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The Life Around Us

Evenfall-verse
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Seit jeher trug Tsunade einen Pferdeschwanz; bis zu jenem Tag im Sommer in ihrer Jugend, an dem ihr Haarband ins Wasser fiel. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Er hatte Narutos Traum immer belächelt, hatte ihn für kindisch und verklärt erklärt, als dieser an ihrem ersten Tag diesen Wunsch geäußert hatte. Nun hatte er dasselbe Ziel. Und keiner konnte auch nur ansatzweise nachvollziehen, wie man so bescheuert sein konnte. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Seit sie Kinder waren, flirteten sie miteinander. Subtil, versteckt und ganz offensichtlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand den ersten Schritt machen würde. Komplett anzeigen

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Applesauce

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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"Sieh mal, Tsunade-chan."

Der große, archaisch wirkende Mann beugte sich zu seiner Enkelin und strich ihr liebevoll über die Wange. Das daneben kleine und zierlich wirkende Mädchen mit den roten Bäckchen begann begeistert über dieses Geschenk in die Hände zu klatschen. Seine Augen leuchteten im Glanz der wertvollen Kette, die eigentlich niemals hätte wertvoll werden sollen. Senju Hashirama, Shinobi no Kami, Shodaime Hokage, ein legendärer Ninja, ging vor ihr in die Knie und hielt das Schmuckstück vor dem lachenden Kindermund in die Höhe. Es war eine Kette, die seine Frau vor Jahren gefertigt hatte. Sie sollte ihn immer daran erinnern, was es bedeutete, Hokage zu sein.

Man sagte, in dieser Kette, gefertigt aus einer schwarzen Kordel, Kesshōseki und zwei Perlen, schlummerte der Wille des Feuers. Sie ließe sich nur von all jenen tragen, in denen dieser Wille innewohnte. Ein Mythos, den Hashirama niemals unterstützt hatte. Seine Frau war die Tochter eines wohlhabenden Großhändlers gewesen, dem durch Zufall dieser geheimnisvolle Edelstein in die Hände gefallen war, ohne zu wissen, welch atemberaubende Fähigkeiten er hatte.

Tsunade langte nach der Kette und stupste sie mit einem ihrer kleinen Finger an. "Sie funkelt", stellte sie begeistert fest, das tiefe Braun ihrer Iriden mit dem Kesshōseki um die Wette strahlend.

"Eines Tages wird sie dir gehören, Tsunade-chan."

"Wann?"

"Wenn du Hokage wirst. Aber bis dahin", er entzog die Kette ihrem schmalen Radius, lächelte jedoch versöhnlich, "musst du stark werden. Du musst besser werden als alle anderen. Weiser, klüger, schneller und schlauer. Denkst du, du schaffst das?"

Das kleine Mädchen von vier Jahren legte ihren Kopf schief, die Lippen nachdenklich geschürzt. Mit ihren runden Wangen, der gerümpften Nase und den verschränkten Armen sah sie aus wie eine niedliche Karikatur ihrer Mutter—seiner Tochter—die auf der anderen Seite der Küche hinter dem Tisch stand, auf dessen Stühlen er und sie sich niedergelassen hatten.

"Natürlich schaffe ich das. Ich bin immerhin eine Senju", versprach sie feierlich, indem sie ihre Arme ausbreitete und stolz auf sich selbst zeigte. Hashirama tätschelte lachend ihren Kopf.

"Unser Temperament hast du jedenfalls. Weißt du, es braucht sehr viel mehr, um ein guter Anführer zu sein. Du musst freundlich sein, dabei aber autoritär. Entschieden, aber gerecht. Entschlossen, aber auch bereit, die Vorschläge anderer Menschen anzuhören. Du musst alles sein, aber dir muss auch klar sein, dass du am Ende nur ein Teil des ganzen bist. Wichtiger als alle anderen, aber schlussendlich bloß das erste Glied einer langen Kette."

"So wie diese?" Sie deutete auf die Kristallkette, die er sich wieder umgelegt hatte.

"Viel länger. Sehr viel länger."

Das Mädchen legte seinen Kopf noch schiefer, als könne sie so ihre Gedanken besser in einer Ecke ihres Geistes schüren. Etwas schien sie zu beschäftigen. "Das klingt sehr anstrengend. Ich denke nicht, dass ich das will."

Er hob eine Augenbraue. Es gab nur wenige Kinder, die nicht den Traum hatten, irgendwann einmal Anführer des Dorfes zu werden und in seine Fußstapfen zu treten. Vielleicht war gerade die hohe Wahrscheinlichkeit, die Tsunade sehr wohl bewusst war und somit von anderen Kindern unterschied, der Grund für ihren Einwand.

"Fühlst du dich dieser Aufgabe nicht gewachsen?"

Sie zuckte die Schultern.

"Wenn das so ist, werden wir morgen mit deinem richtigen Training beginnen", schlug er vor, anerkennendes Nicken von ihrer Mutter einholend. "Hast du noch die Waffen, die wir dir zu deinem Geburtstag geschenkt haben?"

"Ja."

"Gut. Dann lauf und hole sie. Ich werde dir zeigen, wie man sie schleift und poliert, bevor wir morgen anfangen, damit zu werfen."

Begeistert von diesem Vorschlag, hüpfte sie ohne fremde Hilfe von dem hohen Stuhl, den sie zuvor nicht minder selbstständig erklommen hatte, und lief mit kleinen, aber schnellen Schritten aus der Küche in ihr Zimmer. Als sie außer Hörweite war, legte ihre Mutter das Tuch nieder, mit dem sie Geschirr getrocknet hatte.

"Stecken wir nicht zu hohe Erwartungen in sie?", stellte sie eine Frage, die Hashirama sich schon selbst oft gefragt hatte. "Sie ist doch noch so jung. Dieser Erwartungsdruck könnte zu viel für sie sein, Otousama."

Nachdenklich überprüfte er den Verschluss seiner Kette, die sich der Grube zwischen seinen Schlüsselbeinen angepasst hatte. Es war nicht einfach, diese Frage zu beantworten, zumal er selbst nicht hundertprozentig zufrieden mit seiner Entscheidung war.

"Sie kann ihr Blut nicht leugnen. In ihren Adern fließt, auf was Konoha gegründet wurde und irgendwann wird sie Hokage sein, weil sie keine Wahl hat. Bis es soweit ist, werden wir sie darauf vorbereiten. Es ist besser, zu hohe Erwartungen zu stellen, an denen sie wachsen kann, anstatt sie ihre Kindheit in ungenutztem Potenzial verleben zu lassen. Wenn ich einmal nicht mehr bin und sie dieses Dorf anführt, wird sie dankbar für alles sein, das sie alsbald hassen wird. Wir können uns nicht aussuchen, mit welchem Schicksal wir geboren werden. Sobald sie akzeptiert hat, wer sie ist, wird sie es annehmen."

"Ich hoffe, es dauert nicht zu lange", sprach seine Tochter aus, was er sich selbst wünschte.

Wann immer seine geliebte Enkelin ihr Amt antreten würde, sie würde es mit Stolz und aller Unterstützung tun, die sie in Konoha zu finden fähig war.
 

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Tsunade hatte immer versucht, überdurchschnittlich gut zu sein. Als Enkelin des Shodaime Hokage, Großenkelin des Nidaime Hokage und Schülerin des Sandaime Hokage, war es ihre Pflicht, ein Vorbild für Konoha zu sein. Sie war schon immer ein pflichtbewusster Mensch gewesen, der an seinen Aufgaben wuchs. So war sie zu dem geworden, was sie heute war.

Mutig. Stark. Eine Kämpferin. Seit ihrer frühesten Jugend hatte man sie zu einer Anführerin erzogen. Eine Anführerin, die sie niemals sein wollte.

Doch sie war mehr als das. Sie war eine wohlerzogene Tochter, eine ehrgeizige Schülerin, eine liebevolle Schwester. Als solche hatte sie ihrem Bruder, in den sehr viel weniger Hoffnungen gesteckt wurden, gestern die Kette ihres Großvaters vermacht. Dieser süße, pausbäckige Genin war gestern gerade einmal zwölf geworden, hatte aber bereits jetzt große Ziele. Ziele, die Tsunade niemals verstehen würde. Sobald er Hokage war, konnte sie endlich aufhören, ein Idol zu sein.

"Ein Idol?", wiederholte Jiraiya skeptisch. "In welcher verdrehten Welt bist du ein Idol von irgendjemandem?"

"Pah!" Sie zischte und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ihr Freund und Teamkamerad saß auf dem Kopf eines mittelriesigen Frosches, den er soeben zum ersten Mal erfolgreich beschworen hatten. Dieser warzennäsige Tunichtgut war auch noch stolz auf seine Leistung, dabei hatte Orochimaru und sie die Kuchiyose no Jutsu schon vor Wochen gemeistert. Er hätte sich lieber sputen sollen, Gamabunta herholen zu können, anstatt lustige Balancespielchen auf dem taugrünen Amphib zu vollführen, die leicht ins Auge gehen konnten. Sie wandte sich beleidigt ab. "Ich erzähle dir nie wieder von meiner zarten Seele."

"Und in welcher noch verdrehteren Welt hat du—von allen Menschen gerade du—eine zarte Seele?" Er sprang vom Kopf des Frosches, als er gefahrlief, vornüberzukippen, und schickte den vertrauten Geist zurück in seine eigene Welt. "Tsunade, deine Seele ist robuster als ein Holzbrett."

"Ich verlange von einem minderbemittelten Chūnin nichts anderes als diesen flachen Kommentar. Du hast keine Ahnung."

"Und du missbrauchst mich als Kummerkasten für Kummer, den du gar nicht hast. Andere wären froh, mit solchen Privilegien geboren worden zu sein. Bisher hast du doch immer deine Vorteile daraus geschlagen." Jiraiya klopfte ihr aufmunternd auf die Schultern. "Wenn es soweit ist, wirst du einen ausgezeichneten Hokage abgeben. Glaub mir, mit diesem Blut bleibt dir gar nichts anderes übrig."

"Dummkopf", versetzte sie milde lächelnd. "Ich werde niemals Hokage. Zumindest nicht freiwillig. Sie werden sich einen anderen armen Tropf finden müssen, der seine restlichen Jahre eingesperrt hinter einem aktenüberladenen Schreibtisch verbüßt. Ich bin ein Krieger. Niemand wird mich jemals in die Bürokratie verfrachten."

Jiraiyas Mund verdrehte sich zu einem spitzbübischen Grinsen, das sie sehr gut an ihm kannte. Er hatte wieder eine seiner glorreichen Ideen ausgefressen, die meist nirgendwo hinführten, außer auf direktem Weg in ihre Faust. Seine Einfälle waren selten gut für seine Gesundheit.

"An dem Tag, an dem du Hokage wirst, gehen wir aus. Ich möchte ein richtiges Date mit Essen, Mondlichtspaziergang und einem Abschiedskuss."

Da hatte sie es; ein grenzdebil bescheuerter Versuch, sie zu etwas zu überreden, das sie ihm seit Jahren verweigerte. Als hätte es etwas genützt. "Vergiss es." Tsunade formte mit ihren Armen ein 'x' vor ihrem Gesicht, die Kreuzstelle unter ihr nach vorne gerecktes Kinn geschoben. "Wetten sind etwas moralische Verwerfliches. Vor allem, wenn es um etwas derart Widerliches geht. Hör auf, die Lippen zu schürzen, Jiraiya-chan, du bist kein Mädchen. Mondlichtspaziergang, pah!"

Beleidigt wandte er sich von ihr ab, wieder dem seichten Fluss zu, neben dem er seit Stunden trainierte. Eine Kaulquappe bahnte sich von einem früheren, fehlgeschlagenen Beschwörungsversuch ihren beschwerlichen Weg den schmalen Strand aus grobem Kies entlang hinab zum rettenden Wasser. Tsunade nahm sie auf und hielt sie ihm vor die Nase, ehe er einen neuen willkürlichen Frosch beschwören konnte.

"Siehst du das? Das ist der Grund, wieso ich niemals mit dir ausgehen werde. Du bist kindisch, unreif, untalentiert und du nervst!"

Jiraiya wich empört zurück. "Tatsächlich? Wenn ich das bin, wieso redest du dann mit mir über deine Probleme und nicht mit diesem kaltschnäuzigen, hypertalentierten Wichtigtuer Orochimaru? Ach ja, er ist ein kaltschnäuziger, hypertalentierter Wichtigtuer, der sich einen Scheißdreck für deine oder meine oder irgendjemandes Probleme interessiert! Ich höre dir wenigstens zu und versuche dich aufzuheitern!"

Tsunade machte einen bedrohlichen Schritt nach vorne, verfehlte seinen Kopf jedoch, als er schnell zurückwich. Er hatte wohl heimlich an seiner Schnelligkeit gefeilt. Orochimaru zu erwähnen—diese peinliche Schwärmerei, die sie vor Jahren während ihrer Geninzeiten gehabt hatte—war unter jeder Gürtellinie und das wusste er, denn er kam in einigem Sicherheitsabstand zum Stehen, von wo aus er sie ernst ansah. "Du bist doch nicht hier, um mich zu beleidigen oder dein pseudovolles Herz auszuschütten", stellte er trocken fest. "Was bedrückt dich wirklich?"

Sie wusste genau, wann sie verloren hatte. Es war schwierig, ihm auszuweichen, wenn er erst einmal durch ihre Fassade gebrochen war. Die Blockaden dahinter niederzureißen war eine leichte Sache. Man hatte es ihr gelehrt; undurchsichtig zu sein. Immer korrekt, immer professionell, immer hier und wach. Wenn ihr Großvater Probleme gehabt hatte, hatte er sie niemals gezeigt. Er war Shodaime Hokage gewesen, die oberste Macht Konohagakure no Satos. Ein Anführer durfte keine Schwäche zeigen, egal wie schlecht es ihm ging.

