Herrin des Feuers von Yurelia (Neuanfang 2014) ================================================================================ Prolog: Aufregung am Morgen --------------------------- Es rumste und ein nigelnagelneuer Wecker rutschte in seine Einzelteile zerlegt an einer Wand herunter. Der Aufprall hatte ihn schrottreif gemacht. »Ahhh, verdammt, verdammt, verdammt!«, fluchte wütend eine weibliche Stimme. »Sie bringt mich um!« Die Quelle der Stimme zog sich hektisch an und raste in die Küche, um sich schnell einen Apfel zu greifen – als "Frühstück to go". Im nächsten Moment war sie aus der Tür gestürmt und rannte zur Bahn. Natürlich fuhr ihr diese dann auch noch vor der Nase davon. »Verfluchte Scheiße!«, fluchte sie mit vollem Mund und verschluckte sich fast an ihrem Apfel. Es war ihr egal, dass sich die Leute nach ihr umdrehten. Sie war wütend und aus genau diesem Grund konnte sie auch nicht dummrumstehen und auf die nächste Bahn warten. Sie warf den halb aufgegessenen Apfel in den nächsten Mülleimer, drehte sich um und rannte die Treppen wieder nach oben. Nun würde sie erst einmal zwei Stationen zu Fuß laufen. Dadurch würde sie sowieso keine Zeit verlieren, da die Bahn erst eintreffen würde, wenn sie die zwei Stationen geschafft hatte. Das wusste sie ganz genau, da ihr diese morgendliche Situation nicht fremd war. Leider. Typisch. Warum musstest du auch auf ihre Bitte eingehen, Yuna? Sie weiß doch, dass du eine anstrengende Woche hinter dir hattest und ein nachdrückliches Nein hätte sie sicherlich akzeptiert., dachte sie und seufzte tief. Ein Glück hatte sie im letzten Moment, bevor sie ihre Wohnung verlassen hatte, noch nach ihrer Handtasche an der Garderobe gegriffen. Jetzt kramte sie in dieser auf der Suche nach ihrem Handy. Ein paar Sekunden später fand sie es und prüfte den Akku. Noch fast voll. Es zahlte sich doch aus, dass sie noch eines der alten Klapphandys besaß und kein neumodisches Smartphone, was man jeden Tag aufladen musste… So oft, wie sie verschlief und hektisch losstürmen musste, wäre das auch keine gute Alternative für sie. Sie wählte die Nummer ihrer besten Freundin. Nach dem ersten Klingeln ging diese ran und Yuna merkte sofort am Tonfall ihrer Freundin, dass diese bereits ziemlich genervt war. »Wo bleibst du denn, Yuna?!«, fauchte es aus dem Handy und Yuna hielt es instinktiv ein Stück weit von ihrem Ohr entfernt. »Ayumi…«, begann Yuna beschwichtigend, doch sie wurde sofort von ihrer nun wütenden Freundin unterbrochen. »Du hast gesagt, du bist um 9 Uhr hier! Jetzt ist es bereits viertel nach!« Nun brach sich Yunas Zorn Bahn. Nein. So war das doch gar nicht gewesen! »Verdammt, nein! Die Uhrzeit ist auf deinem Mist gewachsen! Ich habe nur eingewilligt!« Sie hörte ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. »Du hättest auch Nein sagen können, Yu-chan.« Das alte Lied. Ja, sie hatte Recht. Mal wieder hatte sie sich überrollen lassen… »Schon…«, lenkte Yuna ein und nun war es an ihr zu seufzen. »Aber du weißt auch ganz genau, dass ich gerade erst zu Hause und dementsprechend erledigt gewesen bin. Du weißt, dass ich dann oft nicht die Kraft habe, zu widersprechen.« »Oh«, machte Ayumi. »Stimmt. Das hatte ich nicht bedacht. Ich war so … aufgeregt…« Yuna verdrehte die Augen. »Ja, DAS war nicht zu überhören gewesen.« »Komm einfach schnell her, ja?« »Jaja, ich bin ja schon unterwegs…«, maulte Yuna und verdrehte erneut die Augen. Sie verabschiedeten sich und legten auf. Yuna hing ihren Gedanken nach, als sie die von ihr angepeilte U-Bahn-Station erreichte. Sie war zwar noch ein wenig maulig, aufgrund des versauten Morgens, aber sie grübelte jetzt das erste Mal richtig darüber nach, was Ayumi entdeckt haben mochte. Es gehörte nicht viel dazu, ihre Freundin in helle Aufregung zu versetzen. Erst vor zwei Wochen hatte sie Yuna ganz wuschig gemacht, weil sich der Abfall in ihrem Mülleimer plötzlich bewegte. Ayumi war der festen Überzeugung gewesen, sie hätte irgendein unentdecktes Wesen in ihrem Mülleimer entdeckt. Als Yuna sich den Eimer näher anschaute, stellte sie jedoch fest, dass es nur Ayumis Hamster war, der sich offenbar verirrt hatte, da Ayumi mal wieder vergessen hatte, die Käfigtür zu schließen. Irgendwann würde er noch versehentlich im Staubsauger landen, wenn Ayumi nicht aufpasste. Ihre Gedanken wurden unterbrochen als die U-Bahn einfuhr. Die Türen der Bahn öffneten sich und Yuna stieg ein. Wie immer um diese Uhrzeit in Tokyo war es zum Brechen voll. Ihre Gereiztheit wollte gerade wieder zurückkehren, da spürte sie es. Schon wieder. Das kam in letzter Zeit viel zu oft vor. Das Gefühl, beobachtet zu werden. Und diesmal hielt es länger an als sonst. Ein Zeichen dafür, dass Yuna sich das nicht nur einbildete. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Person im gleichen Waggon saß. Yuna versuchte sich nichts anmerken zu lassen und an etwas anderes zu denken. Aber es war vergebens. Ihr Herz hatte vor Angst bereits angefangen schneller zu schlagen und es klopfte so laut, dass es bestimmt jeder hören musste. Minuten verstrichen. Stationen kamen und gingen. Die Bahn wurde leerer, als sie sich dem Stadtrand näherte. Irgendwann konnte Yuna sich einen Sitzplatz sichern. Aber das Gefühl war noch da. Die Person war nicht ausgestiegen. Yuna sah aus dem Fenster und versuchte die rasenden Gedanken in ihrem Kopf zu stoppen. Natürlich vergebens. Kein Wunder, nie zuvor war das Gefühl so nah, so echt, so präsent gewesen. Und sie musste wieder an den dunklen Schatten denken, den sie glaubte, Anfang letzter Woche gesehen zu haben… Sie gab es auf, aus dem Fenster zu sehen. Verstohlen blickte sie sich um. Wenn sie tatsächlich verfolgt wurde, musste sie wissen von wem. Der Waggon war nicht besonders voll. Nur eine Handvoll Leute saßen in ihm. Inklusive Yuna. Jeden einzelnen Fahrgast blickte sie prüfend an. Als sie beim letzten ankam, blitzten grüne Augen auf und eine dunkle Gestalt schaute schnell aus dem Fenster. Die Bewegung war so schnell gewesen, dass sie im nächsten Moment überlegte, ob sie wirklich stattgefunden hatte. Verwirrt konnte sie einfach nur glotzen. Und was sie sah, beunruhigte sie. Verwuscheltes, schwarzes Haar, dunkle Kleidung… Offenbar ein junger Mann, nicht viel älter als sie… Er konnte es gewesen sein. Der Schatten… Plötzlich bewegte er sich, was Yuna aufschreckte und sie wieder aus dem Fenster gucken ließ. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er nur seine Sitzposition verändert hatte. Ein Glück. Er hatte keine Anstalten gemacht zu ihr herüber zu kommen. Sie atmete erleichtert aus und betrachtete die Bäume, die am Fenster vorbeihuschten. Sie musste fast da sein … Mit einem Schlag stellte sie fest, dass das Gefühl verschwunden war. Sie blickte wieder auf, schaute sich um. Keiner der Fahrgäste hatte den Waggon verlassen. Das wäre sowieso vollkommen unmöglich gewesen, da sie seitdem an keiner Station gehalten hatten. Wieder schaute sie zu der dunklen Gestalt. Seine Position hatte sich nicht verändert… Warte, war das auf seinem Gesicht etwa ein leichtes Grinsen? Doch im nächsten Moment verschwand es wieder, so schnell, dass sie dachte, es nie gesehen zu haben. Sie starrte ihn an. Ihr Gefühl sagte ihr, dass er ihr Verfolger war. Ganz sicher. Aber sie hatte keine Beweise. Also konnte sie auch nicht zur Polizei gehen. Sie schreckte hoch, als die Bahn die Station erreichte, an der Yuna aussteigen musste. Auf dem Bahnsteig schaute sie sich noch einmal um. Die dunkle Gestalt war sitzen geblieben. Er war ihr diesmal nicht gefolgt… Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihren offensichtlichen Verfolger vorerst abzuschütteln. Vorerst. Natürlich würde sie Ayumi davon erzählen müssen. Ayumi. Schnell fokussierte sie ihre Gedanken wieder auf ihre Freundin und setzte sich in Bewegung. Fünf Minuten später stand sie vor Ayumis Haustür und klingelte. In den Sekunden, in denen sie wartete, dass sich die Tür öffnete, stellte sie fest, dass Ayumis Mutter schon wieder neue Blumen gepflanzt hatte. Wenn das so weiter ging, würde der Vorgarten bald ein Urwald sein… Mit einem Ruck öffnete sich die Tür und Yuna schaute in Ayumis amüsiert blitzende Augen. Offensichtlich hatte sie sich wieder beruhigt und machte sich nun darüber lustig, dass Yuna wieder verschlafen hatte. Finster schaute sie ihre Freundin an. »Wie geht es deinem Wecker?«, fragte Ayumi und ihr Grinsen wurde breiter. »Das weißt du doch«, knurrte Yuna, ging an Ayumi vorbei und hing ihre Jacke an der Garderobe auf. »Wieder 50 Ryō in den Sand gesetzt? Wenn du so weiter machst, wirst du noch arm dabei!« Yuna verdrehte nur die Augen und erwiderte auf den gewohnten Spott ihrer Freundin ausnahmsweise nichts. Ihre Gedanken kehrten zu ihrer Begegnung mit ihrem Verfolger in der Bahn zurück und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Ayumi merkte dies sofort, nahm sie an die Hand und schleifte sie treppaufwärts in ihr Zimmer. »Was ist los?«, fragte Ayumi nachdem sie die Zimmertür geschlossen hatte. »Nichts… Ich… Ich weiß nicht…«, antwortete Yuna und sah auf einmal total verunsichert und hilflos aus. Prüfend schaute Ayumi ihre Freundin an und wartete ab. Nach einigen Minuten erzählte Yuna ihr von der Begegnung in der Bahn und dass sie nun ganz sicher wusste, dass sie verfolgt wurde. Nachdem sie geendet hatte, schwiegen die Freundinnen. Ayumi ließ sich auf ihr Bett plumpsen und schaute ihre Freundin nachdenklich an. »Sah er wenigstens gut aus?«, fragte Ayumi dann plötzlich. Die Frage war so absurd, dass Yuna gegen ihren Willen lachen musste. Sie ließ sich neben ihre Freundin aufs Bett fallen und grinste sie an. »Ja, irgendwie schon«, antwortete sie schließlich. »Na siehst du. Dann kann er auch keine bösen Absichten haben«, gab Ayumi prompt zurück. Diese Bemerkung war genauso absurd wie Ayumis Frage und so typisch für ihre Freundin, dass Yuna automatisch die Augen verdrehte. »Was denn?«, wollte Ayumi wissen. »Verbrecher sehen immer böse aus!« »Das ist naiver Quatsch und das weißt du!«, gab Yuna etwas energischer zurück, als sie beabsichtigte. »Was wirst du nun tun?« »Keine Ahnung. Ich bin für Ideen offen.« »Du könntest ihn in eine Falle locken und dann stellen und ihn direkt fragen, was er von dir will?