Die Hölle hat zu warten von Leto ================================================================================ Kapitel 1: Träume ----------------- Maliks Beine fühlten sich schwer wie Blei an, jeder Muskel schmerzte und seine Lunge brannte, doch er zwang sich weiterzulaufen. Er hatte keine andere Wahl, denn er durfte einfach nicht stehen bleiben. Um ihn herum herrschte Dunkelheit und nur schemenhaft konnte er seine Umgebung erkennen. Er war in einem Gebäude, das ihm seltsam vertraut vorkam, doch so sehr er sich auch anstrengte, ihm fiel nicht ein woher er es kannte. Er hatte auch nie viel Zeit sich ausgiebig Gedanken darüber zu machen. Malik warf einen Blick über die Schulter. Die schattenhafte Gestalt verfolgte ihn immer noch. Sie war riesig und bewegte sich merkwürdig. Mit aller Kraft versuchte Malik den Abstand zwischen sich und dem Schatten zu vergrößern, doch so schnell er auch lief, er konnte ihn nicht abschütteln. Das Geräusch von Hufen widerhallte in der Stille, die ihn umgab. Er konnte noch nicht mal seine eigenen Schritte hören. Es klang wie Donnerschläge in Maliks Ohren. Doch plötzlich war das Gebäude verschwunden und sein Weg fand ein jähes Ende. Vor Maliks Füßen tat sich ein Abgrund auf und er kam erst im letzten Moment zum Stehen. Schweratmend sank Malik auf die Knie und blickte zurück, doch er konnte weder das Gebäude, noch den Schatten sehen. Malik beugte sich leicht über die Kante und blickte in die undurchdringliche Dunkelheit. Die Schreie, die aus dem Abgrund drangen, gingen ihm regelrecht unter die Haut. Er versuchte zu verstehen, ob sie irgendetwas sagten, doch es klang nur als würden Fingernägel über eine Tafel kratzen. Ihm standen die Haare zu Berge und er schauderte. Beschützend legte er die Arme um sich selbst. Seine Kehle war wie zugeschnürt und er wollte weglaufen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Malik schloss die Augen. „Nein, nein“, kam es heiser über seine Lippen. Schweißgebadet schreckte Malik aus dem Schlaf hoch. Er fasste sich an die Brust, sein Herz raste und sein Körper pumpte immer noch Adrenalin durch seine Adern. Er sah auf die Uhr, obwohl er schon ahnte wie spät es war. 3:03 Uhr, so wie immer, wenn er aus diesem Albtraum aufwachte. Der Traum verfolgte ihn seit Wochen und er lief immer nach demselben Schema ab. Er rannte vor einem Schatten davon, bis er an den Abgrund gelangte. Er hörte die Schreie, dann wachte er auf. Malik ließ sich zurück auf die Matratze fallen und legte einen Arm über seine Augen. Seit immer wieder Menschen in der Stadt auf mysteriöse Weise ums Leben kamen, verfolgte ihn auch dieser Albtraum. Malik weigerte sich eine Verbindung zwischen diesen zwei Dingen zu sehen. Im Gegensatz zu seiner Schwester. Nachdem er ihr von den Albträumen erzählt hatte, war sie ganz aus dem Häuschen gewesen. Sie hatte irgendwas von Geistern gelabert, dunklen Visionen und lauter solchen Scheiß. Seitdem hatte er die Albträume nicht mehr erwähnt und stritt auch ab, welche zu haben. Aber merkwürdig waren die Tode trotzdem: Menschen, die sich selbst im Schlaf erdrosselten, die sich die Augen auskratzten und sich den eigenen Körper aufschlitzten. Laut Angehörigen sprachen sie dabei in einer fremden Sprache, doch niemand konnte sich anschließend an die Worte erinnern. Außerdem konnte es jeden treffen: Kinder, alte Menschen, Frauen, Männer. Viele hatten deswegen Angst einzuschlafen und niemand wusste, was es war, dass diese Menschen dazu trieb, sich auf so grausame Weise selbst umzubringen. Malik schauderte. Es war schon ziemlich unheimlich und er bevorzugte es, nicht darüber nachzudenken. Das alles zog nicht nur Reporter an, sondern auch viele Verrückte: Geisterjäger, Ufo-Jäger, Exorzisten, spirituelle Medien. Manche sprachen auch vom Ende der Welt. Malik konnte darüber nur den Kopf schütteln. Es mochten zwar seltsame Tode sein, aber es gab ganz sicher eine banale Erklärung dafür. Malik wollte sich auf die Seite drehen um weiterzuschlafen, als er plötzlich hörte, wie etwas über seine Fensterscheibe kratzte. Oder zumindest glaubte er, das zu hören. Malik setzte sich wieder auf und sah zum Fenster, doch er konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken aufzustehen und nachzusehen, doch dann besann er sich eines Besseres. Das war doch lächerlich. Er legte sich hin und zog die Decke hoch. Malik schloss die Augen. Das war nicht mehr als seine Einbildung gewesen. Isis saß am Tisch und las Zeitung, als er morgens die Küche betrat. Malik gähnte. Jedes Mal, wenn er wieder diesen Albtraum gehabt hatte, fühlte er sich am nächsten Tag wie ausgelaugt. Als wäre er wirklich vor diesem Schatten weggelaufen. Er schüttete Müsli in eine Schüssel und nahm die Milch aus dem Kühlschrank. „Die Polizei hat immer noch keine Spur“, sagte seine Schwester plötzlich. Sie war so sehr in die Zeitung vertieft, dass sie ihm noch nicht einmal einen guten Morgen gewünscht hatte. Malik setzte sich zu ihr an den Tisch. Er massierte sich kurz den Nacken und gähnte. Isis sah ihn an. „Hattest du wieder diesen Albtraum?“ „Ich hab geschlafen wie ein Stein“, erwiderte Malik. Isis zögerte kurz bevor sie weitersprach: „Ich kenne da dieses Medium...“ Malik verdrehte die Augen. Nicht schon wieder dieses Thema. „...du solltest vielleicht mal zu ihr gehen. Was, wenn dieser Traum mit den Toden zusammenhängt?“ Malik hatte die Schnauze voll von Isis‘ Geschwafel über das Übernatürliche. Sie war eine erwachsene Frau, wie konnte sie nur an so etwas wie Geister glauben? „Mach dich nicht lächerlich“, murrte er. „Es war nur ein Albtraum, nichts weiter.“ Er schlang den Rest seines Frühstücks hinunter, während Isis‘ Blick auf ihm ruhte. „Schling nicht so.“ Malik überging die Bemerkung. Er stellte die leere Schüssel ins Waschbecken und ließ Wasser hineinlaufen. „Ich werde heute Abend später kommen. Rishid und ich müssen die neue Ausstellung vorbereiten.“ „Wo ist Rishid überhaupt?“ „Er war so lieb und ist vorgefahren. Die Lieferanten sind heute schon sehr früh gekommen, aber ich hab gestern schon so lange gearbeitet. Ich bin einfach nicht aus dem Bett gekommen.“ Sie seufzte. „Du solltest es mal mit Urlaub versuchen“, schlug Malik vor und warf einen Blick auf die Uhr. Er musste sich beeilen, wenn er nicht zu spät kommen wollte. „Ich muss los.“ Er küsste Isis kurz auf die Wange und ging dann in sein Zimmer. Hastig zog er sich die Schuluniform an. Als er das Haus verließ, rief Isis ihm irgendwas hinterher, doch Malik kümmerte sich nicht darum. In der Schule jedoch war er vor Geistern nicht sicher. „Guten Morgen“, rief Ryou ihm schon von Weitem zu und winkte ihm. Malik hob nur kurz die Hand. Wenn Ryou schon jetzt so aufgeregt war, dann konnte das nichts Gutes heißen. „Hast du’s schon gehört?“ Malik wollte gar nicht nachfragen, aber Ryou erzählte es ihm trotzdem: „Aus einer der unteren Klassen fehlt ein Mädchen.“ Er hatte die Stimme gesenkt. „Und?“ Malik zuckte mit den Schultern. „Die Schule hat noch gar nicht angefangen, vielleicht verspätet sie sich? Oder sie ist krank?“ „Nicht heute!“ Ryou verdrehte die Augen. „Ihre Freundinnen sagen, sie haben schon seit gestern nichts mehr von ihr gehört. Was, wenn es mit diesen Todesfällen zusammenhängt? Wenn sie ein Opfer der Geister geworden ist, vielleicht sind es auch Dämonen, dann wär das der erste Todesfall von unserer Schule.“ „Wieso scheint dich das zu freuen?“ „Es freut mich nicht!“, widersprach Ryou aufgebracht, „aber es wär doch voll aufregend.“ Malik schüttelte leicht den Kopf. Manchmal war es schwierig für ihn zu verstehen, was in Ryous Kopf vor sich ging. Er wirkte wie ein normaler Junge, aber er war einer der skurrilsten Menschen, die er kannte. Mit einer, für Malik unverständlichen, Faszination für den Tod. Aber das war nun mal Ryou und auch wenn sie doch recht unterschiedliche Interessen hatten, waren sie die besten Freunde. Trotzdem war Malik schon fast froh, als er das Klassenzimmer betrat und gleich einen Grund hatte Mariku anzuschnauzen. So kam er wenigstens von dem Geisterthema weg. „Runter von meinem Tisch.“ „Guten Morgen, Süßer.“ Mariku grinste ihn an. „Ich hau dir gleich in die Fresse, wenn du deinen Arsch nicht von meinem Tisch schiebst.“ „Soll ich ihn lieber in dein Bett schieben?“ „Ich schieb dir gleich meinen Fuß in den Arsch.“ „Nichts dagegen.“ „Mariku“, fauchte Malik und ballte die Hände zu Fäusten. Lachend rutschte Mariku von Maliks Tisch. „Du bist so scharf, wenn du dich aufregst.“ „Verpiss dich.“ Mariku setzte sich auf einen anderen Tisch und setzte seine Unterhaltung mit Bakura fort. Malik legte seine Schultasche auf den Tisch und legte seinen Kopf darauf. Er gähnte. Er wollte nach Hause und schlafen. Wie sollte er nur diesen Tag überstehen? Wenigstens würde er Zuhause dann seine Ruhe haben, wenn Isis und Rishid nicht da waren. Er sollte sich eine Pizza auf dem Weg nach Hause mitnehmen. Das klang nach einem guten Plan. Jetzt musste nur noch die Schule wieder vorbei sein. „Malik.“ Ryou trat an seinen Tisch und Malik setzte sich wieder aufrecht hin. Er stellte seine Tasche auf den Boden und sah kritisch auf die Karten in Ryous Hand. Nicht schon wieder das... „Die Karten sagen für heute wirklich nichts Gutes.“ Er legte eine der Karten auf den Tisch und deutete energisch drauf. „Der Turm ist jetzt nicht unbedingt die beste Karte. Sie steht für ein plötzliches Unglück und Zerstörung.“ Malik seufzte. „Du solltest dein Leben nicht von diesem Hokuspokus abhängig machen.“ Er schob die Karte von sich weg bis an die Tischkante. „Das ist doch nur Aberglauben.“ Ryou presste die Lippen aufeinander. Sie hatten schon oft über dieses Thema diskutiert, aber ihre Ansichten waren einfach zu verschieden, als dass sie sich einigen konnten. Trotzdem teilte Ryou Malik gerne mit, was die Karten angeblich für den Tag bereithielten. „Ich denke nur, wir sollten heute wirklich aufpassen.“ Malik nahm die Karte zur Hand und drehte sie zwischen seinen Fingern. Er sah zu Ryou hoch, der wirklich besorgt aussah. Malik seufzte. „Schon gut, lass uns vorsichtig sein.“ Er lächelte Ryou schwach an und dieser schien wirklich erleichtert über seine Worte. Malik mochte nicht an Geister und Tarot glauben, aber das war kein Grund, warum er Ryou sich deswegen schlecht fühlen lassen sollte. Malik hatte seinen Kopf auf seiner Hand abgestützt und ernsthafte Probleme wach zu bleiben. Der Lehrer stand vorne und hielt einen Vortrag über... ja, über was eigentlich? Malik hörte nicht zu und er war nicht der einzige. Sein Klassenkamerad, der schräg vor ihm saß, war bereits eingeschlafen. Malik gähnte und schloss ebenfalls die Augen. Ein kleines Nickerchen wäre bestimmt nicht falsch. Dafür würde er auch den Ärger in Kauf nehmen, wenn man ihn erwischen sollte. Es war das Geräusch von leisen Hufschlägen, das Malik erschrocken die Augen aufreißen ließ. Hektisch sah er sich um und atmete schließlich erleichtert aus, als er merkte, dass er immer noch in seinem Klassenzimmer war und der Lehrer immer noch denselben langweiligen Vortrag hielt. Malik ließ seinen Blick durch die Klasse schweifen. Niemand schien wirklich aufzupassen. Ryou hielt seine Tarotkarten in der Hand und biss sich auf die Unterlippe. Mariku machte einen Kussmund, als Malik sich zu ihm umdrehte. Malik zeigte ihm den Mittelfinger. Bakura hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und schien ebenfalls zu schlafen. „Hey, setz dich wieder hin.“ Malik drehte den Kopf. Anzu hatte sich zur Seite gebeugt und zog an... wie war sein Name? Malik erinnerte sich nicht, jedenfalls war es der Mitschüler, der schräg vor ihm saß und geschlafen hatte. Er war aufgestanden und Anzu zog an seiner Jacke, als könnte sie ihn damit dazu bringen sich wieder hinzusetzen. „Hey, hörst du mich?“ Der Junge drehte sich um und obwohl seine Augen geschlossen waren, hatte Malik das Gefühl als würde er ihn anstarren. „Ahi quanto a dir qual era è cosa dura esta selva selvaggia e aspra e forte che nel pensier rinova la paura!”, sprach er langsam. Jeder starrte ihn entgeistert an. Ihr Lehrer kam näher und versuchte ihn an der Schulter zu berühren, doch er wurde weggestoßen. Der Junge fasste sich mit beiden Händen in den Mund und begann seine Kiefer auseinander zu reißen. Seine Mitschüler begannen zu schreien, doch niemand wagte es sich ihm zu nähern. Malik konnte sich nicht rühren oder den Blick abwenden. Mit kranker Faszination beobachtete er wie die Haut riss und Blut über die Hände und den Hals seines Klassenkameraden rannen. Jemand packte Malik am Arm und Fingernägel bohrten sich durch den dünnen Stoff der Schuluniform. Malik wandte den Blick trotzdem nicht ab. Der Junge riss sich den Unterkiefer ab und hielt ihn für einen Moment in der Hand, dann sackte sein Körper leblos zusammen. Malik sah zu, wie das Blut über den weißen Boden floss. Der Griff an seinem Arm wurde stärker. „Ich wusste gar nicht, dass du so viel Kraft hast.“ Malik hatte seine Jacke ausgezogen und den Ärmel hochgerollt. Ryous Finger hatten ihre Spuren hinterlassen. „Tut mir Leid“, murmelte Ryou. Sie saßen draußen im Schulhof und Polizei war um sie herum. Malik rieb sich den Arm und versuchte zu verarbeiten, was er vor einer halben Stunde gesehen hatte. Die Pizza war gestrichen. Er konnte immer noch nicht fassen, dass einer seiner Mitschüler sich vor ihren Augen den Unterkiefer abgerissen hatte. Wie war das überhaupt möglich? Malik strich an seinem eigenen Kiefer entlang. Allein der Gedanke ließ ihn schaudern. „Es war Dante“, flüsterte Ryou plötzlich. Malik sah seinen Freund verwirrt an. „Er hat Dante zitiert.“ „Wer ist Dante?“ „Kennst du nicht die göttliche Komödie?“ „Zum Lachen fand ich das nicht.“ Bakura schwang sich über die Rückenlehne der Bank und setzte sich neben Ryou. „Ich fand’s echt cool.“ Mariku hatte es sich auf der Lehne bequem gemacht. „Du bist auch krank.“ Mariku hauchte Malik einen Kuss zu und dieser stieß ihn von der Bank. Mariku ruderte mit den Armen und landete rückwärts im Gras. „Au, fuck, das tat weh.“ „Sollte es auch.“ Mariku rappelte sich hoch und setzte sich richtig neben Malik, der die Augen verdrehte. „Also, was hat er gesagt?“, wollte Bakura wissen. „Ähm, es müsste eine Stelle vom Anfang gewesen sein.“ Ryou zog die Stirn kraus und versuchte sich an die Worte zu erinnern. Es fiel ihm unerwartet schwer. Es war als würden die Worte vor ihm weglaufen. Schließlich zog er sein Handy heraus und googelte es einfach. „Hier, das: Wie schwer ist's doch, von diesem Wald zu sagen, wie wild, rau, dicht er war, voll Angst und Not; schon der Gedank' erneuert noch mein Zagen.“ „Was für’n Scheiß“, murmelte Mariku. „Wer redet denn bitte so?“ „Es ist halt alt“, erwiderte Ryou. „Welche Sprache war das?“, fragte Bakura weiter. „Italienisch.“ „Woher kannst du denn italienisch?“ „Ich hab als Kind für ein paar Jahre in Rom gelebt.“ Alle Drei sahen Ryou überrascht an. Niemand hatte das gewusst. Ryou zuckte mit den Schultern. „Mein Vater ist Archäologe, er hatte dort zu tun und konnte mich mit fünf schlecht allein lassen.“ Er lehnte sich zurück. „Irgendwann hatte ich aber die Schnauze voll davon alle paar Jahre umzuziehen.“ „Okay gut“, Mariku wedelte mit der Hand durch die Luft, „und was heißt das jetzt, dass er den Typen aus Devil May Cry zitiert hat?“ Ryou zuckte nur mit den Schultern. Malik war hundemüde als er nach Hause kam und überrascht, als er dort auf Isis traf. „Oh Malik.“ Sie nahm ihn in die Arme und drückte ihn an sich. „Ich hab gehört was passiert ist und hab mir solche Sorgen gemacht. Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“ Malik schob seine Schwester von sich. „Es ist alles in Ordnung.“ „Wirklich? Willst du darüber reden, was passiert ist?“ „Nein, mir geht’s gut.“ Er schob sich an Isis vorbei. „Ich will meine Ruhe und schlafen.“ „Kann ich irgendwas für dich tun?“ „Hör auf dir Sorgen zu machen und fahr zurück ins Museum. Ich komm schon klar.“ Er schloss die Zimmertür hinter sich und seufzte. Malik ließ sich auf’s Bett fallen und dachte noch einmal darüber nach, was passiert war. Das war so verrückt, hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, er würde es nicht glauben. Die Polizei hatte sie alle natürlich befragt, doch Malik hatte ihnen auch nicht mehr sagen können als seine Mitschüler. Außerdem hatte er jetzt einen Termin beim Schulpsychologen und darauf hatte er wirklich keine Lust. Es war nicht das erste Mal, dass er einen Menschen sterben gesehen hatte. Auch sein Vater war vor seinen Augen erstochen worden und das hatte er auch ohne die Hilfe von Psychologen überwunden. Ein abgerissener Unterkiefer war zwar noch mal eine Nummer krasser, aber er würde schon kein Trauma davon tragen. Malik setzte sich wieder auf um sich umzuziehen. Als er die Jacke seiner Schuluniform auszog, fiel ihm Ryous Tarotkarte aus der Tasche. Verwundert hob Malik sie auf und ließ sich zurück aufs Bett sinken. Wo kam die denn her? Er konnte sich nicht daran erinnern, sie eingeschoben zu haben. Wieso sollte er auch? Malik betrachtete die Abbildung auf der Karte: ein Turm, in den der Blitz einschlug. Für einen Moment fragte er sich, ob an Tarot vielleicht doch etwas dran war. Was für ein Quatsch. Malik gähnte. Plötzlich fiel es ihm schwer die Augen offenzuhalten. Er legte sich hin und die Tarotkarte rutschte ihm aus den Fingern. Als Malik die Augen aufschlug, war es dunkel um ihn herum. Er lag auch nicht mehr in seinem Bett, sondern auf dem Boden. Malik nutzte einen Tisch als Hilfe um sich hochzuziehen. Er sah sich um. Es fühlte sich an, wie sein wiederkehrender Albtraum, doch diesmal war er sich bewusst, dass es nur ein Traum war. Er erkannte auch endlich das Gebäude: er war in der Schule. Malik versuchte die Fenster zu öffnen, doch sie waren fest verschlossen. Er trat aus dem Klassenzimmer. Der Flur erschien ihm ungewöhnlich lang, doch das war keine Überraschung. Als er die Hufschläge hörte, begann er ganz von selbst zu laufen. Lieber hätte er sich dem Schatten gestellt, doch er konnte sich nicht zum Stehenbleiben zwingen. Malik rannte bis seine Muskeln schmerzten und wie immer nahm der Flur kein Ende, doch etwas war anders; die Hufschläge wurden lauter und die schattenhafte Gestalt hatte ihn fast eingeholt. Malik geriet in Panik und versuchte noch schneller zu laufen, doch er kam nicht mehr vom Fleck. Jemand packte ihn am Arm und zog ihn in eins der Klassenzimmer. Malik wollte schreien, doch Mariku drückte ihm die Hand auf den Mund. Die Hufschläge verklangen und Stille kehrte wieder ein. Mariku nahm die Hand von Maliks Mund und dieser trat einen Schritt zurück. „Was machst du hier?“ Mariku zuckte mit den Schultern. „Das ist mein Traum!“ „Meiner ist’s bestimmt nicht, denn sonst hättest du weniger an.“ Malik murrte. Es war noch nie jemand anderes in diesem Traum gewesen und dann musste es auch noch ausgerechnet Mariku sein. „Wie kommst du hierher?“ Wieder zuckte Mariku mit den Schultern. „Ich saß grad noch Zuhause und hab gezockt und auf einmal wach ich hier auf dem Boden auf. Wenn das ein Traum ist, dann ist er echt scheiße.“ „Wir müssen hier irgendwie raus.“ „Nichts leichter als das.“ Mariku griff nach einem nahen Stuhl und wollte damit das Fenster einschlagen, doch das Fenster vibrierte nur leicht, während der Stuhl kaputt ging. Mariku ließ sich davon aber nicht aufhalten. Er versuchte es weiter, doch immer wieder mit demselben Ergebnis. „Wir könnten auch einfach zum Ausgang gehen.“ Malik hatte das Spektakel kopfschüttelnd verfolgt. „Wie langweilig.“ Ein Schrei zerriss die Stille. Malik und Mariku sahen sich kurz an, dann riss Malik die Tür auf und stürzte hinaus in den Flur. Mariku war ihm dicht auf den Fersen. Diesmal lag der Flur friedlich vor ihm und Hufschläge waren keine zu hören. Maliks gesamter Körper war angespannt. Erst dachte er noch, er wäre in seinem gewöhnlichen Albtraum, doch diesmal war so vieles anders. Er war sich noch nicht mal sicher, ob er wirklich schlief. Es fühlte sich zu real an. Aber er war ganz sicher Zuhause eingeschlafen. Es konnte nur ein Traum sein. Er warf einen Blick zur Seite. Mariku hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und starrte geradeaus. Was machte er hier? „Sieh mal einer an“, sagte Mariku plötzlich und ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. Malik richtete seinen Blick wieder nach vorne. Ryou und Bakura kamen ihnen entgegen. Ryou trug immer noch seine Schuluniform, während Bakura nur Boxershorts und ein T-Shirt anhatte. Bakura machte ein missmutiges Gesicht, während Ryou so aussah, als würde er sich ein Lachen verkneifen. „Malik!“ Ryou beschleunigte seine Schritte und fiel Malik regelrecht um den Hals. „Ich bin so froh, dich zu sehen.“ „Ist alles in Ordnung? Wer hat geschrien?“ „Ich.“ Ryou lachte verlegen. „Bakura hat mich voll erschreck.“ „Sagt mir lieber was hier vor sich geht“, murrte Bakura und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich war grad dabei mich umzuziehen und plötzlich wach ich in nem leeren Klassenzimmer auf. In meiner Unterwäsche.“ Ryou presste sich die Hand auf den Mund und drehte den Kopf zur Seite. Seine Schultern bebten, weil er das Lachen zu unterdrücken versuchte. Mariku machte sich deswegen keine Mühe, sondern lachte seinen Freund unverhohlen aus. Bakura packte ihn und nahm ihn in den Schwitzkasten, was Mariku aber nicht vom Lachen abhielt. „Ich würd aber auch gern wissen, was hier vor sich geht“, sagte Ryou. Malik zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, das wär nur ein Traum.“ „Dann hätten wir alle denselben.“ Ryou hob skeptisch die Augenbrauen. Das war scheinbar selbst für ihn zu abgedreht. „Ich meine, ich bin eigentlich grad erst Zuhause durch die Tür und plötzlich bin ich wieder in der Schule. Das ist schon merkwürdig.“ „Also, was ist es?“ Mariku strich sich über den Hals. „Hat Freddy Krueger uns zu sich geholt?“ Mariku streckte die Hände nach Malik aus und dieser schlug sie zur Seite. „Mach dich nicht lächerlich. Es ist...“ Doch Malik kam nicht dazu seinen Satz zu Ende zu sprechen. Hinter Ryou und Bakura tauchte die schattenhafte Gestalt an, doch diesmal war sie viel mehr als nur ein Schatten. Die Hufe standen in Flammen, welche an den gekrümmten Beinen hochleckten. Der Oberkörper eines Mannes mit Klauen statt Fingern. Das Gesicht war eine groteske Maske und Hörner wuchsen aus seinem Kopf. Malik riss die Augen auf. „Lauft“, flüsterte er und wirbelte herum. „LAUFT!“ Die vier Jungen rannten durch das Schulgebäude, das mit einem Mal nur noch schemenhaft wahrzunehmen war. Der Flur war endlos geworden und Malik war gänzlich zurück in der Umgebung seines Albtraums. „Was zum Teufel ist das?“, brüllte Mariku. „Ich glaube, es ist genau das“, erwiderte Ryou, „der Teufel.“ Mariku wäre vor Überraschung fast stehen geblieben, doch Malik packte ihn am Ärmel und zog ihn weiter. Malik biss die Zähne zusammen und versuchte nicht an den Schmerz in seinen Beinen zu denken. Die Hufschläge ließen den Boden erzittern. Malik wagte es nicht zurückzublicken. Wann war es endlich vorbei? Und wie auf Kommando verschwand das Gebäude um sie herum und die Hufschläge verstummten. Malik kam vor dem Abgrund zum Stehen und drehte sich um, damit die anderen ebenfalls anhielten, doch Mariku prallte gegen ihn und er verlor das Gleichgewicht. Hilflos ruderte er mit dem Armen und Mariku wollte ihn festhalten, doch Bakura und Ryou liefen ebenfalls gegen ihn und gemeinsam fielen sie in den Abgrund. Malik wollte schreien, doch kein Laut verließ seine Kehle. Etwas zerrte an ihm und als er den Kopf drehte, sah er das hässlichste Wesen, das ihm je unter die Augen gekommen war. Es war gerade einmal so groß wie seine Hand mit riesigen, schwarzen Augen. Es hatte verschrumpelte Haut und kleine, lederartige Flügel. Kleine, spitze Zähnchen waren in seinem Mund zu sehen, den er weit aufgerissen hatte. Aus irgendeinem Grund konnte Malik nicht mehr wegsehen. Er starrte das Wesen an und fühlte sich mit einem Mal unbeschreiblich müde. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Es war, als würde das kleine Monster, ihm die Lebensenergie aussaugen. Mariku packte ihn am Handgelenk und zog ihn zu sich. „Mach die Augen zu“, flüsterte er ihm ins Ohr. Malik hatte keine Kraft zu widersprechen, sondern tat einfach was Mariku ihm sagte. Das kräftezerrende Gefühl verschwand und sein Kopf wurde wieder klar. Noch immer fielen sie durch die Dunkelheit und die kleinen Monster zerrten an seiner Kleidung, doch Malik hielt die Augen fest geschlossen. Als sie auf dem Boden aufschlugen, federte Mariku Maliks Landung ab. Mariku rollte sie geistesgegenwärtig zur Seite, damit nicht auch noch Bakura und Ryou auf ihm landeten. „Alles in Ordnung?“ Malik nickte und öffnete vorsichtig die Augen. „Gut, dann geh von mir runter, weil du bist echt schwer.“ Malik setzte sich auf. „Ich dachte, das würde dir gefallen?“ Mariku ließ seinen Blick über Maliks Körper gleiten und er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Stimmt, ist gar nicht so schlecht.“ Malik schlug ihm mit der flachen Hand auf den Bauch und Mariku keuchte. „Wo sind wir?“ Malik stand auf und sah sich um. Die Welt um sie herum war grau und farblos und Malik hatte das Gefühl, das selbst seine Kleidung sämtliche Farbe verloren hatte. Abgestorbene Bäume standen um sie herum. Malik hob den Blick zum Himmel und erwartete, das schwarze Loch zu sehen, doch da war nichts. „Irgendwie krieg ich hier ne Gänsehaut.