Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Kapitel 11: Normalität ---------------------- Gemächlich liefen sie nebeneinander her. Die breite Hauptstraße des Bezirks war schon für das Fest gesperrt und hier und da begannen einzelne Standbesitzer allmählich ihre Angebote aufzubauen. Es war ein komisches Gefühl. Besonders wenn Kakashi daran dachte, dass es noch vor wenigen Stunden für Pain ein kleiner Kampf gewesen durch das Straßengewusel zu kommen. Aber je länger er mit dem Schwarzhaarigen durch die Einkaufsmeile schlenderte, desto mehr rückten seine Gedanken an die Arbeit in die Ferne. Ein wirklich seltsamer Umstand. Natürlich neben der Tatsache, dass er am helllichten Tag mit Katsumi durch Chuo bummelte. Teilnahmslos strich sein Blick über die unzähligen Schaufenster, nur um kurz darauf fassungslos das Gesicht zu verziehen. Das war doch hoffentlich ein Scherz. Es konnte doch nicht wirklich Menschen geben, die für einen einfachen Mantel so viel bezahlten, wie er für zwei Monatsmieten. „Möchtest du rein?“, wurde Kakashi aus seinen Gedanken gerissen und registrierte erst jetzt, dass er stehen geblieben war. Der Schwarzhaarige an seiner Seite lächelte ihm sanft entgegen und deutete mit einer kurzen Geste auf das Burberry über den Eingang. Stillschweigend sah er noch einmal durch das Schaufenster. Eins musste er zugeben, so einfach das Kleidungsstück auch war, es sah gut aus. Der Preis war allerdings mehr als nur Wucher und lag eindeutig über seinen Mitteln. Aber der Grauhaarige kam gar nicht mehr dazu zu verneinen. Bestimmend wurde er am Arm gepackt und mitgezogen. Die Geräusche der Straße verstummten abrupt, als die massive Glastür einrastete und sie im Inneren willkommen hieß. Kaum merklich straffte der Polizist seine Schultern. Noch nie hatte er sich an einem Ort so deplatziert gefühlt wie hier. Nicht nur das Ambiente, auch der Geruch in dem lichtdurchfluteten Geschäft wirkte teuer. Kakashi wollte hier raus. „Guten Tag, kann ich Ihnen weiter helfen?“ Augenblicklich versteifte er sich, setzte wiederholt zu einer Verneinung an, doch auch diese wurde im Keim erstickt. „Der Mantel aus dem Schaufenster bitte.“ Was darauf folgte, ignorierte der Polizist. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, während die adrett gekleidete Frau ihn flüchtig musterte, um kurz darauf in den hinteren Verkaufsbereich zu verschwinden. Kakashi musste hier wirklich raus und zwar schnell. Er wusste nicht genau, was für ein Bild er bei dem Schwarzhaarigen hinterlassen hatte, was dieser dachte, wie es um seine Finanzen bestimmt war, aber alles hier in diesem Laden sprengte seine Preiskategorie um Längen. Ganz besonders dieser Mantel. Still verfluchte er Pain für seine idiotische Aktion ihn hierher gebracht zu haben. Zwar war es nicht die Schuld seines Vorgesetzten, dass er nun in diesem Geschäft stand, aber hätte er Kakashi einfach weiter mit Itachi an dem Bauplan arbeiten lassen, wäre er jetzt nicht in dieser Bredouille. Äußerlich gelassen taktierte er die Verkäuferin, als diese wieder zu ihnen trat und ihm mit einem professionellen Lächeln den Mandel reichte. Stillschweigend tauschte er seine Jacke gegen das weiche Kleidungsstück, ignorierte schwerfällig den verzückten Ausruf der Verkäuferin, als sich der teure Stoff perfekt um seine Konturen schmiegte. Wirklich perfekt. Trotzdem konnte der Polizist sich nicht auf das Tragegefühl konzentrieren. Bemüht gleichmäßig hob und senkte sich sein Brustkorb. Geld war nicht alles, davon war er mehr als nur überzeugt. Aber seine Einstellung würde ihm hier nichts nutzen. Wie sollte er Katsumi erklären, dass er genügend Geld hatte um in das Himitsu zu kommen, es sich jedoch nicht leisten konnte hier einzukaufen? „Ich weiß nicht.