«, schlug Ayumi vor. »Ja, am besten in einem verlassenen Stadtteil abends allein im Dunkeln und dann auch noch in einer einsamen Gasse«, schnaubte Yuna. »Bist du bekloppt? Natürlich am helllichten Tag und nicht allein!«, schnaubte nun Ayumi und sah ihre Freundin entsetzt an. »Natürlich helfe ich dir. Das ist doch Ehrensache!« »Danke. Aber könnten wir vorerst das Thema wechseln? Sag mir lieber, weswegen ich hierher hetzen musste.« Sofort kehrte die Aufregung in Ayumis Stimme zurück. »Komm mit, ich zeig's dir!« Sie sprang auf, huschte zur Zimmertür, öffnete sie und steuerte die Dachbodentreppe an. Yuna hatte Mühe ihr zu folgen. Kapitel 1: Mysteriöse Reise --------------------------- Auf dem Dachboden angekommen machte Ayumi erst vor einer alten, nun fast nicht mehr eingestaubten Kiste Halt, die Yuna nur zu gut kannte. Normalerweise stand sie in dem großen, alten Eichenschrank, der in der hintersten Ecke des Dachbodens stand. Sie hatten sie oft in Händen gehabt, als sie früher hier oben gespielt hatten. Aber sie war verschlossen gewesen und keiner in Ayumis Familie hatte gewusst, wo der Schlüssel zur Kiste abgeblieben war. Nun sah Yuna, dass das Schloss der Kiste geöffnet worden war. »Sag bloß, du hast den Schlüssel zur Kiste endlich gefunden?«, fragte Yuna und ihre Genervtheit und ihr Desinteresse waren auf einmal wie weggefegt. »Na, sonst wär die Kiste ja wohl kaum offen«, antwortete Ayumi. »Wo war er?« »Och, das ist doch unwichtig…« »Ayumi, wir haben jahrelang danach gesucht!«, rief Yuna ihr in Erinnerung. Das klang bedeutungsvoller als es war. Als Kinder hatten sie auf dem Dachboden oft gespielt und irgendwann diese Kiste gefunden. Damals hatten sie sie nicht öffnen können, da der Schlüssel fehlte und mit Gewalt aufbrechen wollten sie sie nicht, da es sich um ein Andenken an Ayumis Großmutter handelte. Deswegen hatten sie nach dem Schlüssel gesucht. Mehrere Jahre. Irgendwann hatten sie es aufgegeben. Und nun hatte Ayumi offensichtlich den Schlüssel gefunden. »Stimmt. Und vor lauter Suchen bin ich auch nicht auf die Idee gekommen, in meine Schmuckschatulle zu schauen…« »Er war in deiner Schmuckschatulle?«, fragte Yuna verdutzt. »Ja… Erinnerst du dich, dass Großmutter mir einen Schlüssel schenkte, bevor sie starb? Ich hatte völlig vergessen, dass ich ihn habe. Er war ganz zuunterst unter mehreren Ketten begraben…«, erzählte Ayumi. »Als ich letztens meine Ketten durchwühlte, weil ich eine bestimmte suchte, fiel mir der Schlüssel in die Hände.« »Und natürlich hast du sofort an die Kiste hier gedacht?« »Klar, du kennst mich doch. Und immerhin haben wir jahrelang nach dem Schlüssel gesucht.« Ayumi grinste ihre Freundin unternehmungslustig an. Yuna seufzte. Dieses Grinsen und dieser Blick hatte sie beide schon einige Male in Schwierigkeiten gebracht… »Was ist in der Kiste?«, wollte sie nun wissen. Misstrauisch schaute sie die hölzerne Kiste an. Sie hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. »Nur alter Krams von meiner Großmutter. Schmuck und sowas«, antwortete Ayumi. »Wegen alten Krams machst du hier die Pferde scheu? Das glaube ich dir nicht«, meinte Yuna und schaute Ayumi ungläubig an. »Stimmt. Denn es ist nicht nur Krams da drinnen.« Ayumi beugte sich zu der Kiste nach unten und klappte den Deckel auf. Dann trat sie zur Seite, damit Yuna hinein schauen konnte. »Ein Buch«, stellte Yuna fest und war kurz davor, ihre Freundin anzubrüllen. Wegen eines Buches so eine helle Aufregung zu veranstalten… Ja, das konnte nur Ayumi. Yunas Genervtheit begann zurückzukehren… »Naja…«, machte Ayumi verlegen. Sie hatte Yunas Unterton genau richtig gedeutet. »Du bist ja von uns beiden hier die Bücherexpertin. Ich hatte gedacht, dass du eventuell erkennen könntest, um was für ein Buch es sich handelt und vielleicht wie wertvoll es ist …« »Ich bin Bibliothekarin, keine Antiquarin!«, gab Yuna verärgert zurück. »Du weißt ganz genau, dass ich mich mit so alten Büchern nicht auskenne.« »Wie alt schätzt du es denn?«, fragte Ayumi vorsichtig. »Hat es kein Impressum?«, konterte Yuna und verdrehte gereizt die Augen. Ayumi schnaubte gereizt. »Was meinst du, warum ich dich angerufen habe? Jahreszahlen in einem Impressum kann ich sehr wohl lesen! Aber ich habe keines gefunden.« »Oh«, machte Yuna nur und nahm das Buch in ihre Hände, um es zu begutachten. Als sie es aufklappen wollte, leuchtete es kurz hellgrün auf und Yuna bekam eine gewischt. Vor Schreck ließ sie das Buch zurück in die Kiste fallen und sank auf die Knie. Sie spürte, dass Ayumi direkt neben ihr saß. Offensichtlich hatte Ayumi einen mindestens genauso großen Schreck bekommen wie Yuna, denn Yuna spürte, wie sich Ayumis zitternde Hand in die ihre legte. »Was war das gerade?«, fragte Yuna leise. »Nicht die geringste Ahnung«, presste Ayumi hervor. Sie versuchte ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. Vergeblich. »Wir sollten wohl die Finger von dem Buch lassen.« »Vermutlich.« Und trotzdem sie Ayumi zustimmte, konnte sie den Drang nicht widerstehen, mit ihrer rechten Hand das Buch zu berühren, während ihre linke Hand von Ayumi fast zerquetscht wurde. »Yuna, was machst du da?«, fragte Ayumi angstvoll. »I-ich weiß nicht…« »Hör auf damit!«, flehte Ayumi. »Es hat dir einen Schlag verpasst! Somit kann es nur böse Absichten haben!« Mittlerweile umklammerte Ayumi mit beiden Händen Yunas Hand. Doch Yuna merkte dies gar nicht. Wie fremdgesteuert holte sie das Buch auf ihre Knie und schlug es auf. Sekundenlang geschah gar nichts und Yuna merkte dunkel wie sich in ihrem Kopf ein Satz bildete: Es ist ein Buch, Ayumi. Bücher haben keine Absichten. Aber sie sprach ihn nicht aus, denn im nächsten Moment war der Gedanke schon wieder verschwunden. Dann fing das Buch plötzlich an, hellgrün aufzuleuchten – die gleiche Farbe, die zuvor schon aufgeleuchtet war, als Yuna einen Schlag bekommen hatte. Yuna strich über die aufgeschlagenen Seiten, auf denen etwas in einer Schrift geschrieben war, die sie nicht kannte. Als würde das Buch ihr auf die Berührung antworten, fing es an zu summen und zu pulsieren und das Leuchten erfasste mittlerweile den ganzen Raum. »Was zum…?«, hörte sie Ayumi sagen. Doch Ayumi hatte keine Gelegenheit ihren Satz zu beenden. »Yuna!«, rief sie auf einmal erschrocken, denn diese begann, durchsichtig zu werden. Yuna sah erstaunt und erschrocken zu Ayumi und stellte fest, dass auch sie immer mehr an Transparenz zunahm. Ihre smaragdgrünen Augen weiteten sich erschrocken, als sie an sich heruntersah und merkte, wie das Gleiche bei ihrem eigenen Körper geschah. Viel Zeit sich zu wundern, hatten sie jedoch nicht, denn im nächsten Moment wurden sie im grünen Licht umhergewirbelt, wie in einem Wirbelsturm. Verzweifelt versuchten sie sich aneinander festzukrallen, um sich nicht zu verlieren, doch die Fliehkraft war stärker. Irgendwann reichte ihre Kraft nicht mehr aus und sie wirbelten getrennt voneinander umher. Sie versuchten sich gegenseitig im Blick zu haben, doch irgendwann musste Yuna ohnmächtig mit ansehen, wie sie beide gleichzeitig in verschiedene Richtungen auseinandergewirbelt wurden. Als das Licht verschwand, fand sich Yuna alleine mitten in einem fremden Wald wieder. Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Knie gaben unter ihr nach und sie sackte wieder zu Boden. Ihr war furchtbar schwindelig und sie kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben. Sie schaute sich um, um sich von den panischen Gedanken, die sich in ihr breit zu machen versuchten, abzulenken. Der Wald roch frisch und rein und sie bemerkte sofort den hellgrünen Schimmer, der auf ihm lag. Die gleiche Farbe wie das Leuchten des Buches nur nicht so intensiv. Sie schaute sich die Pflanzen an und stellte fest, dass sie sie noch nie gesehen hatte. Gerade als sie sich darüber Gedanken machte, wo sie hier gelandet und ob sie überhaupt noch in Japan war, hörte sie ein Rascheln hinter sich und erstarrte. Wieder versuchte sie, sich aufzurappeln aber offensichtlich hatten sich ihre Beine noch nicht von der unerwarteten Reise hierher erholt – ganz zu schweigen von der Art der Reise. Das Rascheln hatte aufgehört und nun hörte sie Schritte hinter sich, die direkt auf sie zukamen. Sie hätte sich umdrehen können, wäre sie vor Angst nicht wie gelähmt gewesen. Direkt hinter ihr stoppte die Person und Yuna spürte, wie der Blick dieser Person auf ihr ruhte. Ihr Herz, das vor Angst raste, setzte einen Schlag aus. Es fühlte sich an, als würde es sich überschlagen – auch wenn Yuna wusste, dass das nicht möglich war. Dann raste und hämmerte es wie wild weiter. »Na, da bist du ja endlich«, sagte die Person, die hinter hier stand. Es war eine männliche Stimme. Sie klang angenehm ruhig und melodisch. Yunas Herzschlag beruhigte sich ein wenig. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich werde dir nichts tun«, meinte der Unbekannte hinter ihr. Er sprach beruhigend und langsam, als würde er spüren, was für große Angst sie hatte. »Ja, klar. Würde jemand, der mir was antun wollte, nicht genau das auch behaupten?«, platzte es ironisch aus ihr hervor. Doch ihre Stimme hatte die von ihr beabsichtigte Festigkeit aufgrund ihrer Angst völlig verloren. Sie hörte sich zittrig, ängstlich und schwach an. Wie die Stimme eines verängstigten Kindes oder einer altersschwachen Frau. Yuna zog verärgert eine Fratze. Die Absicht des Satzes verfehlte völlig seine Wirkung. Hoffentlich stürzte sich der Fremde nun nicht auf sie… Doch sie wurde überrascht. Er lachte leise. Man könnte es schon fast ein Kichern nennen. Sie hörte seine Schritte. Offenbar ging er nun um sie herum. Wusste er, dass sie nicht aufstehen konnte? Sie starrte geradeaus ins Leere, darauf wartend, dass die Angst zurückkehrte. Doch im nächsten Moment erschien ein Gesicht in ihrem Blickfeld. Das Gesicht des Unbekannten. Sie konnte nur verwirrt zurückstarren. Unverhohlen grinste er sie an. »Na komm, ich helfe dir beim Aufstehen«, sagte er und das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als er ihr seine Hand reichte. Sie ließ sich helfen, starrte ihn jedoch weiterhin an, unfähig etwas zu sagen. Amüsiert blitzte es in seinen grünen Augen… Moment mal! Das hatte sie doch schon einmal gesehen…? Wenngleich nicht so klar und deutlich… Und im nächsten Moment erkannte sie, wer da vor ihr stand. Wütend entriss sie ihm ihre Hand und stolperte zwei Schritte zurück, was ihn offenbar zu überraschen schien. »DU!