402 Jahre später von Futuhiro ================================================================================ Prolog: Dämon! -------------- Gelangweilt suchte sie Regal um Regal ab und zog eines der Bücher heraus, dessen Titel Informationen zum Thema versprach. Physikalische Komponenten des Maschinenbaus. Entsetzlich langweilig. Wenn sie ihren blöden Vortrag für das Studium doch nur schon hinter sich hätte. Mühsam fischte sie also das Buch ihrer Wahl aus dem hoffnungslos überfüllten Regal und lies es kreischend fallen, als in der dahinterliegenden Dunkelheit ein Paar rote Augen aufglühten. Sie prallte rücklings gegen einen anderen Bücherschrank und hielt sich den Mund zu, um nicht noch mehr unkoordinierte Laute von sich zu geben. Rote Augen. Hatte sie sich das eingebildet? Leuchtende Augen in der Dunkelheit vollgestopfter Schränke? „Ist alles okay, Terry?“ Der Kopf ihres Kommilitonen erschien im Gang und fragende Augen musterten sie. Teresa schaute kurz zu ihm, dann wieder auf die Lücke im Bücherregal. Da war nichts. Nur Staub und Schwärze. „Ja ... entschuldige ... an dem Buch hing eine Spinne, ich hab mich nur erschreckt.“, log sie und hob mit zittrigen Fingern den fallengelassenen, dicken Wälzer wieder auf. Liam schaute sie noch einen Moment skeptisch bis strafend an und verschwand dann kopfschüttelnd wieder im Biochemie-Abteil, um an seinem eigenen Thema weiterzuarbeiten. Sie strich sich ihre kupferroten Haare hinter die Ohren und holte tief Luft. Trat näher an das Regal heran. Da war wirklich nichts. Nur Schatten zwischen alten Büchern, die vermutlich noch nie jemand gelesen hatte. Nur Einbildung, redete sie sich ein, schaute nochmal rückversichernd den Gang hinauf und hinunter und griff dann nach dem nächsten Einband, um die Lücke im Regal zu vergrößern und mehr zu erkennen. Ein leises Knurren erklang, als sie es hervorzerrte. Es war ein schwerer, wuchtiger Lexikonband, aber wieso zur Hölle knurrte er? Teresa quiekte erneut, als ihr das unhandliche Lexikon regelrecht entgegengeschleudert wurde, etwas dahinter hervorschoss, ihr wild ums Gesicht flatterte wie eine aufsässige Fledermaus, und sie erschrocken zu Boden stürzte. Dann Ruhe. Einige Sekunden lang blieb sie einfach nur zusammengekrümmt liegen, die Arme schützend um den Kopf geschlungen, wagte kaum zu atmen. Sie wartete. Aber es geschah nichts. „Zur Hölle, was treibst du da drüben, Teresa?“, hörte sie Liam durch die halbe Bibliothek rufen. Vorsichtig lugte das zierliche Mädchen zwischen ihren Armen hindurch und erstarrte, als ihr Blick auf den jungen Mann mit den wilden Wuschelhaaren und der Leder-Kombi fiel, der direkt über ihr stand. Er schaute mit verschränkten Armen und aus mitleidlosen roten Augen auf sie herab. Rote Augen, wohlbemerkt. Es dauerte noch einen weiteren Moment, bis Teresa realisierte, daß die großen Dämonenflügel auf seinem Rücken tatsächlich Flügel und echt waren. „Terry?“ Sie fuhr herum, als Liams Stimme direkt hinter ihr erklang. „Warum antwortest du nicht? Was tust du da unten?“ Fast etwas genervt griff er nach ihrem Ellenbogen und half ihr wieder hoch. Mit großen Augen schaute sie zwischen ihm und dem schwarzhaarigen Dämon hin und her. Ihr Kommilitone bückte sich nach dem Lexikon, hob es auf und drückte es ihr in die Hand. „Alles klar bei dir?“, vergewisserte er sich, als sie immer noch kein Wort hervorbrachte. Kurz folgte sein Blick dem ihren und wanderte dann fragend zurück zu ihr. Er konnte den geflügelten jungen Mann nicht sehen, wurde ihr klar. War er dann überhaupt echt? Oder halluzinierte sie? „Ich ... ähm ... ja, danke.“, stammelte sie, unschlüssig was sie sagen sollte. Wieder ruckte ihr Blick zu dem schwarzhaarigen Kerl, der ihr nun mit spitzen Eckzähnen entgegengrinste. Liam zog ein besorgtes Gesicht. „Du solltest besser nach Hause gehen.“, beschloss er. „Ja, du hast Recht.“ Liam nahm ihr das Lexikon wieder weg, stopfte es zurück ins Regal und schob sie dann mit einem Arm vorsichtig vor sich her aus der Bücherei hinaus, als rechne er jeden Moment damit, sie auffangen zu müssen. Teresa warf einen letzten Blick über die Schulter zurück, aber der Dämon war spurlos verschwunden. Kapitel 1: "Aber du glaubst mir, ja?" ------------------------------------- Maya stopfte die Hände in die Jackentaschen und ging weiter. Er ignorierte den alten Geist mit den lückenhaften Zähnen und strähnigen Haaren, der leise heulend über ihm vorbeizog. Geister zu sehen war für ihn schon lange nichts ungewöhnliches mehr. Und irgendwie machte es das Leben zunehmend langweiliger. Er beherrschte inzwischen ein recht ordentliches Sortiment an magischem Können, und damit gingen automatisch gewisse übernatürliche Fähigkeiten wie das Sehen der Aura oder Geistern einher, ob er es wollte oder nicht. Aber natürlich konnte er das keinem sagen. Das hier war ein aufgeklärtes Zeitalter. Hätte er jemandem erzählt, daß er Geister sah, hätte man ihn in die Psychiatrie gesperrt. Hätte er jemandem gezeigt, daß er zaubern konnte, hätte man ihn für den Rest seines Lebens isoliert in irgendwelchen Hochsicherheits-Forschungslabors festgehalten. Er beherrschte Magie, durfte aber keinen davon wissen lassen. Es war wie das Wissen um eine Schatzkammer, die man nie betreten durfte, obwohl man den Schlüssel dazu schon in der Hand hielt. Es ödete Maya an, zu wissen, daß das Leben noch so viel mehr zu bieten hatte, er aber immer in der gemeinhin für real befundenen Welt feststecken würde. Seinem Geschichte-Studium maß er nicht mehr viel Bedeutung bei, er führte es lediglich fort, weil er sonst nichts besseres mit sich anzufangen wusste. Dem Magierzirkel von Professor Undo und Rubiko hatte er nur zwei Besuche abgestattet, um dann zu entscheiden, diesem nicht beizutreten. Die Hexen waren weit unter dem, was Shinda ihm inzwischen beigebracht hatte. Sie hatten ihm absolut nichts zu bieten, keiner von denen konnte ihm das Wasser reichen. Noch so ein Punkt, der Maya nervte. Zu wissen, daß er der einzige war. Maximal Shinda selbst hatte in Sachen Magie noch mehr auf dem Kasten als er selber, aber Shinda sah keine Veranlassung, mit Maya in irgendeiner Weise zu konkurrieren. Maya fehlte es an Herausforderung. „Huuuuuuuuuuhuuuuiiii.“, jaulte der Geist und begann den jungen Studenten zu umkreisen. „Geh weg, lästiger Nebelfetzen.“, nörgelte der Student. „Musst mir heeeeeeelfeeeeen!“ „Nein.“ „Musst mir heeeeeeelfeeeeeen!“ „Ich WERDE dir nicht helfen!“ „Weist doch gar nicht wobeeeeeeeiiiiiiiii.“, heulte der Geist. „Verschwinde, sag ich!“ Genervt ging Maya einen Schritt schneller. Er wollte gar nicht wissen, wobei er dem spukigen Gesellen helfen sollte. Geistern war nicht zu helfen. Sie verschwendeten allenfalls die Zeit der Lebenden. Er hatte noch nicht so richtig rausbekommen, woher Gespenster überhaupt wussten, daß er sie sehen konnte. Das konnten Menschen ja für gewöhnlich eigentlich nicht. Aber aus irgendeinem Grund zog er sie an wie ein Magnet. Zum Glück gab es nicht so viele von ihnen, daß man alle Nase lang über sie stolperte. Sie waren eher selten. „Huuuuuuuuuuuuuuh!“, jammerte der alte, durchsichtige Kerl weinerlich und umkreiste Maya weiter, wohl in dem Glauben, er könne ihn so umstimmen. Der Junge holte eine Pfeife aus seiner Jackentasche und blies darauf. Sie war magisch und erzeugte ein ekelhaftes Geräusch wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel. Maya hasste dieses Geräusch selbst, aber wenigstens hielt es ihm die nervigen toten Seelen vom Leib. Der Alte sauste auch sogleich wimmernd davon. „Uaaaah, Maya, wie oft muss ich dir noch sagen, daß du das lassen sollst?“ Shinda kämpfte sich durch ein Gestrüpp hindurch auf den Waldweg zurück. Er hatte im Wald Pilze suchen wollen, aber sein Einkaufskorb war noch auffallend leer. Logisch, es war Frühling. Maya hatte sich gar nicht erst mit ins Unterholz gestürzt, er spazierte nur auf den befestigten Wegen herum. „Tut mir leid. Ich vergesse immer, daß du das über so große Entfernung hörst.“ „Was ist passiert?“ „Nichts. Hab nur einen aufsässigen Geist verjagt.“ Der Dämon mit den wilden, schwarzen Haaren seufzte. „Ich muss dir echt mal was gegen diese Dinger beibringen. Deine Pfeife ist ja schön und gut, um Geister zu verscheuchen, aber du verrätst deine Position damit im Umkreis von etlichen Kilometern jedem, der es besser nicht wissen sollte.“ „Wem zum Beispiel?“ Mayas Laune hob sich wieder etwas, als er sich wieder in Gesellschaft seines dämonischen Kameraden wähnte. „Naja ... hier in Mitteleuropa gibt es zum Glück nicht allzu viel, wovor der gewöhnliche Mensch Angst haben müsste. Andere Dämonen und die Wurzelknilche interessieren sich nicht für euch. Aber in anderen Gegenden hättest du sofort eine Horde Werwölfe und Trolle am Hals. In Ägypten würdest du dir damit Sphinxen und Manticore einhandeln. Und oben im Norden Benchees, ganz miese Viecher.“ „Trolle.“, gab Maya ironisch zurück. „Ja, Trolle! Die Legenden kommen nicht von ungefähr, Trolle gibt es wirklich.“ Der Geschichte-Student winkte ab und schickte sich an, weiterzugehen. „Schon gut. Bring mir halt irgendwas bei, was die Pfeife ersetzt.“, lachte er. „Denkst du manchmal noch an Ying-Dai?“, wollte Maya gedankenversunken wissen, als er mit Shinda weiterging. „Ja, ab und zu schon. Ich rechne oft damit, um irgendeine Hausecke zu laufen und ihm plötzlich gegenüber zu stehen. Manchmal laufe ich ziellos draußen rum und suche ihn regelrecht. Aber er ist einfach nie da.“ „Vermisst du ihn?“ „Nicht wirklich. Ich habe auch nicht den Drang, mit ihm zu gehen. Aber ich hätte gern ein klärendes Gespräch mit ihm geführt, ohne daß er dabei versucht, irgendwen umzubringen. Da ist so viel, was ich ihn gern fragen würde. ... Wie steht es mit dir?“ Maya seufzte. „Ähnlich. Er geht mir oft tagelang nicht aus dem Kopf. Er hat ja selbst gesagt, daß er weiterhin ein Auge auf uns haben würde und dich holen will.“ ** „Teresa, du siehst furchtbar aus. Wirst du krank?“, wollte Liam wissen, als er seine Kommilitonin eine Woche später wiedertraf. Terry schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich hab nur schlecht geschlafen.“ „So wie du aussiehst, hast du seit Tagen GAR NICHT mehr geschlafen.“ „Ja, so kann man´s auch sagen.“ Liam maß sie mit abschätzendem Blick. „Ist alles okay bei dir? Hast du Probleme?“ Er machte sich wirklich Sorgen um sie. Teresa war zwar nicht seine Freundin, aber schon irgendwas kurz davor. Sie verbrachten viel Zeit zusammen und sie bedeutete ihm eine Menge. Eigentlich fehlte es nur noch an der offiziellen Frage, ob sie mit ihm gehen wolle. Bisher hatte er sich aber noch nicht getraut. Terry wog kurz nachdenklich den Kopf hin und her. „Nein. Das ist nichts. Es ist total verrückt, aber nur eine Phase, das geht wieder vorbei.“ „Sag es mir.“ „Nein. Du wirst mich für übergeschnappt halten.“ „Ja, so fertig wie du aussiehst, definitiv!“ Terry seufzte. „Glaubst du an Dämonen?“, fragte sie dann gerade heraus. Liam verengte die Augen. „Ja.“, gab er ernsthaft zurück. „Aber warum zum Henker glaubst DU an sowas?“ „Wie, du glaubst an sie?“ „Ich bin einem Kerl begegnet, von dem ich mir relativ sicher bin, daß er zumindest kein Mensch war.“ Terry schaute sich erschrocken auf dem Hof der Universität um, ob auch niemand mithörte. „Du hast einen gesehen?“, hakte sie dann nach, als sie sicher war, daß sich niemand in Hörweite befand. „Du musst mir davon erzählen!“ Liam schaute zu Boden, halb weil er überlegen musste wie er am besten anfangen sollte, halb weil er sich dafür schämte. Sicher war es jetzt an Terry, ihn für verrückt zu halten. Das war schon so lange her, er konnte kaum noch sagen, was davon er wirklich erlebt hatte und was er sich nur zusammensponn. „Es gibt hier an der Uni einen Typen, er heißt Maya, du wirst ihn sicherlich nicht kennen. Es war vor zwei Jahren. Ich war damals noch mit Duncan in dieser Boxer-Gang, du weist schon, und wir haben Maya regelmäßig verprügelt. Haben ihm Geld abgeknöpft, oder die Hausaufgaben. Er war ein leichtes Opfer. Eines Tages brachte Maya diesen ... Kerl ... mit zur Uni.“, betonte Liam, weil ihm kein passenderes Wort einfallen wollte, das dennoch den Tatsachen entsprach. „So ein Gothic-Freak mit schwarzen Klamotten, roten Kontaktlinsen und Tätowierung im Gesicht, der Maya den ganzen Tag lang nachgelaufen ist und in den Vorlesungen nur geschlafen hat. Ich schätze, Maya wusste einfach nicht wohin mit ihm, und hat ihn deshalb mit zur Uni gebracht. An diesem Tag haben wir Maya wieder aufgelauert. Wir wollten ihn und seinen Gothic-Kumpel ein bischen verprügeln, und wissen, wer der Typ ist. Und der Kerl hat uns einfach nur in Grund und Boden gestampft, obwohl wir zu sechst waren. Er hat Duncan den Arm gebrochen, Hiller ein paar Zähne ausgeschlagen, Jim mit den Fingernägeln halb zerfleischt, ich war wochenlang grün und blau ... ich schwöre dir, er hatte rot leuchtende Augen und Eckzähne wie ein Vampir und er ist geflogen!“ Liam atmete tief durch, um sich nicht zu übereifern. „Naja, die leuchtenden Augen und daß er fliegen konnte, hab ich mir vielleicht auch nur eingebildet. Es war dunkel und ich war starr vor Entsetzen. Aber Fakt ist, er hat sechs ausgebildete Boxer zusammengeschlagen, einfach so. Seine Kraft war übermenschlich. Der Typ WAR kein Mensch, da bin ich sicher. Maya hat ihn am nächsten Tag wieder mit zur Uni gebracht, aber nur kurz, und danach nie wieder. Ich konnte ihn mir nicht nochmal genauer ansehen. Wir haben auch innerhalb unserer Boxer-Gang nie wieder ein Wort darüber verloren. Ich weis nicht, was die anderen darüber dachten. Aber von denen ist auch keiner mehr hier an der Uni, wir können sie also nicht mehr danach fragen.“ Terry nickte gedankenversunken. Rote Augen und lange, spitze Eckzähne also. „Aber Duncan und die anderen haben ihn auch gesehen, oder?“ „Verdammt, ja. Der Typ hat sie ja nach allen Regeln der Kunst aufgemischt!“ „Ich muss mit diesem Maya sprechen.“, meinte Terry in einem Tonfall, der schon ganz nach beschlossener Sache klang. „Kannst du ihn mir zeigen?“ „Erst wenn du mir sagst, was los ist!“ „Du kannst es dir anhören, wenn ich es diesem Maya erzähle.“, entschied das rothaarige Mädchen und rauschte Richtung Kantine davon. „Hi, bist du Maya?“ Maya sah von seiner Leber mit Kartoffelbrei auf und bedachte das Mädchen vor sich überrascht. Sie hatte kupferrote Locken, braune Augen hinter einer schwarzen Brille und trug schlichte Jeans und Pullover. Sonderlich schön war sie nicht, was aber nicht nur ihren übernächtigten Augenringen geschuldet war. Ihre Aura hatte matte, schmutzige Farben und zeugte von einer ungesunden Ernährung. Oder zu wenig Schlaf. Wohl einer Mischung aus beidem, entschied Maya. Jedenfalls kannte er das Mädchen nicht. War wohl Studentin hier, wie er selber. Begleitet wurde sie von einem genervt-verunsicherten Kerl, den Maya noch aus Duncans Boxclub kannte. Hieß er Liam? Seit Shinda die Boxer fertig gemacht hatte, hatte er sich um diese Typen keinen Kopf mehr machen müssen. „Ja, ich bin Maya. Wer will das wissen?“, gab er gleichmütig zurück und schob sich eine weitere Gabel Kartoffelbrei in den Mund. „Ich heiße Teresa. Man sagte mir, du wüsstest mehr über Dämonen als jeder andere.“ Maya Blick schwänkte amüsiert zu Liam hinüber. „Wer sagt denn sowas?“ „Bitte. Ich brauche deine Hilfe. Mir ist was ganz komisches passiert. Du musst mir sagen was du davon hältst.“, beharrte Terry. „Ich kann nicht behaupten, irgendwas über Dämonen oder andere paranormale Phänomene zu wissen. Aber wenn du meinst, dann setz dich. Erzähl mir was passiert ist.“, entschied Maya und widmete sich wieder seinem Essen. Momentan sah er noch keine Veranlassung, dieses verschreckte Reh ernst zu nehmen. Sie hatte sich bestimmt nur vor einer Maus bei Nacht erschreckt. Das war wieder typisch. Wenn die Schläger mit Muskelkraft nicht weiterkamen, dann stiegen plötzlich die Jungs mit Köpfchen in der Beliebtheitsskala. „Ich wurde letzte Woche in der Bibliothek von einem ... Wesen ... Ding ... was auch immer behelligt. Ich bin sicher, es war ein Dämon!“ „Wie, in der Bibliothek? Als du so komisch drauf warst? Wieso hast du nichts gesagt?“, schaltete sich sofort Liam ein. „Du hast es ja nicht gesehen! Was hätte ich denn sagen sollen?“ „Wieso hast du es mir nicht gezeigt?“ „Weil du es nicht sehen konntest! Du standest keinen Meter davon entfernt. Aber du hast es einfach nicht gesehen. Es war wie unsichtbar für dich!“ „Kriegt euch mal wieder ein.“, stöhnte Maya genervt. War er hier als Dämonologe oder als Beziehungspsychologe konsultiert worden? „Wie hat das Wesen denn ausgesehen, Teresa?“ „Es war ein junger Mann mit schwarzen Haaren, roten Augen, spitzen Eckzähnen und in schwarzer Lederkluft.“ Maya schlief das Gesicht ein. Shinda! „Sekunde mal. Der Gothic-Freak, dein Freund da, sah der nicht auch so aus?“, stellte auch Liam sofort gedankenschnell fest. „Schwarze Haare?“, hakte er nach. „Ja, so furchtbar verwuschelte, schwarze ... so eine Sturmfrisur!“ Terry fuchtelte mit den Händen über ihrem Kopf herum, um zu verdeutlichen, was sie meinte. „Und er hatte große Fledermausflügel.“ Okay, mit Flügeln hatte er Shinda noch nicht gesehen. Und das er sich unsichtbar machen konnte, noch dazu nicht für alle Menschen gleichzeitig, wäre auch neu. Aber das musste ja alles nichts heißen. Dämonen wurden in den einschlägigen Fachbüchern durchaus gern mal geflügelt dargestellt und sicher hatten sie noch so einige Ässer im Ärmel. „Was hast du noch beobachtet? Hatte er Abzeichen, oder irgendwelche Kennzeichnungen?“ „Du meinst sowas wie eine Tätowierung im Gesicht?“, warf wieder Liam ein. Maya warf ihm einen strafenden Blick zu und ignorierte ihn dann. „Tätowierungen? Nein, hab ich keine gesehen.“, überlegte Terry. „Aber er hat sich verwandelt. Er ist mir erst als eine Art Fledermaus oder sowas um den Kopf geschwirrt, bevor er sich als Mensch gezeigt hat.“ Maya überlegte hin und her, kam aber zu keinem rechten Ergebnis. Er musste wohl oder übel mit Shinda darüber sprechen. „Hat er dir was getan?“ „Nein, er hat nur dagestanden und blöd gegrinst.“ „Hast du ihn seither nochmal gesehen?“ „Nein.“ „Gut, ich mach mich mal schlau über deinen Witzbold. Lass uns uns morgen Mittag wieder hier in der Kantine treffen.“, beschloss Maya. „War das dein komischer Gothic-Freund?“, wollte Liam sauer wissen. Es schien, als wolle er Maya gleich am Kragen über den Tisch zerren, weil irgendjemand sein Mädchen angebaggert hatte. Gehirnloser Schwachmat. „Mein Kumpel ist ein ganz gewöhnlicher Mensch, du Idiot.“, beharrte Maya. Auch nach zwei Jahren war er überaus bedacht darauf, daß Shindas wahre Identität nicht heraus kam. Wer weis, wer alles ein Interesse an ihm gehabt hätte. Welcher Natur dieses Interesse auch immer sein mochte. „Kommt morgen wieder!“, wies er die beiden an, was eigentlich der Befehl war, endlich zu verschwinden. „Aber du glaubst mir, ja?“, wollte Teresa noch wissen. „Ja, ich glaube dir. Aber ich kann derzeit nur mutmaßen, was das für ein Ding war. Ich muss einfach noch ein paar Erkundigungen einziehen. So aus der Kalten kann ich dir leider erstmal nicht helfen.“ Kapitel 2: "Du musst Fünf sein." -------------------------------- „Shinda?“ „Hm?“ „Warst du letzte Woche in der Uni-Bibliothek?“ Shinda schaute empört auf. „Seh ich so aus? Was soll ich da?“ „Heißt das ?“ „Ja, das heißt . Warum fragst du?“ „Du wurdest letzte Woche dort gesehen. Es heißt, du hättest ein Mädchen behelligt.“ Shinda zog fragend die Augenbrauen hoch. „Sicher nicht. Ich war nicht da. Nichtmal in der Nähe. ... Und es ist ja nun nicht so, als ob ich der einzige wäre, der mit schwarzen Haaren und schwarzen Klamotten hier rumläuft.