Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 1: Der Schatten ----------------------- „Hier ist es also?“, frage ich Leon und sehe mich in der Straße um, in der meine neue Wohnung liegen könnte. Nachdem er mir am gestrigen Abend die gute Nachricht überbracht hat, war ich Feuer und Flamme, die Wohnung endlich in Augenschein nehmen zu können und habe ihn gleich nach der Uni hier her geschleift. „Ja, hier oben im dritten Stock,“ klärt er mich auf und zeigt auf ein großes weißgräuliches Gebäude, dass ziemlich unscheinbar wirkt. Die Gegend hier ist allerdings recht hübsch, es gibt einige Bäume an der Straße und neben einigen Studenten habe ich hier auch schon eine Oma mit Dackel vorbeispazieren sehen. Hier könnte es mir gefallen. „Und wo liegt nun genau der Haken?“, frage ich neugierig, weil ich bis jetzt eigentlich nichts Negatives erkennen konnte. Ich hoffe nur, dass ich nicht wieder einen schmuddeligen Mitbewohner antreffen muss. Ehe Leon mir antworten kann, taucht hinter uns ein Junge auf, der uns unentwegt anlächelt, als hätte man seine Mundwinkel an seine Backen getackert. „Du musst Jasper sein,“ meint er und schüttelt mir überschwänglich die Hand, „Leon hat mir schon erzählt, dass du ganz dringend eine neue Wohnung suchst.“ Ich nicke nur überfordert und blicke Leon vorwurfsvoll an. Ich hoffe, der Junge wird nicht mein neuer Mitbewohner, sonst kann ich mir gleich die Kugel geben. „Ich bin Daniel, mir gehört momentan noch das Zimmer, das du bekommen würdest,“ klärt er mich auf und stürmt auf den Eingang zu, winkt dabei ungeduldig, damit wir ihm folgen. Während ich noch ein Dankesgebet in den Himmel schicke, dass er es wohl ist, der auszieht, schleift Leon mich schon mit sich. Einen Augenblick später befinden wir uns in einer relativ großen – aufgeräumten!!! – Wohnung wieder und ich sehe mich schon recht zufrieden um. „Wir haben eine kleine Küche mit Essbereich, ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer und ein Bad. Also relativ groß. Dafür ist die Uni etwas weiter entfernt, wie du sicher schon gemerkt hast,“ klärt Daniel mich auf und ich nicke nur, weil ich bei ihm eh nicht groß zu Wort komme. Es ist mir tatsächlich nicht entgangen, dass ich früh ein wenig unterwegs sein würde, würde ich hier einziehen. Aber wie ich schon gesagt habe: Alles ist besser als das, was ich bisher habe. „Ich bin nach dem Semester fertig und habe bereits eine Anstellung in München, also ziehe ich zum Ende des Semesters aus und du hast die ganzen Ferien Zeit, umzuziehen.“ Ich sage ihm natürlich nicht, dass ich mir nicht lange Zeit lassen kann, weil man mich eigentlich schon jetzt rausgeschmissen hat, weil es ihn nichts angeht. Stattdessen meine ich nur, dass sich das sehr gut anhört. Daniel klatscht zufrieden in die Hände und wird noch aufgedrehter als eh schon – falls das überhaupt möglich ist -, weil er wohl froh ist, einen Nachmieter gefunden zu haben. Er führt uns in sein Zimmer, dass ungefähr doppelt so groß wie mein jetziges ist und ein normales Fenster hat, durch das sogar Licht dringen kann. „Das wäre dann dein Reich. Ich nehme allerdings alle Möbel mit, also musst du deine Einrichtung definitiv selbst mitbringen.