Ohne Titel von Momachita (Tänzer und Fotograf) ================================================================================ Kapitel 4: Pirouette -------------------- Er weinte nicht lange. Stumm ließ Julien die Tränen auf seinem Gesicht trocknen und starrte über Leos Schulter hinweg ins Nichts. Der Tänzer hielt ihn fest umarmt. Es war schön so gehalten zu werden, aber gleichsam brachte es einen bitteren Beigeschmack mit sich. Julien war sich einer plötzlichen Wahrheit bewusst, die ihn sehr schmerzte, jetzt da er sie erkannt hatte. „Wieder in Ordnung?“, fragte Leo und löste sich wieder von Julien. Nein, nichts war in Ordnung. Im Gegenteil. Alles war auf einen Schlag kompliziert geworden. Nur durch diesen einen Moment. Aber er nickte. „Ja, es geht wieder. Ich bin wohl einfach nur emotional zu sehr mitgenommen von... dem ganzen Projekt.“ Leo lächelte ihm aufmunternd zu. „Du bist schon ein komischer Typ. Aber auf eine sympathische Art. Bewundernswert, wie sehr du dich in deine Sache so reinsteigern kannst.“ „Ich finde es ja bewundernswerter, wie man sich so verbiegen kann wie du“, erwiderte Julien scherzend. Leo lachte leise auf. „Haha, dir scheint es ja echt schnell wieder besser zu gehen. Super. Also, was meinst du? Wagen wir noch einen Versuch, oder willst du es bei den Fotos belassen?“ Julien überlegte. Ihm kam eine abwegige und sehr, sehr dumme Idee. Und zu seinem Unglück war seine Zunge, wie es eigentlich nicht oft passierte, schneller als sein Kopf. „Wie wärs, wenn du dich für ein paar letzte Aufnahmen ganz ausziehen würdest?“ Leo sah ihn entgeistert an. „Ein Scherz. Nur ein Scherz“, wandte Julien schnell ein und versuchte seine dreiste Aufforderung mit einem Lachen wieder wett zu machen. „Natürlich musst du dich nicht komplett ausziehen. Das wäre ja irrsinnig.“ Eine kurze Zeit lang sagte Leo gar nichts. Aber als er die Stimme wieder erhob, klang er sogar sehr überzeugt von Juliens Idee. „Ach, warum eigentlich nicht? Ein nacktes Gebäude und ein nackter Ballettänzer. Passt doch“, und er streifte sich seine Hose ab, stand auf einmal in seiner bloßen Nacktheit vor Julien. „Ich stell mich wieder ins Licht und du schaust, ob du tatsächlich ein paar Bilder machen willst. Ich hab damit kein Problem.“ „Okay.“ Juliens Stimme war nur ein Hauchen. Nur ganz langsam hob er den Sucher seiner Kamera vor sein Auge. Aber dann machte er doch noch ein paar Fotos von Leo, ehe sie alles wieder einpackten und schweigend die Rückreise antraten. Gegen zwei Uhr hatte Julien Leo zuhause abgesetzt. Um halb drei hatte er den Wagen vor seinem elterlichen Haus abgestellt, die Baustrahler in die Garage gebracht und sich auf sein Bett gesetzt, um die Bilder auszusortieren. Es war schon halb vier durch, als er beim nächsten Mal auf die Uhr sah. Er saß immer noch auf seinem Bett und konnte nicht einschlafen. Seine Augen waren festgenagelt auf dem Display seines Laptops. Zum wievielten Mal er sich die Bilder von Leo ansah, wusste er schon längst nicht mehr. Aber mehr als einmal, das wusste er nur zu genau, hatte er sich zusammenreißen müssen, um sich nicht einen runterzuholen beim Anblick der Nacktbilder, die er geschossen hatte. „Scheiße“, murmelte Julien und klappte schlussendlich seinen Laptop zu. Er hatte sich verknallt. In nicht weniger als fünf Tagen hatte er sich erfolgreich in einen Ballett-Tänzer verknallt, der ihn sehr wahrscheinlich für einen „komischen Typen“ und nach den heutigen Begebenheiten mit Sicherheit auch für eine Heulsuse hielt. Es war dieser Blick gewesen. Dieser Blick, bei dem er geglaubt hatte, er wäre bewusst an ihn gerichtet gewesen. Zwei Augen, blau wie die See, die in seine schauten. Wenn er an den Moment zurückdachte, kribbelte sein ganzer Körper. Aber gleich darauf wurde ihm schlecht, weil da eigentlich nichts gewesen war. Er hatte sich alles nur eingebildet. Leo wollte nichts von ihm. „Na, ich hab dir ja von Anfang an gesagt, dass bei diesen Tänzern vielleicht der Richtige für dich dabei ist.