“ „Nein, aber der einzige Dämon.“ „Soweit wir wissen. Was ist denn passiert?“ „Das Mädchen wurde von einem schwarzhaarigen Kerl erschreckt, den nur sie sehen konnte. Und ihre Beschreibung passt auffallend gut auf dich, abgesehen von der Tatsache, daß er Flügel hatte. Kannst du dir Flügel wachsen lassen?“ „Nein. Die Geflügelten sind eine völlig andere Rasse von Dämonen. Die haben mit uns nichts zu tun. Das sind Unterwelt-Dämonen. Ich bin ein irdischer Dämon, ich habe keine Flügel. Ich kann mich auch nicht ganz oder teilweise unsichtbar machen.“ „Ying-Dai konnte es. Und der war dein Bruder.“ „Ying-Dai hat sich nicht unsichtbar gemacht, er war schon lange weg und hat nur noch einen Nachhall seiner Stimme erzeugt. Das ist was anderes als wenn man noch da ist, aber einen bloß keiner mehr sieht.“ Maya seufzte und warf sich auf das Sofa. „Dann erklär mir mal, wer der Kerl in der Bibliothek war.“, bat er desmotiviert. Er glaubte Shinda. Es hätte ihn auch wirklich gewundert, wenn Shinda in der Universität herumlungerte um arglose Mädchen zu erschrecken. Wozu auch? „Also wenn sie sich das nicht eingebildet hat, dann ist wohl tatsächlich ein weiterer Dämon in der Stadt.“, schlussfolgerte Shinda. Es war nicht recht zu erkennen, ob er besorgt war oder nicht. Sehr erfreut darüber schien er jedenfalls nicht. „Ist das schlecht?“ „Kommt drauf an, wie der drauf ist und was er will.“ ** Auch in dieser Nacht lag Terry wach im Bett und starrte die Zimmerdecke an. Sie war immer noch viel zu aufgewühlt, um zu schlafen. Ihre Gedanken wollten einfach nicht aufhören, um diese seltsame Vision zu kreisen, die Liam nicht hatte sehen können. Wieso hatte Liam sie nicht sehen können? Aber dieser Maya glaubte ihr doch! Und wer war der Kerl? Er hatte erstaunlich hübsch ausgesehen. Terry hatte immer geglaubt, Dämonen seien ... naja ... dämonischer eben. Teuflisch. Böse. Angsteinflößend. Monströs. Es war über eine Woche her. Sie hatte ihn seither nie wieder gesehen. War es nicht langsam an der Zeit, diese Begebenheit wieder zu vergessen? Aus einem unguten Bauchgefühl heraus lies sie den Blick zur Seite schweifen und erschrak vor den zwei rotglühenden Punkten in der Zimmerecke. Wieder die leuchtenden Augen! Ruckartig setzte sie sich auf. Mit einem Kichern schälte sich die geflügelte Sillhouette aus der Dunkelheit. „Du kriegst ja nicht gerade viel mit. Ich stehe schon seit 20 Minuten hier.“, merkte er amüsiert an. Seine Stimme war so angenehm wie der ganze Rest seiner Erscheinung. „Wie kommst du hier rein?“ Schulterzuckend stellte er sich näher ans Fenster, wo das Licht der Straßenlaterne ihn erfassen konnte, damit sie ihn besser sah. „Ich gehe durch die Schatten. Das ist ein Weg, der euch stofflichen Wesen aber leider nicht offen steht.“, erklärte er gelassen. Ganz als sei es normal, auf diese Weise ungebeten in fremde Wohnungen einzudringen. „Was willst du?“, schnappte Terry, langsam hysterisch werdend, und zog sich die Bettdecke bis zum Kinn. „Wäre es nicht logischer, erstmal zu fragen, wer ich bin?“, gab er mild zurück. „Das ist mir egal! Verschwinde aus meinem Zimmer!!!“ Der Dämon seufzte, als sie ein Plüschtier nach ihm warf, das aber nur hilflos von ihm abprallte. „Okay!?“, meinte er, griff nach ihrem Handgelenk und beförderte sie aus dem Bett. Nicht grob, aber entsetzlich kraftvoll. Und zerrte sie mit sich aus dem Fenster heraus. Das Mädchen konnte vor Entsetzen nicht einmal schreien, als er sie in die Höhe trug und mit ihr davonflog. Sie baumelte machtlos einige Meter über der nächtlichen Stadt, nur gehalten von einer einzigen Hand, die die ihre fest umklammerte. Wenn er sie jetzt loslies ... Terry konnte, wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Nach nur wenigen Sekunden Flug setzte der Dämon sie auf einem Häuserdach zwei Straßen weiter ab und lies sich neben ihr nieder. „So. Ich bin nicht mehr in deinem Zimmer. Zufrieden?“ Terry stöhnte und schlang fröstelnd die Arme um sich. Atmete einige Male tief durch. Okay, was sollte sie tun? Sie saß hier auf einem Dach fest. Eine Fluchtmöglichkeit wollte ihr gerade nicht ins Auge springen. „Na schön. Wer bist du also?“, nahm sie widerwillig das Gespräch wieder auf, das er ihr mehr oder weniger vordiktiert hatte. Sie fand ihn nach wie vor ziemlich hübsch, aber eindeutig nicht mehr sympatisch. Er war ein ungehobelter Flegel, entschied sie, und beschloss ihn nicht zu mögen. „Du kannst mich Fünf nennen.“ Sie überdachte das kurz. Fünf war eine Zahl und ganz sicher nicht sein wahrer Name. Wenn er ihr also auftrug, ihn bei einem Codenamen zu nennen, würde kein allzu freundschaftliches oder vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihnen gefragt sein. Aber der Auftrag, ihn überhaupt bei einem Namen zu nennen, suggerierte gleichzeitig, daß sie wohl noch länger und öfter mit ihm zu tun haben würde. War das gut oder schlecht? Sie fluchte innerlich, daß dieser Maya ihr erst morgen mehr über Dämonen erzählen würde. Sie hätte seinen Rat jetzt ganz gut brauchen können. „Fünf, okay. Wieso Fünf?“ „Weil ich der fünfte bin.“ „Von wievielen?“ Der Dämon wandte sich von ihr ab und schaute wehmütig auf das Lichtermeer der Stadt herunter. Mit verschränkten Armen. „Fünf von Neun. Die anderen acht sind in eben diesem Moment genauso auf der Suche nach einem menschlichen Gegenstück wie ich.“, gab er knapp zurück. Mehr auch nicht. Teresa nickte. „Ist das jetzt die Stelle, an der ich fragen darf, was du willst?“ ** „Maya! Endlich, wo bleibst du, zur Hölle?“ Der braunhaarige Student seufzte. „Früher hat man Gespräche mal mit angefangen.“, nörgelte er. Sein Blick wanderte zur Armbanduhr. Es war noch nichtmal 12 Uhr. Er war also zu zeitig. Keine Ahnung, warum die Ziege so einen Aufriss machte. Sie waren schließlich erst zum Mittagessen hier in der Kantine verabredet gewesen. „Hast du keine Vorlesung?“, wollte er mürrisch wissen. „Er war wieder da! Letzte Nacht!“ Oh, das erklärte einiges, dachte Maya und setzte sich seufzend zu ihr an den Tisch. „Nagut!? Erzähl!“ Terry glotzte ihn blöd an. „Wie, ! Ich dachte, du wolltest mir sagen, was du rausbekommen hast!“ „Sicherlich. Aber du hast so einen mitteilungsbedürftigen Eindruck gemacht. Also was ist passiert?“ „Er hat mich entführt!“ „Vielleicht solltest du leiser reden.“, warf Maya mit einem Deut auf die sich füllenden, umliegenden Tische ein. Wenigstens war Liam nicht da. Immerhin etwas. „Er hat mich entführt, hörst du?“, beharrte Terry, wenn auch leiser als zuvor. „Er hat mich nachts aus dem Fenster gezerrt und ist mit mir über die Stadt geflogen, um mich auf einem Hausdach festzusetzen.“ „Und was wollte er? Hat er dir seinen Namen verraten?“ „Ich sollte ihm lediglich versprechen, ihm zu helfen. Mehr nicht.“ „Wobei?“, hakte Maya verständnislos nach. Er konnte sich nichts vorstellen, was ein Mensch besser können sollte als ein Dämon. „Das weis ich noch nicht. Ich sollte es ihm nur erstmal versprechen.“ „Und du hast es ihm natürlich auch versprochen.“, mutmaßte er. „Logisch. Wer weis, was der mit mir gemacht hätte, wenn ich mich geweigert hätte!“ Der Geschichte-Student schüttelte nur ungläubig mit dem Kopf. „Nagut. Das heißt, er wird wiederkommen, also können wir uns zumindest vorbereiten.“ „Ich bin sicher, er war ein Dämon.“, seufzte Terry unglücklich. Wo hatte sie sich da bloß reingeritten? „Ich auch, nach allem was du erzählst. Aber keine Angst, ich helfe dir. Wenn er das nächste Mal wieder auftaucht, werde ich da sein und mich selbst um ihn kümmern. Für gewöhnlich kann man mit Dämonen reden.“ „Meinst du, dann lässt er mich in Ruhe?“ Maya lächelte dünn. „Das glaube ich nicht. Schon gar nicht nachdem er jetzt dein Versprechen hat. Wenn er dich einmal ausgesucht hat, dann wird er nicht aufgeben, bis er hat was er will. Aber wir können bewirken, daß er dich ernst nimmt und du nicht sein Spielball wirst.“ Das rothaarige Mädchen nickte betrübt und nahm ihre Brille ab, um sie am Pulloversaum zu putzen. „Dann sitze ich in der Tinte.“ „Je nachdem was er von dir will. Wann will er wiederkommen?“ „Ich weis es nicht. Fünf hat mir eigentlich nichts über sich oder sein Vorhaben erzählt.“ „Fünf. Ist das sein Name? Der ist ungewöhnlich.“, überlegte Maya. „Aber nagut. Sie nennen uns Menschen nie ihre wahren Namen. Wenigstens macht er keinen Hehl daraus, daß der Name nicht sein echter ist.“ ** Maya spazierte an diesem Abend durch die Wälder, wie so oft, um seinen Kopf frei zu kriegen. Immer nur an seiner Diplomarbeit zu schreiben, machte ja auf Dauer irre. Zum Glück hatte das Studium bald ein Ende, er lag in den letzten Zügen. Danach würde er endlich irgendwas machen, was ihm mehr Spaß bereitete. Verdutzt blieb Maya stehen und schaute zu einer Astgabel hoch. Sehr mysteriöses Phänomen. Ein türkiser Lichtschein ohne was dazu. „Was bist du denn für ein Ding?“, fragte er laut. Die Farbe flackerte kurz in ein überraschtes Gelb hinüber. „Du kannst mich sehen?“ „Nein, dich nicht. Aber deine Aura. Also los, zeig dich!“ Ein paar baumelnde Füße wurden sichtbar. Dann langsam die dazugehörigen Beine, und nach und nach schließlich auch der Bauch, die Schultern, der Kopf. Schwarze Wuschelhaare über roten Augen. , war Mayas erster verblüffter Gedanke, aber dann erkannte er, daß es sich um jemand anderen handelte. Der Kerl war jünger. Er hatte Flügel und gänzlich andere Gesichtszüge. Seine Wangen waren voller und seine Nase kürzer. Und er trug ein Lächeln zur Schau, das er an Shinda noch nie gesehen hatte. Irgendwie ... nein, nicht , das Wort traf es nicht. War es gehässig? Aber wieso? „Sieh mal an, du musst Fünf sein!“, mutmaßte Maya. In gewisser Weise war er zufrieden. Es gab also doch einen anderen Dämon in der Stadt, es war nicht Shinda gewesen, der da harmlose Studentinnen ärgerte. „Du hetzt meine Partnerin gegen mich auf!“, warf der Dämon ihm vor, womit er gleich etliche Fragen und Gegenfragen in diesem Dialog übersprang. Ja, er war Fünf. Und ja, er hatte hier Maya vor sich. Und ja, Maya wusste, daß es um Terry ging. Und ja, Fünf wusste, daß Maya involviert und eingeweiht war. Das alles setzte er als gegeben voraus. Er war sich sicher, wen er hier vor sich hatte, er war gut informiert. Maya grinste. „Was verstehst du unter einer Partnerin?“ „Ich brauche ihre Hilfe! Und ich werde diese Hilfe bekommen, verlass dich drauf! Mische dich gefälligst nicht ein!“ „Du darfst mir glauben, daß ich mich nicht freiwillig eingemischt habe. Teresa hat mich ganz konkret angesprochen. Vielleicht hättest du ihr weniger Angst einjagen sollen. Außerdem wiegele ich sie nicht gegen dich auf, sondern versuche ihr lediglich zu helfen. Wir wissen ja immer noch nicht, was du eigentlich willst.“ Fünf seufzte, entknotete seine beleidigt verschränkten Arme und schwebte mit zwei Flügelschlägen von seiner Astgabel auf den Waldweg hinunter. Er war ein paar Zentimeter größer als Maya selbst, aber nicht wesentlich. Der Dämon beschaute Maya einmal demonstrativ von oben bis unten, war aber offensichtlich nicht begeistert von dem Ergebnis, zu dem er dabei kam. „Du hast keine Angst vor mir. Bist du so bewandert in den übersinnlichen Daseins-Ebenen?“ „Ich habe genug Erfahrung mit Dämonen, durchaus.“ „Erfahrung, soso. Aber bisher wohl noch keine negative, wie mir scheint.“ „Lass deine kläglichen Versuche, hier sowas wie eine Rangordnung zwischen uns herzustellen, und sag mir lieber mal, was du von Teresa willst!“, warf der Braunhaarige genervt ein. „Ich habe nichts gegen dich. Und ich will ganz sicher auch nicht gegen dich arbeiten. Ich will lediglich, daß das Mädchen nicht zu Schaden kommt, was auch immer du mit ihr vorhaben magst.“ Der Geflügelte bedachte Maya eine Weile trotzig, hin und her gerissen zwischen Argwohn und einem irrationalen Vertrauen in Maya, das er nicht begründen konnte. Vielleicht war es wirklich die schiere Tatsache, daß Maya keine Angst vor ihm hatte. Das hob ihn automatisch auf eine gleichberechtigte, ebenbürtige Ebene mit ihm. „Es geht um Rivalitäten zwischen verschiedenen Lagern. Die eine Partei will einen der Höllenfürsten stürzen. Die andere will ihn an der Macht halten. Eine dritte Gruppe will beiden den Krieg erklären, damit so ein Streit gar nicht erst aufkommt, denn ein Rütteln am System hätte noch viel weitreichendere Folgen als nur den Austausch eines Funktionsträgers. Dann gibt es da noch welche, die mit den Rebellen verbündet sind und wegen dieser Verpflichtung mitmischen werden, obwohl ihnen die Höllenfürsten eigentlich ziemlich egal sind. Und die Kohleschipper, die besagten Verbündeten aus Rache einen Strich durch die Rechnung machen wollen, weil sie noch eine Rechnung mit denen offen haben. Der Fürst hat seinerseits wieder zweifelhafte Verbündete, die ihm wohlmöglich beistehen werden, wenn sich nicht jemand findet der ihnen mehr zahlt. Nicht zu vergessen die Goldgilde, die auf den Krieg nur lauert, um in dem folgenden Chaos das Zwei-Acht-Artefakt an sich zu bringen. Luzifer selbst hat ein Auge auf die Sache und wird sicher eingreifen, wenn es ihm zu bunt wird. ... Also alles in alllem wird es hoch hergehen.“, erzählte der Dämon, gespannt auf Mayas Reaktion. Maya seufzte. „Ihr Dämonen haltet nicht viel auf Verhandlungen, was?“ „Nein, die Unterwelt ist militärisch strukturiert und diktatorisch geführt.“ „Super. Und warum tragt ihr das hier im Diesseits aus?“ „Weil es neutraler Boden ist.“ „Das ist ehrlich.“, gab Maya halb anerkennend, halb besorgt zurück. „Und wie passt nun Teresa in das ganze Gefüge?“, hakte er nach. Er war froh, daß der Geflügelte kooperativ zu sein schien und ihm so bereitwillig Auskunft gab. Er hoffte nur, daß ihm das am Ende auch was nützen würde. „Es wird dir vermutlich nicht gefallen, aber sie wird meine Rüstung sein. Solange ich in einem menschlichen Körper stecke, können die anderen Dämonen mir nichts tun. Ich werde das Mädchen für eine Weile besetzen müssen.“ „Und wenn sie dich da wieder rausholen?“ „Dazu müssten sie christliche Geistliche sein, die in der Lage sind, im Namen Gottes Exorzismen durchzuführen. Das glaube ich kaum.“ „Vielleicht nicht. Aber sie könnten sich menschliche Geistliche zu Hilfe holen.“ Fünf zog ein nachdenkliches Gesicht. „Das will ich nicht hoffen.“, meinte er dann leise. Und seine Ausstrahlung war besorgniserregend autenthisch, wie Maya feststellte. Überhaupt war seine ganze Art rapide gesetzter geworden, seit er von den Ereignissen erzählte. Gar nicht mehr selbstgefällig. „Wann und wo wird der Krieg stattfinden?“ „In ein paar Tagen am Galgen-Felsen. Es ist nicht weit bis dahin, aber wir haben einiges vorzubereiten. Ich werde mit dem Mädchen bald aufbrechen müssen. Ich bitte dich, uns nicht aufzuhalten.“, meinte Fünf mit einer Ernsthaftigkeit, die dem Geschichte-Studenten zu denken gab. Für ihn schien weit mehr auf dem Spiel zu stehen als nur eine unschöne Wendung in einem Intrigengeflecht. Für ihn persönlich. Das war keine von den Situationen, in denen das Leben eines einzelnen dem Erfolg der ganzen Gruppe untergeordnet wurde, wie es im Krieg sonst immer der Fall war. Hier ging es um Höheres. Und es stand offensichtlich außer Frage, ob Fünf an diesem Kampf teilnehmen musste oder sich einfach raushalten konnte. Aber Maya konnte und wollte sich jetzt keinen Reim darauf machen. Nur Teresas Involvierung missfiel ihm. „Duldest du, daß ich und ein Freund dich begleiten?“, fragte er. Fünf schien überrascht. „Ohne mich vorher zu fragen, auf welcher Seite ich überhaupt stehe?“ „Auf welcher Seite du stehst, ist irrelevant. Jede der möglichen Seiten betrifft ausschließlich die Unterwelt und geht mich nichts an. Ich habe momentan auch noch nicht vor, mich in diese Schlacht mit hineinzustürzen. Ich will lediglich das Mädchen schützen, sie sollte wirklich nicht alleine gehen.“ Kapitel 3: "Ein Freund hast du gesagt." --------------------------------------- (Hmeee, jetzt hat es mir den halben Titel ausgeklammert ... Nochmal neu.) _________________________________ „Du willst mit einem Unterwelt-Dämon durch die Gegend ziehen? Das solltest du dir wirklich zweimal überlegen.“, meinte Shinda, als Maya ihm an diesem Abend von seiner Begegnung im Wald erzählte. „Ja, vermutlich. Aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Er wird sich definitiv nicht aufhalten lassen. Ich kann Terry nur helfen, wenn ich mitgehe. Sonst ist sie sich selbst überlassen.“ Shinda kratzte sich überfordert am Kopf. „Das mag ja sein. Aber es geht hier eindeutig um Dinge, die zu hoch für uns sind. Gut, diese Terry konnte es sich vermutlich nicht aussuchen, aber wir sollten uns da nicht auch noch einmischen.“ „Ich habe nicht vor, mich einzumischen. Ich bin nur Beobachter.“ „Das glaube ich dir auf´s Wort.“, warf der Dämon zynisch ein. „Komm schon, Shinda, sei doch mal sachlich, bitte. Was genau spricht dagegen? Nenn mir Fakten und plausible Gründe!“ „Die Unterwelt-Dämonen sind die Sorte von Dämonen, die uns unseren teuflischen Ruf eingehandelt haben. Ich glaube nicht, daß du charakterfest genug bist, mit so einem Wesen umzugehen. ... Hat er dir einen Namen genannt?“ „Kennst du denn alle Unterwelt-Dämonen namentlich? Gibt es so wenige von denen?“ „Nein. Aber für gewöhnlich lässt der Name, den sie den Menschen sagen, auf ihre Gesinnung schließen.“ „Dann hätte er eine komische Gesinnung. Er nennt sich Fünf.“ Shinda Blick wanderte kurz unbehaglich nach unten. Grübelnd. Ihm schwahnte Übles. Aber dann schüttelte er leicht den Kopf und vertrieb den Gedanken wieder. Nein, das konnte nicht sein, unmöglich. Er seufzte resignierend. „Ich nehme nicht an, daß ich dich noch umstimmen kann, oder? Also gut, meinetwegen werde ich mir diesen Dämon mal anschauen.“ „Danke. Er will Terry und uns morgen früh vor der Uni treffen und von dort aus aufbrechen. Entweder wir folgen ihm, oder er wird mit Terry allein fortgehen.“ ** „Hm. hast du gesagt.“ Die Stimme lies sie erschrocken herumfahren, während er landete und mit seinem Blick die kleine Gruppe überflog. „Ich hatte nicht erwartet, daß dein Freund ein Dämon ist.“, fügte er überrascht an. Auf dem ganzen belebten Kampus störte sich niemand an dem geflügelten jungen Mann, der gerade im Landeanflug über ihre Köpfe hinweggerauscht war. Er war wohl gerade wieder nur für die Menschen sichtbar, von denen er gesehen werden wollte. Shinda warf lediglich einen kurzen Blick auf Fünf und lies schon desmotiviert die Schultern sinken. Er war es! Mist, verdammter. „Ist das schlimm, daß er ein Dämon ist?“, wollte Maya vorsichtig wissen. „Nein, kein Problem. Ich war nur etwas baff, hier noch andere Dämonen zu treffen. Noch dazu welche, die Menschen zum Freund haben.“ Fünf erwiderte Shindas missmutigen Blick einen Moment lang nachdenklich. „Hatten wir schon miteinander zu tun?“, wollte er dann wissen. Sicher war es nicht gut, von einem anderen Dämon derart missbilligend angestarrt zu werden. Aber er kannte den Kerl nicht. „Nein. Aber ich weis wer du bist.“, gab Shinda zurück. „Bitte verzeih mir, daß ich dir nicht die Achtung entgegenbringen werde, die dir sicherlich zusteht.“ Fünf schmunzelte kurz. „Das hatte ich auch nicht erwartet. Du bist ja kein Unterwelt-Dämon wie ich.“ Abschätzend schaute Maya kurz zwischen den schwarzgekleideten Gestalten hin und her. War die Abneigung zwischen den beiden Dämonen-Gruppen so gravierend, daß sie nicht friedlich miteinander auskommen konnten? Doch dann nickten sich die zwei gegenseitig zu, als Einverständnis, daß dieses Thema unter ihnen fortan als geklärt galt und in Ordnung ging. Maya wandte sich um, als hinter ihnen hecktische Schritte laut wurden. Terry kam angerannt. „Tut mir leid, ich bin zu spät.