Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 11: Kein Unterschied ---------------------------- Entgegen aller Erwartungen, ist Dominik alleine und der einzige, der bei ihm ist, ist der Wischmop, mit dem er wild im Zimmer herumtanzt und dabei leise irgendeinen Gaga-Song mitsingt. Ursprünglich wollte er wohl wischen, aber mittlerweile wackelt er eher wild mit dem Arsch und vollführt irgendwelche mysteriösen Dancemoves, satt zu putzen. Ich blinzle verwirrt, während ich ihm zusehe und so langsam wechselt meine Unruhe in Belustigung und ich muss laut loslachen. Erst jetzt bemerkt er, dass ich in seinem Zimmer stehe und ihm zusehe, weshalb er augenblicklich aufhört zu tanzen. In Sekundenschnalle schaltet er die Musik aus und blickt mich dann mit hochrotem Kopf an. „Oh, hey. Schon wach? Ich bin gerade am Saubermachen.“ „Ja. Saubermachen,“ feixe ich und nicke in Richtung seines PCs, der gerade noch Lady Gaga gespielt hat. „Dein Krach hat mich aufgeweckt,“ tadle ich ihn und er sieht mich reumütig an. „Ich dachte, du musst eh gleich aufstehen,“ entschuldigt er sich, macht es damit aber eigentlich schlimmer. Was denkt er sich eigentlich, so dreist zu sein? Leider bin ich aber zu amüsiert, um sauer zu sein und noch etwas dazu zu sagen, also winke nur ab. „Machen wir heute was zusammen?“, frage ich ihn stattdessen, weil er so süß guckt, aber natürlich nicht, weil ich auf ihn stehe. Man kann jemanden ja auch mögen, ohne auf ihn zu stehen. Er stimmt zu und ich freue mich wirklich auf den Tag. Ich bin sicher, es wird schön. „Diesmal flirte ich auch mit niemanden,“ verspreche ich ihn und er schenkt mir ein Lächeln. Scheint, als wäre er nicht sonderlich nachtragend. Ich gähne das gefühlte hundertste Mal in dieser Stunde und verfluche Anne dafür, dass ich wegen ihr so schlecht habe einschlafen können. Ich weiß wirklich nicht, wie ich der Vorlesung folgen soll, weil ich so wahnsinnig müde bin und eigentlich nur in mein Bett möchte. Und dann musste Dominik, dieses Monster, mich auch noch so uncharmant wecken. Weil nicht eh schon alles schlimm genug ist. Ich seufze und bekomme von Jonas einen Ellenbogen in die Seite gerammt. Zuerst denke ich, er will mich ermahnen, hier nicht so demonstrativ müde zu sein, aber dann entdecke ich den kleinen Zettel, den er mir zugeschoben hat. Ich fummle ihn auf und lese, was er geschrieben hat: „Wie war dein Date mit Anne gestern?“ Schlagartig sinkt meine Laune noch weiter, weil ich nicht weiß, was ich jetzt dazu noch schreiben soll. Ich versuche, nahe an der Wahrheit zu bleiben, aber bloß kein Wort über Dominik zu verlieren. Also antworte ich letztlich so: „Ganz gut. Aber ich glaube, sie ist eher ein Mädchen, mit dem ich befreundet sein will, nicht zusammen.“ Ich schiebe ihm den Zettel zu und lass es mir nicht nehmen, ihm ebenfalls den Ellenbogen in die Seite zu stoßen, obwohl er den Zettel schon bemerkt hat. Er sieht mich böse an, sagt aber nichts dazu. Kurz darauf kommt das Stücken Papier auch schon wieder zurück und darauf steht: „Bist du ein Idiot. War sie nicht gestern noch deine Traumfrau?“ Na danke auch! Ich verzerre den Mund und funkle das Papier wütend an, als hätte es sich selbst voll geschrieben. Jetzt ist es also auch schon ein Verbrechen, jemanden nicht zu lieben. Wütend kritzle ich zurück: „Es hat halt nicht gefunkt, okay?!“ Dann werfe ich ihm das Ding gegen den Kopf und er blinzelt irritiert. Offensichtlich weiß er nicht, wie er meinen Wutausbruch einordnen soll. Deswegen ist die nächste Frage dann auch ‚Was ist los?’, aber ich antworte ihm nicht mehr. Erst, als die Lesung zu Ende ist und wir in die Aula treten, traut er sich, noch einmal zu fragen und ich gebe ihm die knappe Antwort: „Sie hat total das Drama gemacht, nur weil ich sie lieber als Freundin statt als Freundin hätte. Tut mir ja Leid, wenn sie mehr Gefühle für mich aufbringt, als ich für sie, aber da kann ich ja auch nichts dagegen machen, oder?