Misfits: Herzkönig von Hushpuppy ({boyxboy}) ================================================================================ Kapitel 21: Lügner ------------------ Noah wohnte in einer Gegend in der mir selbst die Straßenlaternen das Gefühl gaben arm zu sein. Es waren keine flackernden, matten Lichter in quadratischen Plastikbehältern, die teilweise nicht mehr funktionierten und hoch oben auf grauen Stangen saßen, von Kritzeleien und Aufklebern geziert. Hier in dieser Gegend waren die Straßenlaternen tatsächlich hell und die Lichter strahlten in runden Glaskugeln, die auf tiefschwarzen Stangen saßen, die kunstvoll verschnörkelt waren. Jedes Haus war hier ein Einfamilienhaus, wurde verkauft und nicht vermietet und sah aus als könnte sich meine Mum es niemals leisten. Ein paar Häuser erinnerten mich an mein altes Zuhause in Nordrhein-Westfalen. Wir mussten beinahe eine viertel Stunde Fußweg zurück legen und dabei einen Hügel erklimmen. Nach nur kurzer Zeit war ich aus der Puste und Noah machte sich darüber lustig, wie unsportlich ich war. Dann beschwerte ich mich, dass ich den gesamten Samstag auf seine Rückmeldung gewartet hatte und ihn vehement nicht erreichen konnte, am Ende sogar dachte das Treffen wäre ohne mich gelaufen. Meine gute Laune hatte einen harten Dämpfer erhalten bis sich Noah endlich um fünf Uhr am Nachmittag meldete und mir mitteilte, dass das Treffen erst abends stattfinden würde. „Hatte ich dir das am Freitag echt nicht gesagt?“, fragte Noah verlegen. „Nein, hattest du nicht!“, motzte ich. „So etwas kannst du mir nicht antun, Noah, du weißt, dass ich außer euch niemanden in Berlin kenne. Ich habe keine Pläne für meine Wochenenden.“ „Das wird sich noch ändern“, versicherte mir Noah, danach wurde er ein wenig trübseliger. „Ich wollte dich ja früher anrufen, aber es kam ein wenig etwas dazwischen...“ „Was Schlimmes?“, fragte ich. „Nein, es hat sich wieder geklärt“, winkte Noah ab und ging noch ein wenig schneller. Wie konnte jemand so kleines mit so kurzen Beinen so schnell gehen? Als wir endlich am Haus ankamen, brauchte ich ein paar Sekunden zum Luft schnappen. Danach erst konnte ich sein Haus mit offenem Mund bewundern. „Bonzen“, murrte ich hinter ihm als er seinen Schlüssel auspackte und er begann zu lachen. Das Haus war weiß und groß. Es hatte eine Etage und einen ersten Stock, eine große Terrasse überdachte den Vorgarten und sie wurde von dicken Säulen gehalten, die dem ganzen etwas schlossartiges verlieh. Die Tür war aus undurchsichtigen Glas und ich hatte Angst sie anzufassen, weil ich dachte sie müsste zwischen meinen Fingern zerbrechen. Doch auch als sie hinter uns laut ins Schloss fiel, passierte dem Glas nichts. Im Grunde stand man sofort im Wohnzimmer, wenn man durch die Haustür herein kam und dies erinnerte mich abermals an mein altes Zuhause. Nur sah dieses Wohnzimmer eher elegant aus mit einer weißen Couch und einem echten Kamin, in dem ein Feuer freudig knisterte. Zur rechten Seite erreichte man über eine Treppenstufe den Esszimmerbereich und ebenfalls konnte man von der Haustür aus sofort die Küche sehen, in deren Wände riesige Glaslose Fenster eingelassen waren. Alles sah unglaublich sauber und unglaublich schick aus. Noah führte mich quer durch den riesigen Raum in einen eher engen Flur, an dessen Ende sich eine hölzerne Tür befand. Sie öffnete sich nach innen und wir mussten drei Treppenstufen herunter gehen, die direkt in einen großen Raum führten. Im ersten Moment dachte ich wir würden in einem zweiten Wohnzimmer stehen, dann jedoch verkündete Noah feierlich: „Willkommen in meinem Zimmer.“ Nun blieb mir tatsächlich die Sprache weg. Die Wand gegenüber seiner Zimmertür bestand nur aus Fenstern und man sah den großen Hintergarten mit einem abgedeckten Pool, auf dessen Plane sich Schnee häufte. Der Boden seines Zimmers war aus hellem Holz, links der Tür erstreckte sich eine riesige Couchecke mit einer Couch, die so breit und groß war, dass sicher zehn Leute darauf passten. Vor den Fenstern stand ein breiter Flachbildschirm und nur am Rande bekam ich mit, dass die beiden Jugendlichen, die auf der Couch saßen ein Ballerspiel spielten. Ich war noch zu abgelenkt durch Noahs Zimmers. Rechts der Tür standen noch mehr Sessel, jedoch auch ein breiter Schreibtisch, auf dem ein Laptop von Apple stand. Eine Wendeltreppe führte hoch in einen weiteren Raum und ich konnte eine Tür erkennen, die neben der Treppe in der Wand eingelassen war. „Da oben ist mein Bett“, verkündete Noah und zeigte auf den Raum, zu dem die Wendeltreppe führte. „Komm mit, ich zeig es dir.