402 Jahre später von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 6: "Shinda, was passiert bloß mit mir?" ----------------------------------------------- Shinda keuchte auf, als Maya ihm unvorgewarnt einen rosa Stein an die Brust drückte. Es geschah nichts. Jedenfalls nicht das, was Maya sich erhofft hatte. Shindas Hände wanderten suchend in die Taschen seiner Lederjacke und fanden ... nichts! Der Rosenquarz war wirklich weg. Den hielt jetzt Maya eigenhändig auf seine Haut. Unfassbar. Der Dämon holte aus und klebte Maya eine, daß der rückwärts zu Boden taumelte und den Stein fallen lies. „Du überhebliche Schlange!“, zischte Shinda. Maya rappelte sich ächzend wieder in eine sitzende Position hoch und hielt sich die Wange, auf der sich ein deutlicher Handabdruck abzeichnete. „Es hat ja gar keine Wirkung auf dich!“, stellte er völlig perplex fest. „Natürlich nicht! Auf jeden Dämon wirken andere Steine, du Idiot. Der Rosenquarz gehört bei mir zufällig nicht dazu. Wann zur Hölle hast du mir den gestohlen?“ Stinksauer sammelte Shinda den Quarz wieder ein und steckte ihn zurück in seine Tasche wo er hingehörte. „Wieso hat der keine Wirkung auf dich?“ „Wieso verlangst du, daß er eine Wirkung auf mich haben muss? Willst du mir um jeden Preis schaden? Was ist nur in dich gefahren?“ Der Stein hatte durchaus eine Wirkung gehabt, die Berührung hatte echt wehgetan. Shinda selbst vertrug keinen Rauchquarz, und da war der Student mit seinem Rosenquarz schon ziemlich nah drangewesen. Aber das würde er Maya natürlich nicht sagen, so wie der gerade drauf war. „Sag es mir, Maya! Warum versuchst du neuerdings ständig, mich umzubringen oder mich zu verletzen? Seit wann hasst du mich so?“ „Tu ich doch gar nicht.“, gab der Braunhaarige zurück und raffte sich auf. „Ich versuche lediglich zu lernen, wie man gegen Dämonen vorgeht. Wir ziehen hier in eine großangelegte Dämonenschlacht und werden sicher etliche mehr von denen am Hals haben als Koyas Hundert. Ich will mich effektiv wehren können. - Wieso bringst du mir nicht einfach mal was bei?“, schlug er selbstgefällig vor. „Damit du es dann gleich mal an mir testen kannst, oder was? Vergiss es. Jetzt bringe ich dir ganz sicher nichts mehr bei. Und wenn du mir noch einmal was anzutun versuchst, werde ich dir ein Messer zwischen die Rippen rammen, nur um zu sehen ob du auch so lustig blutest wie diese Typen in den Horrorfilmen! - Sieh zu, daß du in die Gänge kommst! Wir brechen auf zum Galgenfelsen.“ Fünf und Koya schritten Seite an Seite voran. Ihnen auf dem Fuß folgten die einhundert geflügelten Dämonen mit den Fuchswappen auf der Brust. Maya hatte inzwischen herausgefunden, daß Koya sich wohl in einen Fuchs zu verwandeln pflegte. Jedenfalls nannte man ihn , so wie man Fünf nannte. Daher das Wappen. Maya und Terry bildeten die einsamen Schlusslichter der ganzen Prozession. Jetzt wo Fünf seinen Feind hatte, brauchte er die Menschen nicht mehr als Gesellschaft. Shinda schien nicht böse darüber. Er wachte eifersüchtig darüber, daß Maya und Terry auch wirklich dort hinten blieben wo sie waren – am Ende der Gruppe, so weit wie möglich weg von Fünf. „Alles okay bei dir, Terry? Du siehst müde aus.“, meinte der Geschichte-Student, weniger weil es ihn in irgendeiner Weise interessierte, sondern weil ihn das Schweigen noch viel mehr nervte als mit ihr reden zu müssen. Sie rieb sich die Augen. „Hmmm. Ich hab nur furchtbar schlecht geschlafen.“ „Die Traumfänger?“ „Nein, die Brennnessel-Stiche. Sie tun immer noch mörderisch weh. Ich kann nicht liegen. Oder sitzen. Oder mich sonst irgendwie normal bewegen.“ „Frag doch mal Shinda, ob er was dagegen weis. Er hilft dir bestimmt.“ „Hat er schon. Ohne würde ich es ja gar nicht aushalten.“, seufzte sie und rückte ihren Rucksack auf den geröteten Schultern zurecht. Nun half es auch nichts mehr, langärmliche Sachen zu tragen. Maya war immer noch ein wenig der Meinung, sie sei selber Schuld an ihrer Situation, aber er sparte sich einen entsprechenden Kommentar. Stattdessen wurde seine Aufmerksamkeit von einem gewissen rot-orangen Farbspektrum angezogen, das über ihnen den Himmel erfüllte. Es war eine Aura, aber sie hatte eine gewaltige Ausdehnung. Wenn das ein Wesen war, dann war es riesig. „Shinda ...???