“ Ich sehe Jonas Hilfe suchend an, er soll mich gefälligst bekräftigen. Zu seinem Glück nickt er lahm. „Schon,“ antwortet er und mustert mich dann, was mich schon wieder zur Weißglut bringt. „Was?!“, frage ich schroffer, als nötig und schüttelt den Kopf und überlegt wohl, ob er es tatsächlich aussprechen soll. Dann aber meint er: „Ich habe das Gefühl, dass du seit der Sache mit Maria total schräg drauf bist. Kein Mädchen kann es dir Recht mache. Niemand kann es dir Recht machen.“ Ich zucke mit den Schultern. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich die Sache mit Maria schon längst verdaut habe. Ich nehme ihr zwar übel, wie sie mich ausgenutzt hat, aber ich projiziere meine schlechten Erfahrungen mit ihr ja nicht auf alle Mädchen dieses Planeten. „Oder ist es irgendetwas anderes?“, fragt er dann und ich weiß genau, auf was er jetzt wieder hinaus will, weswegen ich nur die Lippen aufeinander beiße und nichts weiter dazu sage, außer ein geknurrtes ‚Nein’. Wenigstens akzeptiert er es und fängt nicht noch einmal mit diesem Thema an. Genervt bin ich trotzdem und freue mich schon auf den Abend mit Dominik. Der stellt wenigstens keine blöden Fragen oder verurteilt mich. Mit ihm kann man wenigstens noch Spaß haben! „Du scheinst schlecht gelaunt zu sein,“ stellt Dominik fest, während wir nebeneinander im Bade stehen und unsere Haare auf unterschiedliche Art und Weise in Form bringen. Er mit einem Glätteisen, ich mit Haargel. „Ich bin auch genervt. Von Anne, von Jonas, von allen.“ Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Er wirkt hochkonzentriert. „Außer von dir,“ füge ich hinzu, damit er sich nicht schon wieder schlecht fühlen muss und weil es auch der Wahrheit entspricht. „Du solltest lernen, Dinge an dir abprallen zu lassen,“ schlägt er mir vor, aber so wirklich ernst nehmen kann ich ihn da nicht. Er schafft es ja auch nicht, Dinge an sich abprallen zu lassen. Das sage ich ihm auch und überraschenderweise lächelt er, statt beleidigt zu sein. „Du bist aber nicht ich,“ kontert er und ich muss ebenfalls lächeln. „Keine Angst, der Abend gehört dir und ich werde alle negative Gedanken aus meinem Kopf fernhalten, okay?“, beruhige ich ihn und er nickt und sieht mich fragend an: „Wohin gehen wir eigentlich?“ Ich grinse. „Wirst du dann schon sehen.“ Tatsächlich habe ich mir gut überlegt, wie wir den Abend verbringen können, obwohl es vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre. Aber ich finde, ich habe ihn letztes Mal ein wenig enttäuscht und deswegen sollte ich mich auch anstrengen, es wieder gut zu machen. Das ist der Grund, weshalb ich mir etwas Tolles ausgedacht habe. Ich lege das Döschen mit dem Gel weg und nehme ihm das Glätteisen aus der Hand. Er sieht mich empört an, aber ich schalte es dennoch ab und lege es beiseite. „Da, wo wir hingehen, sieht dich eh kaum einer,“ besänftige ich ihn und trete in den Flur, lösche das Licht im Bad, so dass er gezwungen ist, mir zu folgen. Außer, er schafft es, sich im Dunkeln weiter die Haare zu glätten, was sicher sehr beachtlich wäre. Wenig später sind wir auf dem Weg in die Stadt und ich fühle mich schon besser als den ganzen Tag über. Entspannt, ruhig, vorfreudig. Ich habe nicht das Gefühl, dass Dominik groß etwas von mir erwartet. Ihn muss ich nicht nach Hause bringen, vor der Türe abknutschen und ihm am nächsten Tag einen Heiratsantrag machen. Und wenn ich all das nicht tue, fragt mich Jonas am nächsten Morgen trotzdem nicht, warum ich es nicht getan habe. Vielleicht sollte ich also nur noch Dinge mit Dominik unternehmen, das wäre sicher Balsam für meine Seele. Wie dem auch sei, ich genieße den Abend schon jetzt und bin sicher, dass es nur noch besser werden kann. Wenig später betreten wir auch schon den kleinen Hinterhof, der unser Ziel ist und Dominik sieht mich fragend an. „Was wollen wir hier?