“ „Kein Problem,“ erwidere ich nur, weil ich sowieso meine eigenen Möbel habe mit nach Berlin nehmen müssen, als ich bei Sascha eingezogen bin. Während Daniel mir die Eckdaten erklärt, wird mir die Wohnung immer sympathischer. Sie liegt zwar etwas weit von der Uni entfernt, aber ist groß, hell, sauber und relativ billig. „Wie ist eigentlich mein neuer Mitbewohner so,“ frage ich Daniel, weil ich sicher nicht einwilligen werde, wenn ich wieder so einen Volltrottel wie Sascha erwischen sollte. Leon räuspert sich und möchte wohl etwas dazu sagen, aber Daniel kommt ihm (natürlich) zuvor. „Domi ist total nett. Ein wenig in sich gekehrt vielleicht, aber sehr umgänglich. Er erledigt seine Aufgaben, nervt nicht und verhält sich ruhig. Ich habe jetzt ein Jahr mit ihm zusammen gewohnt und konnte mich nie über ihn beschweren,“ klärt er mich auf und begeistert mich damit sofort total, weil dieser Domi sich so ziemlich nach dem kompletten Gegenteil von Sascha anhört. Leon sieht so aus, als würde er dem Ganzen gerne noch etwas hinzufügen, aber ich habe noch einige Fragen an Daniel, die wichtiger sind, als sich über meinen neuen Mitbewohner auszutauschen. Solange der Junge nett und ordentlich ist, sollte es ja kein Problem sein, ein paar Jahre mit ihm auszukommen. Als wir eine halbe Stunde später die Wohnung verlassen, bin ich überglücklich, eine neue Bleibe gefunden zu haben. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll,“ meine ich zu Leon, „Ich hätte nicht gewusst, wo ich hätte hingehen sollen, hätte ich jetzt nicht diese tolle Wohnung gefunden.“ „Schon gut,“ winkt er ab und deutet hoch zu dem Fenster, dass zu meiner neuen Küche gehört, „Daniel hat mir schon vor Längerem erzählt, dass er sich schwer tut, einen neuen Mitbewohner zu finden, weil die meisten Studenten lieber nahe an die Uni wollen. Nachzufragen, ob sie noch frei ist, hat mir wirklich nicht viel Mühe abverlangt.“ Ich bin ihm trotzdem dankbar und lade ihn noch auf einen Burger ein, ehe wir nach Hause gehen. Wenn jetzt keine Katastrophe mehr passiert, dann kann ich nächste Woche den neuen Mietvertrag unterschreiben und meine Wohnung bei Sascha kündigen, ehe er mich rausschmeißen kann. Drei Tage später klingle ich bei Daniel und noch ehe ich die Hand vom Klingelknopf nehmen kann, reißt er bereits die Türe auf. „Unten war offen, deswegen bin ich gleich hoch gekommen,“ sage ich, aber wirklich interessieren tut es ihn nicht. Er begrüßt mich nur wieder ungestüm und zieht mich dann mit sich Richtung Küche. Wenig später sitze ich bereits am Küchentisch und lese mir den Vertrag durch. Mit am Tisch sitzt auch der eigentliche Vermieter der Wohnung, der einen recht freundlichen Eindruck macht. „Okay,“ meine ich, nachdem ich ihn auf mögliche Haken überprüft habe und unterschreibe den Wisch. „Gut, dann gehört die Wohnung ab den Semesterferien dir,“ freut sich Daniel und hibbelt auf seinem Stuhl herum, während der Vermieter nur geschäftig aus der Wäsche guckt. „Endlich,“ stöhne ich und fühle förmlich, wie mir einige hundert Steine vom Herzen fallen. Als der Vermieter sich gerade auf den Weg machen will, öffnet sich die Haustür und ein Schatten huscht herein. Eigentlich ist es kein richtiger Schatten – obwohl er zweifelsohne einen Schatten besitzt – sondern ein kleiner, schmaler Kerl, der komplett in Schwarz gekleidet zu sein scheint. „Domi!