Sie war eine Anführerin.

Doch sie war auch eine große Schwester. Jiraiyas durchdringender Blick malträtierte sie in all seiner Intensität. Wieso musste er auch derart freundlich sein? Wieso musste er immer da sein, immer ein offenes Ohr haben, obwohl sie ihm gegenüber mit Beleidigungen um sich warf? Wieso musste er so quälend nett sein, dass es sie schmerzte, ihm nicht sagen zu können, was sie sie in diese deprimierende Stimmung versetzte. Er würde es nicht verstehen, oder doch? Sie verstand es ja selbst nicht. Diese böse Vorahnung, die sie hatte.

"Ich verstehe, wenn du nicht darüber reden willst. Wenn du soweit bist, werde ich da sein. Tsunade."

Er verschwand in einer dichten Rauchwolke, die sich samt seiner Chakrapräsenz nach seinem Abgang verflüchtigte. Plötzlich war die Lichtung leer. Tsunade fühlte sich nicht einsam. Sie fühlte sich verlassen. Irgendwie. Verlassen von allen guten Dingen dieser Welt.
 

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Der Himmel war am Morgen blau gewesen. Blau wie die stet fließende Wasseroberfläche, die sie flussabwärts in winzigen, langsamen Schritten barfuß entlangging. Der sanfte Wind streifte ihre nackte Haut an den Oberarmen und Unterschenkeln, hauchte seine kalte Brise durch das Netzteil, dessen Brustbereich von einem weißen Oberteil vor der Kühle geschützt wurde. Es war Sommer. Dass dennoch kühler Wind über die kurzen Grashalme, durch die saftig grünen Baumkronen strich, sie rascheln ließ und im Gleichtakt wippen ließ, hätte bereits ein schlechtes Omen sein sollen. Jiraiya hatte sich vor Stunden vor der morgendlichen Dämmerungsszenerie verabschiedet, in der sie gegen Nachmittag hin ziellos den seichten Fluss entlang wanderte. Er war bloß wadentief, sodass Tsunade kein Chakra aufwenden hätte müssen, um durch ihn zu waten; dass sie es dennoch tat, war eine verzweifelte Beschäftigungstherapie für ihre Konzentration, die in jenen Momenten, in denen sie die perfekte Balance minutenlang mühelos gehalten hatte, immer wieder zurück nach Shimo no Kuni wanderte, wohin ihr kleiner Bruder seit gestern mit seinem Geninteam und einem Sensei, den sie nur flüchtig kannte, unterwegs war.

Dieser Mann, Kamazu irgenwie, hatte den Ruf, kompetent, erfahren und loyal zu sein. Ein Ruf, den alle Jōnin hatten. Er war nichts Besonderes. Nicht kompetenter als andere Jōnin, nicht erfahrener, nicht loyaler. Nicht besser. Tsunade versuchte, Gutes daran zu finden, ihren Bruder in jemandes Obhut zu wissen, den sie so wenig kannte. Ihre Eltern hatten keine Einwände gegen ihn erhoben, als die Akademie die Teamzusammenstellung beschlossen hatte. Sie hatten es getan, als man sie jemand anderem als Sarutobi Hiruzen zuteilen hatte wollen. Irgendeiner Kunouchi mit blondem Haar, die schon vor Jahren gestorben war, keine neun Monate nach Tsunades Abschluss an der Akademie. Hiruzen war ein Freund der Familie, gehandelt als der nächste Hokage, wenn Tobirama abgedankt hatte. Sie hätten ihr Vorzeigekind niemals unter die Aufsicht eines weniger hohen Mannes gegeben als dem höchsten verfügbaren.

Tsunade war dankbar. Noch dankbarer wäre sie gewesen, wenn ihr Sensei sich Nawaki angenommen hätte, anstatt ihrem Großonkel auf Schritt und Tritt zu folgen, um später sein Amt zu übernehmen. Sie, Jiraiya und Orochimaru waren schon vor Jahren zu Chūnin geworden. Demnächst sollte eine Prüfung eingeführt werden; zur Stärkung des bröckelig gewordenen Friedens zwischen den Nationen und zur Beilegung der aufkeimenden Differenzen. Sie war politisch genügend unterrichtet worden, um zu wissen, dass diese Prüfung der Kontrolle diente. Man wollte damit versuchen, die Schlagkraft der anderen Länder zu evaluieren. Wenn es nach ihr ginge, würden diese lächerlichen Modalitäten niemals Einzug in das Rechtswesen haben. Eine bestandene Prüfung als Beweis ausreichender Shinobiqualitäten…die Welt der Ninjas war doch kein Bazar.

Ein Regentropfen fiel vor ihr ins Wasser, wo er kleine Wellen schlug, die nach außen hin größer wurden. Ein physikalischer Effekt.

Regen. Ein schlechtes Omen.

Sie sah in den düsteren Himmel, der inzwischen vollends zugezogen war. Dicke Wolken türmten sich übereinander, darum ringend, wer zuerst seine Last auf die Erde entladen durfte. Binnen einer Minute war ein Platzregen ausgebrochen, der kein Platzregen war. Er ergoss sich erbarmungslos auf die Wiese, den Fluss, durch das dichte Blätterwerk und traf Tsunade in all seiner Wucht. Sie verbat sich, zu frösteln. Eine Kunoichi fröstelte nicht bei Regen. Sie fröstelte überhaupt nicht. Mit ein wenig Chakra wärmte sie ihren Körper von innen heraus, um ihre Temperatur konstant zu halten, als sie ihren schleichenden Schlenderschritt mitten auf dem Fluss stoppte, der seinen vorherbestimmten Weg unter ihren Fußsohle weiterfloss.

"Glaubst du an das Schicksal?", fragte sie den Shinobi, der lautlos neben ihr aufgetaucht war. Sie hätte seine Chakrasignatur überall erkannt, selbst sie nicht aufgrund seines Versprechens gewusst hätte, dass er wiederkommen würde. Jiraiyas Instinkt ihren Stimmungen gegenüber war unfehlbar.

Er verharrte hinter ihr, wo der Regen auf ihn niederfiel, genauso wie auf sie und doch eine andere Bedeutung hatte. Sie hasste Regen. Er zuckte die Schultern. "Ich glaube an Chancen", antwortete er vage.

"Chancen, hm?" Tsunade richtete ihren Blick erneut nach oben, verengte ihre Lider, um ihre Iriden vor dem Niederschlag zu schützen, und streckte eine Hand nach oben hin aus, als könne sie die Tropfen greifen, die um sie tanzten.

"Wir bekommen jeden Tag neue Chancen. Ob wir sie nutzen oder nicht, bestimmt unser Schicksal. Niemand kann nur einen Weg gehen, Tsunade." Jiraiya trat neben sie, um seine Hand neben der ihren gen Himmel zu richten. "Wir dürften jeden Augenblick aufs Neue wählen, welche Abzweigung wir nehmen und wie schnell wir darauf gehen. Du kannst das Schicksal dafür verantwortlich machen, aber manchmal ist es einfach Pech, Glück oder Zufall."

"Was?"

Er zuckte die Schultern. "Sag du es mir."

Es dauerte, bis sie die Courage hatte, die Stimme zu der einen Wahrheit zu erheben, die sie plagte. Es auszusprechen, bedeutete, ihre Angst real zu machen. Jiraiya würde sie nicht schönreden. Es war nicht seine Art, Probleme von anderen zu Nichtigkeiten herabzuwürdigen. Er tat es bei jenen Schwierigkeiten, vor denen er selbst stand, um andere nicht glauben zu lassen, er lasse sich davon in seiner Sorglosigkeit beschneiden. Dieser Tollpatsch.

"Nawaki brach gestern zu seiner ersten Auslandsmission auf."

"Machst du dir Sorgen?"

Ihr Kopfschütteln war erstaunlicherweise keine Lüge. Sorgen waren das letzte, das sie derzeit beschäftigte. "Ich fürchte mich."

"Wovor?"

Der Mut verließ sie für den Moment. Weiter bis hierhin zu gehen, hieße, den Teufel an die Wand zu malen. Man sprach nicht über schlechte Dinge, die in der Zukunft verborgen liegen könnten. Das hieße, sie zu beschwören. Sie wusste nicht, ob es ein Sprichwort, eine Weisheit oder etwas war, das ihre Mutter bloß sagte, um sie vor allzu viel Selbstzweifel zu bewahren.

"Davor, recht zu haben."

Plötzlich fand sie sich in einer seichten Umarmung wieder. Jiraiya hatte sie an sich gedrückt, einen Arm um sie gelegt, den anderen auf ihrem Haar, dessen Haarband vom Regen durchnässt war wie auch ihre Kleidung, die an ihrem schlanken Körper klebte. Sie hätte sich behütet fühlen sollen, geliebt, respektiert, aber keines dieser Gefühle wollte sich einstellen, als sie zu weinen begann. Ihre Tränen vermischten sich mit dem verheißungsvollen Regen und wurden hinfort gespült, um den neuen Platz zu machen, die ungehindert kamen, nun, da Jiraiya sie mit seiner zweiten Hand dichter an sich presste. Sein Kinn streifte ihren Scheitel, der ruhig daran lehnte. Es waren stumme Tränen, die sie weinte, weil sie nicht anders konnte.

"Egal was passiert, mich wirst du niemals los", versprach er für jetzt und alle Zukunft. Alleine dieser Schwur machte ihr Angst. Egal was passierte. Egal wer sie verließ, er würde bleiben.

"Ich finde schon eine Möglichkeit, warte es nur ab", murmelte sie an seiner traditionellen Leinentunika mit dem roten Muster, das sie seit jeher als kindisch abgestempelt hatte.

"Vergiss es, Tsunade." Beharrlich strich er über ihren Rücken. "Selbst wenn die süße, unschuldige Tsunade-chan, die Wetten und Alkohol verabscheut, irgendwann einmal eine verrunzelte, ordinäre, spielsüchtige Alkoholikerin ist, bleibe ich dein Freund."

"Tsk", zischte sie abwertend über diese nicht gerade schmeichelhafte Beschreibung ihres zukünftigen Ichs. "Egal was ich einmal werde, bevor ich Falten bekomme, springe ich von einer Klippe."

Sie spürte den Druck auf ihrem Haar, als Jiraiya zu lächeln begann und sich sein Kiefer dadurch nach unten schob. "Geht es dir nun besser?"

Tsunade zögerte. Es war keine leichte Frage. Die Vorahnung war noch da. Die Furcht. Die Angst. Dieses Gefühl.

"Nein."

"Dann ist es vielleicht besser, ich bleibe bei dir, bis alles vorbei ist."

"Danke, Jiraiya. Für alles."
 

Als er erneut tröstend über ihr Haar strich, löste sich der Knoten des Haarbandes, das sich mit Regenwasser vollgesogen hatte. Sie hatte einst erzählt, dass es ein Geburtstagsgeschenk von Nawaki gewesen war, das er von seinem allersten Taschengeld im Alter von sechs Jahren für sie erstanden hatte. Es war rot und seither hatte sie ihre Kleidung immer daran angepasst. Sie hatte es nie abgenommen. Bis zum heutigen Tag, als er mit traurigem Blick beobachtete, wie das Rubinfarbene Stoffband ins Wasser fiel.

Hokage


 

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Sakura seufzte schwer. Seit Stunden betrachtete sie sich im Spiegel, dessen Dampfschicht sie nach dem langen Bad weggewischt hatte. Er war schlierig, was nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass die Raute auf ihrer Stirn keine Illusion war. Sie würde sich erst daran gewöhnen müssen, dass sie dieses Mal für den Rest ihres Lebens brandmarkte. Als die stärkste Kunoichi Hi no Kunis. Nach Tsunade, verstand sich. Sie war die Teamkameradin des berühmtesten Jinchuurikis und eines Abtrünnigen, der nebenbei der letzte Überlebende eines verfluchten Klans war, und eigentlich gar nicht mehr abtrünnig.

Oder doch?

Sie hatte keine Ahnung. Der Krieg war vorbei, Sasuke war—nachdem seine alte Wohnung nach seinem Verrat zu Staatseigentum geworden und weitervermietet worden war—in einem der Appartementblöcke im Zentrum nahe dem Hokageturm untergebracht worden und irgendwie war alles wie früher. Mehr oder weniger.

Ein zweiter tiefer Seufzer entkam ihr. Sie löste das Handtuch von ihrem Körper, legte es zusammen und warf ihre beste Freizeitkleidung über. Die weiße Bluse betonte ihre weiblichen Rundungen, der rote Rock die Farbe ihres frischgewaschenen Haares, das sie sorgfältig bürstete. Es hatte sich tatsächlich nicht viel verändert. Sie war immer noch naiv genug, sich für Sasuke aufzutakeln. Als würde er sie beachten! Selbst nach ihrem imposanten Auftritt hatte er ihr bloß einen schwachen Funken freundschaftlicher Anerkennung gezahlt. Fein, dann eben die harte Tour, die sie von Ino gelernt hatte.

Sakura verdrehte raunend die Augen. Als hätten bissige Kommentare und sarkastische Attitüden bei ihr positive Wunder gewirkt. Im Gegenteil; es war ein Wunder, dass ihre blonde Freundin nach all ihren zickigen Entgegnungen noch lebte. Das war das einzig wundersame daran. Leider. Hach, wie sehr sie das alles nervte! Wenn Sasuke geblieben wäre, wo der Pfeffer wuchs—Akatsuki, Otogakure, wo auch immer—hätte sie diese Probleme nicht.