“ Er packte mich am Arm und schleifte mich die Treppe hoch. Erst jetzt merkte ich, dass mein Mund offen stand und klappte ihn zu. Nur damit er mir oben angekommen wieder aufklappen konnte. Noch nie in meinem Leben hatte ich ein so großes Bett gesehen. Und die Decke war schräg und in ihr waren erneut große Fenster eingelassen, durch die man die wenigen Sterne sehen konnte, die bereits den Nachthimmel säumten. Ohne uns abzusprechen ließen Noah und ich uns rückwärts aufs Bett fallen und schauten aus dem Fenster in die Weite des Himmels. Keine Wolke versperrte die Sicht. „Wenn es richtig Nacht ist, ist es hier wunderschön“, sagte Noah leise. „Das glaube ich dir sofort... du bist wirklich ein Bonzen.“ Ich blickte ihn mit einem Grinsen an, aber diesmal lachte Noah nicht. Er war ernst geworden und wirkte beinahe traurig. „Bevor wir anfangen uns wirklich anzufreunden, solltest du ein paar Sachen über mich wissen“, sagte er und ich merkte wie mir unwohl zumute wurde. Bisher hatte noch keiner ein Gespräch auf diese Weise eröffnet und das machte mir Angst. Ich versuchte es zu verbergen und so neutral wie möglich zu bleiben. „Okay“, sagte ich verwirrt. Er schaute mich nicht an. In seinen strahlend blauen Augen spiegelten sich die Sterne. „Ich bin nicht unbedingt einfach und ich bin auch kein guter Mensch.“ „Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich noch verwirrter als vorher. „Lukas, ich bin kompliziert und mit mir befreundet zu sein ist kompliziert und schwer, weil ich... aus Launen heraus handle, die ich selbst nicht verstehe und...“ Er brach ab und seufzte schwer. Für einen Moment dachte ich er würde anfangen zu heulen, aber Noah schluckte nur hart und sagte dumpf: „Ich habe psychische Probleme. Bewiesene psychische Probleme.“ „Von einem Psychologen bewiesen?“, fragte ich und war darüber verwirrt, dass mich dieses Wissen nicht so sehr schockte wie es sollte. Noah nickte und fuhr fort: „Die Sache ist nur die, dass ich gerne überreagiere und eine Zeit lang, eine lange Zeit lang habe ich Sachen erfunden und erlogen aus Gründen, die ich mir selbst nicht erklären kann. Und ich habe immer gesagt daran ist meine Psyche Schuld, daran ist meine Psyche Schuld, aber eigentlich bin ich selbst Schuld. Nur ich kann daran was ändern, aber das ist viel, viel schwieriger als einfach hinzunehmen, dass ich Probleme habe und sie als Ausrede für alles was ich falsch mache zu benutzen. Und ich weiß gerade selbst nicht warum ich dir das erzähle, jetzt denkst du wahrscheinlich ich bin der totale Psycho...“ „Nein, bestimmt nicht“, erwiderte ich schnell. Ich versuchte tief in mich zu gehen und Noahs Informationen zu verarbeiten, doch sie stießen bei mir nicht auf negative Gefühle. Natürlich ist das nicht so gemeint, dass ich seine Probleme befürworten würde. Er tat mir Leid, aber ich konnte nicht sagen, dass es mich so stören würde, dass ich nichts mehr mit Noah zu tun haben wollte. Im Grunde machte es keinen Unterschied. Bisher war er mir nicht negativ aufgefallen, aber etwas anderes machte plötzlich Sinn... „Deswegen fehlst du häufiger in der Schule“, stellte ich murmelnd fest. „Ja... du brauchst aber keine Angst zu haben, dass ich dich bei irgendetwas anlügen würde, ich habe nur versucht zu erklären wie es mit mir ist. Ich erzähle dir das wahrscheinlich gerade, weil ich schon wieder viel zu emotional bin und daran ist nur Fynn Schuld.“ Er sprach nun leiser, damit sie uns unten nicht hören konnte. Einer der beiden Jugendliche auf der Couch musste wohl Fynn sein, ich hatte ihn nicht direkt erkannt, doch sie würden uns sicher nicht hören. Dafür war der Fernseher zu laut, außerdem sprachen sie laut miteinander. „Was hat er denn gemacht?