«, stieß sie wütend hervor. »Oh«, machte er und die Überraschung  wich aus seinem Blick. Offensichtlich hatte er gerade verstanden, was in ihr vorging. »Ich«, bestätigte er. »Was willst du von mir?!«, fauchte Yuna ihn an. »Yuna, beruhige dich…«, versuchte er sie zu beruhigen. »Du kennst sogar meinen Namen?!«, kreischte Yuna und ihre Stimme überschlug sich dabei. »Elender Stalker, du! Bleib bloß weg von mir!« Panisch versuchte sie gleichzeitig wegzulaufen und ihn dabei nicht aus den Augen zu lassen. Das Ergebnis war, dass sie versuchte, rückwärts zu laufen, was natürlich fehlschlug, da sie nicht wusste, was hinter ihr war. Nach ein paar Schritten stolperte sie über eine Baumwurzel und fiel unsanft auf ihr Hinterteil. »Verdammt!«, fluchte sie und war den Tränen nahe. Ihre Unterlippe bebte verdächtig. Im Nu war der Fremde bei ihr und zog sie nach oben. Ihr schwacher Versuch sich zu wehren schlug fehl. Hätte er nicht das Wort ergriffen, hätte sie das letzte Bisschen Selbstbeherrschung ganz sicher verloren. »Ja, ich kenne deinen Namen. Ich kenne dich, seit du geboren wurdest. Und es tut mir Leid, dass ich die erschreckt habe. Das wollte ich nicht. Und es war sehr dumm von mir, gleich preiszugeben, dass ich dich kenne.« Er lächelte sie an. »Es ist wirklich alles in Ordnung. Ich bin ein Freund deiner Mutter.« Er kennt meine Mutter? Eigentlich sollte sie die Frage stellen, die ihr zuerst auf der Zunge lag. Ob er es beweisen könne und woher er ihre Mutter kannte. Doch sie vermisste ihre Mutter so stark, dass sie die unlogischste aller Fragen stellte, die ihr in den Sinn kam. »I-ist sie h-hier?« Beunruhigt starrte der Fremde sie an. »Nein. Sie ist vor 19 Jahren in deine Welt gegangen und hat dich dort zur Welt gebracht. Warum fragst du mich das? Du müsstest doch wissen, dass sie bei dir in Tokyo lebt.« Yuna schüttelte den Kopf und seufzte. »Okay, die Frage war mehr als dämlich.« Ihr Blick verdüsterte sich. »Und offensichtlich hast du mich nicht so gut gestalkt, wie du glaubst.« »Wieso?«, fragte der Fremde. »Meine Mutter ist vor drei Jahren gestorben«, antworte Yuna und Traurigkeit breitete sich in ihr aus. »Ich hatte nur auf ein Wunder gehofft… Dass sie vielleicht auch nur … gereist ist… So wie ich…« Der Fremde unterbrach sie. Der Schock stand ihm in den Augen. »Linora ist tot?!« »Oh«, machte Yuna und schaute ihn mitfühlend an. »Offensichtlich hast du sie wirklich gekannt…« »Ja, das habe ich…«, seufzte er. »Und dass sie tot ist, ändert alles…« Fragend schaute Yuna ihn an und sein Gesichtsausdruck bewirkte, dass sie ihm glaubte. Er wollte ihr nichts Böses. Der Schmerz in seinen Augen war echt. Wie sie ihm da so in die Augen schaute, fiel ihr etwas auf… »Deine Augen!« »Hm?« »Sie sind wie meine.« »Was meinst du?«, fragte er. »Na, die Farbe! Smaragdgrün. Wie meine. Sind wir verwandt oder so?« Wieder lachte er. »Nein, Yuna. Wir stammen zum Teil von der gleichen Spezies ab.« Er seufzte wieder. »Deinem verwirrten Blick nach zu urteilen, stimmt meine Vermutung. Linora hat dir nichts über deine wahre Herkunft erzählt, nicht wahr?« »Äh, ich denke nicht«, antwortete Yuna und war noch verwirrter als vorher. »Welche Spezies meinst du denn?« »Die Liosalfar. Lichtelfen.« Er setzte sich in Bewegung. »Komm mit. Ich zeig dir unser Dorf.«  Doch Yuna rührte sich nicht vom Fleck. Verdutzt blieb er stehen, als er merkte, dass sie ihm nicht folgte. »Was ist los?« »Ich gehe ungern mit … äh … Lichtelfen mit, deren Namen ich nicht einmal kenne.« »Ups«, gab er von  sich und ging auf sie zu. Als er wieder vor ihr stand, reichte er ihr lächelnd die Hand. »Yoru Tenshi. Erfreut dich kennenzulernen, Yuna.« »Äh … Danke. Wäre sinnfrei dir jetzt meinen Namen zu nennen, oder?«, fragte Yuna unsicher und schüttelte kurz seine Hand. »Irgendwie schon«, lachte Yoru. »Na komm. Ich führ dich ins Dorf und unterwegs versuche ich, deine Fragen zu beantworten, die du mir stellen möchtest.« Yuna nickte zustimmend. Sie folgte Yoru unsicher. Was blieb ihr auch anderes übrig? Ayumi… Wo bist du bloß?, fragte sie in Gedanken. Ich  hoffe, es geht dir gut. Sie unterdrückte ein Seufzen. Wenigstens brauchst du keine Enttarnungsaktion wegen meines Verfolgers zu starten… Kapitel 2: Antworten -------------------- Schweigend liefen Yuna und Yoru nebeneinanderher. Yuna grübelte über das Geschehene nach und darüber, wo Ayumi sein könnte. War sie hier auch irgendwo – wo auch immer dieses Irgendwo war? Yoru warf ihr immer wieder besorgte Seitenblicke zu. Sie war so still. Das hatte er nach dem Temperamentausbruch von zuvor nicht erwartet… Als sie bereits 15 Minuten unterwegs waren, brach Yoru das Schweigen. »Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Die ganze Zeit schon bist du so still. Das hab ich nicht erwartet…« Aus ihren Gedanken hochgeschreckt schaute Yuna zu ihm hinüber. Dann blaffte sie ihn gereizt an: »Ja, was erwartest du denn? Dass ich mein Innerstes vor dir ausschütte?! Ich kenn dich doch gar nicht!« Als Yoru als Antwort nur amüsiert lächelte, wurde sie sauer. »Hör auf so dämlich zu grinsen!« Sein Lächeln erstarb. Er hielt auf einmal an und schaute sie ernst an. »Ich habe mit 1000 Fragen gerechnet und nicht damit, dass du stumm neben mir herläufst.« »Und wer garantiert mir, dass du die Wahrheit sagst?«, konterte Yuna und hielt ebenfalls an. »Keiner«, antwortete er gelassen. »Aber offensichtlich hast du bereits gemerkt, dass das hier nicht mehr deine Welt ist.« »Ich habe es befürchtet…«, seufzte Yuna und ließ den Kopf hängen. »Wie komm ich wieder zurück?« »Wow, das ging schnell. Du bist noch nicht mal eine halbe Stunde hier und hast schon die Schnauze voll?« »Das habe ich nicht gesagt«, maulte Yuna und verschränkte stur die Arme vor der Brust. »Aber gedacht. Nunja, du kommst auf dem gleichen Wege zurück, wie du hergekommen bist«, erklärte Yoru. »Und wie stellst du dir das vor?«, fragte Yuna genervt. Sie war via "Buchexpress" gereist aber das Buch war weit und breit nirgends zu sehen. Offensichtlich ist es zu Hause geblieben. Hatte wohl keine Lust zu reisen gehabt… »Hmmm, ja… Das ist tatsächlich ein Problem«, murmelte Yoru gedankenverloren. »Wie bitte?«, wollte Yuna verwirrt wissen. Dieser Yoru war wirklich ein merkwürdiger Kerl! Aber wenn sie es genau nahm, waren Elfen schon in ihren Büchern immer merkwürdig gewesen. Offensichtlich steckte in ihnen ein Körnchen Wahrheit. Auf einmal schaute er ihr direkt in die Augen und grinste sie an. Einfach so! Genervt wich sie seinem Blick aus. »Na gut. Du willst Fragen von mir gestellt bekommen? Dann sag mir, wo ich hier gelandet bin!« »Fantasiya«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. Noch immer hatte er dieses Grinsen im Gesicht. »Aha«, machte Yuna genervt, verdrehte die Augen und ging wieder los in die Richtung, die Yoru zuvor angesteuert hatte. Langsam ging ihr der Typ so richtig schön auf die Nerven. Eben tut er so, als hätte er Ahnung davon, wie offensichtlich ahnungslos ich bin und nun denkt er, ich könne mit dem Wort "Fantasiya" was anfangen… Auf einmal lag eine Hand auf ihrer Schulter, die sie sanft drückte, aber dennoch so stark, dass sie sie am Gehen hinderte. Wütend drehte sie sich um. »Was zum Teufel soll das?!«, fauchte sie ihn an. Überrascht weiteten sich seine grünen Augen. Offensichtlich hatte er mit dieser Reaktion nicht gerechnet. Im nächsten Moment fasste er sich wieder und zog seine Hand von ihrer Schulter. »Entschuldigung.« Ein verlegenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Doch bevor es zu drückend werden konnte, fasste Yuna sich ein Herz. »Es tut mir Leid, Yoru. Offenbar hast du auf mich gewartet – aus Gründen die mir schleierhaft sind und mich eigentlich auch gar nicht interessieren. Ich will nur meine Freundin finden und wieder nach Hause zurückkehren. Im Übrigen OHNE weiter von dir verfolgt zu werden.« »Tja, tut mir Leid, dir das mitteilen zu müssen… Aber ohne das Buch kommst du auch nicht mehr zurück«, antwortete Yoru und sein Blick war nun sanft und besorgt. »Du hast es nicht eventuell unter deinem Hemd versteckt?« »Unter meinem Hemd? Wie soll das darunter passen?«, fragte Yuna verwirrt. »Hast du eine Ahnung, wie groß das Buch ist?« »Klar. Deswegen ja. Das da kann unmöglich alles echt sein.« Er deutete mit dem Kopf ein Stück weit an Yuna nach unten. Als Yuna seinem Blick folgte, verstand sie, was Yoru meinte. Ihre Oberweite. Augenblicklich lief sie rot an. »Perversling!«, brüllte sie ihn an. »Als ob es nicht reichen würde, dass du mich stalkst!« »Ehm… Yuna… Ich wollte…« »Ist mir egal, was du wolltest! Ich will es gar nicht wissen!!« »Du solltest aufpassen, dass…« »Ich sollte aufpassen, nicht zu vergessen, dir eine zu kleben!«, fauchte Yuna ihn an. Weil sie so wütend war, merkte Yuna gar nicht, wie ihre Augen zu glühen begannen und sich um ihren Körper kleine Flämmchen bildeten. »Verdammt…«, murmelte Yoru. »Na gut, dann eben so…« »Hör auf dummrumzufaseln und hör gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!«, brüllte Yuna weiter. Doch Yoru beobachtete nur die Flämmchen, die langsam immer mehr wurden, spannte sich an, holte tief Luft und schloss die Augen. »Hey, deine Yogaübungen kannst du machen, wenn ich mit dir fertig bin!«, tobte Yuna weiter. Yoru ignorierte Yuna völlig und konzentrierte sich auf sein Vorhaben. Yuna tobte und fauchte ihn weiter an. Als sie gerade anfing zu kreischen und sich ihre Stimme begann zu überschlagen, öffnete er die Augen und schaute Yuna ruhig an. Um ihn herum war eine dunkle Aura entstanden. Seine grünen Augen waren auf einmal schwarz wie die Nacht geworden. Und Yunas Stimme war verstummt. Misstrauisch beäugte sie Yoru, der auf einmal so ganz anders aussah als zuvor. Etwas Dunkles, Eisiges ging von ihm aus. Seine Aura teilte sich auf und kleine, dunkle Kugeln schossen auf Yuna zu. »Verdammt!«, fluchte Yuna und versuchte auszuweichen, da sie dachte, Yoru würde sie angreifen. Doch die Kugeln schossen an ihr vorbei und nun sah sie auch die Flämmchen, die um ihren Körper tanzten. »Was zum…«, begann Yuna. Doch sie stockte abrupt, als sie sah, wie die dunklen Kugeln ihre Flämmchen erstickten. Fassungslos klappte Yuna den Mund auf und wieder zu, weil sie feststellen musste, dass sie sprachlos war. Ängstlich starrte sie Yoru an. Dieser entspannte sich gerade und atmete kurz tief durch. Schuldbewusst lächelte er Yuna aus nun wieder smaragdgrünen Augen an. »Tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken, Yuna. Und auch nicht ärgern…« »D-das ist gerade nicht wirklich passiert! Bitte sag mir, dass ich träume! Die Alternative gefällt mir nämlich überhaupt nicht!