Das ist die richtige Einstellung, Mädchen!, jubelte ihre innere Stimme, die sie möglichst nach außen zu kehren versuchte, als sie sich fertig angezogen und hübsch wie nie zuvor durch die Straßen Konohas auf den Weg zu ihrer Lehrmeisterin machte. Ehemaligen Lehrmeisterin. Tsunade hatte gestern Abend erklärt, sie könne Sakura nichts mehr beibringen, das den Status als ihre Shishō nicht rechtfertigte. Schwache Feinheiten, die kaum der Rede wert waren.

Mit dem Wissen, dass Sakura mit sechzehn Jahren alles und mehr erreicht hatte, das ihr zwölfjähriges Ich sich ersehnt hatte, war ein berauschendes Gefühl, das ihre Nervosität kaschierte, die sie empfand, als sie an Tsunades Bürotür klopfte. Sie versuchte die Chakren im Inneren des Raumes zu differenzieren, scheiterte angesichts der Bündelung verschiedener mächtiger Signaturen kläglich daran. Naruto und Sasuke mussten bereits anwesend sein.

"Komm herein", rief jemand von innen zu ihr heraus. Indem sie tief einatmete, schwer ausatmete, ihre Schultern straffte und das Kinn nach vorn reckte, drückte sie die Türschnalle hinab. Sie hatte rechtbehalten.

Naruto und Sasuke standen neben Shikamaru, Sai, Hinata und Kakashi, die in eine hitzige Diskussion über etwas Diffuses verfallen waren, die wiederum von der ehrenwerten Hokage lustlos beobachtet wurde. Niemand schien Sakuras Eintreten wahrzunehmen, geschweige denn sich darum zu scheren. Hinata rief an Narutos Seite mit leiser Stimme ein haltloses Argument gegen Shikamaru, der lautstark gegen Sasuke wetterte, mit dem Kakashi ein ernstes Gespräch zu führen versuchte. Ein heilloses Durcheinander, in das sie sich versuchte einzugliedern.

"Um was geht es hier, Naruto?"

"Darum, dass Teme plötzlich Hokage werden will!", fluchte der blonde Chaosninja, dessen Finger anklagend auf den letzten Uchiha mit Herzschlag zeigte. "Das kann der doch nicht bringen! Oder?"

"Als Uchiha hätte er sowieso keinen Anrecht auf diesen Titel", beantwortete Shikamaru seine Frage. "Mitglieder eines Klans dürfen nicht Hokage werden. Das ist gegen unsere Politik. Hinata ist es auch verboten."

"Welcher Klan?", fragte Sasuke schulterzuckend. "Mein nicht mehr toter Bruder und der wieder einmal tote Gründer meiner Blutlinie und ich? Wo siehst du einen Klan um meinen Namen? Wenn du willst, nehme ich einen anderen Nachnamen an, falls dies dein einziges Argument ist."

"Oh, komm schon!", raunte Naruto verzweifelt. Hinata und Sai hielen ihn japsend zurück, ehe er auf seinen Teamkameraden losgehen konnte. "Das ist doch alles kompletter Schwachsinn! Beschissene Heuchelei! Ich habe mir jahrelang den Arsch aufgerissen, um Hokage zu werden—außerdem bin ich der Sohn des Yondaime!"

"Na und?"

Tsunade schlug ihre Hand mittelstark auf den Tisch, was genügend Lärm machte, um ihr jede Aufmerksamkeit zuzuwenden. "Vetternwirtschaft wurde in diesem Dorf schon immer groß geschrieben. Angefangen beim Ersten bis hin zum Fünften wird der Sechste schwerlich eine Ausnahme bilden. Aber", unterbrach sie Narutos Jubel, "ich frage mich, wieso wir diese Diskussion führen. Noch bin ich Hokage und ich habe nicht vor, meine Position an jemanden aus diesem kindischen Bulk abzutreten. Naruto, du bist sechzehn Jahre alt. Und dein Geist ist der eines Zwölfjährigen. Eines großherzigen, ehrenhaften Zwölfjährigen, aber die Aufgabe, ein Dorf zu führen besteht in Friedenszeiten daraus, Papiere zu sortieren, Missionen zu verteilen und irgendwelche Sachen zu unterschreiben. Das ist nicht das, wofür ich deine Kräfte einsetzen werde."

Sasuke schenkte ihm einen bissigen Seitenblick, herausfordernd und funkelnd.

"Uchiha Sasuke", erhob sie erneut ihre Stimme, "ich habe von deinen menschlichen Qualitäten keine Ahnung. Weißt du auch, wieso? Weil du wenige Tage nachdem ich mein Amt als Hokage antrat, eine illoyale Glanzleistung performt hast, indem du Konohagakure no Sato und all seine Bewohner verraten, dich meinem Todfeind Orochimaru angeschlossen hast und in weiterer Folge temporäres Mitglied jener Organisation wurdest, die uns in einen grausamen, blutrünstigen Krieg trieb, bei dem wir zahlreiche Freunde, Verwandte und geliebte Menschen verloren. Habe ich etwas vergessen? Ach ja, du hattest die Dreistigkeit, einige meiner besten Konohashinobi anzugreifen und mich dazu zu zwingen, wertvolle Gelder auf missglückte Rettungsmissionen zu verschwenden. Sieh mich nicht so an; denkst du etwa, du könntest einfach so hier auftauchen und Forderungen stellen?"

"Hokage-sama, es lag n—"

"Spar's dir, Uchiha." Sie schüttelte ihren Kopf. "Ihr bringt mich noch in die Irrenanstalt! Wir haben einen Krieg hinter uns! Denkt ihr, ich habe nichts Wichtigeres zu tun, als mich mit euren lapidaren Streitereien auseinanderzusetzen? Raus! Ihr alle!"

Sakura wich zurück als der warnende Blick ihrer ehemaligen Meisterin über die versammelte Menge streifte, um jeden von ihnen eindringlich den Ernst der Lage zu erklären. Es war alles so surreal. Auch als Sasuke an ihr vorbeiging, Naruto kameradschaftlich provokativ anrempelte und Kakashi ihm folgte, erschien es ihr wie die Szene aus einer schlechten Tragödie. Sasuke würdigte sie keiner Aufmerksamkeit. Er forderte Naruto zu etwas heraus, das nur Männer verstehen konnten, ohne sie auch nur ansatzweise zu bemerken.

So viel zu Veränderungen. So viel zu ihrer Imposanz. So viel zu ihren kläglichen Hoffnungen, sie könnten wieder ein Team werden. Und vor allem: so viel dazu, dass sie sich vor Sasuke bewiesen hatte.

Ein rauer Seufzer entwich ihr. Glücklicherweise war sie Iryōnin und konnte ihren gereizten Hals mit einem kurzen Handgriff heilen. Tsunade tadelte sie stumm über den unbesonnenen Einsatz ihrer kostbaren Chakrareserven. Sie waren alleine nachdem Hinata zusammen mit Shikamaru und Naruto das Büro verlassen hatte.

"Was willst du noch?", brummte die Hokage. Angesichts des kläglichen Versuchs, sie aus ihrer Position zu drängen, war ihr Missmut durchaus verständlich. "Sagte ich nicht, ihr solltet verschwinden? Du bekommst keine Sonderbehandlung, Sakura."

Die junge Kunoichi verbeugte sich respektvoll vor ihr, ihre Emotionen erfolgreich nach hinten drängend. Sie wollte professionell wirken. "Wie wird es weitergehen, Tsunade-sama?"

Tsunade stieß sarkastisches Zischen aus. "Was willst du von mir hören? Dass alles gut wird? Das kann ich dir nicht sagen. Viele unserer Kameraden sind tot, was unsere Verteidigung extrem geschwächt hat, dafür sind die Reihen unter den Vereinigten Nationen so stark wie noch nie. Wir werden versuchen, unsere Schlagkraft wieder aufzubauen. Es wird zwingende politische Veränderungen geben, Altersanpassungen für unsere Akademie und—"

"Das meine ich nicht."

Sie schloss die Augen. Der Krieg war vorbei, doch der Kampf hatte gerade erst begonnen. Es würde lange dauern, bis man sich an die Veränderungen gewöhnt hätte. Ihre Protegé war nicht dumm; sie wusste diese Dinge. Ihre Frage war sehr viel egoistischer gewesen. "Sakura …" Tsunade brach ab. Drum herum zu reden brachte nichts. "Sasuke muss eingegliedert werden. Er war jahrelang außerhalb der Mauern, was ihm nicht viel Sympathie brachte. Ich kann ihm nicht recht trauen, denn das einzige Mal, dass ich ihn sah, war an Uchiha Fugakus fünfunddreißigstem Geburtstag, als er ein kleines Kind war. Damals war er zumindest unschuldig und niedlich mit seinen Kulleraugen."

Sakura verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Ein Zeichen, dass sie sich unwohl fühlte. Sie konnte ihre Unruhe nicht kaschieren, so sehr sie es auch versuchte. "Das bedeutet?"

"Keiner vertraut ihm. Außer Naruto und du. Ihr werdet ihm die nächsten Wochen nicht von der Pelle rücken, keinen Schritt. Ihr werdet zusammen trainieren, essen, einkaufen, schlafen und arbeiten. Das ursprüngliche Team Sieben ist wieder vereint, weil ihr nie aufgegeben habt. Du hast mein vollstes Vertrauen, Sakura. Wenn Sasuke ein falsches Wort sagt, will ich das wissen. Er mag dein Freund sein, aber vergiss nicht, wem deine Loyalität gilt."

Sie spannte ihre Schultern unwillkürlich an. "Wie lange wird diese Bewährungsprobe dauern? Ein paar Monate?"

Tsunade unterschrieb ein Formular, bloß um Zeit zu schinden. Sie sortierte einen Stapel neu, schob das Formular unter und räusperte sich. "Wenn es sein muss bis an das Ende seines Lebens."

Das klang in Sakuras Ohren viel zu endgültig.
 

#
 

Was genau sie spätnachts aus dem Bett trieb wusste Sakura nicht. Sie hatte versuche einzuschlafen, weil die rasenden Gedanken in ihrem Kopf ein Ringelspiel repetitiv wiederkehrender Sinnlosigkeiten waren. Immer wieder tauchten dieselben Fragen auf, immer wieder gab sie sich dieselben nichtssagenden Antworten darauf. Alles drehte sich um Sasuke, so wie immer in Team Sieben. Es hatte Tage gegeben, Wochen, in denen sie ihn aufgegeben hatte. Wenn sie damals auf Inos Wette eingegangen wäre, wäre sie nun um einige tausend Ryo ärmer.

Früher, vor vier Jahren, hätte sie alles für Uchiha Sasuke getan. Heute war sie sich nicht sicher, ob sie etwas für ihn tun konnte. Es war gegen ihre Prinzipien, einen Nukenin zu schützen. Genau das verlangte Tsunade von ihr: Schutz vor den Zweiflern. Es gab nicht viele, die die Uchihas zu Lebzeiten hatten leiden können. Nach dem Verrat der beiden Brüder wussten noch weniger diesem Nachnamen etwas Positives anzugedeihen. Auch wenn Uchiha Itachi in Wahrheit in ein dunkles Netz verschiedenster Machenschaften getrieben worden war, sein kleiner Bruder war aus einer scheinbar willkürlichen Laune heraus dem Pfad ebendieser Dunkelheit gefolgt. Dass nun alles anders war, konnte niemand wissen, der die echte Wahrheit nicht kannte. Die Goikenban hatten verboten, die Vergangenheit aufzuwärmen. Niemand sollte jemals davon erfahren. Umso schwieriger würde es werden, Sasukes Loyalität zu beweisen, die Sakura selbst als allererste anzweifelte. Naruto war der Kämpfer.

Naruto war der, der niemals aufgegeben hatte. Der immer wieder losgezogen war, um seinen besten Freund und Bruder im Geiste vor der Dunkelheit zu retten. Im Grunde hatte Sakura damals schon verstanden, dass niemand Sasuke vor sich selbst retten konnte. Heute, nachdem Tsunade ihr die wahre Begebenheit des Massakers dargelegt hatte, wusste sie, dass sie recht gehabt hatte. Die Dunkelheit, vor der Naruto Sasuke retten hatte wollen, war seiner eigenen, von Rache zerfressenen Seele entsprungen.

Sakura war noch nie naiv gewesen. Sie wusste, dass die ehrenwerte Hokage jeden anderen noch vor den Dorfmauern gefangen nehmen, in ein Verhörzimmer sperren, foltern und schlussendlich töten hätte lassen. Doch Sasuke trug den Nachnamen Uchiha und er trug eine wahnwitzig mächtige Version des Sharingans, um die Sakura ihn nicht einen Meter beneidete. Das Ding sah hässlich aus und—ernsthaft: die Absurdität dieser neu entdeckten Schlag-mich-tot-Stufe war grenzwertig lächerlich. Als wäre Uchiha Sasuke nicht sowieso schon begnadet genug mit seinem Talent, seinem Eifer, seinem normalen Sharingan und all dem anderen Müll, der in Sakura tiefe Frustration entfachte.

"Lächerlich. Einfach lächerlich", murmelte sie, die Jacke enger um sich schlingend, während sie ihr Elternhaus verließ und durch Konohas mondbeschienene Straßen wanderte. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, nicht an Sasuke zu denken. Er war so präsent in ihrer Welt wie nie zuvor, bedingt durch seine lange Absenz. Tsunade hatte ihn für seinen Verrat nicht töten lassen, weil sie im Grunde um die Umstände wusste. In seiner eigenen Realität hatte Sasuke Konoha niemals verraten. Er war seinen egoistischen Zielen nachgeeifert, ohne Rücksicht auf Verluste und Konsequenzen. Jeder andere hätte dafür geblutet. Sasuke nicht. Tsunade hatte sein Talent längst erkannt und in Zeiten des Wiederaufbaus war ein Sharingan überaus nützlich. Sie würde eine derart effektive Waffe nicht gegen ein wenig Nukeninblut eintauschen. Tsunade war eine Spielerin, keine Närrin. Und sie ließ sich nicht lumpen.
 

