How to be ... von Sherlockfreak ================================================================================ Kapitel 6: COMFORTING --------------------- “The antidote for fifty enemies is one friend.” ~Aristoteles   Den nächsten Tag verbrachten Jaina und John damit, einen halben Umzug zu organisieren. Auch, wenn es Cathy übertrieben fand, war die Mathedozentin der Meinung – und John, sowie Sherlock, teilten diese – dass es in der Wohnung inzwischen zu unsicher sei. Also wurde das ganze wichtige mitgenommen, die Ordner mit den Akten, Kleidung und die Lieblingssüßigkeiten der beiden jungen Frauen waren die erste Ladung gewesen. Während der ganzen Zeit fragte Jaina John aus, Sachen über seine Vergangenheit, seine Zukunftspläne – wobei sie sich da etwas komisch fühlte, der Mann war 40 und hatte wahrscheinlich schon die Hälfte seines Lebens herum, so viel an Zukunft war da nicht mehr übrig – und seine Hobbys. Irgendwann kamen sie auch auf das jeweils andere Geschlecht zu sprechen und John fand, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt war, Sarah zu erwähnen.   „Also, John, du bist nicht fest liiert, oder?“, fragte Jaina freundlich nach.   „Nein“, antwortete er ehrlich. „Aber ich habe eine Freundin“, schob er gleich nach. Nur, um Unklarheiten zu beseitigen, die schon ewig da waren. Fast entschuldigend schaute er Jaina an, während er eine Tasche voller Klamotten ins Taxi lud. Diese lächelte aber fröhlich.   „Sehr gut.“ Zufrieden schaute sie ihn an. „Weil ich finde es schwierig, wenn Cathy in einer Wohnung wohnt, in der zwei Single-Männer leben.“ Sie hievte ein paar schwere Ordner in den Kofferraum und fühlte sich ein bisschen übernommen.   „Entschuldigung, aber Jaina – soviel ich weiß, bist du doch auch Single?“   „Schon, aber ich habe ein Date heute. Obwohl ich nicht weiß, ob ich wirklich hingehen soll. Ich lasse Cathy ungern alleine.“   „Also, so wie ich sie kenne, wird sie uns auf Arbeit scheuchen und dich danach zu deinem Date. Sie hasst es, Leute zu behindern“, versicherte John und hielt Jaina die Taxitüre auf, sodass sie einsteigen konnte,nachdem sie die Wohnung abgesperrt hatte. Das hier war die letzte Ladung gewesen, danach hieß es dann, in der 221b Baker Street auf- und einräumen. Und dann, im Taxi, „Du hast Dates?!“   „Klar, wieso schaust du so ungläubig?“ Leise lachte Jaina.   „Keine Ahnung, ich dachte, du tickst ähnlich wie Sherlock“, gab John peinlich berührt zu.   „Nein, leider nicht“, meinte Jaina nach kurzem Überlegen. „Ich hab‘ nur weniger Gelegenheit, überhaupt ein Treffen zu organisieren. Aber das heißt nicht, dass ich dem abgeneigt bin.“   „Hmm, das ist ein Argument“, gab John grinsend zu und lehnte sich zurück.   „Und, wer ist deine Freundin?“, fragte Jaina dann vollkommen unaufdringlich nach. Natürlich wollte sie alles wissen, die kam bestimmt dann auch mal vorbei und vielleicht wäre es besser, wenn sich dann sie und Cathy irgendwo versteckten, bevor diese Fremde auch noch die zwei hübschen Doktorinnen sehen musste.   „Sie heißt Sarah und ist Ärztin, so wie ich.“ Verträumt schaute John aus dem Fenster und dachte an die blonde Frau mit den sprühenden blauen Augen, die ihn immer wieder zum Lachen brachte und auf ihre erwachsene Weise so schön war. Natürlich war sie ganz anders als seine beiden neuen Mitbewohnerinnen, aber das machte es wahrscheinlich aus, Sarah war bei weitem nicht so aufbrausend wie Jaina oder Cathy.   „Und sie ist die wundervollste Person, der ich seit langem begegnet bin.“ Nur, um das mal festzuhalten. John wollte nicht, dass Jaina irgendwelche Sachen erzählte, die sich später als falsch herausstellten. Doch sie schwieg nur und lächelte.   Jaina war beruhigt bei der Aussage, freute sich für John und dachte daran, dass die Zeit in der einstigen Männer-WG vielleicht doch nicht ganz so schlimm werden würde. John wäre in der Lage, sich um die – manchmal wirklich faulen – Mädchen zu kümmern, vor allem wenn es ums Essen ging. Und wenn diese Sarah auch mal vorbeikam, und Jaina und Cathy vorzugsweise inzwischen mal kennengelernt hatte, könnte diese auch gleich mal den Haushalt schmeißen. Cathy tat unterdessen das, was sie am besten konnte: So tun, als würde sie schlafen. Sie hoffte auch, dass Sherlock ihr das glauben würde, denn sie fühlte sich immer noch ein wenig gerädert, ganz davon abgesehen, dass keiner der drei von den ganzen blauen Flecken wusste. Sie wollte das so lange wie möglich geheim halten, es würde nur für Aufregung sorgen und keinem was helfen.   „Hey, wach mal auf“, bestimmte da Sherlock schon zum vierten Mal. Er stand direkt neben ihrem Gesicht und es fiel der Rechtsmedizinerin redlich schwer, nicht zu lachen. Stattdessen atmete sie tief und kniff die Augen zusammen. Sie konnte es ja nicht ewig herausziehen, also machte sie lieber gleich die Augen auf. Sie erkannte eindeutig Beine. Sherlocks Beine.   „Seien Sie still“, flüsterte sie dann, bewegte sich aber nicht.   „Dutz mich mal endlich wieder“, forderte er sie unbeeindruckt auf. „Und mach dir Frühstück.“   „Hauen Sie ab“, grummelte Cathy und drehte sich um.   „Nein! Nicht. Aufwachen, hab‘ ich gesagt!“, insistierte Sherlock und packte Cathy etwas grober als gedacht am Oberarm. Sofort saß Cathy am Sofa, mit riesigen Augen und aufgerissenem Mund. Entsetzt schaute sie ihn an.   „Auuuuuuu“, machte sie dann ganz leise, als sie ausatmete. Er hatte voll eine der Lieblingsstellen des Entführers erwischt. Und so richtig reingedrückt. Verwirrt schaute Sherlock sie an, dann wirkte er fast ein wenig genervt. „Was?“   „Das tat weh“, erklärte sie dann und zog den Ärmel ihres Oberteils nach oben, sodass Sherlock ansatzweise den riesigen blauen Fleck sehen konnte. Er war davon allerdings keineswegs beeindruckt. Eher sachlich musterte er die Fläche und drehte sich um. „Hallo? Willst du dich vielleicht um mich kümmern?“   „Wieso denn?“, wollte Sherlock ehrlich überrascht wissen. Ein einziger blauer Fleck und die Mädchen weinen wieder, sowas fand er immer total übertrieben.   „Weil ich noch nicht laufen kann?“, schlug Cathy müde und erschöpft vor, vielleicht klang sie kurz wütend, aber wirklich nur minikurz, weil sie noch zu schwach war, um richtige Wut zu verspüren.   „Wieso kannst du nicht laufen?“   Seufzend schlug Cathy die Decke zurück – was schon an ihre Schmerzgrenze stieß – und fing an, ihre Hose hochzukrempeln. „Aber du darfst weder Jaina noch John davon erzählen.“   „Was willst du mir zeigen?“   „Ach“, fing Cathy an, überlegte es sich dann aber. Sherlock würde mit Sicherheit plaudern. Und sie würde es nicht ertragen, wenn sich jeder Sorgen um sie machte. Sie stülpte die Hose runter. „Mein perfekt rasiertes Bein. Aber das ist für dich ja sowieso nicht von Interesse. Weil, Frauen und so sind total uninteressant.“   Sherlock setzte sich zu ihr aufs Sofa und schaute Cathy nicht allzu lange an. Der subtile Seitenhieb war vermutlich komplett an ihm vorbeigegangen.   „Tee wäre nett“, meinte sie, sank zurück und deckte sich wieder zu. Eigentlich musste sie schlimm Pipi, aber in diesem Zustand war aufs Sofa pinkeln vielleicht sogar angenehmer und die bessere Option.   Sherlock hingegen dachte gar nicht daran, diesem Ärgernis von Mädchen irgendeinen Gefallen zu tun, sondern legte sich ebenfalls aufs Sofa, sodass seine Füße direkt neben Cathys Hinterkopf waren und ihre neben seinem Rücken. Er selbst wollte jetzt nämlich auch mal schlafen und fand es angenehm, jemand im Raum zu haben, das war ungemein beruhigend, hatte er vor einiger Zeit schon festgestellt. Aber es war irgendwie unbequem und Sherlock hatte den Grund sehr schnell herausgefunden. Die Decke. Ihm war ein bisschen frisch und Cathy musste nicht frieren. Also beschloss er, dass auch er nicht frieren wollte, deckte Cathy auf, legte sich passend hin und deckte beide zu.   Entsetzt schaute die Rechtsmedizinerin zu, wie der Abstand zwischen Sherlock und ihr schrumpfte und schrumpfte. Er ist schon heiß, dachte sie dabei, aber was soll das bitte?!   „Sherlock?“, murmelte sie seine Füße an. Zu seinem Glück rochen die nicht streng.   Er antwortete nicht, sondern legte einen Arm um ihre Knöchel. Cathy gab auf, schloss die Augen und versuchte, einzuschlafen, sowie Sherlock es anscheinend schon getan hatte. Ging nur nicht so einfach, wenn sie ungefähr jeden Zentimeter von seinem Körper an ihrem spürte, so groß war das Sofa dann doch nicht.   Cathy seufzte und kuschelte sich – in Ermangelung der Möglichkeit, es sich bequem zu machen – an Sherlocks Beine.   Jaina fühlte sich schon besser, als sie in die 221b Baker Street einbogen und sie sich wieder mit John unterhielt. Die Schrecken des gestrigen Tages waren zwar immer noch präsent, aber dennoch schien das jetzt so wie ein böser Traum, ein wenig surrealistisch und fantastisch. Sie fand es gut, dass sie sich abgelenkt hatte mit der Arbeit und war froh, dass sie Jim noch nicht abgesagt hatte. Jaina fand, dass der Alltag die beste Möglichkeit war, um schlimmes zu ver-arbeiten. Man könnte auch in Therapie gehen, aber Jaina fand, wenn man selber in der Lage war, sich wieder gut zu fühlen und keine Angstzustände bekam – wozu dann Geld aus dem Fenster werfen? Das konnte man anders besser anlegen. Zum Beispiel in alte Statuetten oder kulturelles Gut, das dann in der Wohnung Eindruck machte.   „Du warst gestern Abend jedenfalls total mutig“, lobte John sie mitten im Gespräch und, nachdem das Taxi angehalten hatte, öffnete er ihr die Tür. „So schnell hab ich noch nie jemanden aufspringen und handeln sehen, nicht mal im Krieg.“   Tja, ich bin halt die bessere Soldatin, dachte die Dozentin stolz und ein bisschen selbstgefällig, schließlich hatte John in dem Punkt wirklich Recht. Andere hätten gezögert und auf die Polizei gewartet, aber so war Jaina nicht. Wenn jemand in Gefahr schwebte, dann musste sie einfach los. Das geboten schon der Anstand und alles eigentlich, was man in der Schule lernte. So dachte sie jedenfalls, auch wenn sie oft allein damit dastand.   „Danke“, sagte sie dann doch artig, stieg aus und half John dann dabei, die ganzen Sachen aus dem Kofferraum zu holen. Es war – wie vorher auch schon – eine Heidenarbeit und sehr anstrengend. Jaina war froh, ihr einfaches, lila Top und die kurze Jeans Marke Eigenbau angezogen zu haben, die pralle Sonne am Rücken war nicht gerade das angenehmste. Sie lief vor zum Taximann und zahlte. Auch auf ihre Schuhwahl war sie stolz heute, einfache Sandalen ohne Absatz oder Schnick-Schnack. Sehr bequem und irgendwie auch hübsch.   „Jedenfalls wärst du ein guter Stabsoffizier“, grinste John, nahm den Rucksack und zwei Kartons und begann, die Treppen hochzusteigen. Nachdenklich schaute Jaina ihm nach. Vielleicht sollte sie diesen Berufszweig wirklich mal ausprobieren? Wäre bestimmt nicht so schwer, sie könnte wahrscheinlich mit ein bisschen mehr Einfluss sogar einige Kriege eindämmen. Ja, schön wär’s. Wäre sie halt in die Armee und nicht an die Uni.   „Find ich auch“, murmelte sie grinsend, nahm zwei volle Taschen und tigerte dann hinter John her, sich vorstellend, wie sie die Welt verbessern würde, wie sie die Militär-Struktur ändern würde und überhaupt täte sich unter ihrem Kommando ganz schön was ändern. Sofort fand sie sich viel cooler als vorher. Jaina wollte John gerade erzählen, wie schwer diese Taschen waren und ihn nötigen, ihr eine abzunehmen – obwohl es zur Wohnungstür ungefähr nur noch zwei Schritte waren und er sie schon offen hatte – als dieser ein Geräusch von sich gab, was sich nun mal so gar nicht zuordnen konnte. Es klang halb wie ein „Öüüwahh“ und „Ugghh“. Irgendwas überrascht und angewidert Entsetztes. Neugierig trippelte Jaina die zwei Schritte und lugte hinter John in das Wohnzimmer, der Arzt hatte sich nicht einen Zentimeter bewegt seit er die Tür geöffnet hatte. Sie schaute erstaunt auf das Sofa. Dort lagen Sherlock und Cathy, sie mit dem Rücken zur Tür, Sherlock aber schlief ganz offensichtlich. Jaina schüttelte leicht verwundert den Kopf, fragte sich, was ihre Freundin damit bezwecken wollte und quetschte sich an John vorbei in die Wohnung, so leise es ging. Sie musste noch ein Erpresserbild machen. Sie würde Cathy mal daran erinnern, dass es einem schon der Anstand verbot, gleich nach ein paar Tagen Bekanntschaft so eng neben jemanden zu schlafen. Das konnte doch auch überhaupt nicht bequem sein!   Cathy wurde davon wach, dass jemand leise Musik angemacht hatte. Musik wie daheim. Jainas Musik, die Cathy auch sehr schön fand. Sie blinzelte, gähnte und wollte sich strecken, als sie merkte, dass sie gerade Füße angegähnt hatte. Die Rechtsmedizinerin musste nicht eine Sekunde überlegen, um zu wissen, wo sie war.   „Bah, wie kitschig“, schimpfte sie leise und lies Sherlocks Beine los. Nicht, dass es nicht bequem gewesen wäre, aber – bitte! Wie romantisch kam denn so was? Sofort war Cathy sauer auf Sherlock, dass er einfach so was unverschämtes machte und sie in eine peinliche Situation brachte.   „Cathy, du bist wach!“, rief da Jaina hinter ihr und schon wurde eine Faust auf Cathys Schulter gerammt.   „Sag mal, was macht ihr da?! Ich meine – hast du noch was an?!“   „Hä? Na klar hab ich noch was an!“, erwiderte Cathy noch verschlafen und wollte sich aufsetzten, als ein stechender Schmerz sie daran erinnerte, dass das wohl keine so gute Idee war. Sie schaute Jaina an. „Hilf mir auf!“   „Warum?“   „Weil halt. Und – bring mich bitte zum Klo. Ich muss so dringend pinkeln!“   „Cathy, warum? Kannst du nicht laufen?“, fragte Jaina entsetzt. Sie war sich sicher, dass Cathy seit ihrer Befreiung noch keinen einzigen Schritt gelaufen war. Entweder war sie plötzlich superfaul geworden, oder jemand hatte sie geschlagen oder – schlimmeste Variante – jemand hatte ihre Freundin vergewaltigt. Aber dann wären zwei Tritte gegen den Kerl zu wenig gewesen.   „Das zeig ich dir im Bad“, erwiderte Cathy nur und lies sich von Jaina vorsichtig aufhelfen. Eigentlich taten Cathy nur ein paar Rippen und das linke Bein weh, aber sie wollte nicht riskieren, auf dem Weg zum Klo hinzufallen. In dem Moment, in dem Jaina und Cathy kurz vorm Badezimmer waren, hörten sie, wie John Sherlock anmotzte und der hellwache Detektiv schlagfertig antwortete. Irgendwas mit einem Experiment, von dem Jaina hoffte, es wäre nichts mit Sozialverhalten. Sowas konnte sie gar nicht leiden, sie hatte sich mal einen Film angeschaut über Wissenschaftler, die das Verhalten von Menschen herausfinden wollten, die absolute Macht über andere hatten. Es war nicht schön gewesen.   „Sherlock, im Ernst?! Ein Experiment?“, ranzte John und legte langsam die Sachen auf den Boden, die er hochgetragen hatte. Kurz war er geschockt gewesen, als er die Tür aufgemacht hatte, dann war er väterlich wütend geworden. Cathy war doch noch ein Kind! Mehr als ein Jahrzehnt jünger als Sherlock!   „Natürlich“, erwiderte dieser gelassen, stand auf und legte die Decke akribisch zusammen.   „Du kannst nicht einfach etwas vorspielen! Vielleicht solltest du den Leuten kurz Bescheid sagen, dass du ein Experiment planst!“, brach es frustriert aus John heraus. „Mit Gefühlen spielen ist absolut nicht okay, Sherlock!“   „Sie hat doch keine Gefühle für mich“, antwortete der Detektiv und schüttelte verständnislos den Kopf. Auf was für Ideen John beizeiten kam.   „Sherlock! Sie ist ein Mädchen und ist entführt worden und Cathy neigt dazu, in solchen Lagen alles zu ergreifen, was greifbar ist und es für sich zu beanspruchen. Ich rede nicht von romantischen Gefühlen. Sie will dich besitzen.“ John seufzte. Da war die Rechtsmedizinerin wie ihr verstorbener Vater, eigensinnig, schnell gelangweilt, noch schneller begeistert und unglaublich besitzergreifend. Leider auch noch so subtil, dass man es erst merkte, wenn es zu spät war. Die ganze Familie war so. Sie wickelten einen sachte und langsam um den Finger, bis man weiches Wachs in ihren Händen war und bis man es bemerkte, war man selbst ihnen verfallen und gehörte ihnen schon. Cathys Vater war der König dieser Disziplin und seine Tochter stand ihm inzwischen wahrscheinlich in nichts nach.   Und John wagte zu behaupten, wenn Jaina es so lange mit Cathy aushielt, dann hatte sie diese Vorgehensweise wahrscheinlich unwissentlich einfach übernommen, missbrauchte sie aber nicht. Was natürlich ein sehr guter Charakterzug von ihr war, wofür John sie auch am liebsten küssen würde.   „Jaina, schau dir das an“, hauchte Cathy, als sie am Klo saß und mit heruntergestrampelter Hose und Unterhose herumsaß. Ihr war es im Moment nicht peinlich, dass ihre Freundin direkt vor ihr stand, beider Aufmerksamkeit war auf die Beine und nicht den Unterleib gerichtet.   „Das ist ja schrecklich! Wie oft hat er denn zugeschlagen?“, entfuhr es Jaina entsetzt und sie fasste vorsichtig den Oberschenkel an, der von zahllosen blauen Flecken übersäht war. Sie hatte noch nie soetwas vorher gesehen und fand es grauenvoll. Das musste schmerzhaft gewesen sein! Jaina verabscheute sich dafür, auf Sherlock gehört und gewartet zu haben. Aber andererseits – wieso sollte sie sich das überhaupt anschauen? Sie hätte es Cathy doch sowieso geglaubt, da musste sie ihre Freundin ja nicht unbedingt zum Klo begleiten.   „Keine Ahnung, ich hab aufgehört zu zählen“, gab Cathy zu und schlenkerte mit den Beinen. „Ich will nicht, dass John oder Sherlock das sehen.“   „Wieso denn nicht?!“ Das konnte Jaina beim besten Willen nicht verstehen. Die Männer mussten doch wissen, wieso Cathy sich nur vorsichtig bewegte und nicht so herumsprang wie sonst. Jedenfalls fand Jaina das, sie würde auch nicht wollen, dass man sie behandelte wie immer, wenn es ihr schlecht ging.   „Halt so. Und schau mal, ich konnte bis jetzt noch nicht hingucken, aber an den Rippen hat er mich auch getroffen.“ Unbeholfen hob Cathy ihr Shirt bis zum BH hoch und lies ihre Freundin den freien Oberkörper betrachten. Jaina zog eine krause Stirn und schüttelte den Kopf. Auch hier fanden sich blaue Flecken.   „Vielleicht solltest du die nächsten drei Tage daheim verbringen. Lestrade hat gestern noch gemeint, dass du sowieso frei bekommst, aber eine Aussage machen musst.“ Sie richtete sich auf und schaute sich um. „Willst du vielleicht duschen?“   „Seh ich so aus, als könnte ich das?“, forderte Cathy Jaina vom Klo aus auf nachzudenken und schaute verdrießlich, als ihre Freundin das Lachen anfing. Jaina konnte es sich aber auch nicht verkneifen, sie war sich der Absurdität der Situation schon bewusst, nur irgendwie… war es schlimm, aber lustig. Wie Jackass manchmal.   „Neein“, kicherte sie dann und hielt sich am Waschbecken fest.   „Was für eine Aussage eigentlich? Der Mann ist doch schon tot!“, motzte Cathy und bedeutete Jaina, wegzuschauen, damit sie sich zumindest abputzen und die Unterhose hochziehen konnte, ohne vor Scham im Boden versinken zu müssen.   „Naja, der hat dich ja entführt und so. Deswegen vielleicht“, schlug Jaina vor und drehte sich erst um, als Cathy ihr OK gab.   „Ach, na dann.“   Inzwischen war es Abend geworden und Jaina hatte sich in ihre besseren Klamotten gekleidet. Sie trug jetzt ein knielanges, blassgelbes Kleid aus Jersey, welches unter der Brust eng geschnürt war und einen V-Ausschnitt hatte. Es flog schön, wenn man sich drehte, deswegen mochte Jaina dieses Kleid auch so sehr. Sie band sich ein passendes Haarband in ihre Locken, schminkte sich dezent und war am Ende sehr zufrieden mit ihrem Erscheinungsbild.   Sie hatte sich um alles gekümmert. John und Sherlock würden heute Nacht auf Cathy aufpassen – oder andersherum. Jedenfalls hatte Jaina sich versichert, dass sie sich keine Schuldgefühle machen musste.   