Dem Frühjahr folgte der Tod von LittleKaku (Wenn die Vergangenheit zur Zukunft wird) ================================================================================ Kapitel 1: Überlebende ---------------------- "Ich weiss nicht, mit welchen Waffen man im vierten Weltkrieg kämpft. Ich weiss aber, dass im fünften Steine geworfen werden."                                                        -Albert Einstein Das erste was ich spürte war ein grässlicher Druck im Kopf, dann ein Reißen in den Gliedern und das Schlingern meines Magens. Ich fror erbärmlich. Was war nur geschehen? Wer zum Teufel war ich überhaupt? Ich wusste es nicht. In meinem Schädel war ein einziges durcheinander von Farben und Schlieren, vor meinen Augen nur Schwärze, mir fehlte die Kraft, sie zu öffnen. Diese Unfähigkeit auch nur einen Muskel zu rühren machte mich wahnsinnig! Ganz langsam wich die Kälte aus meinen Gliedern einer unangenehmen Hitze. Ein Fieber. Eine Glut, die mein Fleisch, meinen ganzen Körper mit Nadelspitzen Zähnen unendlich langsam zerfetzte, mir die Haut wie in Zeitlupe abzog und meine Organe einfach auflöste. Immer wieder entglitt ich in ein Delirium, ein Zustand wabernder Schwärze, welcher Stunden lang anhielt. Oder waren es Tage? Ich wusste es nicht. Mein Zeitgefühl war weg, genau wie meine Erinnerung. ICH war weg… **** Es hatte sage und schreibe ganze vier Stunden gedauert, bis man Smith, Levi und die bewusstlose Frau aus dem Einsturzloch hatte bergen können. Hauptsächlich lag das daran, dass der Großteil der Stadtwache ob der neuen Weinlieferung sturzbetrunken war, aber das war nun nebensächlich. Gedankenverloren betrachtete der durchgefrorene Kommandant die überraschend große, in dicke Decken eingewickelte junge Frau. Ihr fremdartiges Gesicht war außerordentlich schön, von einem hellen, erdfarbenen Ton und dazu passenden pechschwarzen Haaren. Die fein geschwungenen, vollen Lippen waren rissig, unter den Augen mit den langen, dunklen Wimpern lagen tiefe Augenringe. Verwundert entdeckte Smith einige dunkle Flecken, es waren verhältnismäßig blasse Sommersprossen, die sich nur leicht von der Haut abhoben. Trotz allem, die Fremde war seiner Einschätzung nach maximal fünfzehn Jahre alt, wenn nicht jünger. An ihrer athletischen Figur jedoch war deutlich die Ausbildung im Kampf zu erkennen. Seine Kadetten waren auch nicht viel älter, doch standen sie erst am Anfang ihres Weges. Dieses Mädchen schien ihn schon längst gegangen zu sein. Die regenfeste Kutsche ruckelte über das Pflaster der Straße, die sie ins momentane Hauptquartier der Aufklärungslegion bringen sollte, wo eine außerplanmäßige Versammlung der drei Einheitsspitzen stattfinden würde. „Wie geht es ihr?“, riss Levi den schaudernden Smith aus dessen Gedanken. „Ihr Herz schlägt kräftig und in einem normalen Rhythmus, ihre Atemzüge sind tief. Das einzige was mich beunruhigt sind ihr Fieber und die anhaltenden Krämpfe. Ich weiß ja nicht… Wozu auch immer die Menschen in ihrer Zeit noch fähig waren, sie konnten Lebewesen einfrieren und unversehrt wieder auftauen. Wenn wir nur einen Bruchteil ihrer Technik nutzen geschweige denn verstehen könnten, wir hätten vollkommen neue Möglichkeiten!“ Smith lachte gequält auf. „Aber bei unserem Glück stirbt sie uns entweder weg oder entpuppt sich als Feind!“ Levis Augenbraue wanderte in die Höhe. „Ist der pessimistische Teil nicht mein Zuständigkeitsbereich?