Dass es Sakura in dieser klischeehaften Vollmondnacht gerade in jenen Teil des Parks trieb, der für sie und Sasuke eine ganz eigene Bedeutung hatte, war noch klischeehafter als dieser beschissene Vollmond, der sie von seinem Himmelsthron herab auslachte. Ironischer Bastard. Dummes, lunares Gestein.

Den Mond stumm verfluchend, ließ Sakura sich auf die Steinbank fallen, auf der sie vor vier Jahren aufgewacht war. Sie war unbequem. Kalt. Hart. Klischeehaft. Ja, Haruno Sakura war heute Nacht ein wandelndes Klischee. Alles an dieser Nacht war ein Klischee, das sie hasste. Deswegen war sie auch nicht überrascht, als sie eine bekannte Chakrapräsenz spürte. Noch ehe sie sie einordnen konnte, stand Sasuke vor ihr.

"Du trägst dein Hitai-ate nicht", brummte sie missgelaunt. Dieser Mistkerl hielt sie damit wach, dass er in ihren Gedanken herumstolzierte. Nun stolzierte er auch noch vor ihren Augen herum.

"Ich habe nicht vor, es zu tragen", entgegnete er in dem selbstgefälligen Ton, den sie schon damals gehasst hatte. "Was tust du hier, Sakura?"

"Was denn—" Sie zog eine bittere Grimasse und stand auf. "—willst du mich heute nicht bewusstlos schlagen, auf eine Steinbank werfen und dein Heimatdorf und deine Freunde gleich mit dazu verraten? Das ist inzwischen ein Freizeitsport bei uns. Noch nicht gewusst?"

"Lass den Sarkasmus. Verbitterung steht dir nicht."

Sakura machte eine ausholende Geste. "Ich bin nicht verbittert. Schon gar nicht wegen dir. Denkst du, du könntest hier einfach wieder auftauchen und dann auch noch Hokage werden? Du bist ein Vollidiot, Sasuke, der es nicht verdient hat, diesen Posten auch nur zu erwähnen. Was fällt dir ein, Narutos Traum zu sabotieren, nachdem du die letzten Jahre, in denen er sich das Vertrauen und die Anerkennung aller Menschen hier mühsam erarbeitet hat, bei einem Kriminellen verbracht und herrenlos durch die Weltgeschichte gewandert bist, um jemanden zu töten, der es gar nicht verdient hatte?"

"Du weißt von Itachi?"

Dies war nicht die Antwort, die sie erwartet hatte. Nach all ihren Kritikpunkten verblieb er nach wie vor bei seinem Bruder? Wie pathetisch. "Tsunade-sama erzählte uns davon. Ich denke, ich verstehe es noch nicht ganz, aber der Kernpunkt ist, dass du manipuliert wurdest. Ist das deine Entschuldigung?"

"Nein." Sasuke machte einen Schritt auf sie zu, ohne ihr wirklich näher zu kommen. Sie hatten sich einander nie nahe gefühlt, dazu waren sie einfach zu verschieden gewesen, doch hier und jetzt klaffte eine Distanz zwischen ihnen, die Sakura das Herz zusammenquetschte.

"Sondern?"

"Ich habe dafür keine Entschuldigung, weil es nichts ist, das ich bereue."

Sie zischte verächtlich. Diese Selbstherrlichkeit war widerlich. "Du bist auch noch stolz darauf, ja? Das ist verwerflich, Sasuke. Ich frage mich nur, wie du dir das Amt als Hokage vorstellst. Denkst du, du würdest einfach in deinem Büro sitzen und lockerleicht entscheiden, was das Dorf morgen macht? Konohagakure ist kein Freizeitpark. Niemand wird auf dich hören. Niemals. Wie sollten sie jemandem folgen, der ihnen einst den Rücken zuwandte?"

Sasuke gab ihr darauf keine Antwort. Er blieb regungslos vor ihr stehen, ähnlich einer Statue, die ausdruckslos in ihre Richtung sah, ohne sie zu fokussieren. Was immer er seine Erwiderung darauf gewesen wäre, sie blieb ungesagt. Stattdessen verschwand er in der Dunkelheit.

Sakura wollte bereits frustriert ihre Arme in die Luft werfen und ein Schimpfwort in die Nacht brüllen, als ein seichter Lufthauch ihn verriet. Er stand dicht hinter ihr, keine zehn Zentimeter von ihr entfernt, ebenso bewegungslos wie zuvor.

"Willst du mich wieder ausknocken?", fragte sie, ohne sich umzudrehen.

"Ich möchte, dass du verstehst."

"Wieso?" Es war eine berechtigte Frage. "Du hast dich nie um mich geschert. Alles was du für mich übrig hattest waren leere Worte und ein paar nette Gesten, wenn du dich danach fühltest. Du wusstest, wie ich damals für dich empfand. Du hast es ignoriert. Nicht, weil du meine Liebe nicht erwidern konntest, sondern weil es dir egal war. Und weißt du, was das Witzige daran ist?" Sakura lachte hohl, voller Ironie. "Dafür, dass es zu unseren Geninzeiten nichts Wichtigeres für mich gab als das, ist deine herablassende Ignoranz heute das, was ich dir am wenigsten nachtrage."

Es vergingen Minuten, in denen sie schwiegen. Die Spannung zwischen ihnen war greifbar, aber nicht unangenehm. Sie war einfach da, war präsent, ohne von Wert zu sein. Sakura hätte gehen können, ihn einfach stehen lassen, um zu beweisen, dass sie ihm sein Fehlverhalten nicht verzeihen würde. Sie blieb stehen, weil sie wissen wollte, wie es weitergehen würde.

Erst als sie dachte, Sasuke wäre bereits verschwunden, erhob er seine tiefe, dunkle Stimme in der stillen Dunkelheit.

"Liebst du mich noch?"
 

#
 

Sakura dachte, sich verhört zu haben. Was sollte diese Frage? Was interessierte es ihn? Wieso wollte er solch Banalitäten wissen? Es gab so viel mehr, das wichtig war. Erschlagen von der Surrealität des Moments, konnte sie nicht antworten. Sie hätte ohnedies nicht gewusst, wie diese Antwort ausgesehen hätte. Für sie selbst machte diese Frage Sinn.

"Eine berechtigte Frage, aber sie ist nicht von Relevanz", sagte sie nach einiger Zeit, die sie versucht hatte, eine Lösung für ihr inneres Dilemma zu finden. Ehe sie wusste, was sie tat, drehte sie sich plötzlich um und schlug mit einer chakrainfundierten Faust auf Sasuke ein. Er blockte mit seinem Unterarm ohne eine Miene zu verziehen, parierte ihren zweiten Schlag und befreite sich aus der Verkeilung ihrer Gliedmaßen, indem er ihre Arme nach unten drückte und seine Hände auf ihre Schultern legte, sodass sie genau eine Armlänge Abstand von ihm hielt.

Sakura blinzelte geschockt. Sie hatte nicht erwartet, ihn zu treffen. Sasuke ließ seine Deckung nie fallen, wie beispielsweise Naruto es leichtfertiger Weise zu tun pflegte, was der einzige Grund war, wieso sie manchmal einen guten Treffer landen konnte. Dass er sie derart schnell abfertigte, löste eine innere Welle der Wut in ihr aus, die sie nach außen trug, indem sie ihre Augenbrauen über den angriffslustig funkelnden Augen zusammenschob.

"Was sollte das?", wollte Sasuke tonlos wissen. Dieser tonlose Ton, ein Paradoxon für sich, war sein Markenzeichen, das sie ihm gerne aus dem Leib geprügelt hätte. Noch ehe sie über ihre Feinseligkeit schockiert sein konnte, sprach er weiter. "Möchtest du mich büßen lassen für alles, was ich dir antat?"

"Es geht nicht um mich", erwiderte sie kalt. Seine Hände an ihren Schultern verkrampften merklich, was sie großzügig überging. Sasuke hatte noch nie Emotionen gezeigt. Er sollte jetzt nicht damit anfangen. "Es ging nie um mich, falls du das meinst. Naruto und du, das war unser Team. Ich war immer nur das Anhängsel, um euch neben mir gut aussehen zu lassen. Weißt du, wie grausam es ist, sein Bestes zu geben und zu wissen, dass du niemals annähernd so gut wirst wie diejenigen, die das Tempo angeben?"

Er schüttelte den Kopf. Natürlich.

"Nebenbei bemerkt, es ist furchtbar, aber darum ging es nie. Alles drehte sich immer nur um dich; dich aufhalten, dich suchen, dich finden, dich zurückholen. Lasst uns Sasuke retten, lasst uns Sasuke nach Hause bringen. Das war, um was sich die letzten Jahre drehten." Sakura schüttelte ihre Schultern, um sich aus seinem Griff zu befreien, der immer fester auf ihr lag. Sie trat einige Schritte zurück, ehe sie in Versuchung geriet, ihm den Arm zu brechen. Wohl eher: es zu versuchen.

"Ich habe nie darum gebeten."

"Das spielt keine Rolle. Naruto mag selig mit dieser Entwicklung sein, aber im Gegensatz zu ihm bin ich es leid, dass all unsere Handlungen ihre Wurzeln in deiner Existenz finden. Übrigens, Hokage zu werden ist das lächerlichste Ziel, das du dir setzen konntest."

Sasuke hielt seine schwarzen, mattschimmernden Augen weiterhin auf sie gerichtet. Sein intensiver Blick ließ sie unter ihrer harten Maske schaudern, was es schwierig machte, den Augenkontakt zu halten. Sie widerstand dem Impuls wegzusehen.

"Nachdem ich ein Ziel erreicht hatte, brauchte ich ein neues."

Welch bahnbrechend profane Erkenntnis! Sakura stieß ein raues Rauen aus und holte zu einer weiten Geste aus. "Konntest du nicht etwas Gewinnbringenderes auswählen? Häkeln soll gut für den Blutdruck sein. Oder lege dir eine Katze zu, mit der du dich beschäftigen kannst. Nach allem, was Naruto für dich auf sich genommen hat, möchtest du ihm auch den letzten Stein in den Weg legen, den du noch in deinem Repertoire hast? Das ist eine unschöne Art sich zu bedanken."

"Möchtest du mir ernsthaft einen Vortrag über Etikette halten oder beantwortest du meine Frage endlich?"

Sakura schnaubte. Schweigsam war Sasuke um einiges leichter zu handhaben gewesen, so viel war sicher. Was auch immer er hören wollte, sie würde ihm nicht die Genugtuung einer klaren Antwort verschaffen. "Es ist nicht so, als hätte ich eingehend darüber nachgedacht. Oder überhaupt darüber nachgedacht. Wie auch immer meine Empfindungen für dich heute sein mögen, sie sind überschattet von Wut und Enttäuschung darüber, dass du nicht verstehen willst, was das alles für uns bedeutet. Wieso interessiert dich das überhaupt?"

Mit einem großen Schritt war Sasuke plötzlich vor ihr. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen sehen zu können, die leblos und dunkel auf sie herab starrten. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er seine raue Hand auf ihre Wange legte, die unter der unverhofften Berührung zu glühen begann. Wie er vor ihr stand, stur und unnachgiebig, jagte ihr keine Angst ein, aber verursachte ein starkes Gefühl der Beklemmung in ihr.

"Wieso, Sasuke?", wiederholte sie nicht minder stur und unnachgiebig. "Wieso willst du wissen, ob ich dich noch liebe?"

Er blieb einige Augenblicke völlig starr, wortlos, als habe er sie nicht gehört. Erst dann durchschnitt seine Stimme die Stille, die in ihren Ohren dröhnte. Sie klang samten, aber entschieden, geladen mit Emotionen hinter einer Maske kalter Herablassung, die in seinem Gesicht prangte wie die Narbe, die er auf der Seele trug.

"Wenn ich nicht Hokage werden kann, muss ich mir ein neues Ziel suchen."

Und das bin ich?, wollte sie bereits fragen, bevor die Formulierung dieses Gedankens ihr lächerlich vorkam. Sasuke war schon immer ein funktionaler Mensch gewesen. Er lebte nicht für Menschen, sondern für Errungenschaften. Instinktiv wusste sie, auf was er hinauswollte. "Du hast doch nicht im Ernst vor, deinen Klan mit mir wieder aufzubauen? Sasuke, das ist Irrsinn."

Sasuke zischte amüsiert. "Mach dich doch nicht lächerlich." Plötzlich verzog sich die harte Linie seines Mundes zu einem schelmischen Lächeln. Er trat wieder zurück und strich sich den Kragen seines Oberteils glatt, der bei seiner Bewegung verrutscht war.

Sakura wusste sich nicht anders zu helfen als ihn verwirrt anzusehen.

"Sakura, denkst du, ich wüsste all diese Dinge nicht, die du mir versucht hast zu erklären?", tadelte er milde. Sein plötzlicher Stimmungsumschwung machte ihr schwer zu schaffen. "Ich wollte nicht mit dir reden, um mir Vorwürfe machen zu lassen, wobei ich zugeben muss, dass dein Vorschlag, meinen Klan wieder aufzubauen, mich durchaus erheitert. Du hast da draußen auf dem Schlachtfeld einen guten Eindruck gemacht. Aber, Sakura, wie du bereits richtig bemerkt hast, geht es hier nicht um dich." Er ließ die Fortsetzung einen Herzschlag lang in der Luft hängen. "Es geht um uns."

Sie verzog ihren Mund zu einer bitteren Grimasse. "Es gibt kein Uns mehr."

