Zum Inhalt der Seite

Ein Unglück Kapitel 1+2 neu

Überarbeitet
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Begegnung + Ratschläge

Ein schöner Maitag neigte sich seinem Ende zu. Tenna, Erke, Micha und Nero hatten sich im Hexenkessel verabredet um Erkes Geburtstag zu feiern, doch es gab ein Problem: Nero wusste wieder mal nicht, was er anziehen sollte.

Es war immer das Gleiche. Er stand, nur in Unterwäsche, vor seinem hohen Wandschrank und zerbrach sich den Kopf. Seine hüftlangen von Natur aus schwarzen Haare flogen ihm ins Gesicht. Seit fünfzehn Minuten versuchte er sie zu bändigen was ihm grundsätzlich nie gelang, ohne sie sich mit einem Haargummi zusammen zu binden.

„Na gut. Irgendwas muss sich ja finden lassen“, knurrte er mies gelaunt. Er schmiss alle möglichen Klamotten aus dem Schrank und fand im hintersten Eck, was er gesucht hatte. Doch bevor er das registriert hatte, war das Kleidungsstück schon auf dem Wäscheberg gelandet welcher im ganzen Schlafzimmer verteilt war. Deshalb wühlte Nero weiterhin und mittlerweile ziemlich entnervt in einem Meer aus schwarzen Röcken, Hosen, T-Shirts und Pullis.
 

Er schlüpfte in seine geliebte Lederhose, zog ein einfaches Hemd über und schlüpfte anschließend in seine New Rocks – wadenhohe Boots, aus Lackleder, mit fünf Schnallen an der Seite und Eisenbeschlägen an Hacke und Spitze -, welche ihn seit drei Jahren ständig begleiteten. Geschminkt, mit der Sonnenbrille auf der Nase und dem Geldbeutel in der Manteltasche, brach er schließlich auf. Im Bus traf er noch zufällig seinen besten Kumpel Micha. Zusammen fuhren sie zu ihrem Stammclub und begegneten den anderen beiden vor dem Eingang.

„Hi, Großer“, grinste Nero.

„Du musst gerade reden.“, feixte Erke, denn Nero war gerade mal 2 Zentimeter kleiner als er selbst, doch bei 2 Metern war es kein Kunststück.

„Oder soll ich vielleicht ´Alter´ sagen?“

„Na ja… nicht wirklich.“ Nero nahm das Geburtstagskind fröhlich in den Arm. Er war unglaublich froh, dass Erke endlich entlassen worden war. Diese Jahre, in denen er seinen Drogenentzug gemacht hatte, waren wirklich schlimm gewesen. Erke sah wieder einigermaßen gut aus. Nicht mehr ganz so abgemagert, wie er ihn kennen gelernt hatte. Sein breites Grinsen war allerdings nicht zu übersehen und die Fröhlichkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Auch die anderen beiden nahmen ihn happy in die Arme. Sie waren nicht weniger glücklich.

„Eben“, nickte der Schwarzhaarige, bezahlte und stapfte am Türsteher vorbei. Die drei folgten ihm und so suchten sie sich in einer der hinteren Ecken, einen gemütlichen Tisch.

Nero ließ seinen Blick durch das trübe Licht und den Nebel schweifen. Nicht weit von ihm, saß ein Mann, er schätzte ihn auf 22, dem seine Haare etwas zerzaust über die Schultern fielen, da er vornüber gebeugt über etwas brütete. Es war ein kleiner Schreibblock, wie Nero kurz darauf erkannte. Er hielt seine störende Mähne mit seiner rechten Hand zurück und kritzelte eifrig weiter.

Wie kann man in einen Club gehen und schreiben? Wäre mir ja zu blöd, dachte sich Nero leicht kopfschüttelnd und zog erstaunt eine Augenbraue nach oben, als der Blick des anderen dein seinigen traf. Als hätte er seine Gedanken lesen können. Ihm lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. Seine Kehle schnürte sich wie von Zauberhand zu. Er spürte geradewegs, wie sich die Augen des fremden Mannes in die seinen bohrten. Nero wandte sich schnell ab.

Was soll das denn, fragte er sich insgeheim. Er hatte schon viele Männer gesehen, Gutaussehende und welche die weniger hübsch waren, doch so etwas war ihm noch nicht passiert. Urplötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

"Ich geb´ einen aus.", meinte Erke belustigt. Nero verbannte das, was ihm eben widerfahren war aus seinem Hirn und wand sich seinen Freunden zu.

"Rotwein bitte danke.", grinste der Schwarzhaarige und keinen Moment später war der Violetthaarige in der tanzenden Menge verschwunden.
 

Der Abend wurde immer lustiger und den Mann hatte Nero schon längst wieder vergessen. Alle vier waren etwas angetrunken, wenn nicht sogar betrunken. Micha und Nero hatten jeder, schon mindestens, zwei Maß Bier und drei Gläser Rotwein intus. Keiner der beiden registrierte mehr wirklich, was um sie herum geschah Tenna und Erke ging es auch nicht anders. Micha wollte gerade aufstehen, um auf die Tanzfläche zu gehen, doch war er schon so betrunken, dass er kaum noch alleine stehen konnte. Er wankte gefährlich in alle Richtungen und wäre auch beinahe gestürzt, hätte Nero ihn nicht noch im allerletzten Augenblick auf seinen Schoß gezogen. Sein Blick war verschleiert und ein Dauergrinsen hatte sich auf seine Lippen geschlichen. Er kicherte kurz, nahm Michas Gesicht in die Hände und küsste ihn. Einfach so. Ohne einen Grund.

Er senkte seine Lippen auf die seines besten Freundes, ihre Zungen berührten sich flüchtig, fanden einander wieder und keinen Moment später waren sie in einen sehr leidenschaftlichen Kuss vertieft. Es dauerte etwas, bis sie voneinander abließen. Alle vier waren nicht bei vollem Verstand um zu erkennen, dass das normalerweise nicht so abgelaufen wäre, wären sie noch nüchtern gewesen. Doch das schien sie im Augenblick weniger zu stören.
 

Es war schon fast Morgen als er sich auf den Weg nach Hause machen wollte. Wankend stand er auf und torkelte einem jungen Mann direkt in die Arme.

"Oh... schorry...", lallte er und kicherte. Es dauerte ein paar Sekunden bis Nero mit seiner langatmigen und unzusammenhängenden Entschuldigung fertig war.

"Ja, ja... schon gut.", nickte der Mann.

Anscheinend blöderweise in die falsche Richtung gelaufen da er ihm, nachdem er umgedreht hatte, wieder anrempelte. Seine Koordination war absolut nicht mehr die Beste.

"Hei... wasss dust‘n du hiea?", lallte er.

"Gott hast du eine Fahne..." Ein Kopfschütteln des jungen Mannes und ein leichtes Schmunzeln, welches er sich nicht hatte verkneifen können. Das Gesicht des anderen war vom Alkohol etwas rötlich, die Augen waren glänzend und das verschmitzte Lächeln und der Schlafzimmerblick, waren einfach zu köstlich.

"Ick hab keiine Faahne", gurgelte Nero trat einen Schritt nach vorn und stolperte geradewegs auf die Fahrbahn.

„Hey! Vorsicht!“, rief der Unbekannte und zog ihn gerade noch rechtzeitig von der Straße, als ein Lastwagen in rasanter Geschwindigkeit an ihnen vorbei fuhr.

„Hoppala.“ Nero fuhr sich durch die Haare. Der angenehme Duft von Patschoulie drang in seine Nase, als er sich umdrehte. Er liebte diesen Geruch seit er ihn das erste Mal wahrgenommen hatte.

„Junge, Junge. Wie viel hast du eigentlich getrunken?“, fragte der Schwarzhaarige kopfschüttelnd. „Dich kann man ja nicht mehr auf die Menschheit loslassen.“

„Suu viel.“, nuschelte Nero benommen. Sein Blickfeld war völlig verschwommen, seine Beine gehorchten ihm nicht mehr so wie sie sollten und seine Gedanken waren irgendwo nur nicht im Hier und Jetzt. Er musste nach Hause, das wusste er noch, allerdings dauerte der Fußmarsch noch eine halbe Stunde. Er hoffte inständig, dass er bis dahin halbwegs ausgenüchtert war, ansonsten konnte er die Nacht wohl im Badezimmer über der Kloschüssel verbringen.

Der Unbekannte hatte ihn immer noch am Arm gepackt und schüttelte nur wieder den Kopf. „Soll ich dir ein Taxi rufen?“

„Hmm? Nein…. Zu Fuß… besser.“, gurgelte Nero. Die warme Sommerluft drückte ihm unangenehm gegen den Kopf. „Ausnüchtern.“

„Scheiße.“ Fluchte der Schwarzhaarige und seufzte dann schwer auf. „Kennst du den Weg, dann begleite ich dich ein Stück, nicht dass du vom nächsten Laster überfahren wirst.“

Nero schielte ihn fast an. Sah den Mann doppelt und war ihm insgeheim für das Angebot sehr dankbar. „Da lang.“, murmelte er und torkelte voran.
 

An seinem Wohnblock angekommen, fummelte Nero zuerst in seiner Manteltasche herum, fand den Schlüssel und beugte sich dann so weit zum Schlüsselloch hinunter, dass man hätte meinen können, er wäre mehr als kurzsichtig.

„Habs gleich.“ Allerdings brachte es einfach nicht zustande aufzuschließen. Dass blieb dann an dem jungen Mann hängen. Er brachte ihn nach oben, doch als sie in der Wohnung waren, wusste er nicht so wirklich, ob er ihn alleine lassen sollte. Eigentlich wollte er ja nach Hause, aber er konnte es auch nicht zulassen, dass Nero, besoffen wie er war, gegen irgendetwas knallte und sich wohlmöglich noch das Genick brach.

Benommen torkelte Nero in sein Schlafzimmer und fiel bäuchlings auf sein Bett. Ein lautes Schnarchen ertönte und er war eingeschlafen.

"Klasse.", knurrte der Fremde. Er besah sich die Bettwäsche.

Nachtschwarz... und dann die weiße Schminke und das verschwitzte Zeugs? Scheiße, was geht’s mich an? Ich muss den Dreck ja nicht waschen.

Normalerweise wäre er lieber gegangen, doch wenn Nero aufwachen würde, wäre er immer noch betrunken und ihm konnte genauso viel passieren wie in dem Moment. Also setzte er sich neben das Bett, bettete seinen Kopf auf die Matratze und schlummerte ungewollt ein.
 

Am nächsten Morgen wachte Nero erst gegen zwölf Uhr mittags auf.

"Gott, mein Schädel brummt.", stöhnte er auf. "So ein Scheiß", brummte er. Der junge Mann wollte gerade aufstehen, als er neben sich einen Kopf und den dazugehörigen Körper erblickte. Er hatte keine Ahnung, wer das war oder wie derjenige hier hergekommen war. Nero wusste noch, dass er alleine aus dem Club gegangen war.

Ich träum immer noch, schoss es ihm durch den Kopf und er sprach seinen

Gedanken laut aus.

"Nee, glaub ich weniger.", murrte der Unbekannte und hob seinen Kopf von der Bettkante. „Fuck, ich bin eingeschlafen….“

Ein eingefallenes Männergesicht mit nachtschwarzen Augen und schon fast unnatürlich roten Lippen, starrte ihn finster an.

"W... was... wie... wo... warum…" Nero verstand überhaupt nichts mehr. Was soll das? Fragte er sich insgeheim. Er hatte sich aufgesetzt und war auf die andere Seite des großen Bettes gerutscht.

"Jetzt mach mal ruhig.", meinte der junge Mann mit seiner unglaublich tiefen und melodischen Stimme, welche einen kleinen melancholischen Unterton beherbergte.

"Ich... ich soll mich beruhigen?! Hallo?! Wer oder Was bist du eigentlich?" Aufgebracht, ein klein wenig hysterisch und wild gestikulierend saß Nero immer noch auf dem Bett. Dass sein Kajal ihm im ganzen Gesicht klebte, merkte er nicht einmal. Er machte keinerlei Anstalten, sich auch nur in die Nähe der schwarzen Gestalt zu begeben.

"Ich bin kein ETWAS.", schnaubte der unbekannte empört.

"WER bist du dann? Und überhaupt, wie bist du hierhergekommen?" Nero konnte

sich wirklich keinen Reim darauf machen.

"Ares Nünster. Freut mich.", stellte sich der Mann vor und lächelte düster vor sich hin. "Wie bin ich hergekommen. Nun, du warst gestern, oder eher heute, stockbesoffen. Bist mir im Hexenkessel in die Arme gelaufen und hast

unzusammenhängendes Zeugs gebrabbelt. Mal abgesehen davon dass ich kein Wort verstanden habe, bist du mir irgendwann in der Früh halb vor einen LKW gelaufen. Konntest kaum noch geradeaus gehen. Da ich nicht für deinen Tod verantwortlich gemacht werden wollte und du kein Taxi fahren wolltest, hab ich dir angeboten, dich zu begleiten.", erklärte er kurz und knapp und fing schon wieder an zu schmunzeln. Die Situation in der Nacht war im Nachhinein bedacht einfach zu komisch.

Nero hob abwehrend die Hände und musste erst einmal verdauen, was er eben gehört hatte. Nur vereinzelt tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Dass er mit Micha eine heiße Knutscherei gehabt hatte, wusste er noch und auch dass er sich ziemlich albern bei diesem Typen entschuldigt hatte, doch ab da hatte er den totalen Filmriss.

"Und warum bist du dann mit hoch?" Eine berechtigte Frage wie Nero fand. Seine aufgeregte Stimme hatte sich wieder normalisiert und auch der erste Schreck war aus seinen Knochen gewichen.

"Tja warum. Gute Frage. Du konntest nicht mal mehr die Tür aufsperren. Außerdem wollte ich nicht, wie schon gesagt, dafür verantwortlich gemacht werden, wenn du dir das Genick gebrochen hättest." Ares sah ihn an und wartete auf Neros Reaktion.

"Mann. War's echt so schlimm? Kann mich gar nicht mehr dran erinnern, hab voll den Filmriss." Er konnte sich das nicht vorstellen. So viel hatte er wohl noch nie getrunken, jedenfalls konnte er sich nicht mehr entsinnen, es getan zu haben.

"Schlimm. Na ja, dein Gelalle war ziemlich amüsant.", grinste Ares.

"Gott... hätte man wohl aufnehmen müssen, was?" Nero fuhr sich verlegen durch die Mähne und musste ebenfalls grinsen.

"Wollt mich jedenfalls nicht aufdrängen und da es dir ja anscheinend wieder besser geht mach ich mich mal auf den Weg nach Hause.", meinte Ares entschuldigend.

Das war auch nicht okay. Da machte er sich schon Sorgen und jetzt wollte er einfach gehen. Nero fand das nicht in Ordnung nur ihm fiel auch nicht wirklich ein was er eigentlich sagen, beziehungsweise machen sollte. Irgendwie musste er sich revanchieren oder wenigstens bedanken.

"Danke. Wäre wohl fies ausgegangen...", bedankte sich Nero. Er merkte richtig, wie er ein klein wenig rot anlief.

Ares winkte ab. "Ach was. Schon okay."

"Willst du noch einen Kaffee? Ich wüsste nicht wie ich mich anders bei dir erkenntlich zeigen könnte.", zuckte er mit den Schultern.

Ares blickte ihn irritiert an und man sah dass er sich ein lautes Lachen

verkneifen musste. "‘tschuldige. Wenn's keine Arbeit macht, gern.", bejahte er und ein Gähnen folgte. Er brauchte endlich seinen morgendlichen Kaffee, sonst würde er aus den Latschen kippen. Arbeiten musste er heute auch noch, obwohl er mittlerweile so oder so schon zu spät dran war. Blau machen konnte er allerdings auch nicht.

"Ach was. Weil das halt so viel Mühe macht.", meinte Nero ironisch und ging an ihm vorbei in die Küche. "Willst du Wurzeln schlagen?", fragte er belustigt als er Ares immer noch an Ort und Stelle stehen sah.

"Na ja. Wenn ich dir nicht im Weg umgehe..." Ein Zwinkern huschte zu Nero, der nicht wusste, was er darauf antworten sollte. Er ließ es bleiben und setzte Kaffeewasser auf während Ares in die gemütliche Küche geschlendert kam und sich auf einen der Stühle setzte. Er besah sich aufmerksam die Küche. Sie war gemütlich. Zum Großteil aus Holz, mit einem großen Tisch, einer Eckbank und einer kleinen Arbeitsfläche. "Niedlich.", meinte er nickend.

"Für mich reicht's.", antwortete er und stellte Ares eine Tasse Kaffee vor die Nase. "Milch, Zucker?"

"Keines von beidem, danke."

"Gut." Nero setzte sich ihm gegenüber auf die Eckbank und hievte seine Beine darauf.

Ein unangenehmes Schweigen machte sich zwischen den beiden breit.

"Bist du oft im Kessel?", fragte Ares seinen Gastgeber und riss ihn aus seinen

Gedanken.

"Ähm... na ja. Wenn ich am nächsten Morgen nicht raus muss und wenn die anderen Zeit haben. Sonst ist es langweilig. Und was ist mit dir?"

"Eigentlich weniger. Wie du sagst, alleine macht's keinen Spaß, außerdem muss

ich lernen." Ares zog eine Grimasse.

"Wieso lernen? Gehst du noch zur Schule?" Nero kam sich richtig blöd bei diesem Gespräch vor, aber was sollte er machen. Mal eine etwas andere Unterhaltung. Wenn Tenna, Erke und Micha bei ihm oder sie zusammen unterwegs waren, unterhielten sie sich über allen möglichen Schrott. Zogen über die kleinen Modepüppchen her was dann immer in einem Lachanfall von Tenna endete.

"Schule, von der bin ich, theoretisch, seit einer Ewigkeit runter. Nee... Ausbildung. Letztes Jahr. Ist zum kotzen bin froh, wenn ich die Berufsschule hinter mir lassen kann.", murrte Ares. „Obwohl, dann geht’s mir wohl erst recht an den Kragen.“ Er sah unglücklich drein.

"Ach ja... bin froh dass ich nicht mehr lernen muss. Du tust mir leid." Er hatte wirklich etwas Mitleid mit dem jungen Mann vor sich. Er hatte einen festen Job und dazu noch einen, der ihm recht gut gefiel. Auch wenn er nur Kunden beraten oder Regale einräumen musste. Geld brachte es immerhin. Außerdem war seine Chefin einfach klasse. Die Messearbeit zwei Mal im Jahr war zwar alles andere als ein Zuckerschlecken, aber es zahlte sich aus.

"Gib halt an."

"Mach ich doch eh schon.", kicherte Nero. "Sorry. Was hast du gestern eigentlich die ganze Zeit auf diesem Block geschrieben. Und das in der Disco, ich könnte mich nicht konzentrieren oder hätte den Kopf in dem Moment nicht zusammen. Stürze mich da lieber ins Gemenge zum Tanzen.“

"Deshalb brauchst du dich nicht zu entschuldigen.", meinte Ares, "Hab dich noch gar nicht danach gefragt, aber wie heißt du eigentlich?" Er sah ihn über seine Tasse hinweg an. Zog eine Augenbraue nach oben, verwundert darüber, dass sein Gegenüber das gesehen hatte. Obwohl wenn er sich recht entsinnte, genau zu dem

Zeitpunkt hatten sich gestern ihre Blickte getroffen. „Ich hab versucht irgendwie ein Rezept zustande zu bekommen. Hat aber nicht ganz funktioniert. Wie du sagtest, im Kessel kann man sich schlecht auf solche Dinge konzentrieren.“

"Rezept? Wofür denn ein Rezept? Stehen doch alle im Kochbuch." Er konnte sich das nicht ganz vorstellen, wieso sich jemand Gedanken um ein Rezept machte oder ein eigenes zu erstellen. Er wäre darin eine ziemliche Niete. Bis auf Nudeln, Tiefkühlpizza und Reis mit Fertigsoße konnte er nicht wirklich kochen. Obwohl, sein Kaffee war einsame Spitze. Auf die Frage nach seinem Namen gab er erst gar keine Antwort.

Ares lächelte auf eine geheimnisvolle und dennoch reizende Art und Weise. Nicht breit, sondern nur so weit, dass man seine Schneidezähne leicht sehen konnte. Seine Augen leuchteten… Nero fragte sich im Moment, wieso er auf solche Nichtigkeiten eigentlich achtete. „Ich mach eine Ausbildung zum Koch und das war mehr oder weniger ´Hausaufgabe.“ Das letzte Wort hatte er mit einem geseufzten Schulterzucken in Anführungszeichen gesetzt.

„Oh tatsächlich?“ Nero war überrascht. Besah sich den jungen Mann vor sich und nickte. „Nicht schlecht dann kannst du mir ja irgendwann mal zeigen wie man etwas anderes als Nudeln mit Soße, Schinken und Ei macht. Aber du siehst nicht aus wie ein Koch, wenn ich das mal so behaupten darf.“ Er breites Grinsen zierte seine Lippen. „Achso… meinen Namen wolltest du ja wissen.“ Er stoppte für einen kleinen Moment. „Nero.“

"Ja, kann ich schon machen.“ Das war also dann mehr oder weniger ein Zeichen dafür dass sie sich irgendwann einmal wieder sehen würden. „Dein Spitzname?"

"Jaa...", murmelte er gedehnt.

"Und dein eigentlicher Name?" Er konnte nicht viel mit Spitznamen anfangen. Außer jemand bat ihn eindringlich darum, ihn entsprechend anzureden. Aber ansonsten bevorzugte er eher die richtigen Namen.