“ Ryou rieb sich die Arme. „Schon ein bisschen gruselig.“ Mariku trat näher an einen der Bäume heran. Er berührte einen der Äste, welcher mit Leichtigkeit abbrach und schließlich in Marikus Hand zu Staub zerfiel. „Igitt.“ Mariku rieb sich die Hand an seiner Hose sauber. „Warum ist hier ne Tür?“ Sie drehten sich zu Bakura um. Mitten zwischen den abgestorbenen Bäumen stand eine große Flügeltür. Das dunkle Holz sah wie poliert aus und es gab keine Türklinke. Sie gehörte zu keinem Gebäude und dahinter setzte sich der Wald fort. „Den Architekten hätt ich nicht bezahlt.“ Mariku ging ein paar Mal um die Tür herum und stemmte dann die Hände in die Hüfte. „Da ist irgendeine Inschrift.“ Die roten Buchstaben schimmerten leicht, als würde sich Feuer in ihnen widerspiegeln. „Lasciate ogne speranza, voi ch'intrate“, las Ryou vor. „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.“ „Klingt nach Party“, kommentierte Mariku. Ryou wandte sich ihnen mit einem Leuchten in den Augen zu. „Das ist die Tür zu Hölle.“ Malik konnte nicht sagen, ob es Anspannung oder Freude war, die da in seiner Stimme lag. „Sag ich doch, Party.“ Kapitel 2: Charon ----------------- Ich war sogleich gewiss, auch hört' ich sagen, Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar, Die Gott und seinen Feinden missbehagen. Dies Jammervolk, das niemals lebend war, War nackend und von Flieg' und Wesp' umflogen, Und ward gestachelt viel und immerdar. Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund, Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen. - Dante’s Inferno, Dritter Gesang „Das ist doch ein Scherz!“ Malik sah seinen Freund entsetzt an. Hatte er jetzt völlig den Verstand verloren? Die Hölle? Was für ein Irrsinn. Am Ende würde Ryou ihm noch erzählen, dass es den Weihnachtsmann wirklich gab. Das war ein Traum. Er war zu Hause eingeschlafen und jetzt steckte er nur in seinem üblichen Albtraum. Sein Unterbewusstsein hatte Ryou und die anderen nur in seinen Traum gebracht wegen dem was heute passiert war. Er lag in seinem Bett und stand ganz sicher nicht vor den Toren zur Hölle. „Ich warte jetzt einfach darauf, dass ich aufwache.“ Malik gab plötzlich einen erschrockenen Laut von sich, wirbelte herum und packte Mariku wütend am Kragen. „Ich schlag dich grün und blau.“ Mariku grinste. „Ich wollte dir nur beim Aufwachen helfen.“ Er hatte Malik in den Hintern gekniffen. „Du bist so widerlich!“ Malik stieß Mariku von sich, dieser stolperte über seine eigenen Füße und fiel zu Boden. Staub wirbelte auf. Mariku hustete. Malik stieß hörbar Luft aus. Wenn Mariku doch nur nicht so ein Idiot wäre... „Was meintest du mit aufwachen?“, hakte Ryou nach. „Er denkt, das ist sein Traum“, erklärte Mariku und klopfte sich den Staub von der Kleidung. „Wobei ich nicht verstehe, warum er sich ausgerechnet Bakura in Shorts erträumen sollte. Ich würd viel besser aussehen.“ Malik verdrehte die Augen. War es okay, wenn er ihm den Mund zunähte? Mariku hatte sowieso noch nie etwas Sinnvolles in seinem Leben gesagt. Bakura ignorierte Marikus letzte Worte. Er war die dummen Sprüche schon gewohnt und Mariku mochte es, nicht nur Malik auf die Palme zu bringen. Es war, als würde sein Lebensinhalt darin bestehen anderen Menschen auf den Sack zu gehen. Stattdessen wandte sich Bakura an Malik: „Also ist es deine Schuld, dass wir hier sind?“ Bakura sah ihn vorwurfsvoll an. „Du träumst diesen Mist und durch irgendwelche kranke Freddy-Krueger-Scheiße landen wir ebenfalls hier?“ Er fuchtelte mit den Armen durch die Luft. „Warum bin ich in deinem Traum? Ich will nicht in deinem Traum sein. Mariku hat recht; warum hab ich nur Unterwäsche und ein Shirt an? Hättest du nicht warten können, bis ich mich wieder komplett angezogen hab? Ich hab nicht mal Schuhe an!“ Es geschah eher selten, dass Bakura sich aufregte. Für gewöhnlich blieb er gelassen egal was passiert (und das musste er auch mit Mariku als Freund), doch wenn halbnackt vor der Tür zur Hölle zu stehen kein Grund war sich aufzuregen, was dann? „Mein Traum wär viel besser“, warf Mariku ein und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „In deinem Traum will ich auch nicht sein.“ „Du dürftest eh nicht mitspielen.“ „Mit dir will niemand spielen, Mariku“, erwiderte Malik genervt. „Das sagst du nur, weil du’s noch nicht ausprobiert hast.“ „Will ich auch gar nicht.“ „Lügner.“ Mariku grinste und Malik vergrub seine Finger in seinen Haaren. Womit hatte er die Bekanntschaft mit Mariku nur verdient? Während sich Mariku, Bakura und Malik zankten, ließ Ryou seine Finger über das polierte Holz gleiten. Anfangs waren ihm die schwachen Linien nicht aufgefallen. Sie bildeten ein Muster auf der Tür, zumindest vermutete Ryou das. Als er ein paar Schritte zurückging, verblassten die Linien wieder und er konnte nichts erkennen. Sie waren einfach zu zart um wirklich auffällig zu sein. Ryou legte die Hände wieder aufs Holz. Es fühlte sich angenehm warm an. Ryou warf einen Blick über die Schulter. Die anderen waren immer noch mit streiten beschäftigt. Sollte er es wagen? Ryou zuckte mit den Schultern. Was hatten sie schon zu verlieren? Mit aller Kraft stemmte sich Ryou gegen die große Flügeltür, die sich daraufhin knarrend öffnete. Entgeistert wirbelte Bakura herum, packte Ryou am Shirt und zog ihn zurück. „Bist du irre? Du kannst nicht einfach die Tür zur Hölle aufmachen“, fauchte Bakura ihn an. „Wieso nicht?“ Ryou löste sein Shirt aus Bakuras Griff. „Weil’s die Tür zu Hölle ist?“ „Hast du etwa Angst?“, feixte Ryou. Bakura schnaubte. „Natürlich nicht!“ Er wandte sich der offen stehenden Tür zu. Das Gebiet dahinter sah aus wie das, in dem sie sich befanden und doch auch anders. Es war immer noch der tote Wald, doch der Himmel war nicht mehr grau, sondern dunkelblau, fast schwarz. Ein Fluss zog sich durch die Landschaft. „Angst“, wiederholte Bakura leise. „Von wegen.“ Er trat durch die Tür, doch sprang ihm nächsten Augenblick wieder zurück. Nur knapp schaffte er es noch sein Gleichgewicht zu halten. An der Tür stand ein Mann. Seine Kleidung wirkte altmodisch und hatte ihre besten Zeiten schon hinter sich. Sie war zerschlissen und hatte jegliche Farbe verloren. Zwischen den Rissen krochen Maden hervor und labten sich am verfaulten Fleisch. Der Mann schien das jedoch gar nicht zu bemerken, genauso wenig wie die Wespen, die um seinen Körper flogen, sich auf der gräulichen Haut niederließen und zustachen. Die Wunden öffneten sich, doch statt Blut krochen Maden daraus hervor. Der Mann sagte kein Wort und seine Augen waren leer. Sein Blick war auf Bakura gerichtet, aber er schien ihn gar nicht wahrzunehmen. „Das ist widerlich.“ Ryou lachte leise. „Hey“, Mariku trat vor, „was geht, alter Mann?“ Er beobachtete, wie die Maden über seinen Körper krochen und rümpfte die Nase. Der Mann reagierte auch nicht auf Mariku. Mariku wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht, doch der Mann starrte immer noch mit ausdruckslosen Augen nach vorne. „Lass das, Mariku.“ „Ich mach doch gar nichts.“ Mariku zuckte mit den Schultern. Er beobachtete mit kranker Faszination, wie die Maden sich in den Wunden suhlten. Ihn überkam der Drang ihn anzufassen. Mariku streckte die Hand aus, doch Ryous Aufschrei ließ ihn zurückzucken. „Fass ihn nicht an!“ Mariku drehte sich um. „Was ist dein Problem?“ „Man soll die Toten nicht stören“, sagte Ryou mit leiser, angespannter Stimme. „Tod?“, wiederholte Mariku und beäugte erst Ryou, dann den Mann misstrauisch. Sicherheitshalber trat er einen Schritt von der Tür weg. Der Tote hatte sich inzwischen umgedreht und schlurfte am Ufer des Flusses davon. „Hölle?“ Ryou kam sich vor, als wäre er von Idioten umgeben. „Für gewöhnlich kommt man nicht in die Hölle, wenn man am Leben ist und für gewöhnlich krabbeln keine Maden aus Wespenstichen.“ „Heißt das, wir sind tot?“ „Das ist nur ein Traum“, rief Malik. Er hatte sich inzwischen auf den Boden gesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt. „Ich glaube nicht, dass das ein Traum ist“, widersprach Ryou. „Wir sollten durch die Tür.“ „Wie wär’s mit Nein?“, murrte Mariku. „Ich geh da nicht rein“, stimmte Malik zu. „Nie im Leben“, schloss sich Bakura ihnen an. Wütend stampfte Ryou mit dem Fuß auf. „Dann bleibt eben hier, mir doch egal.“ Grummelnd trat er durch die Tür und sofort gewann seine Kleidung wieder an Farbe. Ein frischer Wind wehte ihm um die Nase und spielte mit seinen Haaren. Er hörte den Fluss rauschen. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete tief durch. Schließlich drehte sich Ryou zu den anderen um. Seine Wangen waren immer noch vor Wut über ihre Starrköpfigkeit gerötet. Der Gedanke allein weiterzugehen behagte ihm jedoch nicht, er wollte aber auch nicht länger nutzlos rumstehen. Sie würden nie aus diesem Schlamassel kommen, wenn sie sich nicht auf den Weg machten. Bakura trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er sah Mariku an, der seinen Blick auf Malik gerichtet hatte, dann Malik, der stur in die andere Richtung sah und schließlich Ryou, der ungeduldig auf seiner Unterlippe kaute. Bakura seufzte und ließ resignierend die Schultern hängen. „Scheiß drauf.“ Er folgte Ryou durch die Tür. Er hatte genug Filme gesehen um zu wissen, dass es schlauer war dem zu folgen, der Ahnung hatte und das war nun mal Ryou. Außerdem war er lieber mit Ryou zusammen, als mit den zwei Streithähnen namens Mariku und Malik. Es war kühler auf der anderen Seite der Tür und Bakura schauderte. Er legte die Arme um sich selbst. Er brauchte endlich etwas anzuziehen. Seine Zehen waren jetzt schon eiskalt. Außerdem kam er sich vor wie ein Idiot. „Was ist mit euch?“, rief Ryou den beiden Ägyptern zu. „Ihr kommt hier nicht weg, wenn ihr einfach da sitzen bleibt.“ Mariku sah kurz zu ihm und richtete seinen Blick dann wieder auf Malik. Er kaute auf seiner Unterlippe. Er war hin- und hergerissen, einerseits war er neugierig, was hinter der Tür auf sie wartete, doch anderseits wollte er einfach nur nach Hause und Videospiele spielen. „Gehen wir?“ „Du kannst ja gehen, ich bleib hier“, murrte Malik und sah immer noch in die andere Richtung. Als ob er die Hölle betreten würde, das war doch komplett bescheuert. Malik leckte sich über die Lippen und dachte an die Albträume, die er gehabt hatte. Waren es doch mehr als nur Träume gewesen? Hatte Isis am Ende recht gehabt? „Ganz allein?“ „Denkst du, ich hab Angst?“, fauchte Malik und sah doch zu Mariku auf. Ein Teil von ihm war froh, dass er in diesem viel zu realen Albtraum nicht allein war. Da konnte er sogar Marikus Anwesenheit dulden. „Ich glaube jedes Monster hat mehr Angst vor dir.“ Malik verengte die Augen, erwiderte aber nichts. Das mit dem Dulden seiner Anwesenheit musste er sich doch noch mal überlegen. „Komm schon, Malik. Ich will dich hier nicht zurücklassen.“ Mariku hielt ihm die Hand hin um ihm aufzuhelfen, doch Malik presste nur die Lippen aufeinander. Eine Weile stand Mariku schweigend da, die Hand ausgestreckt. „Komm jetzt mit oder ich setz mich neben dich und nerv dich bis in alle Ewigkeit und du weißt genau, du hältst meine sexuellen Anspielungen keine zehn Sekunden aus.“ Murrend ergriff Malik Marikus Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Kaum als er stand, riss er sich wieder von Mariku los und stapfte an ihm vorbei durch die Tür. Mariku grinste leicht und folgte ihm. „Schön, dass ihr auch zur Besinnung gekommen seid“, begrüßte Ryou sie schnippischer als beabsichtigt. „Jaja“, Malik wedelte unwirsch mit der Hand. „Du hattest mal wieder Recht. Genauso wie deine Tarotkarte.“ Er strich sich eine Strähne zurück. „Wieso hatte ich die eigentlich in meiner Tasche?“ Ryou runzelte Stirn. „Du hast sie mir zurückgegeben.“ „Aber ich hatte sie...“ Krachend fiel die Tür ins Schloss nachdem Mariku hindurchgetreten war. Es dauerte nur einen Augenaufschlag und die Tür war verschwunden. „Was zum Teufel...?“ „Ja, ich denke, die Wortwahl ist ganz passend“, sagte Bakura nickend. Alle vier Jungen starrten auf die Stelle, wo eben noch die Tür gewesen war. Jetzt gab es kein Zurück mehr für sie. Mariku war der erste, der wieder etwas sagte: „Ich dachte immer die Hölle hätte mehr... Feuer.“ Mariku sah sich skeptisch um. „So Lava und Schwefel und Schmerzensschreie.“ Er verzog das Gesicht. „Das hier ist ziemlich billig.“ „Wir sind erst in der Vorhölle“, erklärte Ryou. „Wir müssen über den Acheron“, Ryou zögerte für einen Moment, „oder ist es der Styx?“ Er dachte kurz nach. „Ach egal. Jedenfalls müssen wir über den Fluss um in die richtige Hölle zu kommen.“ Ryous Blick schweifte über den Fluss, doch er konnte das andere Ufer nicht erkennen. Bakuras Blick war seinem gefolgt. „Schwimmen ist wohl keine Option.“ „In die Dreckbrühe würd ich auch nicht reinsteigen“, murrte Malik. „Lasst uns erst mal weitergehen. Es sollte hier eigentlich einen Fährmann geben.“ „Charon.“ Jeder sah Bakura überrascht an. „Was?“ Ryou schmunzelte und zuckte nur mit den Schultern. Malik ging neben ihm, während Bakura und Mariku ihnen folgten. Sie redeten nicht miteinander und auf dem Weg trafen sie immer mehr Menschen. Bald waren sie von ihnen umringt. Die Luft war erfüllt von den Geräuschen der Wespen, doch nicht alle schienen in der Lage zu sein, sie zu ignorieren. Sie hörten Schluchzen und Schreie. Menschen rannten an ihnen vorbei, schlugen nach den Wespen oder versuchten die Maden von ihren Körpern zu wischen. Trotzdem schenkte den vier Jungen niemand Beachtung. „Was ist mit ihnen?“, fragte Malik leise. Er fühlte sich unwohl. Es waren nicht die Maden und Wespen, die störten ihn sogar überraschend wenig, es waren die Augen. Obwohl sie leer wirkten, erkannte Malik in ihnen die Qual. „Verlorene Seelen. Menschen, die in ihrem Leben nichts Gutes und nichts Böses getan haben. Weder Himmel, noch Hölle“, erklärte Ryou. Er senkte den Blick. „Das ist nicht fair!“, erwiderte Malik und ließ seinen Blick um die Menschen um ihn herum schweifen. „Der Tod ist nicht fair.“ Mariku legte einen Arm um Maliks Schulter. Im ersten Moment reagierte Malik nicht darauf. Er war zu sehr auf die Toten und ihr Schicksal fixiert, als Marikus Berührung wirklich wahrzunehmen. „Hey, Kopf hoch.“ Marikus Stimme war leise und ungewohnt einfühlsam. „Du kommst sicher in den Himmel.“ Malik hob den Blick und sah Mariku an. Es verstrichen noch einige Sekunden bis er sich der Situation endlich bewusst wurde. „Fass mich nicht an!“ Er schubste Mariku von sich weg. „Wir hatten grad nen echt speziellen Moment.“ „Nie im Leben.“ „Naja, wir könnten tot sein, so genau wissen wir das nicht.“ Malik schubste Mariku nochmal zur Seite, als er näher kam und Mariku lachte leise. Malik wütend zu machen war eine seiner liebsten Beschäftigungen, auch wenn es ihn nicht unbedingt beliebter bei Malik machte. Es war ein bisschen kompliziert. „Woher weißt du das eigentlich alles?“ Bakura rieb sich die Arme. Langsam wurde ihm wirklich kalt. Ob es einen dieser Toten stören würde, wenn er ihnen die Klamotten wegnahm? Sie brauchten sie ja nicht mehr wirklich. „Ich lese Bücher.“ „Und du merkst dir alles, was du liest?“ „Das meiste, ja.“ „Deshalb sind seine Noten auch besser als deine“, sagte Malik. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Und jetzt lasst uns endlich weitergehen. Ich will hier raus.“ Sie mussten jedoch nicht weit gehen um die verlorenen Seelen hinter sich zu lassen. Es war wie eine unsichtbare Linie, die sie nicht zu überschreiten wagten. Ein Boot schaukelte auf dem Wasser. Am Ufer stand eine, in einen weiten Umhang gehüllte, Gestalt. Die knochigen Finger umfassten eine Sense. Mariku verdrehte die Augen. „Noch mehr Klischee ging nicht mehr, oder?“ „Mecker nicht.“ Ryou tastete seine Hosentaschen ab. „Hat jemand Kleingeld?“ „Ich hab einen Kaugummi. Warum willst du Kleingeld?“ „Wir müssen Charon bezahlen, damit er uns über den Fluss bringt.“ Es war ausnahmsweise nicht Ryou, der die Erklärung abgab, sondern Bakura. Mariku sah ihn mit gehobenen Augenbrauen an. „Es kommt manchmal in Filmen vor.“ Bakura zuckte mit den Schultern. „Ich hab nur ein paar Yen. Ich weiß nicht, ob er die akzeptiert.“ Ryou betrachtete zweifelnd die Münzen in seiner Hand. „Was ist mit dir, Malik?“ Malik hatte eine Hand in der Hosentasche. Seine Finger schlossen sich um die vier Münzen. Er konnte sich nicht erinnern Kleingeld in der Tasche gehabt zu haben. Außerdem waren die Geldstücke viel zu groß für Yen. Malik schüttelte den Kopf. Er schloss seine Faust fester um die Münzen. „Ich regel das.“ Mariku ging an Ryou vorbei auf Charon zu. „Mariku! Nein! Bleib hier!“ Ryou lief ihm hinterher und packte ihn am Arm. „Mach nichts Dummes.“ Mariku riss sich los. „Reg dich ab. Ich mach das schon.“ Unsicher sah Ryou Mariku hinterher. Das würde kein gutes Ende nehmen... „Yo Alter, wie geht’s, wie steht’s?“ Mariku grinste Charon an, doch dieser reagierte gar nicht auf ihn. „Hör zu, meine Freunde und ich“, er deutete über die Schulter; die anderen waren in der Zwischenzeit vorsichtig näher gekommen, „wir wollen einen kleinen Ausflug in die Hölle machen, aber wir sind etwas knapp bei Kasse. Es wäre echt cool, wenn du uns einfach so rüberschiffen würdest.“ Charon schwieg. „Wir hätten auch ein paar Yen.“ Weiteres Schweigen. „Okay, wie wär’s, wenn wir einfach dein Boot nehmen?“ Mariku wollte an ihm vorbeigehen, doch Charon hob die Sense. „Die Lebenden haben keinen Zutritt.“ Seine Stimme war tief und hatte einen Nachhall. Er wirbelte die Sense durch die Luft und stieß Mariku mit dem Griff gegen die Brust. Mariku wurde die Luft aus den Lungen gepresst und er fiel rückwärts auf den staubigen Boden. „Mariku!“ Bakura kniete neben seinen Freund. Mariku presste seine Hand gegen seine Brust und saugte hastig Luft ein. „Das tat... weh“, presste er hervor und schloss die Augen. Bakura gab ihm eine Ohrfeige. „Au!“ Mariku setzte sich ruckartig auf und fasste sich an die Wange. „Bist du irre?“ „Ich dachte, du fällst in Ohnmacht.“ Bakura zuckte mit den Schultern und richtete sich wieder auf. Mariku hustete und strich sich über die Brust. Wütend sah er zu Charon auf. „Was sollte das, Arschloch!“ „Die Lebenden haben keinen Zutritt.“ „Leck mich.“ Bakura half Mariku wieder auf die Beine und dieser klopfte sich wieder einmal den Staub von der Kleidung. „Mariku, verärger ihn nicht.“ Ryou klang angespannt, sein Blick ruhte auf Charon. „Er hat mich geschlagen!“, maulte Mariku. „Außerdem ist es nicht so, als wären wir freiwillig hier.“ Er machte ein leidendes Gesicht. „Ich glaube, er hat mir ne Rippe gebrochen.“ „Hör auf zu jammern.“ Mariku drehte sich zu Malik um. „Nur wenn du die Stelle küsst.“ Er schob sein Shirt nach oben. Malik zeigte ihm den Mittelfinger. „Und was machen wir jetzt?“ Bakura sah Ryou an. Von den anderen beiden erwartet er keinen Lösungsvorschlag. Doch auch Ryou zuckte nur mit den Achseln. Ohne Charon zu bezahlen hatten sie keine Chance den Fluss zu überqueren. Malik hatte immer noch seine Faust um die Münzen geschlossen. Ryou und Bakura sahen sich ratlos an, während Mariku Charon anstarrte und sich die Brust rieb. Malik seufzte und trat vor. Er holte die Münzen aus der Tasche und hielt sie Charon hin. „Ist das genug?“ Charon griff mit seinen knochigen Fingern nach den Münzen und trat schließlich zur Seite. „Woher hast du die?“, wollte Ryou wissen, doch Mariku mischte sich aufgebracht ein bevor Malik antworten konnte. „Wieso hast du nicht gleich was gesagt? Jetzt musst du die Stelle echt küssen!“ Er hob wieder sein Shirt an, doch alles was Malik tat, war ihm gegen die Brust zu boxen. Mariku fluchte und ließ sich ins Boot sinken. „Das tat weh, verdammt.“ „Das sollte es auch“, murrte Malik und setzte sich neben Ryou. Sie starrten sich böse an, während Charon als letzter ins Boot stieg und sich dieses daraufhin in Bewegung setzte. Ryou betrachtete das Wasser. Es war trüb und man konnte nicht auf den Grund sehen. Ryou beugte sich über den Bootsrand. Etwas in ihm drängte ihn dazu ins Wasser zu tauchen. Seine Hände umfassten den Bootsrand und seine Arme spannten sich an. Bakura packte ihn an der Schulter und zog ihn zurück. Ryou zuckte zusammen und blinzelte schnell. „Was?“, murmelte er und sah Bakura verwirrt an. Hatte er gerade wirklich in den Fluss springen wollen? War er verrückt? Er schüttelte den Kopf um ihn wieder frei zu kriegen. Er musste aufpassen. Wieder sah Ryou aufs Wasser. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm passiert wäre, wenn er es wirklich getan hätte. Ryou biss sich auf die Unterlippe und bemerkte noch nicht einmal, wie er seine Hand ins Wasser hielt. Nebel hüllte ihr Boot ein und sie sahen kaum die Hand vor Augen. Plötzlich erfüllten Gesänge die Luft. Sie waberten durch den Nebel und Malik fühlte sich mit einem Mal etwas weniger angespannt. Er atmete tief durch, schloss die Augen und lauschte den Gesängen. Sie klangen so glücklich und voller Frieden. „Wer singt da?“, fragte Bakura leise, doch Ryou schüttelte nur den Kopf. Er wusste die Antwort nicht und selbst wenn er sie gewusst hätte, er war zu sehr in den Gesängen verfangen um wirklich antworten zu können. Charon hätte Bakura sagen können, dass es die Seelen derjenigen waren, die in den Himmel kamen, doch Charon steuerte das Boot nur schweigend durch den Nebel. Als die Gesänge verklangen, verzog sich auch der Nebel und das andere Ufer kam in Sicht. Sie stiegen aus dem Boot und Charon kehrte auf die andere Seite zurück. Malik sah ihm hinterher. Jetzt gab es wirklich kein Zurück mehr. Er seufzte. „Hier sieht’s genauso aus wie auf der anderen Seite“, murrte Mariku. „Es muss hier aber irgendwo einen Eingang geben.“ „Die Hölle bräuchte einen Platzanweiser.“ „Kannst du mal aufhören zu meckern?“, fuhr Malik Mariku an.“ „Versiegel sie doch mit einem Kuss.“ Mariku spitzte die Lippen. „Soll ich dir nochmal eine reinhauen?“ Mariku seufzte. „Du bist so ein Spielverderber.“ „Und du bist ein aufgeblasener, eingebildeter...“ Doch Ryous Rufen unterbrach Malik: „Hierher!“ Er winkte ihnen zu. Malik warf Mariku einen letzten wütenden Blick zu und stapfte dann an ihm vorbei. Mariku ließ die Schultern hängen und sah Malik hinterher. Manchmal hasste er seine große Klappe. Ryou stand vor einer Höhle und trat aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. Sie standen regelrecht auf der Türmatte der Hölle und Ryou verspürte ein nervöses Kribbeln in seinem Bauch. Es war keine negative Nervosität, sondern er war voller Erwartung. „Ich hoffe, da drin gibt’s keine Spinnen.“ Bakura starrte in die Dunkelheit der Höhle. „Hast du etwa Angst vor Spinnen?“, fragte Ryou mit einem belustigten Unterton. Bakura verzog das Gesicht. „Die Viecher sind widerlich. Das hat nichts mit Angst zu tun.“ Sie betraten die Höhle, doch gingen nur ein paar Schritte bevor sie die Dunkelheit verschluckte. Malik strengte seine Augen an, doch er konnte noch nicht einmal schemenhaft etwas erkennen. Plötzlich flammte Licht auf und verwandelte Marikus Gesicht für einen kurzen Augenblick in eine Fratze. „Ich wusste diese Taschenlampen App wird irgendwann mal nützlich.“ Mariku leuchtete ihnen den Weg durch die Höhle. Sie war nicht groß und endete vor einer Schlucht. Ein schmaler Weg führte an der Felswand nach unten. Die Steine glänzten feucht und der Grund der Schlucht war in Nebel gehüllt. Malik starrte den Abstieg an. „Das ist Selbstmord.“ „Normalerweise ist man schon tot, wenn man hier langgeht“, erwiderte Ryou und wagte den Abstieg als Erster. Er hielt sich nah an der Felswand und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen um nicht abzurutschen. „Aber wir sind nicht tot“, rief Malik ihm hinterher. Ryou blieb stehen und sah über die Schulter zurück. „Aber wir haben auch keine andere Wahl. Wir werden nie rausfinden, wie wir hier wegkommen, wenn wir nicht weitergehen.“ Malik verschränkte die Arme vor der Brust und presste die Lippen aufeinander. Er beobachtete, wie sich Ryou langsam über den schmalen Pfad bewegte, den Rücken an die Felswand gedrückt und mit den Fingern daran entlang tastend. Bakura folgte ihm mit einigem Abstand. Er bewegte sich noch langsamer als Ryou und seine Schritte waren unsicher. Bakura schloss die Augen und atmete tief durch. Die Steine waren kalt und der Weg uneben. Kleine Steinchen bohrten sich in seine nackten Fußsohlen und die Kälte kroch an seinen Beinen nach oben. Bakura öffnete seine Augen wieder und bewegte sich mit zusammengebissenen Zähnen behutsam vorwärts. Er versuchte den Anschluss an Ryou nicht zu verlieren und sowohl Kälte, als auch kleine Steinchen zu ignorieren. Maliks Schultern sanken herab. Die Sache gefiel ihm nicht, aber sie hatten wirklich keine Wahl. Er sah nach unten, doch außer Nebel war nichts zu sehen. Gut, dass er keine Höhenangst hatte. „Alles okay?“, fragte Mariku leise. „Jaja“, antwortete Malik und wedelte unwirsch mit der Hand in der Luft. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, trotzdem wagte er sich auf den Weg. Er ahmte Ryous Bewegungen nach und vermied es nach unten zu sehen. Sie bewegten sich schweigend den Pfad hinab. Sie waren zu sehr auf ihre eigenen Schritte konzentriert um sich zu unterhalten. Ryou war der einzige, der hin und wieder etwas sagte um sie vor besonders schwierigen Stellen oder losen Steinen zu warnen. Als erster trug er das größte Risiko und inzwischen waren sie im Nebel angekommen, was den Abstieg nicht erleichterte. Der Nebel war dicht und Ryou musste sich fast ausschließlich auf seinen Tastsinn verlassen. Er hoffte, sie würden den Boden bald erreichen. Er hoffte, dass es überhaupt einen Boden gab. Ryou wandte den Kopf. Bakura hatte inzwischen zum ihm aufgeholt. Bakura zitterte. Es war eiskalt und er hatte Schwierigkeiten vernünftig Halt zu finden. Sein Shirt war gerissen, als er zuvor an einem Stein hängen geblieben war und fast gestolpert wäre. Die Haut war an der Stelle aufgeschürft. Er spürte seine Zehen nicht mehr und jeder Schritt fiel ihm schwerer. Warum musste ausgerechnet er der ohne Schuhe sein? Bakura seufzte und trat einen Schritt vor. Alles Weitere lief für ihn wie in Zeitlupe ab. Er rutschte mit dem Fuß weg. Bakura riss die Augen auf. Sein Mund öffnete sich vor Überraschung. Er versuchte Halt zu finden, doch erwischte nicht mehr als Luft. Mit den Armen rudernd versuchte er sein Gleichgewicht zu halten. Erfolglos. Er sah Ryou, wie er die Hand nach ihm ausstreckte, doch es war zwecklos. Ryou war viel zu weit weg. Bakura konnte noch nicht einmal schreien als er fiel. „BAKURAAAA!“ Ryou dagegen schrie sich die Seele aus dem Leib. Kapitel 3: Limbus ----------------- Kapitel 3 - Limbus Da sprach der Meister: "Willst du nicht erfahren, Zu welchen Geistern du gekommen bist? Bevor wir fortgeh‘n, will ich offenbaren, Dass sie nicht sündigten; doch g‘nügend misst Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten, Die Pfort' und Eingang deines Glaubens ist. Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten Sie doch den Höchsten nicht, wie sich's gebührt; Und diese Geister nenn' ich selbst Gefährten.“ - Dante’s Inferno, Vierter Gesang Ryous Schreie widerhallten an der Felswand und wurden vielfach zurückgeworfen. „Nein, nein, nein, nein!“ Er wusste nicht, was er tun sollte. Das konnte nicht sein, nein, das war gerade nicht passiert. Er sah sich hilfesuchend um, doch Malik starrte nur selbst mit weit aufgerissenen Augen in den Abgrund und Mariku hatte die Augen geschlossen und seine Stirn gegen die Felswand gelehnt. Sein Kiefer war angespannt und sein Körper bebte leicht. „Bakura“ flüsterte Ryou. Was sollte er tun? Es war alles seine Schuld. Hätte er sie nur nicht zum Weitergehen überredet. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Nur weil er unbedingt die Hölle hatte sehen wollen. Vor lauter Aufregung hatte er die Gefahr nicht gesehen, die ein Besuch in der Hölle mit sich brachte. Sie war kein Spielplatz. „Ryou!“ Marikus herrische Stimme riss ihn aus seiner Starre. Er hob den Blick und sah Mariku an. Dessen Augen waren zwar glasig, seine Stimme jedoch fest als er sprach. „Reiß dich zusammen.“ „Aber...“ „Kein Aber! Bring uns da runter, aber flott.“ Ryou presste die Lippen aufeinander. Hätte er nicht Marikus Blick gesehen, dann hätte er ihn gefragt, wie er so kalt sein konnte, doch Mariku ging es mindestens so schlecht wie ihm in dieser Sache. Ryou wischte sich über die Augen und nickte. Wenn sie den Boden erreicht hatten, dann war immer noch Zeit zu heulen, aber jetzt mussten sie erst einmal auf sicheres Gelände. Vorsichtig setzte sich Ryou wieder in Bewegung. Erst hatte er Schwierigkeiten sich auf seine Bewegungen zu konzentrieren; seine Gedanken huschten viel zu oft zurück zu Bakura. Jetzt bereute er es, dass er die ganze Zeit so zurückhaltend ihm gegenüber gewesen war. Ryou atmete tief durch. Es war zu spät für solche Gedanken. Der Nebel wurde wieder dichter und Ryou sah kaum die eigenen Hände. Er sah zurück, doch konnte niemanden sehen. „Malik?“ „Ja?“ „Alles in Ordnung?“ „Denk schon. Der Nebel nervt.“ „Ja, aber der Weg wird hier dafür etwas breiter.“ Wie lange würde es noch dauern, bis sie den Boden erreichten? Inzwischen kam es Ryou vor, als wären sie seit Stunden unterwegs. Seine Finger waren kalt und begannen sich taub anzufühlen, doch Ryou war nicht mehr so auf sie angewiesen, wie zuvor noch. Der Weg war inzwischen so breit, dass man normal darauf gehen konnte. Auch der Nebel begann sich zu lichten. Ryou sah über die Schulter. Malik war dicht hinter ihm, gefolgt von Mariku. Beide nutzten ihre rechte Hand um an der Felswand entlang zu tasten. Nach wenigen Schritten hatte Ryou den Nebel plötzlich hinter sich gelassen. Er blinzelte einige Male um sich an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Der Weg war zu Ende und eine Wiese erstreckte sich links von ihm. „Wir sind endlich unten!“ Erleichtert schlang Malik seine Arme um Ryou. „Ich bin so froh.“ Ryou lächelte schwach. Auch wenn er Maliks Erleichterung teilte, konnte er sich nicht wirklich freuen. „Wir müssen ihn suchen.“ „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“ Mariku strich sich unruhig durch den Nacken. „Es war doch ein ziemlich tiefer Fall und...“ Doch Ryou unterbrach ihn. „Ich such ihn!“, fauchte er und Mariku hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut.“ Ryou ging wieder voraus, doch diesmal war der Weg weitaus angenehmer. Der Himmel leuchtete in seinem schönsten Blau und keine einzige Wolke war zu sehen. Malik stutzte. Obwohl es helllichter Tag war, konnte er nirgendwo eine Sonne entdecken. Er sah an der Felswand hoch, die komplett in Nebel gehüllt war und schauderte. Es war seltsam, wie sich der Nebel nur auf diese eine Stelle konzentrierte, aber alles hier fühlte sich seltsam an. Diese Wiese, der Himmel, der kleine See, der nicht weit vor ihnen lag, ja sogar der Wald in der Ferne kamen ihm irgendwie falsch vor. War das hier wirklich die Hölle? Er hatte es sich anders vorgestellt. Malik sah leicht über die Schulter. Mariku ging fast neben ihm und schien genauso misstrauisch zu sein wie er. „Da ist jemand!“, rief Ryou plötzlich und sowohl Maliks als auch Marikus Blick folgten seinem Fingerzeig. Am Ufer des Sees saß jemand und die weißen Haare waren unverwechselbar. „Bakura!“, rief Ryou und begann zu laufen. Malik und Mariku sahen sich an und Mariku begann zu grinsend. „Dieses verdammte Arschloch.“ Bakura stand auf, gerade rechtzeitig um Ryou aufzufangen, der sich regelrecht in seine Arme warf. Die Umarmung währte jedoch nicht lange. „Du bist patschnass.“ „Ich bin auch in den See gefallen.“ Bakura deutete über die Schulter. „War nicht sehr angenehm, außerdem sitz ich hier schon seit Stunden und meine Klamotten sind immer noch nass. Langsam find ich das nicht mehr...“ Er unterbrach sich selbst, als Ryou ihn wieder umarmte. „Ich dachte, du wärst tot.“ Er boxte Bakura in den Bauch und Bakura sackte leicht zusammen. „Ich dachte, du wärst tot, du Arschloch.“ Er schlug mit der flachen Hand gegen Bakuras Brust. „Ich hab mir voll die Vorwürfe gemacht und du sitzt hier gemütlich am See!“ Hilfesuchend sah Bakura zu Mariku, der nur grinste und mit den Schultern zuckte. Er fing Ryous nächsten Schlag ab. „Wie ich sehe, habt ihr sehr um mich getrauert.“ Ryou riss sich los und stapfte an Bakura vorbei ein paar Meter von der Gruppe weg. Schließlich blieb er stehen und atmete tief durch. Er hatte Bakura nicht schlagen wollen; er hatte noch nicht einmal wütend werden wollen, aber er war so erleichtert, dass Bakura noch lebte, das seine Gefühle komplett verrücktspielten. Er drehte sich wieder um und sah Bakura an. Er war nass von Kopf bis Fuß, als wäre er gerade erst aus dem See geklettert. Ryou lächelte. Bakura dagegen wurde aus Ryous Verhalten nicht schlau. Er hatte auch immer noch nicht richtig verarbeitet, dass er die Felswand hinuntergefallen war. Er hatte fest damit gerechnet, sein Leben wäre vorbei und ihm waren zig Sachen eingefallen, die er bereute nicht getan zu haben. Er sah die Felswand nach oben und schluckte. Er hatte wahnsinniges Glück gehabt. Der Aufprall auf dem Wasser war, trotz der Höhe, ungewöhnlich sanft gewesen. Mariku klopfte Bakura auf den Rücken. „Hast uns ja nen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Er zog Bakura in den Schwitzkasten. „Wenn du das nochmal machst, dann bring ich dich um.“ Bakura riss sich los. „Dann machen wir am besten nicht nochmal solchen Scheiß.“ Er zupfte an seinem Shirt. „Und langsam werden die Klamotten echt eklig. So schönes Wetter und ich bin immer noch patschnass.“ „Naja, es ist keine Sonne da und allgemein ist das hier alles nicht... naja, echt.“ Ryou war mit der Formulierung nicht zufrieden, aber er wusste nicht, wie er es sonst ausdrücken sollte. „Das ich nass bin ist sehr echt.“ „Es gelten hier andere Gesetze.“ „Oh, nass werden kann ich, aber trocken nicht? Klasse.“ „Wo sind wir überhaupt?“, fragte Malik, damit die Situation zwischen Bakura und Ryou nicht im Streit endete. Es reichte schon, wenn Mariku und er die ganze Zeit stritten. „Das hier sieht nicht aus wie die Hölle, zumindest nicht so, wie sie immer beschrieben wird.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Blick wandern. Der See war weniger groß, als er zuerst angenommen hatte und am anderen Ufer begann eine Straße, die neben dem Wald entlangführte. Malik konnte eine Art Turm hinter dem Wald erkennen. Es sah eher aus wie auf dem Land, anstatt wie die Hölle (wobei für manche Leute das auch dasselbe war). „Ja“, stimmte Mariku zu, „hier ist es richtig nett. Wenn wir nicht mehr zurückkönnen, dann bleiben wir einfach hier.“ „Du kannst ja hierbleiben, aber ich will wieder nach Hause“, murrte Malik. „Das ist eigentlich eine gute Idee, du bleibst hier und ich hab den Rest meines Lebens Ruhe vor dir.“ „Ah, ich steh drauf, wenn du auf meinen Gefühlen herum trampelst.“ Malik verdrehte die Augen. „Lasst uns gehen, bevor ich ihn im See ertränke.“ Jedem war klar, was ihr Ziel war: das turmähnliche Gebäude. Sie alle hofften dort endlich Antworten zu finden. „Und hoffentlich Klamotten“, maulte Bakura. Er hatte genug von seinem nassen Shirt und zog es aus. Ryou schmunzelte und musterte Bakuras nackten Oberkörper. Ihm wäre es auch recht, wenn Bakura nur in Shorts rumlaufen würde. Er leckte sich über die Lippen und wandte den Blick wieder ab. „Du solltest es ihm endlich mal sagen“, flüsterte Malik, dem Ryous Blick nicht entgangen war. Ryou zuckte mit den Schultern. „Bei Gelegenheit mach ich das.“ „Aber bitte bevor er wieder irgendwo runterfällt.“ Ryou lachte und zog damit Marikus Aufmerksamkeit auf sich. „Darf ich mitlachen?“ „Guck einfach in den Spiegel.“ Und damit wanderte Marikus Aufmerksamkeit von Ryou zu Malik. „Du brichst mir noch das Herz.“ In Marikus Stimme schwang leichte Theatralik mit. „Und das gefällt dir auch noch.“ „Japp.“ Mariku grinste breit und Malik schüttelte nur den Kopf. Er konnte nicht verstehen, wieso Mariku so einen Narren an ihm gefressen hatte und auch trotz der Gemeinheiten, die er ihm immer an den Kopf warf, noch nicht aufgegeben hatte. Er warf Mariku einen Seitenblick zu. Er ging so nah neben ihm, dass sich ihre Schultern hin und wieder berührten. Es war ja schon irgendwie süß, aber andererseits war Mariku auch der einzige Mensch, der es schaffte, ihn innerhalb von Sekunden zur Weißglut zu treiben. Mariku sah Malik an und lächelte, woraufhin Malik schnell den Blick von ihm abwandte. „Also Ryou, du bist grad unser allwissendes Lexikon“, Bakura hatte sein Shirt über seine Schulter gelegt, „wo sind wir?“ „Limbus“, war Ryous kurze Antwort. Jeder sah ihn abwartend an, doch Ryou gab keine weitere Erklärung ab. „Und?“, hakte Bakura nach. Ryou seufzte. Er hatte es jetzt schon satt ständig alles erklären zu müssen. „Laut Dante ist der Limbus der erste Kreis der Hölle. Hier landen die, die nicht an Gott glauben oder nicht getauft worden sind.“ „Also wir?“ Mariku verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ja, wir.“ Ryou nickte. „Es ist nicht direkt eine Sünde, aber man kommt auch nicht in den Himmel.“ „Naja, ist ja nicht so schlimm hier. Ganz nett eigentlich.“ „Ich wär mir nicht so sicher, dass du hier landest“, erwiderte Malik leicht schnippisch. Mariku grinste nur. Es war nicht so, dass ihn Maliks Worte kalt ließen, sie taten weh, aber gleichzeitig war Maliks spitze Zunge auch etwas, dass ihm am besten an ihm gefiel. Er war eben wirklich etwas komisch. „Da vorne kommt wer.“ Ryous Aussage war mehr oder weniger unnötig, denn die Gruppe an Menschen, die ihnen entgegen kam, war nicht zu übersehen. Im Gegensatz zu denen, die sie am Styx gesehen hatten, waren diese Menschen in guter Verfassung. Sie unterhielten sich, wenn auch ihre Gesichter eher starr wirkten und die Augen ausdruckslos. Ihre Kleidung war eine Mischung aus altertümlich und modern. Sie schienen aus unterschiedlichen Zeitperioden zu stammen. „Entschuldigt bitte“, sprach Ryou sie an, als sie nah genug waren. Es waren drei Frauen und zwei Männer. Sie richteten ihre Blicke auf Ryou. Ihre Gesichter zeigten keine Regung. „Ihr gehört hier nicht her“, sagte einer der Männer, bevor Ryou eine Frage stellen konnte. „Ihr habt hier nichts verloren“, stimmte eine Frau zu. Ihre Stimmen klangen monoton. „Es ist nicht so, als wären wir freiwillig hier“, maulte Malik sie an. „Wir wollen hier weg und zwar so schnell wie möglich.“ „Ihr habt hier keinen Platz.“ Sie schienen Malik gar nicht zugehört zu haben. „Bitte“, versuchte Ryou es erneut, doch die Menschen beachteten sie gar nicht weiter und setzten ihren Weg fort. Die vier Jungs sahen ihnen hinterher. „Unfreundliches Pack“, fauchte Malik. „Kein Wunder, dass ihr in der Hölle gelandet seid!“ Seine Stimme war laut genug, dass die toten Seelen es noch hören konnten, doch Maliks Worte berührten sie nicht. Das war ihre Strafe: der Verlust ihrer Gefühle. Sie konnten keine Freude oder Trauer empfinden, nur Gleichgültigkeit. Mariku schauderte. Plötzlich fand er die Hölle gar nicht mehr so toll. Er wollte seine Gefühle nicht verlieren. Hatte er die ganze Sache zuvor im Grunde noch recht aufregend gefunden, so wollte er jetzt doch lieber wieder nach Hause. Malik war sich sicher, dass die Zeit in der Hölle anders verging, falls es so etwas wie Zeit hier überhaupt gab. Er richtete den Blick nach oben und betrachtete den blauen Himmel, der schon seit Stunden keine Veränderung zeigte. Oder waren nur Minuten vergangen? Oder Tage? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. „Ich hab Hunger“, maulte Mariku und Malik nickte. Er hatte auch Hunger, irgendwie, sicher war er sich jedoch nicht. Etwas in ihm sagte ihm, dass er essen musste, doch sein Magen grummelte nicht wie gewöhnlich. Dasselbe galt für Müdigkeit. Er fühlte sich erschöpft, aber sein Körper zeigte keine Anzeichen. Es war, als wäre sein Geist und sein Körper voneinander getrennt. „Wir sind bestimmt bald da“, sagte Ryou. „Das sagst du schon seit Stunden!“ „Eher seit Tagen“, warf Bakura ein. „Das waren höchstens ein paar Minuten.“ Ryou blieb stehen. „Wir sind gerade erst...“ Er machte eine ausschweifende Handbewegung nach hinten um auf die Felswand zu zeigen, doch die Felswand war nur noch ein kleiner Punkt in der Ferne. „...losgegangen.“ Er flüsterte das Wort nur. „Was?“ Er hatte das Gefühl, erst seit kurzer Zeit unterwegs zu sein, doch die Entfernung sagte ihm, dass sehr viel mehr Zeit verstrichen war. „Das versteh ich nicht.“ „Der Scheiß hier bringt uns ganz durcheinander.“ Malik stampfte mit dem Fuß auf. „Wir hätten nie durch diese Tür gehen sollen.“ „Lasst uns... einfach weitergehen“, murmelte Ryou immer noch verwirrt. * Der Turm stellte sich als einer von vielen heraus. Er gehörte zu einem Schloss, das nur aus Türmen zu bestehen schien. Malik legte den Kopf in den Nacken. Aus der Ferne hatte der Turm gar nicht so hoch ausgesehen, doch jetzt sah es aus, als würde die Spitze jeden Moment den Himmel berühren. Sie mussten ein Dorf durchqueren, das zu Füßen des Schlosses lag. Es war gefüllt mit Menschen; jung und alt, manche hielten sogar Babies in den Armen. Niemand schenkte ihnen Beachtung; jeder ging seinen eigenen Beschäftigungen nach, doch Malik konnte nicht erkennen, was die Menschen hier eigentlich machten. Eine Mauer und ein Tor grenzten das Schlossgelände vom Dorf ab und zwei Wachen standen davor. Sie sahen aus wie Samurai und hielten lange Speere in den Händen. Als Malik und die anderen näher kamen, überkreuzten sie die Speere. „Kein Zutritt für die Lebenden.“ Unter der Maske konnte man das Gesicht nicht erkennen, doch die Stimme klang genauso monoton wie die der anderen. „Wir wollen nur ein paar Antworten“, sagte Ryou. „Bitte.“ „Kein Zutritt für die Lebenden“, wiederholte der Samurai. „Hey, jetzt hör mal zu“, fing Mariku an, doch sprang zurück, als einer der Speere auf ihn gerichtet wurde. „Woah, schon gut, schon gut. Ich sag schon nix mehr.“ „Kein Zutritt für die Lebenden.“ „Die tun alle so, als wären wir freiwillig hier und ich hab jetzt echt die Schnauze voll!“ Malik trat vor. Sofort richtete sich eine Speerspitze auf ihn, doch Malik ging nur ein Stück zur Seite und griff den Speergriff unter der Spitze. „Wir machen das hier nicht zum Spaß, also holt jetzt sofort jemanden, der uns sagt, was hier vorgeht oder ich ramm dir diesen Speer durch deinen sowieso schon toten Körper.“ Er zog an der Waffe und war überrascht, wie locker sie sich aus den Händen der Wache löste. „Lasst sie rein“, sagte plötzlich eine weibliche Stimme. Trotz des monotonen Klangs, lag eine gewisse Kraft in ihr. Das Tor glitt lautlos und langsam auf und Malik reichte den Speer wieder der Wache. „Das war echt heiß“, flüsterte ihm Mariku zu, doch Malik zuckte nur mit den Schultern. Er hätte den Speer nicht wirklich eingesetzt, aber zumindest war es effektiv gewesen. Kaum waren sie durch das Tor schloss es sich hinter ihnen. Sie sahen sich um. Die Bäume standen so dicht, dass der Weg im Halbdunkeln lag. Es war wie ein natürlicher Tunnel, der zum Schloss führte. Vor ihnen stand eine junge Frau, ihr Gesicht war ausdruckslos, doch ihre blauen Augen glänzten. „Willkommen Lebende.“ Malik wandte leicht verlegen den Blick ab als er merkte, dass ihr Kleid mehr zeigte, als versteckte. „Hey“, flüsterte Bakura Mariku zu, „findest du nicht auch, dass sie aussieht wie Anzu?“ „Besonders die Oberweite“, erwiderte Mariku grinsend und ließ seinen Blick schon zum wiederholten Male über den Körper der jungen Frau wandern. Das Grinsen verging ihm jedoch, als Malik ihm den Ellenbogen gegen die Brust rammte. Mariku keuchte schmerzerfüllt und legte seine Hand auf die Stelle, die Malik erwischt hatte. Er atmete ein paar Mal tief durch, bis sich der Schmerz legte, dann griff von hinten um Malik und legte seine Hände auf seine Brust. „Nichts geht über deine.“ Diesmal erwischte Maliks Ellenbogen seine Seite. Mariku stolperte leicht zurück und gab einen wimmernden Laut von sich. „War’s das wirklich wert?“, fragte Bakura skeptisch. Mariku nickte mit schmerzverzerrtem Grinsen. „Mein Name ist Kassandra.“ „Die Seherin?“, rief Ryou überrascht. Kassandras Blick richtete sich auf Ryou und sie nickte. „Oh, das ist ja so cool!“ „Du bist so’n richtiger, kleiner Nerd, weißt du das?“ Mariku rieb sich die Brust und die Seite. Ryou sah kurz über die Schulter. „Halt’s Maul oder ich hetz Malik auf dich!“ Mariku trat einen Schritt zurück. „Erbarmen.“ „Folgt mir“, sagte Kassandra. „Hoffentlich krieg ich jetzt dann was anzuziehen“, murmelte Bakura. Er konnte sich nicht erklären, warum er immer noch nass war. Selbst seine Haut war noch feucht. Es war ihm aber die ganze Zeit nicht kalt gewesen. Als sie das Schloss betraten, klatschte Kassandra in die Hände und zwei junge Mädchen erschienen. Kapuzen verdeckten ihre Gesichter, doch ihre Körper waren kaum verhüllt. Malik merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht kroch. Waren hier denn alle halb nackt? Und vor allen Dingen, warum? Mariku stieß einen leisen Pfiff aus. „Vielleicht ist es doch nicht so schlecht hier.“ Diesmal wich er aus, bevor Malik ihn traf. „Neidisch? Du würdest sicher auch gut in so was aussehen.“ Malik musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass Mariku ihn musterte, grinste und sich ihn halb nackt vorstellte. Stattdessen sah Malik sich um. Obwohl er sich sicher war, dass er von draußen Fenster gesehen hatte, gab es hier kein einziges. Es erinnerte ihn auch weniger an ein Schloss, sondern viel mehr an einen Tempel. Statuen ohne Gesichter zierten den Raum und warfen unheimliche Schatten im Licht der Fackeln. Trotz des eher dämmrigen Lichts konnte Malik ohne Probleme sehen. Es waren noch mehr Mädchen anwesend, die Gesichter von Kapuzen verhüllt. Sie wirkten wie die Menschen auf den Straßen beschäftigt, doch Malik konnte nicht erkennen mit was sie beschäftigt waren. „Helft Bakura trocken zu werden und gebt ihm Kleidung.“ Bakura sah Kassandra überrascht an. „Woher kennst du meinen Namen?“ „Ich bin eine Seherin, hast du Ryou nicht zugehört?“ Trotz des monotonen Klangs konnte Malik das Schmunzeln heraushören. „Ich bräucht auch ein bisschen Hilfe“, sagte Mariku leise, während er Bakura und den zwei Mädchen hinterher sah. „Dir ist nicht mehr zu helfen.“ „Malik-baby, du bist meine letzte Rettung.“ „Wenn du mich noch einmal Baby nennst, dann brech ich dir jeden Knochen im Leib.“ Mariku seufzte und trat näher an Kassandra heran. „Hey, du bist doch ne Seherin, also Malik und ich, wie sieht’s aus?“ „Höllisch.“ „Höllisch gut oder höllisch schlecht?“ Kassandra sah ihn an, doch in ihrer starren Miene konnte Mariku keinen Hinweis erkennen. „Es gibt viel zu besprechen, bitte folgt mir.“ Mariku machte ein missmutiges Gesicht. Er hatte wirklich auf eine Antwort gehofft, auch wenn er trotzdem nicht aufgegeben hätte, selbst wenn sie negativ ausgefallen wäre. Er sah Malik an und ihre Blicke trafen sich für einen Moment, bevor beide den Kopf wegdrehten. Kassandra führte sie in einen Raum, der fast stockdunkel war. Es brannten nur zwei Kerzen auf einem kleinen Tisch. Er stand in der Mitte des Raumes und soweit Malik erkennen konnte, gab es nur Kissen um sich hinzusetzen. Die Luft roch nach einem Gewürz, doch Malik konnte nicht sagen, welches es war. Es roch vertraut und Malik musste an seine Schwester denken. Ob sie sich Sorgen um ihn machte? Wie viel Zeit war auf der Erde inzwischen vergangen? Lag sein Körper einfach nur da und machte den Eindruck als würde er schlafen, oder war er verschwunden? Was auch immer mit seinem Körper war, Isis würde ausflippen. Sie setzten sich an den Tisch und Kassandra entzündete weitere Kerzen. Es wurde leichter etwas zu erkennen, aber viel zu sehen gab es nicht. Die Wände waren mit roten Tüchern behangen, die Kissen waren ebenfalls rot. Außer dem Tisch gab es sonst kein Möbelstück in dem Raum. Kassandra setzte sich ihnen gegenüber und faltete die Hände. Sie schien auf irgendetwas zu warten. Ihr Blick war auf Malik gerichtet und dieser rutschte unruhig auf seinem Kissen hin und her. Wieso starrte sie ausgerechnet ihn an? Sie wandte noch nicht einmal den Blick ab, als sich die Tür öffnete und Bakura eintrat. Er trug Jeans und ein einfaches dunkelblaues T-Shirt. Selbst Schuhe hatten sie ihm gegeben. Er setzte sich im Schneidersitz neben Mariku. „Hab ich was verpasst?“ Mariku schüttelte nur den Kopf. „Was haben die Mädels mit dir gemacht?“, fragte er grinsend. Bakura verdrehte die Augen. „Nichts. Ich war grad mal zehn Minuten weg.“ „Das reicht bei dir doch.“ Bakura öffnete entrüstet den Mund. Er atmete tief durch. „Das ist überhaupt nicht wahr!“ „Könnt ihr mal die Klappe halten?“, fuhr Malik sie an. „Keinen Menschen interessiert das.“ „Es könnte wichtig für Ryou sein.“ Mariku ließ sich nicht beirren. „Malik“, sagte Ryou leise, „schlag ihn.“ Malik holte mit dem Ellenbogen aus, schlug dann aber mit der Faust gegen Marikus Brustkorb. Mariku ließ sich zurückfallen. „Au, irgendwann brichst du mir noch was.“ Es war Bakura, der etwas dazu sagte: „Hättest du auch verdient.“ Mariku rieb sich die Brust, machte jedoch keine Anstalten sich wieder aufrecht hinzusetzen. Kassandra hatte alles nur still beobachtet, doch jetzt da die kleine Auseinandersetzung vorbei war, griff sie nach Maliks Händen. Malik zuckte erschrocken zusammen. „Ich hab dich in meinen Visionen gesehen.“ „Ah ja?“ Malik zog seine Hände zurück und versteckte sie unter dem Tisch. Die Sache gefiel ihm nicht; ganz und gar nicht. „Du hast ihn im Traum gesehen.“ „Wen?“, fragte Malik, auch wenn er die Antwort schon kannte. „Luzifer. Du bist empfänglich für ihn.“ Malik spürte, wie sich die Blicke der anderen auf ihn richteten. Selbst Mariku hatte sich wieder aufgesetzt. Malik wurde unruhig. „Ich... ich... ach, das ist doch Schwachsinn!“ Kassandra schüttelte den Kopf. „Es ist ungewöhnlich, dass er so viele auf einmal zu sich ruft, doch es muss mit dir zusammenhängen. Deine Träume waren klarer als die der anderen. Du bist anders.“ „Was für ein Quatsch!“ Malik stand auf. „Ich will nach Hause.“ Er drehte sich zur Tür, doch die war verschwunden. Er hob das Tuch an, klopfte gegen die Wand, doch er fand keine Tür. „Lass mich raus!“ Kassandra sah ihn nur mit unbewegter Miene an. „Lass mich verdammt noch mal hier raus!“ „Malik, beruhig dich.“ Maliks Blick richtete sich auf Ryou. „Nein, ich beruhig mich nicht. Ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß hier und Luzifer kann mich mal kreuzweise, der soll sich wen anders suchen, den er in seinen Träumen belästigen kann!“ „Es gibt nur einen Weg, der euch zurückbringen wird.“ Die Aufmerksamkeit aller richtete sich wieder auf Kassandra und Malik setzte sich wieder hin. „Dieser Weg führt durch die neun Kreise der Hölle, direkt zu Luzifer. Nur von dort könnt ihr wieder in die Welt der Lebenden zurückkehren und auch nur, wenn er Ersatz gefunden hat.“ „Großartig“, murmelte Malik. „Ersatz? Was bedeutet das? Was für ein Ersatz?“ „Er liegt im Sterben.“ Ryou hob überrascht die Augenbrauen. „Niemand ist unsterblich, noch nicht einmal Luzifer, oder Gott.“ Im Kerzenlicht sah es so aus, als würde ein Lächeln Kassandras Lippen umspielen. „Alle 300 Jahre ist Luzifers Lebenskraft aufgebraucht und er braucht einen neuen Körper, den er in Besitz nehmen kann um zu verhindern, dass die Hölle kollabiert.“ Alle Blicke richteten sich auf Mariku. „Was ist?“ „Willst du dich nicht freiwillig melden?“, schlug Malik vor. „Du bist doch der, der so dicke ist mit Luzifer“, erwiderte Mariku. „Obwohl... Fürst Mariku, König der Hölle, oder so, das gefällt mir eigentlich ganz gut.“ „Sehr schön, dann können wir ja wieder nach Hause gehen.“ „Dir ist aber schon klar, dass ich dich nachdem du draufgegangen bist zu meinem persönlichen Lustsklaven mache?“ „Du bist doch echt so krank.“ „Krank vor Liebe.“ „Es wär schon fast süß, wenn Mariku nicht so ein Creeper wär“, sagte Ryou schmunzelnd. Diesmal unterbrach Kassandra sie: „Es ist nicht so einfach. Nicht jeder eignet sich für diese Aufgabe.“ „Was passiert, wenn es keinen Ersatz gibt, bevor Luzifer stirbt?“ „Das Ende der Welt.“ „Oh, das wird ja immer besser.“ Malik fuhr sich durch die Haare. Das war doch alles nur ein schlechter Scherz. Die Hölle, Luzifer, das Ende der Welt, das war doch alles Irrsinn! Er war doch nur ein stinknormaler Teenager mit einem durchschnittlichen, langweiligen Leben, also, warum war er hier? „Es wird zum Krieg zwischen Himmel und Hölle kommen und die Welt der Lebenden wird das Schlachtfeld sein. Luzifer und Gott halten alles im Gleichgewicht, doch wenn einer stirbt, oder gar beide, dann wird die Erde im Chaos versinken.“ „Ist irgendjemand überrascht? Also ich nicht.“ Mariku verlagerte sein Gewicht. „Das Ende der Welt, dass sich aber auch niemand mal was Neues überlegt.“ „Ist für dich alles nur ein Witz?“, fuhr Ryou Mariku scharf an. Marikus Miene wurde ungewohnt ernst. „Würd ich keine Witze drüber machen, würd ich wahrscheinlich deprimiert in einer Ecke sitzen bei dem Gedanken daran, dass unsere Überlebenschancen irgendwo im einstelligen Bereich sind.“ Er sah Ryou an. „Wir müssen die Hölle durchqueren, was höchstwahrscheinlich kein Strandspaziergang wird. Werden wir das überleben? Wahrscheinlich nicht! Und sollten wir’s doch überraschenderweise bis ganz nach unten schaffen, dann ist immer noch nicht sicher, ob einer von uns mit Luzi kompatibel ist. Wenn nicht, sterben wir. Wenn doch, dann heißt’s Goodbye.“ Sein Blick richtet sich auf Malik. „Ich bin nicht bereit jemanden zurückzulassen.“ Maliks Augen weiteten sich, dann senkte er den Blick. „Wir können genauso gut hier sitzen bleiben und aufs Ende der Welt warten, denn egal wie man’s dreht und wendet, es gibt kein Happy End.“ „Ihr dürft euch nicht länger als 48 Stunden in einem Kreis aufhalten, sonst werdet ihr sterben.“ „Klasse, jetzt gibt’s auch noch ein Zeitlimit, das wird ja immer besser.“ Niemand sagte etwas. Marikus Worte hatte sie entmutigt. Es stand wirklich schlecht um sie. Sie hatten nur eine einzige Überlebenschance und die bedeutete, dass sie einen von sich opferten. „Wir sollten es versuchen“, sagte Malik leise und alle Blicke richteten sich auf ihn. „Es geht hier nicht nur um uns, sondern auch um unsere Familien und Freunde und eigentlich um die ganze Welt. Ich will hier nicht nutzlos rumsitzen und darauf warten, dass ich sterbe.“ „Malik hat recht. Rumsitzen nutzt gar nicht.“ Ryou schlug sich mit der Faust auf die Handfläche. „Ich will während eines Abenteuers draufgehen.“ Bakura grinste. Mariku seufzte. „So vielversprechend es klingt meine letzten Stunden mit einem Haufen halbnackter Weiber zu verbringen, Maliks Gesellschaft ist mir doch lieber.“ Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Lasst uns hier mal so richtig auf den Putz hauen.“ Kapitel 4: Lust --------------- Dass Fleischessünder dies erdulden müssten, Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug, Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten. So wie zur Winterszeit mit irrem Flug Ein dichtgedrängter breiter Tross von Staren, So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug - Dantes Inferno, Fünfter Gesang Ryou hatte die Stirn kraus gezogen und hatte seine Mimik kaum verändert, seit sie sich auf den Weg zum zweiten Höllenkreis gemacht hatten. Als er mit Kassandras Hilfe die Karte gezeichnet hatte, schien alles ganz einfach zu sein. Die oberen Kreise waren die größten, weshalb sie allein deswegen schon länger brauchen würden sie zu durchqueren, doch die tieferen waren dafür die gefährlichsten. Zumindest ging Ryou davon aus. Kassandra hatte ihm weniger Informationen geben können als gehofft. Welche Gefahren auf sie zukommen würden, hatte sie auch nicht beantworten können. Er seufzte und rollte zum wiederholten Male die Karte auf. Lust war der zweite Kreis der Hölle und Ryou zerbrach sich den Kopf darüber, ob er ihnen gefährlich werden konnte oder nicht. Wenn er sich richtig erinnerte, hatte Dante in seiner Geschichte nur mit einer Frau gesprochen. Doch wie weit konnte er sich auf Dante verlassen? Sein Blick wanderte zu Mariku und er rollte nebensächlich die Karte wieder zusammen. Jedes Mal, wenn er über Lust nachdachte, kam ihm Mariku in den Sinn. Bei ihm drehte es sich fast die ganze Zeit um Sex. Er wäre für Lust am anfälligsten. Ryou stieß genervt Luft aus. Die Unwissenheit nagte an ihm. Wieder rollte er die Karte auf, doch diesmal um sie zu falten und anschließend in die Hosentasche zu schieben. „Warum haben wir eigentlich keine Waffen?“, meckerte plötzlich Mariku und riss Ryou damit endgültig aus seinen Gedanken. „Bei der Tussi hingen die eh nur zur Deko rum.“ „Du kannst Tote nicht nochmal töten“, erwiderte Malik. „Schon mal was von Zombies gehört?“ Malik verdrehte die Augen. „Wir sind in der Hölle. Hier sind alle so tot, toter geht’s gar nicht mehr.“ „Den Kopf kann ich ihnen trotzdem abschlagen. Dann sind sie tot ohne Kopf und weniger gefährlich.“ Malik öffnete den Mund, doch er konnte Marikus Logik in diesem Fall nicht widersprechen. Mariku hatte Recht, aber das würde er sicher nicht laut aussprechen. Die Genugtuung würde er Mariku nicht geben. Sie hielten abrupt, als sie eine lange Schlange an Menschen erreichten. Sie standen ordentlich hintereinander und gingen in regelmäßigen Abständen immer wieder einen Schritt vor. Ryou kniff die Augen zusammen, doch er konnte den Anfang der Schlange nicht ausmachen. „Was ist das hier?“, wollte Bakura wissen. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Ryou langsam. Er beobachtete, wie sich die Menschen bewegten. Ihre Mienen waren stoisch und sie schienen die vier Jungen gar nicht zu bemerken. „Um ehrlich zu sein, ich hab keine Ahnung. Am besten wir machen’s denen nach.“ „Oh, komm schon“, Mariku sah Ryou an, als hätte dieser den Verstand verloren, „wir haben keine Zeit für so einen Scheiß. Schmeiß die Höflichkeit in den Müll, wir drängeln uns jetzt vor.“ Und mit diesen Worten machte sich Mariku auch schon auf den Weg. Bakura zögerte kurz. „Er hat recht.“ „Ja, schon gut.“ Ryou hob hilflos die Hände und folgte Mariku. Malik ging neben ihm, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Mir gefällt’s nicht, dass er sooft Recht hat“, murmelte er. Ryou schmunzelte nur. Die Schlange war kürzer als Ryou anfangs gedacht hatte, doch was an ihrem Anfang lag, ließ selbst Mariku wieder ein paar Schritte zurückgehen. Vor ihnen türmte sich eine Kreatur auf, die halb-Mensch, halb-Schlange war. Der Oberkörper war der eines jungen Mannes, doch das faltige Gesicht wollte nicht so recht dazu passen. Der schlangenartige Unterleib war mit grauen Schuppen bedeckt. In der Hand hielt die Kreatur ein goldenes Zepter, das aussah, als könnte er es mit Leichtigkeit dazu benutzen einen Menschen aufzuspießen. „Was ist das?“, flüsterte Malik und wandte den Blick nicht von der Kreatur ab. „Ein Wächter“, antwortete Ryou und versuchte sich an den Namen zu erinnern. Er lag ihm auf der Zunge. Der Name der Kreatur war Minos und wie Ryou bereits vermutet hatte, war er ein Wächter. Einer der Menschen aus der Schlange trat vor und das goldene Zepter blitzte kurz auf. Der Mensch, eine junge Frau mit blutgetränkter Kleidung, schien wieder zu sich zu kommen. Sie sah sich verwirrt um, bis ihr Blick auf Minos fiel. Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. „Sprich deine Sünden.“ Minos‘ Stimme donnerte über ihre Köpfe hinweg und es war, als würde sie den Boden erbeben lassen. Schnell sprudelten Worte aus dem Mund der Frau in einer, den vier Jungen, unbekannter Sprache. Als sie verstummte, kam Bewegung in Minos. Der Schlangenschwanz wickelte sich sieben Mal um seinen Oberkörper. Flammen erfassten die Frau und sie verschwand. „Was tut es?“ Sie hatten den Prozess stumm beobachtet. „Ich... ich denke“, begann Ryou, während er beobachtete, wie diesmal ein Mann vortrat und sich die Prozedur wiederholte. Minos‘ Schwanz legte sich diesmal dreimal um seinen Oberkörper. „Ich denke, er teilte die Seelen den Kreisen zu“, brachte Ryou seinen Satz schließlich zu Ende. „Wir müssen ihn irgendwie dazu bringen uns in den zweiten Kreis zu lassen.“ „Jo, Anakonda-Boy!“ Ryou und Malik richteten ihre entsetzten Blicke auf Mariku, der ein paar Schritte auf Minos zugegangen war. Nur Bakura zeigte sich unbeeindruckt. Er war Marikus Dummheiten gewohnt, dass selbst das ihn nicht mehr schockte. „Das ist der Schwanz einer Kobra“, murmelte er stattdessen. Ryou packte Mariku am Arm und zog ihn zurück. „Bist du irre? Du bringst uns noch um Kopf und Kragen!“ Doch Ryous Reaktion war zu spät gekommen, Minos hatte seine Aufmerksamkeit längst Mariku zugewandt. „In die Schlange“, donnerte er. Mariku riss sich von Ryou los. „Wir sind nicht tot.“ „Sterblichen ist der Zutritt verwehrt.“ „Jaja, die Leier kennen wir schon.“ Mariku wedelte unwirsch mit der Hand. „Und jetzt lass uns durch.“ „Sterblichen ist der Zutritt verwehrt“, wiederholte Minos. „Ich glaub, du verstehst nicht“, Mariku trat direkt vor Minos und ließ sich dabei von seiner Größe von fast vier Metern nicht beeindrucken, „wir sind hier auf einer wichtigen Mission. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Luzi ist am krepieren und einer von uns ersetzt ihn möglicherweise, also schick uns in den zweiten Kreis und du kannst hier weitermachen.“ Minos rammte sein Zepter direkt vor Mariku in den Boden und verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter. Mariku verzog keine Miene, doch innerlich raste sein Herz und überschlug sich dabei fast. „Kein Zutritt!“ Mariku legte seine Hand gegen das Zepter. Eine angenehme Wärme ging davon aus. „Ich muss mich wohl deutlicher ausdrücken: einer von uns wird dein Boss und du kannst dir sicher sein, wenn das passiert, dann landest du im tiefsten Drecksloch, das diese Hölle zu bieten hat.“ Er schlug gegen das Metall um seine Worte zu unterstreichen. Von der Stelle aus, gegen die er geschlagen hatte, begann sich ein Riss über den Stab nach oben zu ziehen. Mariku hob den Blick und ließ den Arm sinken. Er ahnte, dass das kein gutes Zeichen war. „Made in China, was?“, witzelte er, doch man merkte ihm die Nervosität an. Aller Augen waren auf das Zepter gerichtet. Selbst die Toten schienen aus ihrer Starre erwacht zu sein und hatten ihre Blicke erhoben. Momente vergingen bis Minos schließlich brüllte. Die Toten senkten ihre Blicke wieder und ihre Mienen wurden erneut stoisch. Mariku stolperte zurück und fiel dabei über seine eigenen Füße. Minos hob das Zepter und Mariku schloss die Augen in Erwartung jeden Moment damit erstochen zu werden. Doch erneut verstrichen Momente in denen nichts passierte. Vorsichtig öffnete Mariku ein Auge und schließlich auch das zweite. Minos starrte ihn an. Die dunklen Augen schienen Mariku bis ins tiefste seiner Seele zu blicken. Es war, als würde sich Minos durch seine Gedanken und Geheimnisse wühlen. Mariku presste die Lippen aufeinander und versuchte den Blick abzuwenden, doch es war Minos, der schließlich seinen Blick von Mariku nahm. Langsam wickelte sich sein Schwanz um seinen Oberkörper. Einmal. Zweimal. Die Flammen erfassten nicht nur Mariku. Malik stieß einen überraschten Schrei aus, bis er merkte, dass die Flammen ihn nicht verbrannten. Sie waren angenehm warm und kitzelten sogar etwas. Minos und seine Freunde verschwammen und die Welt um ihn herum löste sich auf. Es fühlte sich an, als würde er fallen; als würde ein schweres Gewicht ihn nach unten ziehen. Ganz automatisch stemmte sich Malik dagegen. Er streckte die Arme aus und versuchte Halt zu finden, doch es gab nichts an dem er sich hätte festhalten können. „Ich hasse Nebel“, war das erste, was Malik hörte, als er wieder Boden unter seinen Füßen spürte und auch seine Umgebung wieder Gestalt annahm. Sie waren erneut in dichten Nebel gehüllt und Malik hatte Schwierigkeiten seine Freunde auszumachen. Obwohl Mariku fast direkt neben ihm stand, konnte er nur seinen Umriss erkennen. „Ich geh keinen Schritt. Keinen Bock wieder irgendwo runterzufallen“, maulte Bakura weiter. „Danke Mariku, dass du uns in den zweiten Kreis gebracht hast.“ Mariku hatte seine Stimme leicht verstellt, während er sprach. „Das war so großartig, ich weiß gar nicht, wie wir dir danken sollen.“ Er wechselte zu seiner normalen Stimme, bevor er weitersprach: „Das wär erstmal ein guter Anfang.“ Ryou seufzte und tauchte aus dem Nebel auf. „Ich bin dankbar dafür, dass uns deine wahnsinnige Aktion nicht umgebracht hat.“ „Ich wäre dankbar, wenn er uns gleich in den neunten Kreis teleportiert hätte.“ „Ich wär dankbar, wenn der scheiß Nebel weg wär.“ „Ihr könnt mir alle mal den Schwanz lutschen, wisst ihr das?“, murrte Mariku. „Undankbares Pack.“ Der Wind kam unerwartet. Ryou stieß einen überraschten Laut aus, als der Wind nicht nur seine Jacke zum Flattern brauchte, sondern sich auch einen Weg unter sein Hemd suchte. Er spielte mit seinen langen Haaren und es kam ihm vor, als wären es Finger, die über seine Brust und durch seine Haare strichen. So plötzlich wie der Wind gekommen war, verschwand er auch wieder. Keuchend stolperte Ryou nach vorn und hielt sich an Bakura fest. Ein rötlicher Schimmer lag auf seinen Wangen. „Alles okay?“, fragte Bakura. „Ich bin mir nicht sicher“, antwortete Ryou atemlos. „Was war das?“ Der Wind hatte nur ihn erfasst gehabt. Er ließ Bakura wieder los und trat einen Schritt vor. Der Nebel löste sich unerwartet auf und gab den Blick auf eine breite Straße frei. Zwei LKWs hätte bequem nebeneinander fahren können. Alles, was am Rand der Straße lag, war jedoch immer noch verhüllt. Ryou knöpfte sich die Jacke bis obenhin zu. Er fühlte sich immer noch unwohl und die Sache war ihm nicht geheuer. Er sah Malik an, der jedoch nur ratlos mit den Achseln zuckte. „War doch nur ein bisschen Wind.“ Mariku winkte ab. „Lasst uns endlich gehen.“ Kaum hatte er seinen Satz beendet, kehrte der Wind zurück. Diesmal war es Bakura, der von ihm erfasst wurde. Bakura keuchte. Finger strichen ihm durch’s Gesicht, doch als er seine Wange berührte, spürte er nur den Wind. Stimmen flüsterten ihm etwas ins Ohr, doch er konnte die Worte nicht verstehen. Bakura fasste sich an den Kopf und ging fast in die Knie, als der Wind erstarb. „Bist du in Ordnung?“ Ryou berührte ihn sanft am Arm, doch Bakura zuckte im ersten Moment zurück. Sein Herz schlug aufgeregt. „Ich denke schon“, murmelte er und strich sich über die schweißnasse Stirn. „Was hast du gefühlt?“ Doch Bakura zuckte nur mit den Schultern und nutzte sein Shirt um sich das Gesicht abzuwischen. Grub fuhr er mit dem Stoff über seine Wangen um das Gefühl der Berührungen loszuwerden. Der zweite Windstoß hatte den Nebel, der den Straßenrand verhüllte, etwas gelichtet. Sie konnten Umrisse von Gebäuden erkennen. Malik legte seine Arme um sich und starrte missmutig in den Nebel. „Ich find das hier echt unheimlich.“ „Ich beschütz dich.“ Mariku hatte seinen Arm noch nicht ganz um Maliks Schulter gelegt, als dieser ihn schon wieder von sich stieß. „Tatsch mich nicht an, Creep.“ Der Wind hüllte Malik ein und dieser presste die Augenlider aufeinander. Eine weibliche Stimme flüsterte ihm etwas zu, doch Malik war sich nicht sicher, ob er wirklich verstehen wollte, was sie sagte. Lippen pressten sich auf die Seinen und er riss die Augen wieder auf. Es gab niemanden, der ihn küsste. Wieder zog sich der Wind zurück und Schwindel überkam Malik. Seine Beine gaben unter ihm nach, doch Mariku fing ihn auf. Krampfhaft krallte sich Malik in Marikus Shirt und hielt sich damit auf den Beinen. „Scheiße“, fluchte Malik und ließ Mariku los, als er sich sicher sein konnte, dass ihn seine Beine wieder trugen. „Ich will hier weg.“ Er ließ seinen Blick wandern. Inzwischen war ihre Umgebung deutlich zu erkennen. Um sie herum standen Häuser; prächtige, jedoch zerfallene Häuser. Zerbrochene Scheiben und leere Fenster schienen sie anzustarren. Manche Häuser waren zum Teil eingestürzt, wieder andere waren teilweise niedergebrannt. Malik schauderte. Das war keine einladende Gegend. Keiner von ihnen wollte noch länger rumstehen, doch weitergehen würde auch bedeuten, dass sie erneut in den Nebel treten mussten, denn der Bereich vor ihnen war immer noch verhüllt. Jedoch hatten sie auch keine andere Wahl. Trotz der breiten Straßen hielten sie sich nach beieinander. Sie waren allerdings erst wenige Schritte gegangen, als der Wind für den letzten von ihnen zurückkehrte. „So viel Leidenschaft“, flüsterte eine weibliche Stimme Mariku ins Ohr, doch Mariku ließ sich davon nicht beeindrucken. „Verpiss dich“, zischte er und machte eine Handbewegung, als wollte er den Wind zur Seite schieben. Der Wind erstarb und die anderen sahen Mariku überrascht an. „Im Gegensatz zu euch lass ich mich von so einem Lüftchen nicht beeindrucken.“ Malik schnaubte. Er hatte das Gefühl, dass der Wind auf ihn den größten Einfluss gehabt hatte und schämte sich etwas dafür. Besonders, da ihn Mariku auch noch aufgefangen hatte. „Dich fang ich aber immer wieder gerne auf.“ Manchmal hatte Malik das Gefühl, als könnte Mariku seine Gedanken lesen. Mariku hauchte Malik einen Kuss zu und dieser zeigte ihm den Mittelfinger. „Schaut!“ Ryou zeigte in die nicht allzu weite Ferne. Der vierte Windstoß hatte den restlichen Nebel vertrieben. Ein Turm erhob sich vor ihnen und sie mussten den Kopf in den Nacken legen um seine Spitze zu sehen. Er war aus dunklem Stein gefertigt und selbst aus der Entfernung war ein Glänzen wie frisch polierter Marmor zu erkennen. Das auffälligste jedoch war der Sturm, der sich wie eine Schlange um den schlanken Turm wand. „Was zum Teufel?“ „Das ist die Strafe der Seelen, die im zweiten Kreis landen. Sie werden unaufhörlich vom Wind herumgerissen“, erklärte Ryou. „Es soll irgendwie die Unruhe der Leute, die ständig von...“ Ryou suchte nach der richtigen Formulierung, „die Unruhe der Leute, die ständig rumficken, symbolisieren... oder so was ähnliches.“ „Also so wie der da.“ Malik deutete auf Mariku. „Ich fick nicht ständig rum, ich red nur davon“, verteidigte sich Mariku. „Also nur große Klappe, nichts dahinter.“ „Ich zeig dir gleich was Großes.“ Mariku grinste und Malik verdrehte die Augen. „Das ist meine persönliche Hölle“, murrte Bakura, während er die Zankerei der beiden verfolgte. Ryou schmunzelte. „Wollen wir wetten?“ Bakura sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an. „Wetten?“ „Wann sie sich das erste Mal zumindest küssen. Ich sag, noch bevor wir den sechsten Kreis erreichen.“ „Hm“, Bakura schmunzelte jetzt ebenfalls, „reden wir von einem erzwungenen Kuss, oder einem freiwilligen?“ „Freiwillig natürlich.“ „Spätestens vierter Kreis.“ Ryou hob die Augenbrauen. „So früh schon?“ „Ich kenn zwar Malik nicht so gut wie du, aber ich kenn Mariku und ich weiß, er schafft es ihn dazu zu bringen.“ „Gut, die Wette gilt.“ „Um was wetten wir eigentlich?“ Doch anstatt ihm eine Antwort zu geben, grinste Ryou nur verschmitzt. „Lasst uns gehen. Wir müssen zum Turm.“ Bakura sah Ryou hinterher und fragte sich, auf was er sich jetzt nur schon wieder eingelassen hatte. Zumindest ging es um Ryou, da konnte es nicht so schlimm werden... hoffte er. Die Winde wurden stärker, je näher sie dem Turm kamen, doch obwohl es diesmal nur gewöhnliche Winde zu sein schienen, fühlte Malik sich unwohl. Der Turm ragte drohend über ihnen und die dunklen Wolken ließen ihn nicht einladender wirken. Malik hatte eine Gänsehaut und immer wieder lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Zum wiederholten Male fragte er sich, wie er nur in so eine verfluchte Situation geraten hatte können. Es klang immer noch lächerlich, doch trotzdem stand er hier im zweiten Kreis der Hölle und trotz des Gegenwinds schien er von diesem Turm angezogen zu werden. Fast war es wieder, als könnte er erneut die Stimme flüstern hören. Er verstand die Worte nicht, doch allein der Tonfall schien ihm die Erfüllung seiner Sehnsüchte zu versprechen. Verstohlen sah er zu den anderen, doch von ihnen schien niemand etwas zu bemerken. Kurz blieb sein Blick auf Mariku hängen und er presste die Lippen aufeinander. Fast schon wünschte er sich, wieder einen Streit mit Mariku anzufangen um zumindest für eine Weile von diesem unguten Gefühl abgelenkt zu sein. Als er daran dachte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Nur schwer konnte Malik den Blick abwenden. Was war nur los? Doch Malik war nicht der einzige, der sich unwohl fühlte. Ryou drehte nervös eine Haarsträhne zwischen den Fingern. Er musste sich einerseits zwingen einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch andererseits konnte er es kaum erwarten den Turm zu betreten um zu sehen was sie erwartete. Das war etwas, was er sich seit langem gewünscht hatte. Nun ja, er hatte sich nicht direkt gewünscht in der Hölle zu landen, aber all die Jahre war er immer nur belächelt worden, weil er an Geister glaubte und auf Tarotkarten vertraute. Selbst sein Vater hatte ihn einmal beiseite genommen um mit ihm über die Briefe zu reden, die er an seine tote Schwester schrieb. Aber jetzt wusste er endlich, dass sie alle falsch lagen. Er lächelte leicht und versuchte seine plötzliche Freude zu verstecken. Er sah zu Bakura, der sich gerade zum wiederholten Mal über die Wange wischte. Bakura konnte nicht aufhören sich über die Wange zu wischen. Er hatte immer noch das Gefühl, als würde ihn jemand berühren. Es löste Unwohlsein in ihm aus. Wütend starrte er den Turm an und kämpfte dabei gegen den Wind. Er hatte davon mindestens schon genauso die Schnauze voll wie von Nebel. Bakura bemerkte, das Ryou ihn ansah und hörte auf sich über die Wange zu wischen. Mit einem Mal bekam er Herzrasen und er keuchte überrascht auf. „Bist du okay?“, fragte Ryou. Bakura nickte nur. Er konnte sich das Herzrasen nicht erklären. Klar, es hatte schon immer etwas schneller geschlagen, wenn er mit Ryou zu tun gehabt hatte, aber so krass hatte er auch noch nicht erlebt. Er sah wieder zum Turm und konnte es plötzlich nicht mehr erwarten ihn zu betreten. Das stetige Flüstern hatte er nicht bemerkt. Mariku war der einzige, der nicht betroffen war. Neugierig beobachtete er, wie sich der Sturm um den Turm bewegte und den darin gefangenen Seelen keine Ruhe ließ. Ohne zu zögern stieß Mariku die Turmtür auf. „Sei vorsichtig“, zischte Ryou hinter ihm. „Sagt der, der die Tür zur Hölle aufgemacht hat.“ Ryou presste die Lippen aufeinander. Es empfing sie angenehme Wärme und leicht gedämpftes Licht. Nach der Kälte und dem Wind war das eine willkommene Abwechslung. „Hallo Ladies“, sagte Mariku mit einem Grinsen und ließ seinen Blick durch den großen Raum schweifen. Er war gefüllt mit Sukkubi, die sich auf großen Kissen räkelten oder vergoldete Kelche in den Händen hielten. Es wuchsen nicht nur kleine, ledrige Flügel aus ihren Rücken, sondern sie hatten auch dünne Schwänze, die eher an Peitschen erinnerten, und geschwungene Hörner auf ihren Köpfen. Es waren die unterschiedlichen Frauen vertreten und außer den dämonischen Zügen hatten sie noch eine weitere Gemeinsamkeit: eine Tätowierung in Form von Runen zog sich über ihre linken Oberschenkel. Die Sukkubi sahen im ersten Moment überrascht aus, doch dann wandelten sich ihre Gesichtsausdrücke in Freude. Sie schwärmten kichernd näher und betrachteten die Neuankömmlinge. „Passt bloß auf und lasst euch nicht von ihnen verfüh...“ Ein Sukkubus hatte Ryous Gesicht zwischen ihre Hände genommen und lächelte ihn an. Ryou spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch. „Verführen“, flüsterte er. „Du bist so süß.