“, keuchte sie und stützte sich erstmal luftschnappend auf ihre Knie. „Du bist ein Mädchen, du darfst das.“, warf Shinda gehässig ein. „Oh, du!!!“ Terry plusterte gespielt sauer die Bäckchen und brachte damit die drei jungen Männer zum Lachen. Sie kicherte vergnügt mit, dann bedachte sie den Unbekannten genauer. Schwarze Haare, Leder-Kombi, rote Augen. „Ist das dein Freund Shinda?“, wollte sie von Maya wissen. „Ja. Wenn es okay ist, wird er mitkommen.“ Terry nickte. „Gern. Je mehr wir sind, desto besser, schätze ich. ... Er ... ist auch ein Dämon, oder?“, hakte sie dann zögerlich nach. „Du siehst Fünf sehr ähnlich. Sehen alle Dämonen so aus wie ihr?“ „Nein, eine rein zufällige Geschmacks-Gleichheit. Um ehrlich zu sein, mögen die meisten Dämonen schwarz gar nicht. Das ist ihnen zu klischeehaft.“, erzählte Shinda. „Okay, können wir los?“, bat Fünf und wippte ungeduldig mit den Flügeln. „Ja, auf geht´s. Wie lange werden wir weg bleiben? Ich hab Klamotten für eine Woche eingepackt. Meint ihr, das reicht?“ „So wie deine Reisetasche aussieht, hast du genug Klamotten für ein halbes Jahr dabei!“, warf Maya protestierend ein und schulterte seinen eigenen Rucksack. „Ich sehe es kommen, daß irgendwann einer von uns dir den Krempel tragen muss, weil er dir zu schwer geworden ist.“ „Gar nicht! Ich hab nur das nötigste dabei! Wenn ich mir dein Gepäck so ansehe, wirst du wahrscheinlich die ganze Zeit die gleichen Sachen tragen, weil du gar keine Wechselkleidung dabei hast, du Ferkel!“ Maya lachte. „Kommt Liam eigentlich nicht mit?“, wechselte er dann das Thema. „Nein. Ich hab ihm gar nichts davon erzählt. Eigentlich keinem.“ „Also, wo gehen wir hin?“, wollte Maya wissen. Er ging einen Schritt schneller, um zu Fünf aufzuschließen, der hurtig voranmarschierte. Der Dämon schien es eilig zu haben. Sicher wäre er am liebsten geflogen, wenn er nicht so viele flugunfähige Individuen in seinem Gefolge gehabt hätte. „Zum Galgenfelsen. Auf dem Weg dahin müssen wir durch die vergeisterte Stadt.“ Galgenfelsen. Das hatte Fünf gestern schonmal gesagt. So ein Ding war ihm hier in der näheren Umgebung von Dachau nicht geläufig. Dabei kannte er sich hier eigentlich ganz gut aus, hatte er gedacht. „Ich kenne weder einen Galgenfelsen, noch eine vergeisterte Stadt. Was sind das für Orte?“ Fünf wog nachdenklich den Kopf hin und her. „Du bist ein Mensch, du kannst sie nicht kennen. Diese Namen sind nur unter uns Unterwelt-Dämonen gebräuchlich, schätze ich. Für euch existieren diese Orte nicht. Menschen können sie nicht sehen. Für euch ist es einfach nur unberührte Landschaft. Aber das macht nichts. Ob du sie sehen kannst oder nicht, hat keine Auswirkungen auf deine Handlungsfähigkeit während der Schlacht.“ „Ich sehe Geister und die Aura von Menschen, Dämonen und einigen Tierarten. Vielleicht sehe ich dann ja auch diese seltsamen Orte.“ Fünf schaute ihn mit einem dezenten Lächeln an. „Ich hoffe nicht. Sie werden dir vermutlich nicht gefallen.“ „Wie lange werden wir da hin brauchen?“ „Zur vergeisterten Stadt schaffen wir es vielleicht heute noch. Den Galgenfelsen erreichen wir sicherlich morgen, wenn wir nicht allzu oft und lange pausieren.“ Das war ja wirklich nicht sehr weit weg. Der Student hatte schon irgendwie gehofft, daß ein Dämonenkrieg nicht direkt am Ortseingang einer Großstadt stattfinden würde. Aber ehe er weiter fragen konnte, drehte sich der Geflügelte nach hinten um. „Shinda, tust du mir einen Gefallen?“, wandte sich Fünf an seinen Artverwandten. Shinda bedachte ihn sekundenlang mit einem missmutigen Blick, als müsse er sich das wirklich zweimal überlegen. „Kommt drauf an.“, entschied er dann mit widerwilliger Kompromissbereitschaft. „Kannst du dich kurz zum Stickies Point teleportieren und mir sagen, was du siehst?“ „Was erwartest du denn, was ich dort sehe?“, hakte er skeptisch nach. Er traute dem Unterweltler nicht. Gut möglich, daß er ihn in eine Falle schickte. Shinda hatte zuletzt vor über 400 Jahren vom Stickies Point gehört und sich seit seinem Wiedererwachen in der Neuzeit keine Gedanken mehr darum gemacht. Wer weis, was dort inzwischen los war. Vielleicht stand da jetzt ein belebtes Kaufhaus und er würde sich mitten in eine Menschenmasse hineinteleportieren. Das wäre ein wenig blöd, wenn er auch künftig noch als Mensch durchgehen wollte. Maya arbeitete seit 2 Jahren hart dafür, den Schein zu wahren. Die Tarnung durfte auf keinen Fall auffliegen. „Da wird entweder eine rote oder eine schwarze Fahne im Wind wehen.“ „Okay!? Und wo ist der, der die Fahne aufgestellt hat?“ Fünf seufzte. „Du stellst viele Fragen, Shinda.“ „Ich will nur sicher gehen, daß ich lebend zurückkomme.“, gab der Schwarzhaarige zurück und verschränkte die Arme. „Ich traue dir nicht.“ „Das verlangt auch keiner von dir. Du hast das Recht, mir zu misstrauen.“, schmunzelte Fünf. „Die Fahne ist von Menschen da hingestellt worden. Sie zeigt an, ob man an diesem Tag Paragliding betreiben darf oder ob die Windströmungen zu gefährlich sind. Wenn die schwarze Fahne weht, sind wir dort ungestört. Wenn nicht, muss ich über eine andere Route zur vergeisterten Stadt nachdenken. Ich würde ja selber nachsehen, aber ich kann mich leider nicht teleportieren wie du. Und wenn ich fliege, brauche ich zu lange.“ Dann wäre er bis zum frühen Nachmittag nicht zurück, das war einfach zu spät. Die anderen kannten ja den Weg nicht, sie konnten ihm nicht einfach nachfolgen. Sie brauchten ihn als Reiseleiter. „Was ist so schlimm daran, wenn dort ein paar Paraglider rumsegeln?“, wollte Terry verständnislos wissen. „Die Paraglider sind nicht das Problem. Aber wenn der Wind günstig steht, sind dort auch jede Menge Geister. Und auf die habe ich keine Lust.“ „Kann ich gut verstehen.“, warf Maya mit verzogenem Gesicht ein. Ihm waren diese Dinger auch furchtbar lästig. In Scharen wollte er sie ganz sicher nicht um sich haben. Normale Menschen störten sich ja nicht an den spukigen Gesellen, weil sie sie nicht sehen oder hören konnten. Maya konnte es leider. Murrend wandte sich Shinda um und war mit einem leisen Puffen plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Er hatte sich wegteleportiert. „Shit, hier ist ja doch alles voller Geister.“, stellte Maya desmotiviert fest, als sie am späten Nachmittag in die breite Klamm einbogen. Er hörte das protestierende Gejaule der Gespenster schon von Weitem. Die Windwirbel trieben die armen Dinger unkoordiniert und hilflos zwischen den Felswänden herum wie welke Laubblätter. Ab einer bestimmten Windstärke hatten Geister keinen Einfluss mehr darauf, wohin sie geweht wurden. Einer kam ihm gerade Hals über Kopf entgegengepurzelt. „Sagtest du nicht, es würde die schwarze Fahne wehen?“, maulte er. Shinda sah sich fragend nach der Spitze der Felsen um. Dort oben wehte immer noch schwarz. „Der Wind hat wohl inzwischen gedreht.“, vermutete er. „Sicher werden sie die Fahne bald austauschen.“ Mit einem „Huuuuuuuaaaaaaah!“ sauste ein weiterer Geist über ihre Köpfe hinweg und bewegte Maya dazu, in Deckung zu gehen. „Lass das, du machst mir Angst!“, bat Terry wehleidig und schlang fröstelnd die Arme um sich. Es war ihr nicht geheuer, daß scheinbar alle irgendwelche Geister sehen konnten, nur sie nicht. Das fand sie noch gruseliger als die Vorstellung, sie sehen zu können. Sie bildete sich im um die Ecken pfeifenden Wind schon Geistergeheul ein, obwohl sie es wirklich besser wusste. Die nächste tote Seele prallte frontal auf sie, zerstob kurz in der Luft wie Kreide, nahm hinter ihr wieder eine gesammelte Gestalt an und wurde dann vom Wind weitergerissen, ohne daß Terry auch nur das geringste davon mitbekommen hätte. Maya sah seufzend auf seine Pfeife. Die würde ihm hier überhaupt nichts nützen. Die Geister hatten ja bei diesem Sturm keinen Einfluss darauf, wohin sie segelten. Also konnte er sie damit auch nicht vertreiben. „Nun ja, es hilft nichts. Suchen wir uns ein windstilles Plätzchen und schlagen unser Nachtlager auf.“, seufzte Fünf und ging weiter. „Wolltest du nicht heute noch bis zur vergeisterten Stadt kommen?“ „Du stehst mittendrin.“ „Aber ... das hier ist nur eine Klamm!“, warf Maya ein. „Ich sagte doch, ihr Menschen könnt diesen Ort nicht sehen. Die Felswände sind voll von hängenden Hütten. Die ganze Klamm ist ein Dorf. Aber mit dem menschlichen Auge ist es nicht wahrzunehmen.“ „Wer lebt denn in diesen Hütten?“ Maya sah sich suchend um, ob er mit seinen aura-sehenden Augen irgendetwas wahrnahm. Aber außer den gebeutelten Geistern, die vom Wind zwischen den kahlen Felswänden herumgeworfen wurden, bemerkte er nichts. Der Student war ein wenig enttäuscht. Er hatte wirklich gehofft, irgendwas zu sehen. „Traumfänger.“, gab Shinda knapp zurück. „Ziemlich komische Dinger, die nachts rumwandern und sich in den Köpfen von anderen Wesen einnisten.“ „Ich kenne Traumfänger nur als indianische Talismane, diese Ringe mit dem Spinnennetz in der Mitte, du weist schon.“, fand Terry. „Naja, sind eigentlich die Dinger, die von ihnen aufgehalten werden sollen. Die Indianer glauben, daß Träume einem von außen zufliegen, gute wie böse, und darum hängen sie Traumfänger-Netze auf, um die bösen Träume abzufangen und nur die guten durchzulassen. Die Netzringe funktionieren auch, aber ihre Wirkungsweise ist eigentlich eine andere. Sie halten nicht die schlechten Träume auf, sondern die Traumfänger, die die schönen Träume fressen würden und nur die Alpträume übrig lassen.“ „Also wenn ihr heute Nacht schlecht schlaft, dann macht euch keine Sorgen. Das sind nur die Traumfänger.“, lachte Fünf und suchte nach einem Höhlenvorsprung oder etwas anderem, das für die Nacht als Unterkunft taugte. „Ich würde diese Dinger zu gern mal sehen. Kannst du sie für mich zeichnen, Shinda? Bitte! Wieviele davon sind da draußen?“, quengelte Maya und wich einem weiteren tieffliegenden Geist aus. Es machte ihn nervös, zu wissen, daß er von solchen Wesen umgeben war, ohne sie sehen zu können und ohne die geringste Vorstellung von ihnen zu haben. „Ich will nicht zeichnen. Traumfänger kann man eh nicht so richtig wiedergeben. Ich weis was besseres: Sieh sie dir selbst an! Komm her.“ Er drehte Maya an den Schultern von sich weg, der Klamm zu. „Das ist Stufe-3-Magie. Die wird nicht einfach für dich. Aber versuch es mal. Leg die Daumen und Zeigefinger zu einem Dreieck zusammen und halte sie wie ein Fenster vor dich ...“ Er begann ihm zu erklären, wie er welche Energien wo bündeln musste, damit es funktionierte. Das schwierigste war, bei all der Konzentration und inneren Arbeit den Fokus auf das Ziel nicht zu verlieren. „Es klappt nicht ...“, maulte Maya nach einer Weile enttäuscht. „Hätte mich auch gewundert. So komplizierte Magie hast du bisher noch nicht gewirkt. Versuch es weiter, du musst einfach ein wenig üben damit es funktioniert.“, wies Shinda ihn belehrend an. Fünf stand mit verschränkten Armen daneben und beobachtete den Jungen zwischen kopfschüttelnd und amüsiert. Dann begann er kommentarlos seine Körperhaltung zu korrigieren. Er beugte Maya in der Hüfte ein wenig nach vorn, zupfte seine Finger gerade und fächerte sie auf, schob ihm die Ellenbogen näher zu den Rippen und drückte seine verspannten Schultern wieder nach unten. Da löste sich eine grüne Seifenblase aus dem Rahmen, den seine Finger bildeten, und durch die Seifenblase hindurch sah Maya die Welt wie sie wirklich war. Es war als würde man durch eine winzige, runde Fensterscheibe schauen. Maya bemerkte schemenhaft zahllose Lehmkeile, die wie Schwalbennester an den Felswänden klebten. Und dazwischen wuselten seltsame Wesen herum. Aber ehe Maya mehr erkennen konnte, zerplatzte die Seifenblase und zurück blieb nur die leere, kahle Klamm. „Wouw! Das war der Wahnsinn. Kann ich das nochmal versuchen?“, wollte Maya wissen. Es gab ja durchaus Zauber, die man nicht zu oft hintereinander ausführen sollte, wollte man nicht sich selbst oder anderen schaden. Einige brauchten viel Kraft, andere hinterließen Spuren an den Dingen, auf die sie wirkten. „So oft du willst.“, meinte Fünf zufrieden. „Du bist sehr begabt für einen Menschen.“ „Wie erhalte ich die Blase aufrecht?“ „Man kann sie nicht aufrecht erhalten. Wenn sie zerplatzt, dann zerplatzt sie eben. Man kann dann nur eine neue erschaffen. Oder gleich mehrere, wenn man Talent hat, dann deckt man ein größeres Sichtfeld ab. Du siehst ja sonst nur einen winzigen Ausschnitt, der so groß ist wie die Blase.“ Shinda bedachte Fünf mit wütendem Blick, während der gelassen mit Maya weiterübte. Es gefiel ihm nicht, daß der sich so hemmungslos bei seinem Freund anbiederte. Es wäre ihm lieber gewesen, Fünf hätte sich von Maya ferngehalten. Einen Moment überlegte Shinda, einfach beleidigt wegzugehen. Aber dann fand er es doch sinnvoller, im Auge zu behalten, was Fünf mit dem Jungen so anstellte. „Au man, ist das geil.“ Jubilierend kam Maya in die kleine Höhle, die ihnen heute Nacht als Überdachung dienen würde. „Fünf hat mir so coole Sachen beigebracht. Ich war den ganzen Abend da draußen und hab geübt. Ich weis jetzt, wie die Traumfänger aussehen und wie sie so ticken. Die sind eigentlich tot, darum haben die auch keine Aura! Sonst hätte ich sie ja zumindest anhand ihrer Aura sehen können.“ Shinda sah desinteressiert auf. Holte der Knabe auch mal Luft beim Reden? „Und ich weis, wie man sich diese Viecher vom Hals hält!“, quasselte Maya weiter. „Wie toll ...“ „Ich will noch viel mehr lernen! Und noch viel mehr trainieren! Endlich kann ich die Magie so richtig ausleben, was ich in der Stadt nie durfte! Ich bin voller Tatendrang. ... Los, Shinda, lass uns kämpfen!“ „Langsam wirst du größenwahnsinnig, oder?“, gab der Schwarzhaarige humorlos zurück. „Ich will gegen einen Dämon kämpfen! Ich muss doch meine Fähigkeiten austesten!“ „An mir? Na schönen Dank auch.“ Shinda stand auf und ging genervt weg. „Ich werde nicht gegen dich kämpfen.“, stellte er im Gehen noch klar. „Gut, dann frag ich eben Fünf!“, rief Maya ihm nach. „Viel Glück. Ich bete, daß er dich am Leben lässt.“, hörte man ihn noch maulen, dann war er endgültig um die Ecke verschwunden. Was war bloß los mit der Welt? Was war in Maya gefahren? Und vor allem, was war in den Unterweltler gefahren? So eine offene und euphorische Seite kannte er an Fünf überhaupt nicht. Schon gar nicht gegenüber gewöhnlichen Menschen. Kapitel 4: "Rechne doch mal eins und eins zusammen!" ---------------------------------------------------- „Nein, Maya lass es. Mit Magie zu kämpfen ist gefährlich. Du weist doch inzwischen selber, daß Magie keine sehr präzise Wissenschaft ist. Da sind zuviel Gefühlssache und Schätzung dabei. Wenn du dich vertust, wirst du noch einen Unfall bauen und dich selbst um die Ecke bringen.“ „Ihr Dämonen kämpft doch auch ausschließlich mit Magie.“, meinte der Student und wischte Shindas Argument damit ungesehen zur Seite. „Ja, wir kennen auch von Geburt an nichts anderes. Wir wachsen darin auf und haben ein ganz anderes Verständnis dafür wie du mit deinen 2 Jahren Hobbyhexerei.“ Maya antwortete nur mit einem uneinsichtigen Blick. Shinda fuhr sich verzweifelt durch die Haare. Sollte er den Jungen noch niederschlagen, damit der wieder zur Vernunft kam? Er hätte ihn davon abhalten sollen, diese Reise überhaupt mitzumachen, als er noch die Chance dazu gehabt hatte. Terry saß draußen am Lagerfeuer und bereitete mit Fünf das Abendessen vor. Es war noch taghell, daher kam es ihr irgendwie komisch vor, ein Lagerfeuer zu machen. Aber irgendwie mussten sie ihre Nahrung ja kochen. Ihr Blick wanderte kurz zögerlich zu dem geflügelten Dämon hinüber, der konzentriert Fleischstücke auf Äste spießte, um sie zum Braten über das Feuer zu hängen. Sie wusste immer noch nicht viel über den Kerl, und obwohl er immer eine recht lebenslustige Art aufsetzte, merkte man ihm bisweilen die Sorge vor der bevorstehenden Schlacht doch an. Eigentlich mochte sie ihn immer noch nicht, andererseits tat er ihr aber trotzdem ein bischen leid. Sie wusste inzwischen, daß sie bald von ihm besessen sein würde, und das war in gewisser Weise okay. So sehr vertraute sie ihm dann doch, daß sie ihn ihren Körper übernehmen lies. „Wie ist es da, wo du herkommst?“, wollte Terry leise wissen. Als getraue sie sich gar nicht, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Aber langsam war es doch an der Zeit, mit ihm etwas wärmer zu werden. Fünfs Blick blieb ungerührt weiter auf das Essen gerichtet. „Ich finde es ganz nett in der Unterwelt. Aber du bist die irdische Welt gewohnt, dir würde es da sicher nicht gefallen. Es ist immer dunkel, es weht nie ein Windhauch und es ist meistens totenstill, außer wenn mal die Hunde heulen. Der Staub der Jahrhunderte liegt zentimeterhoch in den Straßen, und überall wuchert der schwarze Hibiskus. Und dort unten gibt es keine Zeit, alle Uhren sind stehengeblieben und es gibt weder Tag noch Nacht noch Jahreszeiten. Für deine Begriffe ist es eine sehr düstere Welt.“ „Dann verstehe ich, warum man sie Hölle nennt.“ „Das ist Ansichtssache.“, gab Fünf zurück. „Wieso trägst du Fesseln?“, fragte das rothaarige Mädchen vorsichtig weiter. Der Dämon schaute nachdenklich auf die dicken Ledermanschetten an seinen Handgelenken. Sie ließen sich nicht entfernen. Auf ihnen waren massive Stahlringe angebracht, an denen man problemlos Karabinerhäken oder Seilknoten befestigen konnte. Seine Augen sprachen Bände. An diesen Fesselmanschetten hingen überwiegend unschöne Erinnerungen. „Vielleicht erzähle ich dir das irgendwann mal.“, wich er Terrys Frage schließlich mit einem traurigen Lächeln aus und suchte ihren Blick. „Warum erzählst du nicht etwas von dir? Was bewegt dich so?“ „Ich hatte erwartet, daß du schon alles über mich wüsstest. Immerhin hast du mich explizit ausgewählt. Warum eigentlich ausgerechnet mich? Ich bin weder ein akademischer Überflieger, noch habe ich besondere sportliche Fähigkeiten.“ „Nein. Aber du hast kein großes soziales Umfeld. Du bist ein Waisenkind und hast keine Familie und kaum Freunde. Dich bindet nichts an diese Welt. Das macht es dir leichter, mir in so eine Schlacht zu folgen.“ „Das klingt, als würde ich nicht lebend zurückkommen.“ Fünf zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich habe nicht vor, dich umzubringen. Aber wir ziehen in einen Krieg. Ganz ausschließen kann ich leider nicht, daß dir etwas passiert, auch wenn ich aufpassen werde.“ Terry nickte seufzend. Das hatte sie gewusst. Schon als sie ihm in jener Nacht auf dem Häuserdach versprochen hatte, ihm zu helfen, war ihr klar gewesen, daß es auf irgendwas hinauslaufen würde, was ein Risiko darstellte. „Und was genau hat es nun mit dieser Schlacht auf sich?“, fragte Terry weiter, als das Schweigen zwischen ihnen schon wieder ekelhaft zu werden drohte. Eine Antwort bekam sie nicht mehr, denn Maya rief ihnen von weitem ein „Fünf, hast du Lust, zu kämpfen?“ dazwischen. Der Geflügelte drehte sich fragend um. „Gegen wen? Gegen dich?“ „Ja, ich will trainieren!“ Fünf schmunzelte. „Bei aller Bescheidenheit, du bist mir nicht gewachsen, Junge.“ „Maya, hör jetzt auf!“, zeterte Shinda ihm hinterher, der dem Geschichte-Studenten auf dem Fuß folgte. „Du hattest mir versprochen, daß du dich in diese Schlacht nicht einmischen wirst! Du wolltest nur Beobachter sein!“ „Dein Freund hat Recht, Maya. Lass es bleiben. Hier wird es in nächster Zeit noch genug Gewalt geben.“ „Argh! Warum wollt ihr mich alle darin hindern, stärker zu werden!?