Misfits: Herzkönig von Hushpuppy ({boyxboy}) ================================================================================ Kapitel 22: Perfekt ------------------- Als Fynn fortging und Noah zum Abschied einen Kuss geben wollte, drehte dieser sein Gesicht weg und zeigte Fynn die kalte Schulter. Sein 'Tschüss' war ebenso kalt wie die Geste und Fynn machte einen missmutigen Ausdruck. Ich hätte ihn gerne gepackt und ihn angeschrien, dass dies der Moment war an dem er hätte merken müssen, dass ihm die Beziehung zu Noah aus den Fingern glitt, aber Fynn verabschiedete sich und verließ das Haus. Erst als die Tür ins Schloss fiel, seufzte Noah schwerfällig und jammerte: „Das hätte ich nicht tun sollen!“ „Doch, das war super“, entgegnete Hannah entschieden. Sie war achtzehn Jahre alt und ging wie wir in die elfte Klasse, jedoch einer anderen Schule. Sie war größer als Noah und fast so groß wie ich mit einem schlanken Körper und breiten Hüften. Ihr Gesicht war länglich und ihre Augen klein und blau. Ihre Haare waren von einem einfachen nussbraun, reichten ihr bis zu den Schultern und waren ziemlich zerstruppelte. Wie sich herausstellte war Hannah schlecht in Ballerspielen, weil sie nicht gerne Gewalt sah und jedes Mal, wenn sie jemanden erschießen musste, machte sie solange eine Szene bis sie selbst erschossen wurde. Eine Zeit lang war es ziemlich lustig anzusehen gewesen, dann jedoch legten wir uns einen Comedy-Film rein und rauchten Shisha, nur Hannah verzichtete. Sie rauchte gar nicht, hatte es nie getan und wollte es auch nie tun. Wir unterhielten uns über dies und jenes und das Thema Fynn und sein blödes Problem damit seinen festen Freund mit auf Partys zu holen schien in der Luft zu schweben, aber niemand sprach es an, schließlich hatte Fynn bis eben höchstselbst in der Runde gesessen, doch nun war er weg und wir konnten endlich darüber sprechen. Ich hatte schnell raus gefunden, dass Hannah nicht einfach nur die Tochter der festen Freundin von Noahs Vater war. Für Noah bedeutete sie viel mehr. Sie waren wirklich miteinander befreundet, viel besser als Noah und ich es waren, deswegen musste sie auf jeden Fall von Noahs Bedenken wissen. „Er soll wissen, dass du verletzt bist“, stimmte ich Hannah zu. „Und wenn du ihn dafür abweisend behandeln musst, geht es wohl nicht anders.“ „Ich will nicht, dass er mich verlässt“, seufzte Noah. „Das wissen wir“, sagte Hannah sanft und strich ihm über den Arm. „Aber er darf dich auch nicht behandeln wie er möchte. Eine Beziehung ist ein Geben und Nehmen und bisher hat er sich nur genommen. Es wird mal Zeit, dass du deinen Willen durchsetzt.“ „Tja, niemand kann eine so perfekte Beziehung haben wie du“, meinte Noah trotzig, doch mit einem scherzhaften Unterton. Hannah bekam sofort diesen verträumten Gesichtsausdruck, den ich von Alex kannte. Bevor Julian versucht hatte sie zu vergewaltigen. Dass er dies tatsächlich versucht hatte, war mir erst Tage nach dem Ereignis bewusst geworden und ich wusste, dass eine Anzeige die richtige Art wäre damit umzugehen, aber dann war Alex dazu gezwungen vor Gericht auszusagen und das würde sie nicht tun. Ich kannte sie, sie war stur und ich hatte ihr versprochen niemandem davon zu erzählen und ich hielt meine Versprechen. Besonders die gegenüber meiner Schwester. Denselben verträumten Gesichtsausdruck hatte Noah immer, wenn es um Fynn ging und nun saß er hier und jammerte darüber, dass seine Beziehung momentan alles andere als gut lief. Ich hatte selbst noch keine Erfahrung in der Liebe gemacht, aber wenn ich mir dies hier so anhörte, wollte ich vielleicht auch gar keine Beziehung... „Dennis ist aber auch perfekt“, sagte Hannah und ich konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Die Beiden schauten mich an, beinahe vorwurfsvoll und ich wusste, dass ich mich besser zurück gehalten hätte. Ich presste die Lippen aufeinander, ehe ich mich zu erklären versuchte. „Tut mir Leid, es ist nur... meine Schwester hat dasselbe von ihrem Exfreund gesagt und der war wirklich alles andere als perfekt und... niemand ist perfekt. Es gibt keine perfekten Menschen.