60 Sekunden von Skeru_Seven ================================================================================ Kapitel 1: Damon ---------------- Ich war kein netter Vampir, ich hatte einfach keinen Grund dazu. Trotzdem stimmte ich bereitwillig zu, Elenas kleinen Bruder mithilfe meiner Fähigkeiten von seinen enormen seelischen Qualen zu befreien. Weshalb? Wann konnte man seinem eigenen Bruder besser unter die Nase halten, wie hilflos er durch seinen lachhaften Lebensstil geworden war. Aber diese Motivation spielte hier eine untergeordnete Rolle, hier sollte es in erster Rolle um Jeremy gehen. Der saß auf einem Stuhl, eingewickelt in eine Decke und heulte sich gerade tonlos die Seele aus dem Leib. Wieder ein guter Grund, unabhängig und ungebunden durch die Welt zu wandeln statt sich auf Menschen einzulassen, die viel zu früh das Zeitliche segneten und einen allein zurückließen. Das war allerdings nicht das, was man einem verzweifelten Teenager in einer solchen Situation sagen sollte, obwohl ein böser Teil in mir das gerne getan hätte. Dieser Junge sah so fertig aus, dem wollte man noch einen Schlag verpassen, damit er sich noch mehr krümmte und in sich zusammensackte. Nur mit Mühe konnte ich diesen Impuls unterdrücken; dabei wäre es im Nachhinein sowieso keinem mehr aufgefallen, nicht einmal Jeremy selbst, wenn ich ihm danach alle seine Erinnerung stahl. Er hob seinen Kopf und sah mich mit seinen verweinten Augen an, kein schöner Anblick, dazu noch dieses unterdrückte Gewimmer. Das spornte sonst zu richtig gemeinen Angriffen an. Aber ich durfte nicht oder eher, ich rang mich dazu durch, es nicht zu tun. „Sie ist tot…“ Jeremy senkte wieder den Blick, biss sich auf die Unterlippe und wirkte einfach nur erbärmlich. „Sieh mich an.“ Als er diese Anweisung gar nicht wahrzunehmen schien, drückte ich etwas grob sein Kinn nach oben, sodass er meinem Blick nicht mehr ausweichen konnte. Ohne diese Verbindung halfen alle schönen Worte nichts und Jeremy würde weiter dieser lästigen Vicky hinterher trauern, obwohl diese fast seine Schwester umgebracht hatte. „Vicky hat die Stadt verlassen. Sie wird nie wieder zurückkehren, aber das ist in Ordnung so. Du musst sie nicht suchen, dich nicht sorgen, denn es ist gut so, wie es ist. Vermiss sie und akzeptiere die Tatsachen“, erklärte ich Jeremy einfach und sachlich das, was Elena mir aufgetragen hatte, und konnte bei jeder Silbe zusehen, wie die Verzweiflung aus seinen Augen floh und eine Leere hinterließ, die ich mit einer neuen Wahrheit füllte. Ohne Skepsis würde er sie akzeptieren und immer wiederholen, egal wie oft man ihn danach fragte. Besonders wichtig war, dass er sie selbst glaubte und dank meiner starken Kräfte nicht durch zu angestrengtes Nachdenken hinter die Fassade sehen konnte. „Du hast keinen Grund mehr, dich hier in Verzweiflung zu verkriechen, denn dir geht es auch ohne Vicky gut. Du vermisst sie einfach.“ Jeremy nickte ernst und ich wusste, dass meine Arbeit getan war. Elena war mir zu großem Dank verpflichtet. Ich ließ von Jeremy ab, der die neuen Fakten verarbeiten musste, und gesellte mich zu den beiden draußen. Hoffentlich wurde es kein Dauerzustand, dass ich eine nette Geste ausüben musste. Kapitel 2: Jeremy ----------------- Als meine Eltern starben, dachte ich, es könnte nicht mehr schlimmer werden, der Schmerz und die Verzweiflung nicht mehr größer, aber manchmal wird man auf grausame Weise eines Besseren belehrt. Ich musste verflucht sein, warum sonst war nun auch Vicky tot und ich ganz allein in diesem Albtraum gefangen, aus dem mich keiner befreien konnte? Elenas Versuche, mich zu trösten, waren nicht ergiebig gewesen, was wohl auch daran lag, dass sie mir noch einmal diese verstörende Situation ins Gedächtnis gerufen hatte. Was half mir eine Rechtfertigung für Vickys Tod, wenn es mir sie nicht zurückbrachte. Ich weinte ungehemmt weiter, immer dieselben schrecklichen Bilder im Kopf und die Gewissheit im Nacken, dass es nicht lange dauern konnte, bis wieder jemand starb, der mir so nahe stand. Jemand trat in das Zimmer ein; aus reiner Gewohnheit hob ich den Kopf, aber eigentlich interessierte es mich nicht, in meinen Gedanken gab es nur ein unablässiges Thema, das sich immer nur selbst zu kopieren schien und dabei immer unerträglicher wurde. „Sie ist tot…“ Und ich wäre es auch gerne. Mein Blick irrte wieder zu Boden, ich war zu erschöpft für alles. Das Gegenüber trat näher an mich heran, wartete wohl auf eine Reaktion, die nicht erfolgte. „Sieh mich an.“ Die Worte klangen leer für mich; was sollte es mir nützen? Die Berührung, die daraufhin folgte, war unangenehm, aber mir fehlten die Kräfte, mich dagegen zur Wehr zu setzen, in dieser Welt voller Schmerz gab es keinen Platz für Wut oder Widerstand. Der fremde Blick war kalt, gefüllt mit einer unangenehmen Mischung aus Verachtung und Desintereresse, was nicht dazu passte, dass er sich mir aufdrängte. Ich wollte in Frieden gelassen werden, um Vicky trauen, wie es sich gehörte, um ein normales Leben trauern, das mir wohl nicht zugedacht war… „Vicky hat die Stadt verlassen. Sie wird nie wieder zurückkehren, aber das ist in Ordnung so. Du musst sie nicht suchen, dich nicht sorgen, denn es ist gut so, wie es ist. Vermiss sie und akzeptiere die Tatsachen.“ Was… nein, Vicky war tot… Vicky war vor meinen Augen gestorben… Vicky war weggegangen und ich litt… ich vermisste sie und würde es dabei belassen… ich hatte einen Grund, keinen Grund traurig zu sein. „Du hast keinen Grund mehr, dich hier in Verzweiflung zu verkriechen, denn dir geht es auch ohne Vicky gut. Du vermisst sie einfach.“ Das klang richtig… das war richtig. Vicky war weg, ich zwar allein, aber deshalb nicht unglücklich. Ich musste nicht mehr weinen. Wie in Trance nickte ich und sah zu, wie Damon den Raum verließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)