« »Was für eine Alternative?«, fragte Yoru und legte den Kopf schief. »Dass ich komplett irre bin!«, antwortete Yuna und Unglauben tränkte ihre Stimme. »Du bist nicht irre. Aber das gerade eben ist tatsächlich passiert. Ich wollte dich warnen, aber du hast mich nicht gelassen«, antwortete Yoru und lächelte sie vorsichtig an. »Okay, du hast mir einiges zu erklären«, seufzte Yuna tief und ließ sich auf den Boden plumpsen. »Und ich geh erst weiter, wenn du meine Fragen beantwortet hast.« Yoru nickte und ließ sich vorsichtig ein kleines Stück neben Yuna auf dem Boden nieder. Er wollte nicht wieder riskieren, sie zu erschrecken oder zu verärgern. »Was möchtest du wissen?« »Wie wäre es, wenn du mir erst einmal erzählst, wer du bist, warum du mich in meiner Welt verfolgt hast und mich offensichtlich erwartet hast?«, antwortete Yuna ihm »Das ist aber mehr als nur eine Frage«, bemerkte Yoru. »Ich habe nicht gesagt, dass ich nur eine Frage hätte«, konterte Yuna. »Nagut, ich werde versuchen, sie dir alle so gut es geht, zu beantworten. Es ist aber nicht einfach und ich muss ein wenig weiter ausholen…« Gespannt schaute Yuna Yoru an. »Fang an.« Und er begann tatsächlich zu erzählen. »Du musst wissen, dass Fantasiya seit langer Zeit unterdrückt wird. Nur in bestimmten Bereichen können wir einigermaßen frei leben. Dieser Bereich hier gehört auch dazu. Es gab in der Vergangenheit mehrere Widerstandsgruppen, die versucht haben, die Welt zu befreien. Doch alle scheiterten. Natürlich gibt es immer noch einzelne Widerständler… Jedoch wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis auch sie geschnappt werden. Aus unserem Dorf kommt die Prophezeiung, in der es heißt, dass eines Tages eine Liosalfar erscheinen und die Kraft mitbringen wird unser Land zu befreien. Sie wird "Herrin des Feuers" genannt. Ich bin der Wächter dieser Lichtelfe. Meine Aufgabe ist es, über sie zu wachen, sie zu beschützen und sie zum Ziel zu führen. Deine Mutter war die erste Herrin des Feuers. Doch sie scheiterte. Sie verliebte sich in den Hüter des Buches, wurde schwanger und verlor ihre Kräfte. Wir alle vermuteten, dass sie sie sofort an ihr Kind – an dich – weitergab. Und so vereinbarte ich mit Linora, mit in die Welt deines Vaters zu gehen und dort auf dich aufzupassen und dafür zu sorgen, dass du den Weg hierher findest, wenn du dafür  bereit sein solltest. Doch vor ein paar Jahren verlor ich euch aus den Augen… Das muss zu der Zeit gewesen sein, als Linora starb. Immer wenn ich euch aufspüren wollte, wurde es dunkel und ich sah gar nichts. Bis vor kurzem, als ich dich wiederfand. Ich nahm an, du wärst von zu Hause ausgezogen, weswegen ich mich nicht wunderte, als ich Linora in deiner Gegenwart nicht spürte und auch nicht sah. Ich kam nicht auf die Idee, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte… Wie auch immer… Ich denke, den Rest kannst du dir selber denken, oder?« »Ja…«, sagte Yuna und ihre Stimme brach. Yoru, der beim Erzählen nur geradeaus geguckt hatte, wandte ihr nun den Blick zu. »Weinst du etwa?«, fragte er sie besorgt. »Nee, ich hab nur was im Auge«, antwortete Yuna sarkastisch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Was glaubst du wohl?« »Es ist nicht leicht für dich, das zu erfahren, nehme ich an. Ursprünglich habe ich mit Linora vereinbart, dass sie dir alles sagt, wenn du alt genug bist. Dass sie dich vorbereitet… und ich dann übernehme…« Yunas Blick verdüsterte sich. »Dazu kam es nie. Sie ist vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Genau wie mein Vater«, erzählte sie. »Das erklärt, warum du alleine wohnst…«, meinte Yoru ruhig und ein Hauch von Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit. »Es war nicht einfach, aber Ayumi und ihre Familie haben mir geholfen.« Bei dem Gedanken an ihre Freundin schossen Yuna wieder die Tränen in die Augen. Hilflos saß Yoru daneben und wusste nicht, was er tun sollte. Stattdessen fragte er: »Ist Ayumi die Freundin, die du vorhin erwähnt hast?« Yuna nickte stumm und ließ den Tränen weiter freien Lauf. »Sie ist mit dir gereist?«, fragte er wieder. Yuna nickte wieder und war auch diesmal unfähig zu antworten. »Das ist merkwürdig…«, überlegte Yoru laut. »Wieso?«, schniefte Yuna. »Normalerweise können keine Menschen mit dir mitreisen…« Yuna schniefte laut und wurde von einem Weinkrampf geschüttelt. Sie konnte sich einfach nicht beruhigen und im Moment war es ihr auch egal. Was ist schon normal?, dachte Yuna bei sich und merkte, wie Trotz in ihr hochkam. Ich bin durch ein Buch in ein Paralleluniversum gereist. Ist das etwa normal? Der Trotz in ihr sorgte dafür, dass ihre Tränen versiegten und sie nun grimmig vor sich hinstarrte. Plötzlich merkte sie, wie irgendetwas ihren Geist sanft berührte. Es war ein seltsames Gefühl und sie zuckte erschrocken zusammen und schaute sich verwirrt um. Du hast Recht, es ist so einiges nicht normal. Das hier im Übrigen auch nicht., hörte sie plötzlich eine mittlerweile vertraute Stimme in ihrem Kopf. Yunas Augen weiteten sich vor Schreck als sie sie Yoru zuwandte. »Was zum…« »Entschuldige, ich habe dich schon wieder erschreckt…«, lächelte Yoru sie verlegen und schuldbewusst an. »Ja. Das hast du wirklich.« Yuna war zu verdutzt, um wütend zu werden. »Kann das jeder hier?« »Hast du mir nicht zugehört?« Nun grinste Yoru wieder. »Nein, das kann nicht jeder. Es ist eine seltene Fähigkeit. Im ganzen Dorf habe nur ich sie. Und du natürlich auch.« »Ich?« Verständnislos starrte Yuna ihn an. Spinnt der jetzt komplett? »Nein, tue ich nicht. Du brauchst nur ein wenig Übung«, meinte er. Und dann lachte er auf einmal. »Naja und ich schirme mein Bewusstsein aus Gewohnheit ab. Deswegen gelingt es dir bei mir nicht.« »Oh«, machte Yuna und schaute verwirrt drein. »Aber ist das nicht ein wenig unfair?« »Hmm… Ja, vielleicht«, antwortete er und grinste sie schief an. »Wieso schirmst du dich ab?«, wollte Yuna wissen und sie konnte nicht verhindern, dass Enttäuschung in ihrer Stimme zu hören war. »Weil deine Mutter manchmal ein bisschen zu neugierig war. Aus Gewohnheit hab ich es einfach beibehalten. Und so verkehrt ist es eigentlich auch nicht, da man nie wissen kann, ob nicht doch jemand in der Nähe diese Fähigkeit hat und in deinem Bewusstsein herumwühlen könnte«, erklärte Yoru ihr. Bei der Vorstellung, dass jemand in ihrem Geist herumwühlen könnte, schauderte Yuna. »Keine Sorge. Wir werden das ausgiebig üben. Und außerdem bin ich ja auch noch da«, meinte Yoru und lächelte ihr aufmunternd zu. »Versuch es mal. Jetzt dürfte es dir gelingen.« Yuna zuckte zusammen, bevor Yoru den Satz zu Ende gesprochen hatte. Eine Flut aus Gedanken und Bildern stürzte auf sie herein. Es war sehr viel und sie bekam leichte Kopfschmerzen. Doch sie wusste nun, dass Yoru die Wahrheit sagte und das beruhigte sie ungemein. Sie konnte ihm vertrauen und er würde ihr helfen… Die Flut ebbte ab, als Yoru sein Bewusstsein wieder abschirmte. »Oh, entschuldige. Das war wohl ein wenig viel.« »Ein bisschen«, lächelte Yuna mit zusammengebissenen Zähnen. Sie rieb sich die Schläfen. »Du hast die Vermutung, dass Ayumi die aktuelle Hüterin des Buches ist?« »Ja. Wenn sie mit dir hierher reisen konnte, kommt eigentlich nur das in Frage«, antwortete Yoru ihr nachdenklich. »Das würde erklären, warum das Buch im Besitz ihrer Großmutter war«, vermutete Yuna. »Ja, es hat den Weg zu Ayumi gesucht«, stimmte Yoru ihr zu. »Ich denke, wenn wir Ayumi finden, dann finden wir auch mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit das Buch.« »Dann müssen wir sie finden«, sagte Yuna bestimmt und stand auf. »Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?« »Nicht die geringste…«, seufzte Yoru. »Aber lass uns erst einmal ins Dorf gehen. Vielleicht hat unser Häuptling eine Antwort auf diese Frage.« »Nagut, dann bring mich in dieses Dorf.« Yoru rappelte sich auf. »Na, da wollte ich dich eh hinbringen.« »Ich weiß.« Auf einmal schaute Yuna schuldbewusst zu Boden. »Hey, tut mir Leid, dass ich mich vorhin so dämlich verhalten habe.« »Schon okay«, grinste Yoru. »War doch verständlich. Obwohl ich doch tatsächlich mit viel weniger Temperament gerechnet habe.« »Gewöhn dich dran. Immerhin werde ich wohl doch noch eine Weile bleiben müssen«, meinte Yuna und streckte ihm die Zunge raus. »Du scheinst dich ja schnell wieder eingekriegt zu haben…«, stellte Yoru fest und verdrehte die Augen. »Naja, ich hab ja dich«, scherzte Yuna. »Schön, dass du mir offensichtlich vertraust…« »Ergebnis deiner Gedankenflut«, grinste Yuna. Yoru schüttelte den Kopf und ging in die Richtung los, die er schon zuvor angesteuert hatte. Neben ihm ging eine nun völlig neugierige und ausgelassene Yuna. Sie schien auf einmal wie ausgewechselt zu sein. Ihm schwante, dass der Weg mit ihr nicht so einfach werden würde, wie mit Linora… Kapitel 3: Ankunft im Dorf der Liosalfar ---------------------------------------- Die nächsten 15 Minuten Fußmarsch waren weniger ereignisreich oder kritisch. Yoru hielt sich weitestgehend zurück. Ein paar Mal stellte er Fragen zu Yunas bisherigem Leben. Die Fragen bezogen sich hauptsächlich auf die Zeit, in der er sie nicht "gestalkt" hatte, wie Yuna es so schön ausdrückte. Sie konnte die Fragen schnell beantworten und spürte dann, wie Yoru sich ein wenig zurückzog. Offensichtlich war er in Gedanken versunken. Yuna machte sich jedoch keinen Kopf darüber, sondern schaute sich um. Eigentlich hatte sie sich nie zuvor mit Flora und Fauna ihrer Welt auseinandergesetzt. Doch nun fiel ihr auf, dass hier in Fantasiya offensichtlich alles anders war. Die Bäume hatten absolut nichts Vertrautes. Sie waren viel höher und strahlten eine eigenartige Art von Macht aus. Ganz anders als in ihrer Welt. Auch die Tiere waren ganz andere. Sie entdeckte viele bunte Vögel und Schmetterlinge, die sie noch nie gesehen hatte – nicht einmal in Fachbüchern. Nichts schien ihr vertraut. Aber seltsamerweise machte ihr das keine Angst mehr. Sie nahm es hin. Etwas anderes blieb ihr eh nicht übrig. Noch dazu fand sie mehr und mehr Gefallen an dieser Welt. Sie war so unberührt. So kostbar und so lebendig und rein.   