“, fragt er und ich deute ihm an, leise zu sein. „Wirst du gleich sehen, gib mir ein paar Sekunden, ja,“ bitte ich ihn und schiebe ihn hinter eine große Mülltonne. Wir müssen uns nur ein paar Sekunden verstecken, dann kommt auch schon ein kleiner pummliger Mann aus der Hintertür des Gebäudes und zündest sich mit zittrigen Fingern eine Zigarette an. Ich frage mich, warum er hier noch arbeiten darf. Ist er so ein talentierter Koch, dass niemanden sein Alkoholkonsum stört? Wir zumindest können froh sein, denn so steht die Türe offen und merkt er nicht, dass wir uns hinter ihm ins Gebäude schleichen. Kurz darauf befinden wir uns in einen Flur und ich scheuche Dominik durch das Treppenhaus immer weiter noch oben. „Das ist doch sicher verboten, oder? Jasper? Ich möchte keinen Ärger kriegen?“, zischt Dominik mehr zu, aber läuft trotzdem weiter, wenn ich ihn ein wenig anschiebe. Wenig später sind wir ganz oben und ich öffne die Türe und schiebe ihn hinaus. „Ernsthaft, Jasper! Was, wenn uns wer entdeckt?“, jammert er, aber ich antworte ihm nicht. Ich weiß auch gar nicht was, immerhin hat er Recht. Wir sind gerade in ein Gebäude eingebrochen und wandern nun auf dem Dach umher. So ein bisschen fühlt sich das an, wie in einem typischen amerikanischen Film, aber auch Berlin hat flache Dachterrassen, auf denen man herumwandern kann. Die Aussicht ist vielleicht nicht so großartig, wie in New York, aber fast und zumindest reicht es aus, um Dominik ein ‚Wow’ zu entlocken. „Schön, oder?“, frage ich ihn und laufe bis zum Rand, um nach unten zu gucken. „Und hoch,“ fügt er hinzu, als er es mir gleichtut. „Aber trotzdem,“ jammert er und blickt sich um, als würde uns gleich ein Wachmann festnehmen, „Was, wenn uns wer hier entdeckt?“ „Wahrscheinlich haben sie das schon,“ meine ich und versuche, lässig zu klingen, was mir nicht so ganz gelingen mag. Ich weiß nicht, ob im Flur Kameras sind, aber wenn, dann kann es durchaus möglich sein, dass man uns entdeckt hat. Andererseits war ich schon mal hier, zusammen mit einem Mädchen. Sie hat es mir damals gezeigt, als ich gerade nach Berlin gezogen bin. Und da hat uns niemand entdeckt. „Japser!“, drängelnd Dominik, total unruhig, aber weil ich so gar nicht darauf reagiere, beruhigt er sich auch irgendwann und wir stehen letztlich schweigend nebeneinander und genießen die Aussicht. Es ist angenehm, hier so mit ihm zu stehen. So ein Moment, in dem einfach alles passt und sich alles richtig anfühlt. Wie lange habe ich dieses Gefühl vermisst. Ich bin immer noch erstaunt, dass ausgerechnet er mir so ein Gefühl gibt, aber ich weiß ja mittlerweile, dass ich mich nur noch bei ihm wirklich wohl fühle, weil er nichts von mir erwartet. „Ich war damals hier oben mit einem Mädchen, dass ich sehr gerne mochte. Aber sie wollte dann doch nichts von mir. Da habe ich mir gedacht, dass ich irgendwann noch mal mit jemanden hier her komme, der mir viel bedeutet und hoffe, dass diesmal alles so wird, wie ich es mir gedacht habe,“ erkläre ich Dominik und er blickt mich fragend an. „Alles ist momentan so scheiße und nur du hast es momentan verdient, dass sehen zu dürfen,“ verkünde ich ihm und sehe ihn Lächeln. Das genügt mir schon. „Das mit Anne tut mir Leid. Deswegen dachte ich, ist es nur fair, dir diesen Ort zu zeigen,“ flüstere ich und er haucht mir ein leises ‚Danke’ zu. Wir genießen noch ein wenig die Aussicht und diese angenehme Ruhe, die uns befallen hat, ehe ich ihn mit mir ziehe und wir uns wieder auf den Weg nach unten machen. Glücklicherweise kommt uns im Flur niemand weiter entgegen und wir können ungehindert wieder hinaus gelangen. Danach rennen wir eine ganze Weile durch Berlins Straßen, ehe wir uns sicher sind, dass uns keiner verfolgt, und lachend stehen bleiben. „Oh Gott, nie mehr!