Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Kapitel 10: Kompromisse ----------------------- Stillschweigend saßen sie sich in dem kleinen Café gegenüber. Neben den angeregten Gesprächen um sie herum, wirkte ihre momentane Situation sonderbar. Keiner sagte ein Wort, nur das leise Klingeln des Teelöffels erklang ab und an, wenn dieser gegen das weiße Porzellan der Tasse schlug. Nicht einen Moment ließ Kakashi den Schwarzhaarigen aus den Augen, welcher starr fokussiert den hellbraunen Strudel beobachtete, den er beim Rühren in seinem Tee erzeugte. Es war komisch, bedrückend und doch freute sich ein kleiner Teil des Hatake über die vorherrschende Gegebenheit. „Du wirst die Tasse kaputt machen, wenn du so weiter machst.“ Sofort brach die Bewegung ab und der Löffel wurde fein säuberlich auf der Untertasse drapiert. Genau beobachtete der Polizist, wie sein Gegenüber sich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen ließ und ihn schlussendlich ansah. Die grauen Iriden trafen seine, hielten ihn fest und jagten ihm eine angenehme Wärme durch den Körper. In diesem Moment wirkte alles so normal, aber das war es nicht. Sie befanden sich nicht in Shinjuku, saßen nicht in dem elegant eingerichteten Zimmer und genau deswegen war es komplizierter. Resigniert musste er seufzen. Er wusste nicht wer oder was sich gegen ihn verschworen hatte, aber das hier war nicht seine Welt. Nicht nur das Bankenviertel selbst stellte ihn auf die Probe, sondern auch die zwischenmenschliche Ebene wich von seinem Charakter ab. Umso verwirrender war es, dass Kakashi sich wohl fühlte. Die vielen Menschen um ihn herum und das damit einhergehende Gefühl der Beengtheit. Nichts davon schien den Einzelgänger hier, an diesem Tisch, zu erreichen. Gedankenverloren nahm er den ersten Schluck seines Kaffees. Es war zum Verrücktwerden. Kakashi hatte gewollt, dass der Jüngere Zeit mit ihm verbrachte und nun wo er das erreicht hatte, wusste er nicht wie es weiterging. Der Junge vor ihm war nicht Katsumi, nicht heute. Aber worüber sprach man mit einem Jugendlichen dieses Kalibers? Ein leises Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. „Entspann dich, wenn du so weitermachst, bleibt das noch so.“ Irritiert musterte der Grauhaarige das Gesicht des anderen, ehe dieser die Stirn kraus zog und erklärend gegen die entstandene Falte zwischen seinen Brauen tippte. „Magst du generell keine Kunst oder war es nur die Ausstellung?“, begann der Schwarzhaarige die Konversation. „Naja, ich mag Farben. Schwarz, Weiß. Die Rahmen waren ganz nett.“ Sanft bebte der schmale Brustkorb, als sein Gegenüber verhalten lachte. „Streng genommen sind Schwarz und Weiß keine Farben.“ Ein amüsierter Unterton schwang in dieser Aussage mit und augenblicklich verschwand der letzte Rest der sonderbar wirkenden Atmosphäre. „Wie wäre ein Kompromiss?“ Fragend wurde er angesehen. „Das vorhin war Kunst und dafür werden Schwarz und Weiß in den Kreis der Farben aufgenommen“, kurz rief er sich das letzte Ausstellungsstück in Erinnerung, „Dabei gewinnst du, glaub mir.“ „Sieh mal an, ein harter Geschäftsmann“, wurde er aufgezogen. „Scheint so, als würde dieser Bezirk hier abfärben.“ Kurz wurde es wieder still zwischen ihnen. Aber anders als zu Beginn des Nachmittags, wirkte es dieses Mal nicht komisch. „Kann ich dich was fragen?“ Bestätigend nickte der Polizist. „Du bist nicht aus Chuo und magst keine Kunst.