“ Die Stimme des Jüngeren war angenehm, war es immer schon gewesen, aber jetzt wo die Distanz zwischen ihnen so gering war, schlug sie noch intensiver auf ihn ein. Mit jeder Silbe spürte er, wie seine Sorgen kleiner wurden. Es waren nicht die Worte. Auf unerklärliche Weise beruhigte ihn die pure Stimmfarbe. Eine angenehme Gänsehaut stieg in ihm auf, als Katsumi sanft den Revers umfasste und prüfend darüber strich. Der Schwarzhaarige war ihm nahe. Deutlich konnte er die Wärme der Finger spüren, als diese scheinbar zufällig die freie Hautpartie seines Schlüsselbeins berührten. Beruhigend, fast schon entschuldigend. „Nein.“ Federleicht streiften die schmalen Finger vom Kragen zu den Knöpfen, ohne den Kontakt zu lösen. Der Hatake war unfähig etwas zu erwidern, hoffte nur inständig, dass seine unbeteiligte Fassade weiter hielt. Denn ihm wurde warm. Mit jedem Knopf, den der Grauäugige öffnete, mit jedem Millimeter, den sich seine Finger unter den Mantel schlichen, um ihm diesen von seinen Schultern zu streifen, wurde ihm wärmer. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er zu erkennen, wie Katsumi lautlos die Worte >Gott sei Dank< formte. Sicher war er sich jedoch nicht, vielleicht schlug ihm seine Wahrnehmung auch einfach nur ein Schnippchen. „Nein“, wiederholte sein Gegenüber flüsternd, „Kein Verkleiden.“ Damit verschwand das Kleidungsstück von seinem Körper und der Schwarzhaarige trat zurück. Kakashi nutzte den Moment, in dem sich seine Begleitung der Verkäuferin zuwandte, um sich selbst zu sammeln. Schwerfällig unterdrückte er den Impuls sich seine schwitzenden Handflächen an seiner dunklen Jeans abzuwischen. Was war nur los mit ihm? Kein Verkleiden. Was hatte das zu bedeuten? War sein innerer Disput so offensichtlich gewesen? Aus dem Augenwinkel betrachtete er die Verkäuferin. Es schien sie zu wundern, dass der Mantel nicht in seinen Besitz überzugehen schien. Also bezweifelte der Polizist, dass die Frau etwas bemerkt hatte. Katsumi hatte im Café bewiesen, dass er eine fast schon unheimliche Fähigkeit hatte Menschen zu analysieren. Aber Kakashi war kein Anfänger. Er verdiente sein Geld damit, anderen Menschen etwas vorzuspielen. Der Hatake war immer jemand anderes, bei jedem Einsatz. Von Banker, über Künstler, bis hin zum reichen Selfmade-Millionär – alles war dabei gewesen. Er verkaufte eine Rolle, jedes Mal wenn Kakashi seinem Job nachging. Kurz stutzte er. Im Grunde genommen war er keinen Deut besser als all die Nut-, nein! Kakashi weigerte sich selbst diesen Gedanken zu Ende zu führen, als sein Blick auf den Jüngeren fiel, der sich immer noch mit der Verkäuferin auseinandersetzte. Katsumi war anders und er weigerte sich aus tiefstem Herzen, diesen abfälligen Begriff bei ihm zu gebrauchen. Der Schwarzhaarige hatte es nicht verdient in diese Schublade gesteckt zu werden. „Ich hätte dich ausreden lassen sollen“, wurde er wieder ins Hier und Jetzt befördert. Kakashi stand allein mit dem Grauäugigen im vorderen Verkaufsbereich, von der Frau keine Spur. Dankend nahm er seine Jacke entgegen. „Lass uns einfach gehen.“ Ohne Umschweife ging der Hatake zum Ausgang und kaum hatten sie die Tür passiert, fühlte er sich deutlich wohler. „Entschuldige.“ Reuevoll blickten die grauen Iriden ihm entgegen. „Schon in Ordnung. Ich mag solche Geschäfte nur nicht. “ Und das war nicht einmal gelogen. Fernab von der Tatsache, dass er sich höchstens einen Schal in dem Laden hätte leisten können, war Kakashi kein Markenmensch. „Ich eigentlich auch nicht“, seufzte der Schwarzhaarige, „Ich meine, Qualität ist schön und gut, aber für einen Markennamen? Hast du den Preis gesehen? Davon könnte man einen ganzen Monat leben.