Morgendämmerung von Yascha ================================================================================ Prolog: -------- Vorsichtig schlich er voran, setzte einen Fuß langsam vor den anderen. Sein Schwert hielt er bereits fest umklammert, auf alles vorbereitet, was ihn hinter der alten Holztür erwarten würde. Ein lautes Quietschen hallte durch den leeren Gang, als er die Tür aufschob. Wie ein Wolf sprang er hinter ihr hervor, ins Ungewisse hinein. Seine Waffe hatte er vor sich zum Kampf erhoben, während er die Umgebung um sich herum inspizierte. Mit einem zufriedenen Grinsen steckte der kleine Junge den Stock wieder weg. „Sieht so aus, als hätten die Banditen die Flucht ergriffen“, sagte er in übertrieben tiefer Stimme, um mehr wie sein Vater zu klingen. Er war zu den Regalen gegangen, auf denen bereits zentimeterdicke Staubschichten lagen, und wollte gerade inspizieren, welche Schätze er gefunden hatte, da hörte er draußen eine Stimme. Mit geducktem Kopf lief er zum Fenster und lauschte. Erst jetzt erkannte er die Stimme: Es war die seines Vaters. Er schien nach ihm zu suchen. Woher hatte er nur gewusst, dass er hier war? Der kleine Junge ließ alles stehen und liegen und lief eilig die Treppe hinunter. Seine Eltern hatten ihm ausdrücklich verboten, sich so weit von der Stadt zu entfernen. Sein Vater durfte ihn hier nicht finden. Vorsichtig schob er die große Tür auf und warf einen Blick in den Eingangsbereich. Niemand war zu sehen, also machte er sich daran, hinauf in sein Zimmer zu schleichen. Er hatte gerade einen Fuß auf die Treppe gesetzt, da hörte er plötzlich Geräusche aus dem Zimmer seiner Eltern. Zuerst wollte er weitergehend, war es doch sicherlich nur seine Mutter, aber etwas war merkwürdig. Er blieb stehen und schaute sich um. Eine bedrückende Stille umgab ihn und auch wenn alles wie immer aussah, so kam es ihm doch so vor, als wäre das Haus ungewöhnlich leer. Mit einem mulmigen Gefühl lief er den Korridor entlang. Was, wenn es Räuber waren? Der Junge schluckte die Angst hinunter. Eines Tages würde er in die Fußstapfen seines Vaters treten und ein Ritter am Hofe des Königs werden. Ein Ritter kannte keine Furcht. Hände schnappten ihn plötzlich von hinten und hielten ihm den Mund zu. Sofort fing er an, wild zu zappeln und versuchte sich zu lösen, bis er die sanfte Stimme seines Vaters vernahm, die ihm ins Ohr flüsterte. Alles ging viel zu schnell für den kleinen Jungen, als dass er hätte realisieren können, was passierte. Mit der Hand noch immer auf dem Mund seines Sohnes, öffnete der Vater einen der kleinen Schränke, die den Flur schmückten, setzte sein Kind hinein und schloss die Türen wieder. „Bleib dort. Komm auf keinen Fall hinaus!“, hatte er ihm zugeflüstert. Verängstigt schaute er sich um. Was passierte? Wo war seine Mutter? Waren etwa wirklich Räuber in seinem Haus? Wenn ja, würde sein Vater sie sicherlich vertreiben. Es war eng in dem kleinen Schränkchen, sodass der Junge nicht einmal aufrecht sitzen konnte. Brav saß er neben alten Vasen und Schmuckstücken, der Kopf ruhte auf seinen Knien, während er die Kette betrachtete, die seine Mutter ihm geschenkt hatte. Sie leuchtete. Wieso tat sie das? War sie etwa ein Licht gegen die Dunkelheit und er hatte es all die Zeit nicht bemerkt? Eine Stimme, die er nicht kannte, war plötzlich zu hören. „Ihr müsst Arvid sein, werter Herr.“ Woher kannte dieser Fremde seinen Vater? War er etwa gar kein Räuber, sondern ein alter Freund? „Und Ihr müsst Arramys sein…“ Gespannt hielt das Kind sein Ohr näher an die Schranktüren, um besser zu hören, bemüht, nicht aus Versehen hinaus zu fallen. „Sie muss Euch von mir erzählt haben. Wo ist sie?