Als sich der Wald lichtete, drangen fast menschliche Geräusche an Yunas Ohr. Sie hörten sich menschlich an, doch zugleich wusste sie, dass sie nicht menschlich waren, da sie … anders waren. Nicht ganz so laut, wie sie es von Menschen gewohnt war, aber doch laut genug, um ein vertrautes Gefühl von Stadtleben in ihr auszulösen. Auch wenn es sich hier nicht um eine Stadt handelte. Ein großer, hölzerner Torbogen kam in Sichtweite. Rosenartige Blumen rankten sich um ihn herum und Yuna erkannte kunstvolle Schnitzereien im Holz. Direkt vor dem Torbogen blieben sie stehen. Yuna schaute den Torbogen auf einmal unsicher an. Der Mut hatte sie bei dem Anblick des Dorfes, das sie dadurch erkennen konnte, verlassen. Ihre Stimmung, die eben noch angenehm leicht und ausgelassen war, verdüsterte sich und sie spannte sich an. Nun begann der Ernst ihres nun veränderten Lebens… Yoru bemerkte ihre Unruhe und blickte sie besorgt an. »Alles in Ordnung?« Yuna zuckte zusammen, aufgeschreckt aus ihren Gedanken, und blickte zu ihm auf. »Nein, eigentlich nicht.« Sie seufzte. »Was kommt da auf mich zu? Was wird mich erwarten, wenn ich einen Schritt ins Dorf mache?« »Das kann ich dir nur schwer in wenigen Worten sagen, Yuna. Und vieles weiß ich selber nicht. Aber es beginnt nicht, wenn du einen Schritt ins Dorf setzt. Es hat jetzt schon begonnen.« »Ich hab Angst!« »Ich weiß. Aber ich bin da. Auch wenn es dich vielleicht nicht beruhigt… Aber es ist meine Aufgabe, auf dich aufzupassen. Und das werde ich tun.« Er reichte ihr seine Hand. »Komm, lass uns den Schritt gemeinsam wagen. Schließlich wird sich unser beider Leben nun auf immer verändern.« Yuna zögerte. Doch dann nahm sie seine Hand und gemeinsam durschritten sie den Torbogen. Sie schaute kurz wehmütig zurück und bemerkte nun, dass auf der Mauer, die rund um das Dorf aufgebaut war, in regelmäßigen Abständen Menschen … nein … Elfen standen und das Dorf bewachten. Schnell schaute sie wieder nach vorne und somit dahin, wohin Yoru sie nun sanft zog.   Sie liefen ein kurzes Stück und fanden sich dann plötzlich mitten auf einem Markt wieder, der voll war von Marktschreiern, Verkäufern, Kunden und jede Menge Waren. Yuna presste sich näher an Yoru, als sie beabsichtigte. Nach der Stille des Waldes kam ihr das geschäftige Treiben des Marktes wie eine Reizüberflutung vor. Die Luft war voll mit den verschiedensten Gerüchen und Geräuschen und Yuna wusste gar nicht, wo sie hingucken sollte. Auch Yoru war angespannt. »Was ist los?«, fragte sie ihn. »Wochenmarkt«, knurrte Yoru. »Der ist nur zweimal in der Woche. Ich hatte vergessen, dass er heute stattfindet. Möchtest du dich umschauen?« »Ehm, nein danke. Vielleicht später oder ein anderes Mal…«, antwortete Yuna und wich einem Jungen aus, der gerade hinter seiner Katze her lief, die sich offensichtlich einen Fisch geklaut hatte. Wäre Yuna ihm nicht im letzten Moment ausgewichen, hätte er sie über den Haufen gerannt. »Komm sofort zurück, Merle!«, rief der Junge, während er verzweifelt die Katze verfolgte. Kein einfaches Unterfangen auf einem vollen Marktplatz… Yuna riss sich von dem Anblick los und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Yoru zu, der sanft an ihrer Hand zog, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass sie stehen geblieben waren. »Wohin gehen wir jetzt?«, fragte Yuna ihn. Sie war ein wenig verzweifelt, da für sie keine Struktur ersichtlich war. »Erst einmal zu mir. Jetzt schaffen wir es eh nicht zu Blanca. Dafür ist der Markt zu voll. Aber in zwei Stunden sollte der Handel sich auflösen und man kann sich wieder frei im Dorf bewegen…«, erklärte Yoru ihr und schlängelte sich geschickt durch die Elfen. Yuna hatte völlig die Orientierung verloren. Sie wusste gar nicht mehr, aus welcher Richtung sie gekommen waren, weswegen sie froh war, dass Yoru offensichtlich den Überblick behalten hatte. Er hatte es derweil geschafft, sie beide aus der Elfenmenge zu führen und bog in eine ruhige Straße, die vom Marktplatz wegführte, ab. Erleichtert atmete Yuna auf. Auch wenn sie Menschenmassen gewohnt war, so war die Menge auf dem Marktplatz eben doch zu viel für sie gewesen. Offensichtlich gingen ihre Nerven mit ihr durch. Nach dem, was sie erlebt hatte, war das eigentlich auch kein Wunder. »Geht es dir gut?«, unterbrach Yoru ihre Gedanken. Er war stehen geblieben und hatte sich zu ihr umgedreht. Verdutzt stellte Yuna fest, dass auch sie stehen geblieben war. Was geschah mit ihr in dieser Welt? »Ich weiß nicht…« »Hm«, machte Yoru. »Du bist merkwürdig.« »Das sagt der Richtige«, konterte Yuna. »Du kommst aus Tokyo; einer 9-Millionen-Stadt«, wehrte sich Yoru. »Und dann wunderst du dich, dass ich dich 'merkwürdig' nenne, wenn du die Nerven verlierst, in einem Dorf, das nicht einmal 1000 Einwohner hat?« Er hatte Recht. Und das gefiel Yuna nicht. Ganz und gar nicht. Alle Argumente, die ihr einfielen, waren schwach und kindisch. Also ging sie auf Konfrontationskurs, weil ihr nichts Besseres einfiel und sie keine Lust hatte, von ihm verurteilt zu werden. »Ja, ich hab die Nerven verloren. Und? Hast du ein Problem damit?« »Nein, das habe ich nicht gesagt. Es ist nur unlogisch, wie du reagiert hast.« »Seit wann sind Gefühle bitte logisch?«, schnaubte Yuna zurück. Yoru seufzte tief. »Was soll das hier werden, Yuna? Diese Diskussion führt zu nichts…« »Stimmt. Lass uns weitergehen, ja?« Auf einmal sah sie unendlich müde und erschöpft aus. Aber auch traurig. Mitgefühl regte sich in ihm. Sie war urplötzlich aus ihrer Welt gerissen worden und hatte in kürzester Zeit sehr viele Emotionen empfunden. Da war es kein Wunder, wenn sie sich merkwürdig verhielt… »Okay, gehen wir weiter. Es ist auch nicht mehr weit.« Prüfend schaute Yoru sie an. »Wenn du möchtest, kannst du dich heute auch einfach nur ausruhen und wir gehen morgen zu Blanca.« »Wäre das denn okay?«, fragte sie und schaute ihn unsicher an. »Sicher. Es bringt keinem etwas, wenn du verängstigt und unsicher in dein Schicksal geschubst wirst«, antwortete er und lächelte sie vorsichtig an.   Den Rest des Weges hüllten sich beide in Schweigen. Yuna hatte keine Lust, Konversation zu führen und Yoru, der ihr immer wieder prüfende Seitenblicke zuwarf, wollte sie nicht wieder unnötig aufregen. Er spürte, dass ein langer und anstrengender Weg vor ihnen lag. Sie ist anders, als ihre Mutter. Linora war viel beherrschter und ihre Emotionen schwankten nicht so arg, überlegte er. Während Yoru sich über Yuna Gedanken machte, prägte sich diese alles ihrer neuen Umgebung genauestens ein. Diese Welt faszinierte sie. Alles war so anders aber auf eine positive Art und Weise. So frei und reich. Obwohl nach dem, was Yoru ihr erzählt hatte, "frei" wohl sehr unpassend war… Doch sie konnte frei durchatmen, ohne Autoabgase oder andere Arten von Luftverschmutzung. Wären die Umstände anders, könnte ich mir tatsächlich vorstellen, hier zu leben…   Kurze Zeit später standen sie vor einer einfachen Hütte, die sich jedoch aufgrund der seltsamen Zeichen auf der Eingangstür von den anderen Hütten in der Umgebung unterschied. Yoru öffnete die Tür und trat ein. Yuna folgte ihm zögerlich. Yoru schloss hinter ihr die Tür. Yuna schaute sich in der Hütte, die viel geräumiger war, als sie jemals erahnt hätte, staunend um. Ein wenig machte ihr die Hütte Angst. Es roch befremdlich. Sie wusste nicht, wonach. Und es hingen ihr unbekannte Dinge an den Wänden mit unbekannten Schriftzeichen oder Runen. »Entspann dich«, hörte sie Yoru dicht an ihrem Ohr sagen. Sie spürte einen sanften Druck auf ihrer Schulter und … entspannte sich. Als wäre es für sie das normalste der Welt auf ihren Wächter zu hören. Sie wollte sich dagegen wehren, aber sie war im Zwiespalt. Er war bisher die einzige Person in dieser Welt… Und scheinbar war es seine Mission auf sie aufzupassen. »Du misstraust mir?«, fragte Yoru plötzlich. Er schien ihre Gedanken aufgefangen zu haben. Oder ihre Stimmung…? Sie war so unvertraut mit diesen Dingen, dass es sie verunsicherte. »Naja, voll vertrauen tue ich dir jedenfalls nicht«, beantwortete Yuna seine Frage. »Das ist gut.« »Wieso?«, fragte Yuna verdutzt. Sie hatte erwartet, dass er enttäuscht sein würde. »Das ist deine erste Lektion«, erklärte Yoru. »Vertraue niemandem. Vorerst auch nicht mal mir.« »Nicht mal dir?«, echote Yuna. Sie fühlte sich dumm dabei, konnte es jedoch nicht mehr rückgängig machen. »Vorerst nicht mal mir.« Er nickte langsam und fixierte sie. Seine Augen lagen im Schatten. »Hm«, machte Yuna. Sie fühlte sich auf einmal sehr unwohl. »Bist du mir denn feindlich gesinnt?« Er lachte leise. »Nein, natürlich nicht. Aber auf der anderen Seite würden das deine Feinde auch behaupten.« »Habe ich denn Feinde?« Ihr lief ein Schauder über den Rücken. Die Vorstellung, Feinde zu haben, behagte ihr nicht. Yorus Blick veränderte sich. Er wurde auf einmal hart und ernst. »Ich weiß es nicht, ob du im Moment Feinde hast. Ich kann es nur vermuten. Noch weiß ja keiner von deiner Existenz. Feststeht: Du wirst Feinde haben, Yuna.« Yuna schluckte. Sie fröstelte. »Das gefällt mir nicht.« »Das muss es auch nicht.« Sie zog die Brauen zusammen und ihr Blick verdüsterte sich. »Mir gefällt das alles nicht.«   »Ich weiß, Yuna.« Sein Blick wurde etwas weicher. »Es tut mir auch leid, wie das alles gekommen ist… Aber du wirst dein Schicksal annehmen müssen.« »Und wenn ich nicht will?« Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Ton bockig wurde. »Wir kommen alle nicht um unser Schicksal herum«, seufzte er. »Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.« Sein Blick war kurz sehr dunkel und traurig aber er fasste sich schnell wieder und lächelte sie plötzlich an. »Was?«, fragte Yuna herausfordernd. Dass er sie plötzlich so anlächelte, gefiel ihr nicht. »Hmm… Nichts, ich stellte nur gerade fest, dass du Linora sehr ähnlich bist.« Irgendetwas daran schien ihn mächtig zu erheitern. »Ich glaube, wir werden eine Menge Spaß haben.« »Ja, klar«, gab Yuna ätzend zurück. »Eine Menge Spaß.« Ihr Ton wurde sarkastisch. »In einer fremden Welt.