Der Seelenfresser von ListigerFreitag ================================================================================ Kapitel 2: London 1984 ---------------------- Kapitel 2: London, 1984 „Erkläre mir die Sache mit Incognito noch einmal, Alucard.“ „Wie ihr wünscht, Sir Arthur.“ Alucard machte es sich in dem breiten Ohrensessel am Kamin gemütlich und fasste seinen Gesprächspartner ins Auge. Er respektierte diesen Mann, soweit jedenfalls, wie ein Vampir Respekt gegenüber einem Menschen empfinden konnte. Sir Arthur Hellsing war erst 26 Jahre alt und leitete seit 9 Jahren die Hellsing-Organisation. Wie jedem Hellsing vor ihm war auch er in jungen Jahren zur Vollwaise geworden. Alucard wusste nicht, welche Art von Fluch über der Familie lag, fest stand jedenfalls, dass das Schicksal dafür Sorge trug, dass seit Abraham van Hellsing jeder Patriarch gestorben war, sobald sein Nachwuchs alt genug war, die Organisation aus eigener Kraft zu führen. Dennoch war nicht ein einziger von ihnen auf die Idee gekommen, kinderlos zu bleiben, um diesem Schicksal zu entfliehen. Das hätte ihrem innersten Wesen widersprochen. Bei Arthur würde es nicht anders sein. Er zeichnete sich trotz seines jungen Alters durch Mut, Intelligenz, Durchsetzungskraft und unumstößliche Hingabe aus. Er hatte seinen Weg gewählt, nicht den einfachen, sondern den zu kämpfen. „Alucard?“ Der Vampir lächelte. „Verzeiht mir, Sir Arthur, ich war in Gedanken. Also, Incognito: In den dunkelsten Zeiten des dunklen Kontinentes führte der Schlangengott Seto dort ein strenges Regiment. Streng genommen war er kein Gott, allerdings grenzten seine magischen Kräfte zum Teil tatsächlich an das Übernatürliche. Allerdings ist keine Macht für die Ewigkeit geschaffen und so wurde Seto im 13. Jahrhundert besiegt und getötet. Sein Gegner riss ihm das Herz heraus und der wütende Mob, der sich überall dort zu versammeln pflegt, wo ein Tyrann gestürzt wird, trug seinen Kopf jubelnd durch das Dorf und spießte ihn auf dem Marktplatz auf einen Stock. Und als alle Dorfeinwohner um den Pfahl herumstanden, erwachte der Kopf ein letztes Mal zum Leben. Er öffnete den Mund und verhängte folgenden Fluch über die Welt: „100 Mal geprüft, in 100 Jahren je einmal. Was schwach ist, stirbt, was stark ist, lebt.“ Dann zuckte ein Blitz vom Himmel und verbrannte das Haupt samt dem Pfahl.“ Alucards Miene zuckte kurz. „Damals hatte man noch einen gewissen Sinn für das Theatralische. Leider ist das heute verloren gegangen, wie so vi…“ Sir Arthur hob abwehrend die rechte Hand. „Ja, ich schweife ab. Also, wie dem auch sei, seither taucht Incognito in jedem Jahrhundert einmal als Rächer und Vollstrecker Setos auf und prüft die Menschheit. Und wenn meine mathematischen Fähigkeiten mich nicht täuschen, wird er dies noch bis zum 114. Jahrhundert weiter tun, wenn es bis dahin noch Menschen gibt. Bisher wurde er jedes Mal besiegt. Sollte dies einmal nicht der Fall sein, so wird er die komplette Menschheit vernichten. Keine erfreuliche Aussicht, aber da er nun erst einmal wieder vernichtet wurde, haben wir mindestens 16 Jahre Ruhe vor ihm, bis nämlich das 21. Jahrhundert beginnt.“ Alucard musterte seinen Herren. „Das scheint Sie nicht rückhaltlos zu erfreuen?!“ Die buschigen Augenbrauen des Sirs zogen sich zusammen. „Doch, doch, das Überleben meiner Spezies ist erfreulich. Verzeih bitte meine Unkonzentriertheit. In deiner Abwesenheit hat sich hier ein Problem ergeben, das meiner, besser gesagt unserer, Aufmerksamkeit dringend bedarf. Aber eins nach dem anderen. Berichte mir von Incognito, ich bin sehr interessiert daran, zu erfahren, was ihn auszeichnet. Was kann er, wie sieht er aus? Wie stark ist er?“ „Incognito ist eine durchaus interessante Erscheinung. Er hat eine grob anthropologische Gestalt, wirkt aber deformiert. So läuft sein Kopf etwa nach oben helmförmig zusammen. Er hat eine totengraue Hautfarbe mit lilafarbenen Markierungen darauf, die er nach Belieben verändern kann. Sein linkes Auge kann Form und Farbe ändern und verfügt über einige spezielle Kräfte, die ich nicht erschöpfend eruieren konnte, ehe ich ihn getötet habe. Seine Fähigkeiten sind durchaus beachtlich, so verfügt er über regenerative Kräfte, die den meinen nahezu ebenbürtig sind. Er ist von Seto beseelt und gebietet über Schlangen, seien sie real oder von ihm heraufbeschworen. Seine Elektroschlange ist ein echter Klassiker, das muss man gesehen haben. Viele gute Kämpfer sind von ihm vernichtet worden, lebende wie auch untote, denn auch wir Vampire streben nicht danach, die gesamte Menschheit zu vernichten, sonst würde uns eine