“ Pascal wirkte auf Julien viel zu wenig mitfühlend, nachdem er ihm von seiner Erkenntnis berichtet hatte. Stattdessen freute er sich auch noch, dass er sagen konnte, er hätte Recht behalten. Aber das hatte er nun mal. „Und was wirst du jetzt machen, um sein Herz zu erobern?“ Julien war irritiert und brachte seine Verwirrung nonchalant zum Ausdruck: „Häh?“ „Na, du wirst doch sicherlich nicht den Rest deines Lebens wie ein Trauerkloß hier rumsitzen und darüber wehklagen, dass du dem Tututänzer nie gesagt hast, was du für ihn empfindest.“ „Ich weiß nicht...“, erwiderte Julian unmotiviert und sackte noch mehr in sich zusammen als ohnehin schon. „Ich denke, ich kann mich ganz gut mit so einer Zukunft als Trauerkloß anfreunden.“ „Ach Schwachsinn“, schmetterte ihm Pascal direkt entgegen und warf eins der Sofakissen nach Julien. „Du als Künstler solltest lieber keinen allzu düsteren Gedanken nachgehen, sonst liebäugelst du noch mit dem Strick als letzten Ausweg. Dabei solltest du viel lieber mit dem knackigen Tänzerhintern liebäugeln.“ Pascal bekam das Kissen mit voller Wucht zurückgeschmissen, was ihn nur dazu brachte, Julien breit anzugrinsen. Der grunzte nur genervt zurück und drehte sich mit seinem Schreibtischstuhl mit dem Rücken zu Pascal. Beide schwiegen sich an. Aber nach kaum einer Minute erhob sich eine leise, wieder etwas hoffnungsvoller klingende Stimme. „Und was für eine tolle Idee hast du?“ „Naja, dich auf jeden Fall nicht selbst umzubringen.“ „Ich meine für die Herzeroberungsnummer.“ „Genau die gleiche: keinen Selbstmord begehen. Für den Rest muss ich mir noch was ausdenken.“ „Dann denk schneller.“ „Nur nicht ungeduldig werden. Amor hat Eva und Adam auch nicht mit dem ersten Pfeil getroffen.“ Julien sparte sich die Frage zu diesem absurden Vergleich. „Wir brauchen eine Begegnung. Denn eins ist klar: wenn du hier wirklich den Trauerkloß spielst und deinen hübschen Hintern nicht aus deinem Zimmer bekommst, wirst du den Tänzer so oder so nie wieder sehen. Wo also könntet ihr euch treffen? Möglichst ungezwungen. Ein öffentlicher Ort, aber nicht zu viele Menschen... hmm...“ Während Pascal noch grübelte, hatte Julien schon den zündenden Einfall. „Die Ausstellungseröffnung unserer Zwischenergebnisse.“ „Das ist ja echt super ungezwungen...“ „Du hast nichts von ungezwungenem Kleiderstil gesagt.“ „Mir geht’s dabei nicht mal um die Kleiderordnung. Aber das ist doch DAS Medienspektakel unserer Uni.“ Julien zuckte mit den Schultern und Pascal gab schließlich nach. „Schön und gut. Und wie bekommen wir ihn da hin?“ Julien rollte mit dem Stuhl an seinen Arbeitstisch, legte den Laptop auf seinen Schoß und drehte ihn so, dass Pascal die Bilder sehen konnte. „Damit!“ „Keine schlechte Idee. Aber die Nacktbilder würd ich Herrn Auerbach lieber nicht vorzeigen.“ Pascal lachte laut, als Julien den Bildschirm des Laptops sofort wieder wegdrehte. „Haha! Das hatte ich nämlich schon vor. Damit er so richtig scharf auf mich wird und wir es noch am gleichen Abend miteinander auf der Studententoilette treiben.“ Julien ließ es nicht dazu kommen, darauf weiter einzugehen. Er hatte einen Plan. Jetzt galt es nur noch ihn umzusetzen. Und um alles andere in die Wege zu leiten, musste er jetzt von dem Fotoshooting mit seinem Traumtänzer nur noch das perfekte Bild heraussuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)