Ode an den Tod von Lykkana ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Mit einem bedauernden Lächeln strich die knöcherne Hand der vor Angst keuchenden Frau die Haare aus der Stirn. Er legte den Kopf schief und zwirbelte eine der dicken, roten Strähnen zwischen seinen Fingern. Gold mischte sich unter das blutrot und lies die leuchtende Pracht auf ihrem Kopf strahlen wie das erste Licht der Morgensonne. Mit einer blitzschnellen Bewegung zückte er seinen Dolch und schnitt die Strähne auf Kinnhöhe ab. Lächelnd beobachtete er wie sie sich noch mehr in ihren Fesseln wand, doch sie hatte keine Chance. „Gleich ist es vorbei mein Schatz. Nur noch wenige Augenblicke und du musst nie wieder leiden. Du darfst auf ewig bei mir bleiben und für uns singen.“ Er klatschte begeistert in die Hände, doch nur ein klackern ertönte, als die bloßen Knochen aufeinandertrafen. Jubel brandete um sie herum auf und die Kreaturen auf den Rängen, Balkonen und im Hof stimmten Lobgesänge und Schreie an. Tränen rannen der wunderschönen Gefangenen aus den Augen und verwandelten sich, sobald sie ihre Wangen verließen, in weiße Diamanten. Ein Magier mit langem, weißen Bart deutete auf den Bottich unter ihr und die Flüssigkeit in ihm begann sich zu regen. „Sing mein Vögelchen und befreie all die armen Seelen! Sing bis in den Tod!“ Der Wahnsinn leuchtete ihr aus leeren Augenhöhlen entgegen. Sie hob mit einem Schluchzen den Kopf und suchte Ihn in der Menge. Seine bernsteingelben Augen waren starr auf sie gerichtet und zeigten keine einzige Gefühlsregung. Einzig seine in die steinerne Brüstung gekrallten Finger und die blutleeren Lippen verrieten seine wahren Gefühle. Sie spürte wie der Bernstein um ihre Füße einschloss und begann zu singen. Für den einzigen Mann den sie je geliebt hatte. Für den Mann, der sie verraten hatte. 1.Kapitel --------- Schwarze Sturmwolken jagten über den mondlosen Himmel und verhüllten die Welt vor den Augen der Götter. Dies war eine Nacht des Bösen und die unaussprechlichen Dinge, die in diesen Stunden der Finsternis geschahen, würden mit dem nächsten Morgengrauen verblasst und vergessen sein. Ohne ein Wort würden die blutigen Zeichen an den Türen der Menschen abgewaschen und mit dem roten Strom gurgelnd die Gassen abwärts im Rinnstein davongetragen werden und niemand würde nach dem Kind fragen, das hinter einer solchen Tür aus seinem Bett verschwunden war. Vergiss was du hörst, verschweig was du siehst. Wer von den Faeye geholt existiert nicht mehr. Nicht einmal die größten Toren und die vorwitzigsten Jünglinge, wagten sich über dieses ungeschrieben Gebot hinweg zu setzten. Denn Sie herrschten über die Zeit zwischen der Dämmerung des alten Tages und dem Erwachen des neuen und verbreiteten dort Angst und Schrecken. Die Faeye des kalten Königs, der in der Festung Nelömjineir tief im Schattenland, jenseits der Nebelberge herrschte. Niemand, weder Menschen noch Tiere, verirrten sich in die Nähe der Wolfspassage, dem einzigen Weg über das Gebirge, zu deren Füßen sich der tote Wald erstreckte und der Pfad endete, über den die Dunklen ihre lebendige Fracht in die Schattenländer brachten. Und doch hatte es heute Nacht jemand gewagt das Gesetz zu brechen und ihnen ihre Beute gestohlen. Das kleine Mädchen in den Armen des Diebes, klammerte sich verängstigt in den groben, braungrünen Stoff des Mantels, der sie vor den Blicken der Faeye schütze und lauschte dem wutentbrannten Geheul der Jäger hinter ihnen. Die Hufe des mitternachtsschwarzen Pferdes trommelten in einem halsbrecherischen Tempo auf dem mit Kiefernnadeln bedeckten Wildwechsel und brachte den Boden zum beben. „Alles wird gut, hab keine Angst.