Es war zehn vor Sieben. Die Brünette schaute auf die Uhr und freute sich diebisch. Jim hatte nochmal angerufen und ihr mitgeteilt, dass die beiden heute Abend in eine Operette gehen würden, danach in ein Restaurant und dass er sie dann nach Hause bringen würde. Wie lange war es her, dass Jaina sich so auf einen Abend gefreut hatte! Sie schlüpfte in ihre weißen halbhohen Sandalen und war gerade fertig damit, ihre Handtasche zusammenzupacken, als es an der Tür klingelte.   „Cathy! Das ist Jim! Machst du ihm schnell auf?“, rief sie aus dem Bad und schickte sich, noch schnell Haarspray zu benutzen. Sie wollte nicht, wenn es windig war, dass ihre ganze schöne Frisur zerstört wurde.   „Oke“, ertönte es aus dem Wohnzimmer, dann hörte Jaina auch schon, wie die Tür geöffnet wurde und sich Schritte nach oben näheren.   „Servus Jim“, hörte Jaina Cathy müde sagen, worauf ein herzliches „Guten Abend, Cathy“, folgte.   Hastig stopfte sie das Haarspray noch in ihre Handtasche, dann versuchte sie, nicht ganz stolpernd aus dem Badezimmer zu kommen, um Jim zu begrüßen. „Jim, hallo!“, lächelte sie ihn an und gab ihm formell die Hand, welche er angedeutet küsste, ganz ein Gentleman. Cathy, die dabei zusah, gähnte und ging wieder davon. Jaina schaute ihr fast besorgt nach.   „Stimmt etwas nicht?“, wollte ihr Date wissen. Er sah blendend aus.   „Nein, alles in Ordnung“, erwiderte Jaina schnell und schob Jim fast wieder aus der Tür. „Tschüss Cathy, John, Sherlock! Bis Morgen früh!“   „Viel Spaß“, tönte es im Duett John/Cathy zurück, dann zog Jaina die Tür hinter sich und Jim zu. Dieser sollte auf keinen Fall ahnen, dass hier noch der Norovirus war und sich eine zusammengeschlagene, ehemals entführte Person befand. Das waren alles so Informationen, die es nicht unbedingt bei einem Date brauchte.   „Jim, Sie sehen blendend aus!“, entfuhr es ihr dann doch im Treppenhaus, als sie ihn genauer betrachten konnte. Heute trug er einen anderen Westwood-Anzug in Nachtblau, darunter ein gestärktes weißes Hemd und schwarze Lackschuhe, die wahrscheinlich ein Vermögen gekostet hatten. Die Krawatte war passend zum Anzug, dem als hübsches Detail echtgoldene Manschetten von Torrini, die fast zwei Riesen das Stück kosteten, angesteckt worden waren. Jaina wusste das so genau, weil sie ihrem Vater in Deutschland vor zwei Jahren genau dieselben zu Weihnachten geschenkt hatte, 18k echtes Gelbgold hatte eben seinen Preis.   „Oh, dankesehr. Das Kompliment gebe ich gleich zurück“, grinste Jim und holte dann ein kleines viereckiges Ding aus seiner Anzugtasche. „Das hätte ich fast vergessen! Ich hab‘ ein Geschenk für Sie! Es ist nur etwas kleines, aber ich hoffe, Sie freuen sich!“   „Äh… danke“, sagte Jaina langsam und etwas überfordert. War das zweite Date nicht ein wenig früh, um schon mit Geschenken anzufangen? Etwas misstrauisch nahm sie das Päckchen und wollte es einstecken, als Jim sie auffordernd anschaute. Also blieb ihr keine Wahl, als es jetzt schon aufzumachen. Unter dem Geschenkpapier befand sich ein kleines Samtkästchen. Ein Schmuckkästchen, für genau ein Schmuckstück, stellte Jaina fest und merkte, wie sie schwitzige Hände bekam. Lass es nichts hässliches sein, bat sie im Sekundentakt, als sie das Deckelchen langsam öffnete. Ich will nicht undankbar aussehen! Als sie den Deckel ganz offen hatte, strahlte ihr eine wunderschöne Kette entgegen, sodass Jaina fast einen Erleichterungs-Herzinfarkt bekam. Der Anhänger war eine kleine sternförmige Blume, nicht größer als ein Zeigefinger-Fingernagel, in deren Mitte ein offensichtlich teurer Stein pragte. Alles war in Silber, beziehungsweise Durchsichtig gehalten, was die Sache noch edler machte. Jaina bekam erstmal gar kein Wort heraus, sondern stierte nur fasziniert auf dieses wunderschöne Schmuckstück herunter.   „Das ist eine exklusive Halskette von Incanto Royale“, fing Jim an zu erklären, holte die Kette vorsichtig heraus und stellte sich hinter Jaina, sodass er ihr den Schmuck umlegen konnte. „Sie besteht aus 18 Karat Weißgold und puren Diamanten.“   „Sie ist wunderschön“, hauchte Jaina und freute sich über die Kühle des Goldes an ihrem Schlüsselbein. „Wie teuer war sie?“, wollte sie dann sofort wissen. So was musste doch ein Vermögen gekostet haben!   „Nicht der Rede wert“, wiegelte Jim ab, doch Jaina insistierte gnadenlos, bis er schließlich schulterzuckend aufgab und ihr die Rechnung zeigte.   „Waaaas?!“ Entsetzt starrte Jaina auf das bedruckte Papier. „7.770,00 € für so eine Kette?! Sind Sie wahnsinnig?“, kreischte sie und hielt sich den Kopf. Das war doch viel zu teuer! In dieser Preisklasse befanden sich Weihnachtsgeschenke für die ganz Lieben in der Familie und für Cathy, aber doch nicht Sachen für zwischendurch!   „Also ich fand sie schön und dachte, sie stünde Ihnen, was eindeutig der Fall ist“, meinte Jim lässig, nahm Jaina am Arm und geleitete sie vollends aus dem Treppenhaus zum Taxi. „Und außerdem sind die Kosten für mich nicht nennenswert. Wenn mir etwas gefällt, was ich für Geld haben kann, dann kaufe ich es mir.