“ Der Dämon sah ihn kurz zwischen genervt und fragend an und folgte dann seinem Blick zu den Wolken hinauf. Und wieder zu ihm. „Was!?“, wollte er schlecht gelaunt wissen. Er sah offenbar nichts. „Was ist das da oben?“ „Wo denn?“ Shinda begann missmutig, den Himmel genauer abzusuchen, kam aber auch weiterhin zu keinem Ergebnis. Es war wohl nicht nur für Menschen unsichtbar, stellte Maya beklommen fest. „Eine Aura, direkt über uns. Sie ist gigantisch.“ Shinda schaute intensiver nach oben. Lange. Und blinzelte immer wieder. Er hatte wohl begonnen, alle Wahrnehmungsebenen durchzugehen, die ihm zugänglich waren. Doch was immer es war, es schien sich auf allen Ebenen recht erfolgreich zu verbergen. „Ich erkenne es nicht eindeutig, aber ich schätze, es sind Dämonen.“ Shinda sah sich suchend um. „Wohl das hundert-Mann-Heer eines weiteren Höllenfürsten. Aber wo ist der Anführer? ... Egal, lass uns weitergehen.“, entschied er dann. „Egal? Noch mehr Höllenfürsten und Unterwelt-Dämonen, das ist eine Katastrophe!“, jaulte Terry hysterisch auf. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Nerven noch mehr von denen vertrugen. „Unsinn. Die werden keinem was tun. Diese Schlacht ist in Ort und Zeit abgesprochen, es wird keiner den anderen vorzeitig angreifen.“ Shinda stand mit verschränkten Armen hinter dem braunhaarigen Jungen und schaute skeptisch-sauer über dessen Schulter. Es war schon wieder Abend und sie waren immer noch nicht aus dieser blöden Klamm heraus. Shinda hatte nicht gedacht, daß der Galgenfelsen so weit weg sein würde. Der Student war so vertieft in sein Treiben, daß er Shindas Anwesenheit gar nicht bemerkte. Der Dämon beobachtete missmutig, wie Maya einige zweifelhafte Substanzen in einem kleinen Kessel zusammenrührte und dann alles mit Wasser aufgoss. „Maya, was tust du da?“, wollte Shinda in drohendem Tonfall wissen, um den Jungen überhaupt erstmal auf sich aufmerksam zu machen. An sich hatte er schon eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was Maya da tat. Aber es fehlte noch etwas entscheidendes, von dem er sich kaum vorstellen konnte, daß Maya es hatte. Der Geschichte-Student fuhr kurz erschrocken herum. „Ach, du bist es bloß.“, stellte er dann beinahe tadelnd fest. „Ich rühre Schlamm an.“ Unbeeindruckt hantierte er weiter mit seinem Kessel herum. „Wofür?“ „Das soll gegen Terrys Brennnessel-Stiche helfen. Sie hat immer noch Probleme mit den Schwellungen.“ „Ah ja, und deshalb rührst du Juckpulver mit rein?“ „Juckpulver?“ „Gemahlene Hagebutten-Samen!“, konkretisierte Shinda, langsam ungeduldig werdend. Maya versucht hier tatsächlich, ihn für dumm zu verkaufen! „Hagebutten heilen doch.“, hielt Maya dagegen. „Als Tee, ja, aber nicht als Pulver in einer Schlammpackung. Was soll das für ein Zauber werden, den du da vorbereitest? Du versuchst doch nicht etwa eine Sprengstoff-Fontaine!? Maya!!!???“ „Nein, tue ich nicht.“ „Besitze jetzt nicht die Frechheit, mich anzulügen!“, verlangte Shinda ungehalten. „Ich weis zwar nicht, wo du die nötigen Substanzen dafür her hast, oder das Wissen, aber ich erkenne die Art der Zubereitung ganz genau! Das ist größenwahnsinnig, Maya! Das wirst du nicht schaffen, so gut bist du als Hexer bei weitem nicht!“ Shinda trat einen Schritt vor, um sich den Kessel zu schnappen und schreckte zurück, als er plötzlich die Mündung einer Pistole vor der Nase hatte. Das war zuviel! Schnell zwang er sich, den Schreckmoment zu übergehen, griff hart in die Revolvertrommel um die Feuermechanik der Pistole zu blockieren und riss Maya die Waffe aus der Hand. „Hast du eine Macke!?“, zeterte er wütend los. „Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ Maya sah einen Augenblick lang erstaunt auf die Waffe in Shindas Hand, überrascht über diese unerwartete Entwaffnung, dann beließ er sie mit einem Schulterzucken dort wo sie war, und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu. „Ich hab die Nase voll mit dir!“, meckerte Shinda ungehalten weiter, sicherte den Revolver und steckte ihn ein. „Ach, tu doch nicht so, als ob Kugeln dir was anhaben könnten.