“, brüllt Daniel durch die halbe Wohnung und wedelt schon wieder mit der Hand, wie er es immer tut, wenn er möchte, dass jemand herkommt oder ihm folgt. Domi der Schatten verdreht die Augen, während er erst seine Jacke auszieht, ehe er in die Küche kommt. Der Vermieter sagt sich nun gänzlich los und verschwindet, während Domi mich interessiert mustert. „Domi, das ist Jasper. Er übernimmt mein Zimmer. Jasper, dass ist Dominik, mein beziehungsweise dein Mitbewohner,“ stellt Daniel uns vor und ich lächle das Schattenwesen nett an und winke dämlich. „Hi.“ „Hi,“ nuschelt Domi und nimmt auf dem freien Küchenstuhl Platz. Irritiert sehe ich ihm zu, wie er die Beine hochzieht und zu einem Schneidersitz verknotet, ehe er mir wieder seine Aufmerksamkeit schenkt. „Ich habe gerade den Mietvertrag unterschrieben,“ erkläre ich ihm, was eigentlich offensichtlich ist. Allerdings weiß ich nicht, was ich groß mit ihm reden soll. Er wirkt ziemlich unnahbar und verschüchtert und Daniel ist auch keine große Hilfe, weil er ausnahmsweise mal nichts sagt, sondern uns nur beobachtet. Dominik macht keinerlei Anstalten, mir zu antworten, sondern spielt nur an seinen Haaren herum, die wild in alle Richtungen abstehen und teilweise blond und teilweise schwarz gefärbt sind. Ein bisschen ein Freak ist er ja schon… „Er hat ziemlich schlechte Erfahrungen mit seinem jetzigen Mitbewohner gemacht,“ klärt Daniel Dominik auf und deutet dabei auf mich, als wäre es nicht klar, dass er mich meint. „Offenbar bist du das genaue Gegenteil von dem Typ, also müsstest ihr euch ja blendend verstehen.“ Domi nickt und sieht mich wieder an. Ich weiß nicht so genau warum, aber ich fühle mich ein wenig unwohl, wenn er mich so ansieht. Es ist eine Mischung aus Neugierde und Misstrauen und mit letzterem kann ich nicht so gut umgehen. Teilweise deshalb, teilweise, weil es tatsächlich schon recht spät ist, stehe ich letztlich auf und sage mich los. Daniel bringt mich noch zur Türe, während Dominik in seinem Zimmer verschwindet. „Er ist ein wenig komisch, oder?“, frage ich Daniel, als ich sicher bin, dass Domi uns nicht mehr hören kann. „Ja, schon. Aber wenn er erst mal aufgetaut ist, dann ist er wirklich sehr nett,“ beruhigt Daniel mich und ich nicke, ehe ich mich verabschiede. „Bis dann!“, ruft er mir nach, als ich bereits halb die Treppen unten bin. Tatsächlich war das aber das letzte Mal, dass ich Daniel gesehen habe. Die restlichen Tage an der Uni läuft er mir nicht mehr über den Weg und als ich drei Tage nach Beginn der Semesterferien Jonas und Leon die Türe öffne, die gekommen sind, um mir beim Umzug zu helfen, ist er bereits auf dem Weg nach München. Daniel hat mir heute früh morgens bereits den Schlüssel in den Briefkasten geworfen und so komme ich nun das erste Mal ohne zu Klingeln in die Wohnung. Aufgeregt trete ich in den kleinen Vorraum, von dem ein schmaler Gang bis zu meinem Zimmer führt. Links und rechts des Ganges gehen jeweils zwei Türen weg. Auf der rechten Seite befinden sich das Bad und Domis Zimmer, auf der linken Seite die Küche und das kleine Wohnzimmer. „Hallo?