“, stöhnt Dominik und ich grinse und stimme ihm zu. Solche Aktionen sind eindeutig nichts für ein schwaches Herz, obwohl wir eigentlich ganz ungehindert waren. Ich hoffe nur, niemand hat uns aufgezeichnet und in drei Tagen steht die Polizei vor der Türe. Aber vielleicht sind sie es ja auch schon gewohnt, dass Leute einbrechen und die Aussicht genießen. Ich versuche, das ganze mal rein positiv zu betrachten und mich zu beruhigen. Trotzdem war das genug Action für heute. „Wollen wir noch schnell was zu Essen holen und nach Hause gehen?“, frage ich Dominik deshalb und er nickt. Wenig später machen wir uns – voll gepackt mit Asia-Fertig-Food – wieder auf den Weg nach Hause. Wir essen in der Küche und schweigen dabei. Ich habe mich quer durch das ganze Sortiment gekauft und dabei mehr Essen mitgenommen, als nötig. Letztlich mussten wir unser gesamtes Geld, dass wir dabei hatten – beide nicht sonderlich viel – zusammenkratzen und der Asia-Mann hat uns dann noch drei Euro erlassen. Sonst hätten wir gar nicht bezahlen könne. Nun probieren wir uns durch sämtliche Gerichte und streiten uns darüber, was denn nun am besten schmeckt. Ich stelle mich ziemlich blöd an, was Essen mit Stäbchen angeht und Dominik muss es mir immer wieder zeigen, obwohl er sich selbst nicht wesentlich besser anstellt. Das alles sieht sicher total merkwürdig aus, aber es hat ein gewisses Flair, das ich nicht missen möchte. Wäre Dominik jetzt ein Mädchen, würde ich sogar sagen, es ist romantisch. Aber vielleicht habe ich da auch einfach andere Ansichten, was romantisch bedeutet, wie Mädchen. Man muss sich ja nur Anne und ihren Film angucken. Nachdem wir gegessen haben, lassen wir einfach alles stehen und liegen und ich folge Dominik in sein Zimmer. „Also, ich hab zwar relativ viele DVDs da, aber ich weiß nicht, ob dir etwas davon gefällt. Du stehst ja eher auf Actionfilme,“ klärt er mich auf. Wir haben beschlossen, einen Film anzuschauen und ich habe beschlossen, diesmal einen von seinen Filmen zu gucken. Er hat relativ viele Horrorfilme im Regal stehen, etwas, womit ich nicht so ganz klar komme. Aber andererseits möchte ich ja auch nicht wie eine Pussy dastehen und denke mir, dass ich den Film schon überleben werde. Entscheiden kann ich mich trotzdem nicht. Dominik sieht mir dabei zu, wie ich hin und her überlege und lässt sich derweil auf seinem Bett nieder. Ich schnapp mir drei Filme und setze mich neben ihn. „Wie sind die so?“, frage ich ihn und er blickt sie kurz an und erzählt mir dann im Groben, um was es geht und wie er den Film fand. Danach bin ich nicht sonderlich schlauer und lasse mich einfach nach hinten fallen. Er dreht sich zu mir um und sieht mich fragend an. „Mir ist gar nicht so nach Film gucken,“ gebe ich zu. Das ist nur die halbe Wahrheit. Eigentlich habe ich nur Angst vor seinen Horrorfilmen. Keine Ahnung, ob er das ahnt, jedenfalls grinst er nur, aber sagt nichts dazu. Sekunden später liegt er neben mir und wir blicken an seine Zimmerdecke. „Was ist zwischen dir und Anne vorgefallen, dass du im Moment so seltsam bist?