"Frag mich bloß nicht. Den willst du sicherlich nicht wissen." Nero schüttelte angewidert den Kopf.

"Ich bin so frei zu fragen und möchte ihn dann auch gern wissen." Eine Augenbraue von Ares schwang in die Höhe und er blickte Nero erwartungsvoll an.

"Wenn du mich so nennst bist du einen Kopf kürzer.", drohte er.

"Keine Sorge. Ich möchte den gern noch behalten..." Ares betätschelte seinen eigenen Kopf der langsam aber sicher zu brummen anfing. Er brauchte frische Luft, frische Klamotten und Schokolade. Und vielleicht noch eine Zigarette, dann würde es ihm sicherlich wieder besser gehen.

"Von mir aus..." Nero rang kurz mit sich selbst und gab sich dann einen großen Ruck. "Neronnimo." Er hatte eigentlich erwartet dass Ares auf der Stelle anfangen würde zu lachen, stattdessen nickte er nur mit dem Kopf.

"Warum magst du ihn nicht?", fragte Ares und blickte ihm in die Augen. Drehte die Tasse in seinen Händen. Nahm noch einmal einen kleinen Schluck. Der Kaffee war wirklich sehr lecker, stellte er fest.

"Weil ihn mir meine Eltern gegeben haben.", gab er als strikte Antwort zurück.

„Das ist ein nachvollziehbarer Grund.“ Ein müdes Lächeln zog sich über sein Gesicht. "Nun denn..." Ares stand auf. Er sah etwas geknickt aus, aber vielleicht täuschte sich Nero auch nur und er war einfach müde. "Ich dank dir für den Kaffee. Er war wirklich sehr lecker.", nickte er.

"Nichts zu danken." Nero begleitete Ares noch zur Tür. "Darf ich fragen... wie alt du bist?", kam es dann ganz unverhofft aus seinem Mund. Er wunderte sich selbst über diese Frage.

"Noch knackige 20." Ares grinste ihn frech an. "Ich denk, man sieht sich.", lächelte er matt.

"19...", murmelte Nero ohne gefragt zu werden. War von der kecken Antwort ein klein wenig über den Haufen gerannt. "Denke ich auch. Bis denn...", verabschiedete sich Nero. Ares verschwand im Aufzug und war weg.
 

"Na, das war ja mal was.", murmelte Nero. Er ging zurück in sein Schlafzimmer, kramte nach frischen Anziehsachen und stieg unter die Dusche.
 

Sein Magen rumorte als der junge Mann aus dem Badezimmer geschlurft kam und ihm war ein wenig schlecht.

"Alkohol bekommt mir nicht.", schüttelte er sich. Zum Kochen hatte er keinen Nerv, also schob er eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Schon wieder dieser Fraß. Langsam nervt‘s. Ares muss mir wirklich zeigen wie man kocht.

Keine halbe Stunde später saß er gemütlich in seinem Wohnzimmer, aß sein Mittagessen, beziehungsweise Frühstück, lauschte der dröhnenden Musik und wurde abermals aus seinen Gedanken gerissen, als es klingelte. "Wer da?", meldete er sich an der Gegensprechanlage.

"Wir sind's.", antwortete die Stimme seiner besten Freundin.
 

"Tag.", grinste Tenna und die anderen Beiden folgten ihr in die Wohnung.

"Und? Schon ausgeschlafen?", fragte Micha und wuschelte Nero durch die Haare.

"Wie man sieht schon.", mampfte er mit einem Stück Pizza im Mund. Er lief leicht rot an, als er das lächelnde Gesicht seines besten Freundes betrachtete.

Noch nie zuvor hatte er einen Mann geküsst. Klar er war sturzbetrunken gewesen, was es jedoch nicht rechtfertigte. Micha allerdings schien das nicht im Geringsten zu stören. Er war es ja schließlich gewohnt mit Männern herumzumachen, nicht dass er was dagegen hätte, aber im Moment störte ihn der Vorfall schon ein bisschen. Schämen? Er wusste nicht recht ob er sich schämen sollte. Es war in der Öffentlichkeit und dann auch noch im Kessel gewesen. Ihr Stammclub. Nur seine Gedanken waren gerade viel zu aufgewühlt als dass er sich darum scherte, ob er nun gesehen worden war, was sicherlich geschehen war, oder nicht.

"Gott, ich muss euch was erzählen." Nero war in voller Aufregung. Er musste ihnen einfach erzählen, was er vorher erlebt hatte.

"Na dann mach, aber bekommen wir davor einen Kaffee?", fragte Erke.

"Jaa...jaa... 'türlich." Nero hüpfte in die Küche und setzte abermals Kaffeewasser auf und gab jedem eine Tasse.

"Hattest du Besuch?", wollte Tenna, neugierig wie sie war, wissen und deutete auf die zweite Tasse in der Spüle.

"Jaa... darum geht's ja." Wild gestikulierend erzählte er seinen Freunden, wasvorher passiert war. "Ich kann mich an das überhaupt nicht mehr erinnern.", beendete er seine Erzählung und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.

"Hört sich alles ziemlich, wie soll ich sagen, na ja, komisch an. Wie meintest du, heißt er?" Michas Augenbrauen schwangen nach oben.

"Ares noch irgendwas. Nünster, glaub ich... irgendwie so."

"Kenn ich nicht."

"Dooch... Der war gestern auch im Hexenkessel. Dem bin ich in die Arme gerannt als ich gegangen bin. Bei dem hab ich mich, angeblich, so lächerlich dafür entschuldigt.", zuckte Nero die Schultern.

"Ach, der Spargelhering... jaa ich weiß wen du meinst." Erke tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe und stellte sich mit verschränkten Armen an die Spüle. "Und der hat dich nach Hause gebracht weil du so besoffen warst? Ist ja genial, ein richtiger Gentleman.", kicherte er sarkastisch.

"Kann ich ja auch nichts dafür... ist jedenfalls recht nett."

"Der schaut immer voll düster. Könnte man Angst bekommen.", meinte Tenna und fröstelte. „Voll der Eigenbrötler. Sitzt immer allein im Kessel und bewegt sich den ganzen Abend keinen Millimeter, außer um sich was zu trinken zu holen.“

"Liegt wahrscheinlich an den schwarzen Augen."

"Du weißt sogar, welche Augenfarbe er hat? Hey Nero..." Micha wedelte mit der Hand herum, als hätte er sie sich an einer Herdplatte verbrannt und grinste hinterlistig.

"Ja, 'tschuldigung dass ich mir die Leute mit denen ich rede anschaue..." Er streckte ihm die Zunge raus und musste ebenfalls grinsen.

"Sag ja schon nichts mehr." Abwehrend hob er die Hände und kicherte stumm vor sich hin.
 

Seitdem Nero Ares kennen gelernt hatte waren schon mehr als zwei Wochen vergangen. Irgendwie, ging er ihm nicht mehr aus dem Kopf. Warum, wusste er auch nicht. Die Situation war einfach nur peinlich gewesen. Wohl nicht nur für Nero. Er hatte Ares ganz schön in die Bredouille gebracht.

Erst mal keinen Alkohol mehr, dachte sich Nero während der heiße Wasserstrahl auf seine verspannten Schultern prasselte.
 

Es war Freitag. Zeit für den Hexenkessel, Zeit sich in Schale zu schmeißen und sic darauf zu freuen dass er am nächsten Tag nicht zur Arbeit musste. Es war eine recht lustige Runde. Sie scherzten, tanzten bis Nero kaum noch stehen konnte und ihm schon kleine Schweißperlen von der Stirn rannen.

Darauf bedacht an seinem Vorhaben fest zu halten, bestellte sich der junge Mann ein großes Glas Mineralwasser und wurde von seinen Freunden mehr als komisch beäugt.

„Bist du krank?“, fragte Micha argwöhnisch.

Nero schüttelte mit vollem Mund den Kopf. „Nee, aber sowas wie letztens wird mir nicht wieder passieren. Erst mal keinen Alkohol.“, meinte er und hob seine Hand zum Gruß, als Ares die Treppe zum Keller hinab kam.

Ares bemerkte ihn ebenfalls und nickte ihm lächelnd zu. Nero machte eine einladende Geste und bedeutete Ares so, sich doch zu ihnen zu setzten.

"Hi!", grinste Tenna, als Nero die vier miteinander bekannt gemacht hatte.

"Hey." Ein etwas schüchternes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Micha zog einen Stuhl zu ihrem Tisch, auf welchem Ares ohne groß zu zögern Platz nahm.

"Du hast den Kleinen also nach Hause gebracht.", meinte er besserwisserisch.

"Scheint so."

"Danke. Will nicht wissen, was der alles angestellt hätte.", neckte Micha Nero.

"Hey, was soll das jetzt heißen? Hab ich je was angestellt? Nicht, dass ich wüsste.", empörte sich dieser.

"Wer weiß, vielleicht hättest du noch eine Bank ausgeraubt.", kicherte Erke als er Neros ungehaltene Miene sah.

"Da schau, so nett sind die. Und ihr nennt euch Freunde.", meinte Nero an Ares gewandt und schüttelte lachend den Kopf.

"Ach komm...", Micha sah ihn mit einem Dackelblick an, den er noch nie gesehen hatte und bat so um Vergebung.

„Ist ja guuut.“ Nero hielt sich die Augen zu. „Schau mich nur nicht wieder so an, das steht dir nicht.“ Er bekam einen Knuff auf die Schulter und kippte halb vom Stuhl hätte Ares ihn nicht wieder mal am Arm gepackt und ihn davor bewahrt.

"Ihr seid eine krasse Truppe", schüttelte Ares den Kopf und sah Nero belustigt an.

"Verrückt aber herzlich.", schmunzelte er, hob sein Glas und die fünf stießen miteinander an.

"Verrückt erst recht.", stimmte er ihm zu und konnte sich ein Lachen nun nicht mehr verkneifen.
 

Es wurde ein lustiger Abend. Ares hielt sich meistens im Hintergrund und sah grinsend zu, wie sich die vier gegenseitig nett gemeinte Beleidigungen an den Kopf warfen und sich dann vor Lachen nicht mehr einkriegen konnten. Das würde er wohl nicht mehr so schnell vergessen, denn an solch einem amüsanten Gespräch, hatte er seit einer Ewigkeit nicht mehr teilgenommen.
 

Es war fünf Uhr morgens, als sich die fünf auf den Weg machten, da der Club um diese Uhrzeit schloss. Tenna, Micha und Erke verabschiedeten sich von Nero und Ares, welche noch ein Stück zusammen gingen.

"Geht das bei euch immer so zu?", fragte Ares nach ein paar Metern.

"Ja... meistens. Sind 'ne ziemlich kranke Truppe.", bejahte er und musste unweigerlich grinsen.

"Krank, würde ich nicht sagen. War jedenfalls echt lustig."

"Lustig, Mensch, es geht noch heftiger. Glaub's mir." Er kicherte leise als er an lang zurückliegende Abende dachte.

"Ich glaub's dir." Ares blieb stehen, drückte Nero zum Abschied kurz die Hand und die Dunkelheit hatte ihn nach zwei Metern zur Gänze verschlungen.
 

Die nächsten Monate machten die fünf immer mehr zusammen. Nero mochte Ares wirklich gern, vor allem weil er nicht weniger verrückt war als sie selbst.
 

Die Abende im Kessel waren immer wieder lustig. Sie tanzten, sie tranken – Nero hielt sich weiterhin brav an Mineralwasser oder Saft - oder machten sich, soweit es möglich war, einen ruhigen Abend, so auch an einem Abend Mitte November.

Nero kam direkt nach der Spätschicht. Er hasste es, war fix und fertig und dennoch musste er raus. Zu Hause würde ihm nach so einem Tag, die Decke auf den Kopf fallen. Es war einer der Tage, an denen die Geschäfte bis 22 Uhr offen hatten und Nero hatte das schlechte Los gezogen. Somit war er froh, als er gegen 23 Uhr im Hexenkessel ankam, wo Tenna, Micha und Erke schon auf ihn warteten.

Ares hingegen trudelte erst gegen halb zwei ein. Als Koch musste er eben auch die ein- oder andere Überstunde schieben.

Der junge Mann ließ sich gähnend an ihrem Stammtisch nieder, während Nero neben ihn plumpste, sein Wasserglas zur Hälfte leerte und glücklich grinste. Ihm rann der Schweiß von der Stirn und seine Augen waren kurz davor zuzuklappen.

„Unser Lieber hinterm Mischpult hat heut nen guten Tag. Hat lange nicht mehr so klasse aufgelegt.“ Nero grinste und stieß mit seinen Leuten an. „Aber ich schätze, ich werd mich bald auf die Socken machen.“ Ein Blick auf sein Handy verriet ihm, dass es mittlerweile schon halb vier war.

„Wann musst du denn morgen raus?“, fragte Tenna ihn und war froh, dass sie frei hatte. Sie hatte sich nach langer Zeit mal wieder ein verlängertes Wochenende genehmigt.

„Hab morgen wieder Spätschicht, da reicht es, wenn ich gegen zehn Uhr aufstehe. Um zwölf geht’s los, das passt schon. Wie schaut‘s mit dir aus?“ Nero piekte Ares leicht in die Schulter.

Er war etwas in Gedanken gewesen. Hatte dem Gespräch mit wenig Aufmerksamkeit gelauscht und sah verwirrt drein. „Oh ach so. Hab spät.“, gähnte der junge Mann. „Ich schließe mich dir an Nero.“

„Gut, dann können wir ja noch ein Stück zusammen gehen.“ Er lächelte breit und leerte den Rest seines Wassers. Nero erhob sich, stülpte sich die restlichen drei Pullover über den Kopf und warf seinen Mantel über. „Wollen wir?“ Ares hatte es ihm gleich getan und nickte.

Sie verabschiedeten sich von Tenna und Erke und machten sich auf den Weg.

Die Luft außerhalb des Clubs war schneidend kalt. Der Wind blies ihnen um die Ohren und der Schnee verklebte ihnen die Wimpern.

„Scheiße…“, fluchte Nero leise auf. Er hatte vergessen, dass um diese Uhrzeit keine Busse oder Trambahnen mehr fuhren.

„Was ist?“ Ares blickte ihn irritiert an. Steckte seine Hände noch tiefer in seine Jackentaschen und zog den Kopf noch etwas weiter ein.

Nero seufzte. „Ich muss zu Fuß weiter. Hab vergessen dass keine Öffentlichen mehr um die Zeit fahren.“

„Das ist scheiße.“ Ares ging unbekümmert über eine rote Ampel. „Wie lang musst du gehen?“

„Nur eine halbe Stunde. Aber immerhin besser als die Zeit auf den ersten Bus zu warten.“, grummelte Nero und stapfte neben seinem Kumpel her und ärgerte sich über sich selbst, dass er dieses kleine Detail vergessen hatte.

„Spinnst du? Bis du zu Hause bist, bist du ein Eiszapfen.“ Ares schüttelte den Kopf. „Zu mir ist es nur noch ne Viertelstunde, die Couch ist zwar zu kurz, aber wenn du kein Problem damit hast, dir mit mir ein Bett zu teilen, steht das Angebot.“

Nero schwieg für einen kurzen Moment. Er hatte nichts dagegen, mit Ares in einem Bett zu schlafen, aber der Knackpunkt war er selbst. Er musste duschen und brauchte für den nächsten Morgen frische Klamotten und wahrscheinlich roch er nach Schweiß, das wollte er seinem Kumpel nicht antun. „Wenn du mir etwas von deinem Wasser und ein Handtuch und evtl. noch ein T-Shirt leihen könntest, nehm‘ ich das Angebot gerne an.

Ares erwiderte das Ganze nur mit einem leisen Kichern und zupfte Nero am Ärmel, damit dieser nicht stehen blieb. Es fror ihn fürchterlich und er wollte endlich ins Bett.
 

Eine gute Stunde später lag Nero zusammengerollt, frisch geduscht und in ein gut riechendes T-Shirt gehüllt auf dem äußersten Bettrand. Die Decke bis über die Ohren gezogen.

„Nero, wenn du noch weiter rutschst, knallst du aus dem Bett.“, nuschelte Ares leise, die ebenfalls Decke bis zu den Ohren gezogen und nach Zitrone duftend, neben ihm.

„Hm… Ich will dir den Platz nicht wegnehmen.“, grummelte der Jüngere schläfrig und folgte dann jedoch Ares’ Aufforderung. Es war etwas unbequem, so weit außen zu liegen und da die Decke ein wenig dünn war, war er ganz froh, Ares’ Wärme ein wenig auf sich übergehen zu spüren.
 

Nero wusste nicht, wie lange er schon geschlafen hatte, doch plötzlich saß er kerzengerade im Bett. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn und den gesamten Körper. Er hatte nicht mitbekommen, dass er laut aufgeschrien hatte, doch Ares saß ebenfalls da und wunderte sich, was das gewesen sein mochte. Vielleicht hatte jemand draußen vor dem Haus geschrien? Doch als Nero seine Beine aus dem Bett schwang und in der Küche verschwand, wusste er dass es so nicht gewesen sein konnte.

Ares roch Zigarettenrauch und kam seinem Freund hinterher. Er schaltete das Küchenlicht an und sah Nero zusammengesunken auf einem Stuhl sitzen. Gänsehaut zog sich über seinen Körper und die Haare hingen ihm zerzaust ins Gesicht.

„Alles klar?“, fragte Ares überflüssigerweise. Bekam nur ein leichtes Kopfnicken als Antwort und ein zitterndes Atmen folgte. Neros Rücken bebte gefährlich. Scheiße, dachte sich der Koch und ging neben Nero in die Hocke, strich seine Haare beiseite und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.

Dicke Tränen traten aus den hellgrünen Augen, Neros Lippen bebten, zwischen denen die Zigarette fast aufgeraucht war. „Was ist passiert?“

Der junge Mann bekam nur ein Wort über die Lippen. „Angst“, nuschelte er. Schloss die Augen und spürte die Hitze, welche von seinem Kumpel ausging. Er konnte ihm nicht sagen, was er schon wieder geträumt hatte. Es war immer das Gleiche. Immer derselbe Traum und das seit Jahren.

„Die Tür ist abgeschlossen und ich hab den Riegel vorgemacht. Die Fenster sind auch zu.“, meinte Ares ruhig. „Es kann keiner hier herein kommen.“ Er konnte sich denken, dass es daran wohl nicht liegen mochte, doch er wollte Nero nicht löchern. Er wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, sondern einfach zeigen, dass er da war.

Nero hingegen nickte nur matt. Versuchte, seine Tränen versiegen zu lassen, doch es ging nicht. Erst recht nicht, als Ares meinte, dass er da wäre und er keine Angst zu haben brauchte. Das löste die restliche Barriere in ihm auch noch und er sackte komplett zusammen. Merkte nur, wie er in Ares’ Arme gezogen und einfach festgehalten wurde. Und es tat gut. Es war wie Balsam für seine geschundene Seele und er konnte es noch nicht einmal sagen.

Nach der zweiten Zigarette legten sich die Beiden wieder in die weichen, warmen Federn. Nero schlief sofort ein, doch Ares lag noch eine ganze Weile wach. Er fragte sich, was seinen Freund so aus der Bahn geworfen hatte, doch er hatte keine Idee.
 

Der nächste Morgen war ruhig. Nero schwieg zum Großteil, rauchte und trank Kaffee. Mit einem genuschelte ´Danke´ und einem ´wir sehen uns´ verschwand der Jüngere aus der Wohnung um zu Hause frische Klamotten anzuziehen und in die Arbeit zu fahren.

Ares fand den ganzen Tag keine Ruhe. Er vermasselte das ein oder andere Gericht in dem er es versalzte und bat dann Stefan, seinen Kollegen, die Speisen abzuschmecken. Er traute es sich nicht mehr zu. Das Geheimnis um Neros Träume würde sich allerdings sehr bald lüften, das spürte er.
 


 


 


 


 


 


 


 

Kapitel 2: Ratschläge
 

Dezember. Der Himmel war wolkenlos, die Luft war so klirrend kalt, dass einem die Nasenhaare festfroren, die Sonne schien, als sich Nero halb zu Tode erschreckte, da Micha plötzlich bei ihm Sturm klingelte.

"Was ist denn los?", fragte Nero aufgewühlt, als sein bester Freund die Treppe hoch gerannt kam.

"Hab dir ´n Schreck verpasst, hm?“ Micha grinste und trat ein. Klopfte Nero kameradschaftlich auf die Schulter und ging in die Küche.

"Hab gedacht mit dir sei sonst was." Er schüttelte den Kopf. Fünf Minuten danach saßen sie kaffeetrinkend in Neros Küche.

"Was gibt's denn jetzt?"

Micha schlürfte extra laut. Er wollte Nero ein bisschen ärgern, da er genau wusste dass er Schlürfen nicht leiden konnte. "Ich muss dich was fragen.", meinte er dann allerdings ernst.

„Dann schieß los.“ Nero hatte sein Gesicht auf einer Hand aufgestützt, blickte seinen Kumpel gelangweilt an und hatte eigentlich nicht recht Lust auf Gesellschaft.

"Was hältst du von Ares?"

"Was ich von..." Nero war darauf nicht vorbereitet. Er fand ihn nett, aber sonst... "Na ja. Ich find ihn... Was soll die Frage? Er ist´n lieber Kerl. Ein guter Freund eben.“

"Du hast es gar nicht bemerkt, oder?" Er sah ihn an, lächelte geheimnisvoll und tippte sich dann grinsend an die Lippen.