“, rufe ich, aber Domi antwortet nicht. Ich schleiche mich zu seinem Zimmer und klopfe, aber auch hier bekomme ich keine Antwort. Entweder schläft er noch oder er ist nicht da. Ich hoffe nur, dass wir ihn nicht wecken, sollte er tatsächlich noch im Bett liegen, allerdings wären wir die ersten, die bei einem Umzug keinen Krach machen würden. Mit einem Türstopper hindere ich die Haustüre daran, beim ersten Windhauch ins Schloss zu knallen, ehe ich wieder nach unten gehe und Jonas und Leon beim Ausräumen des gemieteten Transporters helfe. Was nun folgt, ist ein mühsames Erklimmen der Treppen mit teilweise recht schweren Möbelstücken. Als wir endlich fertig sind, sind wir hundemüde und ich beschließe, die Jungs zum Dank auf ein paar Drinks einzuladen und meinen Einstand zu feiern. Dominik habe ich den ganzen Tag nicht gesehen. Entweder ist er nicht zu Hause oder er liegt tot in seinem Zimmer. Letzteres ist allerdings relativ unwahrscheinlich. Als ich am späten Abend nach Hause komme, versuche ich, möglichst leise zu sein, während ich mich in mein Zimmer schleiche. Erst als ich an Domis Türe vorbeikomme, sehe ich, dass unter dem Türspalt Licht hervor scheint. Ich überlege, ob ich schnell bei ihm klopfen soll, aber lass es dann doch. Richtig bekannt machen können wir uns auch morgen Früh in aller Ruhe. Er sieht das allerdings anders. Als ich mich gerade ausgezogen und ins Bett geworfen habe, reißt er meine Türe auf, ohne vorher zu klopfen und macht das Licht an, welches ich gerade erst ausgemacht habe. Ich starre ihn entgeistert an und er starrt ebenso zurück. „Du hast mich zu Tode erschreckt!“, brüllt er. Ich blinzle nur und weiß nicht so genau, was er von mir will. „Wieso?“, frage ich also nur dümmlich und er verzieht den Mund. „Daniel hat gesagt, du ziehst erst nächste Woche hier ein und ich habe mich darauf verlassen, dass stimmt, was er sagt. Und dann sitze ich nichts ahnend in meinem Zimmer und höre plötzlich, wie jemand in der Wohnung herumgeistert,“ meckert er und ich seufze. Irgendwie habe ich mir unseren Start ja anders vorgestellt. „Sorry, eigentlich hatte ich Daniel gesagt, dass ich bereits heute einziehen werde. Ich bin davon ausgegangen, dass du Bescheid weißt,“ rechtfertige ich mich und verfluche Daniel dafür, dass ich wegen ihm schon am ersten Abend einen wütenden Domi vor mir habe. Andererseits muss er sich ja auch nicht so anstellen. Um ihn versöhnlich zu stimmen, lächle ich ihn also nett an und klopfe auf mein Bett. „Komm her,“ meine ich und mache Platz, dass er sich setzten kann und wir noch ein wenig Quatschen und uns kennen lernen können. Er aber glotzt mich nur blöd an, öffnet den Mund, ohne etwas zu sagen, dreht dann auf dem Absatz um und knallt die Tür hinter sich zu. „Okay… dann nicht?“, murmle ich irritiert und zucke mit den Schultern. Verstehe einer diesen Kerl! Nach unserem reichlich misslungenen Start gestern Abend, habe ich heute gar keine Lust, mein Zimmer zu verlassen und Dominik unter die Augen zu treten. Ich habe das Gefühl, er kann mich nicht leiden, dabei habe ich ja gar nichts gemacht, was ihn hätte verärgern können. Das gestern Abend ist zwar blöd gelaufen, war aber nicht meine Schuld und dass er so ausflippen und aus dem Zimmer stürmen musste, war reichlich übertrieben. Nichtsdestotrotz muss ich mein Zimmer irgendwann verlassen, wenn ich nicht verhungern möchte. Deshalb raffe ich mich auf und laufe Richtung Küche. Mein Kopf meldet sich, um mir zu sagen, dass die paar Drinks gestern Abend eindeutig einer zu viel waren, und