“, fragt er mich gerade heraus und ich kneife die Augen zusammen, weil mich seine Deckenlampe blendet, ich aber den Blick nicht abwenden möchte. „Eigentlich nichts. Ich schaffe es nur einfach nicht, mich in sie zu verlieben, obwohl sie eigentlich total mein Typ ist,“ erkläre ich ihm und er streckt sich, um den Lichtschalter auszumachen. Schon ist es dunkel und ich kann meine Augen wieder ganz öffnen. Das einzige Licht, dass jetzt noch herein scheint stammt von der Straßenlaterne und vom Flur. „Besser?“, fragt er, weil ihm nicht entgangen ist, dass ich geblendet werde und ich nicke. „Weißt du, so ging es mir schon mit Elisa. Sie hat mich total genervt, obwohl sie eigentlich das total Traummädchen gewesen ist.“ Er nickt und nun ist er es, der starr an die Decke schaut. „Jonas nervt rum, ob es vielleicht an Maria liegen könnte, aber das tut es nicht. Ich glaube, bei mir im Kopf ist nur irgendetwas total kaputt und deswegen kann ich mich einfach nicht mehr verlieben,“ erläutere ich ihm und er muss kichern. „Das ist gar nicht witzig,“ fauche ich, aber ich meine es nicht böse. „Vielleicht gehst du falsch an die Sache ran. Man verliebt sich ja nicht, nur weil man es möchte, sondern einfach, weil es passiert.“ Ich überlege eine Weile, ob stimmt, was er sagt und natürlich stimmt es. Andererseits ist es mir ja gar nicht so wichtig, mich jetzt unbedingt zu verlieben. „Vielleicht bin ich ja auch einfach nur total gefühllos geworden,“ überlege ich und er schnaubt belustigt. „So ein Quatsch,“ befindet er und wahrscheinlich hat er Recht. Ich drehe mich auf die Seite, um ihn besser ansehen zu können. „Wann warst du das letzte Mal verknallt?“ Mit der Frage hat er nicht gerechnet, denn er weiß nicht, wie er darauf antworten soll. Zumindest schweigt er eine ganze Weile, aber daran, wie er die Stirn runzelt, merke ich, dass er überlegt. „Schon eine Weile her,“ sagt er dann und wendet sich mir nun auch zu. „In meinem Abiturjahrgang war ein Junge, den ich echt toll fand.“ „Wart ihr zusammen?“, frage ich ihn und er schüttelt den Kopf. „Wir haben ein bisschen rum gemacht und danach hat er mir gesagt, er steht nicht auf Jungs und mich fortan gemieden.“ Er tut mir Leid. Ich habe keine Ahnung, wie schwer es ist, jemanden zu finden, der ähnlich fühlt. Sicher, in irgendwelchen Clubs und ähnlichem findet man bestimmt leicht jemanden. Aber einfach so in der Schule wohl eher nicht. Außer, man hat Glück. „Und seitdem?“, will ich wissen und er schüttelt den Kopf. „Ich mag das nicht noch mal erleben,“ klärt er mich auf und ich habe das Gefühl, ihn trösten zu müssen. „Irgendwann kommt schon der Richtige,“ versichere ich ihn deshalb und er nickt nur. „Weißt du, wir haben so lange zusammen gewohnt und ich wusste trotzdem nicht, dass du Germanistik studierst, bis wir unsere Taschen vertauscht haben,“ erzähle ich ihm. Ich weiß gar nicht, wie ich da plötzlich drauf komme. Es hat ja gar nichts mit dem Thema zu tun und wirklich witzig ist es auch nicht. Eher ziemlich traurig. Er lächelt trotzdem leicht. „Ich wusste es auch nicht. Ich habe es mir nur gedacht, weil dein Zimmer voller Mathebücher ist,“ klärt er mich auf und ich muss lächeln und schäme mich ein wenig für mein Chaos in meinem Zimmer. Und das, obwohl ich doch immer so über Sascha geschimpft habe. „Das ist total krank, habe ich mir gedacht, als ich das gesehen habe. Ich meine, wer studiert schon freiwillig Mathe,“ fährt er fort und ich nehme es nicht übel, dass er mich ein wenig neckt. „Ich war eben schon immer gut in Mathe und dachte, dass ich das dann auch studieren könnte,“ kläre ich ihn auf und er nickt. „Also weißt du auch gar nicht, was du mal werden möchtest, oder?