“ „Das war keine Frage“, stellte er nüchtern fest. „Was verschlägt dich hierher?“ Ohne den Blick abzuwenden hob er erneut seine Kaffeetasse. „Mein Chef.“ Ruhig trank er einen Schluck der mittlerweile lauwarmen Flüssigkeit. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, er würde so nahe an der Wahrheit bleiben wie es nur ging. „Allerdings glaube ich, dass ich zu einem Selbstfindungstrip geschickt wurde.“ Kaum merklich zog der Junge seine Stirn in Falten. „Genau das war auch meine erste Reaktion. Aber du solltest das lassen, nachher bleibt das so“, quittierte er das Stirnrunzeln und erntete ein kurzes Lächeln, „Ich glaube, ihm ist einfach nur langweilig.“ Mit einem leisen Klirren schlug seine Tasse auf den kleinen Porzellanteller auf. Das glaubte er wirklich. In all den Jahren, in denen Kakashi nun schon für ihn arbeitete, hatte er immer sein Bestes gegeben, hatte immer Erfolge erzielt und nun das. Pain schloss ihn aus, ließ ihn außen vor in einer Ermittlung, welche gerade in die heiße Phase überging. Jeder Mann wurde gebraucht, da draußen im Dienst, nicht in einem kleinen Café beim Kaffee trinken. „Und das macht dich wütend“, stellte der Schwarzhaarige fest. „Nicht direkt.“ „Dann ist es der Zeitpunkt?“, wurde nachgehakt. „Ja.“ Noch immer sah er in die grauen Augen, es war erstaunlich, aber je länger er dem Blick standhielt, desto wohler fühlte er sich. „Hm“, war die einzige Erwiderung, die er bekam. Deutlich stach der unterschwellige Ton heraus und ließ ihn fragend die Augenbraue heben. „Nun ja“, filigran umschlossen die blassen Finger die kleine Tasse und hoben diese an, „Vielleicht ist deine Sichtweise etwas festgefahren.“ Damit pustete der Junge leicht über seinen Tee, eher er die Lippen ansetzte und trank. „Nein“, antwortete der Grauhaarige. Verstimmt brach der Hatake den Blickkontakt ab und griff nach seiner Tasse, nur um festzustellen, dass sie schon leer war. Er wusste nicht wie und warum, aber scheinbar hatte der andere einen wunden Punkt getroffen. „Hm.“ Wieder dieser Laut, wieder derselbe Tonfall. „Hör auf damit.“ Das belustigte Grinsen, welches ihm entgegen gebracht wurde, half seiner Stimmung kein bisschen. „Tut mir leid“, entschuldigte sich der Jüngere, ohne auch nur einen Moment die Mundwinkel zu senken, „Aber ernsthaft, vielleicht solltest du es nicht ganz so persönlich nehmen.“ Kurz stockte Kakashi. Diese Atmosphäre hier zwischen ihnen kam ihm bekannt vor, fast wie ein Déjà-vu. „Ich wurde beurlaubt. Für mich ist das persönlich.“ „Beurlaubt ist nicht gekündigt. Was ist so schlimm daran, wenn man mal frei hat?“ Freudlos lachte der Polizist auf. „Ich brauche keine Auszeit. Ich bin gut in meinem Job.“ Kaum merklich schürzte der Schwarzhaarige seine Lippen und sah auf die Tischplatte, es war deutlich, dass er etwas sagen wollte, aber der Jüngere hielt sich zurück. Und das wurmte ihn. Der Hatake hatte noch nie sonderlich viel Wert auf die Meinung von anderen gelegt, trotzdem stieg in ihm der Wunsch auf zu hören, was sein Gegenüber ihm zu sagen hatte. „Was?“, fragte er resigniert. „Schon gut.“ Wie in Zeitlupe registrierte er, dass Katsumi der Kellnerin zu verstehen gab, dass sie bitte zahlen würden. „Nein, sag es schon“, forderte der Grauhaarige. „Vergiss es einfach“, scheinbar nebensächlich bezahlte der Schwarzhaarige die Rechnung, wobei er, den leuchtenden Augen der Bedienung zufolge, ein nettes Trinkgeld gab, „Das wäre unhöflich.