“ Außer vielleicht Gaara. „Dennis ist nicht perfekt“, sagte Hannah nun prompt. „Eben hast du das Gegenteil behauptet.“ „Er ist nicht perfekt für dich und er ist nicht perfekt für Noah und nicht perfekt für irgendeinen anderen Menschen auf dieser Welt außer für mich. Für mich ist Dennis perfekt. Alles, was Leute an ihm auszusetzen haben, jeder Fehler, jede schlechte Charaktereigenschaft, die man bei ihm finden kann, machen ihn für mich zum perfekten Menschen, weil ich über seine Fehler hinwegsehe und nur ihn sehe, den kompletten Menschen. Meinen perfekten Menschen.“ Mein Mund stand ein wenig offen als Hannah geendet hatte. Ich war mir nicht sicher, ob das hochprozentiger Kitsch oder tiefgründigere Poesie war, irgendwie war es beides und irgendwie gefiel es mir. „So geht es mir aber auch mit Fynn, ich kann ihm einfach alles verzeihen, egal wie verletzt ich bin“, klagte Noah und vergrub das Gesicht in seinen Händen. „Wenn ich nur wüsste, dass ich es auch alleine schaffe, aber ich brauche ihn.“ Diese Worte versetzen mir einen Stich im Herzen, denn sie erinnerten mich an Dad. Ich brauche dich. Es war der einzige Satz, den ich ihm noch hätte sagen wollen bevor er gestorben war, doch die Möglichkeit war mir nicht geboten. Ich brauchte ihn so sehr und es war so hart gewesen ohne ihn leben zu müssen, aber es ging nicht anders. Es gab immer noch Tage und Nächte in denen es mich beinahe verrückt machte wie sehr ich ihn vermisste, aber irgendwie schaffte ich es trotzdem. Ich klappte meinen Mund auf und schloss ihn wieder. Einerseits wollte ich Noah diese Gedanken mitteilen, andererseits wollte ich es nicht. Es ist nicht dasselbe. Bei ihm ging es um Liebe, bei mir ging es... um meinen Vater... war das nicht Liebe, nur auf eine andere Weise? „Ach egal, lenkt mich irgendwie ab“, sagte Noah und zog an der Shisha. „Erzähl Lukas von dem Hundeheim, Hannah. Wir könnten ihn demnächst mal mitholen.“ „Magst du Hunde?“, fragte Hannah und in mir kam eine Erinnerung hoch, die ich beinahe schon verdrängt hatte. „Wir hatten mal einen Hund“, erinnerte ich mich. „Als ich noch klein war. Wir mussten ihn einschläfern als ich acht Jahre alt war, damals war das ganz furchtbar.“ „Das wäre mir heute noch furchtbar!“, sagte Hannah, die deutlich Mitleid in ihren blauen, kleinen Augen zeigte. „Ich habe einen Pudel namens Lucy und wenn sie eingeschläfert werden müsste -“ „Weltuntergang“, beendete Noah und reichte mir den Schlauch. „Genau“, nickte Hannah zustimmend. „Aber wenn du Hunde magst, ist das schon einmal eine gute Voraussetzung. Es gibt außerhalb von Berlin, man muss da schon eine Weile hinfahren, einen Bauernhof auf dem auch ein Hundeheim ist. Dort kann man sich anmelden und die Hunde ausführen, sie füttern, mit ihnen spielen, solche Sachen eben. Dafür wird man nicht bezahlt, man hilft den Heimbesitzern einfach freiwillig, aber vorher müssen sie halt schauen, ob du ihnen überhaupt helfen darfst.“ „Aber die sind alle ganz nett, das sollte kein Problem sein“, sagte Noah überzeugt. „Hast du Lust da mal mitzukommen?“ „Wieso nicht.“ Ich zuckte die Schultern. Ich hatte weder große Lust noch große Unlust zu diesem Hundeheim zu fahren. Vielleicht könnte es ganz lustig werden, momentan gingen mir jedoch Fynn und Noah nicht mehr aus dem Kopf. Ich fragte mich, warum Noah diese psychischen Probleme hatte. Vielleicht hatte es etwas mit der Trennung seiner Eltern zu tun... wenn ich mich recht erinnerte, hatte Noah bei dem Einkaufsbummel vor Weihnachten erzählt, dass er seiner Mutter seit Jahren keine Geschenke mehr kaufte. Ob sie ein ähnliches Verhältnis zueinander hatten wie Simon und seine Mutter? Den Rest des Abends verbrachten wir mit Reden und irgendwann lief es auf das Thema Sex hinaus. Hannah erzählte schwärmerisch und gleichzeitig beschämt von einer Nacht in der Dennis ihr fünf Orgasmen beschert hatte. Bei der Zahl stutzte ich und danach war mir die Reaktion etwas peinlich, schließlich hatte ich keine Ahnung von Orgasmen. Aber Noah und Hannah hatten Ahnung. Der Junge sprach darüber als würde es sich um das Wetter handeln, total locker und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen und Hannah wurde immer etwas leiser, wenn sie ein schmutziges Wort benutzte als ob ihr jemand wütend sein könnte, wenn sie es aussprach. Irgendwie fand ich das an ihr beinahe niedlich. Sie war die Unschuld in Person. Aber sie hatte schon Sex gehabt und ich nicht. Ich verschluckte mich am Rauch der Shisha als die Beiden anfingen über ihr erstes Mal zu sprechen. Ich hustete eine Weile und hörte nur halb wie Noah von seinem ersten Mal mit einem Mädchen erzählte. „Es war so bescheuert und peinlich“, sagte er und lachte. „Sie war ne gute Freundin von meiner Schwester und ich bekam einfach keinen hoch, egal was sie gemacht hat. Eigentlich war es nicht wirklich mein erstes Mal gewesen, aber da habe ich schlussendlich gemerkt, dass ich schwul bin. Mein erstes Mal hatte ich dann mit Fynn... das macht die Probleme, die ich momentan mit ihm habe ehrlich gesagt nur noch komplizierter.“ „Mein erstes Mal hatte ich mit meinem Exfreund“, erzählte Hannah und nippte dabei an einer Cola. „Ich hatte Schiss wie sonst was, aber er ist echt sanft mit mir umgegangen. Es war trotzdem ne kurze und miese Beziehung.“ „Wenn du dir nen Kerl mit Drogenproblemen als deinen ersten Freund aussuchst, ist das auch kein Wunder“, lachte Noah und Hannah boxte ihm nicht sanft gegen den Oberarm. Der Junge zuckte heftiger zusammen als ich erwartete und zog die Luft scharf zwischen seinen Zähnen ein. Ich sah, dass Hannah ihn extrem skeptisch anblickte, während er sich mit schmerzerfülltem Gesichtsausdruck vorsichtig über den Oberarm stricht. Dann war der seltsame Moment verflogen, den ich nicht mehr so richtig aus dem Kopf bekam und Hannah wandte sich neugierig mir zu. „Und wie war dein erstes Mal?“ Ich verschluckte mich erneut am Shisha-Rauch, hustete eine Weile mit Tränen in den Augen und breitete dann entschuldigend die Arme aus. „Ehm super?“, begann ich und wurde knallrot. Auf Noahs Lippen schlich sie ein freches Grinsen und er packte mich mit beiden Händen am Arm bevor er sagte: „Lukas, du bist noch Jungfrau!“ „Ich – hm -“ Darüber zu lügen war ziemlich dämlich, deswegen presste ich bloß die Lippen aufeinander und schaute zu, wie Hannah und Noah sich an kicherten als hätten sie einen Hundewelpen vor sich sitzen. „Vergeude dein erstes Mal bloß nicht an irgendwen“, sagte Noah schließlich. „Ja, an keinen drogenabhängigen Idioten mit dem du nach einem Monat wieder Schluss machst und der dann droht sich umzubringen, wenn du nicht wieder mit ihm zusammen kommst“, stimmte Hannah entschieden zu. „Können wir vielleicht über etwas anderes reden?“, fragte ich bedrückt. „Ist es dir peinlich?“, fragte Noah überrascht. „Es ist nicht schlimm mit 17 noch Jungfrau zu sein. Meine Schwester ist auch noch Jungfrau und es ist ihr nicht schlimm.“ „Ich war auch schon 17 als ich entjungfert wurde“, sagte Hannah und das beruhigte mich nun tatsächlich ein wenig. Trotzdem wollte ich nicht weiter darüber sprechen. Es war schon drei Uhr nachts als Hannah sich in ihr Zimmer schlafen legen wollte. Sie bezog das Gästezimmer jedes Mal wenn sie hier war und Noah versuchte mich dazu zu überreden ebenfalls hier zu übernachten, doch ich wollte lieber nach Hause. „Um diese Uhrzeit ist das aber eher gefährlich“, sagte Noah sorgenvoll als ich meine Schuhe anzog. „Mir wird schon nichts passieren.“ „Ich begleite dich noch bis zur Straßenbahn“, entschied Noah und ich konnte ihn nicht dazu überreden es nicht zu tun. Gemeinsam gingen wir den langen Weg herunter und sprachen dabei wieder über Fynn. In Nordrhein-Westfalen hätte ich bei Noah übernachten müssen. Dort wo ich herkam fuhren die Busse und Züge nachts nicht mehr, doch hier in Berlin fuhren an den Wochenenden die Straßenbahnen jede halbe Stunde. Es dauerte also nicht lange bis die Bahn kam und wir uns voneinander verabschiedeten. „Halt mich mit Fynn auf dem Laufenden“, bat ich als ich einstieg und Noah sagte: „Ja, mache ich. Wir sehen uns Montag im Unterricht!“ Als die Tür zuging und sich die Bahn in Bewegung setzte, spürte ich etwas Ungewohntes: Vorfreude auf die Schule. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)