"Es wird wieder ein Uns geben. Ich habe mein Team schon einmal verlassen. Noch einmal werde ich es nicht tun. Ihr seid immerhin meine Familie."

Sakura zog überrascht eine Augenbraue in ihrem irritierten Gesicht empor. Plötzlich waren sie seine Familie? "Wann hast du entschieden, dich um uns zu scheren?"

"Ihr ward mir immer wichtig", korrigierte Sasuke trocken. Nüchtern. Wahrheitsgemäß. Obwohl sie keine Gedanken lesen konnte, wusste Sakura, dass er es ehrlich meinte. Es waren seine Augen, die das Versprechen gaben, dass alles anders werden würde. Dass sie ihm vertrauen konnte.

"Wann? Als du Naruto halb tot geprügelt hast? Als du dich Orochimaru zuwandtest? Als du uns in seiner Basis bedrohtest? Als du vor uns davonliefst?"

Sasuke verdrehte die Augen. "Das führt doch zu nichts. Du kannst mir glauben oder nicht. Aber ihr ward mir immer wichtig. Ich bin meinem Weg gefolgt, der nicht immer breit genug war, um zu dritt darauf zu wandern. Es gab schmale Stücke, die ich überwinden musste, aber der Rest der Straße ist für ein Team gemacht."

"Wie pathetisch", murmelte sie, doch ihr Herz machte einen Sprung, als diese Worte an ihre Ohren drangen. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, etwas Derartiges von ihm zu hören. "Bist du deswegen gekommen? Um mich davon zu überzeugen, dass wir wieder Team Sieben sein können?"

"Ja."

Sakura hätte sich gerne darüber gefreut. Irgendwie tief in ihrem Inneren tat sie es auch. Bei Naruto war es nicht nötig gewesen, ihn zu überzeugen, weil er nie gezweifelt hatte. Dafür hatte sie eine einwandfreie Entschuldigung auf Sasuke-Art bekommen.

"Könntest du mir bitte sagen, ob es etwas gebracht hat?"

Sasuke-Art, durch und durch. Nach allem was sie durchgemacht hatten, waren sie in Wahrheit immer noch dieselben. Sakura lächelte zufrieden, verzeihend, ehrlich. Unter diesem Lächeln ging sie auf ihn zu und breitete die Arme aus. Sasukes Zögern entlockte ihr sanftes Kichern. Ja, er war wirklich immer noch derselbe.

"Komm schon, Sasuke, zier dich nicht", feixte sie und legte die Arme um ihn. Selig grinste sie an seiner Brust und murmelte: "Wenn du möchtest, dass wir wieder ein Team werden, umarmst du mich besser." Zur Untermalung ihrer seichten Drohung drückte sie ihn fester mit chakrainfundierten Armen an sich, sodass er leise japste. Erst als er ihrem Befehl ohne Kommentar Folge leistete und sie seine Umarmung um sich spürte, lockerte sie ihren Griff.

Vielleicht würden sie irgendwann doch noch ein Team werden. Vorerst jedoch hatte sie ein wunderbares Druckmittel, um Sasuke zu Nettigkeit zu zwingen. Letzten Endes waren sie immer ein Team gewesen.

Ein Team, das niemand jemals trennen würde.

"Willst du eigentlich wirklich Hokage werden oder wolltest du Naruto nur verarschen?", fragte sie an seiner Brust, sich weigernd, die Umarmung schon zu beenden. Der Mistkerl sollte ruhig ein wenig leiden.

Sie spürte ihn leise lachen. Das war Antwort genug. Er war und blieb eben Uchiha Sasuke. Zum Glück.

Irgendwie.

Enchanted Hearts


 

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"Zum Henker damit!"

Uzuki Yūgao sprang von ihrem Posten auf dem Baumstamm gut sieben Meter über dem vom Regen durchweichten Erdboden auf den Kahlschlag, der Gekkō Hayates, Hyūga Kōs und ihr alleiniges Verschulden war. Ihre beiden Gegner hatten keine Zeit, ihr nachzusetzen. Sobald sie auf dem Boden aufkam, zückte sie drei Kibakufuda, warf sie in die Luft, zückte ihr Schwert—"Deckung!"—und zerschnitt sie in einem kreisrunden Hieb über ihrem Kopf.

Die Explosion, die folgte, zerriss jeden noch so kleinen Regentropfen in hunderte Einzelteile. Sie erschütterte die unnatürliche Lichtung, tauchte sie in gleißendes Licht und sengende Hitze. Mit einer Jutsu schützte sie die Pflanzen und ihre Kameraden vor der zerstörerischen Wut der heißen Druckwelle. Als die Attacke vorbei war, legte sich taube Stille über die Szene. Sie sammelte beiläufig die lädierten Körper ihrer Angreifer ein, um ihre Bewusstlosigkeit zu überprüfen. Einen hatte sie unbeabsichtigter Weise getötet. Sei's drum, diese hinterlistigen Sunashinobi hatten zuerst angegriffen.

"Seit du Jōnin bist, bist du ziemlich brutal geworden", merkte Hayate an, der leichtfüßig mit schwachem Hüsteln neben ihr landete. Sie konnte nicht umhin, einen Vorwurf in seinem Räuspern zu erkennen. Die dicken Augenränder waren immer da; seine ach so empfindliche Lunge komischerweise nur, wenn er sie damit ärgern konnte. Das hatte er schon getan, als sie noch zusammen in einem Geninteam gewesen waren. Und bereits damals mit zehn Jahren hatte sie ihn nicht leiden können. Heute, sechs Jahre später, sah es nicht anders aus.

"Rigoros, nicht brutal", korrigierte sie den feinen Unterschied zwischen diesen Wörtern herausstreichend.

"Nennen wir es endgültig und gehen wir nach Hause", entschied Kō. Er deaktivierte sein Byakugan und trat gegen einen der Sunanin. "Die sind hinüber. Sollten sie überleben, wissen sie nach dieser Erschütterung sicherlich nicht mehr, was geschehen ist."

"Selbst schuld, wenn sie uns grundlos attackieren." Yūgao nickte zu Boden, auf dem die fünf Leichen oder Fast-Leichen regungslos klebten.

Hayate seufzte tadelnd. "Wir sind ja auch auf ihrem Territorium, Schrimp. Alles nur, weil du nicht die Abkürzung über Kawa no Kuni nehmen wolltest!"

"Wieso bin plötzlich ich schuld?", brüskierte sie sich, abwehrend einen Arm von sich streckend. "Jeder Trottel weiß, dass der Pfad über das nördliche Kaze no Kuni sicherer ist als durch Kawa no Kuni und in weiterer Folge Ame no Kuni zu reisen! Ich für meinen Teil möchte mich nicht mit Sanshōuo no Hanzō anlegen! Oder hast du Lust, ihm zu erklären, was ein Jōnin mit zwei Chūnin in seinem Land zu suchen hat?"

"O jetzt hör aber auf, Yūgao!" Hayate machte einen Schritt auf sie zu. "Du malst immer den Teufel an die Wand! Das hier ist keiner deiner kleinen, feinen A-Rang Missionen, an denen du in letzter Zeit dein ohnehin schon unangemessen großes Ego steigerst, sondern eine einfache C-Rang! Wieso bist du überhaupt mitgekommen? Ich wette, es gibt einen Haufen anderer Aufträge, die sehr viel eher deiner anmaßenden Selbstherrlichkeit entsprechen! Ich wette, Kakashi-san und Kurenai-san haben noch einen Platz frei in ihren ach so tollen Teams!"

Sie schoss ebenfalls einen Schritt nach vorne in seine Richtung, wo Hayate die Arme rhetorisch fragend ausgebreitet hatte. "Ich bin weder selbstherrlich noch anmaßend dabei! Und mein Ego entspringt meinem rein gar nicht übersteigertem Selbstbewusstsein, damit das klar ist! Was interessieren mich Kakashi-senpai und Kurenai? Ich wollte nur mit euch kommen, um sicherzugehen, dass du nicht an deiner Dummheit verreckst!" In einer selten kindischen Geste streckte sie ihm die Zunge heraus—kein sehr würdevolles Auftreten für eine erst kürzlich zur Jōnin ernannten Kunoichi, die sonst durch Ernst glänzte—und erwiderte seinen abwertenden Gesichtsausdruck mit einer obszönen Geste.

"Könnten wir nun bitte weitergehen?", flehten Kō von der Seite. Auffordernd zerrte er Hayate mit sich nach hinten an den Rand der Lichtung, von wo aus sie gemeinsam in ihr übliches Reisetempo verfielen. Yūgao blieb einige Augenblicke verdutzt zurück, ehe sie ihnen folgte. Binnen weniger hundert Meter hatte sie ihre Kameraden eingeholt, die in schweigsames Nebeneinanderherlaufen verfallen waren. Ohne groß zu überlegen, dass sie als Ranghöchste die Geschwindigkeit bestimmen konnte, passte sie sich Hayates Schritten an, der sich weigerte, sie anzusehen, als sie aufholte. Das hatte sie wieder toll hinbekommen. Dabei war es nicht einmal ihre schuld. Dieser störrische Esel hatte einfach keinen Respekt vor ihrer Genialität.

Yūgao verzog den Mund angesichts dieses sarkastischen Gedankens.

Zugegeben, ihr selbst wäre es schwer gefallen zu akzeptieren, wenn Gekkō Hayate, der immer auf derselben Stufe wie sie gestanden hatte, plötzlich über ihr gestanden hätte. Sie hatten zusammen bei null angefangen, hatten sich gemeinsam mit Kō Stärke vor ihrem Sensei erkämpft, hatten gemeinsam Seite an Seite immer schwerer werdende Missionen gemeistert. Hayate war der Grund, wieso sie mit Kenjutsu angefangen hatte.

Es war inzwischen fünf Jahre her, seit sie ihre erste gemeinsame Trainingseinheit absolviert hatten. Er war ihr Lehrer gewesen, sie seine Schülerin. In puncto Kenjutsu konnte sie ihm nach wie vor nicht das Wasser reichen, dafür war er ihr viel zu weit voraus, doch ihr ganz eigener Stil, der sich nach einiger Zeit mit dem seinen vermischt hatte, hatte sie zur Elite gemacht. Man handelte Hayate als baldigen Tokubetsu Jōnin, aber was würde sie ihm nicht auch noch auf die Nase binden. Wenn sie schon einmal für ein paar Wochen Macht über ihn hatte, wollte sie es gerne auskosten.
 

- ɣ -
 

Fünf Jahre zuvor.
 

In dieser mondhellen Nacht, als schon ganz Konoha schlief, trieb es Yūgao aus ihrem Bett. Es war weit nach Mitternacht und ihre Mutter hätte ihr sofort Hausarrest verpasst, wenn sie gewusst hätte, dass ihre elfjährige Tochter sich nachts aus dem Bett stahl, obwohl diese bereits Hausarrest hatte. Wieso genau, konnte Yūgao gar nicht mehr sagen. Sie war eines nachts zu spät nach Hause gekommen, hatte zu patzige Antworten gegeben und dann mit einem Shuriken auch noch ein Fenster ruiniert. Eines dieser drei Ereignisse musste ihr die Strafe verschafft haben. Oder alle drei zusammen. Sie konnte sich vage daran erinnern, an diesem Tag noch etwas verbrochen zu haben, doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Hausarrest bedeutete in ihrer Welt schon lange nichts mehr. Sie hatte vor einigen Monaten die Ninjaakademie als drittbeste ihrer Klasse abgeschlossen; sich von ihrer Mutter einsperren zu lassen, gehörte nicht zu jenen Dingen, die sie auf sich sitzen ließ. Ihr Ausbruch hatte nichts mit Trotz oder Rebellion zu tun, sondern war eine Prinzipsache und Training. Wenn sie es nicht schaffte, sich unbemerkt nach draußen zu stehlen, war sie keine gute Kunoichi.

Draußen auf den Straßen des Dorfes war es gewohnt still. Ihre Flucht hatte einwandfrei geklappt, was vornehmlich daran lag, dass ihre Mutter kein Ninja war. Sie war eine Zivilistin, weswegen sie den Angriff des Kyūbi vor acht Wochen im Schutz des Evakuationsplatzes auch überlebt hatte. Die Aufbauarbeiten schritten unter der Leitung des Sandaime nach einer Trauerzeit zu Ehren des Yondaime Hokage zügig voran. Die meisten Gebäude waren bereits wieder aufgebaut; der Hokageturm, die Ninjaakademie und das Uchihaviertel waren mitsamt einigen Zivilwohnungen und dem Hyūgakomplex die einzigen Bauten, die keine nennenswerten Schäden davongetragen hatten. Durch den Innenhof letzteren trugen sie ihre Schritte lautlos und sanft.

Yūgao hatte keine Ahnung, wohin sie gehen wollte. Sie würde es wissen, wenn sie da war. Auf ihrer letzten Mission hatte sie Hayate während ihrer Nachtwache dabei beobachtet, wie er heimlich etwas mit einem kleinen Katana geübt hatte. Es war nicht so kurz wie ein Wakizahi, aber kürzer als ein handelsübliches Katana gewesen, das er um seinen Körper herum bewegt hatte. Das helle Licht des Halbmondes hatte seiner Klinge etwas Magisches verliehen, das sie gefesselt hatte. Von dem Geld, das sie für diese letzte Mission bekommen hatte, hatte sie sich ein gebrauchtes Schwert gekauft, das sie im Schein des heutigen Vollmondes auf den Händen trug.

Was auch immer Hayate gemacht hatte, sie wollte es auch lernen.

