Mitbewohner wider Willen von Kyo-chi ================================================================================ Kapitel 2: Dem Wahnsinn so nah ------------------------------ Zu meinem Erstaunen überlebte ich den ersten Tag in meinem Zuhause auf Zeit. Und auch der zweite Tag, der vor wenigen Stunden angebrochen war, begann nicht so schlecht, wie ich es mir in der vorangegangenen Nacht in meinen Träumen ausgemalt hatte. Denn zu meinem Glück standen heute Proben an und bot somit genug Ablenkung, um nicht pausenlos an Kyo zu denken oder mir gar den Kopf über irgendwelche Überlebensstrategien zu zerbrechen. Auch dies hatte ich die ganze Nacht getan. Viel Sinnvolles war jedoch nicht zustande gekommen. Lediglich Dinge wie „Zügel deine Hormone“ oder „Versuche Kyo nicht unnötig anzusehen, anzufassen oder gar zu riechen“ versuchten mein Überleben zu sichern. Nicht gerade die besten Pläne, um zwei Wochen mit der Person zu leben, die einem alles bedeutete und die man in jeder Sekunde dieser schier endlosen Zeit am liebsten an sich reißen wollte. Ja, meine Vernunft war bereits jetzt verschwunden. So als hätte man einen Schalter in meinem Kopf umgelegt oder einen Knopf gedrückt, auf dem in fett markierten Buchstaben Vernunft stand. Und man hatte sie nicht eingeschaltet. Innerlich seufzte ich auf, versuchte nun wirklich diese irrsinnigen Gedanken zu verbannen. Ich musste meine Gitarre stimmen und mich etwas einspielen. Kaoru besaß Ohren wie ein Luchs und seine Augen waren die eines Adlers. Er bemerkte alles, jeden noch so kleinen Fehler und wenn ich mich weiterhin auf Kyo konzentrierte, der gerade vor mir stand und sich einsang, war es nicht dieser, der mich umbrachte, sondern unser Leader. Aber auch Kyo trug nicht gerade dazu bei, dass sich mein Tod hinauszögerte. Wie konnte er nur immer diese heißen Jeans anziehen, die seine schlanken, langen Beine aufreizend umschlossen und den prallen Hintern so umschmeichelten, dass er nur noch heißer und anziehender auf mich wirkte? Und warum schaffte ich es einfach nicht mich loszureißen? Kaoru würde mich umbringen. Oder erlitt ich vorher durch Kyo's Anwesenheit einen Herzinfarkt? Ich musste diese irrwitzigen Fantasien loswerden. Unwirsch fuhr ich mir durch meine roten Strähnen, stellte meine Liebste vorsichtig ab, die ich bis jetzt in meinen Händen hielt, und verließ die kleine Bühne, rauschte einfach an den anderen vorbei. „Ich bin kurz an der frischen Luft.“ Mit diesen Worten verließ ich den Proberaum und auch das Gebäude, in dem sich dieser befand. Ich brauchte Sauerstoff, frische Luft und nicht diese stickige Wolke, die sich dank des Zigarettenkonsums im Proberaum ausgebreitet hatte. Wahrscheinlich war diese auch daran schuld, dass meine Fantasie in meinem Hirn aufblühte. Sie benebelte mir die Sinne. Erschöpft seufzend ließ ich mich gegen die Hauswand sinken, rutschte zu Boden, so dass ich hockte. Meine Augen schlossen sich und ich rieb mir fest die Schläfen, da mein Hirn begann gegen meine Schädeldecke zu hämmern. Den gestrigen, kurzen Tag hatte ich überstanden und auch der heutige war schon zur Hälfte geschafft. Dennoch waren es noch immer gut zwei Wochen, die ich mit Kyo verbringen musste. Ob ich wollte oder nicht. Warum hatte ich nicht bei Kaoru wohnen können, bei Shinya oder Toshiya? Jeder wäre mir recht gewesen. Selbst Miyu's Hundekörbchen wäre willkommener als Kyo's Wohnung. „Kaoru… warum tust du mir das nur an?“, wisperte ich heiser und ich schluckte den Kloß herunter, der sich in meiner Kehle breit machte. Wollte mich Kaoru quälen, mich Stück für Stück in den Wahnsinn treiben? Aber warum? Was hatte ich ihm getan, dass er mir so etwas antat? In meinem Kopf ratterte es regelrecht, doch mir fiel nichts ein, was ich ihm getan haben könnte. Hilflos öffnete ich meine Augen und starrte auf meine Schuhe. Sollte ich ihn fragen? Aber würde er mir eine Antwort geben? Eine, die der Wahrheit entsprach und mich zufrieden stellte? Auf einen Versuch kam es an, oder nicht? Ich nickte zu mir selbst, erhob mich schwerfällig und ging langsam wieder zurück zu meinen Freunden, deren Blicke sofort auf mir ruhten, nachdem ich den Proberaum betrat. „Mir geht es gut, keine Sorge“, winkte ich ab, da ich spürte, dass die anderen wissen wollten, was passiert war, ob ich mich vielleicht unwohl fühlte. Doch nun schwiegen sie, widmeten sich wieder ihren Instrumenten. Nur Kyo blickte weiterhin zu mir, musterte mich besorgt und gleichzeitig traurig. Warum sah er mich so an? Ich verstand es nicht. Er brauchte