Nach trüben Regentagen von hungrymon (... wird die Sonne einmal wieder scheinen) ================================================================================ Kapitel 4: Wenn du diese ausgestreckten Hände ergreifst, wirst du, obgleich allein, wieder lächeln können. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- Es klingelte. Ich grub meinen Kopf tiefer in das Couchkissen. „Geh weg.“, murmelte ich. Doch natürlich wurde ich nicht gehört. Es klingelte wieder. „Geh weg, sagte ich.“, wiederholte ich mich, diesmal etwas lauter. Klopfen. „Kai? Ich weiß, dass du da bist. Mach schon auf!“ Es war Miyavi. „Geh weg!“, rief ich, so laut ich konnte. „Ganz bestimmt nicht! Und jetzt mach schon auf!“ Ich rührte mich nicht von der Stelle. „Ich trete dir die Tür ein,wenn du nicht sofort aufmachst!“ Er sollte einfach wieder gehen. Ich wollte allein sein. „Ich zähle bis Drei!“ Warum ließ er mich nicht einfach alleine? „Eins!“ Ich würde dieses Zimmer nicht verlassen. Ich würde nicht einmal von der Couch gehen. Nein, keinen Zentimeter würde ich mich bewegen! „Zwei!“ Wollte er nicht verstehen, dass ich niemanden sehen wollte? „Drei!“ Ein dumpfer Schlag, dann ein Poltern und ein Jammern. „Aua! Verdammt, das hat weh getan!“ Ich seufzte und schlug die Decke von mir, schwang meine Füße von der Couch und bewegte mich in Richtung Wohnungstür. Als ich sie öffnete, guckte ich direkt auf einen klagenden Miyavi herunter. Er blickte mir vorwurfsvoll entgegen: „Ich spüre jetzt schon, dass das ein gewaltiger Bluterguss wird! Und es tut soo weh! Alles nur deine Schuld!!“ Ich hob eine Augenbraue. „Meine Schuld also.“ „Ja, deine Schuld! Deine Schuld, dass du dich seit Tagen in der Wohnung verschanzt und alle sich Sorgen machen!“ Sofort verteidigte ich mich: „Also im Prinzip 'verschanze' ich mich erst seit vorgestern und 'alle' sind wohl nur du und Ruki?“ „Und Reita. Und Uruha. Und Aoi!“ „Na schön. Trotz allem besteht kein Grund zur Sorge.“, wollte ich meinen Nachbarn und Freund beruhigen. Das Letzte, was ich wollte, war, dass mir liebe Menschen in meine Angelegenheiten hineingezogen würden. „Oh und wie! Und genauso, wie wir das Recht haben, uns zu sorgen, hast du das Recht, uns Sorgen zu bereiten. Die Sache mit Aoi war schon heftig genug für dich, aber jetzt auch noch das mit dem Kö– ähh– ich meine natürlich Hund.“ „Piccolo.“ „Genau, Piccolo.“ Ich seufzte. „Na schön. Und was jetzt?“ „Wie wär's, wenn du mich zuallererst einmal hereinlässt?“, schlug Miyavi lächelnd vor und erhob sich ächzend. „Na gut.“ Ich machte einen Schritt zur Seite. „Danke dir.“, erwiderte er selbstzufrieden grinsend. „Was ist das?“, fragte ich, auf die Tüte deutend, nach der Miyavi eben griff. Das Grinsen wurde noch breiter, als er erklärte: „Ich hatte erst vorgehabt, etwas für dich zu kochen, aber dann ist mir eingefallen, dass du das doch viel besser kannst. Also dachte ich mir, ich besorg einfach ein bisschen was und du machst das dann schon!“ „Ah ja. Super Einfall.“, lobte ich ihn ironisch, schloss die Tür hinter uns und folgte dem Sänger in die Küche. “Was gibt’s denn Gutes?“ Miyavi begann, den Inhalt der Tüte auf dem Tisch auszubreiten. „Nun, ich habe ein wenig Gemüse dabei Rettich, Rüben und Kohl. Außerdem Fleisch. Und ein bisschen Süßkram für später.