« Sie schnaubte. »Mit 'nem Kerl, dem ich "vorerst" nicht vertrauen soll und den ich kaum kenne.« Ihre Augen funkelten böse. »Aber ja, wir werden eine Menge Spaß haben.« Er hielt an seinem Lächeln fest. Es schien sogar, als würde es noch ein wenig breiter werden. »Ich habe nicht gesagt, dass du mich nicht kennenlernen darfst.« »Und? Ich will dich gar nicht kennenlernen. Ich will meine Freundin finden und wieder nach Hause.« »Ich werde dich darauf hinweisen, wenn es soweit ist«, meinte er nur. Er lächelte zwar nicht mehr aber seine Augen blitzten erheitert. Yuna verdrehte genervt die Augen. Glücklicherweise übernahm ihr Magen in dem Moment das Sprechen und sie brauchte auf seine Bemerkung nichts mehr zu erwidern. Wortlos stand Yoru auf und ging quer durch den Raum. Er öffnete eine Schiebetür und sie standen in etwas, das man als Kochnische hätte bezeichnen können. Yoru öffnete eine Tür eines Schrankes und ein Eishauch kam Yuna entgegen. »Woah, ein Kühlschrank! Ihr habt Elektrizität hier?«, platzte sie heraus und war im nächsten Moment peinlich berührt, weil sie vorausgesetzt hatte, dass es so etwas in dieser Welt nicht geben würde. »Äh, nein. Das Kühlen von Lebensmitteln funktioniert hier mit Eismagie«, erklärte Yoru ihr. »So etwas wie eure Elektrizität haben wir hier nicht. Aber wir sind trotzdem nicht ganz zurück geblieben.« Er zwinkerte ihr amüsiert zu. »Im Übrigen wissen nur wenige, wie es in deiner Welt ist. Du solltest dich mit solchen Bemerkungen zurückhalten.« »Ehm, okay…« Yuna wurde rot. Ihr Ausbruch war ihr unangenehm und natürlich hatte Yoru Recht. Sie würde seltsam genug für die Einheimischen sein. Da musste sie sich nicht seltsamer als nötig verhalten. Yoru nahm ein paar Zutaten aus dem Kühlschrank und bereitete eine leckere Mahlzeit vor. Währenddessen unterhielten sie sich und Yuna taute ein wenig auf. Sie merkte gar nicht, dass sie seine Gegenwart angenehm fand und sich immer wohler in seinem Heim fühlte. Es fiel ihr erst nach dem Essen auf, wie wohl und behaglich sie sich fühlte. Sie hatte ihren Kopf auf ihre Arme gestützt und lächelte ihn an. »Sieht so aus, als würde es dir ein wenig besser gehen«, bemerkte er. »Jaaah«, machte Yuna zufrieden. »Was ein leckeres Mahl alles anrichten kann…« Er grinste. »Also hat es dir geschmeckt?« »Oh ja. Und wie. Aber es kann ja auch sein, dass du mir nur verzauberten Sand gegeben hast und ich mich gleich erbrechen muss, weil der Sand zu schwer im Magen liegt.« Sie schaute ihn geradeheraus an und lächelte leicht, ohne es zu bemerken. Er fing an zu kichern und kriegte sich ein paar Minuten nicht mehr ein. Verdutzt starrte sie ihn an. »Was denn? Hab ich einen Witz gemacht, von dem ich nichts mitbekam?« »Oh ich finde dich gerade sehr witzig.« Er grinste sie an. »Das war aber mein voller Ernst. Ich muss besser aufpassen.« »Hm, dann sollte ich dir wohl ein paar Techniken beibringen, wie du erkennen kannst, dass dein Essen nicht vergiftet wurde…«, überlegte Yoru. »Sagt der Typ, dem ich "vorerst" nicht vertrauen soll…« Yuna hatte den Kopf schief gelegt und schaute ihn nun skeptisch an. »Yoru, können wir das Getue lassen? Hättest du mich töten wollen, hättest du im Wald tausend Gelegenheiten dazu gehabt.« »Kluges Mädchen«, sagte er nur. »Ich geh ein Risiko ein, das ist mir klar. Aber manchmal muss man das tun. Du hast mir vorhin deine Ehrlichkeit gezeigt…« »Wer sagt, dass ich dich nicht manipuliert habe, genau das zu glauben?«, wollte er wissen. Er hatte sich zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Blick war unergründlich und sie spürte etwas Dunkles von ihm ausgehen. Aber etwas in ihr sagte, dass er das so wollte. Er wollte sie einschüchtern. »Wenn dem so wäre, warum hast du mich dann hierher geführt und mich nicht gleich im Wald an Ort und Stelle umgebracht?«, schnappte Yuna genervt zurück. »Hm… Vielleicht will ich ja nur mit dir spielen?« Er lehnte sich ein bisschen vor, sodass er Yuna unangenehm nah war. Sie kämpfte darum, nicht zurückzuweichen. Normalerweise hätte sie das sofort getan, wäre ihr jemand so nahe gekommen. Aber dieses Spiel, das offensichtlich als Test diente, nervte sie. Sie fand es albern. Sie hielt trotzig seinem Blick stand und setzte sich kerzengerade hin. »Wie eine Katze mit ihrem Essen?«, fragte sie und ihr Ton war bissig und herausfordernd. »Wie ein Raubtier mit seiner Beute«, bestätigte er ruhig. »Elfen spielen nicht mit ihrem Essen. Elfen sind keine Jäger«, konterte Yuna. »Oh«, machte Yoru erstaunt. »Da hat sich wer über uns informiert.« »Schockiert?« »Du hast wohl vergessen, dass ich auch nur ein halber Elf bin.« Yuna schwieg. Das hatte sie tatsächlich vergessen. Sie widerstand den Drang, den Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, herunterzuschlucken. Sie starrte ihren so genannten "Wächter" einfach nur an und Wut stieg in ihr auf. Wut auf sich selber, dass sie diese Kleinigkeit vergessen hatte und Wut auf ihn, weil er sie so offensichtlich testete und sie gerade dabei war durch diesen Test durchzurasseln. Er lächelte sie breit an, sodass sie seine Zähne sehen konnte. Sie musste zugeben, dass dieses Lächeln schon unheimlich war. Allerdings hatte der Ärger in ihr gerade die Überhand. Sie zog eine genervte Fratze und streckte ihm die Zunge raus. Damit brach sie die Stimmung, die gerade zwischen ihnen herrschte, denn Yoru fing an zu kichern. Verdutzt beobachtete sie ihn eine Weile und musste dann gegen ihren Willen mitlachen. Und sie lachten beide eine ganze Weile, als würden sie sich gegenseitig immer wieder anstecken. Yuna spürte wie die ganze Last und Angst, die sie gespürt hatte, seit sie in diese Welt gestolpert war, einfach verpuffte. Sie konnte sich endlich entspannen und genoss es, die ganzen negativen Gefühle einfach wegzulachen. Als sie sich beide beruhigt hatten, seufzte Yuna erleichtert auf. Jetzt ging es ihr definitiv besser. »Hmm«, machte Yoru und musterte Yuna. »Hm-was?«, fragte Yuna und guckte ihn erwartungsvoll an. »Sollen wir einen Spaziergang durchs Dorf machen? Es ist erst kurz nach Mittag und ich könnte dir so einiges zeigen«, schlug er vor. »Ich weiß nicht… Wartet dieser Blanca nicht drauf, dass du mich ihm vorstellst?«, fragte  Yuna unsicher. »Ach, der wird verstehen, dass das erst einmal alles ein wenig zu viel für dich ist und du erst einmal langsam an diese fremde Welt gewöhnt werden musst.« Yuna zögerte. Sie wollte sich hier eigentlich an nichts gewöhnen. Aber neugierig war sie schon… »Okay, der Markt von vorhin sollte ja mittlerweile vorbei sein, oder?« »Der hat dir wirklich Angst gemacht, oder?«, fragte Yoru besorgt. »Ja… Es war alles so fremd…« »Keine Sorge, der ist mittlerweile vorbei. Ich kann dir aber den leeren Marktplatz zeigen, wenn du möchtest.« Yuna nickte und stand auf. Yoru beäugte sie kritisch und bedeutete ihr, zu warten. Er verschwand in einem hinteren Zimmer der Hütte und kam mit einem Packen Stoff zurück. Er schimmerte hellgrün. »Was ist das?«, fragte Yuna. »Das ist Kleidung, die du fortan hier tragen solltest, damit du nicht so beäugt wirst.«, meinte Yoru und drückte ihr den Stoffhaufen in den Arm. »Öhm… Das soll ich anziehen?« »Du kannst dich dahinten in dem Zimmer umziehen«, antwortete Yoru und zeigte auf das Zimmer aus dem er die Kleidung geholt hatte. Wortlos lief Yuna in Richtung des Zimmers und schloss die Tür hinter sich. Das Zimmer war abgedunkelt aber sie konnte erkennen, dass im Raum ein Bett stand oder etwas, das aussah wie ein Bett. Es musste Yorus Schlafzimmer sein. Sie empfand es als seltsam, dass das Zimmer so dunkel war. Auch hatte sie keinen Lichtschalter oder ähnliches gesehen. Aber vielleicht war es in diesem Land ja Brauch, das Schlafzimmer dunkel zu lassen. Sie schob die Gedanken zur Seite und zog sich um. Ein Glück war die Kleidung, die Yoru ihr gegeben hatte, einfach anzuziehen. Kurz hatte sie die Angst gehabt, er hätte ihr ein kompliziert anzuziehendes Kleid in die Hand gedrückt, weil man das als Frau hier so trage… Aber sie hatte niemanden mit einem solchen Kleid gesehen. Sie machte sich zu viele Gedanken. Der lindgrüne Stoffhaufen stellte sich als ein lindgrünes Hemd und eine braune Hose heraus. Ganz toll, Yuna. Und deswegen hast du jetzt kurz Panik geschoben, tadelte sie sich in Gedanken. Sie stopfte sich das Hemd in die Hose und schloss dann den dunkelgrünen Gürtel, der an der Hose befestigt war. Der Stoff war weich und schmiegte sich an ihren Körper. Es fühlte sich an, als wäre der Stoff eine zweite, schützende Haut… Muss irgend so ein Elfenzeugs sein, überlegte sie. Sie vergaß, sich darüber zu wundern, dass ihr alles passte, als wäre es ihr auf den Leib geschneidert worden… Sie trat, fertig angezogen, aus dem Schlafzimmer heraus und Yoru blickte von einem Schriftstück auf. »Können wir?«, fragte er. »Ich denke schon…«, murmelte Yuna. Sie war schon wieder ein wenig nervös. »Hey, mach dir keinen Kopf. Es ist nur ein Dorf und da draußen wird nun nach dem Markt nicht mehr so viel los sein.« Er lächelte ihr aufmunternd zu. »Hm-hm.