“   Nein, dachte sich Cathy als sie zurück ins Wohnzimmer kam, in dem die beiden Männer saßen, jeder mit etwas anderem beschäftigt. Wieso immer ich?!   John ging es inzwischen wieder insofern gut, dass er sich selbstständig daran machte, die Möbel zu desinfizieren und das Geschirr von gestern Nacht wegzuräumen und überhaupt einmal Ordnung zu schaffen. Sherlock saß an seinem Laptop und klickte auf den Tasten herum. Also schienen beide wieder gesund zu sein, zumindest größtenteils.   Cathy beschloss, nachdem sie ihren körperlichen Zustand als inzwischen annehmbar tituliert hatte, mal in die Dusche zu gehen. Sie wusste, sie brauchte jetzt einfach das Abwaschen. Und sie wusste auch, dass die beiden Männer in den nächsten zwei Tagen die Wohnung nicht verlassen würden. Außer John für seine Arbeit, aber Sherlock wäre immer präsent.   Also nutzte sie die Gunst der Stunde und schlich sich ins Bad, wohl wissend, dass man da nicht so ganz wirkungsaktiv absperren konnte – das hieß, man konnte den Wäschekorb vor die Tür schieben. Das war nicht wirklich sicher.   Jaina war begeistert. Sie hatte, um ehrlich zu sein, sich noch nie so richtig für Operetten interessiert, mehr für Opern, das Ballett, das Musical und halt andere Sachen, da gingen so Subkulturen – und Jaina empfand Operetten als eine Subkultur – halt mal unter. „Das ist die schönste Operette, die ich je gesehen habe“, gab Jaina immer noch überwältigt von sich. Sie stand mit Jim an einem kleinen Stehtisch von vielen, die in dem langen, breiten Opernhausgang aufgebaut waren. Es war gerade Spielpause, Jaina hatte also eine halbe Stunde Zeit, sich zu erholen und sich auf weitere eineinhalb Stunden vorzufreuen. Vor allem neben Jim, der gut aussah, gut roch und sich zu benehmen wusste.   „Das freut mich“, lächelte Jim charmant und man konnte ihm ansehen, dass er sich wirklich darüber freute, mit Jaina unterwegs zu sein. Nun ja, unterwegs. Kultur genießen, so würde er es formulieren.   Mich auch, dachte Jaina und trank einen Schluck von dem Champagner, den Jim ihr spendiert hatte. Was für ein großzügiger Mann. Gut, das stellte sie jetzt schon zum zweiten Mal fest, aber es schadete nicht, es ab und zu noch einmal zu bemerken.   Schweigend musterten beide kurz den jeweils anderen, dann entschied sich Jaina, wegzugucken, um die anderen Operetten-Besucher zu begutachten. Das waren – zum Teil glücklicherweise – nicht ganz so schöne Leute wie Jim, der sie mit seinem guten Stil einfach ein wenig verwirrte. Vielleicht, weil Jaina sonst den ganzen Tag nur gammelig angezogene Studenten sah und nichts schönes mehr gewohnt war. Außer sich und Cathy ab und zu.   Cathy stieg gerade aus der Dusche, umwickelt mit einem Handtuch, als sie aus dem Wohnzimmer verdächtige, bekannte Geräusche hörte. Sie hatte sich lange geduscht und vermutlich war John schon unterwegs zu seiner Nachtschicht. Irgendwie war Cathy nicht wohl dabei, die ganze Nacht allein mit Sherlock verbringen zu müssen. Nicht, dass sie ihn nicht cool fand. Die Medizinerin war sogar der Meinung, dass Sherlock einer der coolsten Menschen überhaupt war, mal ganz davon abgesehen, dass er irgendwie attraktiv und faszinierend war. Abgesehen von all diesen Dingen machte sich Cathy wirklich Sorgen. Um ihr Nervenkostüm. Sie ging zur Tür, schob den Wäschekorb weg und schaute durch den entstandenen schmalen Spalt.   Sherlock saß am Sessel und spielte leise Geige. Er beobachtete die Badezimmertür; selbstverständlich hatte er sie jetzt auch bemerkt.   Cathy sah sich gezwungen angesichts dieser Situation etwas zu sagen. „John ist auf Arbeit gegangen?“ Sie war sich der Tatsache, dass sie nur ein Handtuch trug, unangenehm bewusst und versuchte, sich weitestgehend hinter der Tür zu verstecken.   „Korrekt“, meinte Sherlock nur, beobachtete sie weiter, hörte aber auch nicht mit dem Geigenspiel auf. Er fand es höchst erstaunlich, wie vorsichtig sich die junge Frau plötzlich bewegte. Als ob sie sich nicht wie zuhause fühlte oder als ob sie fürchtete, dass er etwas an ihr entdeckte. Dabei war Sherlock nur langweilig und etwas interessanteres als Cathys Verhalten gab es im Moment nunmal nicht. Inzwischen musste doch jeder wissen, wie seine Einstellung zu diesem romantischen Krimskrams war.   „Tja, okay.“ Murmelnd zog Cathy die Türe wieder zu und stellte den Wäschekorb unter den Knauf. Wie sollte sie das nur überleben? Der sprach ja nicht mal mit ihr! Und spielte ständig Geige! Dabei wollte Cathy doch einfach mal Ruhe haben und schlafen und … naja, vielleicht ein bisschen was essen, wenn sie so darüber nachdachte. Ob sie Sherlock schicken konnte?   „Oh mein Gott, das war fabelhaft!“, jubelte Jaina als sie und Jim im sicheren Taxi saßen, wo niemand außer dem Fahrer die beiden hören konnte. Genau diesen Moment hatte sie abgewartet, damit sie ihrer Freude endlich Luft verschaffen konnte. Sie umklammerte ihre Tasche und musste an sich halten, um Jim nicht um den Hals zu fallen.   „Stimmt. Es war sehr faszinierend“, stimmte der Mathedozent zu und lächelte über so viel Enthusiasmus. Diese junge Frau war so ansteckend mit ihrer guten Laune und dem Funkeln in ihren Augen, dass Jim fast vergaß, was er heute am eigenen Leib erfahren hatte. Dass Jaina zusammen mit ihrer Freundin bei Sherlock und John lebte. Das war ihm ein Dorn im Auge. Auch war Jim sich noch nicht so ganz bewusst, wieso er Jaina überhaupt angesprochen hatte. Eigentlich war er damals nur zufällig an ihrem Seminarraum vorbeigekommen und dann hatte er sie gesehen, ziemlich genervt und eindeutig nicht in der Stimmung, um jemand neues kennenzulernen. Hatte er sie deswegen angesprochen? Weil er auf einen Wutausbruch gehofft hatte? Und nun saß Jaina neben ihm und schaffte es beinah – nun, annähernd beinah – ihn noch einmal über seinen Plan nachzudenken zu lassen. Aber Sherlock war ihm wichtiger. Dieser Consulting Detective versprach so viel Spaß und Abwechslung. So sehr Jim auch Jainas Anwesenheit genoss, er freute sich noch mehr auf ein Zusammentreffen mit Sherlock.   „Kanntest du das Stück vorher?“, wollte sie wissen und klang immer noch aufgeregt.   „Natürlich nicht. Ich wollte doch nichts vorwegnehmen“, grinste Jim. Bei Sherlock wollte er sich auch nicht ein bisschen des Spaßes nehmen lassen.   „Cool.“ Jetzt hatte Jaina nichts mehr zu sagen, denn die Dinge, die ihr im Kopf herumschwirrten, waren eindeutig nicht tauglich für eine Konversation. Cool… Mega… Gleich nochmal!... Und in diesem Anzug sieht er zum Anbeißen aus! Jaina schüttelte den Kopf und schaute lieber aus dem Fenster, immer noch die großartige Schlussszene im Kopf, in welcher der intrigante Vater der Braut mit einem Todessprung von der Kirche zeigen wollte, dass er der beste war – leider hatte das nicht geklappt. Der war in den Tod gestürzt. Jaina war begeistert gewesen.   „Und? Hast du noch Lust mit mir essen zu gehen?“, frage Jim da glücklicherweise, sodass Jaina nickte und bemerkte, wie ihr Bauch leise grummelte. Zum Glück gab ihr Körper nur leise Signale, nicht so Mörder- Sirenen-Laute wie Cathys. Das käme jetzt gar nicht gut.   „Klhu lvw glh cdko, Klhu lvw glh cdko“, murmelte Cathy und drehte sich auf den Rücken. Sie lag am Wohnzimmerboden ausgestreckt, die Arme hatte sie lang über den Kopf gemacht. Sonst dachte sie nicht so nach, aber vielleicht half es ja. Allerdings kam sie sich im Moment mehr vor wie ein Alien, der auf irgendeiner Gurgelsprache versuchte, etwas zu erzählen. „Die Cäsar-Scheibe.“ Sie schloss die Augen und stellte sich dieses frühalterliche Mittel der Nachrichtenverschlüsselung bildlich vor. „Klhu… Hier. Luw glh – ist die. Was ist dort? Cdko. C ist das Z. Hier ist die Zahl. Aber wo ist die Zahl? Was für eine Zahl überhaupt?“ Cathy drehte sich auf den Bauch und betrachtete das Bildchen, das zu dem Rätsel gehörte. Die Cäsar-Scheibe war eine gute Idee gewesen, doch was sollte das darstellen? Ohne dieses Wissen war der Text vollkommen wertlos.   „Was redest du da unten?“, wollte Sherlock da wissen und beugte sich emotionslos über Cathy. Sie trug inzwischen ihre Schlafanzughose – die mit den Entchen – und ein eng anliegendes Unterhemd. Sherlock wunderte sich nur geringfügig wieso die junge Frau im Liegen nachdachte. Da war der Blutfluss doch überhaupt nicht so günstig wie in anderen Positionen.   „Ich denke nach, Herr Detektiv“, konterte Cathy, bewegte sich aber nicht einen Zentimeter, um Sherlock irgendwie auf das Bild sehen zu lassen. Das war ihr Rätsel, das wollte sie alleine lösen. Naja, zumindest gemeinsam mit der Polizei. Tatsächlich wusste Cathy nicht mal, wie weit die überhaupt damit waren. Aber sie traute sich anzunehmen, dass die bis jetzt noch gar nichts gerafft hatten.   „Kommst du immer noch nicht weiter mit diesem Rätsel?“, wollte Sherlock wissen. Er starrte sie weiter unverwandt an. Zumindest ihren schmalen Rücken. Außerdem begutachtete er die bedenklichen blauen Flecken, die sie noch am Oberarm hatte. Der im Gesicht hatte sich auch nicht großartig verfärbt und leuchtete weiter in einem grimmigen Violett.   „Natürlich komme ich weiter.“ Cathy überlegte nebenbei, ob sie ihn vielleicht wirklich mit einbeziehen sollte. Einerseits würde das die Arbeit wesentlich einfacher gestalten, andererseits wäre es in ihren Augen Schummeln.   „Oh nein, kommst du nicht“, triezte Sherlock in abwertendem Tonfall, stieg über Cathy hinweg und verschwand in die Küche.   „Oh doch, komme ich“, murmelte sie böse und starrte weiter auf das Bildchen. Es musste doch eine logische und sehr einfache Lösung dafür geben! Bestimmt war es so simpel, dass sie es nur nicht erkannte! Jaina hätte es wahrscheinlich schon längst herausgefunden. Verdammt aber auch! Einmal wenn man einen kleinen Impuls bräuchte!, dachte sie ärgerlich. Es ist bestimmt so simpel!   Sherlock räusperte sich in der Küche, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Er mochte es nicht, wenn seine wertvolle Anwesenheit von etwas überschattet wurde, das kein Verbrechen war.   „Seien Sie still!“, herrschte Cathy vom Wohnzimmer. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht für so ein simples Drudel!“   Stille erfüllte den Raum.   „Ein gottverdammtes Drudel!“ Schreiend sprang Cathy auf und deutete auf das kleine Bild.   „Hätte ich dir gleich sagen können“, kam es gelangweilt aus der Küche.   „Das macht die Sache natürlich einfacher“, sinnierte Cathy, Sherlock ignorierend. „Drudels sind immer so abstrakt leicht. Sherlock, sag mir nichts!“ Sie ging im Kreis um das Drudel herum. Sie wusste, meistens waren diese kleinen Rätsel-Bildchen so zu betrachten, dass sie etwas von oben oder unten darstellten, oder einen kleinen Teil von etwas.   In dem Glas spiegelten sich die glänzenden Lichter der nächtlichen Stadt. In den meisten Bürogebäuden wurde über Nacht der Strom nicht abgeschaltet und so konnten Jaina und Jim die leuchtende Skyline von London genießen. Die beiden befanden sich in einem sehr exklusiven Restaurant, dem Paramount, das im gefühlten 40. Stock eines Hochhauses war. Jaina wusste, dass es natürlich nicht so hoch lag, aber der Ausblick über die halbe Stadt lies einen doch zu diesem trügerischen Schluss kommen.   Gerade war sie fertig mit ihrer Vorspeise, einem leckeren Tomaten-Carpaccio, fertig, als Jim das Wort ergriff. Tatsächlich hatten sie seit bestimmt zwanzig Minuten nicht mehr geredet, was auch etwas angenehmes an sich gehabt hatte.   „Wie gefällt dir die Aussicht?“, fragte er leise und gesittet. Dabei trank er einen Schluck von dem Cru Classé Sauternes von 1997, einem – mehr oder weniger – ausgesuchten Weißwein.   „Großartig“, erwiderte Jaina, wandte aber den Blick nicht von Jim ab. Im leicht gedimmten Licht sah er sogar noch besser aus als früher am Abend.   „Aber die Aussicht meinst du nicht?“ Er schmunzelte.   „Nein, die Aussicht meine ich nicht“, erwiderte sie lächelnd.   Wie kann es möglich sein, dass Sherlock sie bei sich wohnen lässt? Jim war aufs äußerste verwirrt. Sie war natürlich eine wunderbare Gesellschafterin, doch was wollte sie bei Sherlock Holmes? Hatte er sie eventuell wegen ihres Intellekts aufgenommen? Aber so besonders war ihr Talent nun wirklich nicht. Gut, sie war wirklich mit Abstand – sehr großem Abstand – die beste Mathematikdozentin in ganz London – natürlich neben ihm, James Moriarty.   „Dann schmeichelst du mir“, sagte Jim und schaute auf die Skyline.   „Nein. Ich habe mich vorhin in dem Spiegel da hinten gesehen“, konterte Jaina sofort. Sie wollte von dem Flirten wegkommen. Warum machte sie das? Wieso in aller Welt machte sie ihm Komplimente? Natürlich, weil er gut aussah, charmant und aufmerksam war, aber sie war immer noch Jaina, die junge Frau, die ihr Leben bis dreißig verplant hatte. Da war kein Mann in ihrer Vorstellung gewesen.   „Gut gekontert“, lobte der Mathedozent und wartete, bis der Kellner, der gerade an ihren Tisch kam, beide Hauptgerichte abgestellt hatte. Mit einer angedeuteten Verbeugung verlies er die zwei jungen Erwachsenen.   „Immer.“ Sie blickte ihm direkt in die Augen. Herausfordernd und mit für Jaina unbekannter Schamlosigkeit. Leise Musik spielte im Hintergrund. „Wollen wir tanzen?“ Sie legte die Serviette neben den Teller.   „Gerne doch.“ Sofort stand Jim auf und bot ihr die Hand. „Wenn Sie gestatten.“   „Aber sicher doch. Mit größter Freude“, erwiderte Jaina schelmisch grinsend und begleitete Jim elegant zum Tanzparkett, das im hinten Teil des Saales war. Das Essen war vergessen.   Es war ganz still in der Wohnung, Sherlock lag am Sofa und spielte mit seinem Laptop, als Cathy die Erleuchtung bekam. Sie hatte das Drudel gelöst.   „Oh mein Gott!“, entfuhr es ihr so leise wie ein leichter Windhauch. Es war wirklich sehr simpel. So einleuchtend. Eigentlich hatte Cathy gar nicht mehr daran gedacht, doch als sie das Läuten der Glocken um zehn Uhr gehört hatte und an die massigen, wertvollen Kirchglocken dachte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Zuerst saß sie wie versteinert am Sessel, halb zum Fenster gedreht und mit geöffnetem Mund.    „Oh yeah!“ Freudig sprang sie auf, machte Luftsprünge am Sessel, hüpfte dann zu Sherlock auf die Couch und riss ihm den Laptop aus den Händen. „Sherlock! Hammergeil!“ Sie packte seinen Kopf und drückte dem vollkommen überrumpelten Detektiv einen Kuss auf – der eigentlich auf die rechte Wange sollte, aber am Mundwinkel landete. „Yeah! Ich hab’s herausgefunden!“ Sie sprang vom Sofa und rannte vollkommen ziellos in die Küche.   Sherlock indes saß am Sofa und schaute der überdrehten jungen Frau nach. Hatte sie ihn gerade wirklich bei seinen Ermittlungen unterbrochen? Hatte sie jetzt erst das Rätsel gelöst? Und wieso zur Hölle hatte sie ihn geküsst? Oder war das so ein Freudenausbruch? Fragend zog er eine Augenbraue hoch. Menschen mit Emotionen waren ihm immer wieder suspekt.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)