beschließe, zuerst eine Tablette zu schlucken, ehe ich mir etwas zu Essen mache. Als ich in die Küche trete, treffe ich auf Dominik. Ich hatte gehofft, er würde noch schlafen, aber leider ist das nicht der Fall. Trotz meiner Kopfschmerzen versuche ich, möglichst nett zu sein und das Ganze als einen Neustart anzusehen. „Morgen,“ grüße ich ihn als fröhlich und versuche zu lächeln, ehe ich mich Abwende und mir ein Aspirin und einen Jogurt suche. „Morgen,“ meint er ein wenig verhalten und rutscht auf seinem Stuhl herum. Offenbar weiß er auch nicht recht, wie er sich verhalten soll. Das ist allerdings meine Chance! „Ist blöd gelaufen gestern, was?“, frage ich ihn und er gibt ein lang gezogenes ‚Hmm’ von sich. „Vielleicht können wir einfach noch mal neu beginnen?“, frage ich und warte auf eine Reaktion, die allerdings ausbleibt. Ich setzte mich samt Jogurt an den Tisch und rühre unsicher im Becher herum. „Also denkst du, wir können miteinander auskommen?“, frage ich ihn und er nickt. „Denke schon,“ nuschelt er und ich lächle ihn erfreut an. „Okay, super. Wollen wir dann heute Mittag zusammen zum Italiener und uns besser kennen lernen? Ich lade dich auch ein, ja?“ „Ich fahre heute nach Hause,“ wehrt er ab und wird rot, auch wenn ich nicht so ganz nachvollziehen kann, warum ihm das peinlich ist. „Ach so,“ meine ich dümmlich. „Sind ja Ferien, stimmt,“ füge ich hinzu und blicke auf meinen Löffel, ohne zu essen. „Ich fahre morgen. Wann kommst du zurück?“, will ich dann wissen. „Erst kurz bevor das Semester beginnt,“ klärt er mich auf und ich habe das Gefühl, dass keine sonderlich große Konversation mehr aus diesem seltsamen Gespräch entstehen kann. „Ich auch. Dann sehen wir uns ja gar nicht mehr groß, ehe die Uni wieder anfängt,“ stelle ich fest und er nickt nur stumm. „Aber danach lade ich dich definitiv zum Italiener ein!“, rufe ich freudig und warte gar nicht erst auf Antwort, sondern springe auf und verabschiede mich ins Bad. Den Jogurt lasse ich erst mal unberührt stehen. Ich habe nicht das Gefühl, schon etwas essen zu können. Ich verlasse das Bad erst wieder, als ich höre, dass Dominik in seinem Zimmer verschwindet. Es ist zwar irgendwie gemein, ihm auszuweichen, aber er macht es mir auch nicht besonders leicht, offen mit ihm umzugehen, so verschlossen, wie er sich gibt. Andererseits scheint er ja doch recht in Ordnung zu sein, wenn auch etwas wortkarg, weshalb ich mir sicher bin, dass wir relativ gut miteinander auskommen werden. Vielleicht sollte ich Daniels Worten auch einfach Glauben schenken und darauf hoffen, dass Domi mit der Zeit schon auftauen wird. Wieder in meinem Zimmer, beginne ich, ein paar Habseligkeiten zusammen zu packen. Ich werde tatsächlich die gesamten Ferien über bei meinen Eltern zu Hause verbringen und ein paar alte Freunde wieder sehen. Ein bisschen Schade ist es schon, dass ich Dominik dann kaum kennen lernen konnte, ehe der ernst des Lebens wieder beginnt, aber es ist ja nicht zu ändern. Ich hoffe einfach darauf, dass er nach den Ferien ein wenig umgänglicher sein wird und versuche, einfach so nett wie nur möglich zu ihm zu sein. Als ich gerade anfange, alle Dinge, die ich zusammen gesucht habe, in einen Koffer zu stopfen, klopft es an der Türe und er steckt seinen Kopf herein. „Ich wollte Tschüß sagen,“ erklärt er mir und tritt ein. Er hat schon seine Jacke angezogen und wirkt wieder wie ein Schatten. Das einzig helle an ihm ist der blonde Haarbüschel, der den oberen Teil seiner Haare ausmacht. „Okay, dann kommt gut zu Hause an,“ meine ich ein wenig unschlüssig, weil ich keine Ahnung habe, wie ich ihn nun verabschieden soll. Soll ich ihn in eine kumpelhafte Umarmung schließen, einfach nur winken oder ihm feierlich die Hand geben? Er sieht ebenfalls ein wenig unbeholfen drein und wirkt relativ verloren. Ein bisschen hat er was von einem Welpen, so hilflos und unschuldig blickt er mich an. Allerdings habe ich ja gestern Abend bereits gemerkt, dass er auch ganz anders kann. „Du morgen auch,“ meint er nun und versucht sich an einem Lächeln, was ein bisschen misslingt. „Tut mir Leid wegen gestern Abend,“ nuschelt er dann und es scheint ihm ziemliche Überwindung zu kosten, das zu sagen. Ich muss grinsen. „Schon vergessen,“ winke ich ab, „Du warst halt erschrocken, weil du nicht mit mir gerechnet hast.“ Er nickt und scheint dem ganzen recht wenig hinzufügen zu wollen. Unruhig tritt er auf der Stelle hin und her und ich glaube, dass es Zeit ist, ihn zu erlösen. Ehe ich aber etwas sagen kann, meint er: „Wir können nach den Ferien gerne zusammen Essen gehen.“ Dabei wird er wieder aus unerfindlichen Gründen rot und ich nicke und stimme ihm zu. „Aber ich habe keine Lust, verarscht zu werden, ja?“, fügt er hinzu und ich blinzle ihn irritiert an. „Klar, warum sollte ich auch?“, frage ich verwirrt und er winkt nur ab und lächelt noch einmal, ehe er macht, dass er von mir wegkommt. „Tschüß,“ ruft er mir zu, als er bereits im Flur ist und ich kann gerade noch antworten, ehe auch schon die Haustüre hinter ihm ins Schloss fällt. Ich runzle die Stirn und weiß immer weniger, was ich von ihm halten soll. „Und? Die erste Nacht gut überstanden?“, begrüßt Leon mich, als ich bei ihnen zu Hause aufschlage. Auch sie fahren morgen nach Hause und so ist es das letzte Mal für geraume Zeit, dass wir uns sehen können. Deshalb haben wir uns noch einmal getroffen, um zusammen zu Abend zu essen, ehe jeder seiner Wege geht. „Ja, das schon,“ meine ich und erzähle ihnen dann von Dominiks seltsamen Verhalten. „Ist ja komisch,“ befindet Jonas, während Leon nur unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutscht und offensichtlich nicht weiß, was er sagen soll. „Was ist denn los?“, frage ich ihn, weil mir sein seltsames Verhalten doch recht verdächtig vorkommt. „Ich habe dir doch gesagt, dass das Ganze einen Haken hat,“ meint er und ich runzle die Stirn. Tatsächlich habe ich komplett vergessen, dass Leon mich ja gewarnt hatte, etwas an der Wohnung wäre faul. Ich erinnere mich, wie ich ihn nicht habe zu Wort kommen lassen, als er es mir sagen wollte und dass ich danach nicht noch einmal gefragt habe. Nun bekomme ich ein wenig Angst, weil die ganze Sache offensichtlich etwas mit Dominik zu tun hat. „Ist Domi etwa ein Psycho oder so was?“, frage ich ängstlich nach, weil ich dem stillen Kerl mittlerweile alles zutraue. „Nein, das nicht,“ winkt er ab und ringt sich zu seinem Lächeln durch. „Er ist nur… Naja… Also… Er ist schwul.