“ **** Da war ich wieder. Oder? Ja, ich war wach. Ich konnte ein dumpfes Poltern vernehmen wie von einer uralten Kutsche, wenn ich mich nicht vollkommen irrte, sogar Stimmen. Mein ganzer Körper war verkrampft, er fühlte sich an, als stünde er in Flammen. Nicht einen Finger konnte ich rühren. Also lauschte ich gezwungenermaßen den Geräuschen um mich herum, auch wenn sie klangen, als hätte ich nasse Watte in den Ohren. Es waren zum Teil tatsächlich Stimmen, der Tonlage nah zu urteilen gehörten sie zu zwei verschiedenen Männern. Ebendiese stiegen rasch aus dem Fahrzeug, nachdem dieses angehalten hatte und betraten ein Gebäude, dessen angenehm warme Luft meinen Körper zum Entspannen brachte. Endlich konnte ich unter großer Anstrengung sogar Worte verstehen, auch wenn sie sehr befremdlich klangen. „Sie hat Fieber. Und ist Bewusstlos. Zumindest haben die Krämpfe aufgehört.“ „Dawk wird alles versuchen, sie in seine Gewalt zu bringen. Er wird bei so einer Chance nicht locker lassen!“ „Wir aber auch nicht. Nicht einmal Dawk kann es sich leisten, sich die Kleine zum Feind zu machen. Sie könnte über Wissen verfügen, dass uns zum Sieg verhelfen kann.“ Wovon redeten die da? Was sollte ich wissen? Momentan musste ich echt heftig in meinem Hirn kramen, um einfach nur an meinen Namen zu kommen. Aber da war was… Ysabel. Mein Name war Ysabel. Es war ein schöner Name. Und mein Nachname? Carrai, oder? Genau! Ich hatte diesen komischen Nachnamen, den alle immer ganz falsch aussprachen…. Alle? Mein Schädel brummte von den ganzen Gekrame, zur Abwechslung versuchte ich mich etwas zu bewegen. Viel war nicht machbar, aber zumindest konnte ich die Augen öffnen und meinen Träger ansehen. **** Aus dem Augenwinkel bemerkte Smith eine winzige Bewegung. Das Mädchen hatte aufgehört zu krampfen und sah ihn nun aus dunkeln Iriden an. Er beschleunigte seine Schritte unbewusst, doch ehe er die Tür zum provisorischen Krankenlager erreichen konnte, war Levi schon vor ihn getreten und hatte die Pforte kraftvoll aufgestoßen. Die Krankenpflegerin sah den Schwarzhaarigen geschockt an, ehe sie kopfschüttelnd zu Smith trat und das Mädchen begutachtete. „Legen sie sie dorthin. Und gehen sie sich was Trockenes anziehen. Sie holen sich noch den Tod!“ Smith bettete die Schwarzhaarige wie Geheißen in eines der Krankenlager, ehe er sich im Nebenraum eine frische Uniform überwarf. Levi war ihm gefolgt, nur um einen Schlammfleck von seinem Schuh zu entfernen. „Ich hasse dieses Wetter.“ Smith schmunzelte, ehe er das Lazarett wieder betrat. Die Schwester hatte ihren Schützling in warme Wollkleider gehüllt und testete gerade die Bewegungsfähigkeit der Finger. Mit einem Nicken nahm sie das Ergebnis zur Kenntnis und trat zu ihrem Vorgesetzten. „Sagten sie nicht, das Kind wäre in einem kritischen Zustand? Kommandant Smith, die Kleine weist außer einem leichten Fieber und etwas Orientierungslosigkeit keinerlei Einschränkungen auf. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ Smith legte der betagten Dame eine Hand auf die Schulter. „So etwas wie dieses Mädchen hat vermutlich noch nie jemand gesehen. Sagen sie, versteht sie uns?“ Die Frau nickte, woraufhin der Blonde Kommandant an das Lager herantrat. Ein flaues Gefühl breitete sich in seinem Magen aus, er war aufgeregt wie sonst nie. Mit ruhigen Bewegungen zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich, ehe er der jungen Frau direkt in die Augen sah. **** Der Mann, der mich hierher gebracht hatte, Smith oder wie die Krankenschwester ihn gerade nannte, setzte sich mir gegenüber. Seine rauchblauen Augen musterten mich angespannt, wie ich unsicher dasaß und mit den Füßen wippte. Das Schweigen war grauenvoll, ich wandte den Blick auf meine gefalteten Hände. „Kein Wunder, dass du bei Frauen kein Glück hast, wenn du sie nie ansprichst.