“ „Wir haben heute beide frei. Du musst nicht nett sein.“ Kurz verweilten die schmalen Hände auf der Geldbörse, ehe der Jüngere tief einatmete und ihn ansah. „Es geht dir nicht um die Arbeit, Kakashi. Sondern darum, was sie dir erlaubt hat und was du nun nicht mehr kannst.“ Nur im Augenwinkel bemerkte der Angesprochene, dass der Kleinere das Portemonnaie wieder verstaute. „Und das wäre? Na los, ich bin neugierig“, hakte er nach. „Bist du sicher, dass du das hören willst?“ Mit einer eleganten Handdrehung gab der Polizist zu verstehen, dass er das wollte. „Du verbiegst deinen eigenen Charakter so lange, bis du das hast was du willst, auch wenn das heißt, dass du dich selber aufgibst.“ „Wie bitte?“ „Du verbietest dir du selbst zu sein, weil du denkst, dass dich dann alles unberührt lässt. Die Arbeit erlaubt es dir dich zu verbiegen. Jetzt hast du allerdings frei und du musst für schrecklich viele Stunden nur du selbst sein. Und ich glaube, dass du selber keine Ahnung hast, was dich erwartet.“ Noch immer saß er da, ungläubig und darauf bedacht sein Gesicht zu wahren. „Du kennst mich nicht.“ „Ich bin auch gut in meinen Job, Kakashi.“ Für den Grauhaarigen war die Begründung unzulänglich. Katsumi und er unterschieden sich von Grund auf. Sein Milieu war das Analysieren und Auswerten, der Schwarzhaarige hingegen musste – freudlos lachte er auf – nett sein. Aber nichtsdestotrotz war es seltsam. Er kannte diese Person vor sich kaum, hatte nie wirklich Persönliches besprochen und doch war er Opfer seiner Berufung geworden. „Das ist …“, fassungslos blinzelte der Polizist dem Jungen entgegen, „... dreist.“ „Es ist dreist von dir, dass du nur den sexuellen Aspekt in meiner Arbeit berücksichtigst.“ Nur dieser eine Satz reichte aus, um die Rollen zu vertauschen und Kakashi als den Bösen darzustellen. Bei nüchterner Betrachtung war das beunruhigend. Katsumi war gut. Der Jüngere besaß eine Raffinesse mit so vielen Facetten, wie er sie bis jetzt bei nur einer Person erlebt hatte. Und das machte es wirklich spannend. Kakashi wollte wissen wie weit dieses Muster übereinstimmte. „Was denkst du denn, was mich erwartet?“ „Magst du Straßenfeste? Der Bezirk Chuo wirkt zwar steif, aber das Fest lohnt sich.“ Das warme Lächeln ließ ihn kurz vergessen, was seine eigentliche Intention war. Ob der andere ihm auswich oder einfach nur mehr Informationen über ihn sammeln wollte, wusste er nicht, jedoch war der Hatake nun vollends interessiert. Lässig lehnte er sich zurück und taktierte sein Gegenüber. „Was hältst du von einem weiteren Kompromiss?“ Nun war es an ihm zu lächeln. „Ich gebe dem Fest eine Chance, wenn du es schaffst mich davon zu überzeugen, dass ich wirklich dreist war.“ Für einen kurzen Augenblick glaubte der Polizist zu weit gegangen zu sein und dann registrierte er endlich das belustigte Funkeln in dem grauen Augenpaar. „Angenommen ich lasse mich darauf ein, was hältst du von einer Präzisierung? Falls du wirklich erkennst, dass du unhöflich warst, gehst wir zusammen zum Fest und du wirst dich nicht einmal beschweren, während wir da sind.“ Das Lächeln des Älteren verzog sich zu einem Grinsen. Ihm gefiel die Verhandlungsart des Jüngeren. „Abgemacht. Aber wenn du es nicht schaffst, ersetzen wir das Fest durch ein Essen“, flüchtig wanderte sein Blick zu dem unberührten Keks auf dem Unterteller des Jüngeren, „Irgendetwas Süßes. Und du wirst es essen ohne dich zu beschweren.