"Was soll ich bemerkt haben?" Er wusste nicht, worauf Micha hinaus wollte.

"Ares..."

"Was ist mit ihm? Komm, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen." Er wurde langsam ungeduldig.

"Du hast es wirklich nicht bemerkt." Micha hielt kurz inne, seufzte und überbrachte Nero seine Vermutung. "Er ist in dich verliebt."

"Wie er ist... Ach so ein Scheiß." Nero schüttelte den Kopf. „Nein, das glaub ich nicht.“, wehrte er ab. „Er hat mich bei sich übernachten lassen, was ist daran so schlimm?“

„Hast du nie bemerkt, wie er dich ansieht?" Mich war enttäuscht. Er hatte immer gedacht, Nero würde mit offenen Augen durchs Leben gehen, aber anscheinend hatte er sich in der Sache komplett geirrt.

"Wie soll er mich denn ansehen? So wie jeder andere auch..." Nero versuchte sich

daran zu erinnern, wie Ares ihn tatsächlich ansah. Nur er konnte keinen großen Unterschied feststellen. Er sah ihn genauso an wie Erke oder Micha. Normal, völlig normal.

"Nero ich weiß, was solche Blicke bedeuten. Glaub mir, ich hab Kerle selbst schon so angesehen und es hat immer funktioniert.“ Micha grinste anzüglich. „Er hat dich mit seinen Augen regelrecht ausgezogen. Du kannst mir nicht weismachen, dass du es nicht bemerkt hast."

„Schließ nicht immer von dir auf andere.“, grummelte Nero kleinlaut. Und ihm blieb fast der nächste Satz im Halse stecken. "Das glaubst du doch wohl selbst nicht... Ich mein...“

"Nero, leugnen hilft nichts. Du hast einen Verehrer. Schau dich doch mal an.“ Sein Kumpel fuchtelte mit der Hand vor Nero herum. „Du bist nicht zu verachten. Geiler Körper, groß, schlank, lange Haare…“ Er winkte ab und grinste.

Nero klappte die Kinnlade nach unten. Er hätte nicht gedacht, dass Micha ihn mit solchen Augen betrachtete. "Michahaa... du weißt, dass ich nicht auf Männer stehe.“ Nero fühlte sich richtig hilflos. Er hatte keinen blassen Schimmer, was er machen sollte. „Und wie soll ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten?“

"Tja, ganz normal. Wir sind nicht im Kindergarten. Es ist ja eigentlich auch nur eine Vermutung, aber ich bin mir sicher dass da irgendwas ist.", nickte er.

Nero ließ seinen Kopf geknickt auf den Tisch sinken. "Was soll ich jetzt machen?" Hilfe suchend sah er seinen besten Freund an.

"Du kannst nichts machen. Zumindest nicht bevor er dir gegenüber was hat lauten lassen. Wenn er es dir sagt, kannst du ihm nur klar machen, dass du nichts von ihm willst. Aber vielleicht kommt es ja nicht dazu, ich weiß es ja nicht." Er ging zu Nero hinüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Jetzt lass mal den Kopf nicht hängen. Ist doch kein Weltuntergang.", versuchte er den verzweifelten Nero aufzumuntern.

"Klasse.", murrte Nero. "Danke für die Info.", meinte er sarkastisch. Er freute sich schon auf den nächsten Kessel-Freitag.

"Bitte, bitte. Du, mehr wollt ich auch gar nicht. Mach mich auf den Weg. Hab noch was zu erledigen." Er überlegte einen Moment. „Obwohl, das ist eigentlich auch egal. Wenn er auf dich steht findet er dich in jedem Aufzug geil. Da könntest du auch mit ab gegammelten Klamotten antanzen.“

Nero sagte darauf nichts mehr. „Ich bring dich zur Türe." Mit hängendem Haupt schlurfte Nero zur Wohnungstür und verabschiedete sich von Micha, der munter lachte gut gelaunt die Treppe nach unten marschierte.
 

Der hatte ja leicht reden. Er hatte keine Probleme damit, dass sich ein Mann für ihn interessierte, aber Nero konnte damit einfach nichts anfangen. Obwohl er Micha insgeheim zustimmte musste, dass es schon etwas komisch war, wenn er in Ares’ Nähe war. Allein im vergangenen Monat. Die Situation bei Ares in der Wohnung war schon etwas anders gewesen, als sonst. Gut, er selbst hatte geheult wie ein Baby und Ares hatte ihn einfach nur getröstet. Wahrscheinlich interpretierte er zu viel in das Ganze.

Ares? In ihn verliebt? Nein! Das konnte nicht sein. Er verhielt sich ihm gegenüber völlig normal. Redete mit ihm wie er es von Anfang an getan hatte. Kein holperiges Wort, kein Zittern war zu hören. Ares verriet sich auch nicht durch seine Körperhaltung. Er nahm keinen unangenehmen Abstand, rückte ihm nicht auf die Pelle. Ares flirtete nicht einmal mit ihm! Gut, sie schäkerten miteinander, aber das war nichts Neues. Das Einzige was er sich nicht erklären konnte war, dass er ihn jedes Mal nach Hause begleitet hatte, obwohl Ares in der entgegengesetzten Richtung wohnte.

Nein, Micha ging eindeutig die Fantasie durch. Nero vermutete, dass Micha das Single-Dasein einfach nicht gut tat. Jedes Mal nach einem Schlussstrich ging er wieder auf die Pirsch und hielt Ausschau nach Frischfleisch. Michas Männerverschleiß war enorm angestiegen, aber das war seine Sache. Da mischte sich Nero nicht ein. Es stand ihm nicht zu.

Allerdings wunderte er sich, dass er ihn seit mittlerweile einer Woche nicht mehr gesprochen hatte.

Wahrscheinlich hat er viel Arbeit um die Ohren, mutmaßte Nero.
 

Wieder mal war es ein typischer Freitag.

Nero stand abends grübelnd vor seinem Kleiderschrank. Es war immer das gleiche. Er wusste mal wieder nicht, was er anziehen sollte, aber diesmal aus dem einfachen Grund, dass er Ares keinen Anlass geben wollte, ihn lechzend anzustarren.

Zu guter Letzt mussten seine Lederhose, ein einfaches schwarzes T-Shirt und die Springerstiefel herhalten. Ketten, Ringe und Kontaktlinsen mussten diesmal zu Hause bleiben.

Nero war verunsichert, als er aus dem Bus stieg. Tenna und Erke waren schon vor dem Eingang zum Untergrund und hatten keine Ahnung von nichts.

Micha stieß als letzter zu ihnen, hatte ein breites Grinsen im Gesicht, als er seinen besten Freund kurz an sich drückte. „Heute so unscheinbar?“, flüsterte er belustigt.

„Klappe….“ Murmelte Nero ungehalten, bezahlte seinen Eintritt und stiefelte die Treppe nach unten.
 

Die Vier belagerten ihren Stammplatz, Tenna und Nero tanzten ausgiebig während Micha fast am Tisch einschlief.

„Hey, zum Schlafen kannst du ins Bett gehen.“ Nero rüttelte seinen besten Kumpel an den Schultern und nahm einen großzügigen Schluck Wasser. Sein Vorhaben, die nächste Zeit keinen Alkohol mehr zu trinken, war bisher in keiner Weise ins Wanken geraten.

„Lass mich…“. Micha gähnte und blickte ihn mit dunklen Augenringen an. „Ich hab die letzten Tage pro Nacht vielleicht drei Stunden Schlaf bekommen. Scheiß Übersetzungen… Da kommt man echt zu gar nichts mehr.“

„Dann heiße ich dich in meiner Welt herzlich willkommen.“ Keiner hatte bemerkt, dass Ares eben hinter ihnen aufgetaucht war.

Nero fuhr erschrocken herum und Michas Kopf wäre beinahe auf die Tischplatte gekracht als sein Ellenbogen vor Schreck von der Kante gerutscht war.

„Himmel verdammt… Einen Herzinfarkt kann ich jetzt echt nicht brauchen.“, grummelte der Rothaarige, nahm sein Bier und trank ausgiebig.

„Entschuldige.“ Ares lächelte versöhnlich, legte seinen Mantel ab bevor er an die Bar verschwand um kurz danach mit einem Energydrink zurück zu kommen. „Ahh! Herrlich.“ Das eisgekühlte Getränk floss seine Kehle hinunter und kühlte ihn ein wenig ab. Die aufgestaute Hitze in dem kleinen Club war kaum auszuhalten.

„Wie kannst du nach 16 Stunden Arbeit noch so gut gelaunt sein?“ Micha starrte ihn völlig zerschossen an.

„Das ist die Vorfreude auf ein völlig freies Wochenende.“ Ares grinste und wandte sich dann Nero zu. „Tanzen?“

Die ersten Töne von ‚VNV Nation – Control‘ erschallten und er eilte, die Zigarette im Mundwinkel hängend, Ares hinterher auf die Tanzfläche.

Bei einem seiner Lieblingslieder konnte er die Füße nicht stillhalten. Das elektronische Hämmern des Beats war Energie pur, ging ihm durch Mark und Bein und ließ ihm kaum Zeit zum Luft holen. Und gerade als er die Augen öffnete sah er Ares grinsend einen Meter vor sich tanzen… und er zwinkerte Nero zu, welcher sich halb an einem Zigarettenzug ‚verschluckte‘.

Nero perlten ein paar Scheißtropfen von der Stirn als er verwirrt auf einen Hocker neben Micha sank.

Ares tanzte immer noch und war erst einmal nicht von der Tanzfläche zu bekommen. Ein Glück für Nero, der sich somit mit seinem besten Freund unterhalten konnte.

Micha schmunzelte während er einen Schluck Bier nahm. „Ich sag ja er steht auf dich.“

Nero schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte empört drein. „Vergiss es.“, schüttelte er vehement den Kopf. „Ich hab mir die letzten Tage ein paar Gedanken gemacht und der verhält sich so wie sonst auch.“

„Er hat dir zugezwinkert.“ Micha lauschte Neros Gedankengängen mit hochgezogener Augenbraue. „Außerdem ist es schon eigenartig, dass er dich ständig nach Hause begleitet.“

Nero verstummte. Immerhin war er immer alleine gefahren oder gegangen und es war mehr als unwahrscheinlich dass ihn jemand überfallen würde.

„Und wenn ich ihn mir so ansehe,“ Micha blickte schon eine Weile auf die Tanzfläche, „bekommt er seine Augen nicht von dir los.“

„Ach komm, er kann genauso gut in die Leere starren.“ Nero kannte das beim Tanzen von sich selbst. Entweder hatte er die Augen geschlossen oder blickte in die Leere, völlig in den Song vertieft.

Micha zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, ich kann mich irren aber ich glaube nicht.“ Er schenkte Nero ein aufmunterndes Lächeln. „Lass es auf dich zukommen. Das wird schon werden.“

„Ja und dann? Micha, ich bin hetero verdammt.“, grummelte der Schwarzhaarige.

„Weiß ich. Aber du wirst dann schon wissen was du machst.“

„Na toll…“ Nero schüttelte den Kopf um seine Gedanken irgendwie los zu werden, stand auf und begab sich wieder auf die Tanzfläche. Tanzte sich die erschreckende Befürchtung von der Seele und war völlig erledigt, als er sich wieder auf seinen Hocker fallen ließ.
 

Mit einem entspannten Gesichtsausdruck plumpste er neben Ares und erhob sein

Wasser. „Auf einen… ähm… geilen Abend.“ Er grinste, als hätte er zu

viel getrunken. Er war vollgepumpt mit Endorphinen und hatte die Unsicherheit

Ares gegenüber mittlerweile komplett ausgeblendet. Es war wie immer. Lustig,

unterhaltsam. Normal eben.
 

Ein paar Stunden später machten sich die fünf auf den Heimweg. Zu Fuß verstand sich, da um vier Uhr morgens immerhin keine Straßenbahnen mehr fuhren. Das Prozedere der letzten Wochen brach nicht ab, denn auch an diesem Abend begleitete Ares ihn bis vor die Haustüre, obwohl Ares in der entgegengesetzten Richtung wohnte. Eine halbe Stunde brauchten die Beiden. Der Wind wurde immer stärker. Der Schnee trieb ihnen Tränen in die Augen und ließen ihre Hände zu Eisklumpen einfrieren. Nero hatte wiedermal keine Handschuhe dabei.

Der Nachthimmel war völlig klar und der Mond erhellte ihren Weg mit seinem weißen Licht.

Sie marschierten schweigend nebeneinander her. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und genossen die Ruhe des Morgens, wo noch keine Menschenseele unterwegs war.

Nero wurde flau im Magen. „Danke fürs bringen.“, sagte Nero, wie immer, als sie an seiner Haustüre eines Hochhauses angekommen waren.

„Immer gerne.“ Ares lächelte müde und blinzelte ein paar Schneeflocken aus den Augen.

Nero rang sich durch das zu sagen was ihm schon länger auf der Zunge brannte. „Du musst das nicht machen. Mich schnappt schon keiner weg.“ Er grinste, unsicher darüber ob er Ares nicht auf den Schlips getreten war.

„Ich weis. Es ist ein schöner Spaziergang nach der Arbeit.“ Nero allerdings sah ungläubig drein. „Spaß beiseite.“ Ares kam einen Schritt näher, sah kurz nervös zur Seite.

Nero verkrampfte sich. Versuchte nicht an das zu denken, was Micha zu ihm gesagt hatte. Er bemerkte, dass auch Ares sich sichtlich unwohl fühlte. „Ach vergiss es einfach. Ich bin wohl einfach müde.“

„Nein, nein. Ich versteh schon, dass es für dich komisch ist.“ Ares tastete in seiner Manteltasche nach seiner Zigarettenschachtel, holte sie jedoch nicht heraus. „Ich wollte dir noch was sagen.“ Ares‘ Finger zwirbelten an seinen Gürtelschlaufen herum. Er war nervös. Das spärliche Licht der Hauslampe und Straßenlaternen erleuchtete das Schauspiel.

Nein! Nein! Dachte sich Nero, während ihm ein ‚Ja klar‘ über die Lippen kam. Er wollte es nicht hören. Er wollte in sein Bett! Wollte nicht mehr daran denken! Einfach alles ausschalten und am nächsten Morgen aufstehen und wissen, dass sich nichts geändert hatte.

Ares Züge wurden plötzlich weich. Ein warmes Lächeln lag auf seinen Lippen und dann küsste er Nero. Urplötzlich. Einfach so. Ohne Vorwarnung und Nero wusste nicht, was er machen sollte.

Der leichte Patchoulie Duft drang wieder in seine Nase. Neros Herz schlug bis zum Hals und rein aus Gewohnheit schloss er seine Augen. Spürte eine schwielige Hand an seiner Wange und die vom Wind abgekühlten Lippen.

Scheiße Ares, Nero war kurz vorm verzweifeln. Er konnte ihn jetzt nicht so vor den Kopf stoßen. Nur er wusste seine Gefühle gerade nicht einzuordnen. Sein Herz raste unkontrolliert, seine Knie wurden ihm weich und ein paar tausend Nadeln machten sich einen Spaß daraus, in seinen Magen zu pieken.

So schnell wie der Kuss gekommen war, war er auch schon wieder zu ende.

Nero spürte einen warmen Huch an seinem Ohr. „Ich hab mich in dich verliebt.“, flüsterte Ares und ließ ihn los, als Nero seine Augen öffnete und sein Gegenüber errötend ansah.

Sein Herz raste immer noch. Er war mit der Situation völlig überfordert. Er brachte kein Wort über die Lippen. Ihm schien es als wäre die Welt stehengeblieben. Die Gedanken glitten ihm aus der Hand und als er gerade den Mund aufmachen wollte, murmelte Ares nur ein ‚Gute Nacht‘, drehte sich mit einem matten Lächeln um und ging die schwach beleuchtete Straße hinunter.

Nero blickte ihm überrascht, überwältigt und völlig verwirrt nach, bis Ares nur noch ein Schatten der Nacht war die ihn nach ein paar Metern verschluckt hatte.
 

Mit zitternden Händen schloss er die Tür auf und stieg in den vierten Stock des Hochhauses. Er öffnete seine Wohnungstür, zog seinen Mantel und seine Schuhe aus und ließ sich wie er war bäuchlings auf sein Bett fallen.

Sein Herz raste.

Ist das gerade eben wirklich passiert? Nero war sich nicht sicher, ob er das nicht nur geträumt hatte. Er drehte sich auf den Rücken, blickte an die Decke und betastete vorsichtig seine Lippen. Sie brannten.

Nein, das war eindeutig kein Traum. Fuck, verdammt noch mal. Seine Gedanken waren aufgewühlt und er war verwirrt. Der Kuss war nicht das, was ihn so völlig aus der Bahn warf. Er hatte ihm irgendwie schon gefallen nur auf der anderen Seite... er hatte einfach kein Interesse an Männern.

Er kann gut küssen, schoss es ihm durch den Kopf. Seit gut eineinhalb Jahren war er solo und es gefiel ihm eigentlich ganz gut. Er war unabhängig, an niemanden gebunden und konnte machen was er wollte, ohne dass ihm jemand am Rockzipfel hing.

Doch, war es wirklich das, was er wollte? Alleine sein? Auf eine Art war er nicht allein, er hatte vier unglaubliche Freunde unter denen zudem sein Verehrer weilte. Der Gedanke ließ ihn frösteln.

Im Moment wusste er nicht, was er wollte. Seine Gedanken waren vernebelt. Nur Ares’ schwarze Augen und seine tiefe Stimme schwirrten ihm im Kopf herum. Es war, als würden die Worte im Raum schweben und ihm zurufen.

Er schloss die Augen und er sah die Bilder von vorher, klar und deutlich vor sich. Sein Herz fing wieder an schneller zu schlagen als er sich Ares’ Gesicht ins Gedächtnis rief. Wie er vor ihm stand und ihn sanft anlächelte.

Micha hatte recht gehabt.

Ares war ihm keineswegs egal. Und da lag auch schon das Problem. Was sollte er machen? Es widerstrebte ihm, sich auf einen Mann einzulassen, das zumindest sagte sein Kopf, aber sein rasendes Herz bewies ihm eindeutig das Gegenteil.
 

Langsam erhob sich Nero wieder von seinem Bett. Er schnappte sich seinen Pyjama und sprang unter die Dusche. Das warme Wasser rieselte auf seinen Körper nieder. Er betastete abermals seine Lippen. Sie waren heiß, aber sie brannten nicht mehr. Er lächelte stumm vor sich hin und je länger er über den Kuss nachdachte, desto mehr konnte er sich damit anfreunden. Nero zog sich um, schlüpfte unter seine Decke und schlief mit einem zufriedenen Lächeln ein. Er hatte sich ganz fest vorgenommen, Micha morgen so früh es ging, anzurufen.
 

Am nächsten Tag, eigentlich war es derselbe, wachte Nero erst um fünfzehn Uhr auf. Er schlug die Augen auf und musste lächeln.

Soo... Micha anrufen, rief er sich ins Gedächtnis und hievte sich aus den Federn.

Er suchte schnell nach seinem Handy und wählte Michas Nummer.

"Nero, was gibt's?", meldete sich eine müde Männerstimme am anderen Ende. Nero war kurzzeitig verstummt. „Halloooo? Nero, wenn du nicht gleich was sagst leg ich wieder auf und geh wieder ins Bett.“

„Was? Nein, ich bin schon noch dran. Entschuldige. Kannst du vorbei kommen?“, fragte Nero vorsichtig. Er wusste selbst, dass Micha immer ewig brauchte bis er aus dem Bett kam, aber es war wichtig. Er musste mit ihm reden, denn er war der Einzige der ihm in so einer Situation Rat geben konnte.

„So wichtig?“ Ein lautes Knacken und Rascheln war zu hören und er seufzte. „Gib mir eine Stunde, ja?“

„Danke. Kaffee setz ich schon mal auf.“ Nero schmunzelte und legte auf.
 

Eine Stunde später klingelte es Sturm und Nero öffnete die Türe.

Micha und Nero saßen in der Küche und tranken, wie immer, Kaffee.

"Was gibt es so wichtiges zu erzählen?", fragte Micha immer noch etwas müde. Er hatte tiefe Augenringe und seine Haare hingen ihm schlaff ins Gesicht nur vereinzelte Haarsträhnen standen in alle Richtungen ab, seine Augen klappten beinahe zu und er musste sich beherrschen, nicht auf seinen Armen einzuschlafen.

"Du hattest Recht.", meinte Nero.

Micha gähnte verhalten und sah auf. "Womit hatte ich Recht?"

"Mit dem, was du gestern gesagt hattest."

"Meinst du, wegen dem, dass Ares in dich verschossen ist?" Seine Augen leuchteten auf und er schien plötzlich hellwach zu sein.

"Ja, genau.", nickte Nero zustimmend und spielte mit seinem Ring am Finger herum.

"Echt jetzt?" Das wollte er jetzt nicht so ganz glauben. Ares hatte wirklich Eier in der Hose. „Einfach so.“

Nero amüsierte der Anblick seines Kumpels. "Ja, einfach so."

"Ja und? Was hast du gemacht? Komm, raus mit der Sprache.", drängte Micha seinen besten Freund.

"Ich konnte nichts sagen." Nero wurde rot um die Nase. Wieder schlug sein Herz schmerzhaft gegen seine Brust. Seine Gedanken überschlugen sich und das flaue Gefühl in seinem Magen war plötzlich wieder da.

"Wieso das denn?" Er verstand nicht.

