Paw Prints von Ur (Various Oneshots) ================================================================================ Kapitel 5: red -------------- Für Katja _________________________ Die Wunden, die Kali Erica zugefügt hatte, brauchten lange, um zu heilen. Lydia hatte gelernt, dass Verletzungen, die von Alpha-Wölfen verursacht wurden, mehr Zeit benötigten, um zu gesunden. Sie merkte sich jedes Detail, das sie über diese neue Welt in ihrem direkten Umfeld lernte, akribisch genau. Auf keinen Fall wollte sie jemals wieder außen vor sein, während irgendeine übermenschliche Kraft – oder ein übermenschlicher Jemand namens Peter Hale – ihr Leben fernsteuerte. Vielleicht war es dieses Erlebnis, das sie dazu brachte, Erica im Krankenhaus zu besuchen. Derek, Isaac und Boyd waren Dauergäste dort, aber manchmal erhaschte Lydia einen Moment mit Erica allein. Erica sprach nur wenig und die meiste Zeit über schlief sie. Die anderen hatten Lydia zögerlich erklärt, was das Alpharudel mit Boyd, Erica und Cora getan hatte, und Lydia war nicht umhin gekommen, eine merkwürdige Art von Verständnis und Verbundenheit zu diesen Erlebnissen zu fühlen. Die Drei hatten keine Kontrolle über ihre Handlungen gehabt, genauso wie Lydia als Peter in ihrem Kopf gewesen war. Nachdem sie Derek gegenüber gedroht hatte, Peter mit Wolfsbann umzubringen, wenn er ihr das nächste Mal unter die Augen kam, hatte dieser seinen psychopathischen Onkel dazu gebracht, lieber nicht allzu häufig ins Krankenhaus zu gehen. Er besuchte – wenn er überhaupt kam – ohnehin nur Cora und deswegen hielt Lydia sich von Coras Zimmer fern. Lydia erinnerte sich daran, wie sie Erica zum ersten Mal nach ihrer Verwandlung gesehen hatte. Vor diesem Tag war Erica ihr nie wirklich aufgefallen. Ja, sie hatte gewusst, dass es ein Mädchen in ihrem Jahrgang gab, das Epilepsie hatte, und Jackson hatte damals ausgiebig darüber gelacht, nachdem ein Video eben dieses Mädchens online gegangen war, bei dem irgendein Scheusal einen von Ericas Epilepsieanfällen aufgenommen hatte. Lydia hatte nicht gelacht und Jackson hatte sie eine Spaßbremse genannt. Manchmal wunderte sich Lydia darüber, wie sie sich für lange Zeit kein Leben ohne Jackson hatte vorstellen können. Und jetzt vermisste sie ihn überhaupt nicht mehr. Er war nur noch Jackson, ihr Exfreund. So wie Erica früher nur das Mädchen mit Epilepsie gewesen war. Seitdem Lydia als Stadtspinnerin verschrien gewesen war, hatte sie sich vorgenommen, Menschen nicht mehr auf Dinge zu reduzieren, die ihnen passiert waren, und jetzt saß sie an Ericas Krankenbett und starrte in das blasse Gesicht, das nun wieder viel mehr Ähnlichkeit mit der alten Erica hatte. Erica sprach nicht mit Derek. Sie redete mit Isaac und Boyd, wenn sie sie besuchten und sie wach war, aber mit Derek hatte sie noch kein einziges Wort gewechselt. Lydia kannte bei weitem nicht alle Zusammenhänge, dafür war sie einfach viel zu spät in die ganze Werwölfe-terrorisieren-unsere-totlangweilige-Stadt-Sache eingeweiht worden, aber Isaac hatte durchblicken lassen, dass Derek das ein oder andere Detail ausgelassen hatte, als er seinen drei neuen Rudelmitgliedern von all den Vorteilen berichtet hatte, die das Werwolfdasein so mit sich brachte. Sicherlich hatten seine Schützlinge sich unter ihrer Werwolfzukunft andere Dinge vorgestellt, als gejagt zu werden und mehrfach beinahe zu sterben. Lydia hatte noch nicht recht herausgefunden, was genau sie hier in Ericas Krankenzimmer suchte. Reine Herzensgüte war noch nie eine ihrer herausragenden Eigenschaften gewesen und sie war sich nicht sicher, ob sie eben diese plötzlich entwickelt hatte, weil sie sich Erica verbunden fühlte. Vielleicht musste sie auch keinen Grund finden. Vielleicht konnte sie einfach tun, was sie wollte, ohne dafür an sich oder irgendjemanden eine Erklärung abgeben zu müssen. »Was liest du?