“ Mit einem trotzigen Wutschrei hob Maya einen Dreckklumpen auf und warf ihn nach Fünf. Der Unterwelt-Dämon knurrte gereizt, als der Matsch seine Lederjacke traf, und begann sich plötzlich zu verändern. Seine Haare wurden länger und fransig. Insgesamt wirkte er schlagartig viel haariger, wie eine Bestie. Seine Augen wurden zu brennenden Kugeln, die wie Fackeln in seinem Schädel loderten, seine ohnehin schon spitzen Eckzähne verlängerten sich zu einem wahren Raubtiergebiss, aus seinen Fingern wuchsen dolchartige Klauen. Noch ehe die Fledermausohren ganz aus seinem Kopf geschossen waren, warf er sich bereits herum und stürzte sich in Rage auf Maya. Im Flug nahm er die Form einer gewaltigen Fledermaus an und schickte dem Studenten eine ohrenzerreißende, unerträglich hohe Schallwelle entgegen. Er riss Maya im Vorbeiflug von den Füßen, wendete dann in der Luft und nahm Maß, um ihm die Spitze seines inzwischen ausgewachsenen Schwanzes in den Leib zu stechen. „Nein!“, keuchte Shinda und prellte ihn mit einer Druckwelle aus seiner Flugbahn, um ihn von dem Studenten fernzuhalten. Auch an ihm selbst ging die übliche Verwandlung vonstatten, als er in den Kampfmodus wechselte. Mit rotleuchtenden Augen sprang er Fünf nach und versetzte ihm eine Ohrfeige, die ihn noch in der Luft auf die Seite drehte und einen unkoordinierten Haken schlagen ließ. „Hör auf!“, befahl Shinda, obwohl er wusste, daß mit einem Unterwelt-Dämon in diesem Zustand nicht mehr zu reden war. Im Gegensatz zu den irdischen Dämonen setzte bei ihnen wirklich der Verstand völlig aus, wenn sie in Rage waren. Er hob eine Hand und auf seinen Wink hin schossen lange, seilartige Ranken aus den umliegenden Felsen und wickelten sich zielsicher durch die Ringe in Fünf´s Fesselmanschetten. Der Dämon knurrte protestierend auf, als er von den Ranken grob rücklings gegen eine Felswand gezurrt und dort regelrecht gekreuzigt wurde. Shinda setzte sofort nach, noch ehe der Kerl sich wieder ganz gefangen hatte, zog ihm eine Kette mit einem Edelstein über den Kopf und stopfte den Stein in seinen Jackenausschnitt hinein. Fünf jaulte auf, als sich der Kristall glühend heiß in seine Haut zu fressen schien, während ein immer deutlicher werdendes, zartrosa Licht davon ausging. „Shinda, nein!“, keuchte er panisch. „Nimm ihn wieder weg! Nicht!“ Ihm schnürte sich die Kehle zu, er begann um Atem zu ringen wie ein Läufer nach einem langen Sprint. Ein Schwindelanfall zog ihn regelrecht zu Boden. Sein Magen rebellierte und ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Der Schweiß trat ihm in dicken Tropfen aus allen Poren, seine Beine sackten unter ihm weg, so daß nur noch die Pflanzenranken ihn halbwegs aufrecht hielten. Er konnte nicht verhindern, daß seine Fledermausohren und sein Pfeilschwanz wieder verschwanden, ebenso das Raubtiergebiss mit den Fangzähnen und die Klauen. Dann wurde ihm langsam schwarz vor Augen, bis auch der dröhnende, raumausfüllende Bass-Ton in seinem Kopf, neben dem kein Sinneseindruck, kein Gedanke und nichts anderes mehr Platz hatte, wieder abebbte und ihm die Sinne schwanden. Als endlich Ruhe eingekehrt war, nahm Shinda ihm die Kette wieder ab, lies sie in seiner Jackentasche verschwinden und wandte sich ab. Er atmete etwas erleichtert durch. „Shit!“, keuchte Maya fassungslos. „Was war das?“ „Ein Kampf.“, gab Shinda genervt zurück. „Ja, das seh ich selber. Aber ... was zur Hölle ... kannst du das auch? Dich verwandeln und sowas?“ „Nein.“, meinte er und ging mürrisch weg. Maya ließ sich davon nicht abschrecken. Er sprang auf und folgte ihm nach einem letzten Blick auf den mit Ranken gefesselten Geflügelten. „Sind das die Fähigkeiten der Unterwelt-Dämonen?“, hakte er nach. „Nein. Das kann nur er. ... Naja, fast nur er.“, korrigierte Shinda. Der Student stutzte und versuchte, den Sinn hinter dieser Antwort zu verstehen. Fünf war also anders. Besonders. „Shinda, wer ist der Kerl?“ „Er ist The Big Bat.“ „Was muss mir das sagen?“ „Rechne doch mal eins und eins zusammen, man! Unfassbar, daß du es immer noch nicht selber gemerkt hast.“, fauchte Shinda fast. Er hatte sichtlich schlechte Laune und ließ sie auch ungeniert heraus. Er war stinksauer, daß Maya den Geflügelten bis zum Ausrasten provozierte, nur um endlich kämpfen zu können. Nun, zumindest sollte ihm jetzt klar sein, daß er nie im Leben eine Chance gegen ihn haben würde. „Er kann sich also verwandeln. Aber das können nicht alle Unterwelt-Dämonen.“, begann Maya zu rätseln. „Richtig.“ „Wieviele können sich denn verwandeln?“ „Neun.“ „Und er ist Nummer fünf von diesen neun? Daher sein Name Fünf?“ „Genau.“ „Es gibt also neun Dämonen, die besondere Fähigkeiten haben.“ „Neun Unterwelt-Dämonen!“, betonte Shinda. Maya kniff skeptisch die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Konnte das wirklich sein? „Wieviele Höllenfürsten gibt es denn?“ „Neun. Und ja, Fünf ist einer davon. Er ist der verdammte Höllenfürst, den alle stürzen wollen. Der, wegen dem dieser ganze Krieg hier überhaupt stattfindet.“ „Das ist schlecht, nehme ich an.“ „Sagen wir, The Big Bat ist nicht gerade der umgänglichste unter den Höllenfürsten. Er macht zwar einen ganz harmlosen, humanen Eindruck – zumindest uns gegenüber, vermutlich weil er unsere Hilfe will – aber man will ihn nicht grundlos stürzen. Er ist sehr wechselhaft in seinen Launen und damit völlig unberechenbar.“ Maya überdachte das kurz. Dann grinste er. „Aber hey, du hast ihn geschlagen!“ „Ich hatte lediglich die Überraschung auf meiner Seite. Er hat nicht damit gerechnet. Nochmal wird ihm das nicht passieren.“, gab Shinda nur missmutig zurück. „Ja, aber ... wie hast du das gemacht? War das der Stein?“ Maya war Feuer und Flamme. Endlich etwas, was so richtig effektiv gegen Dämonen war. Er musste unbedingt mehr darüber erfahren! Sofort! „Das war der Stein, ja. Kristallen werden ganz zu Recht magische Kräfte zugesprochen. Sie haben die Fähigkeit, Dämonen zu bannen. Dämonen vertragen den Körperkontakt mit gewissen Edelsteinen nicht.“ „Was war das für ein Stein?“ „Rosenquarz.“, maulte er, packte Maya am Kragen und schleifte ihn mit sich davon. Weg von Fünf, der immer noch gefesselt an der Wand hing und langsam wieder zu sich kam. In Zukunft würde er die beiden besser getrennt halten. „Rühre ihn nicht an!“, trug er der völlig verstörten Terry noch auf, die immer noch mit offenstehendem Mund am Feuer saß und in allen Bewegungen erstarrt war. Kapitel 5: "Nein, das ist bitterer Ernst." ------------------------------------------ Danke an die lieben Freischalter, die gerade wieder etwas Arbeit mit mir haben. ^^ _________________________________________ Fünf wandte den Blick vom klaren Sternenhimmel ab, als er Schritte hörte. Es war inzwischen dunkel geworden. Wie lange stand er wohl schon hier an dieser Felswand? Um ihn scharten sich die Geister, jetzt wo der Wind nachgelassen hatte und sie nicht mehr herumbeutelte, und lachten ihn aus. Aber was wollte er machen? Er konnte sie nur ignorieren, mehr blieb ihm nicht. Seine magischen Fähigkeiten waren von der Begegnung mit dem Rosenquarz noch immer unterdrückt. Im Schein des herabbrennenden Lagerfeuers sah er einen Kerl in schwarzer Leder-Kombi und Wuschelfrisur vorbeigehen. „Shinda, komm schon. Mach mich wieder los.“ „Nein.“, entschied der und ging ungerührt weiter um nach dem Feuer zu sehen. Hier gab es zwar nicht viel, was hätte abfackeln und einen Waldbrand verursachen können, aber trotzdem. „Wie lange willst du mich noch hier festgeknotet lassen?“ „Bis du wieder ganz zu klarem Verstand gekommen bist.“ „Bin ich doch.“ „Bist du nicht. In deinen Augen brennt immer noch Feuer. Solange das nicht erloschen ist, bleibst du da angebunden.“ Fünf seufzte. „Willst du mich denn die ganze Nacht hier stehen lassen?“ „Wenn es sein muss, ja.“ Mit diesen Worten war er wieder in der kleinen Höhle verschwunden, in der er Maya und Terry scheinbar festhielt. Was die drei da drin trieben, wusste Fünf nicht. Vermutlich nicht viel mehr als einfach nur einen Bogen um ihn zu machen. Vielleicht schliefen die Menschen auch schon. Er fragte sich, ob das nicht doch etwas dreist von Shinda war, ihn, einen Höllenfürsten, einfach so zu behandeln. Aber Shinda hatte ja bereits von Anfang an klargestellt, daß er ihm keinen Respekt zollen würde, und hatte Fünf´s Einverständnis dazu erhalten. Was hatte Fünf sich dabei nur gedacht? Hätte er gewusst, daß Shinda es so auf die Spitze trieb ... Naja, nicht zu ändern. Jetzt war es eben so. Er verabschiedete sich von dem Gedanken, hier noch vor Anbruch des nächsten Tages wieder loszukommen. Fünf kam langsam wieder zu sich und versuchte, seinen schmerzenden Rücken zu strecken. War es die unbequeme Haltung, die ihn aufgeweckt hatte, oder das leise Rumoren in der Höhle? Jemand beschwerte sich, furchtbar schlecht geschlafen zu haben und von Alpträumen geplagt worden zu sein. Ein anderer murmelte irgendwas von Frühstück machen. Eine Weile herrschte geschäftiges Ramschen und Hantieren. Irgendwann kam Maya müde aus der Höhle geschlichen, warf nur einen kurzen Blick in Fünfs Richtung, um zu sehen ob er noch da war, und schlurkste dann um die Ecke, um sich ein stilles Plätzchen zu suchen, wo er sich erleichtern konnte. Als nächstes kam Terry heraus und streckte sich genüsslich. Zufrieden hielt sie die Nase in die Morgensonne und lächelte. Dann fiel ihr Blick auf Fünf und wurde ein wenig gehässiger, als sie sich in Bewegung setzte und zu ihm kam. „Ist alles okay bei dir?“ „Erwecke ich diesen Eindruck denn?“, fragte Fünf kühl. „Also nicht?“ „Nein, verdammt, könntest du mich endlich mal befreien?“ Terry grinste finster. „Wieso? Du gefällst mir ganz gut so.“ Ihre Hand fuhr über seinen Oberkörper. Da seine Arme von Ranken festgezurrt waren, war er relativ ausgeliefert und schutzlos. Er konnte weder weg noch sich wehren. Seine Augen verengten sich zu wütenden Schlitzen, als Terry den Reisverschluss seiner Jacke aufzerrte und ihre Finger die Konturen seiner Muskulatur nun auf der blanken Haut nachvollzogen. „Du gehst zu weit!“, warnte er und zuckte genervt mit seinen Flügeln. Terry griff ungerührt in seine Jacke hinein und schlang unter dem Leder die Arme um seine Mitte. Ihre Hände fuhren über seinen Rücken, während sie sich an ihn schmiegte. Sein Atem wurde ungewollt tiefer. „Terry, hör jetzt auf!“ „Ich zieh hier mit dir in eine Schlacht. Kriege ich keine Gegenleistung für meine Hilfe?“ „Du kriegst eine satte Strafe für diese Anmaßung, wenn du nicht auf der Stelle ...“, er schnappte nach Luft, als das rothaarige Mädchen nach seinem Hosenknopf griff, ihn ohne viel Federlesen öffnete und ihre Finger ein Stück weit in dem sich auftuenden Kleidungsstück verschwanden. „Sag !“, verlangte sie ernst. „Ich befehle es dir!“ „Du HAST mir nichts zu befehlen!“, klärte Terry ihn gebieterisch auf und schob sich noch tiefer in seine Hose hinein. Schon gefährlich tief! In Fünf krampfte sich alles zusammen. Das war eine saudämliche Situation gerade. Unter anderen Umständen hätte er sie dazu gebracht, alles mit ihm anzustellen, was man mit einem wehrlos ausgelieferten Mann gegen dessen Willen nur anzustellen vermochte. Er hätte es genossen. Wirklich, Dämonen genossen sowas! Sie waren furchtbar masochistisch. Ersatzweise auch sadistisch, je nach Gelegenheit. Weil sie aus der negativen Energie Kraft schöpften. Und danach hätte er sie aus Revange langsam und genüsslich getötet. Bedauerlicherweise brauchte er Terry noch, und in diesem Augenblick hasste er sie dafür. Allerdings hatte er auch nicht vor, ihre Misshandlungen hinzunehmen, ohne sich danach der wohlverdienten, süßen Rache hinzugeben. „Schluss jetzt!“, gebot er und schubbste das Mädchen mit einer Druckwelle von sich. Er war zwar gefesselt, aber das unterband seine magischen Fähigkeiten ja nicht gänzlich. Nur Shindas blöder Edelstein wirkte noch immer nach, daher war die Druckwelle nicht sehr stark, leider, sie brachte Terry lediglich zwei Schritte weit ins Taumeln. Immerhin war er ihr lästiges Gefinger erstmal los. „Was fällt dir ein? Halt gefälligst still, du Miststück!“, zeterte das Mädchen los, kam wieder näher und schlug ihm mit der flachen Hand so hart ins Gesicht, daß ihm kurz der ganze Kopf klingelte. Er keuchte auf. Sie hatte Kraft, nicht zu fassen. Fünf sah langsam wieder auf, suchte beinahe amüsiert ihren Blick, und fuhr dabei grinsend mit der Zungenspitze seine Oberlippe nach, um zu sehen ob sie aufgeplatzt war. Dann lächelte er süffisant. „Du hast Mut.“, fand er. Anerkennend. In eben diesem Moment hatte er beschlossen, ihr das alles doppelt und dreifach heimzuzahlen, sobald er nur endlich diese Fesseln los wurde. Der Gedanke daran erheiterte ihn. „Du willst also eine Gegenleistung? Komm her und gib mir einen Kuss!“ „Tu es nicht, das würde dich umbringen.“, warf Maya gelassen ein, der gerade wieder zurückgekehrt war und das Ende dieses Szenarios noch mitbekommen hatte. „Und lass ihn in Ruhe, solange er gefesselt ist.“ Fünf bäumt sich in den Ranken auf – vielleicht reichte seine Kraft ja inzwischen wieder, um sich endlich selbst zu befreien – riss sich los, stürzte sich auf das rothaarige Mädchen und stieß sie unsanft zu Boden. Sie quiekte panisch auf, als sie hart auf dem steinigen Untergrund aufschlug und auch schon das Gewicht des Dämons auf sich spürte. Das lästige Ziehen in seinen Schultern ignorierte er. Er war noch halb steif davon, die ganze Nacht gefesselt gewesen zu sein, aber das hielt ihn jetzt nicht auf. Er zerrte sie am Handgelenk einige Meter weit mit sich und schleifte sie direkt in ein Brennnessel-Feld hinein. Terry wand sich schreiend in dem schmerzhaft nesselnden Unkraut, da sie nur kurze Hotpants und ein Spagettiträger-Hemdchen trug, aber Fünf kletterte wütend auf sie und hielt sie unter sich fest. Mit ihrem hilflosen Um-sich-Geschlage machte sie alles nur noch schlimmer und wälzte sich um so tiefer und gründlicher in das Brennnessel-Feld hinein. Fünf hielt sie erbarmungslos darin nieder. Ihre Schreie wurden immer hysterischer und schmerzerfüllter. Der Dämon blieb gnadenlos, hielt sie weiterhin unter sich fest. „Maya, warum tust du nichts?“, wollte Shinda erschrocken wissen, als er, angelockt von dem Theater, hinzukam. „Wieso sollte ich? Sie hat ihn ja misshandelt, da muss sie auch die Konsequenzen tragen.“, gab der nur gelassen zurück und verschränkte die Arme, während er weiter untätig zusah. „Ich dachte, wir machen diese ganze Reise hier nur, um sie zu schützen!“ „Ja, aber doch nicht vor ihrer eigenen Dummheit.“, stellte Maya klar. „Sie ist doch selber Schuld, wenn sie sich mit so einem anlegt.“ „Es ist nicht ihre Schuld! Es ist SEIN Einfluss, der sie so hat werden lassen!“ „Ja, und es ist SEIN Recht, sich zu revangieren.“ „Ich erinnere dich daran, wenn du das nächste Mal wieder kämpfen willst!“, maulte Shinda und ging los, um die beiden zu trennen. Terry hatte die Brennnesseln lange genug zu spüren bekommen. Was für ein Kindergarten, nicht zu glauben! Jetzt musste er auch noch auf Terry aufpassen. Als ob Maya alleine nicht schon genug Probleme machen würde. Und das alles schon vor dem Frühstück. „Hör endlich auf, dich zu kratzen und mach das Frühstück!“, maulte Maya das Mädchen an und hievte den Topf Wasser für sie auf das wiederentfachte Feuer. „Das tut aber weh!“, zeterte Terry. Sie musste sich wirklich zwingen, ihre Brennnessel-Schwellungen in Ruhe zu lassen. Sie juckten fürchterlich. Aber das schlimme war, wenn man sie kratzte, schmerzten sie auch noch zusätzlich. „Selber Schuld!“, kam es von Maya und Fünf wie aus einem Mund, dann lachten sie leise über ihre Gedankengleichheit und spazierten zusammen zum Fluss, um sich die Hände zu waschen. Maya seufzte zufrieden. „Shinda nennt dich . Die große Fledermaus.“ Fünf schmunzelte. „So nennt man mich für gewöhnlich, ja.“ „Dann bist du also tatsächlich einer der Höllenfürsten?“ „Tja, in den nächsten Tagen soll sich zeigen, ob ich das bin. Vielleicht nimmt jetzt ein anderer meinen Platz ein.“, sinnierte er etwas wehmütig und lies den Blick über den Horizont streifen, während er sich ans Ufer kniete. „Ist The Big Bat dein echter Name?“ „Nein, nur ein Titel. Jeder Höllenfürst hat einen. Sie nennen uns nach den Tieren, in die wir uns verwandeln.“ „Ich dachte, du könntest völlig frei jede Form annehmen.“ „Ja, kann ich. Aber wir haben trotzdem so unsere bevorzugten Erscheinungsbilder. Nimm dich in Acht vor dem jagenden Affen, der ist der gefährlichste von allen. Er nennt sich gegenüber Menschen Ruzlan. Und er ist ziemlich übel drauf.“ Maya setzte sich neben ihn und sah ebenfalls in die Ferne. „Wenn ihr Höllenfürsten solche mächtigen Wesen seid, wieso brauchst du dann Terrys Hilfe? Was kann ein menschlicher Körper dir bieten?“ „Wenn wir einen Menschen in Besitz nehmen, löst sich unser eigener Körper völlig auf. Wir können dann nicht mehr verletzt werden, spüren keine Schmerzen mehr. Wir sind dann nur noch ein loser Verstand ohne stoffliche Bindung. Der Mensch, der von uns besessen ist, dient uns dabei als Begrenzung und Träger, damit wir uns nicht verflüchtigen wie Nebel im Wind. Du kannst dir diesen Zustand vorstellen, als wären wir eine Software auf einem Computer. Wenn es keinen Computer gibt, also keinen Menschen als Träger, existiert auch die Software nicht. Wir würden uns einfach auflösen und aufhören zu existieren. Und der Mensch dient uns natürlich als Werkzeug, damit wir trotz unserer eigenen Körperlosigkeit weiter agieren können.“ „Was passiert, wenn man den Menschen tötet, der von dir besessen ist?“ „Einen besessenen Menschen KANN man nicht töten!“, lächelte Fünf. „Er ist wie ein Zombie, unaufhaltbar, egal was man ihm antut.“ „Und wenn du ihn dann irgendwann wieder verlässt, so rumpuniert und zerstört wie er ist?“ „Tja ... das ist dann ein Problem, zugegeben.“ Maya überlegte, ob er Fünf nun bitten sollte, Terrys Körper zu schonen, solange er in ihr steckte. Aber eigentlich war es ihm ja egal. Terry war ihm egal. Er hörte Shinda sauer nach ihm rufen, wusch sich schnell die Hände im Fluss und beeilte sich, zurückzukommen. Shinda untersagte es, daß er sich zu lange mit dem Unterwelt-Dämon alleine herumtrieb. „Gib ihn mir wieder! Wir wollen los!“, verlangte Shinda mit aufgesetzer Wut und hielt Fünf am Bein fest, der lachend mit einem Rucksack wedelte und versuchte, davonzufliegen, aber nur kläglich flügelschlagend in der Luft hing. Shinda war zu schwer, er kam nicht in die Höhe solange er festgehalten wurde. Von der anderen Seite zerrte auch Terry an seiner Jacke, der der Rucksack gehörte. Trotz der Rangelei lachten alle mehr oder weniger ausgelassen, denn es war klar, daß das hier nicht ernst war. „Du hast seltsame Gefährten um dich geschaart.“, unterbrach eine dunkle Stimme das gesamte Theater. Alle fuhren herum und glotzten dumm auf den Neuankömmling, der kaum 5 Meter von ihnen entfernt stand. Fünf setzte mit fragendem Blick wieder auf dem Boden auf. Keiner hatte ihn kommen hören. Oder das stattliche Gefolge, das sich ordentlich in Reih und Glied hinter ihm sammelte. Sie alle waren bewaffnet und leicht gerüstet, also Krieger, und trugen Fuchswappen an ihrer Kleidung. Einen Moment herrschte ratlose Stille, dann lief Fünf dem Kerl lächelnd entgegen. „Hey, was tust du denn hier? Waren wir nicht in drei Tagen am Galgenfelsen verabredet?“ „Nun, du bist ja auch jetzt hier. Also spricht nichts dagegen.“, gab der Neue zurück und schüttelte Fünf die angebotene Hand. Er trug einen knielangen Kampfkimono in weiß mit roten und blauen Zierungen, dazu blaue Hosen. Seine Haare waren blutrot und hingen ihm offen bis zur Hüfte. Ihm sah man sofort an, daß er ein Höllenfürst war. „Du bist pünktlich und gut vorbereitet, wie immer, Koya. So kenne ich dich. Lass uns den Rest des Weges eben zusammen gehen.