How to be ... von Sherlockfreak ================================================================================ Kapitel 12: UPRIGHT ------------------- „And where the offence is, let the great axe fall.“ - William Shakespeare   Chan war also nun in Untersuchungshaft, weggesperrt und definitiv arbeitslos, auch wenn es Cathy irgendwie schmerzte. Jetzt hatte sie niemanden mehr, dem sie vorjammern konnte, wie viel Urlaub die Leute doch immer hatten und dass man so zu nichts kam. Seit zwei Wochen war sie allein in ihren Laboren, schmollte vor sich hin und knirschte mir ihren Zähnen – vor allem aber auch wegen Sherlock, der so tat, als wäre sie Luft. So ein Schuft.   Und jeden Tag die SMSen von Jaina. Jim ist noch nicht aufgetaucht. – Hast du Jim gesehen? – Ich glaube, ich habe ihn gesehen! – Er ruft einfach nicht zurück. Es tat der Rechtsmedizinerin leid, von ganzem Herzen. Aber wie konnte sie nur ihrer besten Freundin helfen? Sie würde so gerne! Aber Cathy wusste einfach nicht, wie. Wo sollte sie mit der Suche nach Jim anfangen? Keiner kannte ihn. Jainas Trauer und Wut verstand sie dafür aber umso besser.   Nun hockten beide im Wohnzimmer von Sherlock und John, Jaina las einen der Schundromane von Cathy, irgendwas im Stil von Mein Herz ist für immer Dein, während Cathy ihre Post durchging. Beide Frauen taten sich mit der jeweiligen Tätigkeit keinen Gefallen, aber was sollten sie anderes tun?   Viel Lust auf Spaß hatte Jaina definitv nicht, lieber stürzte sie sich in den ersten Liebeskummer. Und hatte sie nicht an ihrem letzten gemeisnamen Abend gedacht, Jim wäre ihre eine große Chance, richtig wahre Gefühle zu erleben? Nun, richtig echter Liebeskummer war beschissen – und jetzt hatte sie die Gelegenheit, das am eigenen Leib zu erfahren. Appetitlosigkeit, Schlafmangel und schlechte Laune kennzeichneten die lezten Tage. Es war ätzend. Und sie wusste es. Sie suhlte sich praktisch darin. Jeder sollte an ihrem Verlust teilhaben und sie bemitleiden.   Während Jaina also vor sich hinlitt, ging Cathy die Post durch. Rechnung um Rechnung, ab und zu ein wenig Werbung. Und dann ein dicker Brief in seriösem Umschlag. Sie sah auf den Absender. Eine Vorladung zu Gericht. Als Zeugin im Fall Chan. Oh Mann, auch noch. Kurz überflog sie den Text, legte den Brief und dann ihre Beine auf den Couchtisch. „John, mach mir bitte mal einen Tee!“, rief sie dann in die Küche, in welcher sie den Arzt vermutete.   „John ist vorhin auf’s Klo gegangen“, meinte Jaina trocken und blätterte um. Zumindest hatte sie ihn absperren gehört. Vielleicht duschte er auch gerade. Es war ihr egal. Eigentlich war ihr alles egal. Wenn Jim nur ein Lebenszeichen von sich geben würde!   „Schlecht“, murmelte Cathy, stand auf und tigerte in die Küche. Sie bot Jaina schon seit zwei Wochen Tee an, doch diese verweigerte jedes Mal. Heute war Zahltag, diesmal würde die Modedesignerin das liebevoll zubereitete Getränk schlucken – ob sie wollte oder nicht. Denn es gab teueren Tee. Extra aus China eingeschifften Tee. Sie hatte ihre Dose voll mit Yellow Gold Tea Buds gefunden. Ihr Onkel hatte ihn ihr gekauft, als er in Singapur gewesen war. Ein Kilo hatte er ihr für damals 1.810,50 Pfund erstanden. Ein stolzer Preis, für einen stolzen Tee. Der wurde nur einmal im Jahr, an einem einzigen Tag geerntet – mit goldenen Scheren. Außerdem wuchs dieser Tee an nur einem Berg, an einer ganz bestimmten Stelle auf der ganzen Welt – schon ziemlich exklusiv. Nach der Ernte wurden die Blätter sonnengetrocknet, dann ins Dunkel geworfen und danach mit Echtgold bepinselt.   Langsam und gemächlich bereitete Cathy diesen Luxus zu und schnüffelte an dem aromatisiertem Wasser. Nichts ging über einen guten Tee. Nichts ging über Tee, den man nicht einmal online bestellen konnte. Nach einer viertel Stunde betrat sie wieder das Wohnzimmer. Jaina hatte sich nicht bewegt. Vermutlich war sie drei Seiten weiter im Buch, ihr Blick war immer noch konzentriert abwesend. Die jungen Frauen trugen nur ihre Pyjamas – wozu mehr anziehen, wenn man eh frei hatte? Obwohl Cathy eigentlich auf Arbeit müsste, das wusste sie. Heute würde sie halt eine Nachtschicht einlegen.   „Hier, Jaina. Der ist für dich.“ Damit stellte sie ihrer besten Freundin die dampfende Tasse vor’s Gesicht.   „Danke, nein.“   „Doch.