“ Ihre Stimme war weich und angenehm. Ryou spürte, wie sich sein Körper entspannte. Der Sukkubus kam näher. Er spürte ihre Brüste an seiner Brust und beobachtete, wie die Lippen langsam näher kamen. Ryou wurde aus der Umarmung des Sukkubus gerissen und fand sich stattdessen in Bakuras Armen wieder. „Finger weg“, murrte Bakura. Zwei Sukkubi schmiegten sich an ihn, doch Bakura schüttelte beide ab. Er wurde von den Frauen nicht beeinflusst, einfach, weil er noch nie Interesse an Frauen gezeigt hatte. Das würden auch diese Dämonen nicht ändern. Er musste nur aufpassen, dass sie Ryou nicht bekamen. Malik dagegen starrte auf den Boden und schirmte seine Augen noch zusätzlich mit den Händen ab. Seine Wangen waren gerötet. Er hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht gehabt, außer es war seine Schwester. Selbst in der Schule fiel es ihm schwer vernünftig mit seinen Klassenkameradinnen zu reden. Leider schien ihn das noch beliebter zu machen. Jedes Mal, wenn ihn einer der Sukkubi berührte, wich er zur Seite aus. Er linste zu Mariku und biss sich auf die Unterlippe. Mariku war ganz in seinem Element. Anstatt sich von der Sukkubi verführen zu lassen, war er es, der mit den Sukkubi flirtete. Eine Traube hatte sich um ihn gebildet und alle hingen mit geröteten Wangen an Marikus Lippen. Sie kicherten, während Mariku ihnen Komplimente machte. Um eine hatte Mariku seinen Arm gelegt. „Du bist was ganz Besonderes“, flüsterte er ihr ins Ohr, während eine Hand über ihren Hals nach unten wanderte und am Brustansatz stoppte. Federleicht strichen seine Finger über die weiche Haut. Die Augen des Sukkubus waren glasig. Mariku lächelte, auch wenn ihm mehr nach Grinsen zumute war. Es brauchte schon mehr als eine Horde dämonischer Frauen um ihn gefügig zu machen. Bakura dagegen versuchte mit allen Mitteln die Sukkubi von ihm und Ryou fernzuhalten, doch zwei hatten sich gegen seine Arme gedrückt, während zwei weitere langsam Ryou aus seiner schützenden Umarmung zogen. Ryou reagierte kaum. Er lächelte nur entrückt und stand schon ganz unter dem Bann der Sukkubi. „Ryou“, fauchte Bakura, während er sich gegen die Sukkubi stemmte. Trotz ihrer fragil wirkenden Körper waren sie überraschend stark. „Ryou verdammt, komm zu dir!“ Langsam drehte Ryou den Kopf und sah Bakura an. Er blinzelte ein paar Mal und für einen Moment wurde sein Blick wieder klar, doch noch mehr Sukkubi waren bereits zur Stelle und Ryou wandte seinen Blick wieder von Bakura ab. Bakura knirschte mit den Zähnen. Er stieß zwei Sukkubi von sich und bahnte sich seinen Weg zu Ryou, der von den Sukkubi bereits durch den halben Raum geführt worden war. „Wir müssen hier endlich weg!“ „Und zwar so schnell wie möglich“, stimmte Malik zu. Er hatte es bisher ganz gut geschafft sich die Sukkubi vom Leib zu halten. „Ihr seid solche Spielverderber“, erwiderte Mariku grinsend. Malik verdrehte die Augen. „Oder bist du etwa eifersüchtig?“ „Ganz sicher nicht!“ „Ich denk schon.“ Malik tippte sich gegen die Stirn. „Du hast sie ja nicht mehr alle.“ Malik merkte nicht mal, wie sehr sein Blut mit einem Mal in Wallung geriet. Mariku kam näher, die Sukkubi folgten ihm auf dem Fuße. „Mach dir keine Sorgen, du bleibst immer meine Nummer eins.“ „Du auch... auf meiner Hassliste.“ „Du weißt, dass es mich anturnt, wenn du so zu mir bist?“ Die Sukkubi waren nicht mehr interessant. Mariku hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf Malik konzentriert. „Du bist so krank im Kopf!“ Malik verspürte unbewusst ein Gefühl der Befriedigung, als Mariku nur noch auf ihn achtete. „Du wärst hier echt gut aufgehoben.“ „Du würdest mich nur vermissen.“ „Niemals.“ „Und mit wem würdest du dann streiten?“ Eine Antwort blieb Malik ihm schuldig, denn ein Schrei zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Bakura hatte genug vom Wegstoßen und zur Seite schieben, er war zu mehr brachialer Gewalt übergegangen. Zwei Sukkubi lagen auf dem Boden und fauchten wütend, doch Bakura schenkte ihnen keine Beachtung. Er hatte eine andere gepackt und ihr den Arm auf den Rücken gedreht. Er nutzte sie als Schutzschild, während die anderen Ryou als Geisel hielten. Mariku seufzte. „Der kann einfach nicht mit Frauen umgehen. Komm, lass uns die Beiden mal retten.“ Malik folgte Mariku, genauso wie die Sukkubi, die Mariku zuvor bezirzt hatte. Malik presste wütend die Lippen aufeinander. Er kam sich dumm vor Mariku genauso hinterherzulaufen wie diese Dämonen. „Ladies, ich bin sicher, das ist nur ein Missverständnis“, versuchte Mariku die Wogen zu glätten. „Die sollen Ryou freilassen!“ Die Sukkubi fauchten und hatten ihre Klauen erhoben. Ihre Schwänze peitschen durch die Luft. Mariku stellte sich zwischen Bakura und die Sukkubi und ging einen Schritt auf die Sukkubi zu. Diese wichen unsicher einen Schritt zurück. „Entschuldigt meinen Freund, er ist ein Idiot ohne Manieren.“ „Sagt der richtige“, murrte Bakura. „Er weiß einfach nicht, wie er mit zwei so liebreizenden Damen umzugehen hat.“ Malik beobachtete mit gehobenen Augenbrauen, wie Mariku wieder einmal die Sukkubi um den Finger wickelte. Es war erstaunlich wie charmant er plötzlich sein konnte, während er sich ihm gegenüber immer wie ein Arschloch aufführte. Nicht, das Malik das Süßholzgeraspel lieber gewesen wäre. Er wollte gerade den Blick abwenden, als er bemerkte, das Mariku ihn ansah. Er machte eine leichte Kopfbewegung in Ryous Richtung, bevor er sich wieder den Sukkubi zuwandte. Malik sah zu Ryou, der mit leerem Blick nach vorne starrte. Die Sukkubi, die ihn zuvor noch festgehalten hatten, hatten ihn losgelassen und hingen stattdessen an Marikus Lippen. Malik nahm Ryou am Arm und sah zu Bakura. Dieser hatte den Sukkubus losgelassen, die sich jetzt stattdessen an Mariku schmiegte. Er nickte Malik kurz zu. Malik führte Ryou zum anderen Ende des Raumes, wo eine Treppe den Turm hinauf führte. Bakura erreichte die Treppe kurz nach ihnen und widmete sich sofort Ryou. „Ryou, hey, Ryou“, flüsterte er eindringlich und schüttelte Ryou sanft. Malik hatte seinen Blick dagegen auf Mariku gerichtet, der immer noch auf die Sukkubi einredete, dabei aber langsam der Treppe immer näher kam. Er machte eine kurze Winkbewegung, um ihnen zu deuten, dass sie vorgehen sollten. Da Ryou immer noch nicht reagierte, nahm Bakura ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her, die Stufen nach oben. Ryou folgte. Die Treppe schlängelte sich um eine Säule in der Mitte und Malik blieb stehen, nachdem sie die Säule fast einmal umrundet hatten. „Lass uns hier warten.“ Bakura tätschelte leicht Ryous Wange und wiederholte mehrmals seinen Namen. Ryous Blick fokussierte sich auf Bakura. „Ba...kura?“ Seine Stimme war leise. „Schön, dass du wieder bei uns bist.“ Bakura lächelte. „Was...?“ Doch er konnte seine Frage nicht beenden, denn schnelle Schritte waren von unten zu hören und schließlich bog Mariku um die Ecke. Er grinste selbstzufrieden. „Was steht ihr hier rum?“ „Wir haben auf dich gewartet.“ Mariku grinste Malik an. „Das ist aber süß.“ Murrend wandte Malik ihm den Rücken zu. „Lasst uns endlich weiter. Wir verschwenden hier nur Zeit.“ Schweigend stiegen sie die scheinbar endlosen Stufen nach oben. Malik strich sich die Haare zurück. Er gähnte und seine Beine fühlten sich schwer an. Kassandra hatte gesagt, dass sie weder Essen noch Schlaf brauchten, aber im Moment wäre ihm ein Nickerchen ganz recht. Ryou japste hörbar nach Luft, blieb stehen und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Oh nein!“ „Was ist los?“ Bakura legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das eben war ja so peinlich.“ Ryou linste zwischen seinen Fingern hervor. „Erzählt bitte nie jemandem davon.“ Bakura und Mariku lachten, doch Malik war nicht nach Lachen zumute. „Wir haben niemanden, dem wir irgendwas erzählen können, wenn wir uns nicht beeilen.“ „Du bist so ein Miesepeter, weißt du das?“ „Nerv mich nicht.“ Malik setzte den Weg fort, Mariku ging neben ihm. „Du bist noch schlechter drauf als sonst, kann das sein?“ Malik zeigte ihm nur den Mittelfinger. „Entspann dich mal.“ Malik war kurz davor sich auf Mariku zu stürzen um ihm ins Gesicht zu schlagen. „Entspannen? Wir sind kurz davor zu krepieren und du kommst mir mit entspannen?“ Mariku zuckte nur mit den Schultern und ließ sich ein paar Stufen zurückfallen. Malik atmete tief durch um sich wieder zu beruhigen. Was war es nur, dass ihn ausgerechnet bei Mariku immer so ausflippen ließ? Malik warf einen Blick über die Schulter. Mariku hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und seinen Blick auf die Stufen gerichtet. Malik knirschte mit den Zähnen. Irgendwie machte es ihn sogar noch wütender, dass Mariku einfach so dem Streit ausgewichen war. Malik beschleunigte unbewusst seine Schritte und erreichte damit als erster den nächsten Raum, der nicht anders aussah als der erste. Es gab nur einen Unterschied: statt Sukkubi gab es hier Inkubi. Er wich zurück und rempelte dabei gegen Mariku. „Was...?“ Doch Malik drückte ihm die Hand auf den Mund und legte sich selbst den Finger auf die Lippen. Mariku nickte kurz und Malik nahm die Hand weg. „Inkubi“, flüsterte er und spähte um die Ecke. Am anderen Ende des Raums war die nächste Treppe. „Was machen wir jetzt?“, flüsterte Ryou. Er hatte keine Lust, dass sich die Geschehnisse von zuvor wiederholten. Am liebsten wäre er vor Scham im Boden versunken, wenn er nur daran dachte. „Am besten wir lassen Malik vorgehen, mit seiner schlechten Laune verdirbt er jedem die Lust.“ „Pass auf, dass ich dich nicht die Treppe runter schubse“, zischte Malik. „Wir laufen einfach durch“, schlug Bakura vor um einen erneuten Streit der beiden zu verhindern. „Ganz nach dem Motto Augen zu und durch.“ „Ob das klappt?“ Ryou stand der Zweifel ins Gesicht geschrieben. „Haben wir eine andere Wahl?“ Ryou war nicht überzeugt. „Bleib einfach in meiner Nähe und lass dich nicht volllabern.“ Ryou kroch die Röte ins Gesicht, doch nicht wegen Bakuras Worten, sondern weil er sich endlos dafür schämte, dass ihn die Sukkubi so einfach hatten bezirzen können. Dabei hatte er noch zuvor alle gewarnt. „Ach, wie süß.“ Bakura ballte die Hände zu Fäusten. „Halt’s Maul, Mariku.“ „Ich freu mich doch nur für dich.“ Mariku grinste und Bakura verdrehte die Augen. „Manchmal frag ich mich ernsthaft, warum ich mit dir befreundet bin. Eigentlich sollte ich mich mit Malik zusammentun und dir die Fresse polieren.“ „Das war fies.“ „Kommt ihr jetzt endlich?“ Malik tippte unruhig mit seinen Fingern gegen die Wand. „Wir haben noch keinen wirklichen Plan“, warf Ryou. „Der Plan ist, dass ihr euch verdammt nochmal zusammenreißt und nicht wegen einem Paar hübschen Augen komplett den Verstand verliert.“ Mit diesen Worten wagte Malik den ersten Schritt in den Raum. Sofort zog er die Aufmerksamkeit der Inkubi auf sich, doch die währte nicht lange. Es war, als würde ihn eine Aura umgeben, die dafür sorgte, dass die Inkubi sich von ihm abwandten. Mit gehobenen Augenbrauen sah Mariku ihm hinterher. „Ihr könnt sagen was ihr wollte, aber der ist richtig schlecht drauf.“ Ryou nickte langsam. Er kannte Malik gut, aber so schlecht gelaunt hatte er ihn noch nie erlebt. Selbst dann nicht, wenn er wieder in eine seiner endlosen Triaden über Mariku verfiel. Malik war im Moment richtig zum fürchten. Unbehelligt erreichte Malik die Treppe auf der anderen Seite. Er stieg weiter nach oben ohne auf die anderen zu warten. „Dieser Idiot“, murrte Mariku. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, wenn sie voneinander getrennt wurden. Er hastete Malik hinterher, kam jedoch nicht weit bevor die Inkubi ihn einkreisten. Mariku seufzte und ließ wieder seinen Charme spielen. Diesmal war er jedoch weniger bei der Sache. Seine Gedanken kreisten um Malik. Hatte er nicht einfach auf sie warten können? Warum hatte er vorlaufen müssen? „Komm.“ Bakura packte Ryou am Handgelenk und zog ihm am Rand entlang durch den Raum. Seinen Blick hatte er auf den Boden gerichtet. Er war bei den Sukkubi nicht schwach geworden, also würden auch die Inkubi keine Wirkung auf ihn haben. Er musste nur Ryou gut festhalten, dann wäre das alles kein Problem. Zumindest redete sich Bakura das ein. Sein Plan funktionierte solange bis er mit einem Inkubus zusammenstieß und das Gleichgewicht verlor. Vor Überraschung ließ er Ryou los. „Alles in Ordnung?“ Es klang wie Ryous Stimme, doch irgendwie falsch. Bakura sah auf. Lächelnd stand ein Inkubus über ihm und streckte ihm die Hand entgegen. Er hatte lange, schwarze Haare. Bakuras Sicht verschwamm für einen Augenblick und als er wieder klar sehen konnte, war es kein Inkubus, der über ihm stand, sondern Ryou. Bakura war erleichtert. Er ergriff die Hand und ließ sich zurück auf die Beine ziehen. „Ryou“, murmelte Bakura. „Ich bin so froh, dass du auf mich aufpasst“, flüsterte Ryou und ließ seine Finger über Bakuras Brust wandern. „Ich geb mir Mühe.“ Bakura grinste leicht. Hilflos stand der richtige Ryou daneben und konnte nur dabei zusehen, wie Bakura auf die Illusion des Inkubus hereinfiel, wie es ihm selbst zuvor bei den Sukkubi ergangen war. „Mariku!“ „Bin beschäftigt.“ Mariku kam kaum einen Schritt vorwärts, denn die Inkubi waren noch anhänglicher als ihre weiblichen Gegenstücke. „Aber was soll ich machen?“ „Tritt ihm in die Eier.“ Mit zusammengepressten Lippen starrte Ryou Mariku an und blickte dann langsam zu Bakura. „Das kann ich nicht.“ „Tu’s!“ Bakura strich dem Inkubus über die Wange und schien kurz davor ihn zu küssen. Ryou atmete tief durch. „Okay!“ Er schubste den Inkubus zur Seite, der zu überrascht war um zu reagieren. „Tut mir leid.“ Ryou trat zu und Bakura schrie auf. Er ging in die Knie und sah mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Ryou auf. „Warum hast du das gemacht?“ „Mariku hat gesagt, ich soll’s machen.“ Marikus leises Lachen war zu hören. „Warum hörst du auf ihn?!“ Ryou tippte mit seinem Zeigefinger gegen seine Lippen und suchte nach einer Antwort. Bakura ließ sich auf ein nahes Kissen sinken, eine Hand lag in seinem Schritt. „Vergiss es einfach.“ Er sah zu dem Inkubus, der immer noch leicht benommen auf dem Boden hockte. Es war nicht Ryou gewesen. Bakura sah zum richtigen Ryou hoch, der ihn schuldbewusst ansah. Seufzend stand Bakura wieder auf und wuschelte Ryou durch die Haare. „Zumindest hat’s geholfen.“ Ryou lächelte erleichtert. „Lass uns lieber weiter, solange Mariku noch die ganze Aufmerksamkeit kriegt.“ Bakura warf seinem Freund einen kurzen Blick zu. Mariku hatte inzwischen mindestens 20 Inkubi am Hals und hatte nicht wie zuvor die Möglichkeit sich zur Treppe zu bewegen. „Vielleicht sollten wir ihm helfen.“ Bakura stand zwar der Sinn nach Rache, aber er konnte Mariku nicht einfach zurücklassen. Sie brauchten jeden einzelnen von ihnen, wenn sie die Sache durchstehen wollten. „Und wie?“ „Ich lenk sie ab und du holst Mariku raus.“ Während er sprach ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. „Du bist aber ziemlich anfällig für sie.“ Bakuras Blick richtete sich wieder auf Ryou. „Du solltest lieber ganz still sein.“ Verlegen senkte Ryou seinen Blick. Bakura nahm eine der Fackeln, die den Raum erhellten, aus ihrer Halterung. „Ziemlich altmodisch.“ Er sah Ryou wieder an. „Ich mach denen jetzt etwas Feuer unterm Hintern und du schaust, dass du Mariku kriegst.“ Ryou sah zweifelnd von der Fackel zu Bakura, sagte jedoch nichts. Er hoffte, dass Bakura wusste, was er da tat. Da alle Blicke auf Mariku ruhten, konnte sich Bakura ganz unauffällig den Dämonen nähern. Er setzte eins der Kissen in Brand und beobachtete für einen Moment, wie sich die Flammen durch den Stoff fraßen, dann ging er weiter und zündete noch zwei weitere Kissen an. Ein quälender Schrei hallte durch den Raum, als das Feuer den ersten Inkubus erreichte und überraschend schnell in Brand steckte. Schreiend wälzte sich der Dämon auf dem Boden und zog damit jegliche Aufmerksamkeit auf sich. Auch Mariku streckte den Hals um zu sehen was los war. Die Feuer breiteten sich rasend schnell aus und Panik kam auf. Ryou nutzte die Aufregung um sich einen Weg zu Mariku zu bahnen. Als er ihn erreicht hatte, packte er ihn am Arm. Instinktiv zog Mariku den Arm zurück, doch als er Ryou erkannte, atmete er erleichtert aus. Bakura warf die Fackel in die Mitte der Inkubi und verstärkte damit die Panik. Die Dämonen liefen verwirrt durch den Raum und schienen mit der Situation völlig überfordert. Bakura grinste zufrieden. Das hatte überraschend gut funktioniert. Er beobachtete das Chaos, bis Ryou seine Hand griff und zur Treppe zog. „Du genießt das viel zu sehr“, murmelte er. „Lass mir doch meinen Spaß.“ Ryou hob die Augenbrauen, sagte jedoch nichts mehr dazu. Bakura hatte eine seltsame Definition von Spaß, aber zumindest hatte sein Plan geklappt. Mariku hastete, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe nach oben. Jetzt da er die Inkubi los war, hatte er wieder nur Malik im Kopf. Abrupt blieb er stehen, als er Malik an der Wand lehnen sah. Malik hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen. „Bist du total wahnsinnig?“, fuhr Mariku ihn an und Malik öffnete die Augen. „Wenn du nochmal alleine vorrennst, dann...“ „Dann was?“, fragte Malik mit einem spöttischen Grinsen auf den Lippen. Mariku packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Säule. „Dann sorg ich dafür, dass du alleine nicht mehr laufen kannst.“ Ryou blieb überrascht stehen, als er seine beiden Freunde erreicht hatte. Er sah ständig, wie Malik Mariku wütend anbrüllte, Mariku jedoch völlig gelassen blieb. Diesmal war es umgedreht und es war nicht nur ein seltsamer Anblick, sondern auch einer, der Ryou beunruhigte. Er teilte inzwischen Marikus Ansicht, dass Malik ungewöhnlich wütend war. Ryou würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass Malik nicht er selbst war. Sein Verdacht erhärtete sich, wenn er Malik ansah. Etwas in seinen Augen stimmte nicht. Sie hatten ein dunkles Violett angenommen. „Oh, wann denn? Vor den Sukkubi oder nach den Inkubi oder vielleicht dazwischen?“ „Das ist nicht witzig.“ „Ach ja? Für dich ist doch immer alles nur ein Scherz. Der große, tolle Mariku, er ist ja so cool.“ Seine Stimme triefte vor Spott. „Malik, beruhig dich bitte.“ Ryou berührte ihn an der Schulter und zog scharf Luft ein. Malik wandte den Kopf und seine Augen blitzten auf. „Ach Ryou.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, doch sie widerhallte seltsam, als hätte Malik mit zwei unterschiedlichen Stimmen gesprochen. Ryous Hand ruhte immer noch auf seiner Schulter und er schaffte es nicht, sie wegzunehmen. Er spürte einen sanften Wind auf seinen Wangen. „Hey, hier spielt die Musik“, fauchte Mariku und drückte Malik erneut gegen die Wand. „Natürlich, du brauchst ja meine Aufmerksamkeit, nicht wahr?“ Malik drehte seinen Kopf wieder zu Mariku. Mariku knirschte mit den Zähnen. Er spürte den Wind, der schon fast gewaltsam an ihm zerrte, doch keiner der anderen schien ihn zu bemerken. Mit zusammengebissenen Zähnen starrte er Malik an, doch es war nicht „sein“ Malik. Nicht nur Ryou war die Verfärbung von Maliks Augen aufgefallen und es war ihm auch nicht die zweite, weibliche Stimme entgangen, die jedes Mal erklang, wenn Malik sprach. „Du bist nicht Malik“, sagte Mariku plötzlich und ließ ihn los. Überraschung legte sich auf Maliks Gesicht und er stieß Ryou von sich, der gegen Bakura prallte. Bakura konnte das Gleichgewicht gerade noch halten, doch als er Ryou berührte zog auch er scharf Luft ein. Bakura musste sich an der Säule abstützen. Wind strich ihm durch die Haare. Er sah Ryou an. Worauf hatte er endlich die ganze Zeit gewartet? Doch bevor er etwas tun konnte, zog Ryou ihn zu sich und küsste ihn. „Was hast du gesagt?“, fragte Malik leise. „Du bist nicht Malik.“ Sie bekamen gar nicht mit, was Bakura und Ryou taten. „Ach nein?“ Malik lachte. „Haben dir die Dämonen den Verstand aufgeweicht?“ „Ich kenne Malik jetzt schon seit sechs Jahren und er hätte nie zugelassen, dass ich ihn anfasse. Geschweige denn, dass er so ruhig dabei geblieben wär. Du bist nicht Malik und deshalb bist du meine Zeit nicht wert. Und hör mit diesem verdammten Wind auf, der geht mir echt auf den Sack.“ Die Selbstgefälligkeit in Maliks Gesicht wich der Wut und mit der Wut wurden seine Augen wieder heller und seine Stimme begann wieder normal zu klingen. Der Wind erstarb plötzlich. „Es sind sieben Jahre, du Arsch! Seit sieben Jahren muss ich mir deinen Scheiß anhören.“ „Ich bin ziemlich sicher, ich hab erst angefangen dich anzubaggern, als wir in die Pubertät gekommen sind.“ „Blöde Sprüche hattest du früher schon drauf und dein Gesicht musste ich auch ertragen. Es ist über die Jahre nur viel schlimmer geworden!“ Mariku unterdrückte ein Lächeln. Ja, das war der Malik, den er kannte. Von 0 auf 180 in zwei Sekunden, aber es fühlte sich anders an als zuvor. Das war Maliks ehrliche Wut. „Wir wären ein tolles Paar.“ „In meinen schlimmsten Albträumen vielleicht.“ „Immerhin träumst du davon.“ Malik öffnete den Mund und starrte Mariku an, eine Erwiderung blieb er ihm jedoch schuldig. „Hab ich dich sprachlos gemacht?“ „Halt’s Maul“, fauchte Malik. „Und grins nicht so dumm!“ Ryou krallte seine Finger in Bakuras Haare. Er spürte die kalte Wand in seinem Rücken gar nicht, genauso wenig wie den Wind, der sie schon die ganze Zeit umgab. Das einzige was zählte, waren Bakuras Lippen auf den seinen, seine Zunge in seinem Mund und sein Körper gegen ihn gepresst. Sein Herz war fast dabei sich zu überschlagen, während es heftig gegen seinen Brustkorb pochte. Das war so einfach. Warum hatte er früher nur nie den Mut aufbringen können? Aber selbst wenn er mal versucht hatte, Bakura näher zu kommen, war immer alles von Malik und Marikus Streitereien überschattet worden. Genau wie jetzt. Ihre Stimmen nagten an seinen Ohren und er konnte die Situation nicht wirklich genießen. Konnten sie nicht einmal die Klappe halten? Warum konnten sie ihm nicht einmal eine ruhige Minute mit Bakura gönnen? Ryou riss die Augen auf und schob Bakura von sich. Schon fast entsetzt sah er ihn an. „Was ist?“, fragte Bakura leise und wollte Ryou wieder küssen, doch dieser hielt ihn auf Abstand, auch wenn es ihm schwer fiel. „Was machen wir hier eigentlich?“ „Uns küssen?“ Es lag ein leichtes Grinsen auf Bakuras Lippen. Ryou nickte langsam und seine Finger krallten sich in Bakuras Shirt, als wollte er ihn näher ziehen. Sein Blick richtete sich auf Malik und Mariku, die immer noch stritten. Irgendwas war nicht richtig. Sie waren im ersten Kreis der Hölle. Lust. Nein, nicht nur Lust allein, sondern auch... „Leidenschaft“, flüsterte Ryou. Wind spielte mit seinen Haaren. „Nicht nur Lust.“ Er ließ Bakura los und schlug sich mit der Faust auf die Handfläche. „Das ist es! Wir sind mitten in die Falle getappt.“ Er sah Bakura mit einem zufriedenen Lächeln an. Warum war er nur noch nicht früher darauf gekommen? „Der Wind verstärkt unsere Lust aufeinander“, er deutete zwischen sich und Bakura hin und her, „aber auch Maliks Leidenschaft mit Mariku zu streiten.“ „Was?“, fauchte Malik seinen Freund an. Er hatte ihm zuvor nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch bei seinem letzten Satz war er hellhörig geworden. „Du streitest sooft mit Mariku, weil es dir gefällt.“ „Bist du jetzt total bekloppt?“ Doch Ryou ließ sich nicht beirren. „Seit wir diesen Turm betreten haben, versuchst du konsequent Streit mit Mariku anzufangen. Verstärkt wird das durch den Wind.“ „Welchen Wind?“ „Dieser Scheißwind ist schon die ganze Zeit da, wie kannst du den nicht bemerken?“, fragte Mariku mit gehobenen Augenbrauen. Malik sah Mariku an, dann Ryou. „Ich hab keine Ahnung von was ihr redet.“ „Weil du immer noch unter dem Bann stehst, deshalb.“ „Ich stehe unter keinem Bann“, fauchte Malik. „Also stehst du einfach so drauf mit mir zu streiten?“ Marikus Grinsen trieb Malik erneut zur Weißglut. „Hört auf! Hört auf! Hört auf!“ Ryou schob sich zwischen die beiden Streithälse, doch als seine Finger Malik leicht streiften, spürte er erneut den aufdringlichen Wunsch Bakura gegen die Wand zu drücken. Ryou zog seine Hand zurück und drückte schützend an sich. Er starrte Malik an, der misstrauisch die Augen zusammengekniffen hatte. „Was ist?“ „Nichts“, antwortete Ryou schnell. Er wandte den Blick von Malik ab. Sein Herz raste. Sie mussten so schnell wie möglich hier weg. Malik stand schon zu sehr unter dem Einfluss dieses Kreises, wenn sie noch mehr Zeit verschwendeten könnten sie ihn verlieren. „Weiter und nicht streiten.“ Ryou ging diesmal vor. Er hätte niemals erwartet, dass es Malik sein würde, der am heftigsten betroffen war. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Mariku hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und linste immer wieder zu Malik hinüber, der jedoch stur geradeaus starrte. Ryou sah wieder nach vorn. Er hatte viel mehr damit gerechnet, dass es Mariku war, der ihnen Probleme machen würde, doch Mariku schien überhaupt nicht betroffen zu sein. Ryou seufzte und fasste sich an die Lippen. Wobei nicht alles schlecht war, was in den letzten Minuten passiert war. Er unterdrückte ein Grinsen. Malik knirschte zum wiederholten Male mit den Zähnen. Ryous Worte nagten an ihm und es fiel ihm schwer seine Wut zu unterdrücken. Warum musste Mariku so nah bei ihm gehen? Warum musste er ihn überhaupt ertragen? Außerdem fand er es alles andere als toll mit Mariku zu streiten. Ryou war wohl nicht mehr ganz dicht, so etwas zu behaupten. Er, und es genießen mit Mariku zu streiten? Malik stieß Luft aus. Von wegen! Es wäre ihm viel lieber, wenn er sich nicht ständig aufregen müsste. Malik stutzte. Aber hieß, nicht mit Mariku zu streiten, mit ihm auszukommen? Malik schüttelte leicht den Kopf und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Am einfachsten wäre es immer noch, wenn Mariku ihn schlicht und ergreifend in Ruhe ließ, dann musste er weder mit ihm streiten, noch mit ihm auskommen. Sollte er doch einen anderen belästigen und ihm ständig seine Aufmerksamkeit schenken. Malik biss sich auf die Unterlippe und ballte eine Hand zu einer Faust. Bakura fühlte sich nutzlos. Er trottete den anderen hinterher und dachte über das nach, was Ryou gesagt hatte. Was sollte er jetzt noch von diesem Kuss halten? Zählte er überhaupt? Hatten sie sich nicht nur geküsst, weil sie unter einer Art Zauber standen? Aber Ryou hatte auch gesagt, er würde nur ihre Wünsche verstärken, also war es damit doch ein richtiger Kuss gewesen? Er musste sich zusammenreißen, sich nicht die Haare zu raufen. Er sah zu Ryou und bemerkte, wie er sich an die Lippen fasste. Ryou sah nicht so aus, als würde er bereuen was passiert war. Das Kribbeln in seinem Bauch gab ihm ein gutes Gefühl. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten sie schließlich die Turmspitze. Eine elegant mit Ranken verzierte Holztür versperrte ihnen den Weg. Ryou legte eine Hand auf die goldene Klinke und atmete tief durch. Dahinter konnte sie so gut wie alles erwarten. „Bereit?“ „Mach schon auf“, murrte Malik ungeduldig. Ryou drückte die Klinke hinunter und stieß die Tür auf, trat jedoch noch nicht ein. Die vier Jungen streckten neugierig ihre Hälse. Fast gegenüber der Tür saß eine Frau. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen und ihre Hände ruhten auf ihrem Oberschenkel. Lächelnd betrachtete sie ihre neuen Gäste, die sie eher misstrauisch beäugten. „Willkommen.“ Sie erhob sich. Ihr weißes Kleid schimmerte und schien die Farbe zu wechseln, wenn sie sich bewegte. Ryou warf einen unsicheren Blick zu seinen Begleitern, doch sie hatten sowieso keine andere Wahl als einzutreten. Er bereute es in dem Moment, als er einen Fuß über die Schwelle setzte. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst und fast wäre er in die Knie gegangen. Er spürte, wie seine Wangen glühten. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er verspürte ein Kribbeln in seinem Bauch. Es war dasselbe Gefühl wie zuvor, als er Malik berührt hatte, nur hundertfach verstärkt. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Er sah zu der Frau auf, deren Blick immer noch auf ihnen ruhte. Ihre violetten Augen leuchteten in freudiger Erregung. Ryou wandte den Blick ab und sah zu Bakura. Der brennende Wunsch ihn wieder zu küssen und zu berühren überrollte ihn wie eine Welle. Die Sehnsucht nach ihm zerriss ihn innerlich und doch konnte er sich keinen Millimeter rühren. Er sah ihn nur an und Bakura erwiderte seinen Blick. Bakura ballte die Hände zu Fäusten, während er seinen Kiefer anspannte. Wieder überkamen ihn dieselben Gelüste wie zuvor, doch diesmal war sein Verstand klarer. Er nahm seine Gefühle bewusst wahr und doch schien er machtlos gegen die Sehnsucht zu sein. Ihre „Mission“ war auf einmal nicht mehr wichtig. Wen kümmerte das Ende der Welt, wenn er Ryou küssen konnte? Er hatte einfach zu lange gewartet. Und doch nagte etwas an ihm. Eine kleine Stimme der Vernunft, die jedoch zu leise war um gegen die Einflüsterungen zu bestehen. Es fiel Bakura schwer die Augen von Ryou abzuwenden. Er verengte die Augen als er die Frau ansah. Es war ihre Stimme, die er schon die ganze Zeit gehört hatte. „Wer bist du?“, murrte Mariku, der als einziger verschont wurde. Die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss. „Mein Name ist Mai.“ Sie wickelte eine Strähne ihres langen blonden Haars um ihre Finger. „Und ich herrsche über die Lust.“ „Also ist es deine Schuld, dass hier alle so abdrehen?“ Der Raum war mit Rüstungen und Waffen verziert, was für Mariku eher fehl am Platz wirkte, doch sich auch als nützlich erweisen konnte. Er beäugte den Waffenständer in seiner Nähe. „Wenn du es so ausdrücken möchtest, ja.“ Sie lächelte. Ihr Lächeln wirkte süß und ehrlich, doch Mariku sah die Falschheit dahinter. Diese Frau war nicht, was sie vorgab zu sein. Marikus Blick fiel kurz auf Malik, der mit leeren Augen neben ihm stand und apathisch nach vorne starrte. „Du bist etwas Besonderes.“ Mariku zuckte zurück, als Mai plötzlich direkt vor ihm stand und seine Wange berührte. Er schlug ihre Hand weg und für einen Moment verwandelten sich ihre Finger in Klauen. Mariku blinzelte und war sich nicht sicher, was er gesehen hatte. „Du widerstehst all meinen Zaubern.“ Ihre Stimme war verheißungsvoll und ein Teil von Mariku wollte ihr nachgeben. Selbst wenn sie schwieg, schien sie ihm die Erfüllung seiner Wünsche zu versprechen. Sein Blick wanderte zu Malik. Er könnte ihn haben. Endlich. Nach all den Jahren. Er musste nur nachgeben. Wie von fern hörte er Flügel rascheln und leises Flüstern. Mariku blinzelte erschrocken und wandte den Blick von Malik ab. Für einen Augenblick erhaschte er einen Blick auf Mais wahres Aussehen: ihr Gesicht war immer noch hübsch, doch schrecklich zugleich. Die Nase länger und gebogen wie ein Schnabel; das Kleid in Wahrheit ein Federkleid; die Arme unnatürlich lang, flügelgleich und mit Klauen statt Händen. Doch nur einen Augenaufschlag später hatte Mai wieder ihr menschliches Aussehen angenommen und immer noch lag ein Lächeln auf ihren Lippen. Mariku zuckte mit den Schultern; wischte die Einflüsterungen aus seinen Gedanken. „Ist nichts Besonderes.“ „Du bist so voller Leidenschaft, du solltest längst auf Knien vor mir sein.“ Ein überhebliches Grinsen legte sich auf Marikus Lippen. „Im Gegensatz zu denen“, er deutete auf seine Freunde, „unterdrück ich meine Leidenschaft aber nicht.“ Mai lachte. „Am Ende wird es dir nicht anders ergehen als deinen Freunden.“ Doch Mariku schüttelte nur den Kopf. „So lang bleiben wir gar nicht hier.“ „Ach ja?“ Mariku hörte die Erheiterung in ihrer Stimme. „Du denkst, ihr kommt hier weg?“ Sie lachte erneut und diesmal klang es weitaus bösartiger. Sie schnippte mit den Fingern und eine Sanduhr tauchte über ihnen in der Luft auf. „Euch läuft die Zeit davon.“ Mariku beobachtete wie der Sand unaufhaltsam durch das Glas rann. Es war nicht mehr viel übrig. Er richtete seinen Blick wieder auf Mai. „Was willst du?“ „Du bist sehr faszinierend.“ Sie sah zu Malik. „Genauso wie er hier.“ Es kam Bewegung in Malik und Mai zog ihn in seine Arme. Sie strich ihm durch die Haare. Mariku knurrte und verengte die Augen zu Schlitzen. „Lass ihn los!“ Mais Finger spielte mit seinen Haaren. „Er ist dir sehr wichtig.“ Sie sah Mariku herausfordernd an. „Es kommt nur selten vor, dass jemand so anfällig auf mich reagiert. Er ist bei mir gut aufgehoben.“ Mariku ballte seine Hände zu Fäusten. „Lass ihn los“, wiederholte er. Mai hob Maliks Kinn an und sah ihm in die leeren Augen. „Es steckt so viel Leidenschaft in ihm.“ Sie sah kurz zu Mariku. „Mehr als in dir.“ Sie kicherte. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ „Nein“, knurrte Mariku. „Spielverderber.“ Sie sah hoch zur Sanduhr und dann wieder zu Mariku. Nebenbei strich sie Malik wieder durch die Haare. Malik ließ den Kopf hängen wie eine Puppe. „Trotzdem hab ich an ihm weniger Interesse als an dir.“ „Dann lass ihn frei.“ „Aber ich tue nichts ohne eine Gegenleistung.“ Ihr Gesicht nahm wieder dämonische Züge an. „Opferst du dich für ihn?“ „Ja“, kam es ohne zu Zögern über Marikus Lippen. „Bist du irre?“, fuhr Bakura ihn an. „Das machst du nicht!“, mischte sich auch Ryou ein. Überrascht sah Mariku sie an. An die Beiden hatte er im Moment gar nicht mehr gedacht. Bakura und Ryou hatten ihren eigenen Kampf gefochten, während sich Mariku um Mai gekümmert hatte. Sie hatten sich nicht bewegt; nicht aufgrund des Zaubers, sondern aus eigenem Willen heraus. Beiden war bewusst, dass, wenn sie sich erst einmal berührten, der Zauber über sie zu stark werden würde um ihn wieder abschütteln zu können. Und es schmerzte. Ryou hatte das Gefühl, dass es ihn innerlich zerriss. Ihm drehte sich nicht nur einmal der Magen um und er zitterte, während seine Vernunft und sein Verlangen gegeneinander kämpften. Er hatte wirklich nicht gedacht, dass seine Gefühle für Bakura so tief saßen. Er mochte ihn, aber er hatte dem nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Jetzt schienen sich all die Gefühle, die er beiseite gewischt hatte, gleichzeitig auf ihn zu stürzen und das war nicht angenehm. „Wir müssen bei Gelegenheit dringend mal reden“, flüsterte Bakura. Dadurch, dass sich Mai immer stärker auf Mariku konzentrierte, war ihr Einfluss auf Bakura und Ryou schwächer geworden. Ryou merkte, wie er mehr und mehr Kontrolle über sich zurückerlangte, doch seine Gefühle und Gedanken waren immer noch aufgewühlt. Er nickte. „Sehr dringend.“ Ryou trat einen Schritt vor und griff nach Bakuras Shirt. Bakura zuckte kurz zurück, ließ die Berührung jedoch zu. Er genoss das aufgeregte Herzklopfen, als Ryou ihn anlächelte. Es war echtes Herzklopfen, nicht ausgelöst durch den Zauber unter dem sie standen. Ryous Lächeln verwandelte sich jedoch in genervtes Augenrollen, als er Marikus Worte hörte. „Wenn ich bleibe, dürfen die anderen gehen?“ „Das ist die Abmachung.“ „Mariku, wenn du das machst“, fing Bakura an, wurde jedoch unterbrochen. „Hör auf den Helden zu spielen.“ Maliks Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und doch klar verständlich. Alle Blicke richteten sich auf ihn. „Das ist echt widerlich.“ Er schlug den Kopf zurück und traf Mai mitten ins Gesicht. Sie kreischte und ließ Malik los. „Idiot.“ Mariku grinste. „Willkommen zurück.“ „Fick dich.“ „Ich hab dich wirklich vermisst.“ „Ihr haltet auch keine zehn Sekunden ohne Streit aus, was?“ „Ich muss doch Maliks Sehnsüchte stillen.“ „Wenn wir das hier überleben, bring ich dich um.“ „Wir sollten uns beeilen, wenn wir das hier überleben wollen.“ Mai hatte inzwischen ihre wahre Gestalt angenommen. Wie ein Raubvogel stand sie vor ihnen. Die Schwingen ausgebreitet, zeigte sie ihre scharfen Zähne. Wie ihre Hände waren auch ihre Füße klauenbesetzt. Ihre Federn waren weiß, doch schimmerten lila bei jeder Bewegung, wie zuvor auch schon ihr Kleid. „Eure Seelen gehören mir!“, kreischte sie jetzt mit einer weniger angenehmen Stimme. „Abgelehnt“, erwiderte Mariku. „Greift euch ne Waffe!“ Doch bevor er seinen eigenen Worten Folge leisten konnte, griff Mai ihn an. Mariku stolperte mehr zur Seite, als das er bewusst auswich, doch dadurch verfehlten Mais Klauen ihn knapp. „Für euch gibt es kein Entkommen.“ Sie schlug wieder nach Mariku und streifte seine Schulter. Mariku zog scharf Luft ein und griff nach der Wunde. Blut blieb an seinen Fingern kleben. „Scheiße“, murmelte er und duckte sich weg. „Etwas Hilfe wär nicht schlecht!“ Ryou starrte auf das Schwert in seiner Hand. „Ich glaube nicht, dass ich damit umgehen kann. Außerdem ist es echt schwer.“ „Lass das mal den Profi machen.“ Bakura wog die Axt in seiner Hand und trat anschließend auf Mai zu. Ryou und Malik sahen ihm hinterher. „Woher kann der das?“ Malik zuckte nur mit den Schultern. Mai hatte Mariku zwischen ihre Klauen bekommen und drückte ihn gegen die Wand. Mariku stemmte sich gegen ihren Griff, doch seine Bewegungen waren durch die Klauen eingeschränkt. Eine falsche Bewegung und er würde sich selbst aufspießen. „Ihr habt keine Zeit mehr.“ Sie lachte schrill und deutete auf die Sanduhr. Ihnen blieben nur noch wenige Minuten bis der Sand durchgelaufen war. „Lass die anderen gehen!“, forderte Mariku. „Dafür ist es zu spät!“ Wahnsinn glänzte in Mais Augen. „Ich werde euch dabei zusehen lassen, wie eure Welt zugrunde geht.“ Ihr Lachen widerhallte im Raum, doch wurde jäh unterbrochen. Blut spritzte Mariku ins Gesicht und er spuckte, als er welches in den Mund bekam. Er konnte sich aus dem Klauengriff befreien, während der Körper nach hinten fiel und Bakuras Schuhe mit Blut tränkte. „Das Gelaber war ja nicht auszuhalten.“ Bakura stützte sich auf der Axt ab und grinste Mariku an. „Gern geschehen.“ „Hättest dich ruhig etwas beeilen können.“ Mariku trat gegen Mais Kopf, der gegen die Wand flog und dabei eine Blutspur hinter sich herzog. „Wir sollten uns allgemein etwas beeilen“, drängte Ryou und hatte seinen Blick auf die Sanduhr gerichtet. „Wir haben höchstens noch ein paar Minuten.“ „Aber wo geht’s zum nächsten Kreis?“, fragte Malik und sah sich um. Die anderen drei machten es ihm nach. „Es muss irgendwo einen Ausgang geben. Sucht!“ Hektisch tasteten sie die Wände ab und öffneten die Tür durch die sie gekommen waren, doch auch hier zeigte sich kein Weg, der in den dritten Kreis führte. Die Sandkörner rieselten durch das Glas und erhöhten den Druck, der auf den jungen Männern lastete. Malik zog den Vorhang zur Seite, der das Fenster verhüllte. Zumindest hatte er gedacht, dass es ein Fenster war. „Hier!“ Hinter dem Vorhang kamen ein kurzer Gang und eine Tür zum Vorschein. Der Gang lag etwas erhöht, sodass Malik sich hochstemmen musste um hineinzukommen. Er packte den verrosteten Griff der Tür und zog daran. Nur mühsam bewegten sich die Scharniere. Malik biss die Zähne zusammen. Fast wäre er wieder aus dem Gang gefallen, als die Tür mit einem Mal aufschwang. Dahinter lag nur Nebel, der keinen Hinweis darauf gab, was sich in ihm versteckte. „Ich hasse Nebel“, murmelte Bakura. „Beeilt euch, beeilt euch!“, hetzte Ryou und schob Bakura schon fast auf die Tür zu. „Schneller!“ „Geh du vor mir“, sagte Bakura, doch Ryou verdrehte die Augen. Er schubste Bakura, der gegen Malik stieß, sodass sie gemeinsam durch die Tür fielen und im Nebel verschwanden. Sie hatten keine Zeit darüber zu diskutieren, wer als erster durch die Tür gehen sollte. Ryou presste die Augenlider aufeinander, als er durch die Tür trat und vom Nebel verschluckt wurde. Mariku sah sich im Raum um. Es wäre nützlich, wenn er die Waffen mitnehmen würde, doch ein Blick auf die Sanduhr sagte ihm, dass er nicht einmal Zeit hatte, nach der Axt zu greifen, die nur wenige Schritte von ihm entfernt lag. Er seufzte und trat durch die Tür, als das letzte Sandkorn nach unten fiel. Kapitel 5: Maßlosigkeit ----------------------- Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muss, Du siehst's, auf mich sich ew'ger Regen gießen. Und mich allein nicht züchtigt dieser Guss, Nein, alle diese leiden gleiche Plagen Für gleiche Schuld. - So seiner Rede Schluss. - Dantes Inferno, Sechster Gesang Grau in Grau. So sah der Himmel über ihnen aus. Eiskalter Regen fiel ohne Unterbrechung aus den schweren Wolken. Während der Regen Malik aufs Gesicht prasselte, fragte er sich, ob er schon jemals sein Leben so gehasst hatte. Das einzige, das nicht im Schlamm versunken war, war sein Gesicht. Und bei dem fauligen Geruch, der ihm in die Nase stieg, hoffte er sehr, dass es wirklich nur Schlamm war. Nicht weit von ihm hörte er Bakura darüber meckern, dass er schon wieder bis auf die Knochen durchnässt war. Etwas bewegte sich durch den Schlamm und Mariku tauchte in seinem Blickfeld auf. „Wie lange willst du da noch liegen bleiben?“ Schlamm und Regen tropfte aus Marikus Haaren und er wischte sich mit dem Handrücken über die Wange, womit er den Schlamm darauf nur noch mehr verteilte. „Ich hab keinen Bock mehr.“ „Wir sind erst am Anfang.“ „Mir egal.“ Mariku streckte ihm die Hand hin. „Komm schon. Wir dürfen keine Zeit verschwenden.“ Malik starrte Marikus Hand an und entschloss sie zu ignorieren. Er brauchte keine Hilfe von Mariku. Nicht schon wieder. Malik stemmte sich hoch, doch seine Hand rutschte weg und er sank zurück in den Schlamm. „Was für eine verfluchte Scheiße!“ Malik schlug in den Schlamm, der um ihn herum hochspritzte. Er sah zu Mariku hoch und erwartete ein dummes Grinsen auf dessen Lippen zu sehen, doch Mariku hatte keine Miene verzogen und hielt ihm immer noch seine Hand hin. Malik nahm zähneknirschend das Angebot an knirschte und ließ sich von Mariku auf die Beine ziehen. Zumindest war das der Plan. Mariku verlor sein Gleichgewicht und rutschte auf dem glitschigen Untergrund aus. Überrascht ließ er Maliks Hand los und beide fielen wieder in den Matsch. „Du bist so ein Versager.“ „Ich hab uns vorhin den Arsch gerettet.“ „Heldenkomplex.“ „Dir geht einer ab, wenn wir uns streiten, was hast du dazu zu sagen?“ Malik knirschte mit den Zähnen. „Halt’s Maul!“ „Ich wusste schon immer, dass du auf mich stehst.“ „Halt’s Maul, hab ich gesagt!“ Er packte eine Handvoll Schlamm und warf sie in Marikus Richtung. Mariku wich aus. „Könnt ihr einfach beide die Klappe halten?“ Ryou und Bakura standen neben ihnen. Sie sahen auch nicht besser aus als Malik und Mariku. Bakura versuchte den Schlamm aus seinen Haaren zu bekommen, während Ryou durchweichtes Papier in der Hand hielt. „Die Karte ist völlig unbrauchbar!“ Er faltet sie auf und der untere Teil riss dabei fast komplett ab. Die Schrift war verschmiert und verronnen und dadurch kaum mehr leserlich. Frustriert ließ Ryou die Karte fallen. „Und jetzt?“, fragte Malik und richtete sich endlich auf. Er hielt die Hände zusammen und sammelte Regenwasser darin, in der Hoffnung sich zumindest etwas sauber zu kriegen. Er zitterte leicht. Der Regen war so kalt, dass er auf der Haut wehtat. „Weißt du trotzdem, was noch kommt?“ „Wir sind im dritten Kreis, Maßlosigkeit, danach kommt Habgier und dann... ähm...“ Er zog die Stirn kraus und starrte auf die Überreste der Karte, während er nachdachte. Es war ganz einfach. Es lag ihm förmlich auf der Zunge. Was war der fünfte Kreis? „Ist es nicht nach den Todsünden aufgebaut?“, fragte Bakura nach. Er machte es inzwischen Malik nach und sammelte Wasser in seinen Händen. „Ich glaube, aber es gibt nur sieben Todsünden, aber neun Kreise.“ „Der erste hatte doch nichts mit diesen Sünden zu tun, vielleicht der letzte auch nicht?“ Malik wischte sich über die Arme. Der Schlamm ging nur schwer ab, obwohl es die ganze Zeit drauf regnete. Ryou dachte über Maliks Worte nach und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was er von Dantes Inferno noch wusste. Es war gar nicht so lange her, seit er das letzte Mal die Göttliche Komödie aus dem Bücherregal seines Vaters gezogen hatte. Er las sie gerne, wenn er nicht schlafen konnte, doch je mehr er versuchte sich zu erinnern, desto schwerer fiel es ihm. In der Schule hatte er sogar noch ein italienisches Zitat daraus erkannt, doch jetzt konnte er sich noch nicht einmal mehr an das erinnern. Ryou legte den Kopf in den Nacken und ließ es sich aufs Gesicht regnen. Es war, als wollte dieser Ort verhindern, dass er zu viel wusste. „Ryou?“ Ryou sah Bakura an. „Ich weiß nicht“, sagte er leise. „Ich weiß nicht, was wir machen sollen.“ Er ballte seine Hände zu Fäusten und richtete seinen Blick auf den Boden. Er stand bis zu den Waden in Schlamm. Ohne das Wissen fühlte er sich mit einem Mal nutzlos. Er war so aufgeregt gewesen hierher zu kommen. Es war endlich der Beweis, dass er kein Spinner war mit seinen Tarotkarten und dem Oujiabrett. Das Übernatürliche existierte und er war mitten drin. Ryou ließ den Blick schweifen. Soweit das Auge reichte, gab es nichts als Schlamm und der Regen, der auf sie niederprasselte, schien ihn in die Knie zwingen zu wollen. Das hier war kein Spiel und auch kein lustiges Abenteuer, sondern bitterer Ernst. Ryou presste die Lippen aufeinander. Bakura legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir gehen weiter. Ganz einfach, egal was kommt.“ Ryou fiel es schwer ihm in die Augen zu sehen. Er hoffte, dass sein Gesicht dreckig genug war, damit niemand sah, dass er rot wurde. „Seid ihr Turteltauben dann mal fertig?“ Bakura und Ryou drehten ihre Köpfe gleichzeitig in Marikus Richtung. „Ich bring ihn um“, murmelte Ryou. „Ich zuerst.“ Bakura nahm seine Hand von Ryous Schulter. „Die Turteltauben sind fertig.“ Er schlug Mariku auf den Rücken, so stark, dass dieser sein Gleichgewicht verlor und der Länge nach in den Schlamm fiel. Ryou lachte leise hinter vorgehaltener Hand. Malik machte sich nicht die Mühe sein schadenfrohes Lachen zu verstecken. Bakura grinste nur, während Mariku spuckend wieder auf die Beine kam. „Das ist der Dank?“ Mariku wischte sich über den Mund. „Ich rette euch den Arsch und das ist was ich kriege? Nächstes Mal könnt ihr euch selber retten!“ „Mariku, du hast doch angefangen, jetzt reg dich ab.“ Mariku zeigte Bakura den Mittelfinger. „Macht doch was ihr wollt.“ Er drehte sich um und stapfte davon. Bakura und Ryou sahen sich an und anschließend zu Malik. Malik zuckte nur mit den Schultern. Bakura seufzte. „Mariku, warte! Jetzt bleib doch stehen.“ Doch die einzige Antwort, die Mariku gab, war sein Mittelfinger. „Du hast selbst gesagt, wir sollen zusammen bleiben. Mariku, hey!“ Bakura verdrehte die Augen. „Dieser Sturkopf!” Mariku war nicht mal wirklich wütend. Normalerweise hätte er wohl eher gelacht und es Bakura auf die gleiche Weise heimgezahlt, doch ihm war nicht danach. Er kannte dieses nagende Gefühl nur zu gut, das seine Laune verschlechterte: er hatte Hunger. Was würde er jetzt nicht alles für Pizza geben. Sollte die Welt doch untergehen, er wollte einfach nur Pizza. Curry. Irgendwas frittiertes. Egal. Er wollte etwas essen. Murrend legte er seine Hand auf den Bauch. Wasser lief ihm im Mund zusammen, während er an all das leckere Essen dachte. Krampfhaft versuchte er seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken. Mariku warf einen Blick über die Schulter. Die anderen folgten ihm mit einigen Metern Abstand. Bakura und Ryou unterhielten sich. Mariku konnte sich schon denken über was. Sein Blick fiel auf Malik. Der hatte die Arme um sich gelegt und blickte missmutig drein. Nichts Neues also. Sollte er Streit mit ihm anfangen? Das würde ihn zumindest von seinem Hungergefühl ablenken. Mariku schluckte. Wie es wohl war ein Stück aus ihm zu reißen und das Fleisch in seinem Mund zu schmecken? Erschrocken riss er seinen Blick von Malik los und legte sich die Hand auf den Mund. Er würgte. Das hatte er nicht wirklich gerade gedacht? Er linste nochmal zurück. Er spürte regelrecht, wie das Blut über sein Kinn lief. Saftiges Fleisch in seinem Mund. Mariku schluckte. „Willst du reden?“, fragte Bakura leise. „Jetzt ist nicht unbedingt der beste Zeitpunkt dafür“, blockte Ryou ab. Er starrte nach vorn um Bakura nicht ansehen zu müssen. Bakura hob die Augenbrauen. „Wieso nicht? Wir haben sonst auch nichts zu tun.“ „Über was willst du denn reden?“ „Über uns?“ Was sollte dieses Spielchen? Ryou seufzte und sah Bakura schließlich doch an. „Ich denke, es ist alles ziemlich klar.“ „Naja, teilweise, vielleicht, aber...“ Er stockte. Sie hatten sich geküsst und ihre Gefühle füreinander waren zwangsoffengelegt worden, doch wollten sie auch dasselbe? Ryou machte eher den Eindruck, als wollte er den Vorfall vergessen. Bakura kam bei ihm einfach nicht weiter und damit war er nicht zufrieden. „Hör zu, wenn wir das alles überlebt haben, dann können wir darüber reden.“ Schon fast hoffte Ryou, dass es nie dazu kam. Er mochte Bakura, wollte mit ihm zusammen sein, aber die ganze Zeit hatte er all diese Fantasien gehabt, wie es zwischen ihnen sein könnte, dass er Angst hatte, dass die Realität alles kaputtmachen würde. Ryou presste die Lippen aufeinander. Er wusste selbst nicht, was er wollte. Außer vielleicht was zu essen. Ryou stutzte. Essen? „Ich würde das aber gern besprechen bevor die Welt untergeht.“ Ryou hörte ihm nicht zu, sondern war auf das plötzliche Hungergefühl konzentriert. „Hast du auch Hunger?“ Bakura zog die Stirn kraus. „Was?“ „Hast du Hunger?“ Bakura blieb einen Moment still. Er sah Ryou an und der plötzliche Wunsch nach Fleisch drängte sich ihm auf. Wann hatte er zuletzt ein Steak gegessen? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. „Ein bisschen.“ „Wieso?“, murmelte Ryou mehr zu sich selbst. „Kassandra hat gesagt, wir würden keinen Hunger haben.“ Er war mehr als irritiert. „Hängt wahrscheinlich mit Maßlosigkeit zusammen. Wird ja typischerweise mit übermäßigem Essen in Verbindung gebracht.“ Ryou schlug sich leicht gegen die Stirn. „Ja, natürlich, das macht Sinn.“ Seine Miene hellte sich etwas auf, nur um sich gleich wieder zu verdunkeln. „Wir müssen gut aufpassen.