Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 18: Selbstlosigkeit --------------------------- In Gedanken versunken stand Kari am Herd und kümmerte sich um das Abendessen für die Familie. Susumu war noch vor ihrer Mutter nach Hause gekommen, was äußerst seltsam war. Er hatte Kari gefragt, wo Yuuko steckte, doch die wusste es ebenso wenig. „Was ist nur los mit den Frauen in dieser Familie? Warum könnt ihr nie mal Bescheid sagen?“, hatte er sich beschwert und ihr Zimmer wieder verlassen. „Montag ist sie doch oft beim Sport. Vielleicht dauert es ein bisschen länger und sie kommt gleich nach Hause“, sagte Kari in einem Versuch, ihren Vater zu beruhigen, der durchs Wohnzimmer tigerte und ständig aus dem Fenster spähte. „Ich hoffe nur, ihr ist nichts passiert“, murmelte Susumu. „Bestimmt nicht.“ Doch auch Kari machte sich langsam Sorgen. Um sich und auch ihren Vater ein wenig abzulenken, beschloss sie, ihm von ihrem neuen Plan zu erzählen. „Du Papa, ich hab' mir was überlegt.“ „Hm?“, machte er, ohne sie anzusehen. „Vielleicht möchte ich nach der Schule ins Ausland gehen. Auf eine Tanzschule. Meine Trainerin Nobuko hat mir das vorgeschlagen.“ „Was? Wie lange denn?“, fragte er verwirrt, war nun jedoch offensichtlich abgelenkt. „Naja, für eine Weile. Ich möchte vielleicht das Tanzen zu meinem Beruf machen“, antwortete Kari und drehte sich um, um ihren Vater anzusehen. Dieser hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich dachte, du möchtest was mit Kindern machen.“ „Nein, ich glaube, ich wäre lieber Tänzerin. Dann könnte ich um die Welt reisen und in vielen verschiedenen Städten auftreten, wenn ich gut bin“, sagte Kari und bemühte sich, möglichst überzeugend zu klingen. „Ich bin ja noch nie richtig verreist, aber ich würde so gern die ganze Welt sehen.“ Nun sah Susumu völlig verwirrt aus. „Was? Wie... wie kommst du denn jetzt darauf?“ Kari zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, Nobuko hat mir das vorgeschlagen. Ich will es einfach mal versuchen und mich bewerben.“ „Aber dafür muss man doch richtig gut sein. Du musst dann den ganzen Tag nichts anderes machen als tanzen“, wendete er ein, doch Kari nickte nur. „Ich mag Tanzen. Und ich mag Musik. Ich kann mir gut vorstellen, das jeden Tag zu machen“, erwiderte sie bestimmt. „Kari, das... oh!“ Der Wohnungsschlüssel bewegte sich im Schloss und wenig später betrat Yuuko die Wohnung. Sie sah völlig erledigt aus. „Da bist du ja“, rief Susumu und ließ sich von ihr einen Kuss auf die Wange drücken. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht. Wo warst du denn?“ Yuuko ließ ihre Tasche auf den Boden fallen und starrte Kari an. „Ich war beim Sport. Und danach war ich bei Natsuko. T.K. wurde von der Schule suspendiert für den Rest der Woche.“ „Was?“, riefen Kari und Susumu wie aus einem Munde. „Meinst du den niedlichen Jungen von früher?“, fragte Susumu irritiert. „Was hat er denn angestellt?“ Kari brachte kein weiteres Wort heraus. Sie starrte ihre Mutter nur entgeistert an und versuchte, zu verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. „Er hat sich wohl mehrmals heute in der Schule geprügelt und einen anderen Schüler schwer verletzt“, antwortete Yuuko langsam. „Natsuko war ziemlich fertig.“ „Schwer verletzt? Er hat ihm die Nase gebrochen“, erwiderte Kari. Ihre Eltern sahen sie beide fragend an. „Weißt du, was genau passiert ist?“, fragte Yuuko. „Natsuko meinte, T.K. wollte ihr nichts weiter dazu sagen. Sie waren zum Gespräch in der Schule, aber T.K. hat sich aus allem herausgehalten.“ Kari machte große Augen. „Nein, ich weiß nichts Genaues. Nur, dass er Shinji die Nase gebrochen hat. Aber das ist doch keine schwere Verletzung. Morgen ist er bestimmt wieder in der Schule.“ Yuuko hob ratlos die Hände. „Ich habe keine Ahnung. Herr Hirai sprach wohl von schwerer Verletzung.