"Er hat mich nicht gelassen.", nuschelte der Schwarzhaarige.

"Wie, er hat dich nicht gelassen?“

"Er hat mich geküsst." Nero linste seufzend zu seinem Kumpel dem die Kinnlade fast auf die Tischplatte fiel.

"Er hat dich... Verarsch mich!", rief Micha aus. "Echt jetzt?"

"Wenn ich es dir doch sag." Nero konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht mehr verkneifen.

"Ist ja mal eine Nachricht. Und? Was war dann?" Micha rutschte auf seinem Stuhl hin und her und war aufgeregter als Nero. „Ich will Details.“

"Was soll schon gewesen sein? Er hat mir gute Nacht gewünscht und ist verschwunden."

"Nein, du hast mich falsch verstanden. Hast du seinen Kuss erwidert oder nicht?"

Nero atmete tief ein und sprach weiter "Ja, hab ich." Er wusste, dass er in diesem Moment puterrot angelaufen war.

"Wow. Hätte ich ja nicht gedacht. Und?" Nun wollte Micha wirklich alles wissen. Micha grinste verschmitzt vor sich hin. Er hatte wieder einmal recht gehabt. "Süß. Hat's dir gefallen?"

"Gott. Was glaubst du, warum ich hier grad total aus dem Häuschen bin?" Nero nickte stumm und lächelte in sich hinein.

"Sag doch, dass dich das nicht kalt lässt."

Nero zuckte die Schultern. Dass es ihn nicht kalt ließ, konnte er nicht behaupten. Alles was er wusste war, dass er den Kuss genossen hatte und nun völlig verwirrt war. "Es war einfach… schön.", flüsterte Nero und starrte vor sich hin, doch eine Antwort darauf, was er jetzt machen sollte, hatte er immer noch nicht.

"Nero ist verliiebt.", kicherte Micha.

"Genau das ist es ja. Ich weiß es nicht."

"Warum weißt du es nicht?" Micha sah ihn fragend an, "Würde er dir nichts bedeuten, hättest du seinen Kuss nicht erwidert. Nero, eine Frage. Hattest du deine Augen zu?"

"Ähm, ja. Wieso?" Die Frage hatte mit der Situation nun am wenigsten zu tun. Es hatte schon auch ein wenig mit Anstand zu tun, die Augen bei einem Kuss geschlossen zu lassen.

"Eben. Ist schon mal ein Zeichen, dass du ihn genossen hast. Kleiner, leugne es nicht. Man sieht es dir einfach an."

"Echt so eindeutig? Mann, ich hab gezittert wie noch mal was. Mein Herz ist mir in die Hose gerutscht, und ich hab gedacht, ich verlier' den Verstand.", schilderte Nero.

"Schau, das sind eindeutige Zeichen.", grinste Micha. Er hatte ihn fies in die Falle laufen lassen. „Außerdem hast du’s gerade selbst zugegeben.“

"Ach, du bist ja gemein."

"Ach Gottchen. Ich bin grad voll sprachlos. Aber ich freu mich für dich."

"Ich würd am liebsten einfach schreien." Er fing langsam aber sicher an zu verzweifeln. Er wusste nicht was er wollte.

"Wieso das denn jetzt? Du hast doch gar keinen Grund dazu."

"Ich mein. Er ist ein guter Freund und jetzt." Neros Kopf sank auf seine Arme. „Ich weis nicht was ich will.“

"Das ist dein Problem? Wenn es weiter nichts ist. Er hat's dir gesagt. Und wenn

es dir, ja ich weiß nicht, ernst ist, dann musst du dich ihm nur öffnen." Er sah ihn aufmunternd an.

"Ich weiß ja eben nicht, ob es mir ernst ist. Schau, ich hab mit Männern keinerlei Erfahrung und… irgendwie widerstrebt mir die ganze Sache. Weis auch nicht." Geknickt sah er zur Decke auf.

"Das ist die beste Gelegenheit, welche zu bekommen. Und Nero, ich kenn dich. Du fängst nichts mit jemandem an, nur weil du deinen Spaß haben willst." Micha lächelte. Er konnte verstehen, dass es Nero irgendwo widerstrebte. Er hatte es ja damals auch nicht glauben wollen, als er sich Hals über Kopf in einen Jungen verliebt hatte.

"Ist schon kompliziert.", seufzte Nero.

"Überhaupt nicht. Du musst dir nur einen Ruck geben, um es ihm zu sagen. Ist zwar leichter gesagt als getan, aber du hast das schon drauf. Da bin ich mir hundert pro sicher."

"Soll ich dir was sagen..."

"Immer doch, wenn wir eh schon dabei sind."

"Ich hab Schiss. Außerdem… ich weiß ja nicht mal, ob ich überhaupt auf Männer im Allgemeinen steh, das kotzt mich an." Nero verlor langsam die Beherrschung.

"Nero. Beruhig dich doch erstmal. Das kannst du nur herausfinden, indem du es einfach ausprobierst." Micha zwinkerte ihm zu, stand auf und stellte seine Tasse in die Spüle. "Und jetzt hör auf dir deinen hübschen Kopf zu zerbrechen, würde Ares nicht sonderlich gefallen und mir übrigens auch nicht.“

"Jaa... hast ja Recht." Niedergeschlagen trank er sein Heißgetränk aus und stellte es zu Michas.

"Na also. Und jetzt... bitte lächeln." Er nahm Nero kurz in die Arme und konnte ihm tatsächlich ein Lächeln entlocken.

"Danke.", murmelte Nero. "Ich glaub... ich ruf ihn dann an. Irgendwann..."

"Ist selbstverständlich. Aber du willst nicht am Telefon mit ihm darüber sprechen, oder?"

"Was denkst du von mir?", empörte sich der junge Mann.

"Gut. Nero... Sorry, dass ich dich jetzt so abwürgen muss, aber ich hab daheim noch Unmengen zu erledigen. Und Hausaufgaben warten auch noch."

"Ist schon in Ordnung. Schule geht vor.", lächelte er und begleitete Micha, wie am vorigen Tag, zur Tür.

"Viel Glück, Kleiner." Micha wuschelte Nero kurz durch die Haare, drehte sich um und ging nach Hause.
 

Zum wiederholten Male klopfte Nero sich das kleine Kissen zurecht, welches seinen Kopf stützte. Den Blick an die weiße Decke gerichtet, während im Hintergrund leise Musik dudelte und das Kaminfeuer knackte und knisterte. Doch selbst das Feuer brachte das Frösteln nicht aus seinen Knochen. Die schwarze Plüschdecke um sich gewickelt lag er da und hoffte nur, dass er keine Erkältung bekam, obwohl er eigentlich wusste, dass es so nicht kommen würde.

Seine, sich im Kreise, drehenden Gedanken machten ihn noch wahnsinnig. Er hatte hinten und vorne keine Ahnung, was er jetzt machen sollte. Allein wenn er an ihren Kuss dachte, wurde ihm schon ganz schummrig. Wie sollte er sich jetzt Ares gegenüber verhalten? Was sollte er sagen? Sollte er das Ganze überhaupt erwähnen? Wollte Ares denn, dass er etwas auf dieses Geständnis sagte?

Ignorieren konnte er es auf keinen Fall, das wäre Ares gegenüber absolut unfair. Jemandem sein Herz auf Händen darzubieten brauchte nicht nur Mut sondern auch das Wissen, dass das Gesagte nicht ins Lächerliche gezogen werden würde.

Aber sagen konnte er nichts. Was sollte er auch sagen, wenn er nicht einmal wusste, was er wollte? Was er fühlte? Sein Kopf fühlte sich so maßlos leer und andererseits so vollgestopft an, dass er das ungute Gefühl hatte, dass er ihm gleich platzen würde.

Doch alles Grübeln half ihm nicht weiter. Schon gar nicht wenn er arbeiten musste. Da sollte er sich lieber konzentrieren, ansonsten würde Angelika wieder einen Zwergenaufstand veranstalten und darauf hatte er keine Lust.
 

Die darauffolgende Woche war alles andere als ein Zuckerschlecken. Die Kunden gingen ihm tierisch auf den Geist. Das Weihnachtsgeschäft ließ ihm nicht einmal die Zeit um Mittagspause zu machen allerdings hatte er somit auch keine Gelegenheit sich um sein kleines Problemchen mit Ares Gedanken zu machen, was immerhin ein klein wenig positiv war. Jedoch musste er sich zum Ende der Woche wieder damit auseinander setzen, denn es war, wie sollte es auch anders sein, Zeit um wieder auf Achse zu gehen.
 

Der ganze Tag war schon ziemlich bescheiden gewesen und Nero war alles andere als in der Stimmung um zu tanzen. Ares auch noch zu sehen, setzte alldem auch noch die Krone auf.

In dunkelblauen Jeans, Pullover und Mantel stiefelte er los. Den Schal fest um den Hals geschlungen und weiße Atemwölkchen ausstoßend, stand er vor dem Hexenkessel. Er fror noch mehr als sonst und war froh, als er unten angekommen war.

Micha beäugte ihn argwöhnisch, als sein bester Kumpel, noch unscheinbarer als das letzte Mal, auftauchte und sich neben ihn sinken ließ.

„Ich glaub, jetzt bist du wirklich krank.“, meinte er und schüttelte den Kopf. „Blaue Jeans?“

Nero warf ihm einen genervten Blick zu. „Ich hatte keine große Lust heute überhaupt zu kommen.“

„Und warum bist du dann da?“

„Gewohnheit.“, meinte Nero nur und trippelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. „Und ich glaub ich muss noch was erledigen.“, fügte er geknickt hinzu.

Eine hochgezogene Augenbraue und ein Nicken seines Kumpels bevor er ihm auf die Schulter klopfte. „Du machst das schon, da bin ich zuversichtlich.“

Nero zuckte mit den Schultern. „Ich hab zwar keine Ahnung wie ich das anstellen soll, aber irgendwann muss ich es ja machen. Ich will Ares nicht im Regen stehen lassen.“ Ein verunglücktes Lächeln zierte seine Lippen.

„So viel Taktgefühl, dass du ihm nicht auf den Schlips trittst hast du auf jeden Fall. Kopf hoch.“ Micha verschwand an die Bar und kam mit einer Flasche Bier und einem Wasser für Nero zurück. „So, Prost mein Bester.“

„Danke.“ Sie stießen miteinander an. „Skoll.“
 

Als Ares ihren Stammclub betrat, fiel ihre Begrüßung ein wenig zaghafter aus, als es sonst der Fall war. Ein zurückhaltendes Lächeln von Ares und ein schiefes Grinsen von Nero, der nicht mehr als ein ‚Hallo‘ heraus bekam.

Scheiße, stell dich doch nicht an wie ein Kleinkind, ermahnte sich der Schwarzhaarige und versuchte sich den Abend über am Riemen zu reißen.

Ares allerdings unterhielt sich die meiste Zeit mit Erke und Tenna. Tanzte ab und an und ließ sich ansonsten nicht anmerken, dass etwas zwischen ihnen stand.

Nero jedoch überlegte fieberhaft, was er Ares nun sagen sollte und vor allem, wann er es ihm sagen wollte. Im Club selbst war es zu laut und man hatte nicht die Möglichkeit, sich unter vier Augen zu unterhalten. Draußen jedoch war es so dermaßen kalt, dass es Nero allein beim Gedanken fröstelte. Wohin also gehen? All diese Überlegungen verflüchtigten sich allerdings mit der Zeit, nachdem sein Blick auf die Tanzfläche geglitten war.

Den Kopf auf die Hand gestützt beobachtete er Ares, wie er mit geschlossenen Augen leise lächelnd zu ‚Solitary Experiments‘ tanzte. Die Finger trommelten den Takt an seinen Oberschenkeln. Die Lippen bewegten sich zum Text und er schien fast zu schweben.

Nein, egal war er ihm nicht. Absolut nicht, nur konnte er tatsächlich so weit gehen und eine Beziehung mit ihm anfangen? Ares hatte ihm bewiesen dass er für ihn da war, wenn er ihn brauchte. Er vertraute ihm und dennoch hatte er begründete Zweifel die all das in den Hintergrund stellten. Aber er konnte nicht ständig in der Vergangenheit leben. Er musste nach vorne sehen. Sein Leben in die Hand nehmen und es leben und nicht von jemand anderem bestimmen lassen der ihn gehasst hatte.

Spring über deinen Schatten du Trottel, dachte er sich kopfschüttelnd und musste schmunzeln, als er das breite Lächeln in Ares Gesicht wahrnahm, der entspannt und glücklich dreinsehend von der Tanzfläche kam.
 

Erst als sich die Fünf gegen vier Uhr auf den Heimweg machten, wurde klar, wo das Gespräch stattfinden sollte.

Ares und Nero hatten ein paar Meter zusammen zu gehen, bevor sich ihre Wege trennten.

„Gott, wie kann es nur jetzt schon so eisig sein.“, bibberte Ares als er an der Ampel anhielt und sich zu Nero umdrehte um sich zu verabschieden.

„Nja, das haben wir jetzt erst mal die nächsten Monate.“ Auch Nero war kalt und er wollte nach Hause und am besten noch ein heißes Bad nehmen, bevor er sich hinlegte.

„Also dann…“ Ares wollte gerade über die Straße gehen, als der Schwarzhaarige endlich den Mund aufbekam.

„Warte… bitte.“ Nero schlotterten die Knie. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und der Wind zerzauste ihm die Haare. „Heißen Tee oder lieber Kaffee?“, war alles, was ihm noch einfiel.

Ares hingegen blickte ihn verdutzt an. „Ähm… jetzt?“

Nero konnte nur noch nicken. Jedes weitere Wort wäre ihm im Halse stecken geblieben wenn man von seinem Zähneklappern absah.

„Okay. Dann los, sonst wirst du zum Eiszapfen.“ Er zwinkerte flüchtig und setzte sich in Bewegung.
 

Ihre Schuhe knirschten im Neuschnee. Ihr Atem flog in kleinen Wölkchen vor ihnen her und der eisige Wind wehte den beiden nicht nur ihre Haare sondern auch klirrend kalte Eiskristalle ins Gesicht.
 

Mit einem leisen Seufzen betraten die beiden Neros Wohnung in der es immer noch lauschig warm war.

„Oh G-Gott.“, klapperte Ares. „W-Wenn das die nächsten M-Monate so weiter geht, b-bleib ich zu H-Hause.“

„Aye.“ Nero nickte, schälte sich aus seinem Mantel und rieb die eisigen Hände aneinander. „Ich mach… Kaffee oder Tee?“ Er drehte sich ruckartig um und musste kichern, als er Ares‘ rote Nase betrachtete.

„Kaffee bitte.“, murmelte der junge Mann und schlurfte ins Wohnzimmer, während der angenehm herbe Duft von Kaffee durch die Wohnung wanderte.

Sie saßen schweigend auf Neros Sofa während das Kaminfeuer den Raum erwärmte und sie langsam aber sich auftauen ließ. Das Schneetreiben vor dem Fenster wollte und wollte kein Ende nehmen.

Nero wusste immer noch nicht, wie er den Kuss vor einer Woche ansprechen sollte, aber es verschlug ihm regelrecht die Sprache und wenn er nur daran dachte, rutschte ihm vor Angst schon das Herz in die Hose.

Ares hingegen hatte dafür wohl einen sechsten Sinn, wenn es um solch heikle Themen ging. „Tut mir leid, dass sich dich letztens so überrumpelt habe.“ Ein sprachloser Blick traf den jungen Mann. Ungeachtet dessen sprach er weiter. „Ich hab ewig überlegt wie es anstellen soll, aber nach einem Kuss zu fragen ist immer eigenartig.“ Er blickte Nero entschuldigend an. Sah seine verwirrte Mine mit diesen wundervollen smaragdgrünen Augen und den weichen Lippen.

Nero fand nach Minuten endlich seine Stimme wieder, blickt in die Schwärze seines Kaffees und schüttelte hilflos den Kopf. „Ich weis einfach nicht was ich sagen soll.“ Die Verwirrtheit war ihm eindeutig ins Gesicht geschrieben. „Ich war noch nie in so einer Situation.“ Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. Fluchte innerlich weil er seinen Mund nicht aufbekam. Seine Bedenken und Gedanken nicht aussprechen konnte.

„Außer im Kessel mit Micha.“ Daraufhin musste auch Nero lachen. Den Tag hatte er fast aus seinem Kopf gestrichen gehabt, doch im Nachhinein war es einfach nur lustig. Es passierte immerhin alles andere als häufig, dass er volltrunken seinen besten Kumpel abknutschte und das auch noch in aller Öffentlichkeit.

Der Schwarzhaarige wurde wieder ernst. „Der Kuss… das ist es ja nicht…“, meinte er errötend. „Sondern eher dein Geständnis. Ich weis… gar nichts. Nur dass ich gern in deiner Nähe bin. Mit dir um die Häuser ziehen ist auch klasse.“ Er konnte nicht mehr sitzen, fühlte sich zappelig und Ares machte ihn nervös. Mal abgesehen davon, dass sein Herz dermaßen schnell klopfte dass es schon wehtat.

„Nero ich…“

„Ich hab dich wirklich gern.“, schnitt Nero ihm mitten im Satz das Wort ab. „Du bist mir ein echter Freund geworden.“ Wieder ein Seufzen seinerseits. Er stand an die Heizung gelehnt da und wusste nicht, was er machen sollte. Ihn übermannte die Hilflosigkeit, als hätte man ihn mit einem Vorschlaghammer geschlagen und gerade in diesem Moment kam Ares zu ihm und stellte sich vor ihn.

„Dann war der Kuss okay?“ Leise gefragt und fast ein wenig schüchtern stand er da. Ungläubig über das Nicken und den direkten Augenkontakt, den Nero gerade aufbaute.

„Ja, er war schön.“ Die Röte schoss Nero in die Wangen. „Hat sich gut angefühlt.“, murmelte er. „Was ist wenn es schief geht?“ Nero wollte sich das in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen, denn allein der Gedanke schmerzte.

Ares hingegen lächelte und schüttelte den Kopf. „Dann geht es schief und ich werde immer noch da sein, wenn du mich brauchst. Man muss nur miteinander reden, dann kann selbst eine Trennung glimpflich ausgehen.“

„Das kann ich mir leider schwer vorstellen.“ Erinnerungen drückten ihn nieder. Sein Herz schmerzte. „Ares ich… ich hab einfach Angst.“ Er konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen. Die Teile seiner tiefsten seelischen Abgründe taten sich gerade auf. Er wollte nicht, dass Ares das bemerkte.

„Wovor?“ Ares hörte sich alarmiert an. Die Nacht bei ihm, als Nero diesen Albtraum gehabt hatte drang wieder in ihm auf doch den Grund hatte er bis heute nicht erfahren.

Nero kamen fast die Tränen. Es erdrückte ihn, doch er konnte es ihm nicht sagen. Nicht jetzt und auch nicht in den nächsten Wochen, wenn er es denn überhaupt konnte. Er wollte weg von hier. Aus dem Zimmer verschwinden, allein sein, sich abschotten. Nicht mehr mit alldem konfrontiert werden, aber er konnte Ares diese Schwäche nicht zeigen.

Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und versuchte seine Stimme stark klingen zu lassen, doch es gelang ihm nicht. Nur zitternd brachte er die Worte über seine Lippen.

„Ich… ich weis nicht, ob ich je mehr als nen Kuss zulassen werden kann.“

Wieder dieses zaghafte Lächeln, welches Ares‘ Lippen umspielte. „Die Hemmschwelle ist die größte Hürde die es gibt. Da brauchst du dir keinen Kopf machen.“ Ares sah, wie Nero in sich zusammen sackte. „Ich werde nichts im Leben tun, was du nicht willst.“

„Das ist auch nicht… selbstverständlich.“, nuschelte der junge Mann heiser und merkte, wie eine schwielige Hand die seine umschloss und sanft drückte. Sein Puls stieg an und ein kurzes Zittern ließ ihn erbeben.

„Für mich schon. Und es ist mir zu ernst, als dass ich das außer Acht lassen würde. Es kommt zum Sex oder eben nicht und egal wie oder wann ist doch völlig wurscht, solange es für beide okay ist.“ Er trat einen kleinen Schritt näher. „Mir reicht es schon zu wissen dass ich dich küssen darf ohne mir eine zu fangen.“ Ein Zwinkern huschte Nero entgegen.

Er sah auf und blickte wieder in diese unglaublichen Augen. So dunkel wie die Nacht selbst und doch so warm, wie er es selten gesehen hatte. Sie glitzerten wie zwei Onyxe. Nero sah Ares‘ Halsschlagader pulsieren und merkte dass er ebenso aufgeregt war wie er selbst.

„Ist es dir tatsächlich so ernst, dass du die natürlichen, menschlichsten Triebe einfach ignorieren kannst?“, fragte er vorsichtig. Wenn Ares das so sagte bestand kein Zweifel daran, dass er es auch so meinte und Nero vertraute ihm, trotz allem was geschehen war. „Auch wenn ich nie mit dir schlafen könnte?“

„Selbst dann.“ Bejahte Ares leise und legte seine Hand an Neros Wange, welcher seufzte und die Augen schloss, während sich ein kleiner Kieselstein aus dem Felsen, welcher auf seinen Schultern lastete, ablöste.

„Okay.“, flüsterte der Schwarzhaarige. Er hörte Ares ausatmen, spürte wie er seine Stirn an die seinige lehnte und ihn hauchend um einen Kuss bat.