“   „Nein.“   „Doch.“   „Ich sagte: Nein.“ Diesmal sah Jaina ihre Freundin herausfordernd an. „Zu vergoldetem Tee sagt man nicht Nein“, provozierte Cathy. „Man sagt gar nix und trinkt. Denn Gold ist gut für dich.“   „Neue Wohnung, neues Glück!“ Mit diesen Worten sperrte Cathy zum ersten Mal offiziell die Wohnungstür in der Downing Street auf – mit direktem Blick auf das London Eye und mit Fenster zum Big Ben. Diese Wohnung zu finden war endlos schwer gewesen, aber es hatte sich gelohnt. Diese Wohnung war größer, schöner und heller als die alte. Und das beste: Die ganzen Sachen aus der alten Wohnung waren schon längst geliefert worden und die beiden jungen Frauen brauchten sich um nichts mehr zu kümmern.   „Du bist so verrückt! Wieso ziehen wir nochmal um?“, fragte Jaina und schüttelte den Kopf, als sie in den ausladenden, hell gestrichenen Gang trat. Sogar ein schöner, verschnörkelter Spiegel hing schon an der Wand.   „Weil uns dieser Tapetenwechsel gut tun wird. Außerdem wohnen wir jetzt voll exklusiv“, grinste Cathy.   „Und zur Feier des Tages wird es was geben?“   „Pferdefleisch!“   „Ich kann nicht glauben, dass heute die Verhandlungen sind“, staunte Jaina, trotz ihrer vorgenommenen schlechten Laune. Eigentlich wollte sie ständig sauer und traurig sein, aber nachdem Cathy sie zu immer anderen Dingen zwang – wie Haarewaschen, Einkaufen und Arbeiten und sogar UMZIEHEN in eine neue Behausung – besserte sich ihr Gemütszustand. Was sie wirklich wütend machte. Freude und sowas wollte sie einfach nicht im Programm haben.   Beide standen vor dem Old Bailey Court, dem Zentralen Strafgerichtshof, dessen Grundstein schon im 16.Jahrhundert gelegt worden war. Es war ein beeindruckeneder Bau, neobarock und trotzdem respekteinflößend, mit der Justitia, die oben auf der Kuppel stand und immer so aussah, als würde sie auf die Straftäter hinunterfallen – und sie mit ihrem Schwert aufspießen.   „Ich auch nicht. Der blöde Bastard wird Augen machen, wenn sein Boss gegen ihn aussagt“, meinte Cathy, sie war immer noch stark enttäuscht und fühlte sich hintergangen. Zum einen verfluchte sie Chan für seine Dummheit, ein Haar von sich an einem Opfer zu lassen – zum anderen hasste sie sich selbst für diesen Gedanken. Es war doch gut, dass dieser Mörder nun gefasst war! Besser, als ihn herumlaufen zu haben. Auch, wenn es ihr – manchmal etwas unnütze – Assistent war.   „Schimpf doch nicht ständig so“, belehrte Jaina ihre beste Freundin. Vor Gericht würde das bestimmt keinen guten Eindruck hinterlassen. Aber da musste sie sich daran erinnern, dass Cathy mit großer Regelmäßigkeit vor Gericht aussagte. Zwar nicht als Zeugin, aber als Rechtsmedizinerin, wenn es um Verletzungen und Todesursachen ging. Also konnte man wohl davon ausgehen, dass die Medizinerin ihr Temperament doch besser unter Kontrolle halten konnte, als  angenommen. Sie sah auch so aus. Anders als sonst hatte sich Cathy mal so richtig männlich angezogen – mit schwarzem Anzug und weißer Bluse, die kleine Rüschen am Hals und den Ärmelenden hatte, und zugeknöpft. Sogar eine  schwarze Weste trug sie. Volles Programm also, fand Jaina. Die Modedesignerin hingegen hatte sich für etwas feminines entschieden, für ein schwarzes, knielanges Kleid mit schrägem V-Ausschnitt und schulterbreiten Ärmeln. Um seriöser zu wirken, hatte Jaina sich noch in eine blickdichte schwarze Strumpfhose gezwängt, die dazu besser als erwartet aussah.   „Schimpfen? Das ist doch noch gar nix“, winkte die ältere lässig ab und betrat dann das Gericht.   Nach etwa fünf Stunden, mit einem kleinen Kaffeepäuschen für die Jury, waren die Verhöre beendet, sogar Chan hatte schon ausgesagt, wobei Cathy eine mittleren Herzinfarkt erlitt und Jaina sich etwas fehl am Platze fühlte, während sich der Assistent aus der ganzen Affäre zu reden versuchte. Jedoch war Sherlock auch als Zeuge geladen, schließlich hatte er Chan irgendwie ja dingfest gemacht – und dieser gab so sehr mit seinem Intellekt und seinen Deduktionen an, dass die Jury sich voreilig in ihre Kammer zog um zu beraten. Der Detektiv hatte noch nicht einmal zu Ende geredet.   Jaina und Cathy hatten das heiter hingenommen. Selber Schuld, dachten sie sich einstimmig.   