“ Lachend deutete er auf Maya und Shinda. „Sind das all deine Männer? Hast du keine Dämonen mehr, die noch zu dir halten?“ „Bin ich kein Dämon?“, schaltete sich Shinda beleidigt ein. Unabhängig davon, ob er sich nun unbedingt als Fünfs Gefolgsmann sehen wollte oder nicht, kratzte diese arrogante Bemerkung doch sehr an seinem Stolz. Ein verächtlicher Blick traf ihn. „Ein Irdischer, super. Ein Dämon ohne Flügel ist kein Dämon!“, meinte Koya. „Wie kommst du zu dieser Feststellung?“ „Ein Mann ohne Eier ist ja auch kein Mann.“, erwiderte der mutmaßliche Höllenfürst nur, als sei das Erklärung genug, und ging dann mit Fünf weg. Shinda sah ihm kopfschüttelnd nach. Dieser Vergleich hinkte nicht nur, der war gänzlich bewegungsunfähig. „Der hat gesessen.“, murmelte Maya und schaute dann besorgt dem Dämonenheer zu, das in geschäftiges Treiben verfiel. Überall wurden Zelte aufgeschlagen, Feuerstellen entfacht, Gerüste aufgebaut, Gepäck zusammengetragen. Sie schlugen offenbar ein Lager auf, um sich niederzulassen. Shinda lies sich etwas genervt auf einem großen Stein nieder. „Ich schätze wir können wieder auspacken. So schnell kommen wir hier nicht mehr weg.“ „Dachte ich auch schon. Wahrscheinlich brechen wir nun erst morgen zum Galgenfelsen auf.“, stimmte Maya zu, während er in seinem Rucksack nach etwas essbarem kramte. Auf den Lagerfeuern der Dämonen brutzelten Schlangen und Kröten über dem Feuer. Ihm drehte sich der Magen um, wenn er nur hinsah. Darum und weil er immer noch nicht wusste, wie die Typen so drauf waren, hatte er es bisher tunlichst unterlassen, mit einem von ihnen ein Wort zu wechseln, obwohl er sie durchaus interessant fand und so einige Fragen gehabt hätte. Etwa was das Fuchswappen bedeutete oder wer ihr Anführer war. Shinda schien den Rothaarigen auch nicht zu kennen. Beziehungsweise, wenn er ihn kannte, weigerte er sich, darüber zu reden. „Wo sind nur meine Schokoriegel hin?“, seufzte der Student schließlich frustriert und sah sich um. „Terry, hast du meine ... Terry? Ist alles okay mit dir?“ Das Mädchen starrte mit leerem Blick vor sich hin und eine einzelne Träne sickerte gerade über ihre Wange hinweg. Sie schreckte hoch, als sie angesprochen wurde und wischte die Träne schnell weg. „Ja ... es ist nichts.“ „Terry.“ Maya rutschte zu ihr herüber und legte einen Arm um sie. „Was ist los?“ Sie schniefte laut auf und klammerte sich dann mit Verzweiflung in seinen Klamotten fest, krampfartig, als wäre er ihr letzter Halt im Leben. „Das ist alles so furchtbar.“, jammerte Terry und heulte nun ungeniert los. „Das muss meine ganz private Hölle sein. Und vermutlich habe ich es sogar verdient.“ Maya wusste nicht recht, was er darauf sagen sollte. Ihr plötzlicher, scheinbar völlig grundloser Heulkrampf überforderte ihn. „All diese Dämonen hier! Dort sind hunderte von denen! Das macht mir solche Angst! Ich will weg, Maya, hilf mir doch!“, flennte sie weiter. „Das können wir nicht, Terry. Fünf hat dein Versprechen.“ Tröstend rieb er ihr über den Rücken. „Beruhige dich doch, komm schon. Sieh mal, keiner tut dir was.“ „Das ist ein Krieg, Maya! Wir werden alle sterben!“ „Unsinn.“, hauchte Maya sanft und hoffte, daß seine Unsicherheit nicht allzu hörbar mitschwang. Die Heere begannen sich zu versammeln. Es ging in die heiße Phase, das sah man nun mit eigenen Augen. Klar, daß Terry das Angst machte. Das Mädchen schluchzte kurz, als würde sie sich wieder fangen, aber dann griff der Heulkrampf wieder mit neuer Macht auf sie zurück. „Wer ist der Kerl?“, wollte Maya wissen, als Fünf sich Stunden später wieder zu ihm gesellte. Scheinbar hatte er endlich genug Informationsaustausch mit dem Rothaarigen betrieben. „Koya, mein Feind. Er wird in dieser Schlacht mein Gegner sein.“ „Er ist also tatsächlich ein Höllenfürst?“, rückversicherte sich der Junge. Die Vermutung hatte vom ersten Augenblick an nahe gelegen, aber es aus dem Mund des Unterweltlers bestätigt zu hören, war doch irgendwie hart. „Ja. Und er will mich stürzen.“ „Dafür macht ihr aber nen sehr kameradschaftlichen Eindruck, wenn ihr zusammen seid.“ Maya begann im Fluss herumzustochern, an dessen Ufer er saß. „Wir Dämonen verbinden Rivalität nicht mit Hass, so wie ihr Menschen es tut. Koya und ich haben nichts gegeneinander. Kriege sind bei uns Dämonen äußerst sachlich und die vorher vereinbarten Regeln werden auf jeden Fall eingehalten.“ „Klingt nach einem Show-Kampf.“ „Nein, das ist bitterer Ernst. Im Gegensatz zu einem Show-Kampf steht der Gewinner hier nicht schon vorher fest.“ „Die vielen Typen hier sind sein Heer, oder?“ „Ja. Jeder Höllenfürst zieht mit genau hundert willigen Männern in die Schlacht. Keiner mehr und keiner weniger.“ „Komische Regel.“ „Sie ist sinnvoll. So hat jeder die gleichen Voraussetzungen und der Schaden wird ungleich geringer gehalten als wenn man restlos alle Untertanen in den Tod schickt, die man hat.“ „Wo sind deine Krieger?“ „Die stoßen erst am Galgenfelsen zu uns.“ Fünf sah eine Weile nachdenklich auf Maya. Sollte er wirklich? Die Gelegenheit war einfach zu umwerfend, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Ein kurzer Blick in die Runde. Shinda war nirgends zu sehen. Ein bittendes Lächeln umgab seine Züge. „Willst du mir helfen, Maya?“ „Gern. Wie kann ich?“ „Pass auf, ich bringe dir einen Zauber bei, mit dem du jeden Dämon vernichten kannst. Setze ihn in der Schlacht großzügig ein! Aber bitte nicht eher!“ Er griff in seine Jackentasche und holte eine kleine Viole mit einem tiefblau schillernden Pulver hervor. „Du wirst noch ein wenig Vorbereitung betreiben müssen, der Sand muss erst aktiviert und mit anderen Substanzen vermengt werden, bevor es zur Waffe wird. Ich erkläre dir, wie du es machen musst ...“ Kapitel 6: "Shinda, was passiert bloß mit mir?" ----------------------------------------------- Shinda keuchte auf, als Maya ihm unvorgewarnt einen rosa Stein an die Brust drückte. Es geschah nichts. Jedenfalls nicht das, was Maya sich erhofft hatte. Shindas Hände wanderten suchend in die Taschen seiner Lederjacke und fanden ... nichts! Der Rosenquarz war wirklich weg. Den hielt jetzt Maya eigenhändig auf seine Haut. Unfassbar. Der Dämon holte aus und klebte Maya eine, daß der rückwärts zu Boden taumelte und den Stein fallen lies. „Du überhebliche Schlange!“, zischte Shinda. Maya rappelte sich ächzend wieder in eine sitzende Position hoch und hielt sich die Wange, auf der sich ein deutlicher Handabdruck abzeichnete. „Es hat ja gar keine Wirkung auf dich!“, stellte er völlig perplex fest. „Natürlich nicht! Auf jeden Dämon wirken andere Steine, du Idiot. Der Rosenquarz gehört bei mir zufällig nicht dazu. Wann zur Hölle hast du mir den gestohlen?“ Stinksauer sammelte Shinda den Quarz wieder ein und steckte ihn zurück in seine Tasche wo er hingehörte. „Wieso hat der keine Wirkung auf dich?“ „Wieso verlangst du, daß er eine Wirkung auf mich haben muss? Willst du mir um jeden Preis schaden? Was ist nur in dich gefahren?“ Der Stein hatte durchaus eine Wirkung gehabt, die Berührung hatte echt wehgetan. Shinda selbst vertrug keinen Rauchquarz, und da war der Student mit seinem Rosenquarz schon ziemlich nah drangewesen. Aber das würde er Maya natürlich nicht sagen, so wie der gerade drauf war. „Sag es mir, Maya! Warum versuchst du neuerdings ständig, mich umzubringen oder mich zu verletzen? Seit wann hasst du mich so?“ „Tu ich doch gar nicht.“, gab der Braunhaarige zurück und raffte sich auf. „Ich versuche lediglich zu lernen, wie man gegen Dämonen vorgeht. Wir ziehen hier in eine großangelegte Dämonenschlacht und werden sicher etliche mehr von denen am Hals haben als Koyas Hundert. Ich will mich effektiv wehren können. - Wieso bringst du mir nicht einfach mal was bei?“, schlug er selbstgefällig vor. „Damit du es dann gleich mal an mir testen kannst, oder was? Vergiss es. Jetzt bringe ich dir ganz sicher nichts mehr bei. Und wenn du mir noch einmal was anzutun versuchst, werde ich dir ein Messer zwischen die Rippen rammen, nur um zu sehen ob du auch so lustig blutest wie diese Typen in den Horrorfilmen! - Sieh zu, daß du in die Gänge kommst! Wir brechen auf zum Galgenfelsen.“ Fünf und Koya schritten Seite an Seite voran. Ihnen auf dem Fuß folgten die einhundert geflügelten Dämonen mit den Fuchswappen auf der Brust. Maya hatte inzwischen herausgefunden, daß Koya sich wohl in einen Fuchs zu verwandeln pflegte. Jedenfalls nannte man ihn , so wie man Fünf nannte. Daher das Wappen. Maya und Terry bildeten die einsamen Schlusslichter der ganzen Prozession. Jetzt wo Fünf seinen Feind hatte, brauchte er die Menschen nicht mehr als Gesellschaft. Shinda schien nicht böse darüber. Er wachte eifersüchtig darüber, daß Maya und Terry auch wirklich dort hinten blieben wo sie waren – am Ende der Gruppe, so weit wie möglich weg von Fünf. „Alles okay bei dir, Terry? Du siehst müde aus.“, meinte der Geschichte-Student, weniger weil es ihn in irgendeiner Weise interessierte, sondern weil ihn das Schweigen noch viel mehr nervte als mit ihr reden zu müssen. Sie rieb sich die Augen. „Hmmm. Ich hab nur furchtbar schlecht geschlafen.“ „Die Traumfänger?“ „Nein, die Brennnessel-Stiche. Sie tun immer noch mörderisch weh. Ich kann nicht liegen. Oder sitzen. Oder mich sonst irgendwie normal bewegen.“ „Frag doch mal Shinda, ob er was dagegen weis. Er hilft dir bestimmt.“ „Hat er schon. Ohne würde ich es ja gar nicht aushalten.“, seufzte sie und rückte ihren Rucksack auf den geröteten Schultern zurecht. Nun half es auch nichts mehr, langärmliche Sachen zu tragen. Maya war immer noch ein wenig der Meinung, sie sei selber Schuld an ihrer Situation, aber er sparte sich einen entsprechenden Kommentar. Stattdessen wurde seine Aufmerksamkeit von einem gewissen rot-orangen Farbspektrum angezogen, das über ihnen den Himmel erfüllte. Es war eine Aura, aber sie hatte eine gewaltige Ausdehnung. Wenn das ein Wesen war, dann war es riesig. „Shinda ...???“ Der Dämon sah ihn kurz zwischen genervt und fragend an und folgte dann seinem Blick zu den Wolken hinauf. Und wieder zu ihm. „Was!?“, wollte er schlecht gelaunt wissen. Er sah offenbar nichts. „Was ist das da oben?“ „Wo denn?“ Shinda begann missmutig, den Himmel genauer abzusuchen, kam aber auch weiterhin zu keinem Ergebnis. Es war wohl nicht nur für Menschen unsichtbar, stellte Maya beklommen fest. „Eine Aura, direkt über uns. Sie ist gigantisch.“ Shinda schaute intensiver nach oben. Lange. Und blinzelte immer wieder. Er hatte wohl begonnen, alle Wahrnehmungsebenen durchzugehen, die ihm zugänglich waren. Doch was immer es war, es schien sich auf allen Ebenen recht erfolgreich zu verbergen. „Ich erkenne es nicht eindeutig, aber ich schätze, es sind Dämonen.“ Shinda sah sich suchend um. „Wohl das hundert-Mann-Heer eines weiteren Höllenfürsten. Aber wo ist der Anführer? ... Egal, lass uns weitergehen.“, entschied er dann. „Egal? Noch mehr Höllenfürsten und Unterwelt-Dämonen, das ist eine Katastrophe!“, jaulte Terry hysterisch auf. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Nerven noch mehr von denen vertrugen. „Unsinn. Die werden keinem was tun. Diese Schlacht ist in Ort und Zeit abgesprochen, es wird keiner den anderen vorzeitig angreifen.“ Shinda stand mit verschränkten Armen hinter dem braunhaarigen Jungen und schaute skeptisch-sauer über dessen Schulter. Es war schon wieder Abend und sie waren immer noch nicht aus dieser blöden Klamm heraus. Shinda hatte nicht gedacht, daß der Galgenfelsen so weit weg sein würde. Der Student war so vertieft in sein Treiben, daß er Shindas Anwesenheit gar nicht bemerkte. Der Dämon beobachtete missmutig, wie Maya einige zweifelhafte Substanzen in einem kleinen Kessel zusammenrührte und dann alles mit Wasser aufgoss. „Maya, was tust du da?“, wollte Shinda in drohendem Tonfall wissen, um den Jungen überhaupt erstmal auf sich aufmerksam zu machen. An sich hatte er schon eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was Maya da tat. Aber es fehlte noch etwas entscheidendes, von dem er sich kaum vorstellen konnte, daß Maya es hatte. Der Geschichte-Student fuhr kurz erschrocken herum. „Ach, du bist es bloß.“, stellte er dann beinahe tadelnd fest. „Ich rühre Schlamm an.“ Unbeeindruckt hantierte er weiter mit seinem Kessel herum. „Wofür?“ „Das soll gegen Terrys Brennnessel-Stiche helfen. Sie hat immer noch Probleme mit den Schwellungen.“ „Ah ja, und deshalb rührst du Juckpulver mit rein?“ „Juckpulver?“ „Gemahlene Hagebutten-Samen!“, konkretisierte Shinda, langsam ungeduldig werdend. Maya versucht hier tatsächlich, ihn für dumm zu verkaufen! „Hagebutten heilen doch.“, hielt Maya dagegen. „Als Tee, ja, aber nicht als Pulver in einer Schlammpackung. Was soll das für ein Zauber werden, den du da vorbereitest? Du versuchst doch nicht etwa eine Sprengstoff-Fontaine!? Maya!!!???“ „Nein, tue ich nicht.“ „Besitze jetzt nicht die Frechheit, mich anzulügen!“, verlangte Shinda ungehalten. „Ich weis zwar nicht, wo du die nötigen Substanzen dafür her hast, oder das Wissen, aber ich erkenne die Art der Zubereitung ganz genau! Das ist größenwahnsinnig, Maya! Das wirst du nicht schaffen, so gut bist du als Hexer bei weitem nicht!“ Shinda trat einen Schritt vor, um sich den Kessel zu schnappen und schreckte zurück, als er plötzlich die Mündung einer Pistole vor der Nase hatte. Das war zuviel! Schnell zwang er sich, den Schreckmoment zu übergehen, griff hart in die Revolvertrommel um die Feuermechanik der Pistole zu blockieren und riss Maya die Waffe aus der Hand. „Hast du eine Macke!?“, zeterte er wütend los. „Bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ Maya sah einen Augenblick lang erstaunt auf die Waffe in Shindas Hand, überrascht über diese unerwartete Entwaffnung, dann beließ er sie mit einem Schulterzucken dort wo sie war, und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu. „Ich hab die Nase voll mit dir!“, meckerte Shinda ungehalten weiter, sicherte den Revolver und steckte ihn ein. „Ach, tu doch nicht so, als ob Kugeln dir was anhaben könnten.“ „Darum geht es überhaupt nicht! Allein diese bodenlose Frechheit, eine Waffe auf mich zu richten! Wir sind Freunde, vergiss das nicht! - Und jetzt hör endlich auf, diesen selbstmörderischen Zauber vorzubereiten! Du wirst uns alle umbringen!“ Maya kippte trotzig noch eine Ladung Wasser dazu und schon flog ihm mit einem bombastischen Rumms der ganze Kessel samt Inhalt um die Ohren. Shinda konnte ihn gerade noch am Kragen packen und zurückzerren, bevor der aufsteigende, ätzende Dampf ihm in die Atemwege stieg. Fassungslos schaute Maya auf den Stein, auf dem gerade noch der Kessel gestanden hatte. Eine ekelige Pfütze auf dem Boden markierte noch die Stelle. Obwohl Maya den Schmodder nicht auf Feuer gekocht hatte, blubberte er noch wie ein Kochtopf, während er sich langsam in die Erde fraß und ein größer werdendes Loch hinterließ. Shinda riss ihn an der Schulter herum, um sich zu vergewissern, daß der Student nichts von dem Zeug ins Gesicht bekommen hatte. Dann klatschte er ihm eine, daß ihm hören und sehen verging. „Shinda, was passiert bloß mit mir? Ich erkenne mich selbst nicht wieder.“, meinte Maya leise, als sie etwas später zusammen am Lagerfeuer saßen. Der Vorfall mit dem explodierenden Kessel hatte ihn ein gutes Stück weit in die Realität zurückgeholt. Er hatte eingesehen, wie überheblich sein Vorhaben gewesen war – zumindest vorläufig. Shinda war sich sicher, daß der Effekt nicht lange halten würde. „Das ist der Einfluss der Unterwelt. Es bekommt dir nicht, mit einem Unterwelt-Dämon durch die Gegend zu ziehen. Seine Gegenwart lässt Menschen schlecht werden und lässt sie negative Züge entwickeln. Daher haben Dämonen ihren gemeinhin dämonischen Ruf, weil die bloße Anwesenheit eines Unterwelt-Dämons die Menschen verdirbt. Bei den Fürsten ist es noch unmittelbarer als bei den gewöhnlichen, da dauert es zumindest ein paar Tage.“ „Aber Teresa hat sich nicht verändert.“ „Noch nicht, abgesehen von der einen Aktion für die Fünf sie in die Brennnesseln geschickt hat. Sie ist wohl sehr charakterstark. Aber es wird auch an ihr nicht spurlos vorübergehen, glaub mir. Es trifft ausnahmslos jeden, den einen früher, den anderen später.“ „Shit ... Es war ein Fehler, Teresa zu begleiten. Du hattest Recht.“ Shinda zuckte mit den Schultern und begann, mit einem Zweig Muster in den Boden zu kratzen. „Hätten wir sie nicht begleitet, hätten wir sie ins offene Messer laufen lassen. So können wir zumindest das schlimmste verhindern. Sicher war es nicht falsch, sie zu begleiten, aus moralischer Sicht. Es war ein Fehler, ja, aber nicht wegen ihr. Sondern wegen diesem Dämon. Du hast ja keine Ahnung, wer der Kerl wirklich ist.“ „Und du hast auch nicht vor, es mir zu sagen.“ „Nein. Und es ändert jetzt auch nichts mehr.“ Maya nickte betrübt. Das Fünf einer der Höllenfürsten war, hatte ihn schon weithin überrascht. Was konnte das denn noch toppen? Nun, sicherlich wollte man ihn nicht ohne Grund loswerden. „Bist du mir böse?“ Der Dämon kratzte weiter mit dem Stock über den Boden. Nachdenklich. Antwortete lange Zeit nicht, bis er schließlich seufzte. „Ich weis es nicht. Es ist gerade nicht einfach mit dir. Auch wenn ich weis, wo das alles herrührt.“ „Verlass mich nicht, Shinda, bitte. Halte mich auf, wenn ich zu weit gehe! Ich weis, ich bin schon mehr als einmal zu weit gegangen. Und ich weis, ich werde es wieder tun. Bitte, schütze mich.“ Shinda sah kurz auf, maß seinen Freund mit humorlosem Blick, schaute dann wieder seiner am Boden kreisenden Astspitze zu. Erneut brauchte er einige Zeit, bis er seine Worte mit der notwendigen Sorgfalt gewählt hatte. „Du bist gut ausgebildet, Maya. Und das macht dich um so gefährlicher. Selbst für mich ist es inzwischen verdammt schwer, dich aufzuhalten, ohne dich ernsthaft zu verletzen. Ich weis nicht, wie du erst drauf sein wirst, wenn wir auch den anderen Unterwelt-Dämonen noch begegnen. Ihre Anwesenheit wird dich noch viel stärker machen. Und noch böser.“ Etwas besorgt schaute Shinda hinauf zum Klippenrand, wo die gewaltige orange Aura von der Anwesenheit weiterer, mächtiger Kreaturen kündete. Wenn er nur wüsste, wer! Kapitel 7: "Auf welcher Seite wirst du kämpfen?" ------------------------------------------------ Shinda stand seufzend auf und spazierte davon. Lies Maya allein am Lagerfeuer zurück. Er hatte so die Nase voll. Von ihm, von Fünf, von dieser ganzen Reise. Er hätte alles hinschmeißen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden mögen. Zumal ihn diese ganze Schlacht ohnehin nichts anging. Lustlos stapfte er in den dunkler werdenden Abend hinein. Sollte Maya doch Unfug treiben! Sollte er mit dem Höllenfürsten rumhängen, dessen Gesellschaft ihm nicht bekam. Sollte er Zauber ausprobieren, denen er nicht gewachsen war. Shinda war gerade alles egal. Er brauchte jetzt eine Auszeit, einen freien Kopf, also konnte er ja auch mal spazieren gehen und herausfinden, wem die gewaltige Aura da oben auf dem Rand der Klamm gehörte. Als der Dämon auf der Suche nach einem Aufstieg um einen Felsvorsprung bog, sah er sich unvermittelt einem schneeweißen Typen gegenüber und hielt kurz verdutzt in allen Bewegungen inne. Die langen, leuchtend weißen Haare waren auf dem Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden. Die azurblauen Augen waren kalt wie Eis. Der weiße Kimono schien ihm etliche Nummern zu groß. Shinda hatte nicht damit gerechnet, ihn zu treffen. Nicht hier, und schon gar nicht jetzt. „Ying-Dai, was tust du hier?