“ Die Art, wie der fremde Mann redete, erinnerte den kleinen Jungen an einen König. Er wollte die Türen einen Spalt öffnen und einen Blick riskieren, doch er traute sich nicht. „Sie ist nicht hier.“ Die Stimme seines Vaters klang ernst. Der Fremde antwortete mit einem spöttischen Lachen. Der Junge ballte die Hände zu Fäusten. Wie konnte dieser Mensch es nur wagen, sich über seinen Vater lustig zu machen? Das Lachen verstummte. „Ist sie etwa vor mir geflohen und hat Euch hier zurück gelassen? Ist sie es endlich leid, einen Menschen als Gatten zu haben?“ Er verstand nicht, worüber die Beiden redeten. Meinten sie etwa seine Mutter? „Anscheinend bevorzugte sie den Menschen als Gatten über den Gott als Liebhaber.“ Ein Geräusch, als ob jemand ein Schwert aus seiner Scheide zog, ließ ihn zusammen zucken. … Kam es etwa zu einem Kampf? „Ich hoffe die wenigen erbärmlichen Jahre waren es wert. Denn ich werde die Unendlichkeit mit ihr verbringen!“ „Wir sollten diesen Kampf nicht hier austragen.“ Wieder begann der Fremde zu lachen. „Kampf? Glaubst du törichter Mensch, du würdest so lange gegen mich standhalten, dass man es einen Kampf nennen könnte?“ Etwas schnitt durch die Luft. „Ich beende es hier und sofort!“ Eisen klirrte aufeinander. Nur wenige Sekunden vergingen und ein Stöhnen war zu hören. Ein Schwert, das immer wieder auf Fleisch einschlug. Der kleine Junge presste sich die Hände auf die Ohren, die Kette noch immer in der Hand, die zart leuchtete. Sein Vater würde gleich die Türen öffnen, und ihn in die Arme schließen. Sein Vater war ein angesehener Ritter, niemand konnte ihn im Schwertkampf besiegen. Gleich würden sich die Türen öffnen, und sein Vater würde ihm sagen, dass alles in Ordnung war. Doch die Schranktüren blieben geschlossen. Als er die Augen wieder öffnete, war es dunkler. Seine Kette hatte aufgehört zu leuchten. Vorsichtig nahm er die Hände von den Ohren und lauschte. Stille. Er blieb sitzen, war sich nicht sicher, was er tun sollte. Sein Vater hatte ihm gesagt, er solle sich nicht bewegen. …Wieso ließ er ihn hier drinnen? Hatte er ihn vergessen? War er gerade bei seiner Mutter und seiner Schwester und sorgte für ihre Sicherheit? Das Kind wusste nicht, wie lange es in der Dunkelheit gesessen hatte. Irgendwann fasste es den Mut zusammen, und öffnete vorsichtig die Schranktür einen Spalt. Der Junge schielte hinaus. Eine rote Flüssigkeit bedeckte den Fußboden. War das etwa… Blut? Er öffnete die Tür ein Stück weiter, setzte langsam einen Fuß nach draußen. Seine Augen weiteten sich bei dem Anblick des leblosen Körpers, der vor ihm lag. Er zitterte am ganzen Körper. Das konnte nicht sein, das konnte nicht sein Vater sein. Sein Vater war ein Ritter. Sein Vater verlor keinen Kampf. Er rannte zur Treppe, rief nach seiner Mutter. Er rannte die Treppe hinauf, rief weiter nach seiner Mutter. Sie musste seinem Vater helfen. Sein Vater brauchte Hilfe. Er rief weiter und weiter, doch niemand antwortete ihm. Er war alleine. Niemand war zuhause. Er lief zurück die Treppe hinunter und setzte sich vor seinen Vater. Tränen rollten seine roten Bäckchen hinunter, als er versuchte, ihn aufzuwecken. Doch er wachte nicht mehr auf. Dem Jungen war, als hörte er die tröstende Stimme seiner Mutter. Aber das konnte nicht sein. Seine Mutter war fort. Genau wie sein Vater kam sie nie wieder zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)