“ Das sanfte Murmeln des Reiters beruhigte den flatternden Herzschlag des Kindes, der die Faeye schier wahnsinnig machte. Gleichzeitig versuchte er im vorbei rasenden Dickicht eine Lücke auszumachen, die sie dem Fluss ein Stückchen näher und die Verfolger auf eine falsche Fährte locken würde, doch selbst wenn es alleine eine Chance auf überleben hätte - was jedoch definitiv nicht der Fall war - würde das Kind nicht durch das Gestrüpp hindurch finden. Die Sträucher, die zu einer Art geschlossenem Gang zusammengewachsen waren, schienen immer dichter zusammenzurücken und er musste sich immer öfter, um den Zweigen und Dornenranken auszuweichen, die ihn ohne Zweifel sofort aus dem Sattel gerissen hätten. Ein besonders tiefhängender Ast streifte seinen Kopf. Er riss ihm die Kapuze herunter und enthüllte eine Flut flammend roten Haares, die wie eine leuchtende Fahne hinter ihnen herwehte. Die Kleine starrte fasziniert in ein bleiches Gesicht mit hohen Wangenknochen und riesigen, tief grünen Augen. Nun konnte sie auch die kleinen, spitz zulaufenden Ohren sehen und die Tätowierungen an der linken Schläfe, durch die sich eine feine Narbe zog. Die Elfe warf ihrem Schützling einen kurzen Blick zu und trieb Alièn an, noch schneller zu laufen. „Schau nicht zurück. Sie können deine Angst riechen.“ Sie hielt sie unwillkürlich ein wenig fester damit sie nicht herunterfiel und richtete ihren Blick nach vorne, wo sie hinter der nächsten Biegung hoffentlich ihre im Augenblick einzige und letzte Hoffnung, vorausgesetzt sie war in den letzten fünfzig Jahren nicht ausgetrocknet, erwartete. Sie spürte wie das kleine Mädchen sich etwas vorbeugte und an ihr vorbeilugte und seufzte stumm. Eine der unliebsamsten Eigenschaften der Sterblichen war unbestritten ihre Unfähigkeit einfachste Verbote und Befehle zu befolgen. Aber nun war das Unglück bereits geschehen und sie konnte nur noch versuchen das Beste daraus zu machen und den Abstand zur immer nervöseren Faeye-Meute zu halten. „Wie viele sind es?“ Die winzige Körper bewegte sich noch ein kleines bisschen mehr nach vorne und warf sich im nächsten Moment ruckartig und mit einem erschrockenen Aufkeuchen nach hinten. „Fünf, es sind fünf!“ Lioël biss die Zähne zusammen und bemühte sich Alièn so gut es ging zu entlasten. Faeye konnten fließendes Wasser nicht überqueren und wenn sie es schaffte den kleinen Fluss, einen kleinen Seitenarm des großen Stroms, zu überqueren, bevor Sie sie einholten, hätte sie zumindest genug Zeit gewonnen um das Kind in Sicherheit zu bringen. Heiseres Fauchen drang aus den Kehlen der Faeye. Die Diebin mit dem Flammenhaar durfte nicht entkommen! „Das Kind ist unser! Gib es uns!“ Eine verlor die Beherrschung und schleuderte wie von Sinnen kreischend, ihren Speer nach den Flüchtlingen. Ein unterdrücktes Stöhnen entwich dem Mund der Elfe, als die Metallspitze durch Fleisch, Muskeln und Sehnen, tief in ihren Körper fuhr, bis sie auf Knochen stieß. Ihr rechter Arm baumelte nun nutzlos an ihrer Seite herab. „Halt dich fest!“ Zischte sie und packte die Zügel fest mit der linken. Die Stute passierte die Biegung und beinah hätte sie vor Erleichterung gejubelt. Das blau glitzernde Band, das nur noch wenige Pferdelängen entfernt lag, schien zum greifen nah, doch Lioël wusste, sie durfte nicht zu früh triumphieren. Faeye waren gemein, hinterhältig und in ihren magischen Fähigkeiten nur noch von Lioëls eigenem Volk, den Elwaey (oder wie die Menschen sie auch nannten, Elfen) übertroffen. Außerdem waren sie nicht umsonst überall gefürchtete und dem kalten König, der Stärke und Macht verehrte, Untertan. Alièn schien die aufflackernde Hoffnung ihrer Reiterin zu spüren, denn sie stoppte abrubt und katapultierte sich mit einer unglaublichen Kraft in die Luft. Der gewaltige Sprung hätte sie sicher bis ans andere Ufer bringen sollen. Und doch waren sie zu langsam gewesen. Das Zischen, mit dem der zweite Speer die Luft