“, meinte er zwischen verwundert und grüßend zu seinem älteren Bruder, der rein optisch das genaue Gegenteil von ihm war. „Bist du nun bereit, diesem Menschenjungen den Rücken zu kehren und endlich mit mir zu kommen?“ Shinda seufzte. Es war klar, daß sich der Eisdämon nicht mit Grußfloskeln aufhalten würde. Aber die Sache mit Rubiko und dem Hexenklan war jetzt über zwei Jahre her. Seither hatte er nie wieder etwas von Ying-Dai gehört oder gesehen. Shinda hatte gedacht, der Kerl hätte es wieder aufgegeben. Allerdings musste er zugeben, daß das Timing in der Tat perfekt war. Shinda war noch nie so nah dran gewesen, Maya zum Teufel zu jagen. Aber – nein – noch glaubte er an aufrichtige Freundschaft! Er war überzeugt, daß Maya wieder zur Besinnung kam. „Bist du nur deshalb gekommen?“, hakte Shinda beleidigt nach. „Zwei Jahre lang suche ich nach dir, ohne daß du dich dazu herabgelassen hättest, in irgendeiner Weise darauf zu reagieren. Und jetzt zeigst du dich endlich wieder, und deine einzige Sorge ist es nach wie vor, mich aus der Menschenwelt herauszulocken? Ich bin enttäuscht, wirklich.“ Ying-Dais Gesicht zeigte keine Emotion. „Stell deine Fragen!“, bot er lediglich an, nüchtern, immer noch rücklings gegen die Felswand gelehnt. „Fragen?“ „Wenn du mich gesucht hast, dann hast du doch Fragen!“ „Nein. Jetzt habe ich keine mehr.“, maulte Shinda. Oh ja, er hatte Fragen gehabt. Viele sogar. So vieles, was er Ying-Dai erzählen wollte. So vieles, worüber Ying-Dai ihn hätte aufklären können. Was er mit Ying-Dai hatte teilen wollen. Aber es war vergebens, das hatte Shinda in eben diesem Moment eingesehen. Er hatte sich eingebildet, in dem Eisdämon einen Freund zu finden, einen Seelenverwandten, einen von seiner eigenen Art. Oder zumindest einen Bruder, der er ja tatsächlich war. Denn soweit musste er Ying-Dai Recht geben, er gehörte eigentlich nicht in Mayas menschliche Welt. Aber Ying-Dai war nicht so, wie Shinda es sich erwünscht hatte. Er war kalt und unnahbar. Er war kein Freund. Für niemanden. Er war nichtmal ein Bruder, im emotionalen Sinne. „Ich werde in diese Schlacht eingreifen, Shinjudai.“, prophezeite der Weißhaarige in nüchternem Tonfall, ihn ganz absichtlich bei seinem wahren Namen nennend, während Shinda schon hoch erhobenen Kopfes weiterspazierte. „Ja, tu das.“, gab der nur über die Schulter zurück und begann, an einer Stelle der Felswand hinaufzuklettern, die ihm geeignet genug dazu erschien. Sicher, er hätte sich einfach hinauf teleportieren können. Aber einerseits wusste er immer noch nicht sicher, was ihn da oben erwartete, und andererseits stand ihm der Sinn sowieso gerade nach etwas sportlicher Betätigung, um sich abzuregen. „Die Konsequenzen meines Eingreifens könnten dir missfallen.“, fuhr Ying-Dai fort. Gerade seine Emotionslosigkeit lies ihn um so drohender klingen. „Es werden nicht nur Dämonen sterben.“ Shinda sah zurück. „Wenn du Maya etwas antust, sind wir die längste Zeit Brüder gewesen, Eis-Patron.“ „Dann geh mit mir hier weg, bevor es dazu kommt.“ „Nein. Ich werde Maya in diesem Krieg nicht alleine lassen, da kannst auf und nieder springen. Du bekommst mich hier nicht weg.“ Ying-Dai maß seinen jüngeren Bruder weiterhin mit dieser ekelhaft kühlen Miene, die keine Gemütsregung verriet. Seine Selbstbeherrschung war so nachhaltig, daß es schien, als wäre der Eisdämon vollkommen empfindungslos. Shinda machte das durchaus Sorgen. Er hatte den Eindruck, daß der Weißhaarige ohne zu zögern töten würde, ausnahmslos jeden, und sei es nur für eine Banalität. Ying-Dai war ein Typ, mit dem man sich besser nicht anlegte. Die Tatsache, daß er nun auf Shindas Trotzreaktion nichts mehr erwiderte, war angsteinflößend. Würde er jetzt Zwangsmittel anwenden, nachdem er verbal nicht weiterkam? Shinda unterdrückte das mulmige Gefühl und kletterte weiter. Sein Bruder ließ ihn auch ohne ein weiteres Wort ziehen. Shinda zog sich ächzend hoch und warf einen vorsichtigen Blick über den Klippenrand. Der Besitzer dieser gewaltigen, flächendeckenden Aura hatte endlich beschlossen, sich ihm zu zeigen, nachdem er nun nicht mehr leugnen konnte, entdeckt worden zu sein. Wie der Schwarzhaarige vermutet hatte, lagerte vor ihm eine Hundertschaft. Einhundert Dämonen in identischen Kampftrachten. Über ihnen flog die Rabenfahne im Wind. Das war also das Heer der Ewigen Krähe. Niemand gefährliches. Shinda sah sich suchend um, während er ganz auf das Hochplateau hinaufkraxelte. Die Höllenfürstin stand ein gutes Stück Abseits an der Klippe und schaute hinunter auf Fünf, auf Maya und Terry, auf Koyas Gefolgschaft. Wie immer trug sie ihr weitausladendes, royalblaues Ballkleid und die goldene venezianische Maske. Keiner hatte je ihr Gesicht gesehen, sie trug diese Maske immer und überall. Weder Himmel noch Hölle wussten, wie sie wirklich aussah. Die aufwändige Hut-Kragen-Einheit verdeckte sogar ihre Haare, den Hals und die Gesichtshaut rings um die Maskenränder. „Felka.“, meinte er grüßend und gesellte sich zu ihr. Sie war ein gutes Stück kleiner als er, geradezu zierlich. „Shinjudai.“ Shinda war einen Moment lang erstaunt, daß sie seinen Namen kannte, obwohl er ihr noch nie persönlich gegenüber gestanden hatte. Aber nagut, sie war eine Höllenfürstin und sicher würde sie sich über alles und jeden gut informieren, bevor sie in so einen Kampf zog. Die Tatsache, daß Shinda ein Irdischer war, machte vieles einfacher. Als solcher war er vorerst niemandes Feind. Ihm wurde nicht misstraut und von ihm wurden keine übertriebenen Gesten der Ehrerbietung erwartet, da er komplett außerhalb der höllischen Machtgefüge stand. „Was tust du hier oben?“ Der Schwarzhaarige stellte sich neben sie an den Rand der Klippe, stopfte die Hände in die Taschen und schaute ebenfalls hinunter. Von hier aus konnte man fast die gesamte Klamm überblicken. „Nachdenken.“, gab sie zurück. „Von hier oben sieht man alle Seiten des Problems und ist nicht genötigt, sich zu einer der Parteien zu bekennen. Man steht über den Dingen.“ Shinda nickte. „Was hat es mit diesem ganzen Krieg wirklich auf sich, Felka? Ich kenne The Big Bat nicht gut genug, um mir so richtig über die ganze Situation im Klaren zu werden. Es heißt man will ihn stürzen, aber ich habe nur eine wage Vorstellung davon, wieso. Er ist jetzt schon so lange Höllenfürst. Was hat sich plötzlich verändert, daß man derart an den Grundfesten rüttelt? Was steckt tatsächlich dahinter?“ Die Höllenfürstin seufzte. Und selbst durch ihre ausdruckslose Maske hindurch merkte man ihr diesen gewissen Schwermut an. „Das ist schwer sachlich zu erklären. Dafür muss man seine Vergangenheit kennen. In der Unterwelt tobt gerade ein wilder Prozess, der seinen General durchaus den Kopf kosten könnte. The Big Bat versucht mit allen Mitteln, das zu verhindern, weil er ihm persönlich sehr nahe steht, darum greift er immer wieder entscheidend in die komplizierten Machtgefüge ein. Viele tolerieren das nicht und verlangen seine bedingungslose Neutralität.“ „Also ist es im Prinzip eine persönliche Sache.“, fasst Shinda zusammen. „The Big Bat ist gerade dabei, alles zu verlieren, was ihm noch lieb und teuer ist. Er neigt derzeit zu verzweifelten Maßnahmen. Er hat schon einmal alles verloren. Ich verstehe, daß er jetzt so um seinen General kämpft. Dieser letzte Freund ist alles, was er noch hat.“ Ein bedrückendes Schweigen setzte ein, das der Fantasie geradezu Flügel verlieh und einen dazu bewog, sich die schlimmsten Horrorszenarien auszumalen. „Was ist passiert?“, hakte Shinda nach einigen Sekunden nach, da Felka nicht von selbst weitersprach. „Eine sehr unschöne Geschichte. Dummerweise noch eine völlig unnötige obendrein, da sie komplett auf einem Missverständnis beruhte. Es lief darauf hinaus, daß man seine gesamte Familie, all seine Freunde und etliche weitere Unbeteiligte vor seinen Augen langsam zu Tode quälte und all seinen Besitz niederbrannte. Er selbst wurde monatelang unter barbarischen Bedingungen gefangen gehalten und immer wieder aufs grässlichste gefoltert, seelisch und physisch. Ich will mir sein Leiden, seine bittere Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit gar nicht vorstellen. Aber wie das alles zusammenhing, lässt du dir besser von ihm selbst erzählen.“ Die Dämonin machte eine Gedankenpause, da sie einen Moment lang nicht recht wusste, wo sie weitermachen sollte. Aber Shindas bohrender Blick forderte unnachgiebig nach mehr. „Sein jetziger General war derjenige, der ihn da letztlich rausgeholt hat.“, fuhr sie also fort. „Das war alles lange bevor er Höllenfürst wurde. Aber seither hat sich The Big Bat nie wieder erlaubt, mit irgendjemandem sowas wie Kameradschaft zu schließen, abgesehen von seinem General, in dessen Schuld er sich noch heute glaubt.“ „Shit.“ „Kann man so sagen, ja. Wie gesagt, ich verstehe warum er so um seinen General kämpft, auch wenn das nicht heißt, daß ich seine Beweggründe oder seine Methoden uneingeschränkt gutheiße. Viele andere verstehen es nicht. Daher jetzt dieser ganze Krieg.“ „Aber ihm ist doch bewusst, daß er in dieser Schlacht sterben könnte, oder?“ „Ja. Aber das ist ihm egal. Dieser Kampf ist ihm wert genug, daß er ihm zum Schaden ausgetragen wird. The Big Bat hat eine radikale Entscheidung getroffen und wird sie auch rücksichtslos verfolgen. Zur Not auf seine eigenen Kosten.“ „Und auf Kosten dieses Mädchens da unten.“, fügte Shinda betont an. Felka wog nachdenklich den Kopf hin und her, als wolle sie etwas dagegen sagen, lies es aber doch bleiben. „Auf welcher Seite wirst du kämpfen, Shinjudai?“, wollte sie dann wissen. „Kämpfst du für The Big Bat? Um dieser Menschen Willen?“ „Ich weis es nicht.“, gestand er wehmütig und lies den Blick über die ganze Klamm schweifen. „Eigentlich will ich mich da gänzlich raushalten.“ „Diese Option hast du nicht.“ Er lächelte. „Das wird sich erst zeigen.“ „Nein, wird es nicht. Dieser Junge, Maya, hat dir diese Entscheidung schon längst abgenommen.“ Shinda seufzte. Ja, da mochte sie wohl Recht haben. Maya würde kämpfen, egal was kam. Und wenn er Maya nicht verlieren wollte, würde er ihm wohl oder übel helfend zur Seite stehen müssen. Das blöde an der Sache war, daß Maya sogar ihn inzwischen als Feind ansah. Der Einfluss der Unterwelt-Dämonen machte ihn regelrecht blind, es existierte kaum noch mehr als Mayas schlechte Seite. Wenn Shinda ganz ehrlich war, hatte er eigentlich die Nase voll genug. Er hätte einfach gehen und Maya allein zurücklassen sollen. „Auf welcher Seite wirst du denn kämpfen?“, wollte er von Felka wissen, da er mit seinen Überlegungen nicht weiterkam. „Auf keiner von beiden. Ich vertrete eigene Interessen.“ Shinda nickte nur verstehend und seufzte still. „Auf welcher Seite wird der Eisdämon kämpfen?“, fragte die Ewige Krähe zurück und deutete hinunter. „Mit weiteren Unbeteiligten hatte ich nicht gerechnet.“ Shinda folgte ihrem Fingerzeig. Ying-Dai war immer noch da. Verdammt, er hatte gehofft, der Kerl würde wieder verschwinden. Wollte der tatsächlich bis zur Eröffnung der Kämpfe hier bleiben und aktiv mitmischen? „Der verfolgt auch eigene Interessen.“, gab Shinda nur zurück. Unbehaglich. Das hatte ihm ja gerade noch gefehlt, daß er sich neben Terry und Maya nun auch noch um diesen Typen Sorgen machen musste. „Er wird sich zu einer der Seiten bekennen müssen, sonst ist das gesamte Kampfergebnis nichtig. Es ist gegen das Gesetz, daß Ungebundene in den Schlachten mitkämpfen. Jede Partei muss mit der gleichen Anzahl von Kriegern antreten und sich an die abgesprochenen Regeln halten. Für jeden Unbeteiligten, den man auf seiner Seite hat, muss man einen seiner eigenen Männer aus dem Kampf heraushalten.“ „Sonst wird das Heer disqualifiziert, oder was?“, scherzte Shinda. Das klang ja wie auf einem Turnier. Er hatte gewusst, daß die Kämpfe der Unterwelt-Dämonen gewissen Spielregeln unterlagen. Aber, daß die tatsächlich derart ernst genommen wurden, hatte er nicht erwartet. „Nein, sonst werden der Höllenfürst und jeder seiner noch lebenden Krieger auf der Stelle hingerichtet.“ „Das ist ... ähm ... hart.“ „Es garantiert die Stabilität unserer Machtgefüge und damit unserer gesamten Zivilisation.“, gab Felka schulterzuckend zurück. Für sie war es völlig okay, daß hier der objektiv Beste gewann, und nicht der, der die größten Ressourcen hatte. Oder am Ende wohlmöglich sogar noch der, der im Recht war. „Was sagen denn eure Regeln über die Involvierung von Menschen aus?“ „Um von einem Dämon besessen zu sein und ihm als Rüstung zu dienen, sind sie erlaubt.“ „Und wenn nicht?“ Felka wandte ihm ihre emotionslose, venezianische Maske zu und für einen Moment konnte Shinda tatsächlich die golden leuchtenden Augen dahinter sehen. „Wenn nicht? Ich verstehe diese Frage nicht, Shinjudai. Wozu sind diese Menschen sonst hier?“ Shinda glotzte sie dumm an. Nach dieser ganzen Unterhaltung – nach ihrer Feststellung, daß Maya die Entscheidung über Kampf oder Neutralität bereits für sich und für ihn gleichermaßen getroffen hatte – hatte Shinda ehrlich geglaubt, sie wüsste was hier Phase war. „Maya ist ein Hexer! Er wird selbst kämpfen. Ohne besessen zu sein. Und ich habe den Verdacht, daß The Big Bat ihm inzwischen ein paar richtig üble Ässer in den Ärmel gespielt hat.“ Die Ewige Krähe sah wieder zurück zu ihrem eigenen Heer, das friedlich und geduldig hinter ihr lagerte. „Das ist schlecht. Menschen zählen nicht in die einhundert-Mann-Grenze hinein. Und für sie gelten auch sonst keinerlei Regeln. Sie könnten sogar ungestraft die verbotenen Zauber ausüben.“ „Du meinst sowas wie eine Sprengstoff-Fontaine?“, vermutete der Schwarzhaarige ganz spontan ins Blaue hinein. Es war ja schon paradox, daß es im Krieg tatsächlich Verbote gab. Aber, daß die auch noch derart leicht zu umgehen waren, verblüffte ihn nun maßlos. War denn noch nie irgendeiner der Höllenfürsten auf die Idee gekommen, menschliche Hexer einzusetzen? Kapitel 8: "Lass mich dir einen Rat geben, Irdischer." ------------------------------------------------------ „Oh, na sieh mal an. Dich gibt es ja noch.“, stellte Maya mit undefinierbarer Tonlage fest, als Shinda zurück kam und seinen weißhaarigen Bruder im Schlepptau hatte. Ying-Dai reagierte nicht auf diese Pseudo-Begrüßung. „Er wird uns bis zum Ende der Schlacht Gesellschaft leisten. Tut mir einen Gefallen und bringt euch nicht gegenseitig um.“, bat Shinda. „Dieses Versprechen werde ich dir nicht geben.“, kam es von Ying-Dai zurück. „Ich warte lediglich auf einen Anlass.“ „Ying-Dai!“ „Schon gut, ich werde mich zu wehren wissen!“, warf Maya gehässig ein. „Ich habe in den letzten zwei Jahre viel dazugelernt, Ying-Dai, sieh dich vor!“ „Schluss jetzt! Ihr seid ja wie stumpfsinnige Tiere, die sich um Beute schlagen! Habt ihr denn alle beide keinen Funken Verstand im Hirn?“ „Wieso? Wenn der mir ans Leder will, werde ich mich doch wehren dürfen!“ „Maya, du hast zur Zeit wirklich andere Sorgen! Alles was Beine hat, ist gerade hinter dir her!“, zeterte Shinda aufgebracht. „Du hast die gewaltige Aura da oben auf der Klamm gesehen. Das ist Felka mit ihrem Heer. Ich habe mit ihr gesprochen. Sie ist soeben wieder auf dem Weg in die Unterwelt, um alle Höllenfürsten zu mobilisieren, die nicht sowieso schon hier sind. Deine Anwesenheit hier macht alle Kriegsgesetze der Hölle hinfällig, umso schlimmer da Fünf dir inzwischen so viel mächtige Kampfmagie beigebracht hat. Sie werden alles daran setzen, dich umgehend auszuschalten, wahrscheinlich schon bevor die eigentliche Schlacht überhaupt anfängt.“ Maya sah ihn einen Moment mit großen Augen an. „Wer wird alles daran setzen?“ „Alle! Einfach alle! Sogar Fünf´s Gefolgsleute, denn die werden alle miteinander kompromisslos einen Kopf kürzer gemacht, wenn dieser Krieg nicht regelkonform abläuft. Ich glaube nicht, daß die für deine Anwesenheit büßen wollen. Da lieber bringen sie dich selber um.“ Shinda erwartete beinahe eine Zustimmung von Ying-Dai, oder die Frage ob er ihnen dabei helfen dürfe. Aber der Eisdämon schmunzelte nur wissend in sich hinein. „Du solltest mit Fünf darüber sprechen.“, meinte Ying-Dai sachlich. „Sag ihm, daß er Maya fortschicken soll. Je eher, desto besser.“ „Es ist ja nicht so, als ob er Maya gebeten hätte, hierher mitzukommen.“ „Nein, aber er hat es Maya auch nicht untersagt.“ Shinda nickte müde und ging weiter. Er hatte sich noch nichtmal hingesetzt, fiel ihm gerade auf. Mit suchendem Blick streifte er durch das Lager der Dämonen mit dem Fuchswappen auf der Brust. Im Gehen hörte er den Jungen noch protestieren. Klar, daß der jetzt nicht mehr hier weg wollte. „Schnüffelst du herum, Irdischer?“ Die tiefe, dunkle Stimme lies Shinda von dem Gestell mit Helmen und Brustpanzern aufsehen, das er gerade gemustert hatte. Eigentlich interessierten ihn die Rüstungen nicht, aber die seltsamen Edelsteine, die darin eingearbeitet waren, hatten im Vorbeigehen kurz seine Aufmerksamkeit gefesselt. Hinter ihm stand ein athletisch gebauter, breitschultriger Typ im knielangen, weißen Kampfkimono mit roten und blauen Borten und Mustern. Mit den hüftlangen, blutroten Haaren spielte der Wind. Die Haare sahen stumpf und glanzlos aus, wie eingestaubt, hatten aber dennoch eine erstaunliche Farbsättigung. „Nein, entschuldige. Ich war nur gerade verwundert. Was sind das für Steine, Koya?“, wollte Shinda von dem Höllenfürsten wissen. „Mondstein.“ „Ich dachte, solche Steine gibt es in der Unterwelt gar nicht.“ „Nein.“, gab Koya schulterzuckend zurück, machte aber keine weiteren Ausführungen dazu. Dann hatte er sie eben nicht aus der Unterwelt, sondern irgendwo anders her. War ja auch egal. Das ging Shinda nichts an. Koya mochte die irdischen Dämonen sowieso nicht. Schon gar nicht, wenn sie auf der Seite seines Gegners standen. Dämonen ohne Flügel waren in seinen Augen keine richtigen Dämonen. „Also was willst du? Warum läufst du hier in meinem Lager rum?“, hakte der Höllenfürst nach. „Ich suche The Big Bat.“ „Wieso?“ „Wieso!? Brauche ich jetzt etwa schon einen Grund, um ihn zu suchen?“, ereiferte sich der Schwarzhaarige trotzig. „Ich will mit ihm reden, ganz einfach!“ „Worüber?“ Shinda verengte missgestimmt die Augen zu schmalen Schlitzen und grollte ganz bewusst genervt in sich hinein, um nicht eine hitzige, unfreundliche Antwort zu geben. Er war hin und hergerissen zwischen einem letzten Rest Grundrespekt – immerhin war Koya nicht irgendwer – und der Auffassung, daß er ihm das überhaupt nicht zu erzählen brauchte. Wozu wollte der Höllenfürst das wissen? „Ich habe dich mit Felka sprechen sehen. Felka ist daraufhin gegangen. Was hast du ihr erzählt?“, konkretisierte der Rothaarige sein eigentliches Anliegen, als Shinda ihm nicht sofort antwortete. „Du darfst sicher sein, daß sie pünktlich zur Schlacht wieder da sein wird.“, gab Shinda betont ruhig zurück und begann, weiterzulaufen. Wenn Koya ihm nicht helfen wollte, würde er Fünf auch alleine finden. „Ich habe mit ihr die Problematik von Mayas Anwesenheit hier erörtert. Und das werde ich jetzt mit The Big Bat auch tun!“ „Wage es nicht, mich hier einfach stehen zu lassen, Shinjudai.“, hielt Koya ihn auf. Mit der gleichen, beherrschten Ruhe, die auffallend un-böse klingen sollte. Shinda seufzte und wandte sich ihm wieder zu. Sollte er jetzt eine Diskussion darüber anfangen, welcher Autorität er Rechnung zu tragen hätte, und welcher nicht? Nun, seiner ganz sicher nicht. Aber er beschloss, es gut sein zu lassen und weiter mit Koya zu sprechen. Er wollte den Kerl ganz sicher nicht zum persönlichen Feind haben. Mit Höllenfürsten musste man es sich ja nicht auf Gedeih und Verderb verscherzen, auch wenn man ihnen eigentlich nicht unterstand. „Lass mich dir einen Rat geben, Irdischer. Bring diesen Jungen hier weg!