedingt in die Unterwelt? Niemand wollte freiwillig in sein Reich. Lucas ertappte sich dabei, wie er auf sie zuging. Er wollte sie trösten. Nein, ich sollte das nicht tun, ermahnte er sich, ging aber dennoch weiter bis er auf seiner Seite der Grenze direkt vor ihr stand. Er löste die Schatten um sich auf, so dass sie ihn sehen konnte. Dann ging er in die Knie. Sie beide waren jetzt auf der gleichen Höhe. Helen sah auf. „Lucas …“, wisperte sie ungläubig und hörte sofort auf, zu weinen. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen, doch, da er immer noch in der Unterwelt war und sie nicht, konnte sie das natürlich nicht. Lucas sagte nichts, sondern sah sie einfach nur an. Irgendwie wirkte er unsicher. Er wusste nicht, was er tun sollte. Dann griff er instinktiv nach ihrer Hand und löste die Barriere, die sie ausschloss auf. Helen umarmte ihn sofort, was Lucas ziemlich überraschte. Doch schließlich legte er seine Arme auch um sie. Immer noch schwieg er. „Ach, Lucas…“ Anscheinend sollte er dieses Mädchen kennen. Dabei kannte er nicht mal ihren Namen, obwohl in seinem Kopf immer wieder der Name Helen auftauchte. Wenn er sich doch nur erinnern könnte … Helen sah zu Lucas auf und blickte in sein völlig verwirrtes Gesicht. „Ich weiß, dass du aus dem Fluss Lethe getrunken hast und ich mache dir keine Vorwürfe deswegen, Lucas. Ich weiß, wieso du dich so entschieden hast und ich hätte es nicht anders gemacht.“, sagte sie und lächelte ihn verständnisvoll an. Erinnerte er sich deswegen nicht? Hatte er sich echt selbst dazu entschieden? Er konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Aber sie sagte die Wahrheit. Er musste wohl wirklich alle Erinnerungen, die er an sein Leben bevor er in die Unterwelt kam, gelöscht haben. Die Erinnerungen an dieses Mädchen – er war sich wirklich sicher, dass sie Helen hieß – mit eingeschlossen. Und auf einmal hatte er unglaubliche Schuldgefühle, wegen dieser Aktion. „Es tut mir Leid.“, sagte er. „Ich wünschte, ich würde mich an dich erinnern. Du musst mir mal so viel bedeutet haben …“ Helen legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen, um ihn wieder zum Schweigen zu bringen. „Ich liebe dich trotzdem noch.“ Sie liebte ihn? Waren sie ein Paar oder etwas Vergleichbares? „Du bist der Einzige, den ich jemals lieben werde. Der Einzige, den ich mit Haut und Haaren liebe. Du bist der Richtige für mich.“ Helen wiederholte absichtlich die Worte, die sie ihm schon einmal gesagt hatte, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass sie doch nicht verwandt waren. „Helen, ich liebe dich auch.“, erwiderte Lucas lächelnd und fragte sich gleich im nächsten Moment, wieso er so etwas gesagt hatte. Vielleicht kannte er sie mal, aber jetzt hatte er sie doch bloß einige Tage aus der Ferne beobachtet und jetzt auf einmal … liebte er sie. Wie konnte das sein? Ohne nachzudenken, zog er sie wieder fester an sich, vergrub seine Hände in ihren langen, blonden Haaren und küsste sie. Ihre Lippen sind so weich, dachte er lächelnd. Meine geliebte Helen. Wie ein Tsunami brachen alle Erinnerung an Helen über ihn herein. Von ihrer ersten Begegnung bis zu dem Gute-Nacht-Kuss, den er ihr am Samstag, bevor er sie verlassen hatte, gegeben hatte. Lucas vertiefte den Kuss, jetzt wo er alles wieder wusste und im klar wurde, wie sehr er sie unbewusst vermisst hatte. „Helen, ich liebe dich so sehr. Ich weiß nicht, wie ich jemals auf die Idee kommen konnte, dich vergessen zu wollen. Kannst du mir verzeihen?“ Helen nickte. Sie hatte Freudentränen in den Augen und drückte Lucas fester. „Ich habe dich so vermisst.