“ Ungewollt drängte sich sein Versagen im vorherigen Kreis zurück in sein Gedächtnis. Das würde ihm auf ewig peinlich sein. Er war nur froh, dass niemand gesehen hatte, was er gesehen hatte. Malik starrte Mariku an. Er genoss es überhaupt nicht mit ihm zu streiten. Mariku war nervig, seine bloße Existenz war ein Störfaktor in Maliks Leben. Wieso sollte er es also genießen mit ihm zu streiten? Der Gedanke war absurd! Doch man hatte Mariku diesen Floh ins Ohr gesetzt und jetzt musste er sich das bestimmt bis zum Ende seines Lebens anhören. Er seufzte und schlang die Arme fester um sich. Der Regen wusch langsam den Schlamm von seiner Haut, doch damit verlor er den Schutz gegen den eisigen Regen. Fast wollte er wieder in den Schlamm tauchen; der wäre zumindest warm. Mariku bemerkte, dass der Untergrund leicht anstieg und der Schlammpegel absank. Er blickte wieder über die Schulter. Die anderen waren ein Stück unter ihm. Schnell wandte er den Blick wieder nach vorne um nicht wieder erneut den verstörenden Gedanken Malik zu essen zu bekommen. Um sich abzulenken hatte er angefangen die Namen ägyptischer Herrscher chronologisch in seinem Kopf aufzuzählen. Sein Vater hatte ihm das beigebracht. Er erreichte die Spitze des kleinen Hügels. Nur wenige Meter vor ihm lag eine breite Straße, zumindest sah es aus wie eine Straße. Sie war ebenfalls mit Schlamm bedeckt, doch zu beiden Seiten sank der Untergrund ab, sodass sie etwas erhöht lag. Verfallene Hütten standen vereinzelt links und rechts von ihr. Sie waren komisch gebaut, jedoch an den schrägen Untergrund angepasst. Mariku bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel und richtete erst jetzt seine Aufmerksamkeit auf den schmalen Graben direkt vor ihm. Ein Mann trieb, mit dem Gesicht nach unten, direkt vor seinen Füßen. Mariku sprang vor Schreck zurück, rutschte aus und fiel auf den Hintern. Sein erschrockener Blick war immer noch auf den Körper vor ihm gerichtet. Etwas berührte ihn am Arm und er drehte den Kopf. Augen und Mund waren weit aufgerissen und Regenwasser hatte sich im Mund gesammelt. Es rann an den Seiten hinunter. Die Wangen der Frau waren eingesunken und die Haut war straff über ihren Körper gespannt. Hinter ihr bemerkte Mariku noch mehr Körper. Der ganze Graben war voll mit ihnen. Mariku krabbelte rückwärts weg und rutschte den Hügel ein Stück hinunter bis er vor Maliks Füßen zum Halten kam. „Was ist los?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Malik auf ihn hinunter. „Leichen“, war Marikus heisere Antwort. „Leichen?“ Bakura und Ryou hatten aufgeholt. Mariku kam wieder auf die Beine. „Ein ganzer Graben voll.“ Bakura ging an ihm vorbei, gefolgt von Ryou. Malik zögerte, er war nicht so scharf darauf Leichen zu sehen. Bakura ging neben der Frau, die gegen Mariku gestoßen war, in die Hocke. Ihr Körper war ausgemergelt, ihr Kleid wirkte wie ein übergroßer Sack. „Fass das nicht an“, sagte Mariku mit deutlichem Ekel in der Stimme, als Bakura die Hand ausstreckte und die Frau berührte. „Die ist nicht tot.“ „Sieht ziemlich tot für mich aus.“ Malik sah über Marikus Schulter. Er rümpfte die Nase, als er den Blick schweifen ließ. „Genau genommen ist sie schon tot“, mischte Ryou sich ein. „Wir sind in der Hölle, hier ist jeder tot, außer uns.“ Er sah sich um. Mariku hatte nicht übertrieben. Zu beiden Seiten der Straßen trieben reglose Körper. Manche mit dem Gesicht nach oben, andere mit dem Gesicht nach unten. „Und warum rühren die sich nicht?“ Malik stupste einen nahen Körper mit dem Fuß an. Er wollte sich nicht beschweren. Der Gedanke, dass diese ausgemergelten Körper herumliefen wie Zombies, war noch verstörender als die Regungslosigkeit. „Alle Seelen, die in der Hölle landen, bekommen ihre Strafe“, erklärte Ryou. „Diese hier haben sündhaft übertriebene und ausschweifende Leben geführt, sodass sie ihre restliche Existenz im Dreck verbringen müssen.“ „Spaßig“ kommentierte Malik. Die Aussicht, dass sie gleich zwischen diesen Fast-Leichen durchgehen mussten, trug nicht zur Verbesserung seiner Laune bei. „Zumindest sind sie nicht gefährlich.“ Ryou behielt recht; niemand behelligte sie auf dem Weg zur Straße. Keine Hände, die nach ihnen griffen und sie unter den Schlamm zogen und niemand biss sie. Die Straße war nicht frei von Schlamm, doch er reichte ihnen noch nicht einmal bis zu den Knöcheln. Nicht, dass das einen Unterschied machte; sie waren sowieso von oben bis unten voll damit. Selbst der permanente Regen schaffte es nicht ihn komplett abzuwaschen. Sie steuerten die erste Hütte an. Alle, bis auf Mariku, der stehen geblieben war und auf seine Füße schaute. „Mariku, was ist los?“, wollte Bakura wissen. Schmollte er etwa immer noch? „Ich hab meinen Schuh verloren.“ Einige Sekunden der Stille verstrichen bevor Malik, Ryou und Bakura fast zeitgleich zu lachen begannen. „Ja, lacht nur über mein Leid“, maulte Mariku. Er blickte zurück und seufzte. Seinen Schuh würde er nie wieder finden. Er holte zu den anderen auf und wollte ihnen ihr Grinsen am liebsten aus dem Gesicht schneiden und es dann genüsslich essen. Mariku richtete seinen Blick schnell wieder auf den Boden. Da waren diese Gedanken wieder. Bei welchem Herrscher hatte er aufgehört? „Riecht ihr das?“ Die Hütten standen leer und waren größtenteils völlig zerfallen. Sie hatten keinerlei Spuren von Menschen gefunden, die hier leben könnten. Sie hatten fast das Ende erreicht, als Bakura der Geruch von etwas gebackenen in die Nase stieg. Alle blieben stehen und schnüffelten. Ihre Mägen machten grummelnd auf sich aufmerksam. „Riecht wie Kuchen“, sagte Malik. Es bildete sich so viel Speichel in seinem Mund, dass er das Gefühl hatte gleich zu sabbern. Sie rannten die Straße entlang, bis sie die Quelle des guten Geruchs fanden. Das Haus unterschied sich kaum von den anderen, außer dass es noch intakt war. Ein Fenster stand offen und sie konnten einen Jungen sehen, der über einen Kuchen gebeugt stand. Sie waren zu überrascht, als dass sie etwas sagen konnten. Der Junge sah auf und dieselbe Überraschung zeichnete sich auch auf seinem Gesicht ab. Doch die Überraschung wandelte sich schnell in Begeisterung. Er verschwand vom Fenster und kurz darauf riss er die Tür auf. „Gäste!“, rief er fröhlich. „Ich hatte seit Jahrhunderten keine Gäste mehr! Kommt rein! Kommt rein!“ Die vier Freunde sahen einander fragend an, bis schließlich alle Blicke auf Ryou hängen blieben. Sie sahen ihn immer noch als „Anführer“ mit der meisten Ahnung. Ryou räusperte sich. „Wir haben nicht viel Zeit um zu bleiben.“ Der Junge klatschte in die Hände. „Ich weiß.“ Das Orange seiner Haare biss sich mit seinem pink gefärbten Pony. „Die Zeitbeschränkung.“ Er hatte ein breites Lächeln auf seinem, mit Sonnensprossen gesprenkelten, Gesicht. Seine bunte Kleidung passte kein bisschen zu der tristen Umgebung. Mit einem Fingerschnipsen erschien eine Sanduhr neben ihm. Es waren bisher kaum Körner durchgefallen. „Ihr habt noch jede Menge Zeit.“ Er klatschte wieder in die Hände und die Sanduhr verschwand. „Also, kommt rein. Ihr seid genau richtig für Kuchen!“ Doch sie zögerten. Der Junge machte einen freundlichen Eindruck, doch sie waren in der Hölle und konnten niemandem vertrauen. „Wer bist du?“, verlangte Ryou zu wissen. „Michio.“ „Und was bist du?“ „Koch“, war die einzige Antwort, bevor er zurück ins Haus ging und die Tür offen stehen ließ. „Was machen wir jetzt?“ Ryou widerstand den Drang mit den Schultern zu zucken. Er war erleichtert, dass sich die anderen immer noch an ihn wandten und auf seine Entscheidungen vertrauten. Er musste jetzt eine gute Entscheidung treffen. „Das hier ist Maßlosigkeit und ein Koch ist das letzte, mit dem wir uns abgeben sollten.“ „Aber Kuchen“, warf Malik in einem schon fast flehenden Tonfall ein. „Wir müssen ja nicht viel essen. Nur ein Stück.“ „Aber...“ „Malik hat recht“, stimmte Mariku zu. „Wir haben Zeit und Kuchen hat noch keinem geschadet.“ Er hatte keine Lust auf Kuchen, doch er hoffte, dass etwas zu Essen ihn von dem Gedanken ablenkte Malik zu essen. Hilfesuchend sah Ryou zu Bakura, der jedoch nur mit den Schultern zuckte. „Du hast vorhin selbst gesagt, dass du Hunger hast.“ So viel dazu, dass er der „Anführer“ war. „Na gut, aber sagt nicht, dass ich euch nicht gewarnt hätte.“ Sie blieben erstaunt in Eingangsbereich der Hütte stehen. Es war nicht im Geringsten das, was sie erwartet hatten. Der Boden war mit weißen Fliesen bedeckt und die Wände mit weißem Holz vertäfelt. Sie fühlten sich fast schlecht, dass sie all das Weiß mit Schlamm besudelten. Der Raum, in dem sie sich befanden, war groß. Der meiste Platz wurde von einem Tisch aus dunklem Holz eingenommen. Darauf stand ein Paradies aus Torten, Short Cakes, Cupcakes und Cake Pops, in Farben so grell, dass sie unmöglich echt sein konnten. Malik schluckte schwer. Wen interessierte das Ende der Welt, wenn er das Schlaraffenland gefunden hatte? Michio stellte eine weitere Torte auf den schon übervollen Tisch. Sie leuchtete in allen Farben des Regenbogens. „Wie schön, dass ihr hier seid. Macht es euch gemütlich! Ich hatte schon so lange keine Gesellschaft mehr.“ „Für wen backst du dann so viel?“, fragte Ryou. Er misstraute Michio und wenn die anderen schon ihrer Sünde nachgeben wollten, dann würde zumindest er aufpassen. Für einen Moment gefror das Lächeln auf Michios Lippen, doch er fing sich schnell wieder. „Es ist sehr einsam hier und kochen und backen sind das einzige, das mir geblieben ist.“ Er deutete auf eine hellblaue Tür am anderen Ende des Raumes. „Dort könnt ihr euch und eure Kleidung waschen, danach könnt ihr so viel essen, wie ihr wollt.“ Das eigentlich warme Wasser fühlte sich heiß auf Maliks eiskalter Haut an, als er seine Hände hinein tauchte. Es gab keine Dusche oder Badewanne, sondern nur mehrere große Schüsseln, die mit Feuer beheizt wurden. Er wusch sich das Gesicht und hatte das Bedürfnis seinen Kopf in die Schüssel zu stecken. „Ich dachte, hier kann ich meine Klamotten waschen?“ Mariku sah sich verloren um mit seinem Shirt in der Hand. „An der anderen Wand“, sagte Ryou und deutete ungefähr in die Richtung. Er hatte seine Haare zum Teil ins Wasser getaucht und versuchte irgendwie den Schlamm rauszubekommen. Viel Erfolg hatte er damit nicht; seine eigentlich weißen Haare nahmen nur ein seltsames grau-braun an. „Häh?“ Ryou verdrehte die Augen. „Da bei den Waschbrettern. Du musst die Klamotten drüberreiben.“ Skeptisch betrachtete Mariku die Waschbretter. „Und das soll funktionieren?“ „Hat es früher, wird es also auch jetzt.“ „Die könnten sich hier ruhig mal eine Waschmaschine zulegen“, murrte Mariku. Er kam sich blöd vor, während er den Schlamm aus seiner Kleidung schrubbte, doch zu seiner Überraschung wurde sein Shirt sauberer als erwartet. Klappernd fiel sein Handy aus der Hosentasche, als er seine Hose auszog. „Oh shit.“ Sein Handy hatte er ganz vergessen. Das Schlammbad hatte ihm sicher nicht gut getan. Er wischte das Display sauber und versuchte es einzuschalten. Für einen Augenblick erschien das Logo, doch das Bild verzerrte sich und das Handy schaltete wieder ab. Mariku seufzte. Auch das noch. Einige Zeit später saßen die Vier einigermaßen sauber und nur in Unterwäsche am Tisch. Es war angenehm warm im Raum, sodass das kein Problem war. „Normalerweise fängt man zwar nicht mit dem Dessert an“, Michio stellte Teller auf den Tisch und legte Besteck daneben, „aber so ist es jetzt nun mal.“ Er grinste breit. „Anschließend bekommt ihr was Richtiges!“ Er kehrte in die Küche zurück und schloss die Tür. „Reißt euch bloß zusammen“, zischte Ryou. „Danke für das Essen!“, sagte Mariku nur und schnitt eine Torte an. Malik wickelte einen Cupcake aus dem Papier. Als er hinein biss, hellte sich sein Gesicht auf. Ryou konnte nur kopfschüttelnd beobachten, wie sich seine Begleiter mit Kuchen und ähnlichem vollstopfen. Das würde noch Ärger geben, da war er sich sicher. „Ähm... Mi...Michio?“ Michio tauchte fast sofort auf. „Ja, einen Wunsch?“ „Den hab ich tatsächlich.“ Ryou verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass er nicht fragen brauchte, was Michio wirklich vorhatte. „Dieser Kreis hat doch ebenfalls einen Torwächter, nicht wahr? So wie Mai in Lust?“ Er sah wie Michio zögerte, wenn auch nur für einen Moment. „Wir nennen ihn den Großen Wurm.“ Mariku begann zu husten und zog damit die Aufmerksamkeit auf sich. Erst sah es so aus, als würde er jeden Moment ersticken, doch dann beruhigte er sich. „Ich hab auch einen großen Wurm“, sagte er mit einem breiten Grinsen. Malik verdrehte die Augen. „Ich hab ein Messer, halt also bloß die Klappe.“ „Soll ich ihn dir zeigen?“ Ohne Vorwarnung rammte Malik das Messer zwischen Marikus Beine in den Stuhl. Mariku wurde blass und sah nach unten. „Das war knapp.“ „Das war verfehlt“, fauchte Malik. Er zog das Messer wieder aus dem Stuhl und benutzte es, um sich ein Stück Kuchen herauszuschneiden. Ryou ignorierte die beiden. Er war die Streitereien ja schon gewohnt. „Der große Wurm?“, hakte er nach. Michio zuckte nur mit den Schultern. „Das ist sein Name.“ Er richtete seinen Blick wieder auf Ryou. „Ich hab ihn noch nie gesehen.“ „Ist es weit?“ Michio machte ein nachdenkliches Gesicht und tippte sich gegen die Wange. „Die Straße entlang, aber ich weiß nicht wie weit. Ich komm hier nicht weg.“ „Wieso nicht?“ Die Frage schien ihn zu überraschen. Er stotterte und blieb Ryou schließlich eine Antwort schuldig. „Ich muss mich wieder um das Essen kümmern“, sagte er stattdessen und verschwand wieder in der Küche. Ryou war nicht zufrieden. Er hatte gehofft mehr zu erfahren. Der Große Wurm. Was sollte er darunter verstehen? War es wörtlich zu nehmen? War ihr Gegner wirklich nur ein fetter, übergroßer Wurm? Ryou verzog das Gesicht. Er hoffte nicht. „Hier!“ Bakura hielt ihm einen Cake Pop ins Gesicht. „Iss das und schau nicht so grimmig.“ Perplex nahm ihm Ryou den Cake Pop aus der Hand. Er starrte die Kuchenkugel an, die verziert war, damit sie wie ein Schaf aussah. Unter anderen Umständen hätte Ryou die Situation mehr genossen. Wie lange waren sie bereits hier? Wurde den anderen nicht schlecht? Er sah Bakura an. Sahne hing an seinem Mundwinkel und er fühlte sich lächerlich für den Gedanken, dass er sie weglecken könnte. Sie blutig zu beißen war schon mehr nach seinem Geschmack... und langsam die Haut abzuziehen. Vor Schreck steckte sich Ryou den Cake Pop in den Mund. Was war das für ein Gedanke gewesen? Doch er hatte nicht viel Gelegenheit sich darüber Gedanken zu machen, denn seine Geschmacksknospen explodierten regelrecht. Der Zuckerguss schmolz in seinem Mund und wurde cremig weich. Der Teig war saftig und noch leicht warm. Jetzt wusste er, wie sich ein Mundorgasmus anfühlte. Ryous Gesichtszüge entspannten sich und die Sorgenfalten verschwanden. Er hatte noch nie so gute Cake Pops gegessen. War das hier wirklich die Hölle? Er griff nach dem nächsten. Ihre Aufgabe rückte in den Hintergrund. Ryou war es wichtiger so viel Kuchen zu erwischen wie möglich, bevor ihm die anderen alles wegaßen. Er war es gewohnt viel Süßes zu essen, weshalb ihm die Mengen, die er in sich hineinstopfte nicht verwunderten. Dass er überhaupt kein Völlegefühl verspürte, ignorierte er. Die Kuchen und Torten wurden von Vorspeisen aus aller Welt abgelöst. Schweigend machten sie sich über Suppen, Fladenbrot und Gemüse her. Doch Mariku war nicht zufrieden. Er hatte zwar noch nie so gut gegessen, doch all das Essen befriedigte seinen Hunger nicht, schien ihn eher noch zu verstärken. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er Malik und in seinem Magen rumorte es regelrecht. Er wollte ihn! Er wollte kleine Stücke aus ihm herausschneiden und ihn langsam genießen. Er wollte sich aber auch direkt an seinem Körper festbeißen bis die Haut unter seinem Biss brach und er Blut schmeckte. Er wollte das Fleisch aus ihm herausreißen und... Mariku schüttelte schnell den Kopf um die Gedanken loszuwerden. Er stopfte mehr Essen in sich rein, doch nichts half. Sein Blick und seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Malik. „Hey Michio!“, rief er schließlich und brach damit das lange Schweigen. Michio steckte nur seinen Kopf aus der Küche. „Ja?“ „Wann gibt’s endlich was Richtiges?“ „Oh, sehr bald.“ Er lächelte. Mariku zog seine Mundwinkel nach unten. Sehr bald war ihm nicht bald genug. Er sah wieder zu Malik und ihre Blicke trafen sich. Kurz sahen sie sich an, doch dann verengte Malik seine Augen und wandte den Blick wieder ab. Es war Malik aufgefallen, dass Mariku ihm schon seit einer Weile immer wieder Blicke zuwarf. Das war er eigentlich schon gewohnt, aber diesmal fühlte er sich unter ihnen wirklich unwohl. Etwas war anders, Malik konnte es nur nicht benennen. Er ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Die meisten Vorspeisen hatten sie inzwischen schon gegessen. Er sah kurz zu Ryou und Bakura, die immer noch mit essen beschäftigt waren. Auch Mariku hatte wieder angefangen, sein Blick huschte aber immer wieder zu Malik. Mit einem Mal hielt es Malik für keine gute Idee noch länger zu bleiben. Er wollte weg und das schnell, doch er schwieg. Es war doch alles in Ordnung... oder? Malik fasste die restlichen Vorspeisen nicht mehr an. Malik rümpfte die Nase, als Michio den Hauptgang brachte: Fleisch. Er aß keins und hatte auch nicht das Bedürfnis damit anzufangen. Angeekelt sah er dabei zu, wie ihr Gastgeber Rippchen, Steaks und andere Sachen, die er nicht benennen konnte, auf den Tisch stellte. Allein vom Geruch wurde ihm schlecht und er hatte nur noch mehr das Bedürfnis zu gehen. Seine Freunde jedoch blickten mit großen Augen auf die Auswahl und besonders Mariku schien es kaum noch erwarten zu können seine Zähne in einem saftigen Stück Fleisch zu vergraben. Deshalb zögerte er auch nicht und war der erste, der zulangte. Mariku öffnete seinen Mund erwartungsvoll. Er konnte das Fleisch schon fast schmecken, doch bevor er zubeißen konnte, packte Malik sein Handgelenk. „Nicht!“ Überrascht hielten auch Ryou und Bakura inne. Mariku klang angespannt als er sprach: „Ich weiß, dass du keins isst, aber ich tu’s, als wag es nicht mir einen Vortrag über arme Tiere zu halten.“ „Hab ich nicht vor.“ Malik ließ Marikus Handgelenk nicht los. Er wollte mit allen Umständen verhindern, dass er das Fleisch aß. Er konnte es sich nicht erklären, aber etwas stimmte nicht. Mariku durfte das nicht essen. „Iss es trotzdem nicht.“ „Lass mich los.“ „Nur, wenn du das nicht isst.“ „Ich werde jedes einzelne Stück Fleisch auf diesem Tisch essen und anschließend die Teller sauber lecken.“ „Nicht, wenn ich es verhindern kann.“ Mariku ließ das Rippchen fallen und stand so abrupt auf, dass Malik gezwungen war ihn loszulassen. Mariku zitterte leicht vor Wut. „Entweder ich esse das“, er deutete auf seinen Teller, „oder“, er packte Malik am Hinterkopf in den Haaren und beugte sich zu ihm hinunter, sodass sie nur noch wenige Zentimeter trennten, „ich nag das Fleisch von deinen Rippen.“ Maliks Augen weiteten sich, Bakura ließ sein Besteck fallen und Ryou schob seinen Teller von sich. Er war noch blasser als sonst. Mariku wurde bewusst, was er gesagt hatte. Er ließ Malik los und trat einen Schritt zurück, dabei stolperte er fast über den Stuhl. „Ich... ich“, stammelte er, doch er wusste nicht, was er eigentlich sagen wollte. Was hatte er gerade getan? Er starrte Malik an, der mindestens so geschockt aussah, wie Mariku war. Verstört sah Ryou das viele Fleisch an. Er erinnerte sich daran, wie er daran gedacht hatte Bakuras Gesicht zu essen. Er hatte keinen Hunger mehr. „Was läuft falsch bei dir?“, brachte Malik flüsternd heraus. Mariku wusste es selbst nicht. Plötzlich kam Bewegung in seinen Körper. Er stieß den Stuhl zur Seite und riss die Tür zur Küche auf. Seine Worte blieben ihm im Hals stecken. Auf dem Tisch lagen zwei Menschen beziehungsweise das, was von ihnen noch übrig war. Die Brustkörbe offen, die Rippen entfernt. Es fehlten die Beine und die Arme lagen neben Michio auf einer Arbeitsplatte. In einer Ecke stapelten sich Köpfe. Mariku trat wieder einen Schritt zurück, doch der Boden war glitschig geworden und er rutschte aus. Mariku betrachtete seine Hände, die mit Blut besudelt waren. Der ganze Boden war damit bedeckt. Er hörte einen Aufschrei hinter sich, doch drehte sich nicht um. Sein Blick war auf Michios Rücken gerichtet. „Vegetarier sind wirklich lästig“, seufzte Michio. Er drehte sich um. Sein wahnsinniges Grinsen wurde von den Blutspritzern in seinem Gesicht und dem großen Fleischermesser in der Hand noch verstärkt. „Und ich war so nah dran.“ Er lachte und Mariku kam wieder auf die Beine. Das Haus zeigte inzwischen seine wahre Gestalt. Die weißen Wände waren über und über mit Blut bespritzt und was sie eben noch für Tierfleisch hielten, waren in Wahrheit Leichenteile. Mariku würgte und musste sich an der Wand abstützen. Seine Beine fühlten sich weich an. Er hätte fast Menschen gegessen. „Reiß dich zusammen!“ Malik drückte ihm seine Klamotten gegen die Brust. Während Mariku geschockt gewesen war, hatten die anderen die Zeit genutzt um ihre Sachen zu holen. Mariku sah über die Schulter zu Michio, der sich nicht bewegt hatte. Er grinste immer noch, das Messer erhoben, doch er schien sie nicht angreifen zu wollen. Eilig zog Mariku sich an und kümmerte sich nicht darum, dass er seine Sachen mit Blut beschmierte. Sie beeilten sich aus dem Haus zu kommen und rannten die Straße entlang. Erst als sie das Dorf hinter sich gelassen hatten, blieben sie kurz stehen um zu verschnaufen. „Das war...“ fing Ryou an, wurde aber von Malik unterbrochen, der seinen Satz zu Ende brachte: „Total krank.“ Er sah Mariku an. „Du bist total krank.“ Doch bevor Mariku sich verteidigen konnte, tat Ryou das für ihn: „Ich bin sicher, er kann nichts dafür. Das liegt an diesem Kreis.“ Malik sah seinen Freund überrascht an. Setzte er sich gerade wirklich für Mariku ein? „Er wollte mich essen.“ „Ich wollte dich nicht essen.“ „Du hast gesagt, du nagst das Fleisch von meinen Knochen.“ „Ich sagte Rippen, aber so hab ich das gar nicht gemeint.“ „Ach, wie hast du’s denn gemeint?“ Malik verschränkte die Arme vor der Brust. Es regnete immer noch und er begann zu frieren. „Ich... das war nur...“ Mariku suchte nach den richtigen Worten, doch gab schließlich auf. „Okay, ja, ich wollte dich essen.“ „Krank.“ „Denk doch was du willst.“ „Seid ihr Turteltauben dann fertig? Es wird kalt.“ Malik fauchte Bakura schon fast an. Bakura grinste nur und auch Mariku schmunzelte. „Touché.“ Mariku klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Gehen wir weiter“, murrte Malik. Die Gegend lag trostlos vor ihnen. Nichts rührte sich, außer den Körpern, die reglos neben der Straße im Schlamm trieben. Der Regen hatte sie bis auf die Knochen durchnässt. „Ich krepier gleich an der Scheiß-Kälte!“ Malik konnte nicht aufhören mit den Zähnen zu klappern. Auch der Rest seines Körpers zitterte ununterbrochen. Er hatte die Hände um sich selbst gelegt und rieb sich über die Arme, doch es brachte nichts. Es war einfach zu kalt. Mariku legte einen Arm um ihn, doch Malik schob ihn wieder von sich. „Rück mir nicht auf die Pelle.“ „Ich will dich nur wärmen.“ „Du bist selber eiskalt.“ „Ich kann dir auch warme Gedanken machen.“ „Du kannst mich mal.“ „Ja, darum würd’s gehen.“ Malik verdrehte die Augen. Er war Mariku schon viel zu lange ausgesetzt. Er beschleunigte seine Schritte und holte zu Ryou auf. „Du magst es echt mit ihm zu streiten“, flüsterte Ryou. „Fang du nicht auch noch an“, zischte Malik. Musste er es sich jetzt wirklich von allen Seiten anhören? „Ich mein ja nur.“ Ryou zuckte mit den Schultern. „Bei den Spannungen zwischen euch, wär der Sex bestimmt bombastisch.“ „Ryou!“ Es viel ihm schwer seine Lautstärke niedrig zu halten. Er sah verstohlen zu Mariku, doch der unterhielt sich mit Bakura. „Ich hab’s dir schon mal gesagt, dass du was mit ihm anfangen solltest. Und die Karten sagen es auch.“ „Komm mir nicht wieder mit deinem Tarot-Scheiß.“ „Wir laufen durch die Hölle und du glaubst immer noch nicht dran?“ „Ich hoff immer noch, dass das hier ein Traum ist.“ „Aber meine Karten hatten recht. Es ist ein fürchterlicher Tag geworden.“ „Warum hatte ich diese blöde Karte überhaupt in der Tasche?“ Ryou sah ihn überrascht an. „Ich hab sie wieder zurück in das Deck gesteckt.“ „Ich hab sie zuhause in meiner Tasche gefunden.“ „Seltsam“, murmelte Ryou. Er war sich sicher, dass er die Karte zurück zu den anderen gesteckt hatte. „Schaut mal da!“, rief Bakura plötzlich. Er und Mariku zeigten nach oben. Mariku kniff die Augen zusammen. Ein Stück vor ihnen bewegte sich etwas am Himmel, das aussah, wie große, schwarze Vögel. „Ich trau der Sache nicht“, murmelte Ryou. Malik stimmte ihm nickend zu. Diese Vögel konnten gar nichts Gutes bedeuten. Sie hatten jedoch keine andere Wahl, als auf die Vögel zuzugehen. Die Straße war der einzige Hinweis, den sie hatten. Sie könnten sich auch einen Weg durch die reglosen Seelen bahnen, doch die Straße hatte zumindest ein Ziel... hofften sie. Die Silhouetten von toten Bäumen zeichneten sich vor ihnen ab. Die Vögel schienen direkt darüber zu kreisen. Ryou hob überrascht die Augenbrauen. Er hatte fast die ganze Zeit auf ihre Umgebung geachtet und war sich sicher, dass diese Bäume viel zu plötzlich auftauchten. Sie waren schon viel zu nah dran um sie zuvor nicht bemerkt zu haben. Die Anspannung der vier Jungen stieg je näher sie den Bäumen kamen. Der Boden unter ihren Füßen ging von Schlamm in feste Erde über, was unnatürlich bei dem starken Regen war. Die Bäume waren tot und schwarz, fast als wären sie verbrannt. Sie erinnerten an die, die sie vor dem Tor zur Hölle gesehen hatten. Sie erstreckten sich über mehrere hundert Meter die Straße entlang und bildeten einen kleinen Wald. Auf ihren Ästen saßen die Vögel, oder das, was sie zuerst für Vögel gehalten hatten. Eine makaber-entstellte Version von Raben beobachteten sie aus leeren Augenhöhlen. Das Gefieder war zerfetzt oder fehlte bei manchen Exemplaren zum Teil. Haut und Knochen schimmerten durch das Schwarz der Federn. Blut tropfte von den scharfen Schnäbeln. Das Blut der Menschen, die an den Bäumen aufgehängt waren. Sie zappelten. Lebten! Sofern man noch von leben sprechen konnte. Die Lippen blau und die Augen blutunterlaufen. Angewidert sah Malik dabei zu, wie einer der Erhängten den Mund öffnete. Einer der Vögel setzte sich auf sein Gesicht und riss ihm die Zunge raus. Malik würgte und wandte den Blick ab. „Abgefahren.