“ Sowohl ich als auch der Blonde sahen zu einem Schwarzhaarigen, der mit gelangweilter Mine an der Wand lehnte. Der beinahe schon schnippische Spruch hatte bei mir die Spannung etwas gelöst, während der Blonde empört wirkte. Mit zusammengezogenen Augenbrauen wandte sich Smith wieder mir zu. „Entschuldige bitte Levi’s Verhalten.“ Ich lächelte leicht. „Naja….recht hat er ja…“ Nun weiteten sich die blauen Augen meines Gegenübers und er lachte auf, ebenso wie der kleine Schwarzhaarige. Das Lachen war ehrlich, doch ich hörte genau den gequälten Unterton heraus. Matt schlug ich den Blick nieder. „Ich weiß, was sie fragen wollen.“, begann ich. „Aber bis auf meinen Namen habe ich momentan keine Erinnerungen.“ Smith nickte leicht, sein warmes lächeln blieb aber. „Vielleicht fangen wir damit an? Mein Name ist Erwin Smith, ich bin Kommandant der Aufklärungslegion. Die Aufgabe meiner Einheit ist es, die Titanen zu erforschen und zu bekämpfen.“ Ich nickte. „Mein Name ist Ysabel… Ysabel Carrai. Entschuldigen sie aber… Was meinen sie mit ‚Titanen‘?“ Statt dem Blonden begann der Kleine an der Wand zu erklären. Kurz und knapp erhielt ich die Info, dass die Titanen vor etwa 107 Jahren auftauchten und die Menschen beinahe ausrotteten. In den Letzten Jahrzehnten hatte man verschiedene Techniken entwickelt, um Jagd auf die bis zu fünfzehn Meter hohen Kreaturen machen konnte. Was mich verwunderte war die Tatsache, dass die Titanen nur Menschen angriffen, keine Tiere, sie waren nicht einmal auf Nahrung angewiesen. Sie fraßen die Menschen nur zu ihrer Befriedigung. Nun, die Ausführungen waren noch weitaus detaillierter, als ich wiedergeben möchte, zumindest sei gesagt, die Details reichten, um mich zum Erbrechen zu bringen. **** Manchmal konnte er Levi wirklich zum Teufel jagen. Anstatt sich vorzustellen, beschrieb er äußerst genau, wie es aussah, wenn ein Titan ausgeweidet wurde und alles, was er verschlungen hat, in einem Sturzbach aus rotem Schleim zu Boden ging. Smith konnte sich gut in Ysabel hineinversetzten, ihm erging es ähnlich, als er zum ersten Mal einen aufgeschlitzten Titanen zu Gesicht bekommen hatte. Damals war er noch ein einfacher Soldat und seine Ausrüstung nicht ansatzweise so fähig wie nun. Nachdem Ysabel sich das Gesicht gewaschen hatte, war es Smith, der seinen Hauptmann vorstellte und die Situation erklärte. „Dein Auftauchen hat einen ziemlichen Tumult verursacht. Wir müssen jetzt klären, in wessen Obhut du gehst und ob ausgebildet wirst. Wenn dir Erinnerungen kommen sollten, dann teil es uns mit! Levi hat dir ja schon erklärt, wie kritisch es um die Menschen steht. Dein Wissen, wenn es denn zurückkehrt, könnte hunderttausende Leben retten!“ **** Erwin übertrieb. Aber sowasvon maßlos. Levi wusste, dass die Technik, die sie unter der Erde gefunden hatten, nicht mal ansatzweise mit den gegebenen Möglichkeiten nachempfunden werden konnte. Ein einzelner Mensch aus grauer Vorzeit… wer sagte denn, dass diese Ysabel überhaupt hilfreich sein würde? Natürlich, sie konnte als Mittel dienen, die Stimmung der Bürger zu bessern, aber es konnte genauso gut sein, dass man sie als Idol eines Aufstandes gegen den König erklärte, und das wäre in der momentanen Lage der Menschheit das Todesurteil. Erwin jedenfalls schien das genau zu wissen, er war aber leider Gottes schon immer ein elender Optimist gewesen. Obwohl er schon hunderte Niederlagen ausfechten musste, er stand immer wieder auf und hoffte auf Besserung. Und Hoffnung war etwas, was Levi überhaupt nicht schätzte. Hoffnung war unsicher. Sie war die letzte Zuflucht derer, die sich aufgaben. Etwas, das für jemanden wie Levi nie in Frage kam. Missmutig nahm er zur Kenntnis, dass sein Vorgesetzter sich erhob und mit Ysabel Richtung Tür trat. Hanji würde durchdrehen, soviel war klar. Und Nile würde sie „in Schutz nehmen wollen“. Wie das aussah wusste Levi nur zu gut. Ein dunkler Kerker und madiges Brot. Er schauderte unmerklich und sah zu, dass er direkt hinter Erwin und dem Mädchen blieb. Seine Befürchtungen bezüglich Hanji und Nile sollten sich bewahrheiten. **** „OH MEIN GOTT!!! IST SIE DAS? SIE IST SO HOCHGEWACHSEN… WOHER KOMMT SIE? WIE LANGE WAR SIE DA UNTEN?!