“, schlussfolgert er und ich stimme zu. Ich muss an das Gespräch mit Elisa denken. Fast die gleichen Worte, die gleichen Fragen. Und dennoch hat sie mich so sehr genervt und bei Dominik stört es mich nicht. Das liegt vor allem daran, dass es bei ihm nicht wertend klingt. Er akzeptiert es einfach, egal auf was für eine unsichere Zukunft ich mich da eingelassen habe. Ich erinnere mich, dass mir Elisa total viel von ihren Zukunftsplänen erzählt hat und ich mich nur gefragt habe, was Dominik mit seinem Studium anfangen möchte. Nun kann ich ihn das fragen. „Ich weiß es auch noch nicht. Ich glaube, ich wäre nicht so geeignet für einen Verlag oder ähnlichem. Aber cool wäre es schon,“ erläutert er mir und ich muss lächeln. „Wir sind so planlos, das kann nur schief gehen,“ stelle ich fest. „Wenigstens gehen wir dann gemeinsam unter,“ lacht er und ich nicke und muss wieder lächeln. „Ich lese kaum. Außer vielleicht meine total kranken Mathebücher. Irgendwie komme ich mir immer total dumm vor, wenn jemand mit mir über Bücher redet und ich ihm dann sagen muss, dass ich nicht lese.“ Mir ist klar, dass die Aussage schon wieder recht wenig Sinn macht, aber er geht darauf ein, als wäre es total natürlich, dass ich so einen Mist rede. Vielleicht ist es das auch, vielleicht rede ich grundsätzlich nur Mist. „Manche sagen, wer keine Lust auf Lesen hat, hat nur noch nicht das richtige Buch gefunden,“ erwidert er. Ich denke darüber nach. Ich denke wirklich darüber nach, obwohl ich mich bisher noch nie damit beschäftigt habe. „Ich glaube, es müsste total viel Action in dem Buch sein. Ich mag es nicht, wenn einfach ewig die Landschaft beschrieben wird,“ erläutere ich ihm. „Aber die meisten Thriller finde ich auch langweilig, weil immer das gleiche passiert. Nur anders verpackt, weißt du, was ich meine?“, frage ich und er nickt. „Mein erstes Buch war ein schrecklicher Liebesroman von meiner Mutter. Danach wollte ich nie mehr lesen, aber dann hat mir meine Tante ein paar Jugendbücher gekauft, die damals eher meinem Geschmack entsprochen haben und seitdem bin ich total begeistert,“ erzählt er und wird unbemerkt immer leiser. Ich weiß nicht, warum ich genauso leise antworte, aber ich tue es: „Mein erstes Buch war altersgerecht, aber ich stand damals mehr auf Gemetzel und in dem Buch ging es nur um so ein langweiliges Abenteuer, in dem niemanden wirklich etwas passiert.“ Er muss lachen und ich stimme mit ein, weil das wirklich ziemlich witzig klingt, wenn ich das so erzähle. „Was liest du jetzt so?“, will ich dann wissen und er deutet auf ein Regal, dass ich in der Dunkelheit leider nicht erkennen kann. „Alles quer Beet. Ich habe auch ein paar gute Thriller. Vielleicht ist da ja einer dabei, der dir gefallen könnte. Wenn er dir nicht zu langweilig ist,“ ärgert er mich und ich muss lächeln und rucke ein Stück näher an ihn heran. Er registriert es natürlich und versteift sich ein wenig. Ich weiß die Reaktion nicht zu deuten, ich habe mich ja nur in eine bequemere Position gebracht. „Dominik?“, meine ich dann leise, „Weißt du, warum ich hauptsächlich genervt bin?“ Er schüttelt den Kopf und streicht sich unsicher eine Strähne aus dem Gesicht. Sie fällt wieder hinein und er probiert es noch einmal ohne Erfolg. Ich strecke die Hand aus und packe seine Strähne. Fragend sieht er mich an. „Sie behaupten alle, du wärst in mich verknallt. So ganz ohne irgendwelche Beweise. Als wäre es ganz unausweichlich, dass du dich in mich verliebst, nur weil du schwul bist und ich ein Junge. Ich finde so was total nervend. Was sollen diese ganzen Klischees?