Am lichten Dorfrand, aber immer noch innerhalb der Mauern, blieb sie schließlich auf einer freien Fläche stehen. Sie konnte sich vage daran erinnern, dass dort vor neun Wochen noch ein Geschäft für Heilkräuter gestanden hatte. Nun fand sie nicht einmal mehr ein Holzstück von dem einstigen Haus. Sie war zu jung, um zu verstehen, was der Angriff des Kyūbi bedeutet hatte; welch weitreichende Konsequenzen er hatte. Zumindest hatte ihr Sensei ihr das gesagt, als sie danach gefragt hatte. Zu jung war sie gewiss nicht. Aber Genin. Es war frustrierend, ausgeschlossen zu werden, obwohl man eine Kunoichi war. Hayate und Kō schienen es ebenfalls so zu sehen. Seit dem Überfall hatten sie in noch nie dagewesener Harmonie eifrig trainiert, um die Chūninprüfung alsbald erfolgreich absolvieren zu können. Hayate hatte mit dieser Technik, die laut einem Buch in der Bibliothek zur Palette der Kenjutsu gehörte, gute Karten. Seine Fähigkeiten waren speziell, genau das, was man brauchte. Darum wollte sie es ebenfalls lernen.

Yūgao zog ihr Katana aus der Scheide. Sie hatte es zu Hause notdürftig mit einem Kunai geschärft, perfekt war die Klinge allerdings immer noch nicht. Scharten und Rost hatten sich darüber verteilt, für den Anfang musste es reichen. Die Scheide flog zu Boden, von wo aus sie sie an den Rand der unnatürlichen Lichtung trat. Das Mondlicht schien durch die vereinzelten Bäume, die als Ausläufer des Parks dunkle Schatten auf die unnatürliche Lichtung warfen. Was hatte dieser Streber Hayate am Anfang gemacht? Sie sah das Bild, das sie sich eingeprägt hatte, deutlich vor sich. Mit geschlossenen Augen versuchte sie seine Haltung nachzumachen: ein Bein durchgestreckt, das andere angewinkelt, sodass nur ihre Zehen vor ihr den Boden berührten. Das Schwert vor sich in der Horizontalen parallel zum ebenen Grund haltend, führte sie ihre ausgestreckte Handfläche den Rücken der Klinge entlang, bis sie am Ende angekommen war. Das Chakra war appliziert und das Metall glühte auf. Freudig japste sie auf, als sie ihren Erfolg beim ersten Versuch bemerkte. So schnell hatte sie gar nicht damit gerechnet!

Euphorisch durch den schnellen Fortschritt schwang sie das Katana nach hinten, nahm die nächste Haltung ein und sprang. Dann wusste sie nicht mehr weiter. Hayate war einige Zeit in der Luft verweilt, wo er die Klinge in einem Zickzackmuster vor sich her bewegt hatte, doch egal welche Linien sie nachahmte, das Chakra hatte sich aus der Waffe verflüchtigt. Ein unsanftes Plumpsen holte sie mit schmerzendem Hintern auf den harten Boden der Tatsachen zurück. So einfach war es wohl doch nicht. Noch ehe sie den nächsten Versuch starten konnte, drang Gelächter an ihre Ohren. Wie schamlos! Hayate versuchte nicht einmal, es zu unterdrücken.

"Was sollte das denn werden, Yūgao?", neckte er immer noch lachend. Er baute sich vor ihr auf, die amüsierte Grimasse zur Schau stellend, ohne auch nur den Anstand zu haben, ihr aufzuhelfen. Nicht, dass sie sich hätte helfen lassen. Stur wie sie war, stand sie alleine auf, klopfte den Staub von ihren Trainingssachen und wiederholte die Prozedur. Auf Hayate zu achten, hätte bedeutet, ihm Genugtuung zu verschaffen. Das konnte er sowas von vergessen!

"Ich trainiere", gab sie trocken zurück. Diesmal legte sie mehr Chakra auf die Klinge. In ihrer Logik sollte es so länger halten. Doch als sie erneut hochsprang, war er wieder bereits verschwunden, ehe sie zu ihrem ersten Zug ansetzen konnte. Diesmal war sie gewappnet und landete in der Hocke, um den Sturz abzufedern.

"Ist was?" zischte sie nach ihrem Misserfolg. Hayate machte keine Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen. Sein chronischer Husten war das einzige, das die Stille durchbrach. "Wieso siehst du mich so an, du Streber?"

"Tue ich nicht. Ich ergötze mich an deiner Naivität."

"Ich bin nicht naiv! Hilf mir oder geh nach Hause!" Sie streckte ihm die Zunge entgegen und wartete, bis er endlich verschwunden sein würde. Zu ihrer Überraschung erwiderte ihr Teamkamerad ihre Provokation nicht, ebenso wenig wie er ihrer Aufforderung nachkommen wollte. Er stand einfach nur da, sie beobachtend, was sie jeden verstreichenden Moment nervöser machte. Was auch immer er mit dieser Naivität meinte, es war ihr nicht recht, beleidigt zu werden.

"Würdest du es noch einmal machen?", bat er sie schließlich. Yūgao blinzelte ihre Verwunderung weg. Was auch immer er damit bezweckte, ob er sie demütigen wollte oder sich weiter an ihren Fehschlägen erfreuen, sie wollte ihm diese Freude gerne machen. Ein neuer Versuch hätte ohnedies auf ihrer Liste gestanden.

Ohne zu zögern, aber mit berechtigter Sorgfalt und Skepsis, brachte sie die Klinge zum dritten Mal vor ihrer Brust in die Horizontale. Als sie ihre Hand daran legte, spürte sie sie unerwartete Wärme und Haut, die dort eigentlich nicht hingehörte. Überrascht öffnete sie ihre Augen, um Hayates Hand auf ihrer vorzufinden. Er selbst hatte die Augen konzentriert geschlossen, eine kleine Falte an der Nasenwurzel aufgeworfen, als er seine zweite Hand die ihre legte, die den Griff des Katanas hielt. Yūgao spürte eine leichte Röte ihre Wangen überziehen, unter denen es lauwarm glühte. Ihr Herz hatte einen kleinen Sprung gemacht, sodass sie schnell ihre Lider zusammenpresste, um sich nicht zu verraten.

"Entspanne dich und wenn du bereit bist, konzentriere dich auf die Klinge."

Sie tat, wie ihr geheißen. Als sie begann, ihr Chakra stoßweise in das chakraresponsive Metall zu leiten, spürte sie, wie Hayates eigenes Chakra sich langsam mit dem ihren vermengte und die sprunghafte Übertragung glättete. Er führte sie und formte den Kraftstrom zu einer Spirale im Inneren der Klinge, wo sie weiterwirbelte, als er sich zurückzog.

"Halte es aufrecht", wies er sie an. Yūgao nickte, doch als sie es tat, begann die instabile Spirale zu schlingern. Es war schwierig, sie ohne Gegenpart gerade zu halten. Nach einiger Zeit schaffte sie es und wollte es bereits stolz ausrufen, als der Wirbel plötzlich versiegte.

"Was ist passiert?" fragte sie irritiert auf die Klinge blickend. "Ist es kaputt?"

Hayate schüttelte den Kopf. "Es ist schwierig, sie lange genug aufrecht zu erhalten. Ich arbeite seit vier Jahren daran, den Chakrafluss konstant zu halten. Es funktioniert ziemlich leicht, wenn du dich darauf konzentrierst, aber machst du eine Bewegung dazu, geschweige denn eine ganze Angriffskombination, in der du den Strom auch noch lenken und verzweigen musst, ist es lange nicht mehr Geninniveau. Mein Vater sagt, dass man, sobald man den Konoha Ryū Mikazuki no Mai beherrscht, mindestens Anspruch auf den Rang eines Tokubetsu Jōnin hat. Darum werde ich ihn bald beherrschen."

Yūgao rümpfte wenig überzeugt davon die Nase. "Wovon träumst du eigentlich nachts, wenn die ganzen surrealen Träume schon im Wachzustand aufgebraucht sind?"

"Halt doch die Klappe! Du solltest zuerst einmal zusehen, dass du nicht auf den Hintern fällst!"

"Das ist mein erstes Mal! Du wirst schon sehen, bald übertreffe ich dich, Hayate!"

Hayate begann lauthals zu lachen. "Wie war das mit nachts und Träumen? Yūgao, manchmal bist du wirklich niedlich." Er zwickte ihr mit schelmischem Gesichtsausdruck in die Nase, was sie ihn böse anfunkeln ließ. Dieser Chauvinist!

"Pf!", erwiderte sie wenig eloquent mit gerecktem Kinn.

"Ich mache dir einen Vorschlag. Der Tag, an dem du mich in einem Kampf, ausschließlich bestritten mit Kenjutsu, besiegen kannst, ist der Tag, an dem ich dich nicht mehr Schrimp nenne."

Yūgao runzelte die Stirn. "Du nennst mich doch gar nicht Schrimp."

"Jetzt schon, Schrimp." Erneut wollte er ihr in die Nase zwicken, diesmal jedoch reagierte sie schnell genug, wich aus und zwang ihn in einen unangenehmen Hebel, den er jedoch mit einer geschickten Drehung zu seinen Gunsten umdrehte. "Sagen wir, wenn du mich irgendwann überhaupt besiegen kannst. Schrimp."

"Hör auf damit! Das ist Erpressung und Verhöhnung!"

"Was willst du dagegen tun, Schrimp?"

Yūgao blähte hinter zusammengepressten Zähnen die Backen auf. Egal was sie gesagt hätte, es hätte ihm in die Hände gespielt. Schön, dann nannte er sie eben Schrimp. Sie mochte Meeresfrüchte. Von ihr aus konnte er sie auch Garnele oder Calamari nennen. "Ich werde stärker werden, das werde ich tun", versprach sie schlussendlich. Es war eine Kriegserklärung.

"Wunderbar", rief Hayate zufrieden aus. "Ich kann einen Trainingspartner gut gebrauchen. Übermorgen, gleiche Zeit, gleicher Ort. Dann zeige ich dir zu allererst, wie man eine Klinge ordentlich schleift. Diesen Dilettantismus kann ja kein Mensch mit ansehen!"

Noch ehe sie ihm eine rüde Geste zollen konnte, hatte er ihr den Rücken zugedreht und winkend einen Abschiedsgruß gerufen. Dann war er verschwunden.

Eingebildeter Möchtegernschwertkämpfer. Aber wenigstens hatte sie nun einen Ansporn.
 

- ɣ -
 

Die Mission verlief, wie derartige immer verliefen: ohne Komplikationen. Sie waren im Gegensatz zu manch anderen Teams kein Trio, das schnell in Verstrickungen geriet. Binnen weniger Tage erreichten sie Konoha wohlbehalten nach erfolgreich ausgeführtem Auftrag. Weil sie kein Unmensch war, erklärte sich Yūgao bereit, die Berichterstattung zu übernehmen. Der Sandaime war in den meisten Fällen sehr kurz angebunden, was den Zeitaufwand kaum der Rede wert machte. Als Ranghöchste ihres Teams hatte sie die Pflicht, sich in Verantwortungsbewusstsein zu profilieren.

Es dauerte nicht lange, bis sie nach der vollständigen Berichterstattung entlassen wurde. Ihr Weg führte sie vorbei an zwei Chūnin, die sich um eine Nichtigkeit stritten. Die beiden hatten ihr gerade noch gefehlt. Provozierten eine Diskussion anstatt ihre Arbeit zu machen. Sie wollte sich unbemerkt davonstehlen, ehe sie noch in die Verlegenheit kam, eine Moralpredigt halten zu müssen.

"Yūgao!"

Pech für die zwei.

Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und beugte sich bedrohlich nach vorne. "Izumo! Kotetsu! Solltet ihr nicht lieber trainieren, anstatt hier untätig Wurzeln zu schlagen? Die Trainingsfelder wurden letzte Woche erneuert, sie sind ein idealer Platz, eure Fähigkeiten auszubauen. Wollt ihr etwa ewig Chūnin bleiben?"

"N-Nein!", rief Kotetsu eingeschüchtert. Sein braunhaariger Freund ließ sich weniger beeindrucken. Er trat einen Schritt nach vorne und baute sich vor ihr auf—so sehr er sich eben mit dem vier Zentimeter hohen Größenunterschied und dem Wissen, dass sie ihn binnen einer halben Minute zu Hackfleisch verarbeiten könnte—aufbauen konnte.

"Solltest du, liebe Yūgao, nicht lieber deiner Mutter beim Kochen helfen anstatt uns zurechtzuweisen?"

"Wie? Heute ist doch …" Sie stockte schockiert. Heute war Mittwoch. Aber nicht irgendein Mittwoch. Der erste Mittwoch des Monats und das bedeutete …

"Freundschaftsessen!", jubelten die beiden Chūnin im Chor. Die zwei Freunde hatten niemals einen Hehl daraus gemacht, die Marotte ihrer Mutter, gluckenhaft und überfürsorglich aufzutreten, schamlos auszunutzen. Seit Jahren hatte sich die Tradition eingebürgert, nach derer sich an diesem speziellen Tag alle unmittelbaren Nachbarn bei den Uzukis zum großen Festessen versammelten. Jeder brachte eine Speise mit, bloß ihre Mutter musste wie immer übertreiben.

"Scheiße!", fluchte Yūgao laut. "Zu euch beiden komme ich noch, verstanden? Wir sind noch nicht fertig! Aber erst helft ihr mir dabei, einzukaufen!"

Es blieb nicht beim Einkaufen, das hätten Izumo und Kotetsu wissen müssen. Seit jeher waren sie ein Dreiergespann, jeweils Tür an Tür wohnhaft. In ihrer Straße waren sie verschrien als teuflisches Trio, das überall wo es nur konnte Ärger gemacht hatte. Inzwischen waren aus den wilden Kindern verantwortungsbewusste Shinobi geworden. Nicht gefürchtet, aber respektiert. Ansatzweise zumindest.