“ „So hätte ich ihn ja gar nicht eingeschätzt“, sagte Susumu nachdenklich und rieb sich das Kinn. „Ich auch nicht. Und Natsuko war auch völlig von der Rolle. Sie hatte noch nie Probleme mit T.K. und nun wurde er suspendiert“, antwortete Yuuko kopfschüttelnd. Kari biss sich auf die Unterlippe. T.K. hatte sich wegen ihr geprügelt und nun war er suspendiert worden. Wer wusste schon, ob er nicht ganz der Schule verwiesen wurde? Und das alles nur wegen ihr. Nachdenklich räumte Kari nach dem Essen die Küche auf. Sie hatte sich zwar nicht gefreut, als T.K. vor über einem Monat an ihre Schule gekommen war, doch sie wollte auch nicht, dass er wieder ging. Zumindest nicht, wenn sie schuld daran war. Sie musste irgendetwas unternehmen, doch sie hatte keine Ahnung, was. Sie glaubte nicht, dass Herr Hirai sich umstimmen lassen würde von ihr. Sie ging in das Schlafzimmer ihrer Eltern, wo ihre Mutter gerade dabei war, ein paar Klamotten wegzuräumen. Fragend sah Yuuko Kari an, unterbrach ihre Arbeit jedoch nicht. „Mama, ich muss dir was erzählen“, begann Kari und blieb unschlüssig im Türrahmen stehen. „Na dann erzähl' mal“, sagte Yuuko und legte einen Pullover zusammen. Und Kari erzählte. Sie erzählte die ganze Geschichte mit Shinji und der Wette und wie T.K. und Matt versucht hatten, sie davon abzuhalten, mit Shinji mitzugehen. Sie erzählte nicht jedes Detail, aber alles, was wichtig war, um die Situation zu verstehen. Yuuko hatte irgendwann innegehalten mit einer Hose in der Hand und Kari mit offenem Mund angestarrt. Als Kari fertig war, brauchte sie eine Weile, um zu reagieren, doch schließlich legte sie die Hose beiseite, packte Karis Handgelenk und zog sie hinter sich her aus dem Schlafzimmer. „Was ist denn jetzt?“, fragte Kari verwirrt. „Komm mit“, antwortete Yuuko bloß und zog sie mit sich durchs Wohnzimmer. „Wir gehen noch mal los, Susumu.“ Ohne dessen Antwort abzuwarten, zogen sie sich die Schuhe an und verließen die Wohnung. „Willst du jetzt etwa zu den Takaishis gehen?“, fragte Kari, der mittlerweile dämmerte, was ihre Mutter vorhatte. „Das können wir nicht!“ „Wir müssen“, erwiderte Yuuko trocken. Sie stiegen in den nächstbesten Bus, der sie zu der Haltestelle brachte, in deren Nähe T.K. und seine Mutter wohnten. „Mama, bitte. Ich will Natsuko jetzt nicht die Geschichte erzählen“, bat Kari ihre Mutter und sah sie verzweifelt an, doch diese schüttelte nur den Kopf. „Hier geht es nicht um dich. Natsuko ist völlig fertig mit den Nerven. Sie hat es ja wohl verdient, zu wissen, warum ihr Sohn suspendiert wurde“, entgegnete Yuuko ungewohnt kühl und ohne Kari anzusehen. Sie stiegen aus dem Bus aus und eilten zu dem großen Wohnblock, in dem T.K. mit seiner Mutter wohnte. Schnell stiegen sie die Stufen in den fünften Stock nach oben und klingelten an der Wohnungstür. Nach einigen Sekunden wurde die Tür zögerlich geöffnet und Natsuko steckte ihren Kopf durch den Spalt. „Nanu“, sagte sie überrascht, als sie Kari und Yuuko sah und machte die Tür ganz auf. „Kommt rein.“ Sie folgten Natsuko ins Wohnzimmer, wo sie ihnen etwas zu trinken anbot, doch beide lehnten dankend ab. Kari und Yuuko nahmen auf der Couch Platz, während Natsuko sich auf den Sessel setzte und sie fragend anblickte. „Was gibt es denn, dass ihr jetzt noch gekommen seid?“, fragte sie. Es war immerhin schon nach neun. „Kari muss dir was erzählen“, antwortete Yuuko ernst und beide Frauen wandten sich nun an Kari, die sich ziemlich unwohl fühlte. „Ähm, also... das mit der Suspendierung ist meine Schuld“, begann sie und erzählte dann noch einmal, was sie Yuuko erst vor einer halben Stunde erzählt hatte. Genau wie diese unterbrach Natsuko sie kein einziges Mal, doch sie hob die Augenbrauen und schien sichtlich erstaunt. Als Kari fertig war, atmete Natsuko hörbar aus und kratzte sich am Kopf. „Das heißt jetzt also, T.K. hat sich wegen dir geprügelt“, stellte sie fest und Kari nickte. „Und dieser verantwortungslose Shinji hat dir einen Drink nach dem anderen hingestellt, weil er eine Wette am Laufen hatte.“ Erneut nickte Kari. „Puh, also... muss er sich denn gleich prügeln? Dieser Shinji hat eine Strafe verdient, keine Frage, aber...