“ Ich rede mich in Rage, während ich mit seiner Strähne spiele. Sie fällt immer wieder in sein Gesicht und ich gebe es auf, sie daraus weg zu halten, sondern biege sie lieber hin und her. „Vielleicht…“, beginnt er, aber er beendet seinen Satz nicht, aber es ist mir auch egal. Es ist mir wirklich einfach nur noch egal. Er hat Recht. Ich sollte abprallen lassen, was andere sagen. Ich durchwuschle seine Haare und er sieht mich böse an und versucht, meine Hand weg zu schieben. „Wie haben deine Eltern reagiert, als du ihnen gesagt hast, du wärst schwul?“, frage ich ihn und er zuckt mit den Schultern. „Naja, sie haben keine Party geschmissen. Aber sie haben gesagt, wenn ich nur so glücklich werden kann, dann muss ich eben so glücklich werden.“ „Ich glaube, meine Eltern würden ausrasten,“ erkläre ich ihm und stelle mir vor, wie meine Mutter reagieren würde, wenn ich ihr sagen würde, ich wäre schwul. Sicher würde sie einen Herzinfarkt bekommen. „Ich glaube nicht. Jeder liebt doch sein Kind, oder? Irgendwann wird es jeder akzeptieren,“ überlegt er, aber ich glaube, da redet er sich die Welt ein wenig zu schön. Er hatte einfach Glück. Ich greife wieder nach seiner Strähne und fange erneut an, damit zu spielen. „Du hast also mit dem Kerl rum gemacht,“ komme ich wieder darauf zu sprechen und er wird so rot, dass ich es auch im Halbschatten noch gut erkennen kann. Ich feixe. „War nichts weiter,“ nuschelt er unverständlich und vergräbt sein Gesicht in seinem Kissen. Ich lache und packe sein Kinn, um ihn zu zwingen, mich wieder anzublicken. „Was ist dir das peinlich? Ich hab auch schon mit einem Kerl rum gemacht,“ erzähle ich ihm und er sieht mich überrascht an. „Nicht, dass es etwas zu bedeuten hatten. Es war nur Spaß,“ winke ich ab und sehe ihn bittend an: „Erzähl das bloß keinem!“ Er nickt und ich lächle dankbar und streichle ihm erneut die Strähne aus dem Gesicht. „Damals habe ich mich gefragt, ob es überhaupt einen Unterschied gibt,“ gebe ich zu und er runzelt die Stirn. „Unterschied?“ „Ja, zwischen Männlein und Weiblein,“ murmle ich und er lacht. „Naja, anatomisch gesehen gibt es da sogar einen ganz gewaltigen,“ grinst er und ich muss ebenfalls lachen und beuge mich vor, um ihn zu kitzeln. „Das habe ich gar nicht gemeint,“ maule ich und bearbeite ihn unerbittlich, bis er sich windet und an mir fest klammert. Erst als es uns beiden weh tut lass ich ihn los und er hat erst mal Zeit, Luft zu holen. „Ich meine… wenn man jemanden liebt, dann liebt man doch einfach, oder? Ob es nun ein Junge oder ein Mädchen ist.“ Er blickt mich an und nickt und ich drücke ihn eng an mich und bette meinen Kopf auf seiner Schulter. Sanft streichle ich über seinen Rücken. „Ich glaube, Jonas und Leon nehmen die Sache viel zu ernst. Und Anne auch,“ überlege ich und bin plötzlich total sauer auf sie alle. „Sie sollten dich nicht verurteilen!“ Er macht ein Geräusch, was ich nicht zuordnen kann, weil es von meinem Pulli erstickt wird. Ich lasse ein wenig locker, damit er atmen kann und blicke mich um. Mittlerweile ist es schon mitten in der Nacht, aber das stört uns nicht weiter, obwohl wir morgen nicht ewig lange ausschlafen können. Stattdessen halte ich Dominik noch eine ganze Weile fest und fühle mich plötzlich ziemlich sicher. Sicher in dem Sinne, dass hier niemand ist, der mich verurteilt, egal was ich tue. Er wurde so oft selbst verurteilt, da wird er das nicht jemand anderem antun. Ich glaube, ich könnte jetzt sterben, so selig fühle ich mich gerade. Ich nehme wieder ein wenig Abstand und blicke ihn an. Sanft streiche ich über seine Wange. „Dominik?“, frage ich leise, aber ich weiß selbst gar nicht, was ich fragen will. Mir ist auch gar nicht nach sprechen. Ich beuge mich nach vorne und spüre seinen Atem über meine Lippen streifen. Sein Arm schießt nach vorne und seine Hand krallt sich in meinen Pulli, als ich tief einatme und den letzten Abstand überwinde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)