Draußen war das Wetter besser, mild mit ein paar Wolken am Himmel und einer leichten Brise. Jaina war froh, einen Blazer mitgenommen zu haben, während Cathy in ihrem schwarzen Anzug, trotz Weste und dünnem Blazer, etwas fror. Der Preis für einen besonders hübschen Auftritt. Vor dem Gebäude standen gerade ein paar Bauarbeiter, die an einer anderen Statue herumzerrten. Das war ja interessant, was wollten die hier? Hatten die sich in der Haustür geirrt? Auf diesem Gericht jedenfalls befand sich schon eine. Oder fühlte die sich etwa einsam? Das wäre natürlich schändlich.   „Hallo“, sagte Cathy lässig, während sie sich nach einer Zigarrette sehnte. Das wäre jetzt perfekt. Die Bauarbeiter grüßten zurück, wirkten fast ein wenig euphorisch.   „Nicht ansprechen“, flüsterte Jaina da, fast panisch. „Vielleicht sind die alle verrückt!“   „Ach, Jaina. Doch nicht diese netten Kerle“, widersprach die ältere grinsend und trat zu der Statue. „Was wird das eigentlich, wenn’s fertig wird? Da oben ist doch schon eine von der Sorte.“   „Ja, aber die wird alle heilige Zeit mal ausgetauscht und restauriert“, erklärte einer der Männer und wischte sich den Schweiß von der Stirn.   Wieso schwitzt der?, dachte sich Jaina. Es ist doch gar nicht heiß.   Aber ihr wurde im gleichen Moment eiskalt, als sie einen lauten Schrei und Glas splittern hörte. Alle Blicke fuhren nach oben, von wo der Lärm kam. Eine Person fiel im Sturzflug aus dem Fenster – direkt auf die Staute zu! Im nächsten Augenblick schon spritzte Blut auf die Kleidung der umstehenden Leute, ein knackendes und irgendwie widerliches Geräusch wie ein Fluurpsh verursachte eine eigentümlich entsetzte Stille. Jaina sah das und als der Geruch von Innereien sie so unvorbereitet traf übergab sie sich spontan, zusammen mit drei Bauarbeitern, begleitet von einem „Oh Scheiße“ von Cathy.   Die Rechtsmedizinerin trat näher an die Statue und blinzelte zu dem zappelnden halbtoten Chan, der auf Justitias Schwert aufgespießt war. Er hatte wohl aus dem zweiten Stock auf den Boden springen wollen. Ganz offenbar. Er gurgelte panisch und spuckte Blut. Seine Augen rollten und die Beine bewegten sich unkontrolliert – er hatte direkt seine Wirbelsäule getroffen mit diesem waghalsigen Sprung. Die verletzten Nerven taten das Übrige und liesen den Sterbenden wie eine sich schüttelnde Marionette aussehen.   „Cathy, geh da weg!“, bat Jaina, wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund und nahm dankbar einen Schluck Wasser von einem Bauarbeiter – der plötzlich gar nicht mehr wie ein gefährlicher Krimineller aussah – um sich den Mund auszuspülen. Sie beschloss, weniger Vorurteile zu haben.   „Nein. Erst muss ich Chan was fragen.“ Sie ging so um die Statue, bis sie ihn sein Gesicht sehen konnte, das schmerzverzerrt war. Blut lief die Steinfigur hinunter und tropfte auf den Boden – die Medizinerin machte einen kleinen aber doch vorsichtigen Bogen darum.   „Der ist gleich tot!“   „Ja, genau deswegen.“ Sie schüttelte den Kopf und sah ihren ehemaligen Assistenten an. „Chan, wie haben Sie es geschafft, so clever zu töten? Selber wären Sie dazu nie in der Lage gewesen. Wer hat geholfen?“   Doch der Mann war schon tot und hinterlies eine sehr interessante Frage unbeantwortet.   „Cathy! Du kannst nicht so unhöflich sein! Das waren jetzt die letzten Worte, die er gehört hat!“, keifte Jaina. Ihr wurde wieder übel, schon allein bei dem Anblick. Und bei der Tatsache, dass ihre guten Klamotten mit seinem Blut besudelt waren. Und Cathys. Beide Kostüme waren so sündhaft teuer gewesen! Jaina wollte gar nicht an die Reinigungskosten denken.   „Ja und? Er hat es sich selber zuzuschreiben; schließlich ist er ja aus dem Fenster gesprungen. Keiner hat ihn geschubst.“   Niemand vor dem Gericht sprach aus, was sich alle dachten. Dass es eine Ironie des Schicksals war, dass ein flüchtiger Mörder von Justitia getötet wurde.   In dieser Woche verbrachten Jaina und Cathy viel Zeit in ihrer neuen Wohnung und gönnten sich zur Feier der letzten Monate den teueren Wein, der bis dahin unberührt im Schrank gestanden war. Dazu naschten sie ungesunde Schokokekse und Chips, während sie etliche harmlose Actionfilme ohne Liebe und ohne verräterische Mitarbeiter ansahen.   So lässt es sich leben, dachte Cathy.   So kann es bleiben, befand Jaina.     ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)