“ Die beiden maßen sich gegenseitig mit bedeutungsschweren Blicken. Koya meinte diesen Rat ernst und gab ihn Shinda in aufrichtiger, guter Absicht. Shinda war das klar, und es machte ihn nachdenklich, wusste er doch um Koyas Abneigung ihm gegenüber. Der Rothaarige bewies damit eine ausgesprochen faire Grundhaltung gegenüber seinem Rivalen und allen anderen Beteiligten. Es wäre viel leichter gewesen, Fünf einfach die Regeln außer Kraft setzen zu lassen und dann ihn und seine gesamte Gefolgschaft hinzurichten, ohne daß dem große kraftraubende Kämpfe vorausgegangen wären. Sein Bestreben, doch noch alles zu einem ehrenhaften Wettstreit abzuwenden, ließen ihn eines Höllenfürst würdig erscheinen. Shinda nickte langsam. „Danke. Ich hoffe, The Big Bat sieht das auch so.“ Koya wandte sich mit einem verabschiedenden Neigen des Kopfes ab. „Du findest The Big Bat jenseits des Flusses.“, merkte er noch an, dann spazierte er davon. Fragend sah sich Shinda in die gewiesene Richtung um. Jenseits des Flusses? „Was willst du mir denn zeigen, Fünf? Hier ist doch gar nichts.“, meinte Terry skeptisch, als sie hinter dem geflügelten jungen Mann mit der Lederkombi und den schwarzen Wuschelhaaren herstiefelte. Soweit das Auge reichte, nur Felswände und ein Fluss dazwischen. Fünf hatte sie ans andere Ufer hinübergetragen. Als ob es hier irgendwas interessantes gäbe. „Naja, ist vielleicht etwas übertrieben gewesen, gebe ich zu.“, kam die sorglose Antwort. „Ich wollte bloß irgendwo mit dir hin, wo uns keiner sieht.“ Terry wurde es mulmig. „Wo... wozu denn?“ „Es ist an der Zeit, dein Versprechen einzulösen. Ich habe für dich Liams Schicksal abgewendet, wie ich es dir zugesagt habe. Jetzt trage mich, wie du es mir zugesagt hast. Das war unser Handel.“ Terry schaute betreten zu Boden. Ja, das war ihr Handel. Es hatte schon seinen Grund, warum sie Maya und Shinda nichts davon gesagt hatte. Sie stand quasi mit einem Teufel im Bunde. Ihr Freund Liam litt an einer fiesen Krankheit, die ihn zwar im Moment noch nicht übermäßig beeinträchtigte, die aber über kurz oder lang sein Todesurteil war. Eine unheilbare Variante von Krebs. Fünf hatte Terry angeboten, ihn zu heilen, als Gegenleistung für ihre Hilfe. Terry war eine von denen, die für ihren Freund einfach alles tun würden, zur Not auch in den Tod gehen würden. Genau wie Fünf. In gewisser Hinsicht hatte Fünf da genau den richtigen Verbündeten gefunden. Sie beide hatten nichts zu verlieren, sie beide konnten hier nur als Gewinner hervorgehen. Das war Terry zwar nicht in diesem Ausmaß klar, da sie seine Vorgeschichte nicht kannte, aber ihr war durchaus nicht entgangen, wie ernst ihm sein Anliegen war. „Okay.“ Schlagartig setzte eine innere Ruhe in ihr ein. Ja, sie würde ihr Versprechen einlösen. Und das war gut so. Sie war mit sich im Reinen, sie hatte keinen Grund, irgendetwas zu fürchten. „Okay, ich bin bereit.“ Der Höllenfürst nickte und deutete auf den Boden. „Leg dich hin.“ „Wieso?“ „Wenn du schon liegst, kannst du nicht mehr zusammenbrechen.“ „Ich habe nicht vor, zusammenzubrechen!“ Genervt packte der Unterwelt-Dämon sie am Kragen und zwang sie eigenhändig hinunter, wobei er ihr Protestgejaule geflissentlich ignorierte. „Hey, das war ein Scherz, man!“, maulte das rothaarige Mädchen beleidigt, als sie sich letztlich auf dem Rücken wiederfand und Fünf ihr beide Hände über dem Kopf festhielt. Es war jene typische Position, in der eine störrische Frau im Bett unter einem ungeduldigen Mann liegen mochte. „Ich habe keine Zeit für Scherze, Terry.“, gab er zurück. Es war viel mehr eindringlich als entschuldigend, auch wenn er durchaus versuchte, ihr das Gefühl von Gewaltanwendung wieder zu nehmen. „Ich habe dich solange du selbst sein lassen wie ich konnte. Aber jetzt brauche ich dich als Rüstung, und zwar sofort. Zu unserer beider Schutz!“ Die Studentin keuchte erschrocken auf, als Fünf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf sie legte und seine Wange leicht gegen ihre presste, so daß sie ihm nicht mehr ins Gesicht sehen konnte. Er schien mit seinem Körper ihre gesamte Sillhouette verdecken zu wollen, seine Arme lagen genau auf ihren, seine Beine weitestgehend auf ihren, die harten Nieten seiner Lederjacke drückten unangenehm in ihren Oberkörper. Terry wusste nicht so richtig, wie sie es sich vorgestellt hatte, von einem Dämon besessen zu sein, aber so ganz bestimmt nicht. Sie schrie spitz auf, als sich Fünfs Körper in Rauch auflöste und sich wie Säure über ihren Körper und hinein ergoss. Sie hatte ein Gefühl, als sei ihr Körper ein Schwamm, der sich mit dem Rauch vollsog, der von Fünfs Körper noch geblieben war. Und es tat verdammt weh. Sie spürte deutlich, wie der Dämon, der zuvor bäuchlings auf ihr gelegen hatte, sich nun in ihrem Körper umdrehte und sich in Größe und Form an seine neue Hülle anpasste. Dann stülpte sich ein schwarzer Sack über ihren Verstand und ihr Bewusstsein schwand langsam dahin. „Na, immerhin, eine Sorge weniger.“, meinte Shinda, als endlich wieder Ruhe eingekehrt war und der ganze Besetzungsprozess abgeschlossen war. Er war mitten in diese Szene hineingeplatzt und hatte sich einfach ruhig im Hintergrund gehalten und gewartet, bis die zwei fertig waren. Das besessene Mädchen öffnete die Augen und sah sich fragend nach der Stimme um. Eigentlich hätte hier ja niemand sein sollen. Ihre Haare waren wüst zerfledert und sie hatte kreideblasse Haut, tiefschwarze Augenringe und ungesund blau verfärbte Lippen. Sie sah jetzt fast wie ein Zombie aus. „Shinda!“, zischte sie mit teuflisch verzerrter Stimme. „Was tust du hier?“ „Ich wollte nur was klären. Ich wusste nicht, daß ihr ... ähm ... beschäftigt seid. Wer von euch beiden hat jetzt die primäre Präsenz?“ „Terry existiert vorübergehend nicht mehr.“ Okay, also war das hier Fünf, nur in anderer Gestalt, dachte Shinda und stopfte die Hände in die Taschen, weil er nicht recht wusste wohin sonst damit. Es gefiel ihm nicht sonderlich, daß Terry jetzt von diesem Kerl besessen war und er sich hinter ihrem harmlosen Mädchengesicht versteckte. „Benötigst du Terry nochmal?“ Shinda schüttelte leicht den Kopf. Nein, er brauchte das Mädchen nicht. Im Gegenteil, er war froh, jetzt nicht mehr auf sie aufpassen zu müssen. Maya forderte ihm schon genug Aufmerksamkeit ab. Allerdings würde er sich erst daran gewöhnen müssen, daß sie nicht mehr Terry sondern The Big Bat war. Warum war er gleich nochmal hergekommen? Ach ja, wegen Maya! „Kann ich kurz mit dir reden?“ Der Höllenfürst kämpfte sich etwas mühsam auf die Beine. Auch er schien sich an seinen neuen Körper erst gewöhnen zu müssen. „Gerade ein verdammt blöder Zeitpunkt.“, meinte er nur mit der verzerrten Mädchenstimme. „Einen besseren wird es vermutlich nicht mehr geben. Der Countdown zum Kriegsbeginn läuft bereits. Ich möchte, daß du Maya davon abhältst, in dieser Schlacht mitzumischen. Du als Höllenfürst solltest am besten wissen, was seine Einmischung anrichtet.“ „Wohlmöglich könnte es in meinem Interesse sein, was seine Einmischung anrichtet.“, gab Fünf mit hämischem Grinsen zu bedenken. Die Zähne seines besessenen Mädchenkörpers wirkten stumpf und dunkelgrau, als er sie beim Lächeln zeigte. „Ich meine es ernst. Halte Maya aus den Kämpfen raus! Oder schicke ihn besser noch ganz weg!“ „Maya ist ein Mensch, er ist frei. Ich habe ihm in dieser Hinsicht nichts vorzuschreiben.“ „Terry! Ich meine, Fünf! Die werden dich einfach hinrichten, wenn Maya mitkämpft. Was hast du dann gekonnt? Dann hast du für deine Sache absolut nichts gewonnen. Mit deinem Tod hilfst du deinem General nicht weiter!“ Die Augen des Dämons verengten sich wütend. „Woher weist du, was mein General mit dieser Schlacht zu tun hat?“, wollte er sauer wissen. Mit der teuflisch verzerrten Stimme von Terry, die er nun nutzte, klang es noch viel gefährlicher als es ohnehin schon gewirkt hätte. Ein ekelhaftes Quietschen schnitt wie eine Alarmsirene durch die ganze Klamm. In Shinda zog sich kurz alles zusammen. Das war Mayas Geisterpfeife. Gott, er hasste diese blöde Geisterpfeife! „Ying-Dai!“, keuchte er dann, als er sich endlich wieder gefangen hatte, und hastete davon, ohne Fünf eine Antwort gegeben zu haben. Maya würde diese Pfeife sicher nicht ohne Grund blasen. Das war ein Hilferuf. Oder der Versuch, sich gegen jemanden zu wehren, der den Klang der Pfeife genauso wenig ertragen konnte wie Shinda. Wohlmöglich hatte Ying-Dai ihn angegriffen. Oder irgendjemand anderes von den gefühlten 20 Interessengruppen, die inzwischen hinter ihm her sein mussten. „Nein, der Frostling ist nicht das Problem.“ lachte Fünf, ließ Flügel aus seinem neuen Körper schießen und flog Shinda nach. „Was zur Hölle ...“, brachte Shinda überwältigt heraus, als er zurück ins Lager kam und einen übergroßen Gorilla mit einer Knochenkeule unter den Sandfuchs-Gefolgsleuten wüten sah. Das Tier hatte ein beeindruckendes Gebiss mit langen Reißzähnen und war wohl dämonischen Ursprungs, denn seine Augen leuchteten giftgrün. Der Affe knüppelte mit seiner langen, keulenartigen Knochenwaffe alles nieder, was er in Reichweite bekam, und brüllte dabei ohrenbetäubend. Koyas Hundertschaft bemühte sich redlich, den Gorilla unter Kontrolle zu bekommen, scheiterte aber kläglichst. „Simius Venator.“, erklärte Fünf nur knapp und stürzte sich dann euphorisch mitten hinein ins Getümmel. „Das ist der Jagende Affe?“, murmelte Shinda perplex und starrte noch einen Moment fassungslos auf das Gemenge. Simius war Lateinisch für Affe, und Venator für Jäger. Der Jagende Affe war ein weiterer Höllenfürst. Er wunderte sich noch kurz, wieso dieser Höllenfürst die Kämpfe vor dem vereinbarten Zeitpunkt eröffnete, kam aber zu keinem Ergebnis, dann begann er kopfschüttelnd nach Maya zu suchen. Lange brauchte er nicht, denn Ying-Dais lange weiße Haare stachen aus der Masse heraus wie eine Laterne. Und wo der war, würde auch Maya nicht weit sein. Kapitel 9: "Hast du etwa daran gezweifelt?" ------------------------------------------- „Ying-Dai, warum tust du nichts?“, keuchte Shinda atemlos, als er sich endlich zu seinem weißhaarigen Bruder vorgekämpft hatte, welcher mit verschränkten Armen herumstand und zusah, wie sich Maya mit einem undefinierbaren Unterweltwesen von der Größe einer Katze balgte. Mitten in dem ganzen Schlachtgetümmel bildete Ying-Dais Präsenz eine regelrechte Insel. Im Umkreis von 2 Metern um ihn herum befand sich niemand, von ihm schienen alle Abstand zu halten. Der Eisdämon richtete seinen emotionslosen Blick auf Shinda. „Was erwartest du denn, was ich tun soll?“ „Du sollst Maya helfen!“ „Sagt wer?“ „Ich ... ach, vergiss es!“ „Der ach so große Hexer wird sich doch wohl selbst helfen können. Du hast gesagt, ich soll ihm nichts antun. Davon, daß ich auch noch seinen Hintern retten soll, war keine Rede.“, erklärte Ying-Dai gelassen, während Shinda das schwarze, pelzige Ding mit dem riesigen Maul aus Mayas Genick pflückte. „Andererseits ...“, fügte er an „hast du eigentlich Recht. Ich sollte dafür Sorge tragen, daß niemand vor mir ihn umbringt. Das ist schließlich mein Privileg.“ „Idiot.“, maulte Shinda, und es war nicht ganz klar, ob er damit den Weißhaarigen oder Maya meinte, welcher sich wieder aufrappelte. „Was zur Hölle geht hier vor?“, wollte Maya verärgert wissen, gar nicht verwundert oder gar ängstlich. Es war der Trotz, mit dem man auf neue Tatsachen reagierte, die einem schonmal jemand früher hätte sagen können. „Hat der Krieg etwa schon begonnen? Ich habe gerade Terry vorbeikommen sehen, sie sah total gruselig aus.“ „Nein, das war nicht Terry, das war Fünf. Sie ist jetzt von ihm besessen. Simius Venator ist erschienen!“ „Dieses Ding da?“ „Der Jagende Affe, ja.“ „Oh!? Fünf hat mich vor dem gewarnt! Der soll übel drauf sein!“, fand der Geschichte-Student und sah sich mit doch etwas ungutem Gefühl nach dem Zentrum der Kämpfe um. Dann wusste er auch, wieso Fünf sich bereits jetzt schon in seinen menschlichen Körper – Terrys Körper – zurückgezogen hatte. Sie wären sonst alle beide hier in diesem Kampf draufgegangen. Der Jagende Affe hätte Terry wohl einfach getötet, wenn er sie ungebunden in die Finger bekommen hätte. Er hasste Menschen. Und nur ein besessener Mensch war unaufhaltbar und nicht zu töten. Genauso wie ein Unterwelt-Dämon nur dann nicht verletzt werden konnte, solange er in einem menschlichen Körper steckte. „Das wird Fünf dir nicht ohne Grund gesagt haben!“, maulte Shinda ungeduldig, schnappte Maya am Handgelenk und zerrte ihn aus dem Schlachtgetümmel heraus, als sich der tobsüchtige Gorilla langsam in ihre Richtung vorzuarbeiten begann. Manchmal ärgerte er sich, daß er nur sich selbst teleportieren konnte. Er hatte nie gelernt, dabei andere Menschen, Dämonen oder sonstwelche lebenden Wesen mitzunehmen. Dazu reichte sein Talent einfach nicht. „Warum tickt der so aus?“, wollte Maya noch wissen. „Wegen dir, du Depp! Du solltest gar nicht hier sein! Er will dich beseitigen, bevor die eigentliche Schlacht anfängt!“ „Warum?“ „Weil der ganze Krieg mit all seinen Ergebnissen und Folgen hinfällig wäre, wenn du bei Schlachtbeginn noch hier bist.“ „Warum?“ „Verdammt, Maya, frag doch jetzt nicht sowas. Das erklär ich dir später.“ Der Dämon in der schwarzen Leder-Kombi zog Maya unerbittlich weiter hinter sich her, quer durch die wogende Meute, in die sich zunehmend diese undefinierbaren, schwarzen, katzengroßen Biester mischten. Es waren kleine, langarmige Affen, wie Shinda jetzt feststellte. Das war Simius Venators Hundertschaft. Seine Dämonen schienen keine humanoide, sondern eine tierische Gestalt zu haben. Der Fahnenträger der Ewigen Krähe kam ihm laut brüllend entgegen und führte Felkas Heer ebenfalls mitten in diesen Tumult hinein, um sich dem Jagenden Affen entgegenzuwerfen. Jetzt wurde es eng hier unten in dieser Klamm. Es schien, als würde nun keiner mehr etwas auf den offiziell vereinbarten Startzeitpunkt des Krieges geben. Aber das war Shinda jetzt auch erstmal egal. Nur eines störte ihn gerade noch an dem ganzen Wust hier. Wieso versuchten alle Hundertschaften, den Jagenden Affen aufzuhalten, statt ihm einfach freie Bahn zu lassen, damit er sich um Maya kümmern konnte? Damit wäre doch eigentlich allen geholfen gewesen. Jede der Parteien wollte Maya loswerden. Abgesehen vielleicht von Fünf, dem Maya herzlich egal zu sein schien. Plötzlich begann der Junge sich gegen Shindas Griff zu sträuben. „Lass mich los!“, verlangte er in fast fluchendem Tonfall und zerrte entgegen der Richtung in die er gezogen wurde. „Wenn der Affe mich will, soll er mich kennenlernen!“ „Maya, merkst du noch IRGENDWAS? Der wird dich umbringen!“ „Den schaff ich mit links!“ „Du warst schon gegen Fünf machtlos! Weist du, was dann erst der Jagende Affe mit dir anstellen wird? Du arroganter, großfressiger ...“ Maya holte aus, stempelte ihm die Faust mit voller Wucht ins Gesicht und unterbrach ihn damit. Shinda wurde schlagartig schwarz vor Augen. Und als er seinen Freund reflexartig losließ, versagten auch sein letztes bischen Bodenhaftung und Gleichgewichtssinn. Einem kurzen Gefühl des schwerelosen, freien Falls folgte ein um so härter Aufschlag. Ihm klingelten die Ohren. Shinda stöhnte verhalten und blinzelte, bis er wieder etwas sehen konnte. Er lag hingestreckt wie ein gefällter Baum auf dem Boden. Neben ihm stand Ying-Dai und schaute mit dem üblichen, herzlosen Blick auf ihn herab, der so nichtssagend wie allessagend zugleich war. Das hatte er nun von seinem dummen, verbohrten Vorsatz, weiter an Mayas Seite zu bleiben. Maya war schon auf und davon. „Sag nichts!“, zischte Shinda, wischte sich das Blut von der eingeschlagenen Nase und brachte sein Gesicht dann mit einem knappen Zauber in Ordnung, bevor er sich ächzend wieder hochwuchtete. „Kein einziges Wort!“, versprach Ying-Dai. Er machte keine Anstalten, seinem Bruder wieder hochzuhelfen, oder auch nur zu fragen ob alles in Ordnung sei. Shinda stürzte sich zurück in den Pulk und versuchte sich zu Maya durchzukämpfen. Der junge Geschichte-Student leuchtete aus den einheitlich gekleideten Hundertschaften deutlich sichtbar heraus, aber da er nicht der einzige war, der dem tobenden Gorilla entgegendrängte, kam man nicht so ohne weiteres an ihn heran. „Ruzlan!“, brüllte Maya über das ganze Kampfgetümmel hinweg. Fünf hatte ihm gesagt, daß der Jagende Affe sich gegenüber Menschen Ruzlan nennen würde und Maya sah keinen Grund, ihn nicht so anzusprechen. „Ruzlan! Du willst mich! Komm her und hol mich, ich bin hier!“, schrie er. Der Höllenfürst fuhr herum. Als sich Maya seiner Aufmerksamkeit sicher war, griff er in seine Jackentasche, holte das blaue Pulver heraus, das er vor einiger Zeit von Fünf bekommen hatte, und schüttete sich einen kleinen Berg davon in die hohle Handfläche. „Nein! Maya, nicht!“, rief Shinda von der anderen Seite panisch. „Maya, nicht hier in der Klamm!“, schrie auch Fünf, der sich gerade in der unmittelbaren Umgebung aufhielt und es sah. Viele in seiner Nähe wichen erschrocken zurück. Aber es war zu spät. Maya streckte die Faust mit dem Pulver hoch über seinen Kopf und rief die knappe Zauberformel, die es aktivierte. Eine mörderische Detonation brachte die Klamm zum Bersten. Die Explosion war ohrenbetäubend, hunderte von hilflosen Leibern wurden herumgeschleudert und noch in der Luft zerrissen und durchlöchert. Dann nur noch Staub, herabbröselnde Steinwände und das leiser werdende Echo des Bombenknalls. Fassungslos sah Shinda in die Klamm hinunter. Er hatte sich in letzter, verzweifelter Sekunde auf den Rand der Klippen hinaufteleportiert, um dort unten nicht draufzugehen. Das blaue Pulver hatte die Wirkung einer gezündeten Ladung Dynamit. Sicher würde dort unten so gut wie keiner mehr leben. Er wusste, daß eine Sprengstoff-Fontaine ihren Erzeuger normalerweise nicht umbrachte, weil dieser sich im einzigen toten Winkel befand. Aber so richtig glaubte Shinda das gerade nicht mehr. Eingesperrt zwischen den massiven Felswänden der Klamm wurde die Wirkung der Druckwelle noch um einiges komprimiert und verstärkt. „Shinjudai. Ist alles in Ordnung?“, wollte eine weibliche Stimme neben ihm wissen, die er unterbewusst als Felka erkannte. Die Höllenfürstin hatte sich wohl nicht mit in die Schlacht gestürzt, sondern nur ihr Heer losgeschickt und von hier oben zugesehen. Shinda konnte sie nicht ansehen. Konnte auch gar nicht sofort antworten. Er starrte immer noch wie gebannt hinunter und wartete, daß sich die Staubwolke legte und er wieder etwas erkennen konnte. „Shinjudai!“, wiederholte sie etwas nachdrücklicher. „Was zur Hölle ...“, hauchte der schwarzhaarige Dämon nur wie erschlagen. Er konnte einfach nicht fassen, was da gerade passiert war. „Was ist dort unten geschehen?“ Felka klang ruhig und sachlich, gar nicht wie jemand der gerade seine gesamte Hundertschaft verloren zu haben schien. Als würde es sie nicht persönlich betreffen. „Maya hat eine Sprengstoff-Fontaine gezündet.“, murmelte Shinda, ohne darüber hinaus einen klaren Gedanken fassen zu können. „Das war eine Sprengstoff-Fontaine? Ich habe noch nie eine in der Realität gesehen. Setzt sie sich nicht mehrfach springbrunnen-artig in alle Richtungen fort?“ „Im freien Gelände schon, aber hier zwischen den Felswänden der Klamm konnte sie das nicht. Ich habe keine Ahnung, was da unten gerade vor sich geht.