sehr lange, durstige und öde Ewigkeit erwarten. Das aus meiner Sicht Schlimmste an ihm ist sein Schlangenschlag. Eine scheußliche Angelegenheit: Der Schlag hinterlässt tiefe Narben. Auf den ersten Blick sind diese ärgerlich, aber nicht dramatisch und das Opfer merkt einige Zeit überhaupt nicht, dass es vergiftet wurde, allerdings stirbt es je nach Konstitution binnen Jahresfrist. Ein Gegenmittel ist nicht bekannt. Ich habe Bilder vom Tod Geraldos gesehen, des letzten Vampires, der Incognito besiegt hat. Im Juni 1821 zerstörte er Setos Monster, wurde allerdings vom Schlangenschlag erwischt. Bis in den Februar 1822 geschah nichts, dann aber begannen sich die Narben auszudehnen. Geraldo wurde bei untotem Leibe innerhalb von zwei Wochen auseinandergerissen. Bis dahin hatte er keinerlei Beschwerden. Das macht Incognito so gefährlich: Er kann einen selbst aus dem Grab heraus noch töten. Ohne Zweifel hat Seto ihm diese Kraft gegeben, um zu verhindern, dass ein Gegner, der Incognito einmal besiegt hat, dies ein weiteres Mal tun kann.“ „Ich verstehe, Wahrlich furchterregend. Muss ich damit rechnen, dass du in absehbarer Zeit auseinandergerissen wirst?“ Alucard lachte. „Nein. Incognito ist stark, sehr stark sogar, steht aber nicht wirklich auf dem gleichen Level wie ich. Dank der Forschungen der Familie Hellsing und meinen eigenen ohnehin schon übermäßigen Kräften war der Kampf intensiv, aber kurz und ich könnte Incognito besiegen, ohne dass er mir eine Wunde zufügen konnte, die zu Narben geführt hätte.“ Der Vampir lehnte sich zurück. „Somit wurde die Bedrohung abgewendet und Afrika wird erneut ein Hort der Ruhe und des Friedens sein, wie wir es von einem Kontinent erwarten, der weit genug von uns entfernt ist, damit sichergestellt ist, dass unsere Ignoranz ihm gegenüber nicht durch Nachrichten über die dort stattfindenden Gräueltaten gestört wird. Nun aber, mit Ihrer Erlaubnis, zu der kritischen Situation in London, die Sie erwähnten.“ Interessiert wartete der Rotgekleidete darauf, dass sein Herr zu sprechen anfing. Sir Arthur räusperte sich. „Was weißt du über Seelen, Alucard?“ „Seelen? Nicht viel. Viele Religionen behaupten, dass es einen unsterblichen Teil von einem Menschen gibt, der mit dem Körper verbunden ist. Dieser unsichtbare Teil entscheidet darüber, was nach dem Tod aus einem Menschen wird. Ich kann einen solchen Glauben nicht nachvollziehen. Meiner Erfahrung nach ist ein Wesen, wenn es stirbt, komplett Tod.“ „Und dennoch leben die von dir getöteten Menschen in dir weiter?“ „Das ist etwas anderes. Ihr Wesen lebt in mir weiter und wenn ich sie eines Tages in die Freiheit entlassen sollte, werden sie in der Realität handlungsfähig sein, zumindest eine gewisse Zeit lang. Ich sauge mit dem Blut ihr Wesen auf und ihre Kraft. Diese wird in einer Art Sphäre in mir konserviert, wenn ich es wissenschaftlich ausdrücken müsste. Dies geschieht aber nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Untoten. Und untote Wesen sollen nach herrschender Meinung gar keine Seele haben. Sie sind aber nichts weiter als Schemen, feste Form haben sie nur in meiner eigenen Welt. Sie werden alle zu Schemen, wenn es auch bei manchen länger dauert, sie in solche zu verwandeln. Stärkere Existenzen lassen sich sozusagen schwerer verdauen. Daher versuche ich, mächtige Gegner zu vernichten, ohne ihr Blut zu trinken. Andererseits mache ich mir dadurch auch ihre Kraft zu Eigen. Es ist immer eine Abwägungssache. Bei Incognito war es leicht. Sein Blut zu trinken wäre mir im Traum nicht eingefallen, da seine Kraft von der meinigen zu sehr verschieden war. Er hätte mir kein Nutzen, aber jede Menge Verdauungsprobleme bereitet. Lassen Sie uns also bitte annehmen, dass das, was ich von meinen Opfern speichere, keine Seelen sind und ich an der Existenz von Seelen ganz allgemein zweifele.“ „Die Annahme, dass du keine Seelen in dir aufnimmst, können wir akzeptieren. Was die Existenz eines Gebildes namens Seele angeht, haben wir keine Wahl, als sie zu bejahen.“ „Wieso sollten das so sein?“ Statt eine Antwort zu geben, erhob sich der junge Mann. „Lass‘ uns einen Spaziergang machen, Alucard. Ich werde dir etwas zeigen, dass dich überzeugen dürfte.“ Langsam stand der Vampir auf und folgte seinem Herrn aus dem Zimmer und dann aus dem Haus. Er folgte ihm in Sir Arthurs Bentley und fuhr mit ihm durch die trostlosen Straßen Londons, immer weiter, bis sie an ihrem Ziel angelangt waren. Und als sie bei dem riesigen Gebäude angekommen waren, da war selbst der mächtige Alucard ziemlich überrascht… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)