sich wirklich keine Sorgen machen. Irgendwie überlebte ich diese zwei Wochen schon und danach wurde alles wieder so wie zuvor. Aber wollte ich das? Wollte ich wieder zurück in den alten Trott, zurück zu der Freundschaft, die keine mehr war? Jetzt bot sich mir ich die Möglichkeit etwas zu ändern. Ich musste Kyo ja nicht meine Gefühle gestehen, aber ich hatte die Chance herauszufinden, was passiert war, was sich zwischen uns verändert hatte. Und vielleicht brachte ich so Kyo's Lachen zurück. So sehr ich mich auch nach ihm verzehrte, wenn ich ihn nicht bekam, war das okay. Der Kleine sollte einfach nur wieder glücklich sein und ich wollte ihm der beste Freund sein, der ich scheinbar nicht mehr war. Ich fasste einen Entschluss. Sollte kommen, was wollte. Irgendwie knackte ich Kyo's Schneckenhaus und drang zu ihm vor, damit ich ihm helfen und unsere Freundschaft, die langsam aber sicher den Bach herunterging, retten konnte. Jedoch war dies einfacher gesagt als getan. Die darauffolgenden Stunden probten wir ohne Unterlass und mir bot sich nicht einmal die Möglichkeit auf Kaoru, geschweige denn Kyo zuzugehen. Unser Leader wirkte gestresst, fast schon hektisch, da er bereits jetzt in den Planungen für unsere bevorstehende Tour steckte. Jedes Mal, wenn ich ihm ein Gespräch ans Bein binden wollte, es zumindest versuchte, winkte er ab, wies mich teilweise harsch in meine Schranken, damit ich ihn nicht störte. Einerseits verstand ich ihn, andererseits verärgerte es mich, dass er mich, einen seiner engsten Freunde, so behandelte und sich nicht anhören wollte, was ich zu sagen hatte. Und auch Kyo kapselte sich regelrecht ab, saß nur gedankenverloren auf der Couch, wenn wir eine kurze Pause einlegten und starrte schweigend vor sich hin. Ich wusste, dass ich ihn in derartigen Momenten nicht stören durfte. Er befand sich in einer Art Trance, war viel zu tief in seiner eigenen Welt versunken, als dass er überhaupt auf mich reagierte. Ich akzeptierte dies, auch wenn es mir nicht leicht fiel. Aber so machte ich mir endlich mal keine unnützen Gedanken und auch die angestaute Wut auf Kaoru's Abweisung sorgte dafür, dass ich mit mir selbst und meinen heimlichen Mordplänen für eben jenen beschäftigt war. Nach einigen Stunden neigten sich die Proben dem Ende und wir packten unsere Instrumente ein und richteten alles so her, dass wir beim nächsten Mal gleich loslegen konnten. Kaoru fegte derweil schon wieder hektisch durch die Gegend, suchte alle möglichen Papiere zusammen und verließ nach wenigen Minuten hastig und mit seiner Gitarre unter dem Arm als Erster den Raum. Kaoru, das Arbeitstier. Ich wusste, dass er ohne den Stress einging, aber unser Leader sollte wirklich mal eine Pause einlegen, sonst war er es, der einen Herzinfarkt erlitt und nicht ich. Ein Grinsen breitete sich auf meinen Zügen aus und zum ersten Mal in den letzten Stunden spürte ich ein freudiges, angenehmes Gefühl in mir. Es war nichts Neues, dass ich oft vor mich hin grinste, aber gerade jetzt war mir eigentlich nicht danach zu Mute. Und so schnell das Grinsen gekommen war, verschwand es auch wieder, als ich daran dachte, dass ich nun wieder mit Kyo in dessen Wohnung zurückkehrte. Mein Blick wanderte zu unserem Sänger, der bereits auf mich wartend an der Tür stand. Jedoch sagte er nichts, blickte nur still zu mir und nahm es einfach so hin, dass ich träumte und partout nicht aus dem Knick kam. Auch wenn es nichts Besonderes war, erhellte es mein Herz und ich packte fast ein wenig hastig meine Gitarre ein, schulterte sie und ging schnellen Schrittes zu Kyo. „Tut mir leid“, entschuldigte ich mich mit einem lieben Grinsen auf den Lippen, doch Kyo schüttelte nur den Kopf und öffnete die Tür. Eine Reaktion, die ich mittlerweile gewohnt war. Sie bedeutete nichts Schlechtes, sondern einfach nur, dass es ihn nicht störte und ich mich nicht entschuldigen brauchte. Wenigstens das hatte sich nicht geändert. Wir verabschiedeten uns von den beiden Jüngsten, bevor wir uns auf den Weg zu Kyo machten. Es war mittlerweile früher Abend und ich wusste, dass der Tag somit gelaufen war. Kyo zog sich auf seine Couch und in seine eigene Welt zurück und ich wohnte dem schweigend bei. Nicht das, was ich mir insgeheim wünschte, aber noch akzeptierte ich es. Es war allemal besser, als mehr Zeit miteinander zu verbringen und nicht zu wissen, wie ich mich verhalten sollte. Morgen aber. Morgen sprach ich ihn ganz sicher auf unsere Freundschaft an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)