"Wo warst du, Yūgao?"

Sie rollte mit den Augen, eine der Einkaufstüten auf die Theke abladend, wo Izumos und Kotetsus Exemplare ebenfalls landeten. "Auf einer Mission, Kaa-san. Das hatte ich doch gesagt. Ich musste Hokage-sama noch Bericht erstatten."

"Du weißt doch, dass ich Hilfe brauche!"

Sie rollte erneut mit den Augen, diesmal in die andere Richtung. "Ja, Kaa-san. Darum habe ich ja auch Izumo und Kotetsu mitgebracht. Die beiden brennen förmlich darauf, dir Arbeit abzunehmen."

"Das ist nicht wahr, du hast uns gezwu—", protestierte Izumo, wurde jedoch von Yūgaos Kopfnuss schmerzhaft unterbrochen. Ihr warnender Blick ließ ihn eingeschnappt einlenken. "Wir würden uns freuen, Ihnen zu helfen, Uzuki-san."

"Ihr Charmeure!", kokettierte die Frau mittleren Alters. Yūgaos Protest, dies wäre ihr eigener alleiniger Verdienst, ging in dreifachem Lachen unter. "Fangt doch bitte damit an, das Gemüse zu schneiden. Ich werde frische Kräuter aus dem Garten holen und Blumen für die Vase arrangieren."

"Sehr gerne, Uzukui-san!" Erfreut über die leichtherzige Zustimmung klatschte Yūgaos Mutter in die Hände und überließ die drei Heranwachsendem ihrem Schicksal.
 

"Wieso genau muss ich die Zwiebeln schneiden?", schniefte Yūgao empört. Während Izumo und Kotetsu sich um Karotten, Lauch und Zucchini kümmerten, hatte sie die undankbarste Aufgabe abbekommen. Ihre Augen brannten angesichts des beißenden Geruchs, der den Knollen entstieg, die sie wacker geschält und geschnitten hatte. Sie waren bereits rot und verquollen, als hätte sie stundenlang geweint.

"Man macht es seinen Gästen so angenehm wie möglich, hat dir das deine Mutter nicht beigebracht?", feixte Kotetsu.

Izumo nickte zustimmend. "Du solltest dringend deine Prioritäten klären."

"Was hat das damit zu tun?"

Er zuckte die Schultern. "Nichts. Ich wollte es nur gesagt haben."

Yūgao schnaubte und warf eine Strähne ihres Haares nach hinten. "Meine Prioritäten sind geklärt. Ich bin eine Kunoichi, eine gute noch dazu. Bald werde ich ANBU und dann werdet ihr mich mit ANBU-sama ansprechen, andernfalls werde ich meine Kompanie auf euch hetzen." Sie senkte die Stimme zu beleidigtem Nuscheln. "Dann könnt ihr euch in eine Ecke stellen mit diesem Idioten Hayate, um mein Können zu bewundern."

Zeitgleich raunten die beiden Chūnin. "Nicht schon wieder!" Kotetsu setzte fort: "Was ist das bloß mit dir und diesem Hayate? Was kann der Kerl, dass du derart in ihn verknallt bist?"

"Bitte was?! Ich bin doch nicht verknallt! Nicht in Gekkō Hayate-sama!"

"Und es geht los …"

"Er ist eingebildet, großkotzig, arrogant—"

"Was Synonyme für ein und dieselbe Eigenschaft sind."

"—pathetisch, besserwisserisch, ein Klugscheißer, Eigenbrötler", knüpfte sie ungestört von Izumos pseudoschlauem Einwand an, das Küchenmesser aufgeregt vor sich her schwingend. "Außerdem ist er eine Nervensäge! Er verbessert mich, obwohl er es selbst nicht besser weiß, stellt meine Autorität infrage, dann besitzt er auch noch die Dreistigkeit, meine Kompetenzen anzufechten und diese bescheuerte Wette war auch seine bescheuerte Idee!" Dass sie klang wie eine aufmüpfige Zehnjährige, die schmollte, weil man ihr ihre Puppe weggenommen hatte, war ihr egal. Auch, dass ihre Freunde verwunderte Blicke austauschten, ehe sie lachten, entging ihr.

"Du wirst ja ganz rot vor Liebe!", neckte Izumo weiter.

"Papperlapapp!" Sie wandte sich wieder ihren Zwiebeln zu. "Das sind a, die Zwiebeln, und b, mein Ärger über diesen … diesen … Möchtegernschwertkämpfer! Pah! Verknallt! Seid froh, dass es nicht gleich knallt!"

Die restliche Zeit über verbrachten sie auf ähnliche Weise. Selbst als die restlichen Erwachsenen kamen beharrten die jugendlichen Ninjas darauf, ihren Kleinkrieg weiter auszufechten. Es dauerte nicht lange, bis Yūgao der Geduldsfaden riss. Der Tag war anstrengend gewesen. Izumo und Kotetsu verstanden sich prächtig darauf, sie an den Rand ihrer Nerven zu treiben. Glücklicherweise war sie kein lauter Mensch—nicht sehr zumindest—sondern lebte ihre Überspannung still mit sich selbst aus. Es gab exakt drei Menschen, die ihre normalerweise gediegene, verantwortungsbewusste Natur zu einem extravertierten, feuerspuckendem Gegenteil verkehren konnten. Alle diese drei Menschen hatte sie heute getroffen. Sie brauchte Urlaub von diesem Stress! Weit weg, irgendwo in Shimo no Kuni vielleicht, wo sie niemand finden konnte, am besten vergraben in einer anspruchsvollen Einzelmission. Ob der Sandaime eine derartige Anfrage genehmigen würde? Dort hätte sie wenigstens Zeit, ihre Kenjutsu zu üben, um diesem Großkotz das Maul zu stopfen.

Mit diesen und ähnlichen erdrückenden Gedanken schlief sie bereits kurz nach dem Ende der intimen Party ein.
 

- ɣ -
 

Es war weit nach Mitternacht als Yūgao durch leise Geräusche geweckt wurde, die sich anhörten wie 'plonk', 'plonk', 'plonk', immer wiederkehrend, bis sie es leid war, auf das Ende der Störung zu warten. Genervt schlug sie ihre Augen auf, schwang ihre Beine aus dem Bett und tapste auf nackten Füßen über den Holzboden zum Fenster, von wo das repetitiv wiederkehrende 'plonk' kam. Selbst durch die dunkle Nacht konnte sie einen Kieselstein ausmachen, der gegen ihre Fensterscheibe prallte und zu Boden flog. Keine zehn Sekunden später traf der nächste auf. Verärgert über die nächtliche Ruhestörung öffnete sie das Fenster, fing den dritten erkannten Kieselstein auf und beugte sich über das Fensterbrett hinunter auf die Straße. Izumo und Kotetsu konnten was erleben—

Was tat der denn hier?

Hayate stand unten in ihrem Vorgarten, einen vierten Kieselstein in die Luft werfend und fangend, und winkte zu ihr hinauf, als sei es das Natürlichste auf der Welt, seine ehemalige Teamkameradin mitten in der Nacht zu besuchen. Verwundert trat sie zurück, streifte sich eine legere Trainingshose über und hüpfte aus dem Fenster zu ihm hinunter.

"Ist etwas passiert?", fragte sie vage. Hayate war noch nie einfach so bei ihr aufgetaucht. "Ich habe den Bericht ordnungsgemäß abgegeben, du musst mich nicht kontrollieren."

Ihr Freund hüstelte in alter Manier. "Ich vertraue auf deine Sorgsamkeit, Schrimp. Deswegen bin ich nicht hier."

"Weswegen dann?" Yūgao runzelte die Stirn, ohne eine klare Antwort zu erwarten. Sie bekam auch keine. Hayate und sie kannten sich zu lange als dass sie sich einander etwas hätten vormachen können. In Wahrheit wusste sie genau, was er wollte. Sie hatte es von dem Moment an gewusst, in dem sie aufgewacht war. Darum hatte sie ihr Katana mitgenommen. "Drei Runden, keine Ninjutsu, ja?"

Hayate nickte. "Das Übliche."

"Gut", stimmte sie zu, ein Lächeln auf den Lippen. Dann rannte sie los. "Wer zuerst da ist!"

Dass sie unfair war, war ihr sehr wohl bewusst. Einfach loszulaufen, ohne das Wettrennen eröffnet zu haben, war ein unrühmlicher Vorteil, wegendessen sie sich auf ihren Sieg nichts einbilden konnte. Gewonnen hatte sie trotzdem, das war, was zählte, wenn es nach ihrer pragmatischen Seite ging. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie sich diesen Vorsprung mit unlauteren Mitteln erkämpft hatte. Hayate hatte es gewusst, immerhin war er es, der 'das Üblich' vorgeschlagen hatte. Bloß dass er diesmal hätte gewinnen können. Etwas war anders an dieser Nacht. An ihm. An ihr.

Es gefiel ihr nicht.

Sie war Jōnin; darauf trainiert, Dinge zu ahnen, zu wissen, vorauszusehen und darauf zu reagieren. Die Freundschaft mit Hayate hatte auf einem Prinzip basiert: Vertrauen. Egal was sie einander antaten, wie heftig sie sich prügelten, wie schmutzig beschimpften, eines war gewiss; nämlich, dass am Ende des Tages alles wieder gut war. Wenn es etwas gab, auf das sie vertrauen konnte, war es Hayates Loyalität. Umgekehrt galt es genauso. Sie waren immer vorhersagbar füreinander gewesen, zu lesen wie ein offenes Buch. Dass er sich anders verhielt als üblich irritierte sie.

Er hatte sie gewinnen lassen. In welchem verqueren Universum gab es sowas?

Für jetzt ließ sie fünf lieber gerade sein. Hayate hatte bereits sein Schwert aus der einfach verzierten Scheide genommen und es auf sie gerichtet. Sie hatten keine zehn Minuten zu dem Kahlschlag gebraucht, an dem sie vor fünf Jahren ihre Wette abgeschlossen hatten. Bis heute war kein neues Lokal dort erbaut worden, was es zum idealen Platz machte um nostalgisch zu werden. Aber nicht heute. Nicht, wenn Hayate sich dazu entschlossen hatte, plötzlich 'anders' zu sein.

Diese konfusen Gedanken beiseite schiebend, band sie sich einen Pferdeschwanz, um ihre lange Haarpracht aus ihrem Gesicht zu verbannen. Sie würde auf jeden Fall ernstmachen.

"Bist du bereit, Schrimp?"

Genervt von diesem leidigen Spitznamen zog auch sie ihr Katana aus der sehr viel aufwendiger verzierten Scheide. Damals waren sie mit Kinderschwertern gegeneinander angetreten, kaum würdig, sich Kenjutsunutzer zu nennen. Nun, ein halbes Jahrzehnt später, waren sie Profis. Ihr letztes kleines Duell war einige Monate her; wieso Hayate gerade jetzt darauf kam, sie herauszufordern, sollte vorerst ungeklärt bleiben. Er hustete, rückte sein Hitai-ate gerade und tauchte vor ihr auf.

Yūgao hatte keine Mühe, seinen direkten Angriff abzuwehren. Sie tänzelte zurück, schob seine Klinge mit der ihren nach hinten und schlug mit dem Griff ihres Katanas auf seine Hand. Ihr Trainingspartner tat ihr leider nicht den Gefallen, sein Schwert fallen zu lassen. Damit hatte sie auch nicht gerechnet. Es entstand ein geschmeidiger Klingenkampf, kontrolliert, präzise, bis die violetthaarige Kunoichi einen Glückstreffer landete.

"Ein Punkt für Yūgao!", gratulierte sie sich selbst. Lächelnd hob sie Hayates Katana auf und warf es ihm zu. Er fing es dankbar auf. Yūgao schob die Brauen über ihren dunkelbraunen Augen zusammen. Was auch immer ihren Freund belastete, es schien sich auf das Training auszuwirken. Wie dem auch war, sie wollte sich nicht beklagen, sofern dadurch die Möglichkeit bestand, ihren Rufnamen loszuwerden. "Willst du weitermachen?"

"Klar. Noch einmal wirst du kein Glück haben!"

Das sagst du, aber meinst du es auch so? Yūgao schob die Augenbrauen weiter zusammen. Hayate ging erneut in Kampfposition. Diesmal machte sie den ersten Zug, wurde pariert, wich aus, verfing sich mit ihm in einem kleinen Intermezzo, doch ihr zweiter Treffer war ebenfalls seiner Schlamperei zu verdanken. Es machte sie wütend, derart bevormundet zu werden. Etwas lief falsch!

"Spuck's aus, Hayate", sagte sie ernst, fordernd, die Spitze ihres Katanas auf ihn gerichtet. Zögerlich ließen sie ihre Waffen synchron sinken.

"Was meinst du, Yūgao?" Dass er sie nicht wie gewohnt 'schrimpte' ließ sie nur noch mehr aufhorchen. Natürlich; sie hatte zwei von drei Runden gewonnen. Der Ausgang war entschieden. Eine andere Frage noch lange nicht.

"Frag nicht so blöd." Sie machte einen bestimmten Schritt in seine Richtung, von seinen Argusaugen in jeder flüssigen Bewegung beobachtet. "Was Kenjutsu angeht bist du viel besser als ich. Du hast mich gewinnen lassen. Ich will wissen, wieso."

Er machte keine Anstalten, sie einer Antwort zu würdigen. Yūgao spürte Verärgerung in sich aufkeimen. Mit drei weiteren Schritten war sie bei ihm, rammte ihm ihren Zeigefinger in die Brust und sah ihn von unten herauf an.

"Hayate. Wieso hast du mich gewinnen lassen?"