“ Kaum hatten wir den Raum betreten, wurde ich an den Schultern gepackt und herumgewirbelt. Wenn ich mich nicht ganz vertat, war die Person, die mir gerade ein Schleudertrauma verpasste weiblich… und sie sabberte. War ich so etwas Besonderes? Smith jedenfalls hatte ziemlich Mühe, das hechelnde Etwas von mir runter zu bekommen und wirkte leicht überfordert mit der Situation. Ein Absatz raste an meinem Gesicht vorbei und das kreischende Weib landete auf dem Boden. Dieser Levi hatte sie mal eben so aus dem Stand vor die Brust getreten. Er war ja nicht viel kleiner als der Sabberlappen. Überhaupt nicht. Okay, ich geb's ja schon zu, ich war ihm dankbar und sah zu, dass ich von diesem Weib wegkam. Ziemlich verwirrt und unsicher stand ich nun da, inmitten des Tumultes, von allen Seiten spürte ich stechende Blicke, tausende Fragen, manische Augen, Gesichter, die sich in abscheuliche Fratzen wandelten… Verzweifelt schlug ich mir die Hände auf die Ohren, kniff die Augen zu und ließ mich zu Boden fallen. Doch gegen meine Hoffnung nahmen weder die Geräusche noch die Bilder ab. Im Gegenteil. Mit einem Mal sah ich Ruinen, Feuer, Blut. Tod und Verderben. Ich spürte Hitze, die alles verschlang. Spürte etwas in meiner Hand platzen. „Aufhören…“ Ich sah blutige Klumpen auf meiner Handfläche. „Nein…“ Ein winziges, engelsgleiches Gesicht sah mir entgegen. „Ich will das nicht!!!“ „Ysabel!“ Ich riss die Augen auf. Smith kniete vor mir, er hielt mein Gesicht in beiden Händen. Seine Augen waren voll Sorge, er war Angespannt. „Bist du wieder bei Sinnen, Ysabel?“ Es war Levi der das Wort an mich richtete. Er stand zwischen Smith, mir und dem Rest der Leute, als ob er sie von uns fernzuhalten gedachte. Es war totenstill im Raum. „Ich… es tut mir leid. Es wurde alles so viel…“ Smith zog mich mit sich hoch. „Waren es Erinnerungen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Es kam mir vor wie… wie ein Albtraum… überall war Tod… Gott, ich versteh das nicht!“. Verzweifelt barg ich mein Gesicht in den Händen. Smith zog mich zu meiner Verwunderung an seine Brust und tätschelte mir vorsichtig den Kopf. Dankbar hielt ich mich an ihm fest. „Ich würde euch bitten, Ruhe zu bewahren.“, begann er an die Anwesenden gewandt. „Wir können nicht genau sagen, wie alt Ysabel ist, aber sie ist noch lange nicht erwachsen. Bitte habt Verständnis dafür, dass ihr das ganze sonst zu viel wird.“ Vorsichtig drückte er mich so weit von sich weg, dass er mich ansehen konnte. Ich nickte ihm zu und trat neben ihm an den Tisch, wo er sich in einen Stuhl setzte. Mir wies er eine Art Hocker zu, anscheinend bekamen nur die ganz Hohen hier richtige Stühle. Naja, das war ja immer so. Egal. **** Hanji nahm schon beinahe enttäuscht zur Kenntnis, wie Levi sich zu Ysabels linken niederließ. So war dieses unglaubliche Mädchen zwischen dem Kommandanten und dem Hauptmann weitgehend unerreichbar. Energisch wischte sie sich den Speichel vom Kinn und klopfte den nicht vorhandenen Staub von ihrer Uniform, ehe sie neben dem Einheitsführer Mike Zacharias Platz nahm. Sie bemerkte die herablassenden Blicke der Vertreter der Militärpolizei, beachtete sie aber nicht weiter sondern begann damit, Ysabel zu mustern. Das Mädchen war etwa einen Meter achtzig groß, athletisch gebaut und vom Südländischen Typ Mensch, soweit sie das einordnen konnte. Am faszinierendsten waren aber ihre Augen. Sie waren von einem Dunkelblau, welches nach außen hin dunkler wurde, zudem konnte man silberne Sprenkel ausmachen. Es waren wirklich schöne Augen, von Langen, dichten Wimpern umrahmt. Mike stiess sie mit dem Ellenbogen an, worauf Hanji ihre Aufmerksamkeit auf die Person an der Tür lenkte. **** „Oberkommandant Zacklay ist soeben eingetroffen. Er entschuldigt sich für den unangemeldeten Besuch.