“ „Darum geht es überhaupt nicht! Allein diese bodenlose Frechheit, eine Waffe auf mich zu richten! Wir sind Freunde, vergiss das nicht! - Und jetzt hör endlich auf, diesen selbstmörderischen Zauber vorzubereiten! Du wirst uns alle umbringen!“ Maya kippte trotzig noch eine Ladung Wasser dazu und schon flog ihm mit einem bombastischen Rumms der ganze Kessel samt Inhalt um die Ohren. Shinda konnte ihn gerade noch am Kragen packen und zurückzerren, bevor der aufsteigende, ätzende Dampf ihm in die Atemwege stieg. Fassungslos schaute Maya auf den Stein, auf dem gerade noch der Kessel gestanden hatte. Eine ekelige Pfütze auf dem Boden markierte noch die Stelle. Obwohl Maya den Schmodder nicht auf Feuer gekocht hatte, blubberte er noch wie ein Kochtopf, während er sich langsam in die Erde fraß und ein größer werdendes Loch hinterließ. Shinda riss ihn an der Schulter herum, um sich zu vergewissern, daß der Student nichts von dem Zeug ins Gesicht bekommen hatte. Dann klatschte er ihm eine, daß ihm hören und sehen verging. „Shinda, was passiert bloß mit mir? Ich erkenne mich selbst nicht wieder.“, meinte Maya leise, als sie etwas später zusammen am Lagerfeuer saßen. Der Vorfall mit dem explodierenden Kessel hatte ihn ein gutes Stück weit in die Realität zurückgeholt. Er hatte eingesehen, wie überheblich sein Vorhaben gewesen war – zumindest vorläufig. Shinda war sich sicher, daß der Effekt nicht lange halten würde. „Das ist der Einfluss der Unterwelt. Es bekommt dir nicht, mit einem Unterwelt-Dämon durch die Gegend zu ziehen. Seine Gegenwart lässt Menschen schlecht werden und lässt sie negative Züge entwickeln. Daher haben Dämonen ihren gemeinhin dämonischen Ruf, weil die bloße Anwesenheit eines Unterwelt-Dämons die Menschen verdirbt. Bei den Fürsten ist es noch unmittelbarer als bei den gewöhnlichen, da dauert es zumindest ein paar Tage.“ „Aber Teresa hat sich nicht verändert.“ „Noch nicht, abgesehen von der einen Aktion für die Fünf sie in die Brennnesseln geschickt hat. Sie ist wohl sehr charakterstark. Aber es wird auch an ihr nicht spurlos vorübergehen, glaub mir. Es trifft ausnahmslos jeden, den einen früher, den anderen später.“ „Shit ... Es war ein Fehler, Teresa zu begleiten. Du hattest Recht.“ Shinda zuckte mit den Schultern und begann, mit einem Zweig Muster in den Boden zu kratzen. „Hätten wir sie nicht begleitet, hätten wir sie ins offene Messer laufen lassen. So können wir zumindest das schlimmste verhindern. Sicher war es nicht falsch, sie zu begleiten, aus moralischer Sicht. Es war ein Fehler, ja, aber nicht wegen ihr. Sondern wegen diesem Dämon. Du hast ja keine Ahnung, wer der Kerl wirklich ist.“ „Und du hast auch nicht vor, es mir zu sagen.“ „Nein. Und es ändert jetzt auch nichts mehr.“ Maya nickte betrübt. Das Fünf einer der Höllenfürsten war, hatte ihn schon weithin überrascht. Was konnte das denn noch toppen? Nun, sicherlich wollte man ihn nicht ohne Grund loswerden. „Bist du mir böse?“ Der Dämon kratzte weiter mit dem Stock über den Boden. Nachdenklich. Antwortete lange Zeit nicht, bis er schließlich seufzte. „Ich weis es nicht. Es ist gerade nicht einfach mit dir. Auch wenn ich weis, wo das alles herrührt.“ „Verlass mich nicht, Shinda, bitte. Halte mich auf, wenn ich zu weit gehe! Ich weis, ich bin schon mehr als einmal zu weit gegangen. Und ich weis, ich werde es wieder tun. Bitte, schütze mich.“ Shinda sah kurz auf, maß seinen Freund mit humorlosem Blick, schaute dann wieder seiner am Boden kreisenden Astspitze zu. Erneut brauchte er einige Zeit, bis er seine Worte mit der notwendigen Sorgfalt gewählt hatte. „Du bist gut ausgebildet, Maya. Und das macht dich um so gefährlicher. Selbst für mich ist es inzwischen verdammt schwer, dich aufzuhalten, ohne dich ernsthaft zu verletzen. Ich weis nicht, wie du erst drauf sein wirst, wenn wir auch den anderen Unterwelt-Dämonen noch begegnen. Ihre Anwesenheit wird dich noch viel stärker machen. Und noch böser.“ Etwas besorgt schaute Shinda hinauf zum Klippenrand, wo die gewaltige orange Aura von der Anwesenheit weiterer, mächtiger Kreaturen kündete. Wenn er nur wüsste, wer! Hosted by Animexx e.V. 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