«, fragte eine brüchige Stimme und Lydia ließ das dicke Buch sinken, das sie in den Händen gehalten hatte, während sie in Ericas Zimmer saß. Die Stühle waren wirklich unbequem und Lydia notierte sich in Gedanken, dass sie nächstes Mal dringend ein Kissen mitbringen sollte. Nächstes Mal. »Oh«, sagte sie und hielt das Buch hoch, »nur was über die Geschichte der Mathematik.« Erica brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Nur?«, gab sie zurück. Lydia zuckte die Schultern. Sie wusste, dass sie ein Genie war. Aber da sie mit sich selbst lebte, war es für sie nicht mehr sonderlich beeindruckend. »Es ist keine große Sache sowas zu lesen, wenn man einen IQ über 170 hat«, gab Lydia zurück, klappte das Buch zu und steckte es in ihre Handtasche zurück. Sie zog den Stuhl ein wenig näher zum Bett heran und schlug die Beine übereinander. Erica musterte sie. »Weißt du, ich hab dich immer verabscheut«, sagte Erica aus heiterem Himmel heraus und Lydia blinzelte verwirrt, fing sich aber beinahe sofort wieder. Sie musste nicht nachfragen, wieso Erica so empfunden hatte. Es brauchte nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wie jemand, der nicht in der genetischen Lotterie gewonnen hatte, jemanden verabscheute, der alle Privilegien eines eben solchen Lotteriegewinns genoss. Zugegeben, Erica war ebenfalls hübsch. Aber ihre Krankheit hatte sie aus offensichtlichen Gründen davon abgehalten, die Aufmerksamkeit ihrer Mitschüler auf sich zu ziehen. Lydia erinnerte sich noch, wie gern sie im Boden versunken wäre, nachdem sie zum ersten Mal wieder die Schule betreten und jeder gewusst hatte, dass Lydia Martin nackt durch den Wald gelaufen und völlig durchgedreht war. Lydia zuckte erneut mit den Schultern. »Willst du nicht wissen, wieso?«, fragte Erica sie. Lydia mochte ihren Mund. Er hatte eine besonders schöne Form. Sie erinnerte sich dumpf an eine Szene mit einem roten Apfel, der in etwa dieselbe Farbe wie Ericas Lippen gehabt hatte. Damals war sie über Ericas Auftritt empört gewesen. Mittlerweile war sie eher beeindruckt. »Ich weiß, warum, Süße. Du weißt ja, ich bin ziemlich schlau«, sagte Lydia mit einem selbstzufriedenen Schmunzeln und Erica lachte leise. »Ich sah sicherlich schon mal süßer aus«, murmelte sie und sah an sich herunter. Man sah nur den oberen Teil ihres Krankenhauskittels unter der Decke hervorschauen. »Zugegeben, weiß ist nicht unbedingt deine Farbe«, erwiderte Lydia und Erica lachte erneut. Lydia befand, dass sie auch ohne Make-up sehr hübsch war. »So? Was ist wohl meine Farbe?«, fragte Erica und betrachtete die Kanüle in ihrer Hand. Lydia dachte nicht lange nach. »Rot«, gab sie zurück. Erica grinste. »Du siehst in Blau ziemlich gut aus«, antwortete sie unverhofft. Lydia wusste zwar, dass sie in Blau gut aussah, – prinzipiell sah sie in fast allen Farben gut aus – aber es wunderte sie, dass Erica ihr ein Kompliment machte. Also beschloss sie, nicht auf ihre universelle Farbkompabilität hinzuweisen und sagte einfach nur: »Danke.« Lydia musste daran denken, dass sie roten Lippenstift trug und schmunzelte. »Was?«, wollte Erica wissen und beobachtete sie aufmerksam. Lydia räusperte sich und erhob sich von ihrem Stuhl. Erica hielt ganz still, als Lydia sich vorbeugte und ihren rot bemalten Mund auf Ericas Schläfe drückte. Einen Herzschlag lang verweilte sie in dieser Position, dann richtete sie sich wieder auf und musterte den Kussmundabdruck seitlich auf Ericas Stirn. Sie grinste. »Ein bisschen Farbe für dich«, erklärte sie und beförderte mit einer eleganten Kopfbewegung ihr langes Haar über ihre Schulter. Erica schaute von unten zu ihr auf, dann breitete sich ein schelmisches Schmunzeln auf ihrem hübschen Mund aus. »Vielleicht kannst du die Farbe das nächste Mal ja auf meinem Mund lassen, da sieht sie sicher noch besser aus.« Lydia blinzelte. Es passiert nur selten, dass Menschen sie überraschten. Sie fing sich rasch wieder und setzte ein amüsiertes Lächeln auf. »Wenn du darauf bestehst.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)