“ Smith nickte dem Soldaten zu und wies ihn an, einen weiteren Sessel zu holen. Der untersetzte Brünette lief los und keine Minute später betrat Dallis Zacklay den Raum. Sämtliche Anwesenden, Ysabel eingeschlossen, erhoben sich und salutierten, auch wenn Ysabel es anders tat als Smith. Ihr rechter Arm war hinter dem Rücken angewinkelt, das Kreuz durchgedrückt, die Fersen berührten sich. Die linke Hand schwebte ausgestreckt vor ihrer linken Schläfe und ihr Gesicht war ausdruckslos. Zacklay nahm das zur Kenntnis, doch er winkte ab. „Ihr müsst nicht immer alles aus der Hand werfen, nur um mir zu salutieren. Jetzt setzt euch wieder.“ Stühle schrammten über den Boden, der untersetzte Brünette kam außer Atem mit dem Sessel an. Als er Zacklay sah, salutierte er so plötzlich, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor. „Alles Gut, Bursche. Du kannst jetzt gehen.“ Der Oberkommandant legte seinen Mantel über die Sessellehne und ließ sich dann in dem Möbel nieder. Zu seiner Linken saß Dot Pixis, der Kommandant der Stadtwache, zu seiner rechten Nile Dawk, der äußerst übellaunig schien. Dem Oberkommandanten direkt gegenüber saß Ysabel. Sie wirkte sehr unsicher und sah beinahe hilfesuchend in die Runde. Ihr Blick zuckte zu Zacklay, als dieser das Wort erhob. „Kommandant Smith, mir wurde nur sporadisch über die Vorkommnisse berichtet. Würden sie mir kurz erklären, wie alles ablief?“ Smith nickte. „Ich war mit Hauptmann Levi auf dem Weg zu der Nachbesprechung der letzten Mission, als die Oststraße, kurz vor der Mauer Sina ob des vielen Wassers im Boden unter meinem Pferd nachgab. Wir wurden von einer Schlammwelle etwa sieben Meter unter den Boden gezogen, bis wir in einem Hohlraum landeten. Dort fanden wir eine fremdartige Metalltüre vor, dahinter einen Raum mit einer Art Altar in der Mitte. Hauptmann Levi war mir gefolgt und betätigte versehentlich einen Schalter, der einen Mechanismus in Gang setzte und Ysabel aus dem Altar freigab.“ Schweigend nickte der Oberkommandant, ehe er Ysabel ansah. **** „Du bist also die letzte der Alten. Hat man dir schon berichtet, wo du dich befindest?“ Ich nickte und wiederholte das, was Levi mir kurz zuvor erklärt hatte. Der bärtige Mann schien freudig überrascht darüber, blieb aber ernst. „Sehr gut. Kannst du mir denn auch sagen, warum du dich in diesem Raum befandest?“ Nun schüttelte ich traurig den Kopf. „Ich weiß nur meinen Namen, Ysabel Carrai. Ich denke, ich werde mich wieder erinnern können, aber… es ist mehr eine Hoffnung.“ „Eine Hoffnung also?“, blaffte mich der Mann zu Zacklays rechten an. „ Wenn du uns nicht helfen willst, verschwinde! Wir haben keine Verwendung für ein Weib, dass sich an nichts erinnern kann!“ Am liebsten hätte ich ihm Gründlich die Meinung gesagt, aber Levi schnitt mir das Wort ab. „Meiner Meinung nach sollten wir sie zur Soldatin ausbilden. Ihre Erinnerungen werden vermutlich beim Lernen zurückehren. Sobald Ysabel dann ausgebildet ist, werden wir sie in unsere Obhut nehmen.