“ Ich blinze ihn wenig beeindruckt an und weiß nicht so genau, was ich davon halten soll, wie er mir die Botschaft gerade überbracht hat. Sieht Leon es als Problem an, wenn jemand schwul ist? Damit hätte ich nicht gerechnet, ich habe ihn immer relativ offen für alles eingeschätzt. Nicht, dass ich jetzt geglaubt hätte, er würde sein Bett mit Jungs teilen. Aber ich dachte zumindest, dass er kein Problem damit hätte, wenn es jemand anderes tut. Er muss mir meine Gedanken an meinem Gesichtsausdruck abgelesen haben, denn er meint sofort: „So meinte ich das jetzt nicht!“ Ich zucke nur mit den Schultern und fange wieder an zu essen. „Ist mir eigentlich recht egal, ob er schwul ist oder nicht. Ich hatte in meiner alten Klasse auch einen, der schwul war, und mit dem habe ich mich immer gut verstanden,“ erwidere ich mit vollem Mund. Ehrlich gesagt hatte ich meine ersten sexuellen Erfahrung mit diesem Jungen, ehe ich eher die Mädchenschiene eingeschlagen habe, während er bei Jungs geblieben ist, aber das müssen Leon und Jonas ja nicht wissen. „Was ich sagen wollte war ja auch nicht, dass es ein Problem ist, dass Dominik schwul ist,“ rudert Leon zurück und ich ignoriere ihn. Ich habe keine Lust, jetzt groß darüber zu diskutieren. Ich weiß nicht genau, ob er das jetzt nur sagt, weil ich so offen für Homosexualität bin und er es sich nicht mit mir verscheißen möchte, oder weil er wirklich selbst auch nichts dagegen hat. Stattdessen überlege ich mir, ob es irgendetwas daran ändert, wie ich mit Dominik umgehen sollte und im nächsten Moment fällt mir wieder ein, wie er gestern Abend wütend aus dem Zimmer gestürmt ist, nachdem ich ihn gebeten habe, zu mir ans Bett zu kommen. „Oh,“ meine ich leise und blicke peinlich berührt auf meinen Teller. Er hat das sicher komplett falsch aufgefasst und dachte, ich würde ihn entweder verarschen oder vernaschen wollen – keine Ahnung, was davon jetzt schlimmer für ihn gewesen wäre. Würde zumindest erklären, warum er zu mir gesagt hat, er möchte einfach nicht verarscht werden. Da bin ich ja noch stärker ins Fettnäpfchen gesprungen, als ich zunächst vermutet hätte. Hoffentlich hat er nicht auch noch gedacht, dass Essen beim Italiener wäre ein Date. Ich beiße mir auf die Lippen. „Siehst du!“, triumphiert Leon, dem das natürlich nicht entgeht, „So einfach ist es nämlich gar nicht!“ Ich zucke erneut mit den Schultern. Zwar werde ich etwas klar stellen müssen, wenn ich Dominik das nächste Mal sehe, aber ansonsten sehe ich kein Problem darin, mit ihm normal umzugehen, wo ich es nun weiß. „Darauf wollte ich aber eigentlich gar nicht hinaus,“ meint er und beugt sich nun zu uns vor, blickt uns verschwörerisch an. „Das Problem ist nicht, dass er schwul ist, sondern das einige Gerüchte im Umlauf sind.“ „Gerüchte?“, echot Jonas, von dem ich ganz vergessen habe, dass er noch da ist, und auch ich bin mit einem Mal ziemlich neugierig. „Was für Gerüchte?“, frage ich und bekomme nun doch ein wenig Angst. Nicht, dass ich glaube, dass Dominik nachts in mein Zimmer kommt und mich vergewaltigt, aber irgendetwas muss es ja sein, wenn Leon schon die ganze Zeit von einem Haken an der ganzen Sache spricht. Leon sieht sich um, als könnte tatsächlich plötzlich wer in ihrer Küche stehen, der uns belauscht, ehe er flüstert: „Soweit ich weiß, geht das Gerücht um, er habe eine Affäre mit einem der Professoren.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)