“, sagte Natsuko und seufzte. „Aber das Verhalten passt doch schon viel eher zu T.K.“, meinte Yuuko aufmunternd. „Auch, wenn er nicht mit Gewalt hätte antworten müssen, er hatte zumindest einen Grund.“ „Ist er gerade da?“, fragte Kari an Natsuko gewandt. „Wenn er nicht abgehauen ist, ist er in seinem Zimmer“, antwortete diese mit einem Kopfnicken in die Richtung von T.K.s Zimmer. Kari nickte, stand auf und ging zu T.K.s Zimmer. Lieber war sie jetzt bei ihm als bei den beiden Müttern, die jetzt sicherlich eine noch schlechtere Meinung von Kari hatten als vorher, nun, da sie wussten, dass sie schuld daran war, dass T.K. für den Rest der Woche nicht mehr zur Schule gehen durfte. Sie klopfte leise an, doch es kam keine Reaktion. Vorsichtig öffnete sie die Tür und riskierte einen Blick. T.K. lag mit Kopfhörern auf den Ohren in seinem Bett und hatte die Augen geschlossen, sah jedoch nicht aus, als ob er schlief. Dafür wirkte sein Gesicht zu angespannt. Kari schloss die Tür hinter sich und ging zu ihm. Vorsichtig berührte sie seinen Arm, sodass er die Augen öffnete. Er schien nicht mit ihr gerechnet zu haben, denn überrascht setzte er sich auf und nahm die Kopfhörer ab. „Was machst du denn hier?“, fragte er. Kari setzte sich auf die Bettkante und faltete die Hände in ihrem Schoß. „Ich habe meiner Mutter und deiner Mutter erklärt, warum du suspendiert wurdest.“ Er zögerte. „Du weißt es also schon? Tokio ist echt ein Dorf.“ Er lächelte schief. „Meine Mutter hat es mir erzählt“, antwortete Kari langsam. „Es tut mir Leid, dass du suspendiert wurdest. Das wollte ich nicht.“ „Ach was, das war doch nicht deine Schuld. Ich suche schon von Anfang an nach einem Grund, diesem Typ eine reinzuhauen“, antwortete T.K. trocken. „Mochtest du ihn schon vorher nicht?“, fragte Kari verwundert. „Kein bisschen“, antwortete T.K. kopfschüttelnd. „Arroganter Großkotz.“ „Ich habe das echt nicht kommen sehen. Davis und Ken mögen ihn auch nicht besonders, aber ich fand ihn eigentlich ganz nett“, sagte Kari beschämt. T.K. schnaubte verächtlich. „Sicher war er zu dir nett. Er hatte ja auch was zu verlieren. Aber nachdem du heute Nachmittag abgehauen bist...“ Er beendete den Satz nicht, sondern ballte nur die Fäuste, als machte er sich erneut für eine Prügelei bereit. „Du hättest ihm aber nicht gleich die Nase brechen müssen“, erwiderte Kari vorwurfsvoll. „Vielleicht kriegst du jetzt einen Verweis.“ „Das war es wert“, sagte er bestimmt. „Trotzdem“, sagte Kari, „ich werde morgen zu Herrn Hirai gehen und ihm die Sache erklären.“ T.K. hob eine Augenbraue. „Willst du das wirklich machen? Wenn du ihm erzählst, dass Shinji dich abgefüllt hat, kriegst du Ärger.“ Kari zuckte mit den Schultern. „Na und? Wenn ich auch suspendiert werde, können wir die Zeit gemeinsam absitzen.“ T.K. musterte sie mit seinem durchdringenden Blick. „Heißt das, du magst mich doch wieder?“ „Übertreib's nicht“, antwortete Kari, lächelte jedoch flüchtig. Er erwiderte ihr Lächeln und dann herrschte für kurze Zeit Schweigen zwischen ihnen. „Kari, du musst das nicht machen. Ich kann verstehen, wenn du das nicht erzählen willst“, sagte er schließlich ernst. „Nein, das ist schon in Ordnung. Ich will nicht, dass du wegen mir bestraft wirst und ich nicht“, antwortete Kari. „Du musst morgen mitkommen. Ich glaube, es ist besser, wenn du dabei bist und für dich selbst sprechen kannst. Treffen wir uns vor der Schule?“ T.K. nickte nachdenklich. „Okay.“ Er seufzte leise, als sie aufstand und auf seine Zimmertür zuging. „Hübsch siehst du übrigens aus. Hast du dich extra schick gemacht?“ Kari blieb stehen und blickte an sich hinab. Sie trug noch ihre Jogginghose, die ihr ein wenig zu groß war, und ein T-Shirt mit einem kindischen Aufdruck, das man besser nicht anzog, wenn man unter Leute ging. Ihre Haare waren zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. „Ach, lass mich doch“, murrte sie und sah gerade noch sein Grinsen, bevor sie das Zimmer verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)