“ Der übellaunige bärtige lachte spöttisch. „Das glaubst du doch selber nicht, Levi. Wenn dieses Kind tatsächlich hilfreiches Wissen besitzt, dann wird sie ins Innere wandern! Oder bist du wirklich der Meinung, die Oberen würden zulassen, dass sie als Titanenfutter endet?!“ Levi hatte mir bereits erklärt, was es mit dem Inneren auf sich hatte, dementsprechend empört schlug ich mit der flachen Hand auf den Tisch. „Jetzt reicht es aber!“, rief ich. Mit einem Mal war alles still. Ich fixierte den Schwarzhaarigen Blaffer. „Erstens, ich bin kein Stück Fleisch, dass sie dahin werfen können wo sie wollen! Zweitens stimme ich Levi mit seiner Idee zu! Und drittens, ganz ehrlich? Sie glauben doch nicht, dass ich mich verstecke, wenn tausende Menschen in Gefahr sind!“ Schwer atmend funkelte ich den fremden Kommandanten an. Dieser klappte seinen Mund auf und zu, ohne dass ein Ton herauskam. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Wie redest du eigentlich mit mir, Balg?!“ Er wollte gerade loslegen, als Zacklay zu sprechen begann. „Ich stimme dem Hauptmann zu. Du siehst mir recht trainiert aus, also sollten wir die den Umgang mit der Dreidimensionalen Manövrierausrüstung beibringen. Für den Fall, dass du dich tatsächlich nicht erinnern kannst, hätten wir so zumindest eine fähige Soldatin. Außerdem halte ich dich für klug genug, deinen Vorgesetzten selbst zu wählen.“ Der Typ rechts von ihm wollte gerade irgendwas brüllen, als Zacklay hochfuhr und zur Tür wies. „Nile, ich möchte sie bitten zu gehen. Ihr herablassendes Verhalten halte ich keineswegs für angebracht! Wir haben hier einen Menschen vor uns sitzen, der vielleicht älter ist als wir alle zusammen und sie geben alles daran, sich bei ihr unbeliebt zu machen!“ Er sprach ganz ruhig, aber in seiner Stimme lag etwas bedrohliches, worauf Nile wortlos den Saal verließ. Leicht schmunzelnd ließ Zacklay sich wieder nieder. „Wie schön ruhig es doch plötzlich ist…“ Genaugenommen hörte ich die nächste Stunde nur mit halbem Ohr zu. Zacklay gab mich mehr oder weniger in Smiths Obhut, ich würde in das gerade angefangene Militärtraining einsteigen und sobald eine Erinnerung kam müsste ich mich sofort bei einem Aufseher melden. Soweit, so gut. Nach knapp zwei Stunden tat mir der ganze Rücken weh, meine Augen brannten und ich war schrecklich müde. Ein weiteres Mal war es Levi, der mir den Hintern rettete. Er erhob das Wort und wies auf mein Unwohlsein hin, worauf Zacklay nur antwortete, ich müsse nicht zwingend anwesend sein, Levi könnte mich auf mein Zimmer bringen. Das tat der Hauptmann dann, auf dem Weg meinte er ganz beiläufig, wie sehr ihm doch dieser Nile auf den Sack ging. Ich musste schmunzeln. Das Zimmer, was mir zugeteilt worden war, war nicht extrem groß, dafür hatte es aber einen Kamin und um das große Bett herum lag ein dunkler Teppich. Zwei Sessel standen an einem kleinen Tisch nahe dem Fenster. Alles in allem war der Raum recht gemütlich. Mir fiel etwas ein. „Levi, können sie mir sagen, wie spät es in etwa ist?“ Der kleinere Hauptmann legte den Kopf schief, antwortete aber: „Wir haben es etwa sechs Uhr nachmittags.“ Ich dankte ihm und nahm sein leicht spöttisches ‚Gute Nacht‘ mit einem schiefen grinsen hin. Schlaf fand ich zunächst keinen. Tausend Gedanken, verschwommene Bilder und Satzfetzten rasen durch meinen Kopf. ‚Die letzte der Alten…‘, das hatte Zacklay zu mir gesagt. Diese Worte machen mir eines erschreckend klar: Ich war ein Relikt. Eine Sensation! Mein Wissen würde Leben retten! Ich hatte überlebt! Und ich musste auf jeden Fall meine Erinnerungen wiederbekommen! Mit diesem Ziel schlief ich nach gefühlten Stunden ein. In dieser Nacht träumte ich von gigantischen Händen, die alles Leben zerquetschten Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)