Erst zögerte er. Dann antwortete er in ruhigem Tonfall. "Ich möchte dich nicht länger Schrimp nennen. Wir sind längst zu alt für diesen Kinderkram."

"Deswegen verhältst du dich wie ein liebeskranker Teenager und überlässt mir den Sieg? Komm schon, da steckt doch etwas dahinter! Hayate, bitte!"

Ein Seufzen entkam ihm. Wieder dieses Zögern. "Es passt nicht mehr zu dir. Damals warst du klein und unförmig, dein Gesicht sah aus wie eine aufgeblähte Makrele." Wie reizend. Dass sie kein schönes Kind gewesen war, wusste sie selbst. Sie hatte ihr Aussehen nie für relevant empfunden. "Du wurdest immer puterrot, wenn du dich geniert oder ertappt gefühlt hast. Aber inzwischen … bist du eine attraktive junge Frau geworden, die keinen unpassenden Kosenamen verdient."

Yūgao blinzelte unter langen Wimpern. Das sagte er einfach so? Wie konnte er es einfach so sagen, wo sie doch keinen Meter entfernt vor ihm stand, ihn berührte wie ein Freund einen anderen Freund neckisch berührte, um eine Erklärung für dessen sonderbares Verhalten zu bekommen. Wie konnte er? Und wieso schlug ihr Herz daraufhin schneller?

Sie schluckte schwer. Ja, etwas lief hier falsch. Eindeutig falsch! Erst das und dann das! Die leichte Röte, die auf ihren Wangen aufkam, manifestierte sich in ihrem Empfinden als seichte, verräterische Wärme. Dieses Herzklopfen machte sie wahnsinnig! Sie war ein Ninja, kein Schulmädchen! Sie hatte noch nie Herzklopfen bekommen, außer von schwerem Training, schon gar nicht Hayate wegen—ihrem besten Freund wegen!

Wie konnte er?

Die Frage schien sich anzubieten in ihrer reichlichen Verwirrung. Und sie war so vielschichtig in ihrer einfachen Phonetik! Es war doch Hayate. Einfach nur Hayate. Kotetsus dreiste Anmerkung fiel ihr wieder ein. 'Was ist das bloß mit dir und diesem Hayate? Was kann der Kerl, dass du derart in ihn verknallt bist?' Sie sei verknallt? Sie sei verknallt?

"Könntest du bitte etwas sagen und mich nicht so anstarren?"

Da war er wieder. Ihr Hayate. Der Hayate, der ihr bester Freund war. Immer ein wenig griesgrämig und mürrisch. Damit konnte sie umgehen.

"Ich starre nicht", stellte Yūgao schnippisch fest. Schnippischer als beabsichtigt. "Ich sehe dich an, weil ich eben einen luziden Traum hatte, scheint mir. Eine surreale Projektion meiner blühenden Fantasie, in der du mir erklärt hast, ich sei attraktiv." Sie machte eine wegwerfende Geste. "Scheinbar schlafe ich noch. Oder schon wieder. Denn sowas würdest du doch nie sagen. Oder, Hayate?"

Er sah sie an, zögerte und ahmte ihre Geste nach. "Natürlich nicht."

"Schön."

"Bist du nicht."

"Hast du aber gesagt!"

"Habe ich nicht!"

"Argh, du machst mich fertig!"
 

Dies war die Nacht, in der eine Ära endete. Die Ära von 'Schrimp', aber auch die Ära einer Freundschaft. Bloß brauchte Yūgao noch ein wenig Zeit, um das auch zu verstehen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Von:  RedRidingHoodie
2015-02-20T19:45:37+00:00 20.02.2015 20:45
Hah, jetzt muss ich doch mal einen Kommentar dalassen, obwohl ich Evenfall nur stichprobenartig gelesen habe. :´)
Ich liebe es einfach, wie du Sakura darstellst. Viele hassen sie entweder und heben deswegen ihre nervigen Charaktereigenschaften hervor (Die sie natürlich hat xD ) und andere stellen sie als unnahbares Mannweib dar und vergessen dabei völlig ihre emotionale, weibliche Weichheit. Du zeigst sie dagegen als reflektierte, emanzipierte, liebende, intelligente junge Frau und ich finde das einfach herrlich.
… Davon abgesehen, dass dieses spezielle Kapitel natürlich auch noch wahnsinnig sexy war xD Eine sehr erwachsene, gleichberechtigte und doch leidenschaftliche Art von heiß, das gefällt mir ebenfalls sehr. :3
Weiter so!
Von:  Emily
2015-02-15T22:28:07+00:00 15.02.2015 23:28
Ich liebe deine FF's. Besonders ItachixSakura :)
Du hast einen wirklich guten und flüssigen Schreibstil. Außerdem sind die Konversationen in deinen Geschichten nicht nur dummes Geschwätz, sondern beinhalten intelligente und durchdachte Sätze.
Sehr erfrischend einmal gute Geschichten lesen zu können (Die sind nämlich leider schwer zu finden unter all dem Müll).

Lg
Von:  Pupsik94
2014-11-10T17:24:32+00:00 10.11.2014 18:24
Bin Ich froh Hier drüber gestolpert zu sein *-* dein Schreibsstil ist mal wieder sehr erfrischend und der Hammer :) Ich wünschte naruto würde in echt so weiter gehen :o :) einfach nur richtig toll :)
LG Pupsik94
Von: abgemeldet
2013-12-07T16:01:11+00:00 07.12.2013 17:01
Das war einfach nur ein ganz großes fettes riesiges WaaaoooOaoooW.
Ich fand es schön, dass zur Abwechslung mal nicht das Pairing im Fokus stand, obwohl es doch um Sasuke und Sakura ging. Das ist dir echt gut gelungen.
Das Ende war dann wieder ein klein wenig romantisch, dank Sakuras gewaltsam erzwungenen Umarmung ^^

LG LaYout
Von: abgemeldet
2013-08-26T19:41:36+00:00 26.08.2013 21:41
O Gott, warum habe ich mich nicht schon früher dazu aufgerafft, diesen oneshot zu lesen.

Ich bin einfach hin und weg. Erstens, weil du es wieder einmal schaffst, mir SasuSaku schmackhaft zu machen – wenn es so weitergeht, werde ich mir ernsthaft ein paar jener fanfics reinziehen müssen –, und zweitens, weil du mich mit diesem Kapitel einfach umgehauen hast. Es ist genau so viel Romanze drin, wie ich ertragen kann, und genau so viel ich-darf-meinen-Herzschmerz-nicht-an-die-Öffentlichkeit-tragen, getoppt mit einer Prise nobody’s-perfect. Und fertig ist ein großartiger Cupcake. Und wie ich ihn genossen habe!
Lange fanfictions hin oder her, dieser OS wurde soeben zu meinem persönlichen Favoriten aus deiner Liste gewählt. Nur mit Doom’s Intention streitet er sich ein wenig um den ersten Platz. Aber hey, wir reden hier von fanfics.
Paminas Anmerkung, dass im letzten Viertel von einer Sekunde auf die andere – oder eher von einer Berührung auf die andere – alles mehr oder minder vergeben und vergessen ist, stimme ich zu. Allerdings finde ich es an dieser Stelle nicht so wild. Zumindest empfinde ich es nicht als störend. Ich hab‘ die Geschichte gerne, schnell und mit diesem gewissen Kribbeln im Bauch gelesen, also darfst du dir hiermit ein dickes, fettes, mit extra viel Doppelrahm-Schoko-Creme dekoriertes Lob abholen.

Liebe Grüße,
abgemeldet
Von:  Mukuro-sama
2013-08-01T19:56:46+00:00 01.08.2013 21:56
Hey^^

Ich finde das super :D
freue mich auch noch auf die anderen ;D
Von:  Verovera
2013-06-17T08:22:20+00:00 17.06.2013 10:22
Nette Idee!
Die beiden haben mich nie sonderlich interessiert, aber jetzt finde ich sie ganz nett. Und es ist viiiel schlimer, dass er verreckt. -.-
Bah.
Ich werde die Reihe weiter verfolgen. Dass du mal sowas wie Fluff schreibst hätte ich nicht gedacht. Gefällt mir. Sowas könntest du auch mal mit ItaSaku machen! So richtig süß und knuffig. Ich wette, uns Lesern gefällt das.

Liebe Grüße, weiter so!

Verovera
Von:  L-San
2013-06-15T22:11:22+00:00 16.06.2013 00:11
Abend Five. ;D

Es gibt doch nichts Schöneres, als nach einem amüsanten Kinoabend nach Hause zu kommen und sich mit einem OS à la Five zu entspannen. ;]
Mich überrascht es, dass ich scheinbar der erste bin, der zu diesem Kapitel was kommentieren darf. O/.\o
Was soll's, ich les ja alles gerne.
n/.\n

Für mich war diese Geschichte absolutes Neuland, weil ich die Charaktere nicht kenne, zumindest sagt mir Yugao nichts.
War doch eine interessante Leseerfahrung, uneinvorgenommen an die Story heranzugehen und alles auf sich einwirken zu lassen - bah, es ist spät und ich leide an akutem Wörterschwund. ;DDD
Nicht wundern, wenn mir ein Wort nicht mehr einfällt.
Was mir gefallen hat, war das Band des Teams, ihre kleinen Rangeleien usw.
Das mit Shrimp fand ich amüsant.
Was Schreibstil angeht, wow, das war hier richtig flüssig, als ich es ohnehin schon von dir gewöhnt bin.
Irgendwie hat einfach jeder Wort gepasst.
Es war einfach wundervoll.
Der beste OS in dieser Sammlung würd ich sagen. ;]
Ich hab an vielen Stellen bleibende Eindrücke, speziell die Synästhesie.
Konnte mir alles schön vorstellen.
Und wie du ja weißt, mag ich solche Kleinigkeiten.
Wie was riecht, usw.
So langsam drifte ich mal wieder in Non-Sense. ;DDD
Ich fand den OS schön.
Hat wirklich für 'n frischen Wind gesorgt.
;D

L-San
Von:  Pamina
2013-06-10T20:54:37+00:00 10.06.2013 22:54
Also ich mag SasuxSaku... Und ungefähr 3/4 des OS fand ich .. eigentlich echt gut!!!
Und ich musste so verdammt viel Lachen.. keine Ahnung, ob du das beabsichtigt hattest.. aber das war einfach krass lustig xD

Aber das Ende.. das letzte Viertel.. war ... ich weiß nicht, wie ich das sagen soll.
Absolut verwirrend. Es war, als würde Sakuras Wut und ihr Zorn in einer EINZIGEN Sekunde verpuffen und alles ist Friede-Freude-Eierkuchen.. das hat mich wirklich erstaunt!
Weil deine Geschichten normalerweise immer flüssig und schlüssig sind : D'
In diesem Fall - nicht jede gefühlsmäßige Veränderung muss total schlüssig und verständlich sein - aber sie kam hier einfach zu abrupt!
Ansonsten kann ich nur sagen... ich muss immer noch lachen, wenn ich an so manche Stelle denke xD
Ich mag den OS .. zumindest einen Teil davon! Das Ende nicht so .. aber er war definitiv erheiternd :)

Gibt es vielleicht die klitzekleinste Chance, dass du dich irgendwann nochmal an SakuxSasu wagst?^^

Liebe Grüße
Pamina
Antwort von:  4FIVE
11.06.2013 10:46
Sakura ist am Ende schon noch wütend aber es ist immerhin Sasuke, den sie vor sich hat. Ich habe versucht, mich in die Canon-Sakura reinzuversetzen. Meine FF-Sakura hätte ihn einfach stehen gelassen, aber ich denke, dass Canon-Sakura zwar versuchen würde, wütend auf ihn zu sein, weil sie das von sich selbst erwartet, es allerdings nicht schafft.
Ihre Wut verpufft ja auch nicht, sondern sie reguliert sie bzw. stellt sie für den Moment zurück.
Mir persönlich gefällt der OS allerdings nicht wirklich.

Was auch gleich der Grund für meine Antwort bezüglich deiner Frage ist: die Chancen stehen ganz, ganz schlecht. Ich mag Sasuke einfach nicht, der Typ geht mir krass auf den Senkel, also ist es für mich schwierig, ihn ansatzweise positiv darzustellen. In meinen FFs habe ich ihn zurechtgebogen, aber gerade in einem OS geht das schwer. Es wird SasuHina geben (allerdings ohne Romantik, sondern mit ordentlich Drama), ansonsten wird Sasuke wohl kaum in der OS Sammlung vorkommen. Tut mir leid.
Aber falls ich meine Meinung ändere sage ich dir Bescheid!

Liebe Grüße,
4FIVE
Antwort von:  Pamina
11.06.2013 11:59
Danke dir für die Antwort : )
Ich finde es zwar schade... aber ich versteh dich auch genauso gut!

Sakuras Empfindungen gegenüber Sasuke kann ich nachvollziehen.. aber wie gesagt, kam das etwas zu unerwartet :)
Ansonsten.. ich freu mich einfach auf deine anderen FFs!

Liebe Grüße
Pamina
Von:  alory
2013-06-09T14:10:23+00:00 09.06.2013 16:10
Also ich fand die Geschichte toll! Ich bin zwar ein kleiner(!) SasuSaku-Fan aber leider wird das Pairing halt wirklich oft "ver-kitscht"*hust*ja, das wort gibts bestimmt*hust* oder so unrealistisch zusammen geführt dass sich mir die zehennägel umrollen! oO
Ich kann dir leider gar net groß was zu deiner Story schreiben, weil ich einfach keine passenden worte finde... Es passt halt einfach! Es liest sich toll und angenehm! Mir ist nichts falsch vorgekommen und ich war richtig schön im "lese-und-mit-vorstell"-modus drin!
Danke dafür! :)


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