“ Felka wandte ihre venezianische Maske wieder der Staubwolke unter sich zu und überlegte. „Ich verstehe jetzt, warum das einer von jenen Zaubern ist, die im Krieg verboten sind.“, meinte sie etwas bedrückt. „Ich muss wieder da runter!“ „Hast du denn immer noch nicht genug?“, erwiderte eine kühle Stimme von der anderen Seite verständnislos. Shinda fuhr erschrocken herum. Der Typ mit langen weißen Haaren und azurblauen Augen war ihm bis jetzt gar nicht aufgefallen. „Ying-Dai, wie bist du hier raufgekommen?“ „Na genauso wie du. Dachtest du, ich lass mich da unten in die Luft jagen?“ Shinda seufzte, weil er nicht recht wusste ob er sich freuen oder ärgern sollte, daß seinem älteren Bruder nichts passiert war. „Ich geh wieder runter.“, meinte er nur. Befremdet schlich Shinda langsam in der Klamm herum. Er setzte jeden Schritt behutsam und bedächtig, um nur ja auf nichts zu treten. Überall lagen abgerissene und zerfetzte Körperteile oder ganze Leichen herum. Und überall war Blut. Es war ein so skurriler Anblick, daß er Shinda direkt unwirklich vorkam. War er hier wirklich noch in der Welt, die er kannte? Unwillkürlich stiegen vor seinem inneren Auge Bilder aus früheren Zeiten auf. Erinnerungen, die ganz ähnlich waren, nur aus einer anderen Epoche. 400 Jahre alt, aus einer Zeit vor seinem Kälteschlaf. Er selbst hatte sowas auch schon angerichtet, und zwar mehr als einmal, aber es erschien ihm dennoch seltsam irreal. Hier waren alle tot. Kämpfer aller Heerlager lagen Seite an Seite dahingerafft im Staub, teilweise vergraben unter den eingestürzten Felswänden der Klamm. Und dazwischen kreisten Dutzende von heulenden Geistern. Ein leises Stöhnen lies Shinda innehalten. Neben ihm bewegte sich etwas. Schnell ging er in die Hocke, denn die langen weinroten Haare konnte er sofort einordnen. „Koya!“, stieß er erkennend hervor und biss sich auf die Zunge, um nicht noch die seltendämliche Frage nachzuschieben, ob alles okay sei. Dem Höllenfürsten sah man mehr als deutlich an, daß beileibe gar nichts okay war. „Hey, mach langsam. Ich helfe dir.“ Shinda wuchtete einen schweren Steinbrocken herunter, der mitten auf Koyas Rücken lag und ihn dadurch quasi bäuchlings auf dem Boden festnagelte. Der Rothaarige setzte sich mühsam auf und hielt sich den schlaff herunterhängenden Arm. Vermutlich war der Arm gebrochen, ansonsten hatte Koya aber augenscheinlich keine ernsthafteren Verletzungen. Er wirkte nur ein wenig zerstreut. „Irdischer, du musst The Big Bat aufhalten. Bitte, geh The Big Bat suchen und stoppe ihn.“, raunte er heißer, dann sank er wieder ohnmächtig zur Seite. Shinda zog mürrisch eine Augenbraue hoch. Konnte der Kerl nicht wenigstens noch lange genug wach bleiben, um sich sagen zu lassen, daß er ihn gefälligst nicht nennen sollte? Der hatte einen Namen! Und eine kleine Info, WOBEI er Fünf aufhalten sollte, hätte sicher auch nicht geschadet. Kopfschüttelnd zog Shinda seine Lederjacke aus und schob sie Koya unter den Kopf, um ihn ein wenig bequemer zu betten. Dann ging er weiter. In dem aufgewirbelten Staub hier sah man keine zwei Meter weit. Er hoffte, er würde Fünf überhaupt finden. Maya hustete und rieb sich den feinen, herumfliegenden Sand aus den Augen. „Scheiße, das hat ja einen mörderischen Rumms gegeben.“, stöhnte er. An seiner Hand klebte Blut. Er hatte sich wohl die Schläfe ein wenig aufgeschlagen, stellte er fest, rieb sich unwillig nochmals über die schmerzende Stelle und fluchte dann, als er sich das Blut dabei noch weiter im ganzen Gesicht verteilte. „Maya! Du lebst noch, ein Glück!“, jubilierte Shinda, als er den Jungen, angelockt von dessen Stimme, endlich wiederfand. Sofort fiel der Dämon ihm um den Hals. „Ach komm schon, du Weichei. Hast du etwa daran gezweifelt? Ich sagte doch, ich mach den blöden Affen platt.“, gab der nur herzlos zurück und befreite sich nachdrücklich aus der Umarmung. Shinda war immer noch viel zu glücklich, um etwas auf diese arrogante Antwort zu entgegnen. Er war einfach nur froh, daß Maya in Ordnung war, ganz gleich wie fies der Einfluss der Unterwelt-Dämonen ihn inzwischen gemacht hatte. Ein leiser Schrei und ein ekelhaft matschiges Geräusch unterbrachen das glückliche Wiedersehen. Shinda schaute sich fragend um und sah eine Sillhouette aufgeregt in der lichter werdenden Staubwolke herumfliegen. Immer wieder gab es vereinzelte, leise Schreie des Schreckens oder Schmerzes aus ihrer Richtung. „Ist das Fünf?, überlegte Shinda verwundert und machte sich mit Maya auf, um nachzusehen, was dort vor sich ging. Ganz richtig fanden sie das rothaarige, zombiehaft entstellte Mädchen vor, in dem der Höllenfürst gerade steckte. Der Körper war blutüberströmt und sichtlich lediert. Im Rücken klaffte eine gewaltige Risswunde und ein Bein war seltsam verdreht. Er hatte sich offensichtlich mitten im Explosionsradius von Mayas Sprengstoff-Fontaine befunden. Eigentlich hätte sich kein normaler Mensch mehr vernünftig damit bewegen können. Aber Fünf wuselte in diesem Körper geschäftig hin und her, als sei überhaupt nichts gewesen. Die Aussage, daß ein besessener Mensch nicht aufzuhalten und nicht zu töten war, war wohl wortwörtlicher zu verstehen als Shinda immer gedacht hatte. Mit einer Lanze sprang Fünf enthusiastisch zwischen den herumliegenden Dämonen herum und stach kompromisslos alles ab, was noch atmete. „Oh, hey, ihr seid das!“, meinte er erkennend, als er aufsah und Shinda und Maya entdeckte. „Helft mir! Tötet so viele wie ihr könnt!“, forderte er und führte sein brutales Werk ungerührt fort. Er erstach Dämonen aller Lager, sowohl Felkas als aus Koyas Männer, ebenso wie die affenartigen Viecher, die die Hundertschaft von Simius Venator darstellten. „Bist du übergeschnappt? Hör auf damit!“, keuchte Shinda, als er endlich seine Fassung wiedergefunden hatte, und eilte herbei um Fünf die Lanze zu entreißen. „Du hast kein Recht dazu, Dämonen zu töten! Der Krieg findet erst morgen am Galgenfelsen statt! Eher darfst du nicht zur Waffe greifen!“ Fünf richtete die Lanze auf Shindas Brust, um ihn zurückzuhalten. Sein Gesicht wirkte plötzlich ungewöhnlich verbittert. Shinda blieb auch gehorsam mit erhobenen Händen stehen, um nicht wirklich noch mit durchpfähltem Herzen zu enden. Dieser Gesichtsausdruck machte ihm deutlich genug, wie ernst es dem Höllenfürsten war. „Die Regeln sind mir egal. Ich werde so oder so sterben. Und glaub mir, ich nehme so viele von denen mit in den Tod, wie ich nur kann.“, erklärte Fünf gefasst. „Also entweder ihr helft mir, oder ihr haltet euch raus. Aber stellt euch mir nicht in den Weg, sonst seid ihr die nächsten.“ Shinda sah ihn eine Weile abschätzend an, dann ließ er seufzend die Hände sinken. So sehr er es auch versuchte, er verstand Fünf nicht. „Big Bat.“, meinte er ruhig. „Was hast du vor? Das kann doch nicht dein Ziel sein. Nicht das hier!“ Im Grunde genommen sah so eine Aktion hier dem Höllenfürsten ziemlich ähnlich. Wehrlose Unbeteiligte zu töten, in einem Moment wo es völlig unpassend und unnötig war, das hatte er schon immer gern und häufig getan. Das war die dunkle Seite, die Maya an dem Kerl nie kennengelernt hatte. Aber irgendwie hatte Shinda doch geglaubt, daß er sich zumindest an die offiziellen Regeln halten würde, wenn er schon einen offiziellen Krieg mit den anderen Höllenfürsten anzettelte. Ob der Auftritt des Jagenden Affen vorhin ein Regelverstoß war, konnte er nicht ganz einordnen. Eigentlich hatte der keinen umgebracht, er hatte sich nur zu Maya durchschlagen wollen. Aber irgendeinen Grund würde es schon gehabt haben, daß die anderen ihn aufzuhalten versucht hatten. „Wenn ich sterbe, wird mein General an meiner Stelle rechtmäßiger neuer Höllenfürst. Das ist das ganze und einzige Ziel dieses gesamten Krieges hier. So, nun weist du es.“, gab Fünf knapp zurück und wandte sich um, als wolle er seine zuvorige Tätigkeit endlich fortsetzen und noch ein paar Gegner abschlachten. „Dieser Krieg wird stattfinden, egal wieviele zum Kampfbeginn noch übrig sind. Und je weniger Gegner mein General zur offiziellen Schlacht zu bekämpfen hat, desto besser. Also werde ich jetzt soviele beseitigen wie irgend möglich.“ „Dein General muss dir wirklich sehr viel bedeuten, wenn du für ihn all das tust.“, stellte Shinda zwischen ehrfürchtig und missbilligend fest. „Gib mir eine Lanze, ich helfe dir!“, warf Maya von der Seite ein. „Maya!“ Der schwarzhaarige Dämon wollte aufbegehrten, aber Fünfs „Es liegen genug rum, such dir eine aus.“ machten jede weitere Diskussion überflüssig. Er würde Maya nicht davon abhalten können, es war aussichtslos. Stöhnend wandte sich Shinda ab und überlegte, was er tun sollte. Einfach gehen und warten, daß der Junge von selber wieder zu klarem Verstand kam? Und wo war der Jagende Affe überhaupt geblieben? Diesem Monster konnte die Explosion schwerlich viel ausgemacht haben. Wenn der noch lebte, würde er sofort wieder über Maya herfallen, sobald er ihn wiederfand. Weit kamen Fünf und Maya aber zum Glück nicht mehr, denn bald darauf tauchte Felka auf und bereitete dem ganzen blindwütigen Gemetzel ein Ende. Am nächsten Morgen zogen die Höllenfürsten mit den Übriggebliebenen ihrer Hundertschaften aus der elenden vergeisterten Klamm hinaus und steuerten auf den Galgenfelsen zu, den Treffpunkt für den offiziellen Teil des Krieges. Fünf war inzwischen ein Gefangener und hatte keinerlei Handlungsfreiheit mehr. Von Koyas und Ruzlans Heeren waren jeweils noch etwa 20 bis 25 Männer geblieben, von Felkas Kriegern noch knapp 50. Sie hatten sich verspätet ins Getümmel gestürzt und waren daher zum größten Teil außerhalb des Explosionsradius gewesen. Koya selbst hatte seinen gebrochenen Arm wieder geheilt, war nun aber alles andere als wohlgesonnen. Seine anfänglich so faire, fast kameradschaftliche Grundhaltung gegenüber seinem Gegner Big Bat hatte sich gänzlich ins Gegenteil verkehrt. Der Galgenfelsen war nicht viel mehr als eine große Gesteinsformation mitten in der wüsten, leeren Ebene. Hätte Maya seine magischen Seifenblasen erzeugt, durch die hindurch man die Welt so sah, wie sie wirklich war, hätte er den alten Galgen auf der Spitze des kleineren Gesteinsbrockens sehen können. Aber er hatte von den Höllenfürsten Magieverbot ausgesprochen bekommen, und wenn er an seinem Leben hing, würde er sich auch daran halten. Der einzige Grund, warum er überhaupt noch lebte, war die Tatsache, daß er ein Mensch war und die unterweltlerischen Kriegsgesetze daher nicht für ihn galten. Am Fuße des Galgenfelsens lagerte bereits eine weitere – noch vollzählige – Hundertschaft. Es waren Fünfs eigene Gefolgsleute, die hier geduldig am vereinbarten Treffpunkt auf die Ankunft ihres Herrn warteten. Wie es sich für gute Soldaten gehörte, waren sie allesamt kriegsbereit und wachsam. Ihnen vor stand ein gepanzerter Samurai-Verschnitt, der trotz seiner mangelnden Körpergröße erstaunlich stattlich wirkte und mit dem man sich auf den ersten Blick ungern angelegt hätte. Er strahlte eine Kampferfahrung und Souveränität aus, die sonst nur Heerführer an sich hatten. Er trug ein dünnes Schnurbärtchen und seine geölten, schwarzen Haaren waren auf dem Kopf zu einem chinesischen Knoten hochgesteckt. Nur ein paar lose Franzen hingen ihm noch in das ansonsten recht angenehme Gesicht. Er hatte sein Naginata auf dem Boden aufgestellt und stützte es mit einer Hand. - Das musste also der sagenumwobene General sein, der Anlass und zentrale Figur für das alles hier war, dachte Shinda. „Faragath, ich freu mich, dich zu sehen.“, grüßte Fünf ihn. „Ich freu mich auch, dich doch nochmal lebend zu Gesicht zu bekommen, mein Freund.“, gab der Angesprochene mit einem Deut auf die Ketten zurück, die ihn gefesselt hielten. Obwohl Fünf in einem fremden Mädchenkörper steckte, erkannte er ihn sofort wieder. Dann überschaute er die drei anderen Höllenfürsten und die kläglichen Reste ihrer Hundertschaften. „Wie ich sehe, warst du erfolgreich mit dem, was du vor hattest.“ „Nicht ganz so erfolgreich wie ich unter diesen Umständen hätte sein können. Ich hatte äußerst tatkräftige Hilfe von einem wirklich talentierten Hexer. Aber ich hoffe dennoch, dir eine gute Position verschafft zu haben.“ Faragath seufzte. Man sah ihm an, daß er jetzt nur zu gern ein Thema angeschnitten hätte, das er mit dem Höllenfürsten schon viel zu oft erfolglos durchdiskutiert hatte. Etwa, ob es tatsächlich notwendig war, daß dieser seinen Thron zugunsten seines Generals räumte. Höllenfürsten konnten nicht einfach abdanken. Das Ende ihrer Amtszeit war immer auf die eine oder andere Weise mit dem Ende ihres Lebens verbunden, zumeist indem sie auf blutige Weise von einem Kontrahenten gestürzt wurden. Aber der General verzichtete darauf, diese Diskussion noch ein weiteres Mal zu führen. The Big Bat hatte sich entschieden. „Wie geht es weiter?“ „So wie es das Protokoll vorsieht. Wenn die Sonne den Zenit erreicht, wird der Krieg beginnen. Für alle, die noch übrig sind.“ „Aber vorher wirst du hingerichtet. Die Schlacht selbst wirst du nicht mehr miterleben.“, warf Koya von der Seite ein. Fünf lächelte. „Das war mir bewusst. All mein Handeln war genau darauf ausgerichtet. Darf ich noch einen letzten Wunsch äußern?“ „Welchen?“ „Ich würde dieses Mädchen hier gern wieder freigeben, in dem ich gerade stecke. Ich will in meiner eigenen Haut sterben.“ Koya machte einen verächtlichen Ton. „Tu was du nicht lassen kannst.“, brummte er und ging. Er wusste, daß Fünf nicht abhauen würde. Der General nickte. „Sie ist ziemlich schwer verletzt. Ich werde sie heilen, sobald du sie verlassen hast.“, versprach er. „Danke. Kannst du mir einen Gefallen tun, und dich auch um den Jungen kümmern? Er ist inzwischen echt verbohrt. Mach die Wirkung wieder rückgängig, die wir Unterweltler auf ihn haben.“ Wieder nickte der General. Dann wandte er sich an die beiden Weggefährten, die, wie er wusste, Fünf erst bis hierher gebracht hatten. „Ihr solltet euch das hier nicht ansehen. Das sind Mächte, die euch nichts angehen und in deren Ränkespielen ihr nichts verloren habt. Ihr solltet über diesen Krieg besser nichts mehr erfahren. Ich danke euch für jede Hilfe die ich von euch bekommen habe und die The Big Bat von euch bekommen hat, aber ihr solltet jetzt gehen. Irdischer, nimm den Jungen und geh zurück in die Klamm. Wir werden euch das Mädchen hinterher schicken.“ Shinda verneigte sich ein wenig. „Ich wünsche dir Erfolg. Ich bin sicher, du wirst ein guter Höllenfürst werden.“ Epilog: "Sag was!" ------------------ „Was hast du da, Shinda?“ Maya warf sich ächzend neben ihm auf den umgekippten Baumstamm, der gerade als Sitzplatz diente und reichte ihm eine Blechschüssel voll von dem Eintopf, der heute ihr Mittagessen darstellte. „Einen Walkman. Ich find den cool.“ „Ja, schon. Aber er kann halt nichts.“ Kassettenspieler. In einem Zeitalter von Smartphone und Tablets. Das war ja mal retro. „Aber er ist cool." „Er kann aber trotzdem nichts.“ „Er ist aber trotzdem cool.“ Maya seufzte. „Wir argumentieren im Kreis, ist dir das mal aufgefallen?“ Shinda lachte. Dann nahm er die Hörer aus den Ohren und räumte die rustikale Technik in seinen Rucksack. Er war wirklich erleichtert, daß Maya nun wieder normal war und nicht mehr so bösartig und abgehoben wie unter dem Einfluss des Höllenfürsten war. „Wir sitzen schon seit 2 Tagen in dieser Klamm. Denkst du, es ist irgendwas schiefgegangen?“ „Du meinst, Terry kommt nicht mehr?“, meinte der Geschichte-Student nachdenklich. „Naja, der General hat uns versprochen, uns Terry hinterherzuschicken, sobald Fünf aus ihr herausgefahren ist und er sie geheilt hat. Eigentlich sollte längst der große Krieg in vollem Gange, wenn nicht sogar schon entschieden sein.“ „Ich denke, Faragath wird sein Versprechen nicht brechen. Terry kommt schon noch. Schau mal, Ying-Dai ist auch noch nicht wieder da.“ „Irrtum.“, mischte sich die gefühlskalte Stimme des weißhaarigen Eisdämons aus dem Hintergrund ein und ließ Shinda und Maya herumfahren. „Hi, Leute. Habt ihr auf mich gewartet? Tut mir leid.“, flötete Terry ihnen entgegen und winkte grüßend. Sie war offensichtlich gerade mit Ying-Dai hier eingetroffen und sah wieder recht menschlich aus. Keine kreideweiße Haut mehr, keine blauen, zombiehaften Lippen, keine schwarzen Augenringe, keine grauen Zähne mehr. Sie war nicht mehr besessen. „Wir haben uns noch den Kampf angesehen, darum sind wir etwas spät dran. Aber ich musste unbedingt erfahren, wie es ausgeht.“, fügte sie fröhlich an. „Dieser Unterwelt-Krieg war nicht für menschliche Augen bestimmt.“, warf Shinda ein wenig mürrisch ein. „Nun erzähl schon, wer hat gewonnen?“ Irgendwie interessierte es ihn doch, und Maya würde sowieso fragen. „Hm, es war alles irgendwie ein bischen so wie geplant. Fünf wurde hingerichtet, wie es ihm vorbestimmt war. Danach hat sein General seinen Posten als Höllenfürst übernommen und den Krieg eröffnet. Und hat auch gewonnen. Was immer man ihm früher mal vorgeworfen hat, die Anklage wurde jetzt einfach fallen gelassen und wird nicht weiter verfolgt.“ „Koya ist in der Schlacht umgekommen. Es ist noch unklar, wer seine Nachfolge antritt.“, fügte Ying-Dai nebenbei an. „Sehr schade. Ich mochte Koya.“, meinte Shinda traurig. „Er war unser Gegner!“ „Er war absolut fair und objektiv. Ihm ist nichts vorzuwerfen. Koya war ein guter, würdiger Höllenfürst!“ „Pah, und das aus dem Munde eines irdischen Dämons. Shinda, du solltest dich schämen.“, spuckte sein weißhaariger Bruder verächtlich. „Es liegt nicht in unserer Natur, mit den Unterweltlern zu sympathisieren!“ „Es liegt auch nicht in unserer Natur, in der Menschenwelt zu leben. Und trotzdem tue ich es! Also halt die Klappe!“ „Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!“ „Leute, hört auf zu streiten. Gehen wir jetzt endlich nach Hause, oder was?“, warf Maya seufzend ein und bedeutete Terry mit Handzeichen, sich eine Schüssel zu holen und sich einfach am Eintopf zu bedienen. „Ich finde es schade, daß ich mit niemandem über das reden kann, was ich hier in den letzten Tagen erlebt habe. Mir wird keiner glauben.“, seufzte das rothaarige Mädchen, als sie sich endlich irgendwo niedergelassen hatte. „Damit wirst du dich abfinden müssen. Glaub mir, es ist besser, wenn du es gar nicht erst versuchst, irgendwem davon zu erzählen. Behalte es einfach für dich.“ „Ich könnte ein Buch darüber schreiben. Ihr wisst schon, es als Fantasy hinstellen.“ „Dafür fehlt dir eine entscheidende Information, die alles zu einem logischen Zusammenhang bringt.“, warf Maya ein. „Wir kennen bis heute Fünfs Motive und Beweggründe nicht. Wir wissen nicht, warum er sich für seinen General geopfert hat und ihn unbedingt zum Höllenfürsten erheben wollte.“ Shinda nickte langsam in sich hinein. Felka hatte ihm zwar von seiner Vergangenheit erzählt, von der Schuld in der Fünf bei Faragath stand, und von dem Prozess, der Faragath den Kopf hätte kosten können, aber Shinda war überzeugt davon, daß das bei weitem nicht alles war. Felka hatte mit diesen Informationen wahrscheinlich nichtmal so richtig die Oberfläche angekratzt. „Lasst uns aufessen und dann unsere Sachen packen. Wir sollten nach Hause gehen.“, warf Ying-Dai ein. Maya schlief das Gesicht ein. „Was meinst DU mit , Ying-Dai? Du willst doch nicht etwa bleiben?“ Der Eisdämon erwiderte nichts darauf. Nur ein Blitzen in seinen Augen verriet, was er gerade denken mochte. Wenn Shinda nicht bereit war, die Menschenwelt zu verlassen und mit ihm zu kommen, würde er wohlmöglich ... „Ying-Dai! Bei mir wirst du nicht bleiben! Sag was!“, zeterte Maya ungehalten weiter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)