„Frag mich lieber nicht.“, murmelte er errötend. „Sonst kollabier ich noch.“

Ein Kichern stahl sich aus Ares‘ Kehle. „Nervös?“ Als er ein Nicken an seiner Stirn spürte, nahm er Neros rechte Hand und legte sie sich an die Brust. „Nicht nur du.“ Mit diesen Worten schloss er Neros Lippen mit den seinigen.

Neros Hand ruhte immer noch auf Ares‘ Brust und der Herzschlag der ihm entgegen schlug, war seinem sehr ähnlich. Ares‘ Herz raste ebenso. Seine Lippen kribbelten. Er hörte sein Blut in den Ohren rauschen und spürte den weichen Stoff zwischen seinen Fingern. Wieder stieg ihm der Duft, der Ares umgab, in die Nase. Patchoulie.

Neros Gedanken, Zweifel, alles, was ihm noch vor ein paar Minuten im Kopf herumgespukt hatte, gingen in Rauch auf. Nur noch der Moment zählte.

Ares‘ Hand in seinem Nacken, das leichte Kraulen an seinem Haaransatz. Neros Knie, die langsam weich wurden und er sich etwas in Ares‘ Pullover krallen musste um nicht einzuknicken. Ihre Lippen, welche sich berührten, einen Sekundenbruchteil auf Abstand gingen nur um sich im selben Augenblick wieder zu finden. Sanft. Zart.

Als sich ihre Zungen flüchtig berührten wusste Nero nicht mehr wo oben und unten war. Er verlor jegliches Zeitgefühl und schier endlos lange Minuten später hob sich ihr Kuss auf.

Nero wollte seine Augen nicht öffnen. Er wusste nicht, ob es ihm peinlich war oder ob er den Augenblick noch länger festhalten wollte. Er spürte nur einen zaghaften Kuss an seiner Wange und einen Arm um seine Hüfte, bevor er sich durchringen konnte, seine Smaragde doch zu öffnen nur um in sanft glitzernde, schwarze Edelsteine zu blicken.

Keiner wusste im Moment etwas zu sagen. Sie sahen sich einfach nur an und einer nach dem anderen fing zu lächeln an. Ihre Herzen pochten immer noch heftig und Nero erhielt einen Endorphinschub, den er ansonsten nur beim Tanzen bemerkte. Er fühlte sich, als könnte er Bäume ausreißen obwohl er eher das Bedürfnis hatte, vor Glück laut zu schreien.

„Und das zu Weihnachten.“, murmelte Ares leise. Küsste Nero flüchtig auf den Mund und zwinkerte.

„Was?!“ Nero hatte sich verhört. Er hatte sich verhört, anders konnte es nicht sein. Dem jungen Mann entgleisten vollkommen die Gesichtszüge und er sah sein Gegenüber erschrocken und bestürzt an.

„Was, was?“ Ares wusste nicht was los war. Hatte er etwas falsch gemacht? Nero verärgert, mit… was auch immer?

„Weihnachten?“ Neros Augen weiteten sich. „Nein, nein…. Das….“ Er fuhr sich über das Gesicht in der Hoffnung aus einem Traum zu erwachen. Er konnte Weihnachten nicht vergessen haben! Das war nicht möglich!

Nun konnte sich Ares ein Lachen nicht verkneifen. Jegliche Panik etwas Falsches getan zu haben, wich der absoluten Belustigung. „Du hast nicht ernsthaft Weihnachten vergessen?“ Er hielt Nero immer noch im Arm, während es ihn vor Lachen nur so schüttelte.

„Scheiße….“, fluchte Nero. „Wie es scheint schon.“ Dass er den Tag vergessen hatte, war nicht einmal das Schlimmste überhaupt, sondern eher die Tatsache, dass er noch einkaufen musste. Er hatte nichts mehr im Kühlschrank. „Heute ist…“, überlegte er und ließ seinen Kopf auf Ares‘ Schulter sinken.

„Der 22. Dezember.“, kicherte dieser und drückte den jungen Mann fest an sich.

„Scheiße….“, jammerte Nero und atmete tief durch. „Gut, jetzt ist es…“ Er blickte auf die Uhr am DVD-Player und wurde weiß im Gesicht. „Acht Uhr! Wo ist die Zeit hin?“

„Ähm...“ Ares wusste sehr gut, wo ihre Zeit geblieben war. Jedoch wurde selbst er nervös wenn er bedachte, dass er am nächsten Tag wieder arbeiten musste und bisher noch nicht geschlafen hatte.

„Okay, es gibt zwei Möglichkeiten…“ Nero löste sich langsam aus der wohligen Umarmung und stiefelte ins Badezimmer. Langte nach seiner Bürste und fing an sich die zerrupften Haare zu kämmen. „Entweder wir gehen jetzt einkaufen und schlafen später, oder wir schlafen jetzt und nehmen das Unglück in Kauf dass wir so lange schlafen bis die Geschäfte schon längst geschlossen haben.“ Er drehte sich schwungvoll um und betrachtete Ares, welcher entspannt am Türpfosten lehnte und immer noch schmunzelte.

„Variante Nummer eins, bitte. Schlafen kann ich in der Nacht auch noch.“ Ein Zwinkern huschte zu Nero der seine Bürste wie ein Zepter hin und her schwenkte und überlegte.

„Aye.“, nickte er ab. „Dann machen wir’s so. Ich muss noch nen Zettel schreiben, ich hab nämlich keine Ahnung, was ich über die Feiertage essen will.“ Er grinste. „Und Chili muss ich ja für euch auch noch machen.“

„Stimmt, da war was. Aber jetzt bleib ruhig, du hast noch den ganzen Tag. Die Geschäfte haben grade erst aufgemacht.“ Mit einer schnellen Bewegung landete Nero wieder in seinen Armen.

Mit einem Lächeln und einem Herzen, das ihm bis zum Hals schlug, nahm er Ares‘ Gesicht in seine Hände und küsste ihn sanft. „Aber wir sollten trotzdem lieber jetzt gehen, sonst kann ich nicht mal Frühstück machen und ich hab… Hunger.“

Irritiert über diesen plötzlichen Kuss von Neros, blickte er ihn perplex an und nickte steif. „Okay.“, murmelte er. „Dann, zieh ich mir mal was an.“

Der Schwarzhaarige kicherte leise, als er seine Schuhe anzog und sich dann in die Küche setzte um einen Einkaufszettel zu schreiben. Hackfleisch, zwiebeln, Bohnen, Mais und alles was ihm noch so einfiel, landete auf dem gelben Papier und verschwand dann in seiner Geldbörse.

„Na dann.“ Er wickelte sich seinen Schal um den Hals und warf sich den Ledermantel über.
 

Zehn Minuten später standen die beiden im Supermarkt. Nero fielen halb die Augen aus den Kopf. So viele Leute auf einmal konnten nicht den gleichen Gedanken gehabt haben wie er.

Die Schlangen an den Kassen reichten bis zu den hintersten Regalen und selbst im Eingangsbereich wuselten die Menschen wie Käfer herum um noch einen Einkaufskorb oder Wagen zu erhaschen.

„Hab ich was verpasst?“, fragte er unglücklich dreinschauend an Ares gewandt welcher ebenfalls geschockt auf die Menschenmassen blickte und nur mit den Schultern zucken konnte.

„Ähm… auf ins Chaos.“, meinte er leise und schritt voran um den letzten Einkaufskorb zu bekommen. „Was brauchst du denn alles?“

Nero war dicht hinter ihm. Er hasste solche Menschenaufläufe. Bei einem Konzert oder einen Festival, war es nicht so schlimm, da sich die Leute auf dem Gelände verliefen, aber auf so engem Raum hatte Nero das ungute Gefühl zu ersticken.

„Alles. Von Zwiebeln bis zur Zahnpasta.“ Wieder nur ein unglücklicher Blick. Nero hoffte, dass die Masse sich lichten würde, bis sie selbst an der Kasse standen.

Nero stapfte langsam vor sich hin und schichtete alles in den Korb, welcher sich langsam aber sicher als zu klein erwies.

„Mann, die glauben auch, dass die Welt halb untergeht, oder?“, grummelte Ares leise vor sich hin, während sie sich mit Lebensmitteln aufgeladen in die Schlange stellten.

Nero nickte. „Ja, es ist jedes Jahr das Gleiche. Als hätten die Geschäfte nicht davor auch schon geöffnet. Furchtbar und dann fallen die Feiertage dieses Mal echt kacke. Montag könnte man zwar auch noch Dinge besorgen, aber da sind die meisten im Putzstress.“ Er grinste. Nein, das hatte er nicht vor. An Heiligabend würde er nichts weiter machen als zu kochen und sich auf die Couch zu legen. Er würde nicht putzen und alles auf Hochglanz polieren.

„Pff, Putzstress.“ Ares lachte auf und fing sich von der vor ihnen stehenden Frau einen scharfen Blick. „Da bleibt der Kaugummi am Boden kleben, auch schon egal.“, sagte er betont laut und Nero konnte sich auf diesen Kommentar ein lautes Lachen nicht verkneifen. Ja, natürlich. Die bösen, schwarzen Gothics sind grundsätzlich asozial, unordentlich und versifft, mal ganz abgesehen davon, dass sie natürlich durch die Bank arbeitslos waren.

Genau das war es wohl, was der Frau vor ihnen gerade durch den Kopf gegangen war. Und Ares hatte ihr, aus Jux, eine perfekte Steilvorlage geliefert. Wie sagte Nero so gern, war der Ruf erst ruiniert, lebte es sich ganz ungeniert. Ihn ärgerten die Vorurteile andere Menschen ihnen gegenüber, doch sich darüber aufzuregen, brachte so oder so nichts. Also ließ er es auf sich beruhen.
 

Mit drei Taschen bepackt machten sich die beiden wieder auf den Rückweg. Der Wind war noch stärker als in der Nacht geworden. Es schneite zwar nicht mehr, aber die Kälte war kaum auszuhalten.

„Meine Fresse…“, bibberte Nero „Bin froh, dass wir da heraus sind.“ Er stellte die Taschen auf seinen Küchentisch und gähnte laut. Er war hundemüde und ihm war vor Hunger schon ganz schlecht.

„Ich auch und das darf ich mir heut noch mal antun.“ Ares seufzte auf und setzte sich auf einen der Stühle.

„Wieso? Am Montag hast du doch auch noch Zeit. Wird zwar wohl genauso zugehen, aber dann brauchst du dir heute keinen Stress mehr zu machen.“ Der Schwarzhaarige rieb seine klammen Finger aneinander und schaltete die Kaffeemaschine ein, welche kurz darauf zu dampfen anfing und der herrliche Geruch von frischem Kaffee die Küche erfüllte.

„Nee. Muss am Montag arbeiten.“ Ein unglücklicher Blick ruhte auf Nero. „Keine Sorge, nicht so ewig lange wie sonst.“ Er lächelte und zwinkerte ihm beruhigend zu. „Ich lass mir doch dein Chili nicht entgehen.“

„Mal sehen ob das was wird.“ Nero grinste. Es war das erste Mal, dass er Chili zubereitete und er war etwas nervös, wenn er daran dachte, dass Ares es probieren würde. Köche konnten sehr vernichtende Urteile abgeben. „Bis wann musst du denn arbeiten? Ich versteh eh nicht, warum dein Chef dir nicht frei gibt. Als Berufsschüler sollte dir die Möglichkeit eigentlich schon gegeben werden in den Ferien Urlaub zu nehmen.“ Nero schüttelte unverständlich den Kopf und füllte das schwarze Heißgetränk in zwei Tassen.

„Küche, Nero. Da gelten ein wenig andere Regeln.“ Er lächelte aufmunternd und nahm einen kleinen Schluck. „Ich denke gegen neun Uhr werd‘ ich fertig sein, dann kann ich bis zehn Uhr hier sein. Aber ihr braucht nicht mit dem Essen auf mich warten.“

Neros hochgezogene Augenbraue brachte Ares jedoch zum Schweigen. „Nix da. Alleine essen ist doof.“ Der junge Mann ließ keine Widerworte gelten.

„Jawoll Chef.“, war alles, was Ares noch sagte ehe er sich erhob, Neros Tasse auf der Arbeitsfläche abstellte und ihn langsam in seine Arme zog. „Ich bring Wein mit. Hab noch einen guten Tropfen zu Hause.“, murmelte er an Neros Wange und hauchte einen sanften Kuss dagegen. Bemerkte das kleine Nicken seines Gegenübers und eine Hand an seiner Brust.

Aufregung. Freude. Ein wild pochendes Herz unter seinen Fingern. Weiche Knie. Wie konnte Ares nur eine solche Wirkung auf ihn haben. Er hatte ihn nur in den Arm genommen. Ihn auf die Wange geküsst. Nichts weiter und schon wieder überschlug sich sein Magen. Selbst seine Fingerspitzen kribbelten und das nur von einer Umarmung! Nero wusste nicht, wohin das noch führen sollte. Er wollte sich nicht einmal vorstellen wie es werden würde, würden sie tatsächlich irgendwann einmal miteinander schlafen. Wahrscheinlich würde er ohnmächtig werden.

„Nero?“, murmelte Ares ein wenig schläfrig an seinem Ohr.

„Hm? Ich mach gleich Frühstück.“

Ares brachte ein wenig Abstand zwischen sie und betrachtete ihn lächelnd. „Das wäre herrlich, aber noch besser wäre wenn ich kurz unter die Dusche springen dürfte. Ich kann mich nicht mehr riechen.“ Er grinste betreten und erhielt einen etwas verwirrten Blick.

„Äh, ja klar.“ Der junge Mann fuhr sich über das Gesicht und war gerade dabei aus der Küche zu gehen als er am Arm festgehalten und sanft geküsst wurde. Noch perplexer stand er nun da und hatte vergessen was er eigentlich machen wollte. Sah Ares an, der ihn, wieder mit der Kaffeetasse in Händen, anlächelte.

„Handtuch…“, fiel es Nero kurz darauf wieder ein und er verschwand irritiert im Badezimmer. Atmete kurz tief durch, kramte in dem kleinen Schrank unter dem Waschbecken herum und legte es Ares auf den Badewannenrand.
 

Mit pochendem Herzen und rasenden Gedanken stand er, das frische T-Shirt in den Händen haltend, in seinem Schlafzimmer und blickte in das wieder einsetzende Schneegestöber vor dem Fenster.
 

Völlig gedankenverloren wandte sich Nero zur Türe um und erschrak sich fast zu Tode, als er Ares dort stehen sah. Er hatte nicht mitbekommen, dass das Wasserrauschen der Dusche aufgehört hatte und die Türe zum Badezimmer aufgegangen war.

Mit vor Schreck rasendem Herzen setzte sich Nero an das Fußende seines Bettes und ließ den Kopf hängen. Er musste sich erst einmal wieder beruhigen.

„Ist alles okay?“, fragte Ares besorgt nach. Er traute sich im Moment nicht zu nah an ihn heran, immerhin wusste er nicht was überhaupt los war. So erschrocken wie Nero war, hatte er ihn wohl nur aus seinen Gedanken hochschrecken lassen.

„Ich… du…“ Der junge Mann fuhr sich durch die Haare, blickte zur Türe und brachte ein schwaches Lächeln über die Lippen. „Ich war nur in Gedanken und dachte nicht, dass du hinter mir stehst.“ Er erhob sich und reichte Ares das frische T-Shirt. Es war wirklich ein Segen, dass sie die gleiche Größe hatten, abgesehen von den Schultern, welche bei Ares ein gutes Stück breiter waren, passte das Oberteil.

„Sorry, hätte ich was gesagt, wärst du wahrscheinlich umgekippt.“ Ares grinste schelmisch und nahm das Anziehstück dankend entgegen, denn auch wenn der Kamin die Wohnung schön warm machte, zog sich über seine Haut eine leichte Gänsehaut.

Nero nickte darauf schmunzelnd. „Ja, wahrscheinlich.“ Sie standen sich für einen Moment im Türrahmen gegenüber und Neros Herz pochte augenblicklich einen Tick schneller. Wieso war er nur so nervös? Ares stand ihm nur gegenüber und das, mittlerweile, sogar wieder angezogen. Doch ehe er sich weitere Gedanken machen konnte, was Ares‘ Anwesenheit für eine Auswirkung auf ihn hatte, rief ihn sein Magenknurren wieder zurück. „Komm, ich mach uns Frühstück, ich bin kurz vorm Verhungern.“ Er grinste, ging in die Küche und stand vor seinem Kühlschrank ohne zu wissen, was er dort drin eigentlich wollte.

„Dann solltest du wirklich etwas essen, nicht dass du mir vor Hunger noch zusammenklappst.“ Ares schlurfte ihm hinterher und fühlte sich unnütz. Er stand in einer Küche, in der er nicht wusste, was er machen sollte. Er war Koch! Sonst hatte er immer einen Plan, was er zu tun hatte, allerdings war das hier weder sein Arbeitsplatz noch seine eigene Küche.

„Was willst du denn? Eier? Brot? Joghurt?“ Nero drehte sich hilflos dreinschauend um. Sie hatten noch nie zusammen gefrühstückt. Zumindest nicht wirklich. Mehr als Kaffee hatten sie bisher nie getrunken.

„Hast du Speck?“ Ares lächelte ihn über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg an. „Rührei mit Speck und Zwiebeln wäre das Paradies.“

Na immerhin mal jemand der sagt was er will, dachte sich Nero innerlich lächelnd und öffnete mit einem Ruck den Kühlschrank, holte besagte Zutaten heraus und machte sich daran, ihr Frühstück zuzubereiten. Er fühlte sich dämlich bei dem Gedanken einen Koch im Nacken sitzen zu haben, der jeden seiner Handgriffe beurteilen bzw. verurteilen konnte, doch Ares hielt sich komplett zurück.

„Wo verstaust du denn deine Teller“, fragte Ares in der Hoffnung sich irgendwie nützlich machen zu können.

„Schrank ganz rechts oben, Besteck ist neben dem Kühlschrank in der zweiten Schublade.“, nuschelte der Angesprochene, hörte keine Sekunde später Teller klappern und kaum hatte er sich umgedreht, war der Tisch feinsäuberlich gedeckt. „Soo, Achtung heiß.“, grinste Nero und tat ihnen beiden etwas von dem Ei-Speck-Zwiebel-Gemisch auf die Teller.

„Hmmm, das duftet herrlich.“ Ares‘ Augen leuchteten, was wohl ein gutes Zeichen zu sein schien.

„Na dann… Guten Appetit.“ Nero war schon ganz flau im Magen, aber anscheinend schmeckte es Ares, welcher keinen Ton von sich gab, munter vor sich hin aß während ein leises Lächeln seine Lippen umspielte.

„Und du sag mir noch einmal du kannst nicht kochen.“, kam es, nachdem ihre Teller leer gegessen waren, von dem Koch-Azubi.

„Es sind nur Eier.“, meinte Nero etwas argwöhnisch. Rührei konnte man nicht falsch zubereiten.

„Das sagst du.“ Ares fing zu lachen an. Ein tiefes, melodisches Lachen. „Ganz ehrlich? Ich hab in meiner Klasse einen, der hätte dir einen Pfannenkuchenteig als Rührei verkauft.“

Nero prustete in seinen, bereits kaltgewordenen, Kaffee und blickte Ares ungläubig an. „Nicht dein Ernst, oder? Ich hau doch kein Mehl zum Ei, wenn ich Rührei machen will.“ Allein bei der Vorstellung konnte Nero sein Lachen nun auch nicht mehr zurückhalten. „Ich glaub der hat seinen Berufsweg eindeutig falsch gewählt.“

Ares nickte. „Hat er. Der stellt sich an wie der letzte Vollidiot. Kann nicht mal Basilikum von Petersilie unterscheiden.“

Der Schwarzhaarige kicherte kopfschüttelnd weiter, als er ihnen noch einmal Kaffee nachgoss. „Unglaublich. Ich hoffe nur ich hau euch nicht aus den Socken wenn ich das Chili mache.“

„Wieso das? Zu scharf kann man Chili nicht machen. Zur Not gibt’s ein Glas Milch dazu und dann geht das schon wieder.“ Ares zwinkerte.
 

Es war schon Nachmittag, als die beiden auf dem Sofa lümmelten, den entspannenden Klängen von Diary of Dreams lauschten und sich von dem prasselnden Kamin einlullen ließen.

Nero war völlig entspannt. So entspannt wie… noch nie. Soweit er sich zurück erinnern konnte, war so etwas wie heute noch nie passiert. Er lehnte leicht an Ares‘ Seite, welcher einen Arm und seine Schultern gelegt hatte und ihm leicht durch die Haare fuhr. Er verstand, wenn er ehrlich war, auch nicht, wie er so schnell, diese Nähe zulassen konnte. Klar, er kannte Ares jetzt schon eine ganze Weile. Sie waren in der Zeit gute Freunde geworden und er vertraute ihm in dieser Hinsicht, was so oder so schon ein kleines Wunder war. Außer Tenna, Micha und Erke hatte er bis dahin niemanden mehr an sich herankommen lassen. Nur Ares hatte es irgendwie geschafft, sich mit seiner lockeren, fröhlichen, ehrlichen und direkten Art einen Platz in Neros Herzen zu ergattern. Er konnte sich auf ihn verlassen, das war ihm klar. Vielleicht war es naiv von ihm zu glauben, dass Ares es auch ernst meinte, wenn er sagte, er würde auf Sex verzichten können. Die Zeit würde ihm das jedoch schon zeigen. Was er dann allerdings machen würde, das wusste er heute noch nicht.