« Sie versuchte zurückzulächeln aber es wurde nur eine Art Grimasse. Doch sie verließen beide die Hütte und liefen den Weg Richtung Marktplatz zurück. Es war wirklich viel weniger los als vorhin. Dafür lagen nun Essensgerüche in der Luft. Anscheinend wurde in einigen Hütten gekocht oder es war gekocht worden und die Familien aßen gerade. Da weniger los war, konnte sich Yuna besser umsehen und entdeckte, dass sie direkt auf den Marktplatz zuliefen. Je näher sie kamen, desto klarer wurde die Gestalt, die sich auf dem Platz befand. Es war eine weibliche Person, die den Himmel betrachtete. Sie saß am Rand des Brunnens, der sich in der Mitte des Platzes befand und den Yuna zuvor nicht gesehen hatte, da alles voller Elfen gewesen war. Plötzlich spürte sie eine Spannung in der Luft. Wie kurz vor einem Gewitter oder einem Sturm. »Das ist doch jetzt nicht wahr«, hörte sie Yoru neben sich murmeln. Sie wollte fragen, wer diese Person war, doch ein kurzer Seitenblick auf Yoru ließ sie ihre Frage wieder hinunterschlucken. Er starrte auf einmal so finster und gleichzeitig so kühl drein und war so angespannt, dass Yuna Schauer über den Rücken liefen. Etwas an seiner Art in diesem Moment machte ihr Angst. Sie hörte, wie er mit den Zähnen knirschte aber er machte nicht Halt und auch ansonsten keine Anstalten, von seinem Vorhaben abzusehen. Er ging mit Yuna weiter, bis sie in der Nähe des Brunnens standen. Er vermied jeglichen Blickkontakt mit der Person beim Brunnen, die ihn nun mit einem Blick, den Yuna nicht deuten konnte, anstarrte. In kühlem und sehr sachlichem, aber sehr konzentriertem Ton erklärte Yoru ihr den Aufbau des Dorfes. Seine Anspannung behielt er bei. Seine ganze Körperhaltung hatte sich total verändert. Yuna versuchte seinen Erklärungen zu folgen, aber sie bekam nur so viel mit, dass der Marktplatz der zentrale Ort des Dorfes war, von dem alle Straßen abgingen. Auf den Rest, wo sie was fand, konnte sie sich schon nicht mehr konzentrieren. Sie spürte, wie die Person nun auch sie anstarrte. Sie schauderte; ihre Nackenhaare stellten sich auf und sie warf Yoru einen prüfenden Seitenblick zu. Er konzentrierte sich total auf seine Erklärungen und schien entweder nicht zu merken, dass Yuna ihm gar nicht mehr zuhörte oder er ignorierte dies völlig. Sein Gesicht war eine unergründliche Maske und sie wusste, dass das mit der starrenden Person zu tun hatte, die immer noch beim Brunnen war. Sie wagte nicht, Yoru anzusprechen. Aber irgendwie musste sie ihm klar machen, dass sie ihm schon längst nicht mehr folgen konnte und ihr das Starren der Frau unheimlich war. Okay, eigentlich war ihr die gesamte Situation unheimlich. Es gruselte sie, wie Yoru sich benahm und machte ihr wieder klar, wie fremd er ihr war – wie fremd ihr diese ganze Welt war. Als er gerade dabei war, erneut in eine Richtung zu zeigen und ihr zu erklären, dass in einiger Entfernung dort Blancas Residenz war, nahm sie ihren Mut zusammen und legte ihm ihre Hand auf den Arm. Sie stellte sich direkt vor ihm hin und versuchte seinen Blick einzufangen. »Yoru«, sagte sie leise. Endlich brach er seinen Schwall an Erklärungen ab und sah ihr in die Augen. Sie setzte an, ihm zu sagen, dass sie sein Verhalten merkwürdig fand und dass da eine Person war, die sie schon die ganze Zeit anstarrte, da seufzte er auf. »Entschuldige«, sagte er leise und schaute sie traurig an. Yuna schaute ihn nur verwirrt an. Ihr Blick war voller Fragen. In dem Moment kam die Frau, nach Yunas Geschmack etwas zu grazil, zu ihnen herüber und das bisschen Anspannung, was vorher aus Yoru wieder herausgewichen war, baute sich wieder auf. Er streckte seinen Rücken und stand kerzengerade hinter Yuna. »Was willst du?«, fragte er finster und schaute an Yuna vorbei. Sein Ton war so dunkel, dass Yuna erneut schauderte. Sie drehte sich um. Die Frau – Oder war sie doch ein Mädchen? Yuna konnte es nicht einschätzen – stand direkt vor ihr und schaute Yoru aus kalten Augen an. Wäre ein wenig mehr Wärme in ihrem Blick, könnte sie glatt eine Schönheit sein. Yuna stellte sich das lebhaft vor und fragte sich, wie jemand so kalt sein konnte. Ihre ganze Körperhaltung strahlte Kälte aus. »Ist sie das?«, fragte die Frau und ihr verächtlicher Blick streifte Yuna, sodass diese sich unwillkürlich fragte, was sie ihr getan hatte. Eingeschüchtert und weil ihr die ganze Situation wirklich unangenehm war, starrte sie auf ihre Schuhspitzen. Gerade jetzt wünschte sie sich zurück nach Hause oder auf Mausgröße, damit sie sich im nächsten Mauseloch verkriechen konnte. Plötzlich legte Yoru ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie kurz. Spürte er, wie es ihr ging? Er nahm die Hand nicht weg und Yuna beruhigte sich immer mehr. Es gab ihr das seltsame Gefühl von Schutz. Verzaubert er mich gerade? Oder ist es einfach die Berührung, die mich beruhigt? Sie war sich nicht sicher und eigentlich war es ihr in dem Moment auch egal. »Natürlich. Wer denn sonst?«, antwortete Yoru schließlich auf die Frage dieser seltsamen Frau. »Keine Ahnung, sag du es mir!« Ihre Stimme klang … beleidigt? Yoru seufzte. Yuna schaute zu ihm hoch. Er sah kurz zur Seite und verdrehte die Augen. Dann wandte er sich wieder dieser … Frau zu. »Arashi…«, setzte er an doch ihr böser Blick brachte ihn zum Schweigen. »Nein, nicht. Lass das. Ich will nichts hören. Du kannst mir auch hier und jetzt Lebewohl sagen!« »Lass doch bitte jetzt das Drama, Arashi.« Yorus Stimme klang auf einmal müde. So als habe er diese Art von Gespräch schon viele, viele Male mit ihr gehabt. »Das ist kein Drama. Ich meine es ernst.« Yuna spürte, wie sich Yorus Hand kurz in ihre Schulter krallte. Einen Moment später lag sie wieder so locker da, wie vorher. Diente diese Geste am Ende gar nicht, Yuna zu beruhigen, sondern ihn selbst? »Lebewohl, Arashi«, presste er zwischen den Zähnen hervor und sein Blick wurde dabei noch viel finsterer als ohnehin schon. Entsetzt schaute Arashi ihn an. Offenbar hatte sie mit dieser Reaktion doch nicht gerechnet? Yuna konnte sich Arashis Verhalten nicht erklären, aber das lag sicher daran, dass sie diesen ganzen Konflikt nicht verstand. Einen Moment später wirbelte Arashi herum, bedachte Yuna mit einem vernichtenden Blick und rauschte davon. Ein eiskalter Windhauch strich Yuna und Yoru dabei ordentlich durch die Haare. »Von wegen kein Drama«, brummte Yoru und ordnete seine Haare. Yuna stand da, schaute Arashi verwirrt und fassungslos hinterher und fröstelte. Dann merkte sie, wie Yoru die Hand von ihrer Schulter nahm und drehte sich zu ihm. Fragend schaute sie ihn an. Doch er schien nicht bereit, ihr zu erklären, was Arashis Auftritt zu bedeuten hatte. »Komm, lass uns zurückgehen«, meinte er nur, nahm ihre Hand und zog sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Aber-«, begann Yuna zu protestieren. »Ich kann dir auch später das Dorf zeigen«, unterbrach Yoru sie. Sie ließ sich von ihm zurück zu seiner Hütte führen. Er öffnete die Tür, ließ Yuna herein und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und starrte finster eine Wand an. »Tut mir leid, dass du das so miterleben musstest«, sagte er nur. »Du kannst ja nichts dafür«, meinte Yuna leichthin. »Irgendwie doch.« Yuna schaute ihn an und wartete. Sie dachte, er würde noch mehr sagen aber er hüllte sich in Schweigen. Als sie begriff, dass er vorerst nichts mehr sagen würde, beschloss sie, sich in der Hütte einfach genauer umzusehen. So vergingen volle zwei Stunden, indem sie Bücher und Bilder inspizierte und alles, was ihr so in den Sinn kam, begutachtete. Sie fand nur wenige Bücher in ihrer Sprache. Es wunderte sie, dass sie überhaupt welche in ihrer Sprache fand. Sie seufzte und schaute verstohlen zu Yoru rüber. Eines war klar: ihre Ankunft in diesem Dorf würde sie so schnell nicht wieder vergessen. Kapitel 4: Abendspaziergang --------------------------- Es war früher Abend, als Yoru schließlich einen neuen Versuch wagte, Yuna das Dorf zu zeigen. Er hatte letztlich das Schweigen gebrochen, als Yuna das gefühlte hundertste Buch aufschlug und entnervt aufseufzte, als sie auch dieses nicht entziffern konnte. Die paar wenigen Bücher, die sie in ihrer Sprache fand, waren nur allgemeinbildende Bücher über ihre Welt gewesen. Lexika und Reiseführer. Nichts, das sie interessierte. Nichts, das sie noch nicht wusste. Sie kamen schließlich über die Bücher, die Yuna nicht lesen konnte, ins Gespräch und Yoru erzählte ihr ein wenig über sie. Viele waren Romane. Viele waren Bücher über Flora und Fauna der Region. Alles Mögliche eigentlich. Er begann, ihr ein paar wenige Runen beizubringen. Nur oberflächlich. Er merkte schnell, dass sie nicht bereit war, tiefer in die Thematik der Schriftzeichen Fantasiyas einzugehen. Sie wollte ja so schnell wie irgend möglich wieder nach Hause… So vergingen mehrere Stunden und ehe sie sich versahen, brach der Abend herein. Sie aßen etwas zu Abend und dann wollte Yoru unbedingt sein Vorhaben vom Mittag wiederholen. Yuna hoffte, dass sie nicht erneut auf Arashi trafen. Die erste Begegnung mit ihr hatte ihr völlig gereicht. Natürlich war sie neugierig gewesen und hätte Yoru am liebsten sofort über die Begegnung mit Arashi ausgefragt. Aber sie wusste, dass das ein sensibles Thema war und sie wollte ihm nicht zu nahe treten. Letztendlich ging es sie auch nichts an. Sie war nur Gast in dieser Welt und wollte nur Ayumi finden und dann so schnell wie möglich wieder zurück in ihre Welt. Was gingen sie also Yorus Probleme mit irgendeinem Elfenweib an? Das versuchte sie sich zumindest immer wieder einzureden. Aber eine winzige, leise Stimme in ihr flüsterte ihr immer wieder zu, dass es so einfach nicht werden würde. Sie versuchte verzweifelt diese Stimme zu ersticken und zu ignorieren.   Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sie den Marktplatz betraten. Sie zuckte zusammen, als sie es bemerkte und schaute sich misstrauisch um. »Sie ist nicht hier«, sagte Yoru neben ihr plötzlich. Yuna schaute ihn an. »Du wusstest das, oder?« »Ja.« »Woher?« »Ich kenne sie schon eine Weile. Sie kommt abends nie hierher.« Sein Tonfall war so beiläufig, als redete er über das Wetter. Nach dem, was sich am Mittag auf diesem Platz ereignet hatte und wie angespannt Yoru gewesen war, erschien Yuna dieser beiläufige Ton völlig falsch und gestellt. Sie legte den Kopf schief und schaute ihn an, als würde sie Sorge haben, dass er gleich explodierte. »Es ist okay«, seufzte er und verdrehte dabei die Augen. »Ich bin einfach noch nicht bereit, über diesen Vorfall zu reden, ja? In diesem Moment möchte ich ihn einfach nur vergessen und mich meiner Aufgabe widmen.« »Ich erwarte gar nicht, dass du mir darüber etwas sagst. Es geht mich ja auch gar nichts an. Nur…«, erwiderte Yuna. »Ich weiß«, sagte er und lächelte gequält dabei. »Eine Explosion meinerseits ist deswegen nicht zu erwarten.« Irritiert schaute sie ihn an. Okay, langsam könntest du dich mal daran gewöhnen, dass er weiß, was in dir vorgeht, Yuna. Sie war sauer auf sich selbst, weil sie wusste, dass ihr das so schnell nicht gelingen würde. »Gut«, sagte sie, »dann kannst du ja deiner Pflicht nachkommen und mir dieses Dorf endlich zeigen, so wie du es eigentlich auch schon vorhin wolltest.« Und das tat er. Er führte sie an jeden wichtigen Ort im Dorf, zeigte ihr, wo die Dorfheilerin wohnte und praktizierte, zeigte ihr die verschiedensten Läden, die Bibliothek, die Schule, die Poststation; er lief mit ihr jede Straße des Dorfes ab und zeigte ihr alle wichtigen Geschäfte, sodass Yuna bald kaum Orientierungsprobleme hatte und den Aufbau des Dorfes verinnerlichen konnte.   