“ „Abgemacht.“ Langsam schweifte sein Blick über die verschiedenen Gäste im Raum. Jeden einzelnen musterte der Polizist genau, bevor er sich entschied. Er würde es dem Schwarzhaarigen nicht einfach machen, dafür hasste er Feste viel zu sehr. „Am Fenster. Die Brünette mit den längeren Haaren. Wie ist deine Meinung über sie?“ „Das ist alles?“ Mit einer fließenden Handbewegung deutete Kakashi auf die junge Frau. „Ja, ein einfaches, emotionales Profil.“ Nach kurzem Zögern richtete sich der Blick des Schwarzhaarigen zu der Fensterfront. Kurz war es still zwischen den Beiden, während jeder für sich die Brünette musterte. „Ihre Gesten sind zu gestellt und an ihrem linken Ringfinger ist eine weiße Stelle.“ Kurz sah Kakashi in die feste Mimik des Jungen, ehe sein Blick zurückglitt. „Ihr Make-Up ist für den Tag etwas zu dick aufgetragen, besonders für diesen Stadtteil. Entweder kommt sie ursprünglich aus Shinjuku oder sie versucht ihre Augenringe zu überdecken“, fuhr sein Gegenüber fort, „Ich denke es ist letzteres, für Shinjuku trägt sie die Seidenbluse mit zu viel Selbstverständlichkeit. Die Frau scheint hier aufgewachsen zu sein.“ Es stimmte. Jeder Punkt, den er aufgelistet hatte, war da. Der Jüngere hatte genau das getan, was der Polizist wollte, genauso wie er es selbst getan hatte und dabei war er verdammt schnell gewesen. Alles was jetzt noch fehlte war der schwierige Teil, das sogenannte Fazit. „Sie hat vor kurzem ihre Verlobung gelöst. Wahrscheinlich war sie von dem Mann abhängig und steht jetzt vor dem Nichts. Allerdings lässt sie sich nichts anmerken, weil sie nicht will, dass die Leute reden.“ Schwungvoll löste der Jüngere seine Aufmerksamkeit von der Frau und sah ihn an. „Das war ... schnell“, quittierte der Hatake die Ausführung seines Gegenübers. „Oh ja, besonders, weil sie angezogen ist.“ Der Seitenhieb saß. Kakashi hatte tatsächlich verloren. „Es tut mir leid, ich war vorhin zu engstirnig und habe mich von Klischees beeinflussen lassen.“ „Schon in Ordnung“, wehrte der Schwarzhaarige ab und stand auf, um sich seine Jacke überzustreifen. Es entging dem Polizist nicht, dass die Gespräche leiser wurden und unangenehm viel Aufmerksamkeit auf dem Jungen lag. Dieser schien sich daran jedoch nicht zu stören. „Kommst du, Kakashi?“ Verwirrt musterte der Grauhaarige ihn. „Wohin?“, fragte er verdutzt. „Du bist auch nicht von hier und das Straßenfest ist erst um sieben, nicht dass du dich davor drückst, weil du verloren gehst.“ Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr zeigte Kakashi, dass es erst sechzehn Uhr war. In der Tat hatten sie noch Zeit. Jedoch verwunderte es ihn, dass der Junge ihn mitnehmen wollte. „Du tust es schon wieder, Kakashi.“ Sofort entspannte der Grauhaarige seine Gesichtsmuskulatur und stand auf. Geduldig wartete sein Gegenüber, bis er sich seine Jacke übergezogen hatte und bereit war das Café zu verlassen. Sie schlängelten sich dicht hintereinander an den gut besetzten Tischen vorbei. Er war ein Mann der Strukturen mochte, Pläne und geregelte Abläufe und jetzt wusste Kakashi nicht, was ihn in den nächsten drei Stunden erwarten würde. Aber hier, nur wenige Millimeter vom Rücken des Jüngeren entfernt, störte ihn dieser Umstand ganz und gar nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)