“ Kakashi Gesichtszüge entglitten ihm, das spürte er. Ob es mehr an der Tatsache lag, dass ihn Katsumis Einstellung überraschte oder der Schwarzhaarige ihn trotz dieser Einstellung da reingeschleift hatte, war jetzt die große Frage. Und anstelle, dass der Jüngere ansetzte sich zu erklären, lachte er nur vergnügt auf. „Na los, lass uns weitergehen. Und keine überteuerte Mode mehr, versprochen.“ ~ Der Schwarzhaarige war eine sehr angenehme Begleitung. Nicht zuletzt, weil er Wort gehalten hatte und sie sich bei Kleidung auf die Schaufenster beschränkten. Der Jüngere ließ dem entspannten Schweigen zwischen ihnen Raum. Nur ab und an brach er das Schweigen, um über die Angebote im Schaufenster zu plaudern. Es waren oft nur wenige Worte und doch konnte der Hatake sich ein immer besseres Bild von dem Jungen neben sich machen. Katsumi war kein typischer Konsument. Er interessierte sich nicht für die überteuerte Kleidung der zahlreichen Luxusmarken, hatte sogar angemerkt, dass es ihm unverständlich war, warum man für einen Namen auf dem Etikett so viel bezahlte. Was den Jüngeren aber wirklich zu interessieren schien, das waren Bücher. Aus dem Augenwinkel erhaschte Kakashi oft, wie der Blick des Jüngeren an der Literatur der Buchhandlungen hängen blieb. Keine Elektronik, keine Markenkleidung, sondern einfach nur Bücher. Er hatte eher mit einem verwöhnten Jungen gerechnet, der seinen Berufsstatus in sein Privatleben übertrug. Jemanden, der es laut mochte, bunt und luxuriös. Der Hatake war sich sogar sicher gewesen. Zumal er davon überzeugt war, dass Katsumi weit mehr als nur einen Hungerlohn bekam. Unweigerlich kam ihn die Szene mit Madara in den Sinn. Wie dieser widerliche Bastard es tatsächlich gewagt hatte anzügliche Anspielungen zu machen. Was ihm jedoch wirklich die Galle in die Kehle trieb war der Kuss. Es war dunkel gewesen und die spärliche Beleuchtung hatte nur etwas mehr als Schemen erkennen lassen. Trotzdem bestand kein Zweifel. Sie hatten sich geküsst. Nein! Katsumi hatte Madara geküsst. Ein Bild, welches er auch jetzt – knapp zwei Monate später – nicht aus seinem Kopf bekam. Es war irrelevant, aus welchen Grund der Grauäugige das getan hatte, aber... Verdammt, es wurmte ihn wirklich. Diese Ungewissheit, was genau zwischen den beiden lief. Der daraufhin resignierte Seufzer seinerseits endete in einem Laut der Verblüffung, als der Ellenbogen des Jüngeren ihn traf. „Keine Arbeit, Kakashi“, wurde er mit einem milden Lächeln ermahnt. Es war immer noch seltsam, mit dem sogenannten Goldstück des Himitsu durch die Straßen zu laufen, aber je länger er ihn beobachtete, desto deutlicher wurde dem Hatake, dass es ihm Spaß machte. Es war schon eine Ewigkeit her, dass er einfach nur einen gemütlichen Schaufensterbummel gemacht hatte. Damals war er mit Itachi unterwegs gewesen, kurz vor ihrer Abschlussprüfung. Zwischen ihnen hatte auch ein angenehmes Schweigen geherrscht. Eine Gemeinsamkeit, welche Kakashi sanft seine Mundwinkel heben ließ. Ein Lächeln, das zu einem Schmunzeln wurde, als Katsumi immer langsamer wurde und schlussendlich stehen blieb. Interessiert fokussierte der Schwarzhaarige ein ziemlich alt wirkendes Buch im Schaufenster. So gebannt, dass dessen Nasenspitze beinahe das kühle Glas berührte. Es war wunderbar, riss ihn selbst ein Stück weit mit. Ohne groß nachzudenken tippte er seiner Begleitung auf die Schulter und deutete an, ihm in das Innere zu folgen. Kurz kündete die Glocke über dem Eingang ihre Ankunft an. Es war ein kleiner Laden, keiner von diesen großen Ketten, die mit modernem Ambiente die Kunden lockten. Die Regale waren schon etwas abgenutzt, aber genau das war es, was dem Ganzen einen gewissen Charme verlieh. Ebenso wie die kleinen Bücherstapel, die hier und da verteilt lagen. Genau einer dieser Stapel wurde nun auf dem schmalen Kassentresen abgestellt und gab den Blick auf den wahrscheinlichen Eigentümer frei. Er war schon etwas in die Jahre gekommen und die feinen Lachfältchen um seine Augen verliehen ihm eine freundliche Ausstrahlung. Trotzdem ließ ihm sein zerzaustes, weißes Haar kauzig wirken. Eine wirklich seltsame Mischung. „Schön, dass du mal wieder vorbei schaust, mein Junge. Und wie ich sehe, bist du sogar in Begleitung.“ Kurz blinzelte Kakashi, eher er seinen Blick von Katsumi zu dem alten Mann schweifen ließ. Anscheinend kannten sie sich. „Eigentlich wollte ich schon viel früher reinschauen, aber du weißt ja wie das ist, Jiraiya“ „Wohl wahr.“ Zusätzlich zu seiner Zustimmung verzog der Langhaarige resigniert das Gesicht. Der Hatake hielt sich zurück, ging sogar etwas auf Abstand, um den beiden mehr Raum zu geben. Geduldig ging er die hohen Regale ab, sah sich die unterschiedlichen Buchrücken genau an, ohne seine Aufmerksamkeit ganz der Konversation abzuwenden. Sie unterhielten sich zum größten Teil über einen sogenannten Naruto. Dieser schien bei dem alten Mann zu wohnen und einige Probleme in der Schule gehabt zu haben. Die ganze Szenerie wirkte so unheimlich normal und als zur Sprache kam, dass ihre gemeinsamen Lernnachmittage etwas gebracht hatten, konnte er spüren, wie sich Erleichterung in ihm breit machte. Also war dem Schwarzhaarigen die Schulbildung nicht fremd. Im Gegenteil. So wie Jiraiya von ihm schwärmte, schien der Jüngere ein kleines Genie zu sein. Sofort gingen dem Polizisten unheimlich viele Fragen durch den Kopf. Ging Katsumi wirklich zur Schule oder hatte er einen Privatlehrer? Waren er und dieser Naruto Freunde? Und wenn ja, wusste er dann von dem Gewerbe, dem der Grauäugige nachging? Fragen über Fragen. Und keine davon stellte er. Zu sehr mochte er das lockere Geplauder, in dem er selbst kein Stück involviert war. Das typische Geräusch einer aufspringenden Kasse lenkte sein Augenmerk wieder zu den beiden. Katsumi war gerade dabei sein Wechselgeld einzupacken und eine kleine Tüte entgegenzunehmen. Der Hatake hatte gar nicht mitbekommen, dass Katsumi sich für ein Buch entschieden hatte, doch der leere Platz im Schaufenster ließ ihn nicht lange im Unklaren darüber, um welche Errungenschaft es sich dabei handelte. Zumal die Freude sich deutlich auf den feinen Gesichtszügen abbildete. So frei, dass er sich selbst dafür erwärmte. Die Verabschiedung fiel kurz aus und während der Schwarzhaarige ein paar freundliche Worte übrig hatte, beschränkte er sich auf ein kurzes Kopfnicken, ehe die kühle Außenluft ihn dazu brachte seine Hände in den Jackentaschen zu vergraben. „Und was machen wir jetzt?“ „Jetzt gehen wir auf das Fest.“ Kakashi hasste diese organisierten Versammlungen von Vergnügungen, aber das spitzbübische Grinsen des Jüngeren lenkte ihn davon ab. Schon komisch, dass er sich noch vor einigen Stunden gefragt hatte, wie er mit dem 17-Jährigen umgehen sollte. Seine Gedanken hatten sich um nichts anderes gedreht. Dabei war es herrlich unkompliziert. Keine Strategien, kein Vorausplanen, einfach nur die Dinge auf sich zukommen lassen. Still notierte der Polizist sich diese Methode öfter anzuwenden, denn es fühlte sich gut an nicht zwanghaft die Kontrolle haben zu müssen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)