“ Entsetzt sah er Bakura an. „Seid ihr eigentlich alle total krank?“ „Naja, aber seine Zunge ist nachgewachsen.“ Malik sah wieder zu dem Gehängten, gerade als ein Vogel sich an seinen Gedärmen satt fraß, doch kaum war der Vogel fertig, schloss sich die Wunde wieder. „Wir sollten ganz schnell weitergehen“, sagte Ryou hektisch. „Ganz, ganz schnell.“ Er packte Bakura, der immer noch fasziniert den Vögeln beim Fressen zusah, am Handgelenk und zog ihn mit sich. Malik musste man das nicht zweimal sagen. Er konnte es kaum erwarten zu verschwinden. Mariku teilte dieses Bedürfnis. Nach der Aktion beim Michio war ihm die Lust auf Fleisch vergangen und er wollte auch keinem anderen beim Essen zusehen. Sie hatten erst wenige Meter hinter sich gebracht, als Aufregung in die entstellten Vögel kam. Krächzen und Flügelschlagen erfüllte die Luft. Malik lief es eiskalt den Rücken hinunter und diesmal war nicht der Regen schuld. „Lauft! LAUFT!“, rief Mariku. Malik sah über die Schulter zurück und wünschte, er hätte es nicht getan. Wie eine schwarze Wolke flogen die Vögel hinter ihnen. Es war offensichtlich, dass sie nicht entkommen konnten. Malik zögerte nicht. Er brach zur Seite aus und verließ die Straße. Er schlitterte über den matschigen Boden, konnte sein Gleichgewicht aber halten. Er hörte Mariku, wie er seinen Namen rief. Malik griff einen dickeren Ast und war überrascht, wie leicht er ihn abbrechen konnte; besonders, wenn er an die gehängten Körperdachte. Es krächzte direkt hinter ihm. Malik wirbelte herum, traf den Vogel mit dem Ast und schleuderte ihn gegen den nächstgelegen Baumstamm. Er rannte zwischen den Bäumen hindurch, die Straße immer im Blick und versuchte zu den anderen aufzuholen. Er hörte einen Schrei und wusste, dass es Ryou war. Keuchend trat er wieder auf die Straße. Die schwarze Wolke war direkt vor ihm. Schreiend rannte er in sie hinein und schlug mit dem Ast um sich. Die Vögel wichen auseinander und krächzten aufgebracht. Malik holte seine Freunde wieder ein. Mariku hielt Dreck in der Hand und warf damit nach den Vögeln. „Hab ich dir schon mal gesagt, dass ich es hasse, wenn du wegläufst?“, murrte Mariku. Er hatte mehrere kleine Wunden an den Armen und im Gesicht. Malik schmunzelte. Sie hatten keine Zeit weiter darüber zu reden. „Wo ist Ryou?“ „Weiter vorne. Bakura ist bei ihm.“ Malik schlug nach einem Vogel und er landete direkt vor Marikus Füßen. Mariku zögerte nicht und zerquetschte ihm den Kopf. „Beeilen wir uns.“ Malik nickte. Sie drehten sich um und rannten, die bluthungrigen Vögel hinter und über ihnen. Malik wedelte mit dem Ast während er rannte, damit ihm keiner zu nah kam. Mariku hatte schützend die Arme über seinen Kopf gelegt und biss die Zähne zusammen, während scharfe Schnäbel in seine Haut pickten. Ryou schrie auf, als sich ein Schnabel tief in seine rechte Hand bohrte. Er hielt inne, als er merkte, dass es gar nicht wehtat. Er sah zu, wie der Vogel fraß, doch er spürte nichts. Ryou packte den Vogel, brach ihm das Genick und warf ihn zur Seite. Fasziniert sah er dabei zu, wie sich die Wunde wieder schloss. Er betrachtete die anderen Wunden, doch sie waren offen und bluteten leicht. „Was machst du denn?“, schrie Bakura ihn an. Diesmal war er es, der Ryou packte und ihn hinter sich herzog. Ryou sah immer noch auf seine Hand. Von der Wunde war inzwischen nichts mehr zu sehen. Bakura schlug einen Vogel beiseite. Er hatte eine Fleischwunde am Arm und der Regen brannte wie Säure darin. „Bakura!“ Er sah über die Schulter ohne stehen zu bleiben. Mariku und Malik hatten fast zu ihnen aufgeholt. Bakura sah wieder nach vorn. Sie hatten die Baumgrenze fast erreicht. Er ließ Ryou nicht los. Ryou wollte reden, wenn sie überlebten, gut, dann würde er dafür sorgen, dass sie das hier ganz sicher überlebten. Das Gelände fiel etwas ab und Bakura musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Die Straße bestand immer noch aus fester Erde, doch dank des Regens war sie trotzdem rutschig. „Ihr Scheiß-Biester“, schrie Malik und spielte Baseball mit jedem Vogel, der ihm zu nah kam. Schließlich brach sein improvisierter Schläger. Malik fuchtelte immer noch mit dem unteren Teil herum, doch es war weniger effektiv. Er biss die Zähne zusammen, als einer der Vögel ihn an der Schulter erwischte. Er schüttelte ihn ab und legte nochmal einen Zahn zu. Mariku war direkt vor ihm. Ryou und Bakura konnte er nicht sehen. Als sie die Grenze erreichten und es plötzlich bergab ging, stolperte Malik über seine eigenen Füße. Er fiel nach vorn und riss Mariku mit sich. Sie rollten ein Stück bis die Straße wieder gerade wurde. Mariku stieß hörbar Luft aus. „Ich kann nicht mehr.“ Malik stemmte sich hoch und blickte zurück. Die Vögel kreisten wieder über den Bäumen und verfolgten sie nicht weiter. Er entspannte sich etwas. „Alles okay bei dir?“, fragte Mariku und setzte sich auf. „Ich denke schon”, antwortete Malik keuchend. Er betrachtete seine Arme. Er blutete aus mehreren kleinen Wunden. Malik fasste an seine Schulter und zuckte zusammen. Die Wunde dort brannte, doch schien sie ebenfalls nicht tief zu sein. Der Ärmel seines Shirts war zerrissen. „Wo sind Ryou und Bakura?” „Da vorn. Komm.” Mariku stand auf und Malik folgte ihm. Mariku sah selbst etwas mitgenommen aus: Blut war ihm über die Wange gelaufen und hatte sich dort mit dem Dreck vermischt, Mariku sah aus als hätte er eine Kriegsbemalung. Auch auf seinen Armen hatten die Schnäbel ihre Spuren hinterlassen. Bakura saß auf dem Boden und hatte seine Hand auf eine Wunde am linken Oberarm gepresst. Ryou stand vor ihm und fummelte am Saum seines Shirts. Er schien es zerreißen zu wollen, doch ihm fehlte die Kraft. „Lass es bleiben”, maulte Bakura. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass er das sagte. „Die Wunde gehört verbunden”, sagte Ryou bestimmt und zerrte weiter an seinem Shirt. Bakura verdrehte die Augen. Er hatte ja sein eigenes Shirt zerreißen wollen, doch ihm fehlte die Kraft wegen der Wunde. Ryou fehlte die Kraft im Allgemeinen. „Soll ich helfen?“, bot Mariku an. Ryou seufzte. „Ja.” Er sah ein, dass er dafür einfach zu schwach war. Mariku trat näher, doch Malik schob ihn zur Seite. „Fass du Ryou nicht an. Ich mach das.” Marikus Grinsen gefiel ihm nicht, doch Malik ignorierte es für’s erste. Mit einem Ruck riss er den unteren Teil von Ryous Shirt weg. Ryou zitterte im ersten Moment. Es war kälter als erwartet und das, obwohl er sowieso schon komplett durchnässt war. Er wickelte den nassen Stoff um Bakuras Oberarm. Dass er wirklich etwas brachte bezweifelte Ryou, doch zumindest war die Wunde jetzt ein bisschen geschützt. Er sah hinunter auf seine Hand und ballte sie zur Faust. Er beschloss seine spontane Selbstheilung für’s erste für sich zu behalten. Er wusste nicht, was es damit auf sich hatte, besonders da seine kleineren Wunden immer noch da waren, doch es war bestimmt kein gutes Zeichen. Nichts, was hier passierte, war gut. „Wir sollten keine Zeit verlieren.” Ryou sah nach vorne. Am Horizont waren Berge zu erkennen. Die Straße bestand aus fest zusammengetretener Erde, die trotz des Regens nicht weich wurde. Es war eine willkommene Abwechslung. Seitlich der Straße war immer noch ein Meer aus Schlamm, doch Ryou konnte keine Seelen mehr darin sehen. Er atmete hörbar aus und richtete seinen Blick nach oben. Er wollte endlich aus diesem Regen raus. „Gehen wir.“ Doch gerade als Ryou einen Schritt nach vorne machen wollte, klammerte sich eine Hand um sein Fußgelenk und zog daran. Mit einem überraschten Aufschrei fiel Ryou der Länge nach auf die Straße. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und ihm wurde schwindelig. Schwerfällig schaffte er es sich auf den Rücken zu drehen. Eine der Seelen hatte ihn gepackt und biss in seinen Schuh. Ryou brauchte einen Moment um die Situation zu verstehen; die Seele wollte ihn beißen, vielleicht sogar fressen! Erschrocken riss er die Augen auf, doch bevor er etwas tun konnte, trat Malik dem alten Mann ins Gesicht. „Kommt mir nicht auch noch mit Zombies!” Bei jedem Wort trat Malik weiter zu, bis der Mann Ryou losließ und sein Kopf nur noch Matsch war. „Hmpf!”, machte Malik nur und half Ryou wieder auf die Beine. „Bist du in Ordnung?” „Ja, ich denke schon.” Die Seele zu Ryous Füßen rührte sich nicht mehr, doch dafür kam Bewegung in den Schlamm. Mehrere Seelen erhoben sich aus dem Schlamm. Sie bewegten sich ungelenk und schlurfend. Ihre Münder öffneten und schlossen sich, als wären sie Fische. “Wir sollten hier ganz schnell weg.” Doch als Mariku sich umdrehte, prallte er gegen eine weitere Seelen. Noch mehr hatten sich von der anderen Seite genähert. Die Seele packte ihn überraschend fest und öffnete den Mund weit. Mariku konnte sich losreißen, bevor sich eine Reihe Zähne in seinem Arm festbeißen konnte. “Richtig schnell.” Die Seelen hatten sie bereits eingekreist und streckten ihre gierigen Arme nach ihnen aus. Malik vermisste seinen Ast. Er vermisste es allgemein irgendeine Art von Waffe zu haben. Mit einem Baseballschläger würde er hier mal richtig aufräumen. “Ich lass mich hier jetzt nicht von so verfickten Zombies fressen”, murrte er und schubste einen Körper aus dem Weg. Ein anderer packte ihn, Malik trat ihm in den Bauch, doch die Seele ließ nicht los, sondern riss Malik mit sich zu Boden. Malik keuchte. Er rammte seinen Ellenbogen in das Gesicht der Seele und endlich ließ diese ihn los. Er wollte sich wieder aufrichten, doch man hatte seine Beine gepackt. Zähne versuchten durch seine Hose zu beißen. Malik verdrehte die Augen. “Menschenzähne sind dafür nicht gemacht.” Er konnte ein Bein befreien und trat seinem Angreifer damit ins Gesicht. Ryou half ihm wieder auf die Beine. “Wir sollten einfach durchlaufen”, schlug Bakura vor, während er eine Seele von sich trat. “Die sind nicht sonderlich schnell und auch nicht sehr gefährlich, wie’s aussieht.” Die anderen stimmten ihm zu. Schubsend und schlagend bahnten sie sich ihren Weg durch die zombiehaften Seelen. Ihre Bisse taten kaum weh und schafften es nicht die Haut zu durchbrechen. Es dauerte nicht lange, bis sie die Horde hinter sich gelassen hatten. Sie rannten bis sie sich sicher sein konnten, dass sie nicht noch mehr unwillkommene Besucher bekamen. Die Berge, die Ryou zuvor gesehen hatte, erwiesen sich als Gebirgskette. Sie erstreckte sich zu beiden Seiten der Straße und sie konnten weder links noch rechts ein Ende erkennen. Der Regen wurde leichter und die Straße wurde steinig. Sie zog sich den Berg hinauf und die vier Jungs hatten keine andere Wahl als ihr weiter zu folgen. Sie mussten aufpassen, dass sie nicht abrutschten und nutzen die Steine als Halt. Mehr kletternd als gehend erklommen sie einen kleinen Hügel bis es plötzlich wieder bergab ging. Vor ihnen lag ein kleines Tal, der Boden bedeckt mit mehr Dreck und Matsch. An der gegenüberliegenden Felswand befand sich ihr Ziel: ein großes Tor, das in den nächsten Kreis führte. Sie mussten nur das Tal durchqueren und dann hatten sie es geschafft. Die Sache hatte nur einen Haken… “Da liegt ein Drache”, stellte Mariku fest “Ja.” “Ein Drache mit drei Köpfen.” “Ja”, wiederholte Ryou und nickte. “Der große Wurm ist ein Drache mit drei Köpfen.” “Sieht so aus.” Die metallisch-silbernen Schuppen des Drachen glänzten wie poliert, obwohl er im Matsch lag. Auch der Nieselregen schien ihn beim Schlafen nicht zu stören. “Und, hat irgendjemand einen Plan, wie wir an dem vorbeikommen?” “Du bist doch hier der Held”, erwiderte Malik mit leichtem Spott in seiner Stimme. “Ich bin dafür, dass wir eine Jungfrau opfern.” Malik kniff wütend die Augen zusammen. “Pass auf was du sagst.” “Ich kann nichts dafür, dass du dich gleich angesprochen fühlst.” Mariku zuckte mit den Schultern, doch das Grinsen konnte er nicht ganz unterdrücken. “Held und Jungfrau in einem, dann mal los”, sagte Bakura und klopfte Mariku auf den Rücken. Stille legte sich über die vier Jungs. Jeder sah Mariku an, dem die Röte ins Gesicht gekrochen war und wiederum Bakura ansah, als hätte dieser gerade Hochverrat begangen. Malik öffnete den Mund, doch schloss ihn wieder. Diese Neuigkeit hatte selbst ihn sprachlos gemacht. “Aaalso”, brach Ryou das peinliche Schweigen, “wir brauchen einen Plan.” Er sah auf den Drachen hinunter. “Wie bezwingt man einen dreiköpfigen Drachen? Irgendwelche Ideen?” “Waffen”, schlug Bakura vor. “Die wir nicht haben”, widersprach Ryou. Mariku dachte an die Axt, die er hatte liegen lassen. Er hatte ja gewusst, dass sie noch hätte nützlich werden können. Jetzt war es zu spät. Er bemerkte, dass Malik ihn immer noch ansah und wich seinem Blick aus. Bakura dieser Idiot! “Ihr zwei könnt euch ruhig auch beteiligen.” Malik riss seinen Blick von Mariku los. “Er schläft. Wir könnten uns vorbeischleichen.” “Zu gefährlich.” Ryou winkte ab. “Der wacht bestimmt auf.” “Wir wär’s mit einem Köder? Ich schlage Bakura vor.” Ryou verdrehte die Augen bei Marikus Vorschlag. “Nein.” “Aber so schlecht wär die Idee doch gar nicht.” Selbst Mariku sah Malik überrascht an. Von ihm hatte er am wenigsten Zustimmung erwartet. “Einer lenkt den Drachen ab, während die anderen die Tür öffnen.” “Und der eine bleibt dann zurück? Wohl kaum.” Malik zuckte mit den Schultern. “Er muss halt irgendwie versuchen wieder umzudrehen.” “Das ist viel zu gefährlich!” “Und wenn wir eine Seele als Köder benutzen?”, machte Bakura den nächsten Vorschlag. “Wir könnten sie an ihn verfüttern?” Ryou zog die Stirn kraus und dachte darüber nach. Der Vorschlag klang nicht schlecht, doch war er auch umsetzbar? Wie bekamen sie eine Seele hier her? Sie hatten auf dem letzten Stück des Weges keine einzige gesehen. Sollten sie versuchen die zombieartigen herzulocken? Aber dann brauchten sie wieder einen, der sie in die Nähe des Drachen lockte. In der göttlichen Komödie war es kein Drache, sondern Cerberus, der Höllenhund, gewesen, der Dante und Vergil den Weg versperrt hatte. Vergil hatte ihm Schlamm in die Mäuler geworfen und ihnen damit Durchgang verschafft. War das auch hier die Lösung? Jeder packte eine Handvoll Schlamm und warf sie ihm in den Rachen? Konnte es so einfach sein? Aber wenn es nicht funktionierte waren sie Drachenfutter. Ryou stutzte. Mit einem Mal konnte er sich wieder deutlich an die Geschehnisse in Dantes Geschichte erinnern, als hätte er das Buch vor sich liegen. Konnte er das als ein Zeichen sehen? Oder wollte man ihn auf diese Weise austricksen? Die anderen diskutierten über die bereits genannten Lösungsvorschläge, doch Ryou hörte ihnen gar nicht zu. Er hatte seine Umgebung ausgeblendet und dachte noch einmal an den Plan mit dem Köder nach. Er war der vielversprechendste. Er würde das alleine machen und die Leben der anderen nicht aufs Spiel setzen. Ryou sah Malik an. Besonders Malik musste es schaffen. Er war derjenige mit den Träumen und der durch sie Kontakt zu Luzifer gehabt hatte. Das musste eine Bedeutung haben. Ryou schlug mit der Faust in seine flache Hand. “Ich mach’s”, sagte er bestimmt. Bakura hob die Augenbrauen. “Was?” “Ich bin der Köder.” “Nein!”, widersprach Malik sofort. “Ganz sicher nicht.” “Ich bin der schnellste Läufer von uns.” “Ich bin auch ziemlich schnell”, warf Bakura ein. Ryou sah ihn schon fast genervt an. “Ich halte seit Jahren den Schulrekord, also bitte, du kannst nicht mal im Ansatz mit mir mithalten.” “Aber das ist ein verdammter Drache! Der kann fliegen!” “Richtig, aber er braucht auch Zeit um abzuheben. Außerdem ist seine Körpermaße größer, das heißt, wenn ich abrupt die Richtung wechsle, braucht er auch wieder Zeit dafür, was mir wiederum einen Vorsprung gibt.” “Ich bin dagegen.” Malik verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich auch.” Bakura tat es ihm nach. „Du hast selbst gesagt, dass es viel zu gefährlich ist.“ “Ich bin dafür.” Malik schlug Mariku gegen den Brustkorb, sodass Mariku fast das Gleichgewicht verlor. “Du Arschloch! Wie kannst du so was sagen?!” Mariku rieb sich die Brust. “Ich bin sicher, Ryou hat einen Plan.” “Danke, wenigstens einer, der an mich glaubt.” Ryou strich sich die Haare zurück und wünschte sich, er hätte einen Haargummi dabei. “Also, ich lenke den Drachen ab und ihr macht die Tür auf und geht durch. Keine Heldentaten oder andere dumme Sachen! Ich komme nach, wenn ich kann.” Seine Stimme wurde leiser. “Wenn nicht, dann nicht.” Er hatte Angst und ihm war schlecht, wenn er den Drachen betrachtete, doch er hatte sich das selbst ausgesucht. Einen Rückzieher würde er jetzt nicht machen. Malik packte ihn am Arm. “Das kannst du nicht machen.” “Wir haben keine andere Wahl. Uns läuft die Zeit davon.” “Aber…”, Maliks Griff lockerte sich etwas, “du kannst mich doch nicht mit Mariku allein lassen.” Ryou schmunzelte und klopfte Malik auf die Schulter. “Du schaffst das schon.” Malik ließ ihn los. “Du bist mein bester Freund.” “Ja, und der bleib ich auch. Keine Abschiedsreden, das klingt als würd ich sterben und das hab ich nicht vor.” Malik sah immer noch unglücklich aus, doch sagte nichts mehr. “So, ich”, doch weiter kam er nicht, denn Bakura schnitt ihm mit einem Kuss das Wort ab. Er dauerte nicht lange, doch reichte um Ryou die Knie weich zu machen. “Das war kein Abschiedskuss”, flüsterte Bakura. Ryou nickte leicht und wandte sich mit geröteten Wangen ab. Er atmete tief durch, bevor er sich an den Abstieg ins Tal machte. Es waren nur wenige Meter, doch sie kamen Ryou wie Kilometer vor. Er rutschte und schlitterte den Abhang hinunter und war wieder voller Schlamm, als er unten ankam. Er sah nach oben. “Auf was wartet ihr? Soll ich euch ne Treppe in den Fels schlagen? Beeilt euch mal und kommt runter!” “Du hast uns nicht erklärt, was dein Plan ist”, rief Bakura ihm zu. Ryou zog die Stirn kraus. War das nicht offensichtlich? “Ihr geht da lang”, er deutete nach rechts, “in einem Bogen auf die Tür zu. Ich komm aus der anderen Richtung und lock den Drachen weg. Ganz leicht.” Insgeheim hoffte er, dass es wirklich so leicht war, wie er es gerade erklärt hatte. Er wandte seinen Freunden den Rücken zu und zögerte mit dem ersten Schritt. Vielleicht würde er hier sterben, aber wenn er nichts machte, dann würden sie hier alle sterben. Er atmete tief durch und strich sich die Haare zurück. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. “Ich find das nicht gut.” Malik verschränkte die Arme vor der Brust. “Wir können ihn nicht einfach so gehen lassen!” “Was haben wir für eine Wahl?” Mariku begann als erster den Abstieg. “Du bist so ein Monster.” Mariku erwiderte nichts darauf. Malik presste die Lippen aufeinander. Er zögerte mit dem Abstieg und sah Ryou hinterher. Er hätte ihn aufhalten sollen. Was war er nur für ein Freund? Er seufzte und wandte sich an Bakura. “Wieso hast du ihn nicht aufgehalten?” “Was hätt ich machen sollen? Ihn niederschlagen?” “Du bist doch in ihn verknallt.” Bakura verdrehte die Augen. “Ja, und? Scheint ihn nicht sehr zu interessieren.” Er folgte Mariku nach unten um Malik für den Moment loszuwerden. Malik warf hilflos die Arme in die Luft und machte sich schließlich auch auf den Weg abwärts. Der Drache hatte sich nicht gerührt und auch sonst keine Anzeichen gezeigt, dass er Ryou bemerkt hatte. Ryou hatte das Gefühl, als würde sein Herzschlag wie Donner durch das Tal hallen. Er sah die anderen auf der anderen Seite des Tals. Sie näherten sich langsam der Tür und Ryou kam es vor, als würde er schon eine Ewigkeit in der Nähe des Drachens stehen. Konnten sie sich mal beeilen? Er begann unruhig von einem Bein auf das andere zu treten und ging sein Vorhaben noch mal im Kopf durch. Er wollte es noch nicht einmal Plan nennen, denn er würde das meiste einfach improvisieren. Ryou hob etwas von dem Dreck am Boden auf und formte daraus einen Ball. Er wusste nicht wie viel es wirklich bringen würde, aber es war besser als nichts und immerhin hatte es auch bei Vergil funktioniert. Er würde bald herausfinden, wie viel Wahrheit noch in Dantes Erzählung steckte. Langsam ging er auf den Drachen zu und versuchte abzuschätzen wie weit er werfen konnte und was noch ein sicherer Abstand war, damit er nicht mit einem Happs gefressen wurde. Ryou blieb stehen und atmete tief durch. Seine Freunde standen auf der anderen Seite und beobachteten ihn gespannt. Er ging in die Hocke und formte einen zweiten Ball, dann nahm er mehrere tiefe Atemzüge um sich zu beruhigen. Er brauchte jetzt seine ganze Konzentration. Er sah den Ball aus Dreck in seiner Hand an, dann den Drachen. Es war so weit. Er holte aus und traf den linken Kopf direkt auf die Schnauze. Ryou ging einige Schritte zurück, den Drachen ließ er dabei nicht aus den Augen, der sich zu rühren begann. Der Drache knurrte, als er die Augen aufschlug. Sein Blick fixierte sich sofort auf Ryou. Er schüttelte den mit Dreck beworfenen Kopf und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Brüllen hallte durch das ganze Tal. Das war das Zeichen für Ryou. Er griff nach der zweiten Dreckkugel und warf sie in das weit geöffnete Maul des Drachen. Der Drache senkte den Kopf und spuckte den Dreck wieder aus. „Fuck“, flüsterte Ryou, wirbelte herum und begann zu laufen. So viel zu Dante. Auf dem schlammigen Boden nicht auszurutschen war die größte Herausforderung. Er rannte bis er die Felswand erreichte und drehte sich dort um. Der Drache flog über dem Tal und brüllte erneut. Seine drei Köpfe waren auf Ryou fixiert, die anderen hatte er nicht bemerkt. Ryou vermied es zu ihnen zu sehen, er musste sich auf den Drachen konzentrieren. Der Drache ging in den Sturzflug direkt auf ihn zu. Ryous Körper war angespannt, sein Atem war beschleunigt. Nur noch ein bisschen… Gleich… Ryou rannte zur Seite und der Drache krachte gegen die Felswand. Er erlaubte sich ein kurzes Grinsen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass das wirklich funktionieren würde. “Schnell, schnell”, drängte Bakura die anderen beiden kaum hatte der Drache abgehoben. Er musste sie an den Armen ziehen, denn sowohl Malik als auch Mariku starrten fasziniert auf die große Kreatur. Sie rannten auf die Tür zu und stemmten sich dagegen. Lautlos glitt sie auf und wie schon zuvor erwartete sie dahinter nur Nebel. Sie sahen einander an und richteten ihre Blicke schließlich auf Ryou, der just in diesem Moment ausrutschte und der Länge nach in den Dreck fiel. Der Drache war bei ihm bevor er sich wieder aufrichten konnte. Der Drache brüllte triumphierend und Ryou war wie erstarrt. Obwohl es Adrenalin durch seinen Körper pumpte, schaffte er es nicht auch nur ein Glied zu bewegen. “Hey, du hässlicher Wurm!” Sowohl Ryou als auch der Drache wandten ihre Köpfe in Bakuras Richtung. Der Drache brüllte empört, als ihn drei Dreckbrocken trafen. Ryou starrte entsetzt und erleichtert zugleich seine drei Freunde an. Malik half ihm wieder auf die Beine. Sie hatten keine Zeit für Worte, obwohl sich der Drache im Moment auf Mariku und Bakura konzentrierte. Wieder hallte sein Brüllen durch das Tal und er stürzte sich auf die beiden Jungen. Mariku und Bakura jedoch trennten sich und liefen in gegensätzliche Richtungen. Der Drache zögerte kurz und fixierte sich schließlich auf Bakura. Mariku bremste an der Tür ab und beobachtete wie Bakura Haken schlagend vor dem Drachen flüchtete. “Das war eine scheißmiese Idee”, keuchte Ryou, als er mit Malik die Tür erreichte. “Es war sehr spontan”, verteidigte Mariku ihr Eingreifen. “Wir konnten nicht zulassen, dass du gefressen wirst!” “Und was ist mit Bakura?” “Lass das mal meine Sorge sein.” Mariku schob seine Finger in den Mund und pfiff. Der Ton war unangenehm hoch und wurde von den Felswänden noch verstärkt. Der Drache kam ins Trudeln. Die drei Köpfe verloren ihr Interesse an Bakura und ihre Blicke glitten suchend durch das Tal. Als er sah, dass die Tür offen stand ließ er sein bisher lautestes Brüllen erklingen. Mit einem plötzlichen Geschwindigkeitsschub schoss er über Bakura hinweg. Malik packte Mariku am Arm. “Das war eine Scheißidee.” Mariku nickte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Pfiff so eine Auswirkung hatte. “Geht durch die Tür.” “Nein.” “Geht schon!” Er versuchte Malik und Ryou durch die Tür zu schieben, doch beide wehrten sich dagegen. Der Drache baute sich vor ihnen in voller Größe auf und brüllte. Bakura rannte geduckt zwischen seinen Beinen hindurch. Er bremste nicht ab, als er seine Freunde erreichte, sondern packte sowohl Ryou als auch Mariku am Arm und zog sie mit sich. Mariku griff nach Malik und gemeinsam fielen sie in den Nebel, gerade als der Drache nach ihnen schnappte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)