durchschnitt, drang nur einen Wimpernschlag, bevor die Waffe sich sich in den mächtigen Pferdeleib bohrte, an ihr Ohr. Alièn geriet ins Trudeln, strampelte wild mit den Beinen durch die Luft und streckte sich noch ein wenig mehr, doch es war zu spät. Von ihrer Flugbahn angebracht, rasten sie dem harten Erdboden entgegen. Lioël warf sich zur Seite und versuchte abzuspringen, um nicht unter ihrer Stute begraben zu werden, doch ihr Fuß hatte sich im Steigbügel verfangen. Die Wucht des Aufpralls schleuderte sie aus dem Sattel und der Lederriemen, der ihren Fuß gefangen gehalten hatte, riss. Sie spürte, wie ihr wie in Zeitlupe das lebende Bündel entglitt und versuchte verzweifelt mit dem gesunden Arm fester zu zupacken, doch es rutschte ihr aus der Hand, traf hart auf dem Boden auf und kullerte in den Bach hinein. Sie hatte keine Zeit für Zimperlichkeiten. Grimmig entschlossen biss sie die Zähne zusammen, riss den Speer heraus und schleuderte ihn von sich. Lioël rollte sich etwas unbeholfen über die linke Schulter ab, ignorierte ihren heftig protestierenden Arm und zog ihr Schwert. Das Mädchen hatte es, Eleyna sei gepriesen, geschafft sich aus den Lumpen zu befreien in die sie es gewickelt hatte, um für eine Weile den reinen Geruch nach Unschuld, der die Faeye so lockte, zu übertünchen und saß nun reglos vor Angst im knapp drei Hand hohen Wasser. Die Faeye hatten einen weitläufigen Kreis um sie herum gebildet, immer darauf bedacht dem Wasser nicht zu nahe zu kommen. Es waren sieben. Die schrecklich schönen Gesichter verzerrt zu grotesken Masken, die nichts als puren Hass und Zorn erkennen liesen. Riesige, bernsteingelbe Augen starrten hungrig auf das junge Leben, das direkt vor ihnen und doch unerreichbar war, richteten sich wie auf ein geheimes Kommando, auf die Schuldige, die es ihnen genommen hatte. Elfen und Faeye waren nie besonders gut miteinander ausgekommen, doch seit sich das Lichte Volk mit dem dunklen König verbündet hatte, gab es Tote sobald sie aufeinander trafen. Der heimlich und still geführte Krieg tobte nun schon seit mehr als tausend Jahren, doch seit die Elfen immer weniger wurden und sich auf königlichen Geheiß bedeckter halten mussten, waren sie dazu übergegangen, den Feinden die Kinder zu entreißen, die sie für ihren Herrscher stahlen und deren vergossenes Blut den Ruf nach Vergeltung bis in alle Winkel der Welt sandte. Zumindest für die, die ihn hören wollten. Lioël lächelte schmal und senkte leicht den Kopf. „Gib uns das Kind!“ Fauchte einer, ein hochrangiger Offizier oder Kommandant, wie sie an seiner mit grell leuchtenden, bunten Edelsteinen besetzten, gläsernen Rüstung erkannte. Dazwischen waberten mit Blut geschriebene, alte sayilische Symbole über die nahezu unzerstörbare Oberfläche, Tribute an ihren Schattenkönig. „Holt es euch doch.“ Sie hob das Schwert und präsentierte ihnen die blanke Schneide. Der Faey stieß ein zorniges Geheul aus und plusterte aufgebracht seine Kopffedern auf, die in einem hellen violett schillerten. „Zerreißt sie und bringt mir ihr verfluchtes Herz!“ Wie Höllenhunde die man von der Kette auf ein Reh losgelassen hatte, stürzten seine Krieger auf das götterverfluchte Elfenweib los. Melnior konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Mit nur einem Arm gegen sechs Mitglieder Seiner persönlichen Leibgarde, hätte nicht einmal die Göttin Saylia selbst eine Chance. Der erste erreichte die Frau und noch bevor er den ersten Streich gegen sie zu Ende führen konnte, der ihr mit Sicherheit die Schwerthand abgetrennt hätte, stieß sie mit einer Schlangenhaften Anmut vor und schlug ihm mit einem Schlag den Kopf ab. Noch in der Bewegung blockte sie den Angriff des Nächsten und warf ihn zurück. Der Faey knurrte und warf einen wütenden Blick auf den noch zuckenden Rumpf, aus dessen Halsstumpf rotes Blut pulsierte. Der zweite seiner Männer fiel, durchbohrt von verhexten Elfenklinge, doch Melnior griff nicht ein. Wenn sie Sie in die Enge drängten, würde sie nur nach hinten ausweichen und damit direkt in den Bach, außerhalb seiner Reichweite gelangen. Zuerst musste einer seiner Krieger hinter sie gelangen. Doch das Weibsbild begann zu schwächeln. Schweißtropfen liefen ihr über das Gesicht und sie wurde zunehmend blassen, der Blutverlust durch die Schulterwunde machte sich bemerkbar und ihre Gegner brachten sie immer mehr in Bedrängnis. Aber nicht nur der Hauptmann bemerkte, wie Lioël die Kräfte verließen. Auch sie selbst spürte wie ihre Bewegungen langsamer wurden und die Tatsache, sie in den letzten drei Tagen weder geschlafen noch gegessen hatte machte die ganze Situation auch nicht grade besser. Immer wieder brachten die Faeye ihr kleinere Wunden bei, nichts schlimmes, doch allein das sie so nah an sie herankamen um sie mit ihren Schwertern berühren zu können, verriet einiges über ihren Zustand. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte mit der Bösartigkeit einer Wildkatze. Sie hatte keine Zeit mehr sich mit Faeye töten aufzuhalten. Immerhin hatte sie das Mädchen nicht gerettet, damit es jetzt an Unterkühlung starb und diese elenden Kreaturen am Ende noch die Leiche in die Finger bekamen und für ihre schändlichen Taten missbrauchten. Mit einem brutalen Frontalangriff schlug sie die zudringlichsten von ihnen zurück und stieß ihr Schwert durch die Kehle des Unteranführers, der nur unwesentlich weniger Juwelen trug als sein Offizier, der noch immer mit unbewegter Mine dem Kampf folgte. Die Klinge glitt durch Haut, Muskeln und Fleisch, durchstieß die Luftröhre, bis sie auf die Halswirbel traf. Stille um sie herum. Mit einem Ruck riss Lioël ihr Schwert aus dem Körper, der röchelnd zu Boden ging, die Augen in stummer Verwunderung auf seine Mörderin gerichtet. Die restlichen zwei starrten ungläubig auf den Sterbenden zu ihren Füßen. Die Elfe schienen sie vollkommen vergessen zu haben. Lioël nutzte den Moment des Schreckens, wirbelte herum und überbrückte die letzten Schritte bis zum Bach mit einem einzigen Satz. Für einen winzigen Augenblick drehte sie sich um und grinste überheblich. Das angenehm kühle Wasser umspülte ihre Beine, kroch an ihnen hinauf und breitete sich über ihren gesamten Körper aus, bis es ihn wie eine zweite Haut, schützend umhüllte. Alle überlebenden Faeye hatten sich um ihren toten Unteranführer versammelt und knieten neben ihm, Sprüche und Gebete in ihrer eigenen, rauen Sprache murmelnd. Nur einer von ihnen sah sie an. Ihr Blick brannte sich in sein Gedächtnis, so voller Triumph und Selbstgefälligkeit, dass Melnior ihr am liebsten den schlanken Hals umgedreht hätte. „Wer bist du?“ Zischte er auf elwaey. „Das weißt du nicht? Ich fühle mich beleidigt.“ Gab sie zurück, doch ihr Ton verriet nichts als pure Belustigung und vielleicht klang auch eine Spur Erleichterung heraus. „Ich interessierte mich nicht für die Namen meiner Opfer.“ „Und warum fragst du dann nach meinem Faey?“ Die Frau watete durch das Wasser, bis zu dem kleinen Mädchen, dass noch immer zitternd im dasaß und seiner Retterin hoffnungsvoll entgegensah. Sie hob es hoch und flüsterte etwas in die Luft, woraufhin sich das weiße Nachthemd von selbst trocknete. „Um Saiylia den Namen derjenigen nennen zu können, die ihren Sohn, den Prinzen von Nelömjineir, ermordet hat.“ Einen Atemzug lang verzerrten Furcht und Unglauben ihr Gesicht, doch es war so schnell vorüber, das Melnior es sich genauso gut eingebildet haben konnte. Ihr Mund öffnete sich zu einem beinah überirdisch melodischem Lachen. „Dann sag ihr, Lioël Drachentöterin hat ihren herzlosen Bastard hinab in die Hölle geschickt und wird dafür sorgen, dass auch ihr herzloser Gemahl ihm bald Gesellschaft leistet!“ Melnior neigte spöttisch den Kopf. „Ich werde es ihr ausrichten lassen Drachentöterin vom Fenrisberg.“ Mit einer wedelnden Handbewegung entließ sie ihn aus ihrer Audienz und er ärgerte sich, dass es sich auch genauso anfühlte, obwohl sie in einem Bach stand und genau wusste er würde sie weiterhin jagen und erlegen wie ein Reh, egal wie lange es auch dauern möge. Er befahlt Tragen zu bauen, um die Leichen zurück zur Grenzfestung zu bringen und von dort nach Nelömjineir, wo ihnen die letzte Ehre erwiesen werden würde. Lioël wartete, bis der letzte Faeye zwischen den Bäumen verschwunden war, dann setzte sie das Mädchen am sicheren Ufer ab, warf ihren Umhang auf den Boden und rannte zurück zu Alièn. Die treue Stute lag auf der Seite, der Schaft des Speers ragte wie ein mahnender Finger aus ihrer sich heftig hebenden und senkenden Flanke und ihre Nüstern, die beinah das Wasser berührten, glänzten rötlich. „Shhshh mein Stern.“ Liebevoll legte sie den schweren Kopf des schönen Tieres in ihren Schoß und strich ihm über die tiefschwarze Stirn. Dann begann sie zu singen. Töne, so rein und klar und heilend wie sonst nichts in den irdischen und göttlichen Welten, schwebten durch die Luft, zwischen den Bäumen hindurch und bis in den dunkelsten Winkel des Waldes. Alt elwaeyische Worte flossen aus ihrem Mund und hüllen sie und Alièn ein wie ein golden schimmernder Mantel. Alle Lebewesen die das Lied vernahmen, krochen aus der Erde und ihren Verstecken hervor, liesen sich rings um in den Bäumen nieder und streckten ihre Köpfe aus dem Wasser. Auch das Menschenkind lauschte gebannt und mit riesigen Augen und rückte ganz nah an den Bach heran, um so dicht wie möglich an die Elfe heran zu kommen. Vorsichtig beugte Lioël sich vor, ohne mit dem Singen aufzuhören und zog mit einer fließenden Bewegung den Speer aus dem Pferdeleib und warf ihn achtlos zur Seite. Unter den federleichten Berührungen ihrer sanft leuchtenden Hände, begannen sich die Wunden des Pferdes zu schließen und die gebrochenen Knochen fügten sich wieder zusammen. Neues Fell wuchs über dem rohen Fleisch und die bereits trüb gewordenen Augen klärten sich. „Bist du eine Göttin?“ Flüsterte das Mädchen ehrfurchtsvoll und schob die kleinen Hände unsicher in die Falten des Mantels, als schäme es sich die Frau berührt zu haben. Lioël erhob sich, klopfte sich den Staub vom Rock und nickte zufrieden. Alièn rollte sich auf den Bauch und schüttelte leicht benommen den Kopf. „Na los meine Süße, alles ist wieder in Ordnung.“ Aufmunternd tätschelte sie ihr den Hals und fing an das zerrissene Zaumzeug zu entwirren und die letzten verbliebenen Schnallen zu öffnen. Die Stute ächzte und prustete, als sie sich erhob und senkte sofort die Nase in das kühle Nass des Baches vor ihr. Nun erst wandte die Elfe sich zu ihrem Schützling um. „Nein, ich bin keine Göttin.“ Sie lachte, hob die Hand und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Und du solltest so etwas auch nicht leichtfertig aussprechen. Sonst könnte es passieren, dass sie dir einen ihrer Boten schicken um dich daran zu erinnern an wen du wirklich glaubst.“ Sofort krabbelte das Mädchen ein Stück von ihr weg, als wäre Lioël selbst es, die sich in der nächsten Sekunde in eine dieser Bestien verwandeln würde. Die Boten der Götter waren eine der schrecklichsten Geschichten, die Mütter ihren Kindern erzählten, noch gruseliger und grausamer als die der Faeye, denn zumindest unartige Kinder mussten sich vor den Dunklen nicht fürchten. Wölfe, so groß wie die Bergbären des Nordens, mit zwei Schlangenköpfen und einen gehörnten Hyänenkopf, die die Menschen heimsuchten, die an ihren Herren zweifelten. Die Schlagen stritten ununterbrochen, eine verteidigte den Menschen, die andere zählte seine Verbrechen auf und der Hyänenkopf fraß oder biss den Ketzer, je nachdem wie das Urteil der anderen beiden Köpfe ausfiel oder spuckte ihm Gold vor die Füße, das ihn auf der Stelle tötete und direkt in die Hölle schickte. Alles keine besonders reizvollen Aussichten. Die Elfe löste den Sattelgurt und nahm Alièn die Ausrüstung, die nicht zerquetscht oder rings um verstreut worden war, ab. Dann trat sie dicht an ihre treue Gefährtin heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das Pferd schien zu nicken und verschwand mit einem hellen Wiehern im Gebüsch. Eine Weile blickte Lioël auf die Stelle, an der es verschwunden war, schüttelte kurz den Kopf um die lästigen Gedanken an die Faeye zu verscheuchen und suchte schnell einige Sachen zusammen und verstaute sie in einem intakten Beutel. Sie hob eine blaue Kralle auf und drehte sich schwungvoll zu dem Mädchen um, dass sich das Kleid um ihre Beine bauschte und fragte herrisch: „Wie ist dein Name?“ „Miryella.“ Sie überlegte kurz und kramte in einem Beutel an ihrem Gürtel herum. „Der wird es tun.“ Sie stieg anmutig über den Erdhügel, der bei ihrem Aufprall aufgeworfen worden war und hob den Saum ihres Kleides an, damit er nicht erneut nass wurde, denn für einen weiteren Trockenzauber hatte sie keine Kraft. Sie benötigte alle Magie die ihr zur Verfügung stand, um Miryella sicher nach Hause zu bringen. Mit riesigen Augen verfolgte die, wie Lioël mit ihrem blutgetränkten Schwert einen Kreis um sie herumzog und ihr eine weiße Feder und ein Blatt Papier in die Hand drückte. Dann kniete sie sich hin und begann mit der Kralle Symbole und Buchstaben in die Erde zu zeichnen und murmelte leise fremdartige Worte vor sich hin, wie Miryella sie noch nie in ihrem Leben gehört hatte. Ein feines Schimmern lenkte sie von den wundersamen Lauten ab und sie beobachtete mit Staunen, wie sich das feine goldene Netz, dass vorhin auch die Elfe und das Pferd umgeben hatte, sich um sie herumwob und sie vom Rest der Welt abschnitt. Die Geräusche des Waldes verstummten abrubt und Lioël zeichnete die letzte Rune. Dann richtete sie sich auf und wandte sich zu Miryella. Sie ging vor in die Hocke und drückte die Hand, die die Feder umklammert hielt, sanft an die Stelle, unter der das kleine Herz wie ein aufgeregter Vogel gegen ihren Brustkorb flatterte. „Ich werde dich nun nach Hause schicken.“ Sie lächelte und schaute der Kleinen ernst in die Augen. „Niemand wird dir auf deinem Weg etwas anhaben können, niemand wird dir ein Leid zufügen. Aber du darfst nie, unter keinen Umständen Papier oder Feder loslassen! Hast du mich verstanden? Auch wenn das Blatt nass wird, Risse bekommt, in Flammen aufgeht oder sich komisch anfühlt, lass es nicht los! Es wird dich nicht verbrennen. Es verwandelt sich nur in die Schlüssel der Tore, die du passieren musst. Du wirst im Haus deiner Eltern ankommen, geh sofort zu ihnen, behalte die Feder aber über deinem Herzen und das Papier in der Hand, bis du auf dem Schoß deiner Mutter sitzt. Dein Vater muss dann beides verbrennen. Am besten schließt du deine Augen bis du die Holzdielen deines Zimmers unter dir spürst.“ Miryella hatte zu allem was sie gesagt hatte, nicht minder ernst genickt und kniff nun die Augen fest zusammen. „Dankeschön!“ Fiel es ihr noch ein zu rufen, bevor die Elfe sie auf den Weg schickte. Die Erde tat sich unter dem Mädchen auf und in eine schützende Kugel aus Licht gehüllt, versank es in ihr, bis sich der Boden wieder über ihr schloss, so glatt und makellos, das niemand auf die Idee kommen würde, hier wäre einmal ein klaffendes Loch gewesen. Ein bisschen wehmütig schaute Lioël in den Himmel. „Ich hätte gerne mehr für dich getan kleine Miryella. Jetzt hängt dein Schicksal ganz allein von dir ab.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)