Sie saßen gerade am Marktplatz auf einer kleinen Holzbank, als der Mond aufging. »Wie schööön«, staunte Yuna. »Den Mond gibt es doch auch in deiner Welt«, meinte Yoru und hob eine Augenbraue. »Aber es ist so still und man kann alle Sterne sehen. Das ist in Tokyo nicht so. Die Stadt leuchtet dafür einfach selbst zu stark.« »Hm… Hat aber sicher auch seine Vorteile, oder?« »Alles hat seine Vor- und Nachteile.« »Wirklich?«, fragte Yoru. »Auch das hier?« Er machte eine ausladende Handbewegung, das Dorf und ganz Fantasiya einschließend. »Auch das, ja«, antwortete Yuna, »die Luft hier ist so rein, man kann frei atmen und man lernt die Natur erst einmal richtig zu schätzen.« Auf einmal grinste er sie an. Seine Augen blitzten dabei spitzbübisch. »Dann kannst du dir vorstellen, hier zu bleiben?« »Yoru, ich will nach Hause. Ich will nicht die Welt retten. Das kann ich doch sowieso nicht…« »Es ist deine Aufgabe, ob es dir passt oder nicht. Und wer sagt, dass du es nicht kannst? Das vorhin, deine Flammen, wenn du sie erst einmal kontrollieren kannst, kann diese Fähigkeit ganz Fantasiya retten.« »Es sei denn, ich geh bei dem Versuch drauf«, entgegnete sie sarkastisch. »Deswegen werde ich dich ja begleiten.« »Yoru, ich hab keine Ahnung, was für Fähigkeiten und Kenntnisse du hast, aber du kannst mich sicher nicht vor allem beschützen. Sicher hast auch du Grenzen.« Er seufzte. Und… verdrehte er da die Augen? »Was?!«, wollte Yuna wissen. »Nichts. Die Diskussion hatte ich nur schon mal mit Linora.« »Und sie hatte recht, oder? Sie ist tot. Du konntest sie nicht beschützen«, sagte sie leise. Ihre Stimme hatte einen traurigen Unterton. »Ja, weil sie davonlief«, brummte er. Jetzt seufzte Yuna. »Ich will einfach Ayumi finden, okay? Alles Weitere sehen wir dann…« Mit der Erklärung schien er zufrieden zu sein. Er grinste wieder und schaute zum Mond hoch. Sein Grinsen hatte fast etwas Triumphierendes… Als hätte sie verkündet, sie würde bleiben und sich ihrer Aufgabe stellten. Den Zahn werde ich ihm ganz bestimmt noch ziehen, beschloss Yuna grimmig. Jetzt grinste er sie angriffslustig an. »Das werden wir ja sehen.« »Oh, verdammt. Kannst du damit aufhören?« »Wie denn? Deine Gedanken sind wie ein plätschernder Wasserfall.« Er schien sich über diese Tatsache gehörig zu amüsieren. »Indem du mir beibringst, wie ich meine Gedanken blockiere, zum Beispiel!« »Hmm… Nein.« Er zeigte beim Lächeln seine Zähne. Das kann doch nicht… Grr! Böse funkelte Yuna ihn an. »Wieso nicht?« »Weil du deine Reise und damit meine Ausbildung gänzlich ablehnst. Solltest du dich in dein Schicksal fügen, dann können wir gerne darüber reden.« Er lächelte immer noch und seine Augen leuchteten dabei; es schien ihm offensichtlich Spaß zu machen, sie so zu ärgern. »Dann… sollte ich vielleicht aufhören zu denken«, überlegte Yuna entnervt. »Ja, vielleicht.« Er grinste sie frech an. »Hör auf damit, sonst schubse ich dich von der Bank.« »Versuch's doch«, gluckste er. Irgendetwas schien er aberwitzig zu finden. »Hmpf«, machte Yuna und verschränkte die Arme vor der Brust. Yoru legte fragend den Kopf schief. »Was denn?« »Du führst irgendetwas im Schilde.« »Nein gar nicht, ich bin die Unschuld in Person.« »Ja, klar…« Nun war es an Yuna, die Augen zu verdrehen. »Doch total. Mein Nachname bedeutet schließlich "Engel".« »Das sagt gar nichts über deine Person aus, Yoru.« »Bist du eigentlich kitzelig? Dieser garstige Gesichtsausdruck steht dir nämlich gar nicht gut.« »Versuch mich zu kitzeln und ich klebe dir doch eine.« Ein böses Grinsen unterstrich ihre Bemerkung. »Uha, jetzt wird sie böse!« In gespieltem Erschrecken machte er eine abwehrende Handbewegung. »Ich sollte besser aufpassen, sonst grillst du mich noch.« Yuna zog eine Fratze. »Na, ich weiß nicht, ob du mir schmecken würdest. Du bist sicher älter als du aussiehst, viel älter. Dein Fleisch ist bestimmt ganz zäh.« »Quatsch, ich bin im besten Alter.« »Nein, du bist ganz sicher ein alter Sack.« »Mit 115 Jahren doch noch nicht!« »Sag ich ja, ein alter Sack.« Sie schüttelte mit einer Geste der Hoffnungslosigkeit den Kopf. »Besser ein alter Sack, als ein Küken.« »Küken?! Ich bin in der Blüte meiner Jugend!« »Du hast den Jungen vorhin gesehen, der seiner Katze hinter jagte?« »Ja, und?« »Er ist ein Jahr älter als du.« »Verfluchter Mist!« »Küken!«, lachte er. Mit einem wütenden Aufschrei packte sie Yoru von hinten an den Schultern und schubste ihn mit vollem Karacho von der Bank. Er landete sehr unsanft auf seinem Hinterteil. »Au, verdammt!«, gab er erschrocken von sich. Yuna lachte triumphierend los. »Okay, ehrlich. Ich hab nicht erwartet, dass das funktioniert.« »Tz, das kann man hinterher immer sagen!«, beschwerte er sich vorwurfsvoll. Er rappelte sich auf, klopfte sich den Staub von der Hose und setzte sich wieder neben Yuna auf die Bank. »Du bist ja gemeingefährlich.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. In ihren Augen blitzte der Schalk. »Aber du bist trotzdem schwer in Ordnung. Den alten Yoru einfach von der Bank zu schubsen, tz. Das hat nicht mal Linora geschafft – und sie hat es wirklich verdammt oft versucht.« Yuna kicherte los. »Was ist denn nun wieder?« »Du hast dich "alt" genannt!« »Oh«, machte er bedröppelt und im nächsten Moment lachten sie beide schallend los. Nachdem sie sich beruhigt hatten, schaute Yuna in den Himmel und  ihr seliges Lächeln verwandelte sich in einen ernsten Gesichtsausdruck. »Was ist los?«, fragte Yoru. »Ich weiß nicht, was mich morgen erwartet. Du wirst sicher mit mir zu diesem Blanca gehen, oder?« »So ist der Plan.« »Wie ist er so?« »Eigentlich ist er schwer in Ordnung.« »Eigentlich?« »Naja…« Yoru rang ein wenig nach Worten. »Ich weiß nicht, wie ich das höflich ausdrücken soll…« »Dann sag es unhöflich? Ich sag's auch bestimmt nicht weiter«, versicherte Yuna ihm. »Er ist ein alter Schürzenjäger«, antwortete Yoru und verdrehte dabei die Augen. »Trage in seiner Gegenwart bloß nichts Aufreizendes.« Yuna klappte ein wenig der Unterkiefer runter. Sie hatte nicht mit dieser Art von Personenbeschreibung gerechnet. »Keine Sorge, das habe ich nicht vor.« »Es reicht, wenn du nur einen Rock trägst…«, seufzte Yoru. »Aber…«, machte Yuna. »Jaaa, Blanca ist unser Dorfoberhaupt. Unser Häutpling…« »Also eine Respektperson«, stellte Yuna fest. »Jep. Aber jeder hat seine Schwächen.« »Du scheinst trotzdem nicht gerade begeistert darüber zu sein…« »Ist doch auch kein Wunder oder? Es haben schon offizielle Anlässe stattgefunden, bei denen es wichtige Dinge zu erörtern gab und Blanca hat erst einmal der Kellnerin hübsch Augen gemacht…« Wieder verdrehte Yoru die Augen. »Warst du bei diesen Anlässen dabei?« »Klar, einer muss unseren Häuptling ja zur Vernunft bringen, wenn der wieder mal nur Frauen im Kopf hat.« »Hm.« »Was?« »Naja, es hört sich so an, als wärst du gleichrangig mit ihm. Oder ist die Hierarchie hier eher nicht stark ausgeprägt?« »Es geht. Aber ich bin schon ziemlich gleichrangig mit ihm. Ich nehme an politischen Debatten genauso teil wie er. Gerade, wenn es um die Zukunft Fantasiyas geht.« »Sagtest du nicht, das Land wird unterdrückt?« »Schon. Solche Debatten finden im Geheimen statt. Im Untergrund. Zwischen den wenigen Aufständischen.« »Oh«, machte Yuna. »Und natürlich gehören wir, die wir in dem Ort wohnen, der die Herrin des Feuers beherbergen wird, dazu.« Er zwinkerte sie an und lächelte. »Aber das weißt du natürlich nicht, sollte man dich fragen.« »Okay«, sagte Yuna nur und schaute Yoru etwas verdattert an. »Du wirst das sicher noch alles verstehen, sobald du etwas tiefer in der Thematik bist.« Daraufhin sagte Yuna nichts. Sie wusste nicht, was. Yoru schien die ganze Zeit nebenbei miteinfließen zu lassen, dass sie eine Pflicht zu erfüllen hatte. Dass sie nach Fantasiya gehörte und diese Welt retten sollte. Dass sie eine Schlüsselfigur in der Politik Fantasiyas zu spielen hatte. Ihm schien es gleichgültig zu sein, dass sie das nicht wollte. Oder er war sich seiner Sache sehr sicher, Yuna überzeugen zu können, zu bleiben und ihre Aufgabe anzunehmen. Sie bekam Kopfschmerzen. Das alles war ihr schon wieder ein wenig zu viel. Und sie vermisste Ayumi, die immer einen positiven Spruch auf den Lippen hatte, um sie aufzumuntern. »Es ist spät«, sagte Yoru plötzlich und Yuna schaute zu ihm auf. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass er aufgestanden war. »Und du bist müde«, stellte Yoru fest. Yuna nickte müde. Es fühlte sich an, als wäre ihr Kopf so schwer von der Fülle ihrer Sorgen und Gedanken, dass er  bestimmt abfallen würde, wenn sie ihn zu schnell bewegte. Sie stand vorsichtig auf und sofort erschienen vor ihrem Gesicht besorgte, grüne Augen. »Ist okay. Ich hab nur Kopfschmerzen«, meinte sie und wollte seine Hand, die sich auf ihre Schulter gelegt hatte, abschütteln. Es gelang ihr nicht. Sie schwankte und wäre umgefallen, hätte Yoru sie nicht gehalten. »Verdammt, du hast mir doch was ins Essen gemischt!", fluchte sie. Ihr Stimme mangelte es jedoch an Kraft und so klang ihr Fluchen eher kläglich. »Nein, du bist nur sehr erschöpft. Es war ein aufregender Tag für dich. Und die Nachwirkungen der Reise stecken dir noch immer in den Knochen.« »Hmpf«, machte Yuna. Ihr gefiel das gar nicht, dass sie sich jetzt auf ihn verlassen musste. Auf einmal! Er hielt sie vorsichtig im Arm und führte sie zurück zu seiner Hütte. Yuna schwieg größtenteils, manchmal knurrte sie leise, weil ihr die Situation gar nicht in den Kram passen wollte. Er amüsierte sich sichtlich und hörbar darüber, was ihr jedes Mal ein Schnauben entlockte. Zum Glück war der Weg ja nicht so weit. Sie war andere Entfernungen gewohnt. Nach kurzer Zeit fand sie sich im verdunkelten Schlafzimmer Yorus wieder. Genau genommen in seinem Bett. Ihr fehlte das Stück des Weges, das durch Yorus Hütte ins Schlafzimmer führen sollte. Wie eine Gedächtnislücke. Sie war zu müde, sich darüber zu ärgern. Sie bekam noch gerade mit, dass Yoru neben ihr am Bett stand und ihr eine gute Nacht wünschte. Dann schlief sie fest ein. Sie träumte von einer fremden, wilden und gefährlichen Welt, die sich mit ihrer eigenen vermischte und alles, was sie bisher kannte auf den Kopf stellte. Sie schlief unruhig und ihr Schlaf war dadurch nicht gerade erholsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)