“ „Na dann kannst du mir gleich helfen und das Gemüse schneiden.“, wies ich ihn an und machte mich daran, das Fleisch zuzubereiten. Nach einer guten halben Stunde, die wir schweigsam nebeneinander arbeitend verbracht hatten, saßen wir zusammen am Tisch und genossen unser Mahl. Ich hatte die vorsichtigen Blicke meines Freundes bereits vorhin bemerkt, doch ich ignorierte sie geflissentlich. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Miyavi wieder den Kopf hob und seine braunen Augen unter dem Pony hervor lugten. Ich wartete, bald würden sie wieder zurück zu seinem Teller wandern. Doch es geschah nicht. Sekunde um Sekunde verging und ich spürte immer noch, wie Miyavis Blick auf mir ruhte. Also guckte ich auf und direkt in seine besorgten Augen. „Wie geht es dir?“, fragte er schließlich. Ich war versucht, einfach 'ganz gut' zu sagen, einfach aus Gewohnheit. „Den Umständen entsprechend.“, erwiderte ich stattdessen. „Den Umständen entsprechend also.“, wiederholte Miyavi und schob sich ein Stück Kohl in den Mund. Erwartungsvoll blickte er mich an. „Was willst du denn hören?“ „Ich habe dich gefragt, wie es dir geht. Wenn 'Den Umständen entsprechend' alles ist, was du dazu sagen willst, okay.“, meinte Miyavi achselzuckend. „Ich schleppe mich in die Arbeit, mach meinen Job. Ich versuche wirklich mit aller Mühe, das auf die Reihe zu kriegen. Meinen Job zu machen. Die Arbeit nicht unter meiner Verfassung leiden zu lassen. Und mich dabei angemessen zu verhalten. Meine Kollegen – und Freunde – nicht blöd zu behandeln, weil ich mich in ihrer Nähe unwohl fühle. Diese zwei glücklichen Paare. Ich wünschte so, ich könnte ihnen ihr Glück gönnen. Sie sind meine Freunde. Ich sollte es ihnen gönnen können. Doch ich bin – so niederträchtig es auch ist und mir ist es fast peinlich, es zuzugeben – so neidisch auf sie! Und vor allem ist es dieses Gefühl von Einsamkeit, das mich noch umbringt. Ich fühle mich einfach so alleine. Ich liege nachts im Bett und die Stille um mich herum erdrückt mich. “ Es sprudelte alles einfach aus mir heraus. Und wie das erleichternd war! Ich fühlte, wie sich ein dicker Knoten um mein Herz sich löste, während ich diese Worte aussprach. Miyavi hatte mich während der ganzen Zeit unentwegt angesehen. Nun lächelte er etwas. „Danke.“ Ich wusste nicht, womit ich dieses dankbare, unfassbar glückliche Lächeln verdient hatte. Es war nur die Andeutung eines Lächelns und doch lag soviel Gefühl darin, dass ich ganz überwältigt war. Und verwirrt. „Ich danke dir! Es geht mir soviel besser. Das hätte ich echt nicht gedacht. Danke.“, erwiderte ich verlegen. Dann war es schon wieder vorbei. Das Lächeln weitete sich zu einem Grinsen aus und er meinte selbstzufrieden: „Das hätte ich dir auch gleich sagen können. Aber nein! Erstmal fahrlässig die Verletzung meiner Person heraufbeschwören!“ Ich schüttelte nachlässig den Kopf. „Ach Miyavi. Was würde ich nur ohne dich tun.“ „Lass mich überlegen! Wahrscheinlich hier vor dich hin siechen und vor Einsamkeit vergehen?“ „Du weißt, dass das nicht als Frage gemeint war, oder?“, erwiderte ich. „Jup!“ Das Grinsen wurde noch breiter. Ich schnaubte, doch merkte zugleich, wie sich ein Lächeln in mein Gesicht stahl. „Aber um nochmal zum Thema zurück zu kommen“, lenkte Miyavi ein und guckte wieder ernster. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das momentan schlecht zu ertragen ist, alle um dich rum so vor Liebe sprudelnd und du – “ „Wenn du jetzt nicht gleich die Kurve kriegst zu was Aufmunternden, dann nehme ich das Danke wieder zurück.“ „Ich wollte eigentlich nur noch einmal bekräftigen, dass du wirklich immer zu mir kommen kannst, wenn du einsam bist. Zu mir kommen sollst. Ich will da nämlich nicht weiter zusehen, wie du so …“ „So..?“ „So anders wirst. So gar nicht du. Ich kenne dich als warmherzigen Menschen, der durch seine frohe Art so viel Liebe und Lächeln verbreitet. Du bist me– unsere Sonne, Kai. Und momentan bist du eher eine Regenwolke.“ Während er diese Worte aussprach, wurde Miyavis Blick ganz sanft, aber auch sehr besorgt. Ich verzog mein Gesicht. „Wars denn echt so schlimm?“, fragte ich. „So 'schlimm' würde ich jetzt nicht sagen. Und niemand verlangt von dir, dass du immer vor Freude umhertanzen sollst. Ich will nur, dass du auf dich aufpasst und dir helfen lässt, wenn du unglücklich bist.“ „Ich finde es ganz furchtbar, so zu sein.“, gab ich zu. „Ich fühle mich richtig eklig und garstig in meiner Haut mit diesen ganzen fiesen Gedanken. So bin ich nicht.“ Miyavi schüttelte den Kopf. „Nein, das bist du nicht. Und ich bin froh, dass du das auch so siehst.“ „Aber momentan kann ich noch nicht so ganz aus dieser Haut, hab ich das Gefühl.“ Mir fiel auf, dass ich während des Gesprächs die ganze Zeit nichts gegessen hatte und schob mir eine Gabel mit Gemüse in den Mund. Es war kalt. Auch Miyavi begann, wieder weiter zu essen und meinte dann mit vollem Mund: „Dasch musch ja auch nischt schein.“ Er schluckte runter. „Es ist ja auch nur menschlich, ein bisschen pissig zu sein, nachdem man einen Korb gekriegt hat.“ „Ein bisschen pissig. Ich fühle mich wie ein missgünstiger Wicht, der in seiner Hütte sitzt und Pläne schmiedet, wie er es seinen Opfern schwer machen kann.“ „Tust du das denn?“ Ich schüttelte schnell den Kopf. „Ach was, nein.“ „Na dann! Kai, du bist so ein lieber Mensch – auch jetzt noch.“ „Weil ich Uruha nicht die Pest und Pocken an den Hals wünsche sondern nur eine leichte Grippe?“, nuschelte ich. „Kann man so sagen. Du willst nicht wünschen, wie ich schon verflucht wurde.“, sagte Miyavi augenzwinkernd. Dass Miyavi so ein Herzensbrecher war, vergaß ich immer wieder. 'Trotz dieser Vorgeschichte...' „Nein, das will ich wahrscheinlich nicht.“ Eine Weile schwiegen wir und die Stäbchen klapperten vor sich hin. „Kino oder Disco?“, fragte Miyavi dann auf einmal völlig unvermittelt. „Ehm – Kino?“ „Also Disco! Ich wusste du würdest dich richtig entscheiden!“ „Ehhmm!!“ „Also Samstag Disco. Ich kenn da einen ganz tollen Laden, ist nicht ganz so ausgefallen und die Leute sind alle richtig gut drauf. Aber achte ein bisschen auf deine Garderobe, ja?“, schloss er mit einem Blick auf meine graue Jogginghose und mein ebenfalls graues T-Shirt. „Hey! Abgesehen davon, dass ich daheim aussehen kann, wie ich will und nicht immer wie für den Laufsteg, so wie manch andere – Wieso nochmal gehe ich nun am Samstag in eine Disco?“ „Weil ich das so eben beschlossen habe? Samstag neun Uhr ist Abfahrt bei mir.“, machte Miyavi fest und verdeutlichte mir mit strengem Blick, dass jegliche Widerrede sinnlos war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)