“, flüsterte sie in sein Ohr. „Wieso hast du mich aus der Unterwelt verbannt?“ „Ich kenne dich, Helen. Du wärst mir gefolgt und hättest dein Leben und alle, die du liebst wegen mir zurückgelassen. Ich will doch nur, dass du glücklich bist und hier wärst du es nie geworden.“, sagte er. „Ich will nur bei dir sein. Egal, wo wir dann sein werden.“, erwiderte Helen. „Das will ich auch, aber ich könnte niemals damit leben, wenn du für mich alles aufgibst. Ich wünsche mir ein erfülltes, glückliches Leben für dich. Auch wenn ich nicht dabei sein werde.“ Das trieb Helen wieder die Tränen in die Augen. Sie hatte in der letzten Zeit so viel geweint, dass sie sich fragte, woher sie die ganzen Tränen nahm. „Du bist bestimmt einsam hier unten.“, stellte sie fest. „Vermisst du dein altes Leben?“ Lucas schüttelte den Kopf. „Außer an dich, kann ich mich nicht erinnern. Da gibt es kein ‚altes Leben‘. Nur das hier.“ Lucas löste sich von Helen und deutete um sich auf die Unterwelt. Helen konnte nicht nachfühlen, wie es ihm gehen mochte – so ganz ohne die Erinnerung an seine eigene Vergangenheit, aber ihr war auch klar, dass Lucas jetzt der ‚neue Hades‘ war. Das war jetzt seine Welt, sein Zuhause. … Doch selbst Hades konnte die Unterwelt verlassen. Er tat es nur selten, aber er hatte die Möglichkeit. „Lucas, hast du jemals versucht, auf die Erde zurückzukehren?“, fragte sie, als ihr die Idee kam, dass Lucas es auch können müsste. „Wozu? Es gab für mich keinen Grund. Wieso fragst du?“ „Weil Hades die Unterwelt verlassen konnte. Wenn du das auch kannst, können wir zusammen sein.“, erklärte Helen hoffnungsvoll. „Wie stellst du dir das vor? Ich habe hier eine Aufgabe zu erfüllen. Ich muss den Eid, den ich geschworen habe, Folge leisten …“ „Das wirst du. Aber hier geht die Zeit doch sowieso anders. Du könntest tagsüber auf der Erde sein und nachts kommen wir in die Unterwelt. Sieh es als Teilzeitjob. Bitte, sag ja. Bitte.“, schlug sie vor und sah ihn mit einem bettelnden Hundeblick an. Und egal, wie sehr er es versuchte, ihren bernsteinfarbenen Augen konnte er nicht widerstehen. „In Ordnung. Die Nächte werden ab jetzt wohl viel länger.“ Helen fiel ihm wieder um den Hals und küsste ihn auf den Mund. „Dann gehen wir nach Hause.“, sagte sie lächelnd, als sie sich wieder von ihm gelöst hatte. „Wo genau liegt ‚Zuhause‘?“, fragte Lucas verlegen. „Auf Nantucket. Eine kleine Insel an der Küste von Massachusetts. Du wirst es lieben.“ „So sehr wie dich? Wohl kaum.“, scherzte Lucas. „Komm, ich zeige es dir.“ Helen nahm seine Hand und brachte sie beide nach Hause. Sie erschienen in Helens Zimmer auf ihrem Bett. Draußen war es noch dunkel. Es war noch tiefste Nacht. „Dein Zimmer.“, sagte Lucas lächelnd. „Ich erinnere mich.“ Helen kuschelte sich in ihrem Bett an Lucas, der lächelnd die Arme um sie legte. „Da bin ich ja froh.“, gähnte sie. „Morgen früh gehen wir zu dir. OK?“ Lucas zögerte. „Meine Familie?“, fragte er. „Genau.“ „Erzähl mir vor ihnen. Wie sind sie so?“, bat er sie. „Da ist deine Mutter, Noel. Sie ist eine sehr herzliche Frau und eine herausragende Köchin. Und obwohl sie normalsterblich ist, hat sie das Sagen im Haus. Ich mag sie sehr gerne. Dann dein Vater, Castor. Er ist ein sehr starker Scion und der Anführer von deinem Haus, dem Haus von Theben. Er kann ziemlich streng sein, aber nicht so wie Noel. Du hast auch noch eine kleine Schwester. Cassandra ist 15 und ein Orakel. Sie hat aber schon seit einem Jahr keine Prophezeiung mehr abgegeben. Sie benimmt sich auch viel erwachsener als andere Mädchen in ihrem Alter, aber manchmal kann sie auch ziemlich kindlich sein. Bei euch leben auch noch dein Onkel Pallas, dein älterer Cousin Hector und seine Freundin Andy, dein jüngerer Cousin Jason und seine Zwillingsschwester, deine Cousine Ariadne und Orion, Hectors bester Kumpel und unser gemeinsamer Blutsbruder. Du wirst sie alle morgen kennenlernen. Versprochen.