Homoarsch von Jaelaki (schrieben sie) ================================================================================ Kapitel 9: Was wenn (What if) ----------------------------- Kapitel 9 Was wenn (What if) What if I got it wrong And no poem or song Could put right what I got wrong Or make you feel I belong. What if you should decide That you don't want me there by your side That you don't want me there in your life. (Coldplay - What if) »Nein – ich –« Er fuhr sich nervös durch sein rotblondes Haar. »Warum – hast du mir nichts gesagt?« »Ich –« »Du weißt doch, dass ich für dich –« »Das ist nicht deine Sache, Johannes!«, fuhr er mir aufgebracht über den Mund. Plötzlich hörten wir, wie jemand die Tür aufschloss. Ich sah, wie sich in seiner Mimik Entsetzen ausbreitete. »Du solltest gehen. Ich bringe dich zur Tür.« »Und – was ist jetzt? Wegen uns, meine ich –« Er schüttelte den Kopf. Liebe trägt Masken. So wie wir jeden Tag Masken tragen. Manche davon tragen wir, um uns selbst, manche, um andere zu schützen. Manchmal sehen wir nicht durch die Masken hindurch und werden getäuscht. Ich hätte niemals gedacht, dass hinter seinem Lächeln Qual steckte und hinter dem Funkeln in seinen Augen, Scham. Wochenlang hatte ich ihn nicht mehr gesehen, als plötzlich eine SMS meinen Magen Purzelbäume schlagen ließ. Hoffnung spülte durch meine Adern und ich grinste, als ich seine Nachricht las. »15 Uhr. Unser Café.« Ich hätte ihm gerne gesagt, dass es egal war, was andere über uns dachten, dass ihre Worte Schall und Rauch waren, dass nur wir zählten. Vielleicht habe ich es ihm gesagt, ein Mal oder zwei Mal. Aber ich musste schnell erkannt haben, dass es nicht stimmte. Ich wollte mir einreden, dass er es aus Liebe zu mir tat. Aber ich wusste, da war auch die Furcht vor den anderen. Der Winter zog mit eiskalten Schritten über die Stadt und ließ meine Lippen klamm werden. Ich wartete vor dem Café, weil ich drinnen nicht stillsitzen konnte. Als ich ihn von Weitem kommen sah, tränkte Beklemmung meine Arme und Beine. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Händen und ich trippelte von dem einen auf den anderen Fuß. Vor mir sah ich sein Lächeln und das Funkeln in seinen Augen. Wie er mit seiner Hand durch das rote Haar fuhr und mich mit einem Blick in den Bann zog. Wie er mit der Gummibärchen-Tüte raschelte und mir wortlos gestattete hineinzugreifen. Seine Lippen, wenn wir uns küssten und der Gedanke, dass es uns egal war, was andere dachten. Was, wenn wir gegen die Welt –? Es stand so vieles zwischen uns. Was, wenn wir es aussprechen würden? »Johannes«, begann er und es klang nach Abschied, obwohl wir uns nicht einmal begrüßt hatten. »Es tut mir leid, dass ich mich erst vor ein paar Tagen gemeldet habe. Aber –« »Lass uns doch reingehen. Es ist verdammt kalt hier«, warf ich dazwischen. Ich wollte sein Aber nicht hören. Er nickte, als wäre er für Widerstand zu müde. Ich bemerkte die dunklen Augenringe und wie sich seine Sommersprossen noch stärker von seiner blassen Haut abhoben. Er wirkte kränklich. Wir saßen uns gegenüber, als würden wir uns kaum kennen. Dabei kannten wir uns zu gut und wussten, was der andere sagen wollte. Es tat weh, als mir mit einem Schlag bewusst wurde, dass das Vergangenheit war. Sein Blick war ernst und keiner wusste so recht, was wir sagen sollten. Ich wünschte mir, wir könnten einen dummen Scherz machen und diese drückende Stille verscheuchen, uns ansehen und einfach loslachen – wie früher. »Mein Vater und ich haben Anzeige erstattet«, berichtete er, »wegen dieser ganzen – Mobbing-Sache.« Ich rührte in meiner heißen Schokolade und nickte der Tasse zu. Was, wenn ich es sagen würde? »Ich wünschte mir, es wäre anders gekommen«, murmelte er und ich sah, wie seine Hand über meiner schwebte, nur einen Moment, aber er berührte sie nicht, als würde er sich wieder besinnen und zog sie zurück. »Wir könnten es schaffen«, behauptete ich und die Worte stolperten aus meinem Mund, als hätte ich sie zu lange zurückgehalten. Ich erstarrte und wünschte mir, ich hätte es nicht gesagt. Nicht zu ihm. Gerade als ich meine Worte relativieren wollte, stimmte er mir vage zu. »Ja, vielleicht. Aber was würde es uns kosten?« Ich wollte sagen, dass ich jeden Preis bezahlen würde. Aber das wäre gelogen. Stille breitete sich aus und ich sah, wie etwas über sein Gesicht huschte – Müdigkeit und Schmerz. Oder Reue und Trauer. Ich war mir nicht sicher. Vielleicht sah ich auch nur das, was ich gerne sehen wollte. Ich wollte gerne glauben, dass es ihm ebenso weh tat wie mir. Dass nicht nur ich an seiner Gegenwart hing wie ein Ertrinkender. Gleichzeitig ertrank ich in seiner Präsenz. Er schluckte und suchte meinen Blick, ich wollte ihm ausweichen und ich wollte in ihm versinken. Wir hakten unsere Blicke ineinander, als gäbe es nur uns. Als wäre es egal, was die anderen dachten. »Wir ziehen um«, flüsterte er. Ich spürte den Aufprall seiner Worte in meinem Inneren wie Schläge in meinen Magen. »Was? Wieso?«, hauchte ich, räusperte mich und schöpfte nach Luft. »Mein Vater lässt sich versetzen. Er meint, ich sollte auf eine angemessene Schule gehen und mich dort angemessen verhalten.« Und dann legte er doch seine Finger auf meine. Ich wollte sie wegziehen, ihn anschreien und meiner Wut, meiner Enttäuschung, meiner Angst Platz machen. Ich tat es nicht. Ich starrte auf unsere Finger und schwieg, weil ich befürchtete, dass ich die Kontrolle verlieren würde, sollte ich ihn ansehen. »Es tut mir leid, Johannes.« Als ich zu Hause meinen Ranzen in die nächstbeste Ecke schleuderte, fühlte ich ein Loch in meinem Magen. Nichts, das mit Hunger zu tun hätte. Ich ging in mein Zimmer, als würde ich auf Watte gehen. In meinem Kopf herrschte Leere. Ich war plötzlich müde und ausgelaugt, legte mich in mein Bett, obwohl ich noch Schuhe anhatte. Mein Blick fiel auf den Nachttisch. Mit angehaltenem Atem streckte ich mich nach dem Bild aus und betrachtete es eine Weile. Es war Sommer dort in dem Foto. Wir saßen am Weiher. Sommerferien. Die Sonne brannte auf uns hinunter und das Wasser umspülte unsere Beine. Er hatte gesagt, dass sie uns niemals zerstören würden. Was, wenn ich gewusst hätte, dass Versprechen gebrochen werden würden? Er grinste mich an. Das Bild ein wenig unscharf, weil er unbedingt uns beide hat drauf haben wollen. »Du weißt, dass ich dich liebe, oder?«, hatte er mir gesagt. Obwohl es der Form nach eine Frage war, hatte es wie ein Versprechen geklungen. »Ich stehe zu dir.« Erst als es Tropfen für Tropfen feuchter wurde, bemerkte ich, dass ich weinte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)