“, fragte ich und war ein wenig aufgeregt. Noah erzählte mir etwas Privates, etwas Geheimes, was in diesem Moment niemand anderes außer mir hören durfte. Ich schämte mich ein wenig dafür, dass ich mich darüber so freute, schließlich schien es Noah sehr nahe zu gehen. „Er will nachher noch unbedingt mit Freunden weggehen, also feiern gehen. Ich habe ihm dann erst gesagt, dass mir das nicht so gut gefällt, weil Fynn und ich lange nichts mehr nur zu Zweit gemacht haben und eigentlich wollten wir die Nacht zusammen verbringen, was sich dann aber wieder erledigt hätte. Aber er ließ sich nicht umstimmen also habe ich gesagt wir könnten ja mitkommen oder später dazu stoßen oder so etwas, aber das wollte er dann auch nicht...“ „Wie das wollte er nicht?“, fragte ich verdutzt. Mir wurde unangenehm heiß. „Wollte er nicht, weil ich dann dabei bin?“ „Was?! Um Himmels Willen!“ Noah musste lachen und drückte meine Hand wie zum Trost. Ich brachte bloß ein gequältes Lachen zustande. „Nein, doch nicht wegen dir. Er will mich nicht dabei haben.“ „Aber du bist sein Freund“, sagte ich verwirrt. „Ja und ich hab das Gefühl er ist mich momentan leid.“ Noah zuckte die Schultern, aber ich wusste, dass es ihm nicht so egal war. Ich sah es daran wie er schluckte, er hatte diesen Kloß im Hals und er mied meinen Blick, damit ich die Tränen in seinen Augen nicht sehen konnte. Er versuchte so neutral wie möglich zu reden als ob es ihm gar nicht so wichtig wäre, aber jeder Vollidiot wusste wie sehr Noah in Fynn verliebt war. Man musste sie bloß einmal zusammen gesehen haben... vor dem Dreams sah Fynn ebenfalls noch ziemlich glücklich und verliebt aus. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er Noah so abweisen würde. „Hast du ihm schon gesagt, dass du das so fühlst?“, fragte ich nach ein paar Sekunden des Schweigens. „Ja und dann gab es Streit“, antwortete Noah erstickt. „Deswegen habe ich mich auch erst nicht gemeldet, weil das Ganze heute Mittag passiert ist. Am Ende habe ich dann natürlich nachgegeben und ihm gesagt es ist schon okay, wenn er ohne mich geht, nur damit ich ihn nicht verliere.“ Er lachte aufgesetzt. „Ich bin so ein Schwächling...“ „Red bitte nicht so über dich, du bist bestimmt kein Schwächling“, sagte ich etwas hilflos und überfordert mit der Situation. Beziehungen. Wenn Noah Probleme mit einem gewalttätigen Stiefvater hätte, hätte ich ihm besser helfen können, das hatte ich Jahre lang mit Simon mitgemacht, aber von Beziehungen hatte ich keine Ahnung. „Was hat er denn zur Erklärung gesagt, warum er dich nicht dabei haben will?“, fragte ich. „Dass er halt einfach mal etwas mit seinen besten Kumpel machen möchte, nur mit ihnen wie vor unserer Beziehung. Ich denke mir nur, wie wichtig bin ich ihm, wenn er solange auf Zeit zu Zweit verzichten kann und dann sogar danach verlangt?“ Noah verdrehte die Augen. „Das geht schon eine Weile so und Hannah sagt ich soll einfach Schluss machen, aber ich kann nicht. Ich bin zu schwach, um es alleine zu schaffen.“ „Was zu schaffen... und wer ist Hannah?“ Noah lachte gequält ehe er antwortete: „Das Leben zu schaffen.“ Danach richtete er sich auf und sagte lauter und wieder so fröhlich trällernd wie er mir stets entgegen kam: „Und Hannah ist die Tochter von der festen Freundin meines Vaters und sie sitzt da unten und zockt mit meinem Freund Call of Duty.“ „Ja, hier unten bin ich“, rief eine weibliche Stimme. „Und am verlieren“, fügte Fynn hinzu und die beiden Zockenden lachten. Noah sprang vom Bett auf und ging die Wendeltreppe herunter. Ehe ich folgte, richtete ich mich langsam auf und blieb ein paar Sekunden mit dröhnendem Kopf sitzen. Und eine Zeit lang, eine lange Zeit lang habe ich Sachen erfunden und erlogen aus Gründen, die ich mir selbst nicht erklären kann... Du brauchst aber keine Angst zu haben, dass ich dich bei irgendetwas anlügen würde... Du Lügner, Noah. Wie konntest du mir sagen, dass du alleine nicht leben kannst und Fynn als deine Stütze brauchst, eine Stütze, die du zu verlieren drohst und danach aufspringen und so tun als wäre deine kleine Welt perfekt? Wenn ich daran dachte wie oft ich Noah für übertrieben freudig und glücklich gehalten hatte, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wie oft schon hatte Noah vor mir gestanden und mich mit dieser Freude angelogen. Er war nicht glücklich und er war Lügner und meine gute Laune war am Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)