Der Schwarzhaarige merkte, wie ihm seine Augen langsam schwer wurden. Er war schon über 24 Stunden wach und sein Magen war auch gefüllt. Es war ein schwieriges Unterfangen sich wach zu halten.

Ares hingegen lächelte selig vor sich hin und hauchte Nero einen leichten Kuss gegen die Haare. „Ich glaub du solltest dich lieber hinlegen, meinst du nicht?“

„Was?“ Nero fuhr hoch, blickte zur Seite und blickte betreten zu Boden. „Achso.“, der junge Mann fuhr sich durch die Haare und sah ihn mit einem Schlafzimmerblick an, dem Ares einfach nicht widerstehen konnte. Er hob Neros Kinn sanft an, schmunzelte und küsste ihn zärtlich.

Sanfte Lippen. Ares‘ unverkennbarer Geruch. Dieses warme Kribbeln in seinem Magen, welches sich langsam in seine Fingerspitzen schlich. Ihr Atem ging ein wenig schneller, als sie voneinander abließen, sich Stirn an Stirn gegenüber saßen und die Augen immer noch geschlossen hielten um diesen Augenblick noch ein wenig auf sich wirken zu lassen.

Nero bette sein Gesicht in Ares‘ Hand, welche leicht an seiner Wange lag. Er genoss es. Es war so luftig leicht. So sanft, so zärtlich ohne sich aufgedrängt anzufühlen. Es fühlte sich… so vertraut an. Obwohl es nicht einmal ein Tag war, den sie nun so miteinander verbracht hatten. Er fühlte sich geborgen und dieses Gefühl, war ihm für Jahre kein Begriff gewesen.

Nur langsam öffnete er seine Augen. Blickte in zwei Onyxe die ihn anstrahlten. Kein Wort kam ihm über die Lippen. Nur ein leises Lächeln lag um seine Mundwinkel ehe sie sich erhoben und Ares an der Garderobe stand um sich anzuziehen.
 

Sie standen für einen Moment schweigend an der Wohnungstüre. Ares hatte Nero einen Arm um die Hüfte gelegt, welcher sich wohlig in die leichte Umarmung schmiegte.

„Wir sehen uns am Montag. Ich schau, dass ich vielleicht ein wenig früher aus der Arbeit komme.“, murmelte Ares und hauchte ihm einen leichten Kuss gegen die Lippen.

Nero nickte und sah ihm in die Augen. „Ich freu mich.“

„Ich mich auch. Sehr sogar. Das wird ein tolles Weihnachten.“ Der Ältere der beiden grinste breit und drückt Nero kurz fest an sich. „Das beste seit Jahren und nun, schlaf dich gut aus.“ Er zwinkerte und öffnete die Türe.

„Du auch. Bis dann.“ Ein fröhliches Lächeln lag auf Neros Lippen, als er die Wohnungstüre leise ins Schloss fallen ließ.
 

Mit eben diesem Lächeln, entledigte er sich seiner Klamotten, ließ Badewasser ein und legte sich in ein Schaumbad, welches erfrischend nach Lavendel duftete.

Er fühlte sich ausgelaugt. Die Müdigkeit breitete sich in jeder Zelle seines Körpers aus und bevor er in der Badewanne einzuschlafen drohte, schlüpfte er in ein frisch gewaschenes T-Shirt, legte sich ins Bett und zog sich die Bettdecke bis über die Nasenspitze.

So einen ruhigen Schlaf, hatte er seit Jahren nicht mehr gehabt.

Weihnachten

Kapitel 3

Weihnachten

 

 

Dicke Rauchschwaden zogen durch die kleine Wohnung im vierten Stock eines Hochhauses. Ein hochgewachsener junger Mann Anfang Zwanzig, die langen schwarzen Haare zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, sprintete durch den Raum und riss eine Bratpfanne vom Herd.

„Scheiße!“, rief er laut aus und raufte sich die Haare. Das gusseiserne Kochutensil war brütend heiß gewesen und er hatte in seiner Hektik nicht mehr daran gedacht Topflappen oder Ähnliches zu benutzen, als er die Pfanne von der Herdplatte gezogen hatte.

Seine Hände taten ihm höllisch weh und abgesehen davon, waren ihm auch noch die Zwiebeln angebrannt.

„Also gut, dann eben noch mal von vorne….“, grummelte Nero halblaut vor sich hin, während das Dudeln des Radios ihm noch den Verstand raubte. „Ach halt die Klappe.“, fluchte er und drückte auf den Ausschalter des Gerätes um das stumpfsinnige Gebrabbelt des Radiomoderators nicht mehr hören zu müssen.

Also noch einmal von vorne.

Es war der 23. Dezember. Es war ein Tag vor Weihnachten und Nero musste… kochen.

Chili, um genau zu sein. Ein kleiner, aber gemeiner Weihnachtswunsch von Erke, der genau wusste, dass Nero kein begnadeter Koch war. Mehr als Fertigpizza, Nudeln und Reis, standen ansonsten nicht auf seiner Speiseliste. Typisches Essen eines Junggesellen. Rührei und Speck, ja das hatte er am Vortag auch noch hinbekommen. Aber Chili? Und das auch noch für fünf Personen? Das war schon fast zu viel des Guten. Da half ihm das Rezept auf der Internetseite, die er sich herausgesucht hatte, auch nicht wirklich weiter.

Die Mengenangaben waren ungenau. Wer maß Hackfleisch auch mit TASSEN ab? Entweder im Pfund oder im Kilo, das konnte er verstehen, aber in Tassen? Was für Tassen? Kaffeetassen? Große Kaffeetassen? Espressotassen? Allein dieser Umstand ließ ihn fast verzweifeln und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen waren ihm nun auch noch die Zwiebeln angebrannt.

Somit hieß es noch einmal: Augen zu und vier große Gemüsezwiebeln in Würfel hacken, anbraten und diesmal hoffen, dass sie ihm nicht wieder anbrannten und als Kohle im Mülleimer landeten.

„Okay, Zwiebeln hab ich… jetzt noch das Hackfleisch anbraten…“, nuschelte er entnervt vor sich hin. „Nie wieder.“, schwor er sich zum wiederholten Male und stocherte in dem rohen Fleisch herum, damit es auch gut durchbriet. Zu guter Letzt kamen noch Mais und Kidneybohnen in den hohen Topf. Nero schaltete die Herdplatte auf kleine Stufe und ließ das Chili ein paar Stunden vor sich hin köcheln bevor er mit dem Abschmecken begann.

Er schnippelte noch drei große Chilischoten, denn es sollte ja auch nach etwas schmecken. Salz, Pfeffer und dann war sein Meisterwerk fertig. Und es schmeckte sogar, musste er feststellen.

„So, du darfst jetzt bis morgen durchziehen.“ Nero hatte ein stolzes Lächeln im Gesicht und machte sich dann daran seine Wohnung ein wenig auf Vordermann zu bringen. Das Übliche eben. Abwaschen, Wäsche waschen und aufhängen, Staubsaugen und kurz feucht Wischen.

Für den morgigen Tag zu dekorieren, dafür hatte er keinen Nerv, mal ganz abgesehen davon, dass er keinerlei dekorative Weihnachtsartikel zu seinem Haushalt zählen konnte, aber das war ihm auch nicht wichtig. Was zählte war, dass seine Freunde bei ihm waren und sie einen gemütlich, feucht fröhlichen Abend zusammen verbringen konnten. Mehr brauchte er nicht und mehr wollte er auch nicht. Den ganzen Schnickschnack brauchte man nicht, um Weihnachten zu feiern. So war zumindest seine Meinung und dabei blieb er auch.

Allerdings hatte er die Rechnung ohne Micha, Tenna und Erke gemacht, wie sich am nächsten Tag herausstellte.

 

Es war kurz vor sieben Uhr abends, als es an der Türe läutete.

Der Aufzug brauchte immer eine ganze Weile bis er im vierten Stock angekommen war und als die drei ausstiegen fielen Nero fast die Augen aus dem Kopf. Er wollte nicht glauben was er da sah.

Tenna hatte zwei riesengroße Einkaufstüten im Schlepptau, während Erke und Micha eine mannshohe Tanne zwischen sich trugen und Nero mit einem gegrinsten ‚Frohe Weihnachten‘ aus dem Weg drängten.

„Was zum… Was ist das?“ Nero ließ die Wohnungstüre mit einem lauten Knall ins Schloss fallen und trat ungläubig drein schauend in sein Wohnzimmer. Erke und Micha waren freudestrahlend dabei den Baum aus seinem Nylonnetz zu stülpen, während Tenna den Baumhalter aufstellte.

Tenna drückte ihn, nachdem der Baum in der Halterung verankert war, fest an sich. „Na ein Christbaum, was denn sonst?“

„Ja aber…“, weiter kam der Schwarzhaarige gar nicht, da hatte Micha ihm schon das Wort abgeschnitten.

„Nichts aber. Wir wussten dass du keine Deko da hast und einen Baum hattest du in den letzten Jahren auch nicht und da haben wir uns einfach gedacht, dass wir dir dieses Jahr mal einen mitbringen. Wo wir doch Zuwachs bekommen haben.“ Er lachte leise auf, als er sich das Gesicht von Ares vorstellte, der wohl genauso dreinsehen würde wie Nero selbst. „Ares wird Augen machen.“, kicherte er vergnügt. „Erke, komm, wir schmücken jetzt den Baum und DU“, er deutete auf Nero „hilfst uns. Sonst kommst du nicht in Weihnachtsstimmung.“

Völlig überrumpelt stand Nero in seinem eigenen Wohnzimmer und betrachtete den Weihnachtsbaum, der eine beachtliche Größe von etwa zwei Metern hatte und somit nur ein kleines Stück größer war als er und Ares.

„Ihr seid so wahnsinnig.“, murmelte er kleinlaut, als er auch schon die erste dunkelrote Christbaumkugel in die Hand gedrückt bekam.

Erke lachte leise auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Du solltest uns ja langsam kennen.“ Der Blauhaarige entwirrte gerade die Lichterkette und befestigte sie ein wenig unbeholfen an den umherschwingenden Ästen. „Michaa, jetzt hilf mir doch mal.“

„Ja, ja. Keine Hektik.“ Wie gesagt, so getan.

Etwa eine Stunde später strahlte das gesamte Wohnzimmer in Rot, Weiß und Gold.

„Ungewohnt.“, meinte Nero, als er mit ein paar Weingläsern aus der Küche kam und sich auf das Sofa sinken ließ. „Aber gefällt mir.“ Er lächelte reihum und schenkte ihnen ein wenig Wein und Met ein. „Wann wollt ihr denn essen?“

Tenna nippte an ihrem Glas. „Ich würd sagen, wenn Ares da ist, oder?“, fragte sie in die Runde und erhielt zustimmendes Nicken von allen Seiten. „Weist du wann er da ist, Nero?

Allein bei dem Gedanken, dass Ares in ein paar Stunden hier auftauchen würde, wurde ihm vor Aufregung schon ganz flau im Magen. Er hatte keine Ahnung, ob sie den dreien sagen sollten, dass sie zusammen waren. Ob sie denn überhaupt zusammen waren, war ja nicht einmal geklärt. Sie hatten geknutscht, ja, aber war das schon der Punkt, wo man sagen konnte, man war ein Pärchen? Nero wusste es wirklich nicht.

„Nero?“ Tenna sah ihn etwas in Sorge an und tippte ihm auf die Schulter um ihn aus seinen Gedanken zurück zu holen.

„Wie? Oh ja, er meinte letztens, dass er schaut, dass er früher aus der Arbeit kommen kann. Ansonsten schätze ich mal so gegen halb elf.“ Nein, er wollte sich jetzt keine Gedanken machen. Er wollte einfach nur diesen Abend genießen, doch er konnte sich nicht so recht auf die laufenden Gespräche konzentrieren. Verstummte langsam aber sicher und hatte das Gefühl zu platzen. Er musste sich beruhigen, bevor die Stimmung bei ihm endgültig zu kippen drohte.

„Ich bin eine Rauchen.“, murmelte er und verschwand in der Küche in der es bei weitem kühler war, als im Wohnzimmer. Seine Arme überzog eine unangenehme Gänsehaut, als er an der Arbeitsfläche lehnte und den Zigarettenrauch langsam durch seine zusammengepressten Lippen wieder ausstieß. Nero bemerkte eine Bewegung in seinem Augenwinkel und merkte, wie sich Tenna an seine Schulter lehnte und sich ebenfalls eine Zigarette anzündete.

„Alles okay bei dir? Du wirkst so betrübt.“, meinte sie vorsichtig. Sie kannte ihn mittlerweile seit fast vier Jahren. Sie war die Einzige, der er sich anvertraut hatte. Tenna wusste alles von ihm und sie hatte über die Jahre hinweg ein Gespür dafür entwickelt, wenn es ihrem besten Freund nicht gut ging.

„Hmm… ´s kam grad irgendwie.“, nuschelte der junge Mann und starrte aus dem Fenster ins Dunkle. „Eigentlich hab ich keinen Grund dazu. Ihr seid da, es ist ein schöner Abend, was will man mehr?“

Tenna lächelte. „Ares.“, war alles was sie sagte und sie merkte, dass Nero vor Schreck die Luft stark eingesogen hatte. Das war ihr Beweis genug, dass sie Recht hatte. Es war mehr eine Ahnung gewesen als wirkliches Wissen. Eine Vermutung, die sich bestätigt hatte.

„Woher…“, weiter kam Nero wieder einmal nicht. Er brauchte nicht viel zu sagen, damit Tenna ihn verstand und das war es, was er an dieser Frau so liebte. Wenn man es so nennen wollte, waren sie wohl Seelenverwandte.

Kichernd rempelte Tenna ihren Kumpel an. „Nero, du kennst mich. Ich kenn dich und wir verstehen uns ohne Worte. Was soll ich mehr sagen. Es war eine Ahnung.“ Sie stellte sich vor ihren Kumpel und musste den Kopf in den Nacken legen um ihm ins Gesicht zu sehen. Mit ihren 1, 65 m war sie eben nicht die Größte.

„Ahnung… Die hatte Micha vor Wochen auch schon.“ Nero fuhr sich übers Gesicht und drückte die Blondhaarige dann für einen Moment an sich und küsste sie auf die Stirn.

„Mach dir keinen Kopf. Das wird schon.“ Obwohl sie von Neros Vergangenheit wusste, war sie sich sicher, dass er das Richtige tat. Er würde sich nie im Leben auf jemanden einlassen, schon gar nicht auf einen Mann, wenn er sich nicht hundertprozentig sicher sein konnte, dass er diesem Menschen vertrauen konnte. „Wenn du ihm vertraust, dann mach dir keine Gedanken.“, sagte sie, bevor sie sich von ihm löste und aus der Küche gehen wollte. „Und Nero, denk nicht an die Vergangenheit. Leb dein Leben jetzt und wenn Ares einen großen Teil dessen einnimmt und er dir gut tut, dann lass es zu.“ Sie lächelte aufmunternd und gesellte sich wieder zu Micha und Erke, die sich schon gewundert hatten wo sie abgeblieben war.

Just in diesem Moment klingelte es schon wieder an der Haustüre.

Ein Blick auf die Uhr am Radio verriet ihm, dass es tatsächlich schon halb zehn war. Ares hatte es dann anscheinend tatsächlich früher aus der Arbeit geschafft.

 

Vermummt und mit Schneeresten bedeckt, stapfte Ares die Treppe nach oben. Der Aufzug hatte ihm wohl zu lange gebraucht.

„Es ist… a-arschkalt.“, bibberte der junge Mann und betrat zitternd die mollig warme Wohnung.

Nero schmunzelte bei Ares‘ Anblick. Den Schal hatte er bis über die Nase gezogen, die Hände tief in die Taschen seines Wollmantels gesteckt und ein paar Haarsrähnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst und hingen ihm feucht ins Gesicht.

„Dann ab ins warme Wohnzimmer.“, grinste Nero und stand ein wenig unbeholfen an der Wohnungstüre. Er war tierisch nervös, obwohl Ares nicht einmal etwas getan hatte außer in die Wohnung zu kommen. Nero war unsicher, was er jetzt tun sollte. Einfach so umknutschen konnte er ihn nicht. Nicht ohne zu wissen, was zwischen ihnen Sache war.

Die eiskalten Finger aneinander reibend, fing Ares an zu grinsen. „Glaub mir, irgendwann kommt ein kleines Heinzelmännchen und stibitzt dir den Kamin aus dem Wohnzimmer und stellt ihn bei mir zu Hause auf.“ Er zwinkerte keck, drückte Nero leicht an sich und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange.

Ein Kichern entkam ihm bei dem Gedanken, wie Ares in grün-roten Klamotten und einer Zipfelmütze in seinem Wohnzimmer werkelte um den Ofen aus der Wohnung zu holen. Dieses Bild würde ihm für die nächste Zeit wohl nicht mehr aus dem Kopf gehen, allerdings glitt sein Gedanke keinen Augenblick später in eine komplett andere Richtung, die alles andere als lustig war. Ein Kuss auf die Wange? War das Ares‘ Ernst? Zwei Tage vorher hatte er ihn teilweise fast verschlungen und nun tat er so, als wäre nichts gewesen?

‚Okay, Nero. Zu viel gedacht und zu viel erhofft. Lass es auf sich beruhen, wahrscheinlich war an dem Ganzen eh nichts dran.‘, dachte sich der junge Mann und folgte Ares ins Wohnzimmer, wo sich dieser vor den Ofen auf den Boden gesetzt hatte um sich aufzuwärmen.

„Hm… irgendwie….“, Ares drehte den Kopf und besah sich den am Fenster stehenden Christbaum.

„Er war’s“ Nero deutete auf Micha und lachte auf. „Ich hab’s nicht verbrochen.“

„Hey!“, beschwerte sich Tenna lachend. „Ich hab die Kugeln geschleppt.“

„Stimmt und den Baumständer.“ Alle lachten und ein entspannter Gesichtsausdruck machte sich auf Ares‘ Gesicht breit.

„Sieht schön aus.“, meinte er ein wenig leiser als sonst. „Ich glaub, das letzte Mal hatte ich einen Baum vor zehn Jahren.“

Micha streckte Nero grinsend die Zunge raus. „Siehste! War also doch eine gute Idee von uns.“

„Ich sag ja schon gar nichts mehr.“ Nero schmunzelte. Es war wirklich ein schöner Baum. Er verströmte einen zarten Duft eines Nadelwaldes und beleuchtete das abgedunkelte Zimmer in sanften Rot- und Goldtönen. All das hatte etwas Beruhigendes an sich. Die Wärme des Kamins steuerte ihren Teil zur allgemeinen Behaglichkeit bei. „So, wer sitzt noch auf dem Trockenen?“ Alle fünf hoben wie auf Kommando die Hand. Nero nickte wissend und blickte die beiden leeren Weinflaschen auf dem Tisch an. Der Plätzchenteller von Tenna war auch ratzeputz verschlungen worden. „Wehe ihr habt dann keinen Hunger mehr auf Chili.“, drohte er grinsend in die Runde, während er die nächste Weinflasche entkorkte.

„Keine Sorge“, meinte Ares während er sich erhob. „Mein Magen hängt mir in den Knien.“ Er lächelte leise uns nahm einen kleinen Schluck Rotwein und nickte bestätigend. „Guter Tropfen.“

Nero konnte darauf nichts weiter als ein halblautes ‚danke‘ nuscheln, ehe er wortlos in die Küche verschwand und das Baguette in Scheiben zu schneiden begann.

In sich hineingrummelnd stand er an der Arbeitsfläche, ein scharfes Brotmesser in den Händen und war drauf und dran das Weißbrot in Stücke zu häckseln.

‚Arschloch‘, dachte Nero bei sich und seufzte deprimiert auf. ‚War ja auch zu schön um wahr zu sein`. Er schüttelte leicht den Kopf. Eigentlich wollte er jetzt nicht daran denken, dass das kurze zwischen Ares und ihm, was auch immer es gewesen war, anscheinend nicht mehr vorhanden war. Zumindest war kein Anzeichen irgendeiner Zuneigung zu erkennen. Allerdings war es Nero lieber dass er es jetzt wusste, ehe er sich noch ein paar Wochen länger den Kopf zerbrochen hätte, ob es denn nun etwas Ernstes zwischen ihnen gab, oder nicht. Immerhin musste er sich nun auch keine Gedanken mehr darüber machen, ob Ares mit ihm ins Bett wollte oder nicht. Überhaupt war das Single sein viel besser. Unkomplizierter, stressfrei. Er konnte tun und lassen was er wollte, war nicht gebunden und wenn er Lust auf eine Bettgeschichte hatte, konnte er sich ein beliebiges Mädl aus dem Kessel mit nach Hause nehmen. ... So zumindest stellte sich Nero die ganze Sache vor. Die Vorstellung allein jedoch, machte das drückende Ziehen in seiner Brust nicht erträglicher.

„Scheiße…“, fluchte der Schwarzhaarige. Es knallte laut als er das gezackte Messer auf das Schneidebrett sausen ließ. Eine Millisekunde später spürte er eine raue Hand auf der seinigen.

„Vorsicht. So ein Finger ist schnell ab.“, murmelte Ares hinter ihm, die Hand immer noch auf Neros, welcher die Hand nur noch fester um den Messergriff schloss und tief durchatmete. ‚Beruhige dich… Nicht an Weihnachten. Lass dir den Tag nicht von ihm verderben‘, dachte sich der junge Mann und lockerte seinen Griff, bis er das Messer endgültig los ließ und sich auf der Arbeitsfläche aufstützte.

„Ist alles okay?“ Ares stand direkt hinter ihm. Nero spürte die von ihm ausgehende Wärme.