“ „Orion? Er war bei mir. Er hat mir auch gesagt, er sei mein Blutsbruder und ich habe ihm nicht geglaubt. Ich werde mich bei ihm entschuldigen müssen.“, gestand Lucas. „Ich glaube, er sieht das nicht so eng. Das klären wir morgen, ja? Es ist dann Samstag. Wenn wir uns rausschleichen, bevor mein Dad und Kate aufstehen, werden sie uns nicht unnötig aufhalten. Deine Familie vermisst dich. Sie werden dich sehen wollen.“, erklärte Helen müde. „Ich wünschte, ich würde sie auch vermissen.“, seufzte Lucas. „Mach dir keine Gedanken.“, gähnte das Mädchen. „Bist du müde? Lass uns schlafen.“, beschloss Lucas und gab ihr einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn bevor er sie beide zudeckte. „Gute Nacht, Lucas.“ „Nacht, Helen.“ Am nächsten Morgen wachte Helen auf und brauchte einen Moment, um sich zu sortieren. Dann bemerkte sie einen warmen Körper neben sich. Lucas. Achja, richtig, dachte sie sich, er ist wieder da. Sie strich mit einem glücklichen Lächeln über seine Haare, während er noch schlief. Er sah so jung und befreit aus, wenn er schlief. Er hatte dann keine Sorgen. Langsam regte er sich, also zog Helen schnell die Hand weg. „Guten Morgen.“, begrüßte sie ihn. „Morgen.“, säuselte er, zog sie an sich und küsste sie. „Ich kann nicht glauben, wie ich dich vergessen konnte.“, wisperte er gegen ihre Lippen. „Ich kann nicht glauben, wie ich jemals ohne dich leben sollte. Ich liebe dich, Lucas.“ „Und ich dich, Helen. Stehen wir auf? Ich will meine Familie treffen.“ Da konnte Helen natürlich nicht ‚Nein‘ sagen. Sie stand auf und zog sich eine Jeans und einen bequemen hellblauen Pulli mit V-Ausschnitt an. Sie griff zu ihrer Haarbürste und bürstete einige Mal durch ihre zerzausten blonden Haare. Als sie sie zu einem Pferdeschwanz zusammenbinden wollte, hielt Lucas sie ab. „Ich finde sie offen viel schöner.“, argumentierte er. Helen grinste ihn an und legte das Haargummi beiseite. „Dann bin ich fertig. Wir können los.“, sagte sie und ging zum Fenster. Sie öffnete es, sprang raus und hielt Lucas dann auffordernd, ihr zu folgen, die Hand hin. Er nahm sie gerne an und folgte ihr bis zur Haustür. „Ich hätte gerade Lust auf eine Überraschung.“, sagte sie bevor sie klingelte. „Mach dich mal unsichtbar.“ Lucas wusste nicht ganz, worauf Helen hinaus wollte, gehorchte ihr aber dennoch. Dann klingelte Helen und Noel öffnete ihr sogleich die Tür. „Morgen Noel. Was für ein schöner Tag.“, begrüßte sie Noel fröhlich, verschwand im Haus und ließ eine völlig verdatterte Noel stehen. „Guten Morgen, Leute. Wie geht es euch?“, rief sie im Esszimmer, wo gerade gefrühstückt wurde. „Helen, du hast aber gute Laune. Ist irgendwas passiert?“, fragte Andy. „Ausnahmsweise ist heute noch nichts Schlechtes passiert, wie an den letzten beiden Wochenenden. Das ist doch schon mal ein Fortschritt. Oh … und wir haben eine Überraschung für euch. Kommt doch mal alle ganz schnell ins Wohnzimmer.“, erklärte sie und ging sogleich in besagtes Zimmer. Gefolgt von der gesamten Familie „Was ist denn…“, begann Hector, brach aber sofort ab. „Wie kann das sein?“, staunte Jason. Dort auf dem Sofa saß Lucas und lächelte sie alle unsicher an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)