‚Lass dich nicht einlullen. Er wird dich genauso verarschen‘. „Ja, alles okay.“, meinte er monoton, wollte sich aus der Umarmung lösen, aber Ares wich nicht aus, machte ihm keinen Platz und stand nun nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt.

Ares hob langsam eine Hand an Neros Wange, welcher sein Gesicht in die entgegengesetzte Richtung drehte und abblockte.

‚Nein…‘, dachte er bei sich. ‚Ich lass mich nicht veräppeln‘.

Ares hingegen glaubte Nero nicht recht, dass alles in Ordnung war. Er benahm sich eigenartig. Abweisend, auf eine gewisse Art sogar fast unfreundlich.

„Irgendwie… kauf ich dir das nicht ab.“, meinte Ares offen und senkte seine Hand. Ließ seine Hände jedoch zu beiden Seiten Neros auf der Arbeitsfläche abgestützt. Nero konnte also noch immer nicht ausweichen und wie es den Anschein hatte, würde Ares ihn auch nicht gehen lassen, ehe sie nicht miteinander gesprochen hatten.

In Nero brodelte es, allerdings konnte er in dem Moment, in dem er sprach, seiner Wut keinen Ausdruck verleihen. Ein ganz anderes Gefühl ließ seine Worte an die Oberfläche dringen.

Traurigkeit.

„Ich lass mich nicht verarschen.“ Nero sah Ares nicht an. Er blickte immer noch zur Seite und wünsche sich, wie vor ein paar Tagen schon einmal, fort aus diesem Raum.

„Ich… was?“ Ares war verdutzt. Er konnte sich nicht vorstellen, wen Nero damit meinte, aber irgendetwas stimmte nicht an der Art wie er es sagte.

Nero schluckte. ‚Bleib ruhig‘, ermahnte er sich.

„Ich lass mich von dir… nicht verarschen.“, murmelte er stockend. Er fühlte sich erbärmlich. Wie ein kleines Kind stand er da, konnte Ares nicht ansehen und benahm sich wie… wie eine sitzengelassene Frau.

Ares zog langsam eine Augenbraue nach oben. Blickte sein Gegenüber verdattert an und wusste im ersten Moment nicht, was das alles sollte.

„Warum verarschen?“, fragte er dann allerdings leise nach. Er wollte nicht, dass die anderen ihr Gespräch mitbekamen. „Ich wüsste nicht, dass ich das tue…“

Nun war es Nero der seine Augenbrauen nach oben zog und Ares ungläubig anblickte. „Ernsthaft?“ Nero hätte fast gelacht und blickte in ein noch verdutzteres Gesicht.

Ares zuckte nur mit den Schultern. „Ich versteh dich gerade echt nicht.

„Du kommst an und…“ Nero hob kopfschüttelnd die Hände und versuchte sich irgendwie zu erklären, aber es kam nicht sehr viel dabei heraus. „Ein Bussi auf die Wange? Ist das dein Ernst?“ Mehr konnte Nero nicht mehr sagen. Er war fassungslos.

Ares entgleisten die Gesichtszüge.

Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. Er wollte einfach nur aus der Küche, sich ins Wohnzimmer setzen, den Abend genießen und Ares am liebsten aus der Wohnung komplimentieren, bevor ihm die Hutschnur riss.

„Verliebt… ist klar.“ Nero fuhr sich durch die Haare. „Ich bin es echt leid immer als Depp dazustehen.“ Nero versuchte an Ares vorbei zu kommen, doch dieser sah ihn an und berührte ihn leicht am Arm. Bedeutete ihm somit zu bleiben.

„Nero, jetzt warte mal.“, meinte er nachdrücklich. Er war nicht laut geworden. Ganz im Gegenteil. „Ist es dir lieber ich reiß dich an mich und knutsch dich erst mal um, bevor ich auch nur ‚Hallo‘ sagen kann?“, fragte Ares ruhig und sah Nero in die Augen. Zumindest versuchte er es, denn Nero blickte auf den Boden und ließ keinen Augenkontakt zu. „Das kann ich mir irgendwie nicht ganz vorstellen.“, sagte er leise und ließ Neros Arm los.

Nero ging in diesem Moment nicht aus der Küche. Er blieb wo er war. Nein, er wollte nicht umgerissen und abgeknutscht werden. Zumindest jetzt noch nicht.

„Nein.“, nuschelte Nero. „Aber so ein… wie soll ich sagen,“ er suchte nach Worten. „So ein Freundschaftsbussi muss ich jetzt auch nicht gerade haben.“ Er schwieg einen Moment. „Ich mag keine halben Sachen.“

Ares schmunzelte daraufhin. Ihre Blickte trafen sich und Nero musste ebenfalls leicht grinsen.

„Ich auch nicht.“, meinte Ares dann und nahm wieder seine Hand. „Und ich kann mich ja auch nicht nur in die eine Hälfte von dir verlieben.“ Er grinste. „Ganz oder gar nicht und in deinem Fall nehme ich lieber alles, bevor ich gar nichts habe.“

Dem Schwarzhaarigen blieben die Worte im Halse stecken. Er wusste nicht was er darauf sagen sollte, geschweige denn, ob er Ares‘ Worten Glauben schenken konnte. Es wäre zu schön, wenn das alles wahr wäre, nur er sah auch keinen Grund, warum er Ares nicht glauben sollte. Er hatte ihm bisher, eigentlich, keinen Anlass gegeben, dass sein Vertrauen in ihn erschüttert hätte.

„Ich wusste nur nicht, wie du reagierst, wenn ich dich einfach abknutsche.“ Ares wurde ein wenig rot um die Nase und es war ungewohnt, Ares so verlegen zu sehen.

Nero zuckte daraufhin die Schultern, nahm seine Hand aus Ares seiner und legte ihm die Arme um den Nacken. „Wahrscheinlich so.“, flüsterte Nero und legte seine Lippen auf die seines Gegenübers.

Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinab, als er Ares‘ Hände an seiner Hüfte spürte, die ihn ein kleines Stück näher zogen, sein Herz schneller schlagen und seine Gedanken langsam wegdriften ließen.

Sie waren so in ihrer eigenen, kleinen Welt gefangen, dass sie nicht gemerkt hatten, wie Tenna, Micha und Erke aus dem Wohnzimmer gekommen waren und nun neben dem Türrahmen standen und in die Küche lugten.

Mehr als eine beringte Hand Neros und Ares‘ zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren, konnten sie zwar nicht erkennen, aber das reichte um Nero einen deutlichen Rotschimmer auf die Wangen zu zaubern.

„So Jungs.“ Tenna klopfte an den hölzernen Türrahmen und versuchte irgendwie ernst zu klingen, doch es gelang ihr nicht so recht. „Genug geturtelt, wir haben Hunger.“, meinte sie und ließ sich lautstark auf einen der Stühle sinken.

 

Die beiden ließen langsam voneinander ab. Ares grinste und auch Nero konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, auch wenn er sich mehr ertappt fühlte, als man es ihm wohl ansah.

Immer noch in Ares‘ Umarmung stehend und die Arme weiterhin um dessen Nacken liegend, blickte er in ihre Richtung und nickte. „Schon gut, schon gut. Ich will euch mal nicht verhungern lassen.“

Die Umarmung lösend holte Nero die Suppenkelle aus der Besteckschublade, während Ares vor sich hin lächelnd den Tisch deckte.

Tenna zwinkerte ihm nur zu, während sie alle um den Tisch Platz nahmen und sich mit Heißhunger über Neros Chili her machten.

Erke wedelte sich mit der Hand Luft zu. „Oh Gott… Kind du bringst uns noch alle ins Grab.“, keuchte er. Das Chili war wohl doch etwas schärfer geworden, als Nero beabsichtigt hatte.

Nero grinste. „Es soll ja auch nach Chili schmecken und nicht nach Tomatensuppe, oder?“ Erke allerdings traten die Tränen aus den Augen und er konnte im Augenblick nichts sagen. Mit einem entschuldigenden Blick an seinen Kumpel holte Nero eine Packung Milch aus dem Kühlschrank und schenkte Erke ein Glas ein.

„Ich glaub eher, dass ich das nicht mehr gewohnt bin.“ Der Älteste lächelte matt und tupfte sich mit einem Taschentusch die Tränen von den Wangen.

„Muss wohl so sein.“ Ares schmunzelt. „Ist eher recht mild.“

Tenna kicherte vor sich hin. „Der Koch hat gesprochen, also muss es ja so sein.“ Sie zwinkerte Ares zu und machte sich über ihren Teller her. „Schmeckt ausgezeichnet.“

 

Eine gute halbe Stunde später saßen die fünf plaudernd in Neros Wohnzimmer. Die nächste Weinflasche wurde entkorkt, die Flasche Met für Micha war ebenfalls fast leer und Tennas mitgebrachte, selbstgebackene Plätzchen waren auch schon verputzt worden, sodass Nero seine geheimsten Vorräte hervorholen musste und er wusste, warum er sie nicht herausgeholt hatte, allerdings fragte er sich, wieso er sie nicht gleich weggeworfen hatte.

„Nero…“ Micha hustete, da er sich an einem Brösel verschluckt hatte. „Mit den Dingern könntest du jemanden erschlagen.“, lachte er.

„Ich weis…“ Nero seufzte auf und klopfte mit einem Plätzchen in der Hand auf den Tellerrand. „Oh je. Derjenige ist danach reif für‘n Sarg.“ Ein Kichern drang aus seiner Kehle und er schüttelte den Kopf.

„Dann wissen wir ja schon, woran wir bis nächstes Jahr zu üben haben.“ Ares schmunzelte. „Ich bring dir Backen bei.“

„Und kochen, hast du gesagt.“ Nero blickte in die Runde und erntete verwirrte Blicke. „Was denn? Ich kann ja wohl kaum mein Leben lang von Nudeln, Pizza und Reis leben, oder? Ziemlich ungesund, wenn man das mal so bedenkt.“ Meinte der junge Mann unbekümmert an seinem Glühwein nippend.

Tenna nickte langsam. „Wo ist Nero?“, fragte sie argwöhnisch. „Wo hast du ihn versteckt? Im Schrank? Unterm Bett oder der Couch?“ Sie grinste. Was Ares in so kurzer Zeit mit ihrem Kumpel gemacht hatte, war der hellste Wahnsinn. Sie erkannte ihn kaum wieder. Nero hatte nie etwas dagegen gehabt, Pizza, Nudeln und Reis zu essen. Ob es nun ungesund war oder nicht, war ihm auch relativ egal gewesen, wenn man bedachte, dass er mindestens zwei Liter Kaffee am Tag trank und gut eine Schachtel rauchte, machte die Pizza es auch nicht noch schlimmer.

„Neee, der hängt irgendwo draußen an einem Fahnenmast. Irgendwie ist er mir auf die Nerven gegangen, weist du?“ Nero sah Tenna ernst an. „Willst du ihn suchen? Ich weis nicht, ob ihn der Wind schon weggeweht, oder der Schnee ihm den Rest gegeben hat.“ Er lachte und erntete einen bösen Blick seiner besten Freundin. Er wusste, dass sie solche Scherze nicht leiden konnte. „Keine Sorge, ich sitz schon noch hier.“

„Wird ja wohl gut sein.“ Sie nickte lächelnd, während sie genüsslich an ihrem Glühwein nippte und sich zum wiederholten Male die Zunge verbrannte.

„Himmel verdammt. Das nächste Mal trink ich den Mist kalt.“, fluchte sie leise auf und fing sich ein paar erstaunte Blicke ein. „Ja ist doch wahr! Irgendwann sind meine Geschmacksknospen total zerstört.“, grummelte sie beleidigt.

„Die wachsen doch wieder nach.“, meinte Ares leichthin, ohne sich Gedanken über die Wirkung seiner Worte zu machen. „Brauchst du Eiswürfel?“

„Nee, bei dem Glück, das ich habe, bekomm‘ ich höchstwahrscheinlich noch Frostbeulen.“ Schallendes Gelächter hallte im Wohnzimmer wieder und auch Tenna konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

 

Nero lief, zum wiederholten Male an diesem Abend, ein kalter Schauer den Rücken hinab und eine leichte Gänsehaut zog sich über seine Arme. Er saß entspannt auf der Couch, Ares neben ihm, welcher ihn leicht am Rücken, in Höhe seines Beckens kraulte. Nicht fest und auch nicht aufdringlich, doch die Berührung an dieser Stelle ließ Nero kurz erzittern. Er empfand es nicht als unangenehm. Im Gegenteil. Es war irgendwie entspannend. Die Wärme und der Wein trugen ihren Teil dazu bei, dass sich der junge Mann einfach rundherum wohl fühlte. Auch die negativen Gedanken, welche er noch ein paar Stunden zuvor gehabt hatte, waren wie weggeblasen.

Er hatte nur nicht die Rechnung mit Micha gemacht, welcher mit einem Ruck den Arm in die Höhe riss und mit dem Zeigefinger auf Ares deutete.

„DU.“, meinte er ernst und kniff die Augen zusammen. „Wenn du den Kleenen nicht glücklich machst, versenk‘ ich dich im See.“, drohte der Rothaarige und sah Ares finster an.

Völlig perplex blickte Ares ihn an, sah dann zu Nero, welcher schief grinsend mit den Schultern zuckte. Er war in diese Sache nicht eingeweiht. Er hatte keine Ahnung, was Micha, Erke und Tenna ausgeheckt hatten.

„Keine Sorge.“, meinte Ares leise, hob abwehrend die Hände und kam sich vor wie im falschen Film. Er wurde zwar schon das ein oder andere Mal bedroht, aber dass ihn jemand versenken wollte, war selbst für ihn neu. Mal ganz abgesehen davon was die drei unter ‚nicht glücklich‘ machen verstanden, war ihm ebenfalls nicht ganz klar. Es konnte alles heißen.

„Gut.“, nickte Micha zufrieden. Er verzog keine Miene. „Ich wollte das nur mal klargestellt haben.“

Ares hingegen sah immer noch ziemlich verdattert drein und sagte lieber vorerst nichts mehr. Er musste das erst einmal verdauen.

 

Es war schon sehr spät, als die drei ihre sieben Sachen zusammengepackt und in ihre eigenen vier Wände verschwunden waren.

Ares saß zusammengesunken in einer Couch-Ecke und hatte die Augen entspannt geschlossen. Er war kurz davor einzuschlafen. Die letzten beiden Tage waren anstrengend gewesen. Als er von Nero nach Hause gegangen war, hatte er noch eingekauft und war erst sehr spät eingeschlafen. Der darauffolgende Tag war anstrengend gewesen. Weihnachtsgesellschaften zu bekochen war immer mit viel Stress und Organisation verbunden. Und selbst an diesem 24. Dezember war sein Arbeitstag höllisch aufreibend gewesen. Er merkte die Anstrengung in jeder Faser seines Körpers und er wollte einfach nur noch schlafen. Ares war Nero äußerst dankbar, als er ihm ein Handtuch brachte und ihn dabei leicht hochschrecken ließ.

„Uhm, `tschuldige.“, nuschelte Ares leise und fuhr sich müde über das Gesicht, erhob sich und gab Nero einen sanften Kuss. „Ich beeile mich.“, meinte er noch und schlurfte ins Badezimmer.

Nero schmunzelte vor sich hin. Ares so platt zu sehen war irgendwie niedlich. Die kleinen, müden Augen, der Schlafzimmerblick. Zum knuddeln.

 

Eine halbe Stunde später lagen die zwei frisch geduscht unter den Decken. Ares war schon fast am Einschlafen ehe er sich auf die Seite drehte und Nero ansah, welcher steif auf dem Rücken lag und sich sichtlich unwohl fühlte.

„Alles okay?“, murmelte Ares schläfrig und streichelte mit einer Hand leicht über Neros Arm.

Sein Kopf drehte sich langsam und er zuckte nur die Schultern. Irgendwie wusste er auch nicht so recht was los war. Sie hatten schon oft genug in einem Bett geschlafen, nur waren sie zu der Zeit noch nicht zusammen gewesen. Das war es wohl. Es war der Moment in dem Nero tatsächlich befürchtete, dass Ares ihn angrabbeln würde.

„Ich… wir…“ Nero stammelte unverständlich vor sich hin. Nein, er konnte es nicht aussprechen. Er wollte Ares nicht schon wieder mit der gleichen Leier kommen, dass er keinen Sex wollte und auch wenn Ares nicht einmal im Ansatz Anzeichen machte, dass er mit ihm schlafen wollte, hatte Nero dieses ungute Gefühl in sich und just in diesem Augenblick rutschte Ares ein kleines Stück näher zu ihm heran. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast.

„Nero, erstens hab ich zu viel getrunken und zweitens bin ich viel zu müde um überhaupt noch einen hoch zu bekommen.“, meinte er ruhig und blickte Nero in die Augen, welcher ihn einfach nur anstarrte und kein Wort heraus bekam. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht.“ Nun zwinkerte er. „Entspann dich, ich hab dir doch gesagt, dass ich nichts tue, was du nicht willst.“

So direkt hatte Nero das auch noch nicht zu hören bekommen. Er hatte das Gefühl, dass er sich tatsächlich einfach zu viele Gedanken machte.

„Sorry.“, murmelte der junge Mann leise und lächelte schwach.

Ares erwiderte sein Lächeln und küsste Nero flüchtig, ehe er die Augen schloss. „Schlaf gut, Sweety.“, kam es genuschelt von ihm und keinen Augenblick später war der Ältere eingeschlafen.

Auch Nero fielen von dem vielen Wein nach einer kurzen Weile die Augen zu und er verfiel in einen unruhigen Schlaf.

 

Albträume plagten ihn die gesamte Nacht. Er wälzte sich hin und her, merkte nicht einmal, dass er laut aufschrie und plötzlich hellwach und in kalten Schweiß gebadet im Bett saß. Sein Atem ging stoßweise und ihn überkam eine plötzliche Übelkeit, die ihn aus dem Schlafzimmer springen und ins Bad rennen ließ, ehe er sich übergab.

Nero zitterte am ganzen Körper. Er versuchte sich auf zu richten, doch seine Knie waren weich wie Pudding. Er hielt sich an der hohen Heizung fest und sank wieder zurück auf den harten Fliesenboden.

Heiße Tränen rannen ihm die Wangen hinunter. Nero zog die Beine an den Oberkörper, schlang seine Arme darum und lehnte seinen Kopf an die Wand hinter sich. Er fühlte sich so… schäbig. So klein. Wehrlos. Beschmutzt. Benutzt. … Wertlos. Und das aufsteigende Bedürfnis diese Gefühle wieder loszuwerden wurde von Sekunde zu Sekunde stärker.

‚Nicht… Du hast es ihr versprochen.‘, dachte er sich nur und krallte seine Fingernägel in seine Unterarme. Er durfte dem Drang, sich dem süßen Schmerz der Rasierklinge hinzugeben, nicht nachgeben.

„Scheiße!“, heulte er auf und sank nur noch weiter in sich zusammen.

Nero hatte nicht bemerkt dass Ares bestürzt in der Badezimmertüre aufgetaucht war. Die Haare standen ihm zu Berge und als er Nero so in sich zusammengesunken auf dem Boden sitzen sah, gefror ihm fast das Herz in der Brust. Wie er da saß. Wie ein Häufchen Elend und als sein Blick auf Neros Hände fiel, wie sie sich in seine Arme krallten fühlte er sich plötzlich einfach nur hilflos.

„Nero.“, meinte er leise und machte einen Schritt auf ihn zu, doch der Angesprochene schien ihn gar nicht wahr zu nehmen. Die Tränen wurden mehr, das Schluchzen immer lauter.

Ares ging vor Nero in die Knie, versuchte seinen Blick zu erhaschen, doch Neros Augen schienen leer zu sein und durch ihn hindurch zu sehen. Der junge Mann griff langsam nach Neros verkrallten Händen, an denen die Knöchel schon weiß durchschienen.

„Nicht, Nero.“, sagte er sanft und löste die Finger aus Neros Oberarm. Nahm seine Hände in die seinigen und nun blickte Nero auf. Die Augen gerötet und verquollen, die Lippen bebend und die Haare hingen ihm schlaff ins Gesicht. Die Qual stand ihm ins Gesicht geschrieben und Ares wusste sich keinen Reim darauf zu machen.

Nero war schon einmal vor ihm zusammengebrochen, doch so etwas wie jetzt, hatte er noch nicht erlebt.

„Er soll aufhören…“, flüsterte Nero gequält. Der nächste Tränenschwall überströmte seine feuchten Wangen.

Ares fragte Nero, wer womit aufhören sollte, doch er blieb ihm die Antwort schuldig. Stattdessen zog er seine nackten Beine noch weiter an sich heran. Versuchte sich noch kleiner zu machen und konnte sich nicht beruhigen.

„Komm…“, sagte der Ältere und versuchte seinen Freund auf die Beine zu ziehen, welcher sich schwer tat gerade stehen zu bleiben. Sich mit der einen Hand an der Heizung fest hielt und von der anderen Seite von Ares gestützt wurde, welcher ihn langsam ins Wohnzimmer auf das Sofa bugsierte. Die Plüschdecke lag auf einer Lehne und er legte sie über Nero und sich selbst. Nahm seinen Freund in die Arme, welcher sich dankend an ihn lehnte und eine Hand in Ares‘ T-Shirt verkrallte. Er hockte da wie ein kleines Kind. Die Beine weit an den Körper gezogen, das Kinn auf die Brust gesenkt.

Ares hatte seine Arme fest um Nero geschlungen. Hielt ihn einfach und hoffte, dass die Tränen, die sein T-Shirt durchnässten bald aufhörten zu fließen. Er traute sich nicht, noch einmal zu fragen was passiert war, aber so wie es den Anschein hatte, war es ein Albtraum gewesen, der Nero so aus der Bahn geworfen hatten. Aber selbst ein ‚normaler‘ Albtraum, brachte einen nicht so auf. Zumindest Ares hatte bis dahin noch keinen solchen gehabt. Allerdings konnte es auch gut sein, dass er diese Tatsache verdrängt hatte.

Es dauerte keine halbe Stunde, dann war Nero wieder in einen unruhigen Schlaf gedriftet. Er zitterte, verkrallte sich noch weiter in Ares‘ Hemd und murmelte unverständlich vor sich hin. Doch selbst dieses unruhige Gemurmel war nach einer weiteren halben Stunde verstummt und Nero lag ruhig und entspannt in Ares‘ Armen. Auch dem Älteren fielen, nachdem er bemerkt hatte, dass Nero sich entspannt hatte, die Augen zu. Er träumte nicht, aber er hatte auch nicht das Gefühl, dass er fest geschlafen hatte, denn beim Aufwachen fühlte er sich als wäre er von Pferdehufen am Kopf getroffen worden. Ein Dumpfer Kopfschmerz breitete sich langsam aber stetig aus. Doch dieser Schmerz war nicht gleichzusetzen mit dem, wenn er zu viel getrunken hatte.

Nero lag nicht mehr in seinen Armen als Ares die Augen aufschlug, doch er roch Kaffee und Zigarettenrauch. Nero konnte also nur in der Küche sein, mutmaßte er und erhob sich noch ein wenig schlaftrunken und tapste schwerfällig in die Küche.

 

Nero stand abwesend an der Arbeitsfläche. In der einen Hand hielt er eine heiße Tasse Kaffee in der anderen seine Zigarette. Dass die Tasse seine Hände verbrühte, merkte er nicht einmal.

Er starrte aus dem Fenster in der Hoffnung seine Antworten würden dort draußen liegen, doch das Einzige was dort draußen war, war eine kalte, weiße Wüste aus Schnee und Eis. Das Schneetreiben ließ die Welt vor dem Fenster so unwirklich wirken wie in einem endlosen Traum. Ohne Oben. Ohne Unten. Und genauso fühlte er sich gerade. Als würde er in einem luftleeren Raum schweben.

Ares blieb für einen Moment im Türrahmen stehen. Wenn er an die zurückliegende Nacht dachte und Nero so apathisch starrend dort stehen sah, tat ihm das Herz weh. Er wusste zwar nicht, was geschehen war, doch dieser hilfesuchende Blick, die tränenüberströmten Wangen, die Finger die sich in seinen Unterarm krallten. Dieses Bild würde nicht so schnell aus seinem Kopf verschwinden. Wohl nicht ehe er den Grund all dessen erfahren würde.

„Guten Morgen.“, sagte Ares leise. Sah wie Nero flüchtig zusammenzuckte und sich dann lächelnd zu ihm umdrehte.

„Morgen.“, meinte Nero mit einem Lächeln, das nicht ihm gehörte. Er zwang sich dazu, denn er wollte Ares nicht belasten. Wollte Ares keinen Grund zur Sorge geben. Er wollte keine Fragen hören, die er ihm nicht beantworten wollte obwohl er es gekonnt hätte. Nein, es war zu früh. Viel zu früh um alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Er wusste zwar, dass er es nicht ewig für sich behalten konnte doch bevor Nero ihm irgendeine Geschichte erzählte die nicht wahr wäre, hielt er lieber seinen Mund.

Mit einer langsamen Bewegung holte Nero eine zweite Tasse aus dem Küchenschrank und füllte den frisch aufgebrühten Kaffee hinein. Er blickte zur Türe, in welcher Ares immer noch regungslos, nur in Unterwäsche dastand, doch, anders als noch vor zwei Tagen, als Ares aus der Dusche gekommen war, schlug sein Herz keinen leisen Takt schneller. Nero hatte das Gefühl, nichts zu fühlen. Diese stille Gleichgültigkeit, die sich in ihm ausbreitete. Eine Kälte, die er so lange in sich gefühlt hatte, dass sie ihm ein ständiger Begleiter geworden war. Seit ein paar Wochen, war das anders geworden. Die Kälte hatte sich verflüchtigt. Langsam nur, aber sie war ein wenig weniger kalt geworden, doch nun nahm sie wieder an Intensität zu und er wusste auch warum.

Ares war eindeutig nicht der Grund. Grund war das, was er geträumt hatte. Was ihm all die Jahre zuvor wiederfahren war. Ares hingegen war der Grund, warum diese innerliche Kälte langsam abgenommen hatte.

 

Die Tasse in Händen haltend, trat er auf Ares zu, reichte ihm das Heißgetränk ehe er den Blick senkte. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen. Das, was in der Nacht geschehen war, hätte Ares nicht mitbekommen dürfen.

„Ich kann nicht hier drin bleiben.“, murmelte Nero leise, immer noch den Blick gesenkt haltend. Er musste raus hier. Frische Luft schnappen und auf andere Gedanken kommen. Nero wusste nicht, wie er sonst den Tag überstehen würde und an einem Weihnachtsfeiertag wollte er nicht depressiv in seinem Wohnzimmer sitzen. Schon gar nicht wenn Ares bei ihm war. Das wäre kein sonderlich guter Start in eine so frische Beziehung.

Ares hob sachte Neros Kinn an und sah ihm in die Augen, welche mit roten Adern durchzogen waren. Sie blickten traurig, waren über die Nacht hinweg matt geworden. Dieser unverwechselbare Glanz und dieser wunderbare smaragdene Schimmer waren verschwunden.

Mit seinem Daumen streichelte er sanft über Neros weiche Lippen und nickte. „Okay, ich zieh mir nur was an.“ Meinte Ares leise, ehe er mit seiner Kaffeetasse in Neros Schlafzimmer verschwand und angezogen wieder heraus kam.

 

Eine gute halbe Stunde später gingen sie schweigend nebeneinander her, während der Schnee immer noch leise um sie herum zu Boden rieselte. Ihre Haare immer nasser und ihre Nasen immer kälter werden ließ.

Sie spazierten am Ufer eines nahegelegenen Sees entlang. Nero war hier oft unterwegs, wenn er seine Gedanken ordnen musste, oder einfach nur an die frische Luft wollte. Auch Picknicks hatten Micha, Erke, Tenna und er schon öfter veranstaltet. Einfach entspannt beieinander sitzen, reden, ein oder zwei Bier trinken.

Nur dieser Augenblick war anders. So völlig anders. Wenn er hier war um sich wieder zu beruhigen, war er grundsätzlich allein hier. Doch nun war Ares bei ihm.

Sie standen nebeneinander am Seeufer, blickten auf das gewellte, spröde Eis vor sich. Die Äste der Bäume, die rund um den See wuchsen, hingen schwer vom Schnee nach unten. Vereinzelt erkannte man Spuren von Schlittschuhen auf der gewellten Oberfläche.

Nero zog sich den Schal fester um den Hals. „Es tut mir leid.“ Sein Murmeln wurde von einer Windböe fast davon getragen.

„Braucht es nicht.“, meinte Ares schwach lächelnd und griff langsam nach Neros Hand und hielt sie nur ganz leicht fest. Drehte sich in seine Richtung und blickte seinen Freund an. „Passiert das öfter?“, fragte er dann vorsichtig. Er wollte nicht zu weit gehen und ihn löchern. Das hatte er sich gestern gesagt. Er würde ihn nicht ins Kreuzverhör nehmen. Wenn Nero ihm etwas erzählen wollte, würde er das tun, hoffte er zumindest.

Nero schüttelte den Kopf. „Früher ja, mittlerweile ist es besser geworden.“ Seine Stimme war leise und er wollte nicht mehr weiter darüber reden. Er wollte auch nicht mehr darüber nachdenken. Noch vor zwei Jahren hatte er fast jede Nacht so zugebracht und es war ihm bis heute ein Rätsel, wie er seine Ausbildung letztes Jahr geschafft hatte. Er war jede Nacht schweißnass aufgewacht, hatte sich übergeben müssen und hatte den Rest der Nacht kaum Schlaf gefunden. Es war ein Wunder, dass er gestern überhaupt wieder ein Auge zu bekommen hatte. So schlimm war es, trotz allem, seit Jahren nicht mehr gewesen.

Ein besorgter blick traf Nero und er fühlte sich schlecht. Er hatte Ares keine Sorgen machen wollen, doch wie es aussah, tat er es doch und allein dieser Gedanke weckte in ihm schon wieder Schuldgefühle.

„Ares…“, fing Nero an, schüttelte den Kopf und sah ihn gequält an. „Ich will nicht… ich kann nicht…“ stammelte er und fand keine Worte um das auszudrücken, was er sagen wollte.

Ares legte ihm sachte einen Finger an die Lippen und lächelte matt. „Ich weis.“, meinte er nur. „Du musst mir nichts erklären.“, sagte Ares und trat einen kleinen Schritt auf ihn zu. „Vertrauen muss sich aufbauen, das ist nicht von vornherein da.“

Wieder traf Nero dieses verständnisvolle Lächeln und nach Ares‘ letztem Satz hätte er am liebsten zu weinen angefangen. Nero hatte das Gefühl als könnte Ares seine Gedanken lesen. Es war nicht so, als würde Nero ihm nicht vertrauen. Würde er es nicht tun, würde er nicht hier mit ihm stehen, würde er Ares nicht in seinem Bett schlafen lassen und hätte ihn nicht geküsst. Und er wäre gestern… Nero traf es fast wie ein Blitzschlag. Dieser letzte Gedanken verwirrte ihn auf der einen Seite und auf der anderen machte es ihn einfach nur glücklich. Er wäre gestern nicht wieder eingeschlafen, hätte Ares ihm nicht das Gefühl von Geborgenheit gegeben. Hätte er ihn nicht so festgehalten, er wäre zu nichts mehr im Stande gewesen. Nicht einmal dazu, aus dem Badezimmer zu gehen.

Ares zog seinen Freund langsam ein kleines Stück näher. Nero sah etwas verstört aus und blickte sich um, ob auch niemand um sie herum war, doch es war weit und breit keine Menschenseele unterwegs.

„Hast du jemanden, dem du…“ Ares suchte kurz nach Worten. „Dem du das alles erzählen kannst? Ich mein, das, was dich so aus der Bahn bringt.“, fragte er und sah Nero an, welcher leicht nickte und es zuließ, dass Ares ihn in die Arme zog.

Er lehnte sich langsam gegen ihn und vergrub sein Gesicht an Ares‘ Hals. Er duftete immer noch nach Patchoulie.

„Tenna.“, sagte er leise. „Sie ist die Einzige.“, vollendete er seinen Satz und seufzte leise. „Ich brauch nichts zu sagen… Sie weis es auch so.“, nuschelte er und blickte in Ares‘ Augen, welcher etwas verwirrt dreinsah. „Als wäre sie meine Seelenverwandte.“ Nero grinste schräg. „Das war irgendwie schon immer so.“, meinte er und sah Ares lächeln, welches der Schwarzhaarige nun auch wieder erwidern konnte. „Danke, für gestern.“

Es tat gut, wieder ein echtes Lächeln lächeln zu können und Ares schien das wohl ebenfalls gemerkt zu haben. Er küsste Nero flüchtig und drückte ihn an sich.

„Ich will nur dass es dir gut geht.“, meinte er, streichelte Neros Wange sachte. „Und dass du jemanden hast, der dir beistehen kann.“, sagte Ares zuletzt.

Sie standen einen Moment in ihrer Umarmung in dem wieder einsetzenden Schneegestöber, ehe Ares lächelnd aufsah.

„Hast du Hunger?“, fragte er dann, denn sein eigener Magen machte langsam Zicken und verlangte nach etwas zu Essen und auch Nero schien es nicht anders zu gehen, was sein Nicken bestätigte. „Sehr gut.“ Und schon marschierte Ares zielstrebig los und hielt Nero immer noch an der Hand, welcher ihm hinterher stolperte und dann betreten auf den Boden blickte.

Das mit dem Händchenhalten in der Öffentlichkeit war ihm absolut unangenehm und das schon seit er denken konnte. Er hatte es nicht so damit, seine Zuneigung in aller Öffentlichkeit kund zu tun und das schien Ares wohl auch bemerkt zu haben, denn er ließ seine Hand los und ging vor sich hin schmunzelnd weiter durch das immer stärker werdende Schneegestöber.

 

Nach diesem kalten Vormittag und dem absolut leckeren ‚Frühstück‘, welches aus heißem Kakao und Kuchen bestanden hatte, war Nero froh wieder in seinem warmen Wohnzimmer zu sein doch die depressive Stimmung kam in genau diesem Moment wieder zurück, als die beiden seine Wohnung betraten. Irgendwie lag ihm dieser Traum immer noch im Magen und er konnte nichts dagegen tun, allerdings wusste er nun auch nicht weiter.

Der Tag war zu schön um Ares einfach so nach Hause zu schicken und ihm, sozusagen, die Türe vor der Nase zuzuschlagen, doch er wollte ihm auch seine Laune nicht antun, allerdings konnte er Ares nicht nötigen den ganzen Tag bei dieser Kälte in der Weltgeschichte herum zu laufen. Irgendwann würden sie Frostbeulen bekommen.

Somit saßen die beiden, nachdem Nero noch ein Kanne Kaffee gemacht hatte, wieder einmal auf seiner Couch. Das Kaminfeuer prasselte und zischte vor sich hin, während Ares und Nero einfach nur dasaßen.

Eine ganze Zeit lang sagte keiner von beiden auch nur ein Wort, bis Ares ihm eine Frage stellte, die den jungen Mann aus seinen trüben Gedanken erwachen ließ.

„Wann hast du Tenna eigentlich kennengelernt?“, fragte er langsam. „Wenn du sagst, sie ist so etwas wie eine Seelenverwandte, musst du sie ja schon ewig kennen, oder?“ Ares bemerkte ein Lächeln auf Neros Lippen und ein zaghaftes Kopfschütteln.

„Nein, überhaupt nicht.“, meinte Nero, lehnte sich langsam entspannend zurück und schwelgte in Erinnerungen und begann zu erzählen. „Ich war 16, als wir uns im Kessel getroffen kennengelernt haben. Ich muss wohl ziemlich verloren ausgesehen haben, weil sie irgendwann vor mit gestanden und mir ein Bier in die Hand gedrückt hat. Sie hat so breit gegrinst, dass ich gedacht hatte, dass sie stockbetrunken sein musste, aber das war sie anscheinend nicht.“ Nero musste nun ebenfalls zu grinsen anfangen, als er sich diesen Abend ins Gedächtnis rief. Das war schon eine eigenartige Situation gewesen.

Ares hörte aufmerksam zu und musste kichern. Ja, Tenna und ihr breites Grinsen. Es schien manchmal, als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen, außer heißem Glühwein. Aber ein ganz anderer Gedanke machte sich plötzlich breit.

„Die haben dich mit 16 reingelassen?“, fragte er ungläubig mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Na ja…“ Nero zuckte nur mit den Schultern und fing sich einen argwöhnischen Blick. „Ich hab niemanden bestochen, erstochen oder sonst etwas…“, verteidigte er sich schmunzelnd und sag Ares‘ Grinsen und erzählte weiter. „Irgendwann sind wir uns sogar auf der Straße über den Weg gelaufen und ja, keine Ahnung, Tenna konnte sich an mich erinnern und hat mich einfach so angesprochen. Ob ich denn öfter im Kessel wäre und so.“ Er warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu.

„Jaa, das kommt mir durchaus bekannt vor.“, lachte er. „Tenna scheißt sich aber auch gar nichts. Einfach Leute auf der Straße ansprechen, das würde mir im Traum nicht einfallen.“

„Mir auch nicht“, meinte Nero. „Außer ich bin betrunken und falle so komischen, schwarzhaarigen Typen in die Arme.“, ein noch breiteres Grinsen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab und Nero wurde in Ares‘ Arme gezogen.

„Stimmt und dann sitzt dieser komische, schwarzhaarige Typ auch noch auf deinem Sofa und trinkt Kaffee.“ Ares zwinkerte und küsste Nero flüchtig, ehe dieser weiter erzählen konnte.

„Na, wie auch immer. Im Kessel haben wir uns dann immer öfter getroffen, irgendwann Nummern ausgetauscht und so hat das alles seinen Lauf genommen.“ Nero lehnte an Ares‘ Seite und lächelte leise vor sich hin. Ja, das waren damals recht schöne Zeiten gewesen. Tenna hatte ihm sogar bei seinen Schularbeiten geholfen. Ihn abgefragt und nicht locker gelassen. Ja, er hatte Tenna wirklich viel zu verdanken.

„Und was ist mit Micha und Erke?“, fragte Ares nach. Er fand es interessant, wie sich diese Freundschaft entwickelt hatte. Völlig unvoreingenommen, wie es den Anschein hatte. „Mal ganz abgesehen davon… Das mit dem Kessel irritiert mich. Hat sich da keiner drum gekümmert, dass du rechtzeitig zu Hause bist?“ Er sah, wie sich Neros Gesicht langsam verdüsterte und setzte zu einer Entschuldigung an.

Nero winkte nur ab und fuhr mit seiner Erzählung fort.

„Micha und Erke haben wir in Leipzig getroffen. Tenna hat mich damals mit aufs WGT genommen, bis wir drauf gekommen sind, dass Micha und Erke auch hier, so mehr oder weniger, um die Ecke wohnen, hat es fast drei Monate gedauert.“ Nero lachte. „Frag mich nicht warum, die zwei haben uns ums Verrecken nicht sagen wollen wo sie wohnten. Ich weis auch bis heute nicht warum, aber wahrscheinlich… na ja, du sagst auch keinem Wildfremden wo du wohnst, oder?“

Ares schüttelte den Kopf. „Nein, das tu ich tatsächlich auch nicht.“ Er hatte einen Arm um Nero gelegt und kraulte leicht über seine Schulter.

„Und naja…“, setzte der Jüngere langsam an. „Ich war grundsätzlich um Mitternacht wieder im Wohnheim, was hätten die Betreuer da groß sagen sollen?“

Ares zog eine Augenbraue nach oben. Wohnheim? Das war ihm selbst nach über einem halben Jahr noch neu. Nero hatte in einem Wohnheim gelebt? Er hatte nie auch nur ein Wort darüber verloren. Doch wenn er darüber nachdachte, sprach er nicht über seine Vergangenheit. Mit keinem einzigen Wort hatte er etwas erwähnt, was darauf schließen lassen würde.

„Und die haben dich ohne Murren in den Kessel gehen lassen?“, fragte er ungläubig.

„Spinnst du? Glaubst du im Ernst ich hab denen gesagt wo ich hingehe? Die hätten mich wahrscheinlich eingesperrt.“ Wieder musste er grinsen. Er war damals um keine Ausrede verlegen gewesen. Sogar Tenna hatte schon als Alibi-Freundin herhalten müssen, aber das brauchte Ares nicht zu wissen.

Ares zuckte daraufhin langsam die Schultern und schüttelte den Kopf. „Wie lange hast du denn dort gewohnt?“, fragte er dann vorsichtig. Er hatte keine Ahnung ob und wenn ja, was er in Nero mit dieser Frage auslösen würde, denn die lockere Stimmung, die im Augenblick herrschte, wollte er durch diese Frage nicht zerstören.

„Nur zwei Jahre. Ich bin dort weg, als ich Volljährig war.“, sagte er daraufhin nur. Nero wollte nicht zu viel erzählen, denn es würde von einem zum nächsten kommen. Nein. Nero konnte es Ares nicht erzählen. … Noch nicht.

„Dann lebst du seit einem Jahr alleine?“ Ares drückte Nero noch ein wenig an sich und küsste ihn sacht auf die Schläfe. „Respekt. Ich kenn einige, die sich selbst mit Mitte zwanzig noch von Mutti verhätscheln lassen.“

„Nein… zum Glück ist es nicht so. Ich bin ganz froh dass es so ist, wie es ist.“, Nero rang sich ein Lächeln ab und schmiegte sich in Ares‘ Umarmung. „Ich habe alle Freiheiten der Welt, was gibt es Schöneres?“

Ja, was gab es Schöneres. Ares stimmte seinem Freund absolut zu. Auch er war froh, alle Freiheiten der Welt zu genießen. Sich von niemandem etwas sagen lassen zu müssen. Trotz allem überwog die Traurigkeit der Vergangenheit ab und zu, jedoch nicht so oft wie es anscheinend bei Nero der Fall war. Es interessierte ihn, was Nero so häufig aus der Fassung brachte, doch er traute sich nicht ihn zu fragen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es weit mehr war, als Nero durchscheinen ließ. Er war immerhin nicht umsonst in einem Wohnheim untergekommen. Wo hatte er davor gelebt? Hatte er, außer von Tenna, von irgendwem Unterstützung erhalten? Ares hatte so viele Fragen, die er sich nicht stellen traute und selbst wenn, hatte er von Nero wohl keine Antwort zu erwarten. Selbst nach den neun Monaten, die sie sich nun kannten, konnte er verstehen, warum Nero nicht aus dem Nähkästchen plauderte. Ares selbst tat es immerhin auch nicht. Und ganz gleich was es war, was Nero vom Erzählen abhielt, es würde seinen Grund haben und Ares hatte nicht das Recht neugierig herumzustochern. 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück