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WG mit einem Geist

von

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Kapitel 1
 

Emma saß wie immer vor ihrem Laptop. In ihrer Freizeit tat sie kaum etwas anderes. Freunde hatte sie nicht wirklich, aber das störte sie auch nicht, denn Menschen mochte sie nicht sonderlich. Alle waren sie so falsch und taten alles mögliche, nur um dazu zu gehören. Das wollte sie nicht. Sie war lieber sie selbst - ob mit Freunden oder ohne. Und sie hatte ja noch ihren besten Freund, den Computer - ihr Tor zur Welt.

Gerade chattete sie mit ein paar Freunden. Eine kannte sie auch im Reallife. Es war Lina, ihre beste Freundin aus der Grundschule. Leider musste Lina mit ihren Eltern nach Köln ziehen, als sie in der vierten Klasse war, doch sie hatten es irgendwie geschafft, den Kontakt zu halten. Inzwischen waren beide zwanzig Jahre alt und studierten. Emma studierte Kunst in Hamburg und Lina Physik in Köln.

"Emma!", rief ihre Mutter sie von unten.

"Ja, was ist?" , rief sie zurück.

"Komm mal runter!"

"Okay!" Emma schrieb noch schnell "brb" in das Chatfenster und drückte Enter.

"Wo bleibst du denn?"

"Ich bin ja schon unterwegs, Mama! Was ist denn los?"

"Du sollst nur mal abschmecken."

"Boah, wirklich? Deswegen rufst du mich runter?" Emma klang leicht genervt.

"Du beschwerst dich doch immer, dass zu viel Salz im Essen ist."

"Als ob man das danach noch ändern könnte."

"Außerdem gibt es gleich Essen und du kannst schon mal aufdecken."

"Ist Papa denn schon da?", fragte Emma.

"Nein, der kommt zum Glück später."

Emma wusste nicht, ob sie darüber froh sein sollte. Einerseits fingen ihre Eltern immer sofort an zu streiten, sobald sie zusammen waren. Aber andererseits, wenn Emma allein mit einem von beiden war, zogen sie die ganze Zeit über den anderen her.

Sie überlegte kurz. "Kann ich vielleicht in meinem Zimmer essen?"

"Junge Dame, so lange du unter meinem Dach lebst, isst du gefälligst mit der Familie. Punkt."

"Aber Papa ist ja noch nicht mal da."

"Keine Widerrede. Du bist sowieso viel zu lange am PC. Dir könnten auch mal ein paar soziale Kontakte nicht schaden."

Jetzt ging das schon wieder los. Wenn das Thema nicht gerade der Ehegatte war, fing ihre Mutter damit an, dass Emma keine Freunde hatte. Ihrer Mutter nach war das auch der Grund für alles, was in ihrem Leben jemals schief gelaufen war. Dabei war Emma nicht einmal ansatzweise unglücklich darüber.

"Ich geh den Tisch aufdecken...", versuchte sie das Thema zu beenden und verschwand im Esszimmer. Doch der Frieden währte nicht lange, denn kaum war sie fertig damit, den Tisch zu decken, kam auch schon ihre Mutter mit dem Essen herein.

Mutter und Tochter setzten sich gegenüber. Ihre Gesichter sahen sich ähnlich, doch während ihre Mutter hellbraune Haare hatte, hatte Emma sich ihre Haare schwarz gefärbt, bis auf die rechte Seite ihres Ponys. Den hatte sie blau gefärbt. Passend dazu trug sie auch meistens ein hauptsächlich schwarzes Outfit mit blauen Akzenten.

Ihre Mutter begann zu erzählen: "Heute habe ich nach der Arbeit noch Steffi besucht. Ihr Sohn ist ja so hübsch. Er würde dir gefallen. Ihr seid auch glaube ich im gleichen Alter."

"Aha." Emma wusste worauf das hinaus zu laufen drohte, darum aß sie so schnell wie nur möglich, um der Unterhaltung bald entgehen zu können.

"Er ist ja so ein netter Kerl. Vielleicht solltet ihr euch mal treffen."

Das war der magische Satz, der Emma schon so häufig in rage versetzt hatte.

"Ich will aber nicht."

"Du kennst ihn ja noch gar nicht."

"Eben deshalb."

"So geht das aber nicht. Es kann nicht sein, dass du immer nur vor dem PC sitzt und nicht nach draußen kommst."

"Ich komme genug nach draußen!"

"Triff dich mit ihm!"

"Du hast mir hier gar nichts zu sagen," sagte Emma, stand auf und ging in ihr Zimmer.

"So lange du unter meinem Dach wohnst...", hörte Emma ihre Mutter ihr noch nachrufen bevor sie die Tür zuknallte.

'Warum wohne ich eigentlich noch hier?', dachte sie. 'Ich sollte auszuziehen. Aber in Hamburg findet man als Student einfach keine Wohnung, die ich mit meinem Nebenjob als Kellnerin bezahlen könnte. Hmm. Vielleicht eine WG wie Lina. Aber dann müsste ich ja mit Menschen zusammen ziehen. Ach, ist doch alles Scheiße.'

Emma ging zu ihrem Computer und bewegte die Maus, um den Bildschirmschoner zu beenden. Das Chatfenster mit Lina war noch offen. "Ich gehe noch mit meinen Mitbewohnern bei Subway essen. Wir schreiben morgen wieder," hatte Lina geschrieben.

'Verdammt, mit wem soll ich denn jetzt schreiben? Dann lese ich halt noch einen Manga bis ich müde bin.'
 

Als Emma am nächsten Tag von einer Vorlesung zurück kam, erwartete eine Überraschung sie im Wohnzimmer. Gegenüber von ihrer Mutter saß ein junger Mann in einem Sessel. Er trug weite Jeans, ein sehr enges T-Shirt das seine Muskeln betonte und hatte einen Undercut und Tunnel-Ohrringe.

Emma versuchte sich an ihnen vorbei zu schleichen und hoffte, dass sie sie nicht bemerkten, doch...

"Emma, da bist du ja!"

"Hallo, Mama." Emma zwang sich zu einem Lächeln.

"Das ist Tom, von dem ich dir gestern erzählt habe."

"Was geht, yo?"

"Kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen, Mama?"

Emma ging in die Küche vor und ihre Mutter folgte ihr.

"Mama, ich hab doch gesagt, ich will ihn nicht treffen."

"Ach, jetzt ist er ja schon mal hier."

"Nein, Mama. Ich rede nicht mit ihm."

"Das wär jetzt aber unhöflich, ihn erst einzuladen und dann wieder wegzuschicken."

"Das ist dein Problem. Ich habe ihn nicht eingeladen."

"Ach komm schon, Emma."

"Nein!", sagte Emma wütend.

"Aber um dir dein Essen zu kochen und deine Wäsche zu waschen, bin ich gerade noch gut genug, oder was?"

"Das hat damit nichts zu tun."

"Solange du unter..."

"Also gut," unterbrach Emma ihre Mutter. "Dann zieh ich eben aus!"

Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Haus.

Kapitel 2
 

Wütend ging Emma durch die Stadt. Der Streit mit ihrer Mutter hatte sie nicht nur wütend gemacht, sondern auch etwas sehr unbedachtes sagen lassen.

'Dann zieh ich eben aus!', erinnerte sie sich.

Aber wo sollte sie jetzt eine Wohnung her kriegen? Hamburg war teuer und überfüllt. Und in eine WG wollte sie auch nicht ziehen; nicht, dass sie davon überhaupt eine gefunden hätte.

Sie kam an einem Wohnungsmakler vorbei. Emma glaubte zwar nicht daran, etwas zu finden, aber nichtsdestotrotz schaute sie sich die freien Wohnungen an, die von Innen an das Schaufenster angeklebt waren.

Es gibt Stellen, wo die meisten Menschen zuerst hinschauen. Zum Beispiel auf Kopfhöhe in der Mitte. Wenn sich dort ein Poster befindet und sich dieses vielleicht auch noch farblich abhebt, gibt es kaum jemanden, der es übersehen könnte. Und genau an diesem strategisch günstigen Platz befand sich ein gelber Zettel neben den ansonsten weißen.

Emma war verblüfft. Die Wohnung auf eben jenem Zettel schien perfekt zu sein. Sie war so billig, dass sie sie sich ohne Probleme hätte leisten können, hatte die richtige Größe und lag außerdem schon fast bei der Universität.

'Und wo ist der Haken?', dachte sie.

Alle anderen Wohnungen waren viel zu teuer. Selbst die kleinen Ein-Zimmerwohnungen waren mindestens doppelt so teuer.

'Da ist bestimmt etwas kaputt. Oder es gibt tausend Bewerber.... Aber ich kann sie mir ja immerhin mal anschauen.'

So ging Emma in den Laden hinein. Die zuständige Maklerin schien merkwürdig glücklich über ihre Kundin und wollte ihr die Wohnung sofort zeigen. Da Emma sowieso nicht zurück nach Hause wollte und nichts besseres zu tun hatte, ging sie auf ihr Angebot ein.
 

Das Haus war ein altes Backsteinhaus, bestimmt schon hundert Jahre alt. Die Wohnung lag im ersten Stock. Von Innen schien das Haus trotz des Alters in gutem Schuss zu sein und dennoch war Emma überrascht, als sie eine frisch renovierte Wohnung zu sehen schien.

"Hier haben wir die Küche, das Badezimmer, ein leeres Zimmer und noch ein leeres Zimmer, " führte die Maklerin Emma durch den Flur.

Alles schien so neu, weiß und strahlend.

Die Fenster waren groß und ließen viel Licht herein.

Der Vorgänger hatte ein paar Möbel dort gelassen, sogar eine schicke neue Einbauküche.

"Sie können, wenn sie wollen sofort einziehen. Wir machen den Vertrag dann gleich fertig."

Ein mulmiges Gefühl beschlich Emma. 'Wenn die Wohnung so perfekt war, und dazu auch noch so günstig. Warum schien es dann keine anderen Bewerber zu geben?'

Emma dachte an ihre Mutter. Nicht nur an den heutigen Vorfall, sondern auch an die ewigen Streitereien, die schon fast Alltag waren.

"Okay, ich nehm die Wohnung."

"Das wollte ich hören."

Emma hatte zwar immer noch ein ungutes Gefühl, aber sie dachte sich, sie könne ja nach einem Monat wieder ausziehen, falls etwas passieren sollte.
 

Der Rest ging sehr schnell. Die Maklerin brachte ihr den Mietvertrag; Emma überflog ihn und unterschrieb schließlich. Ihre Mutter staunte nicht schlecht, als Emma nach Hause kam und anfing ihre Sachen zu packen. Ihre fragenden Blicke hatte sie nur damit kommentiert: "Was? Ich hab doch gesagt, ich ziehe aus."

Emma dachte sich, sie würde erst einmal das Wichtigste packen und die Nacht über auf einer Luftmatratze schlafen. Dann könnte sie den Rest in den nächsten Tagen organisieren. Aber heute Nacht würde sie zum ersten Mal in ihrer eigenen Wohnung schlafen.
 

Emma war aufgeregt. Sie hatte ihren Laptop eingeschaltet und konnte es gar nicht erwarten, Lina alles zu erzählen.

Emma benutzte den Surfstick, den sie letzten Urlaub gekauft hatte, denn es gab noch kein Internet in ihrer Wohnung. Der lief aber leider sehr langsam und so musste sie erst einmal eine Weile warten, bis die Chatseite geladen war.
 

Sie dachte an ihren neuen Nachbarn.

Als Emma gerade mit ihren drei großen Koffern und dem großen Rucksack die Treppen hinauf gegangen war, war ihr ein Mann entgegen gekommen, der genauso alt wie das Haus zu sein schien.

"Wollen Sie zu Meiers?", hatte er gefragt.

"Nein, ich ziehe in die freie Wohnung ein," hatte sie geantwortet.

"Ach Gottchen. Es ist immer wieder ein Mysterium, wie sie immer wieder jemanden finden, der dort einzieht."

Sie hatte es gewusst. Irgendetwas war faul. Plötzlich bereute sie ihre Entscheidung zutiefst. "Was meinen Sie denn damit?"

"Na wegen der Selbstmorde."

Emma fühlte sich erleichtert. Wenn es denn sonst nichts war. Offenbar war die Wohnung gründlich gereinigt worden und dass die toten Vormieter dort Nachts herumspuken würden, glaubte sie auch nicht.

"Was denn für Selbstmorde?", fragte sie freundlich.

"Na vor zwei Jahren und vor vier Jahren haben sich die Mieter dort umgebracht. Wenn ich darüber nachdenke, waren es beides junge Damen, wie sie gewesen. Und alle Anderen, die danach noch eingezogen waren, waren alle nach der ersten Nacht ausgezogen. Geister! Sie sagten, dort gäbe es Geister!"

"Ahja," meinte Emma lächelnd , "ich verspreche, ich werde vorsichtig sein."

Danach war sie in ihre Wohnung gegangen und hatte angefangen auszupacken.
 

Die Seite war geladen, aber Lina war nicht da. Hatte sie sich nicht mit ihrem Freund heute treffen wollen? Emma hatte noch niemals einen Freund gehabt. Aber das war ja auch irgendwie logisch. Wenn man keine Freunde hat, hat man normalerweise auch keinen Freund.

Emma mochte Linas Freund nicht. Seit sie ihn vor einem Jahr kennen gelernt hatte, schien Lina irgendwie nicht mehr Zeit für Emma zu haben. Sie hatten sich seit dem auch nicht mehr gesehen.

'Ravioli!', dachte sie. 'Ich habe schon so lange keine Ravioli mehr gegessen. Mama hasst sie. "'Dosenessen ist ungesund."' Aber ab heute bin ich meine eigene Herrin.'

Emma beschloss, noch einmal loszugehen, um Ravioli zu kaufen. Sie hatte auch sowieso sonst nichts zu Essen da. Daher kaufte sie auch noch gleich Milch und Müsli für das Frühstück. Den Rest des Abends verbrachte sie mit Ravioli vor dem Laptop.
 

Etwas viel herunter, was Emma aufwachen ließ.

Raschel, raschel.

Kratz, kratzt.

Eine quietschende Tür.

'Oh, shit! Ein Einbrecher!'

Leise stand Emma auf und zog sich eine Hose an. Sie suchte in der Dunkelheit nach irgendetwas, was sie als Waffe benutzen könnte. Doch leider war die Wohnung noch nicht eingerichtet. Das einzige harte im Zimmer war ihr Laptop. Und Einbrecher hin oder her, den würde sie nicht hergeben.

Rums! Das Geräusch kam aus dem Badezimmer.

Sie dachte sich, so lange er im Badezimmer war, konnte sie sich vielleicht in die Küche schleichen und eine Pfanne ihres Vorgängers holen.

So leise wie nur möglich tastete sie sich durch die Dunkelheit. Ein paar Sachen, die vorher auf eine Kommode lagen, befanden sich nun auf dem Boden. Das musste das Geräusch gewesen sein, welches sie aufgeweckt hatte.

Emma tastete nach den Pfannen im Schrank.

Klong!

Sie war mit der Pfanne gegen einen Topf gestoßen.

'Verdammt,' dachte sie, 'ich hoffe, er hat das jetzt nicht gehört.'

Doch nichts regte sich.

Emma nahm die Pfanne und ging Richtung Badezimmer.

Nichts regte sich.

Plötzlich fiel etwas hinter ihr herunter.

Sie drehte sich um, bereit zu zu schlagen.

Doch niemand war da.

'Wie kommt denn mein Portemonnaie hier hin?'

Rummms machte es hinter ihr.

Wieder drehte sie sich um, doch sah Niemanden in der Dunkelheit.

'Sind hier Tiere?'

Aber so richtig glaubte sie nicht an ihre Theorie, denn der Gegenstand, der diesmal heruntergefallen war, war der größte Topf aus der Küche.

Langsam ging sie auf den Topf zu, als eine tiefe Stimme hinter ihr sagte:

"Diese Wohnung gehört miiiir!"

Sie drehte sich um.

"Aaaaaaaaaah!"

Ein halb durchscheinender Samurai in voller Kampfmontur mit leuchtenden roten Augen schwebte vor ihr.

Kapitel 3
 

Als der erste Schrecken sich gelegt hatte, betrachtete Emma den Samurai vor ihr genauer: Man konnte ihn deutlich sehen, und doch wirkte er, als wäre er gar nicht da. Er schien keine Füße zu besitzen und schwebte eine Hand breit über dem Boden.

Emma dachte daran, dass Japaner glaubten, Geister hätten keine Füße. Und dieser Geist sah schon sehr japanisch aus.

Er trug eine Rüstung eines Samurais, wie Emma sie aus Mangas und Anime kannte. Nur diese wirkte irgendwie echt. Unter dem Helm schienen zwei Augen rot zu leuchten und er gab eine Art tiefen Brummlaut von sich.

Emma streckte die Hand aus, erwartete irgendwie auf Widerstand zu stoßen, als sie ihm näher kam, doch die Hand ging glatt durch. Die Luft in ihm fühlte sich kalt und feucht an.

'Vielleicht ist es ja nur eine Projektion,' kam es ihr sich nicht eingestehend, dass es so etwas wie Geister gäbe,.in den Sinn.

Sie suchte nach einem Projektor, konnte aber keinen finden.

Dann fragte sie: "Bist du wirklich ein Geist?"

Der Geist schien verwundert. "Jaa, sieht man das nicht?"

"Cooooool! Kannst du auch durch Wände gehen? Und Wie machst du das mit dem Sachen bewegen? Wann bist du gestorben? Bist du ein Samuraigeist? Kommst du aus Japan?...."

Nach diesem Haufen an Fragen unterbrach der Geist sie: "Hast du denn überhaupt keine Angst vor mir?"

"Wieso? Willst du mir denn etwas antun? Was können Geister denn überhaupt machen?"

"Uhm, naja... ich könnte dich aufessen!"

"Du hast doch überhaupt keinen Magen."

"Aber ich könnte deine Seele aufessen."

"Ich glaube nicht... Was willst du überhaupt in dieser Wohnung?"

"Das hier ist meine Wohnung!"

"Du bist also ein Geist, der diese Wohnung heimsucht?"

"Genau."

"Kommst du nicht aus Japan? Wäre es nicht schlauer, dort eine Wohnung heimzusuchen?"

"Man muss mit der Globalisierung mitgehen."

Inzwischen kam Emma der Geist nur noch lächerlich vor. Auch wenn er eine recht beeindruckende Erscheinung in der Dunkelheit der Wohnung hatte, hatte sie allen Schrecken vor ihm verloren.

"Und warum ausgerechnet diese Wohnung?", meinte Emma trotzig.

"Sie liegt schön." Der Geist schien auch nicht mehr ganz so selbstbewusst zu sein, wie vorhin.

"Das tut auch die Nachbarwohnung."

"Ich kann spuken, wo ich will."

"Na gut, aber bitte nicht mehr so laut. Ich will endlich schlafen gehen." Mit diesen Worten ging Emma zurück in ihr Schlafzimmer und legte sich hin.

Der Geist war erst einmal nur verwundert. 'Ich glaube, ich habe gerade eine Diskussion verloren,' dachte er und schwebte davon.
 

Zuerst dachte Emma, es sei alles nur ein Traum gewesen, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Sie dachte glücklich daran, dass sie die erste Nacht in ihrer Wohnung erfolgreich überstanden hatte. Als Emma in die Küche ging, hatte sie den Geist schon fast vergessen, doch der saß gerade auf der Arbeitsfläche.

"Guten Morgen, Geist."

"Ich habe auch einen Namen! Ich heiße Yuusuke vom großarigen Samuraiclan Kotaro!", verkündete der Geist stolz.

"Yuusuke Kotaro also."

"Kotaro Yuusuke. In Japan spricht man es andersherum aus."

"Okay, Yuu-chan."

"Du wagst es, mich, den Samurai, der bis zum Tod niemals eine Schlacht verlor, mit einem so lächerlichen Namen anzusprechen?"

"Bedeutet das also, dass du am Ende in einer Schlacht gestorben bist?", fragte Emma und begann ihr Müsli zu essen.

"Also, na ja..."

"Alwo ja," sagte sie mit vollem Mund.

Der Geist schien sichtlich geknickt. Er ließ den Kopf hängen und nahm seinen Helm ab. Darunter kam ein junger Japaner in seinen zwanzigern mit langen schwarzen Haaren zum Vorschein.

"Du hast ja recht," sagte er traurig, "ich tauge zu gar nichts." Der Geist schluchzte.

"Ich wurde gleich bei meiner ersten richtigen Schlacht umgebracht. Und weil ich mich dafür schämte habe ich Japan verlassen und bin nach Europa gekommen."

Jetzt fing Yuusuke richtig an zu heulen.

Irgendwie hatte Emma Mitleid mit ihm.

"Hey, das kann doch jedem mal passieren," begann sie einfühlsam. "Ich wette, wenn ich an der Schlacht teilgenommen hätte, hätte ich nicht mal zwei Minuten überlebt."

"Aber du gehörst nicht zu dem großartigen Clan der Kotaro!" Schluchz. "Ich habe meine Familie entehrt!"

"Ach, ich wette, deine Familie sieht das alles nicht so schlimm."

"Meinst du wirklich?"

"Ja, natürlich. Du warst.... bist ein großartiger Samurai!"

Emma fehlten die Worte. Sie war nicht besonders gut darin, jemanden zu trösten.

Dann fügte sie hinzu: "Und du bist ein echt netter Kerl! Egal, was die anderen sagen."

"Das sagst du jetzt, aber in Wirklichkeit willst du mich aus der Wohnung heraus haben."

"Das stimmt doch nicht!" 'Stimmt doch,' dachte sie.

"Hu hu hundert Jahre habe ich hier gelebt," schluchzte der Geist. Eine Geisterträne rollte ihm vom Gesicht. "Und du willst mich hier rausschmeißen?"

"Nein, nein! Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst!"

"Wirklich?"

"Ehrenwort."

"Danke," sagte der auf einmal überhaupt nicht mehr traurige Geist und schwebte durch die Wand davon.

Emma war sich nicht ganz sicher, was die denken sollte. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass der Geist sie gerade gehörig verarscht hatte.

Mit diesem Gefühl verließ sie das Haus, um zur Universität zu gehen.

Auf dem Weg musste sie die ganze Zeit über ihre seltsame Situation nachdenken.

Sie dachte an die geknickte Gestalt in ihrer neuen Küche.

Und daran, dass sie einem wildfremden Geist erlaubt hatte, bei ihr wohnen zu bleiben.

Dann dachte sie daran, Lina alles zu erzählen, entschied sich aber am Ende dagegen.

'Ich sollte mir eine Internet-Flatrate besorgen,' dachte sie und betrat das Universitätsgebäude.
 

Nach der Universität hatte Emma noch verschiedene Läden besucht und war bei ihren Eltern zu Hause vorbei gegangen, um noch ein paar Sachen abzuholen. Zu ihrem Glück waren die gerade nicht zu Hause gewesen. Sie hatte ihnen aber eine Notiz hinterlassen, dass es ihr gut geht und sie eine gute Wohnung gefunden hatte.

Vollgepackt ging sie gerade die Treppe zum ersten Stock hoch und schloss die Tür auf.

Zuerst sah sie nur bunt.

Erst nach ein paar Sekunden hatten sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt. Erst dann erfasste sie vollkommen, was in ihrer Wohnung passiert war:

Alle Wände waren mit ihren Kleidungsstücken gepflastert. Die Kleidung selbst war mit Nägeln an der Wand angebracht.

"Yuusukeeeee," schrie sie.

"Okaeri nasai, Emma-san." Der Geist kam durch eine Wand angeschwebt.

"Was?...Was zum Teufel hast du mit meiner Kleidung gemacht, du nutzloser Geist!"

"Gefällt es dir nicht?"

"Gefallen?" Emma war außer sich vor Wut.

"Es ist eine alte japanische Tradition zum Einzug."

"Nie davon gehört."

"Kommst du aus Japan, oder ich?"

Emma wusste nicht, was sie sagen sollte. Er hatte zwar recht damit, dass er aus Japan kam, aber sie war zu 99% sicher, das eine solche japanische Tradition nicht existierte.

"Du hasst mich!", fing der Geist wieder an zu heulen.

Diesmal wollte Emma nicht nachgeben, doch durch den traurigen Anblick konnte sie überhaupt gar nicht mehr wütend auf ihn sein.

"Zumindest finde ich diese Tradition nicht... äh... ganz so toll."

"Du hast ja recht," rief er weinend, "ich werde sie sofort abbauen."

Mit diesen Worten riss Yuusuke Emmas ChiisaiCon-Tshirt von der Wand und der Nagel hinterließ einen langen Riss.

"Halt!", rief Emma und konnte gerade noch schlimmeres mit ihrer Jeans verhindern. "Ich hänge die Kleidung ab und du mach, was Geister eben so machen."

"Okay." Damit verschwand Yuusuke wieder durch die Wand, durch die er gekommen war.

'Irgendetwas war doch anders an ihm,' dachte Emma, als sie anfing, vorsichtig die Nägel aus der Wand zu ziehen um die Kleidung abzunehmen. Dann fiel ihr auf, dass er seine Rüstung nicht mehr trug und statt dessen zu einem einfachen, dunkelgrauen Yukata gewechselt war.

Kapitel 4
 

Emma betrachtete ihre Jeans. Zwei Löcher am Gesäß zierten die Hose.

'Vielleicht fällt es ja niemandem auf... Oder ich kann versuchen, die Löcher noch ein bisschen zuzunähen.'

Sie seufzte. Da kam Yuusuke hereingeschwebt.

"Oh, ich sehe, du hast schon die ganze Kleidung abgehängt. Gut gemacht!"

Ein Blick, der hätte töten können traf ihn, doch Yuusuke schien ihn nicht zu bemerken.

"Sind nur noch die ganzen Löcher in der Wand zu beseitigen," sagte Emma mit Nachdruck," doch auch den Tonfall schien Yuusuke nicht zu erkennen. Oder er ignorierte es einfach.

Er betrachtete die Löcher. Schließlich sagte er:

"Überlass das mir! Dafür habe ich eine Lösung."

"Ach ja? Welche denn?"

"Vertraue mir! ... Musst du nicht auch zur Uni?"

Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass Yuusuke Recht hatte. Sie dachte sich, dass er eigentlich auch wegmachen könnte, was er angerichtet hat.

"Na gut. Wenn ich zurück komme will ich, dass da keine Löcher mehr sind, verstanden."

"Du wirst keine Löcher mehr sehen. Das verspreche ich."

Emma glaubte ihm nicht ganz, doch hatte keine Zeit mehr darüber zu diskutieren. Schlimmstenfalls müsste sie halt die Löcher am Abend noch selber beseitigen.
 

Die Vorlesung war langweilig. Der Professor erzählte gerade etwas über Picassos Blauphase, was schon fast so spannend war, wie seine Rosaphase. Alle anderen Kommilitonen unterhielten sich oder spielten mit ihren Smartphones.

'Ich sollte mir ein Smartphone besorgen,' dachte sie. 'Aber jetzt mit der Wohnung bin ich echt knapp bei Kasse.'

Statt dessen fing sie an, eine Zeichnung auf ein Papier zu kritzeln.

Auch in der Universität hatte sie keine Freunde. Bei Gruppenarbeiten arbeitete sie immer mit denen zusammen, die auch keine Freunde hatten. Zum Glück gab es viele soziophobe Kunststudenten.

Ihre Zeichnung entpuppte sich als Yuusuke.

Sie seufzte genervt.

'Mein Leben ist echt nicht einfach.... Ich wer so gern ein Huhn... oder eine Kuh. Kühe haben es eigentlich noch viel besser. Die schlafen auf ihrem essen.'

Emma stellte sich vor, auf einem riesigen weichen Brötchen zu schlafen. Das machte sie so müde, dass sie einschlief.
 

Sie spürte etwas, was langsam über ihr Gesicht fuhr. Mit großer Zielsicherheit griff sie nach der Hand, der den Stift führte, der gerade ihr Gesicht bemalte. Erst dann öffnete sie ihre Augen.

"Gib her!"

Sie nahm den Stift ihres verdutzten Sitznachbarn und überprüfte, was sie befürchtete. Auf dem schwarzen Marker stand: Wasserfest auf allen Oberflächen.

'Na toll. Auch noch das'

Der Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie immerhin nur einen halben Penis im Gesicht hatte. Schlimmeres hatte sie also zum Glück verhindert.
 

Emma erinnerte sich an die Flasche Reinigungsbenzin, die sie in ihrem Zimmer zum entfernen von Farbe aufbewahrte. Sie hoffte, dass dieses ihr Gesicht von dem halben Penis befreien würde. Bei der Gelegenheit konnte sie auch noch gleich bequem ein paar Sachen in ihre neue Wohnung bringen.

Als Emma die Tür zu der Wohnung ihrer Eltern öffnete, befanden sich ihr Vater gerade im Flur.

"Emma! Ich dachte schon, ich sehe dich nicht mehr so bald," meinte er.

"Ist Mama da?"

"Noch nicht."

Emma seufzte vor Erleichterung. Mit ihrem Vater stritt sie im Gegensatz zu ihrer Mutter nur ganz selten. Ihn schien das Fehlen ihrer sozialen Kontakte auch nicht sonderlich zu stören. Vielleicht lag es auch daran, dass er selbst keine richtigen Freunde mehr hatte.

"Was machst du überhaupt so früh zu Hause, Papa?"

"Ich war beim Zahnarzt und für die letzte Stunde noch zur Arbeit zu fahren war sinnlos.... Aber wie geht es dir? Ich habe schon gehört, dass du eine Wohnung gefunden hast."

"Ja, die Wohnung ist perfekt. Und so billig, dass ich sie mir leisten kann."

"Wirklich? So etwas gibt es? Du kannst mir ruhig sagen, wenn du bei einer Freundin schläfst; ich sag es auch nicht deiner Mutter weiter."

'Welche Freundin?', dachte Emma und sagte: "Es stimmt aber wirklich, du kannst sie dir gerne ansehen."

"Da komme ich mit," erklang es von hinter ihnen.

Emma drehte sich um und sah ihre Mutter, die gerade die Wohnung betrat.

"Junges Fräulein," fing sie an, "hast du mir nicht etwas zu sagen?"

"Ich wüsste nicht was," entgegnete Emma.

"Wie wäre es mit einer Entschuldigung?"

"Wofür? Wenn sich hier Jemand zu entschuldigen hat, dann ja wohl du."

"Jetzt fangt doch nicht gleich schon wieder an zu streiten," warf Emmas Vater ein.

"Na gut," fing ihre Mutter an. "Der Klügere gibt nach. Wollen wir Frieden schließen, Emma?"

"Meinetwegen. Aber nur das das klar ist: Ich bleibe in meiner Wohnung."

"Dann hätten wir das ja geklärt," meinte ihr Vater. "Aber was hast du da im Gesicht."

Emma fiel der halbe Penis wieder ein.

"Eh, he he. Ich geh kurz und mache es weg."

"Und danach zeigst du uns deine neue Wohnung, okay?"
 

Emma ging schnellen Schrittes in ihr Zimmer und suchte nach dem Waschbenzin. Nach langem Suchen fand sie es auch und verschwand damit im Bad. Zu ihrem Glück funktionierte diese Reinigungsmethode hervorragend. Anschließend wusch sie noch das Benzin aus ihrem Gesicht und kehrte zu ihren Eltern zurück.

"Na dann mal los!"

Die drei gingen den ganzen Weg zu Fuß. Zu Emmas Freude stritten sich ihre Eltern mal ausnahmsweise nicht.

"Da wären wir."

"Wir sind ja schon fast an der Uni," bemerkte Emmas Vater.

"Super, nicht wahr?"

Emma schloss die Außentür auf und die Drei machten sich schweigend auf den Weg die Treppe hinauf.

Emma kam Yuusuke in den Sinn. Vielleicht hätte sie ihre Eltern doch nicht herbringen sollen. Was, wenn er da wäre und ihre Eltern sich zu Tode erschrecken würden?

Doch nun war es zu spät.

Emma schloss auch ihre Wohnungstür auf und öffnete sie.

Die Kleidung war weg, aber etwas anderes hing jetzt an den Wänden.

Emma ging näher an die vielen Zettel an der Wand heran, um zu erkennen, was sie enthielten: Zeichnungen. Ihre Zeichnungen.

Aber es waren nicht einfach normale Zeichnungen. Alle enthielten Yaoi-Motive.

Zu spät. Ihre Eltern hatten sie auch schon gesehen.

"Emma, was ist das?", fragte ihre Mutter.

Emma wurde rot.

"Da...da....das war ich nicht," stammelte sie.

"Wer dann?"

"Das muss der Gei... mein Mitbewohner gewesen sein."

"Mitbewohner?", fragte ihre Mutter. "Du in einer WG? Das glaube ich nicht."

"Sind das zwei Männer? was machen die da?", warf Emmas Vater verstört ein.

"Ich weiß echt nicht, wo die herkommen das könnt ihr mir glauben."

"M.A." Ihr Vater war nah an ein Bild heran gegangen und betrachtete die Signatur auf der Ecke eines Bildes. "M A... Emma. Das stand auch auf dem Bild, dass du uns zu Weihnachten geschenkt hast. Ist das nicht deine Signatur?"

"Oh wirklich? Da hat jemand fast die gleiche Signatur, wie ich. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man die Unterschiede."

Sie lachte verlegen.

"Emma! Was ist hier los?", fragte ihre Mutter.

"Geister!", entgegnete Emma. "Diese Wohnung wird von einem Geist heimgesucht. Da könnt ihr gern den Nachbar fragen."

"Emma, das ist nicht lustig! Ich bin wirklich enttäuscht von dir!", sagte Emmas Mutter urteilend.

Doch ihr Vater nahm sie in Schutz: "Schatz, da ist doch nichts dabei, wenn unsere Kleine ihre Sexualität ausleben möchte. Das ist völlig normal in dem Alter. Aber das alles auf einen Geist zu schieben ist dann schon ein wenig lächerlich"

"Aber muss es denn wirklich gleich Pornographie sein?", wollte seine Frau wissen.

Da platzte Emma heraus: "Das ist keine Pornographie, das ist Kunst! Und ihr müsst jetzt gehen."

Damit schob sie ihre Eltern aus der Tür.
 

Erst als die Tür hinter ihr geschlossen war, seufzte sie vor Erleichterung.
 

"Yuuuuuusuke!!!!", brach sie nach der Stille plötzlich aus.

"Konnichi-wa, Emma-san," begann er unschuldig, als er ins Zimmer schwebte.

"Was zum Teufel sollte das?"

"Was genau?", fragte er unschuldig lächelnd.

"Die Bilder," entgegnete Emma nur und wies auf selbige.

"Ich wollte die Wohnung nur ein wenig verschönern und am besten deckt man löcher ab, in dem man etwas darüber hängt," rechtfertigte er sich noch immer ohne das geringste Anzeichen irgendeines Schuldbewusstseins.

Emma war rasend vor Wut.

"Aber doch nicht mit solchen Bildern. Wo hast du die überhaupt her?"

"Die habe ich auf deinem Computer gefunden."

"Was?", fragte sie fassungslos. "Wie bist du an meinen Computer gekommen? Der ist passwortgeschützt."

"'passwort' ist nun wirklich kein gutes Passwort. Da kommt doch jeder drauf."

"Wirklich? Ich hielt es immer für ein gutes Passwort."

"Das denken aber nun einmal zu viele."

"Wie dem auch sei," fing Emma ruhig an, schrie dann aber Yuusuke an: "Tu so etwas nie wieder!"

Yuusuke wandte sich von ihr ab und fing leise an zu heulen.

"Ich bin wertlos, ich kann nicht mal eine Wohnung dekorieren!"

Wieder hatte er es geschafft, ihr Herz zu erweichen.

Sie versuchte ihn zu trösten: "Das stimmt doch nicht. aber vielleicht sollten wir uns nächstes mal darüber absprechen, wie wir die Wohnung gestalten."

"Wirklich?"

"Wirklich," versicherte sie ihm.

"Und du bist mir nicht mehr böse?

"Natürlich nicht."

"Dann brauchen wir zuerst ein Sofa und einen Fernseher."

"Immer schön langsam! Hast du Geld dafür?"

"Ich bin ein Geist. Woher sollte ich Geld haben?"

Emma seufzte. Wo war sie da nur herein geraten?

Kapitel 5
 

Jassin ging Donnerstag Abend langsam durch die dunkle Lagerhalle.

"Du brauchst dich gar nicht zu verstecken. Ich finde dich schon," rief er in die Halle.

Er vernahm ein Geräusch von rechts.

'Da bist du also,' dachte er und bog am nächsten Gang rechts ab.

Die Lagerhalle war mit alten Holzkisten zugestellt, die etwa zwei Meter hohe solide Wände bildeten. Dazwischen hatten sich schmale Gänge, die nicht viel Licht im Schatten der Kisten abbekamen, gebildet.

Er bog in den Gang ein, von dem er glaubte, das Geräusch gehört zu haben.

Der Gang war leer.

'Mist, sie war schneller als ich.'

Doch da hörte er direkt hinter sich ein Geräusch.

Er drehte sich um.

Doch da war nichts.

'Werde ich noch verrückt?'

Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seiner ursprünglichen Richtung zu, doch...

ein riesiger Geist mit rot leuchtenden Augen stand vor ihm.

"Ich hoffe, du magst es, Schwertklingen in deinem Körper zu spüren," sagte der tief und langsam. "Denn meine Freundin hat mich beauftragt, dich aufzuschlitzen."

Jassin stieß einen lauten Schrei aus und drehte sich um und rannte so schnell wie seine Beine ihn tragen konnten. Er wagte es nicht, sich um zu drehen, immer in der Befürchtung, der Geist wäre direkt hinter ihm. Auf dem Weg stieß er ein paar Kisten um, doch störte ihn weder das Chaos, noch die Schmerzen, die es ihm bereitete. Er lief einfach nur panisch immer weiter.

Erst als er die Lagerhalle verlassen hatte und wieder im Tageslicht der untergehenden Sonne stand, entspannte er sich ein wenig.

'War das eben real gewesen? War da wirklich ein Geist? Unmöglich!'

Aber etwas in ihm drin sagte ihm, dass es real gewesen war, was er gerade erlebt hatte.

Er betrachtete die Lagerhalle.

Sollte er nachschauen?

'Das kann ich auch noch morgen machen,' sagte er sich selbst um sich nicht eingestehen zu müssen, dass er Angst hatte.

Auf jeden Fall würde er ab heute einen großen Bogen um dieses Mädchen machen.
 

Es war Mittwoch Abend als Emma sich seufzend auf das alte blaue Sofa, dass sie vor dem Sperrmüll gerettet hatte, fallen ließ. Es interessierte sie nicht, dass sie mitten in Yuusuke hinein fiel, der sofort anfing zu meckern:

"Hey! Bin ich etwa unsichtbar? Bloß weil ich ein Geist bin, kannst du mich doch nicht so behandeln."

"Hm," antwortete sie nur teilnahmslos und Yuusuke rückte ein Stück weiter.

Schließlich fügte sie, ihr Gesicht in das Sofa gepresst, hinzu: "Ich will sterben."

"Das ist vielleicht ein bisschen drastisch. Nur weil du dich auf... in einen Geist gesetzt hast?"

"Doch nicht deswegen."

"Und weshalb dann?"

Von Emma kam als Antwort nur eine Art Grummeln.

Yuusuke wurde klar, dass etwas vorgefallen sein musste.

"Also, was ist passiert?"
 

"Heute nach der Uni," begann sie zu erzählen, "musste ich ganz viel Zeugs für eine Hausaufgabe nach Hause schleppen. Und bei der Mensa standen dann ein paar Jura-Studenten im Weg. Ich bin um sie herum gegangen, aber da haben sie sich genau wieder vor mich gestellt. Naja, und dann fingen die an, sich über mich lustig zu machen. '"Was bist denn du für ein Emo?'" "'Das ist aber ganz schön viel Zeug um, sich ritzten zu lassen."' "'Du bist so klein, bist du dir sicher, dass du nicht eher an eine Grundschule passen würdest?'" Und so weiter und so fort..."

"Und was ist dann passiert?"

"Zuerst habe ich nichts gesagt, aber nach einer Weile meinte ich halt genervt, dass sie mich in Ruhe lassen sollen. Aber statt dessen hat mich einer "aus Versehen" angerempelt, so dass alle meine Sachen auf den Boden gefallen sind."

"Aha."

"Die meisten sind dann zwar gegangen, aber der blieb noch da und hat mir meine Tasche weggenommen und den gesamten Inhalt ausgeschüttet. Er wollte Geld haben, ich hatte aber zum Glück nichts dabei. Da ist er dann schließlich auch gegangen."

"Und hast du es dann jemanden gesagt?"

"Wozu denn? Das waren Jurastudenten. Deren Väter sind auch alles Anwälte. Die verklagen eher dich, wenn du dich über sie beschwerst."

"Hört sich schon ziemlich hart an, in dieser Zeit zu leben. Aber ich sag ja immer: Es ist einfach zu leben, wenn man die Augen geschlossen lässt und alles missversteht, was man sieht. Aber es ist hart, Jemand zu sein, doch am Ende wird es alles funktionieren. Nicht, dass es für mich von Bedeutung wäre."

"Das... das," fing Emma an: "ist der Songtext von Strawberry Fields, nur auf deutsch übersetzt, du Idiot. Das kann ich auch: "Denk gefälligst für dich selbst, denn ich werde nicht bei dir sein!"

"Toché. Aber heißt es nicht auch in dem Stück: Tu, was du tun willst und geh, wohin du gehst?... Aber immerhin musstest du nicht mit 25 in die Schlacht ziehen."

"Meinst du die Schlacht, in der du gestorben bist?"

Emma hatte anscheinend ein schwieriges Thema angeschnitten.

Yuusuke nickte nur traurig.

"Wie lange ist das denn jetzt überhaupt her?"

"Das war... das müssten jetzt schon 289 Jahre gewesen sein."

"Ui, dann bist du ja schon 314!"

"Herzlichen Glückwunsch! Du kannst rechnen."

"Fick dich!"

"Ey, solche Sprache geziemt sich nicht für eine junge Dame!"

"Fick dich, fick dich, fick dich!", antwortete Emma mehr als Protest, wurde dann aber wieder ernst: "Aber gab es bei euch damals eigentlich auch solche Rüpel?"

"Naja, meine älteren Brüder waren schon manchmal gemein zu mir."

"Aber das ist auch noch heute so unter Geschwistern. Hattest du viele Geschwister?"

"Nur zwei ältere Brüder, drei ältere Schwestern und vier jüngere Schwestern."

Emma war der Mund aufgefallen vor Staunen. "Ne..ne..neun Geschwister?"

"Waren aber nicht alle von der selben Mutter. Mein Vater hatte noch mal geheiratet, nachdem meine Mutter gestorben war."

"Achso."

Yuusuke fuhr stolz fort: "Meine Familie besaß seit Generationen ein kaiserliches Dojo zur Ausbildung junger Samurai. Wie alle meine Brüder und Cousins war es auch meine Pflicht, durch hartes Training zu einem tapferen Krieger heranzuwachsen auf den mein Land stolz sein konnte."

"Und dann hast du versagt."

"Ich habe den Namen meiner Familie beschmutzt," schluchzte er niedergeschlagen.

"Wie ist das denn überhaupt passiert? ...Ich meine, dein Tod."

Yuusuke zögerte.

"Ach komm," meinte Emma. "Ich erzähl es auch keinem weiter."

"Also gut, aber versprich mir, dass du nicht lachen wirst."

"Versprochen!" Emma fragte, sich, was wohl jetzt kommen würde worüber sie nicht lachen sollte.

Also begann Yuusuke zu erzählen: "Da stand ich also mit 25 Jahren in meiner ersten Schlacht. In meinem ganzen Leben hatte ich noch niemals einen Kampf außerhalb des Dojos bestritten, aber ich hatte mir vorgenommen, aus der Schlacht als Held herauszutreten. Ich hatte mich also an vorderste Front gestellt und als der Befehl zum Angriff kam, stürmte ich als erster los."

"Aber das ist doch eher heldenhaft, als feige. Dafür brauchst du dich doch nicht zu schämen."

Yuusuke lächelte verlegen und fügte dann hinzu: "Nach den ersten zwei Metern stolperte ich über einen Stein, fiel unglücklich und schlitzte mir aus versehen mit meinem eigenen Schwert die Kehle auf."

Emma konnte sich nicht mehr halten und brach in Lachen aus.

"Hey, du hast gesagt, du würdest nicht lachen."

Emma hatte vor lachen Probleme zu sprechen "Da wusste ich aber auch noch nicht, wie witzig die Geschichte war."

"Soll ich dich vielleicht mal auslachen? Willst du wissen, wie sich das anfühlt?"

Emma lachte nur.

"Oh, die kleine Emma," fing er höhnisch an, "die hängt in ihrer Wohnung Yaoi-Bilder auf und lässt sich von Jurastudenten mobben. Ha, ha, ha."

Emma hörte auf zu lachen.

"Sag mal, könntest du mir einen Gefallen tun?", fragte sie.
 

Emma brauchte nicht lange zu suchen. Sie war einfach zur Jurafakultät gegangen und hatte vor dem Eingang gewartet. Als Jassin aus dem Gebäude gekommen war, hatte sie laut gerufen: "Jurastudenten sind alles nutzlose Idioten, die sich von ihren Eltern aushalten lassen und nicht wissen, was sie sonst tun sollen!"

Sie hatte gar nicht mal damit gerechnet, dass ihre Taktik so gut funktionieren würde, aber Jassin schluckte sofort den Köder.

Emma rannte weg und Jassin hinterher.

Er war zwar schneller als sie, aber sie umrundete die Passanten geschickter und konnte so mit Mühe und Not den kurzen Vorsprung aufrecht halten.

Emma bog auf ein altes Industriegelände ab und hielt auf eine alte Lagerhalle zu. Fast hätte Jassin sie auf den letzten Metern noch erreicht, doch sie schlug einen Haken und verschwand in der Tür, die sie schon früher am Tage geöffnet hatte.

Nun war sie im Vorteil. In den engen, dunklen Gassen, die sich zwischen den Kisten gebildet hatten kam sie erstens durch ihre Größe schneller voran und konnte sich zweitens leichter verstecken, sobald sie aus seiner Sicht verschwunden war. Sie musste sich auch nicht besonders lange verstecken, nur so lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatte.

Als Jassin außer Sichtweite war, kroch Emma leise in eine große Kiste und schloss sie wieder.

Sie konnte hören, wie er den Gang herunterging.

Er rief: "Du brauchst dich gar nicht zu verstecken. Ich finde dich schon."

Dann ging er weiter und bog in einen anderen Gang ein.

Nach kurzer Zeit hörte sie eine tiefe, bekannte Stimme sagen: "Ich hoffe, du magst es, Schwertklingen in deinem Körper zu spüren. Denn meine Freundin hat mich beauftragt, dich aufzuschlitzen."

Dann vernahm Emma einen Schrei und hörte, wie jemand schnell davon lief. Ab und zu riss er dabei ein paar Kisten herunter, die mit einem Krachen herunter fielen.
 

Als die Geräusche verschwunden waren, kam Emma kichernd aus ihrem Versteck heraus und ging zu Yuusuke, der inzwischen wieder normal gekleidet war.

"Der kommt so schnell nicht wieder," sagte sie lachend.

"Und er wird bestimmt auch nie wieder in seinem Leben eine Lagerhalle betreten," fügte Yuusuke hinzu.

Kapitel 6
 

Der November neigte sich dem Ende. Inzwischen war fast ein Monat vergangen seit Emma in ihre neue Wohnung umgezogen war.

Gerade saß sie im Hörsaal, den Kopf auf den Tisch gelegt und Augen geschlossen, wartend darauf, dass die Vorlesung begann.

Was Emma dadurch nicht sah, war das Mädchen, das den Hörsaal betrat. Sie hatte lila gefärbte Haare und trug einen weißen Laborkittel. Offensichtlich war sie keine Kunststudentin und so waren alle Blicke auf sie gerichtet. Das war ihr offenbar auch bewusst, denn sie schaute sich kurz um, und ging dann auf die einzige Person zu, die sie nicht anstarrte. Und das war nun einmal Emma.

Sie klopfte Emma auf die Schulter: "Moin!"

Emma schreckte hoch und blickte in das Gesicht des Mädchens.

"Wer bist du?"

"Ich heiße Ariane Lorentz und studiere Chemie. Aber viel wichtiger: Du bist doch Kunststudentin, oder?"

"Ja, schon."

"Kannst du ein Portrait für mich malen?"

Bevor Emma antworten konnte, zeigte sie ihr ein Foto.

"Kannst du mir das hier in groß malen? Du kannst auch gerne noch ein wenig Drama hinzufügen. Da vertraue ich dir voll und ganz."

Nicht wissend, was sie davon halten sollte, antwortete Emma: "Ich bin nicht so gut in Portraits."

"Ach komm, du kriegst auch einen Lohn dafür," antwortete sie schnell.

"Ehm, naja..."

Ariane fasste dies offenbar als ja auf, denn sie sagte nur noch: "Super!", und ging wieder genauso schnell, wie sie gekommen war.

Emma fühlte sich ein wenig überrumpelt.

'Was war das denn eben gerade gewesen?', fragte sie sich.
 

Den Rest der Vorlesung dachte sie nicht mehr wirklich an den Vorfall mit der Chemiestudentin. Erst, als sie gerade gehen wollte, fiel ihr Blick auf das Foto, dass sie hinterlassen hatte. Es zeigte Ariane, wie sie lächelnd vor einer riesigen Explosion stand.

'Ist wohl mit Selbstauslöser gemacht,' erkannte Emma.

Dann nahm sie das Foto in die Hand, weil sie es nicht dort liegen lassen wollte und ging nach Hause.
 

Sie betrat ihre Wohnung und betrachtete Stolz die Wände, die sie komplett von Löchern befreit hatte. Und statt Kleidung oder Yaoi-Bildern hingen jetzt normale Kunstwerke von ihr an der Wand.

Nichts böses ahnend ging sie ins Wohnzimmer, wo Yuusuke saß.

"Ah, Emma-san. Du bist zurück!"

"Ja, ich bin zurück."

Da vernahm sie plötzlich Schritte von der Seite.

Sie wandte sich um und sah einen braunhaarigen Mann, der in nichts als ein Handtuch gekleidet war.

"Yo," sagte er.

Emma wandte sich zu Yuusuke: "Wer. Ist. Das?", fragte sie auf den Unbekannten deutend.

"Das ist Fritz. Ich hab ihn unter einer Brücke getroffen."

"Du hast was?"

"Find' ich echt nett, dass ihr mich hier duschen lassen habt," meinte Fritz.

"Unter einer Brücke?", fing Emma an. "Willst du damit etwa sagen, dass er..." flüsternd fuhr sie fort: "...ein Penner ist?"

"Nennt man das so?" fragte Yuusuke. "Einen Penner?"

"Ja, das nennt man so," antwortete der Penner. "Aber deshalb braucht ihr doch nicht vor mir zu flüstern."

Emma lief rot an.

Fritz schmiss sich auf das Sofa.

Emma zögerte zunächst; setzte sich aber dann verlegen auf den Sessel, den sie letzte Woche vom Sperrmüll aufgelesen hatte. Er war rot, modern und passte überhaupt nicht zu dem alten blauen Sofa, welches sie schon früher auf einem anderen Sperrmüll gefunden hatte.

"Also," begann sie verkrampft lächelnd. "wie habt ihr euch denn kennen gelernt?"

Yuusuke erzählte: "Heute Nachmittag bin ich in der Stadt herumgeflogen und hab Fritz entdeckt."

"Und wir ham uns unterhalten und am Ende hat er mich zu euch nach Hause eingeladen," fügte Fritz hinzu.

"Ach, hat er das?", fragte Emma, Yuusuke böse anstarrend.

"Ja, das habe ich."

Dann fiel Emma ein: "Aber hattest du denn keine Angst vor ihm?"

"Warum sollte denn ich vor ihm Angst haben?", fragte Yuusuke.

"Ich mein doch nicht dich, sondern ihn da."

"Fritz. Fritz ist der Name," sagte Fritz.

"Und? hattest du jetzt Angst?"

"Weil er 'n Geist ist?"

"Nein, weil er Japaner ist... Natürlich, weil er ein Geist ist!"

"Du tust ja gerade so, als wär das was besonderes," meinte Fritz.

Emma war verwundert: "Kennst du etwa noch mehr... Geister?"

"Och, nur 'ne Hand voll in Hamburg. Und in Dresden hab ich auch schon mal zwei gesehen."

Emma hatte ja gar keine Ahnung gehabt. Sie hatte immer gedacht, Yuusuke wäre irgendein besonderes Phänomen. Oder dass es zumindest nicht ganz so viele Geister auf der Welt gab.

"Es gibt also ganz viele Geister," sagte sie schließlich mehr zu sich selbst.

"Ein guter Freund von mir ist auch Geist," fügte Fritz hinzu. "Der war Ritter im Mittelalter."

"Und? Auch gleich in der ersten Schlacht gestorben?", meinte Emma mit Blick auf Yuusuke, der sich daraufhin gekränkt in eine Ecke setzte und den Kopf hängen ließ.

"Nee, Typhus."

"Achso," nickte Emma.

Ein Moment Stille.

Dann fragte sie: "Und wie bist du auf der Straße gelandet?"

"Bin aus der Psychiatrie ausgebrochen."

'Oh Gott? Was habe ich mir da ins Haus geholt? Vielleicht ist er ein geistesgestörter Mörder?', dachte Emma panisch.

Fritz erriet ihren Gedanken: "Brauchst keine Angst vor mir zu haben. Bin kein Massenmörder. Hatte nur 'ne schwere Zeit."

Emma fiel ein Stein vom Herzen.

"Aber hast du denn keine Eltern, bei denen du wohnen kannst."

"Nee, sind auch schon gestorben."

"Oh,... das tut mir aber leid." Emma fühlte Mitleid mit ihm. "Wenn du willst kannst du gerne hier bleiben, ... bis du etwas besseres gefunden hast."

"Will ich aber nicht," wies er sie ab. "Ich kann nur draußen schlafen. Drinnen krieg ich immer Albträume."

"Schade," sagte Emma, fühlte sich aber eigentlich ein wenig erleichtert deshalb.

"Aber ich ess' gern noch was," unterbrach er sie Stille.

Emma fühlte sich wieder ausgenutzt. Aber wegschicken mochte sie ihn jetzt auch nicht mehr.

"Na gut," sagte sie schließlich. "Ich bin aber kein Meisterkoch. Und ich hab auch nicht so viel da."

"Wenn du willst, kann ich auch kochen," bot Fritz an.

Doch Emma wehrte ab: "Schon gut; ich mach das schon."

Da stand Emma auf und ging in die Küche.

Sie öffnete gleich zwei Dosen Eintopf statt einer. Dann überprüfte sie den Topf, der auf der Spüle stand. Er war noch dreckig vom Vortag, aber sie hatte nur Suppe darin gekocht und so schüttete sie den Inhalt hinein.

Als sie zu kochen anfing, hörte sie Fritz aus dem Flur rufen: "Was ist denn das für 'n cooles Foto mit der Explosion?"

Emma fiel das Foto der Chemiestudentin ein, das sie vorhin auf der Kommode abgelegt hatte. Sie rief zurück: "Das Mädchen auf dem Bild will, dass ich ihr das als Gemälde male."

"Aha."

"Ich glaube, das Mädchen mag Explosionen." Das war Yuusuke gewesen.

Als Emma mit dem aufgewärmten Eintopf in das Wohnzimmer kam, hatte sich Fritz inzwischen auch wieder seine alte und geflickte Kleidung angezogen.
 

Nach zwei weiteren Stunden, die sie zu dritt im Wohnzimmer verbracht hatten, hatte sich Fritz verabschiedet und war zurück in die kalte Novembernacht gegangen.

Emma hatte ihren Laptop eingeschaltet und hatte die Chatseite geöffnet, auf der sie sich immer mit Lina unterhielt.

Besagte war auch gerade da und fing an, über ihren Freund zu erzählen. Lina vermutete, dass er eine Andere hinter ihrem Rücken habe, hatte aber keine Beweise.

Emma musste den restlichen Abend dazu verwenden, ihre aufgebrachte Freundin zu trösten. Und das war keine leichte Aufgabe, denn sie hatte eigentlich keine Ahnung vom trösten.
 

In der Mittagspause vor ihrer nächsten Vorlesung hatte sich eine unausgeschlafene Emma gerade in die Kantine gesetzt.

"Hallo Kunststudentin!", ertönte es hinter ihr.

Emma wandte sich um und sah die Chemiestudentin mit den lila Haaren von gestern auf sie zukommen.

"Wie geht's, wie steht's?", fragte sie Emma und setzte sich neben sie. "Wie weit bist du schon mit meinem Portrait?"

"Ehm," antwortete Emma überlegend. Die verrückte Chemiestudentin hatte sie ganz über der Aufregung mit dem Penner und dann Lina vergessen.

"Läuft gut," sagte sie dann schließlich.

"Das freut mich," meinte die Chemiestudentin und packte eine riesige Brotdose aus ihrem Rucksack aus. "Wie ist eigentlich der Name meiner Künstlerin?"

"Emma... Emma Schneider."

"Oh, ein Schneider!", rief sie aus und fügte hinzu: "Du malst aber doch das Bild und nähst es nicht zusammen?"

"Wie soll ich denn ein Bild zusammen nähen?", fragte Emma verwundert.

"Das ist ein Wortwitz gewesen. Weil dein Nachname doch Schneider ist und die die Kleidung zusammennähen."

Der Witz war so schlecht gewesen, dass Emma ihn gar nicht erst als solchen erkannt hatte.

"Ich habe deinen Namen vergessen."

"Ariane Lorenz. Wie die Lorentzkraft."

"Aha," sagte Emma und glaubte diesen Begriff schon einmal vor langer Zeit im Physikunterricht gehört zu haben.

"Was hast du da zum Mittagessen mitgebracht," fragte Emma verstört, als Ariane ihre Brotdose gerade öffnete.

"Das ist Soufflee," antwortete diese, als wäre es das normalste auf der Welt.

"Hast du immer Soufflee mit?"

"Nein, nur manchmal."

"Achso, was hast du denn sonst mit?"

"Verschiedenes." Ariane holte auch noch Besteck aus ihrer Tasche und begann zu essen.

"Was denn zum Beispiel?"

"Gestern hatte ich Krabbensuppe dabei und vorgestern Fischpudding."

"Aha." 'Bin ich eigentlich nur von Verrückten begeben?', fragte sie sich.

"Mal was anderes: Kannst du eigentlich mit den Ohren wackeln?"

"Was?", fragte Emma nach.

"Ob du mit den Ohren wackeln kannst."

"Nein?"

"Schade, ich auch nicht."

"Wie kommst du darauf?" Yuusuke kam ihr inzwischen schon fast wie eine normale Person vor.

"Ist das nicht etwas interessantes, um neue Freunde besser kennen zu lernen?"

Zwei Dinge störten Emma an dieser Aussage: 1. Die Annahme, es wäre ein interessantes Kennlernthema und 2. dass diese Verrückte sie gerade als einen neuen Freund bezeichnet hatte.

Ariane fuhr fort: "Kennst du denn jemanden, der mit seinen Ohren wackeln kann?"

"Ich glaube nicht. Ich habe aber auch noch niemanden je gefragt."

"Dann musst du mal nachfragen."

"Okay, mache ich. Ich muss jetzt aber zur Vorlesung."

"Ach so, dann bis später."

Emma stand auf und verschwand, ohne sich noch einmal um zu drehen.

Die Vorlesung begann zwar erst in einer Stunde, aber Emma war froh, die verrückte Chemiestudentin endlich los zu sein.
 

'Das wird ihr so was von nicht gefallen,' dachte Yuusuke kichernd.

"Da fehlt noch etwas Muskat," meinte Fritz.

"Ich glaube, die Gewürze sind hier," antwortete er und öffnete eine Schranktür.

"Salz, Pfeffer, Chillipulver, Knoblauchsalz. Ist das alles, was ihr habt?"

"Kann sein. Ich koch nicht so oft."

Fritz betrachtete Yuusuke, der zufrieden in sich hinein kicherte.

Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen.

Yuusuke grinste breit, beherrschte sich dann aber und schaute nun unschuldig.

"Bist du da, Yuusuke?"

"In der Küche!"

Emmas Stimme kam näher: "Was riecht hier denn so gut?"

Als sie in der Küchentür stand, blieb sie überrascht stehen. Doch anstatt wütend zu werden, seufzte sie nur und meinte: "Fritz, was für eine Überraschung!"

"Ich wollt' mich für die Gastfreundlichkeit gestern revanchieren und dachte mir, ich koch' was schönes."

"Fein." Sie wagte es gar nicht mehr, weiter nach zu fragen. "Ich geh duschen."

Man hörte nur ihre Schritte in Richtung des Badezimmers gehen, sie einen weiteren Seufzer ausstoßen und dann ihre Schritte, wie sie wieder zurückkamen.

Sie schmiss den fluffigen, rosa Rettungsring auf Yuusuke und ging wortlos.

Yuusuke rief ihr noch hinterher: "Der ist, damit du in der Badewanne nicht ertrinkst!" Doch sie antwortete nicht.

'Irgendwie macht das keinen Spaß, wenn sie sich nicht darüber aufregt,' dachte er.
 

Zum Abendessen gab es Kartoffelgratin.

"Ich bin wirklich überrascht," meinte Emma. "Woher kannst du denn so gut kochen? Du hast doch nicht einmal eine Küche."

"Ich war nicht immer obdachlos. Und du brauchst mal ordentliche Gewürze in deiner Küche."

"Für mich reichen die."

"Salz ist alles, was man im Haus haben muss," warf Yuusuke ein.

"Um mir mein Essen zu versalzen?", fragte Emma.

"Nein. Gegen die Dämonen, Dummerchen."

"Ich mag meine aber lieber mit Pfeffer," konterte sie und versuchte das Thema zu beenden: "Fritz, kannst du eigentlich mit deinen Ohren wackeln?"

"Ja, du etwa nicht?"

"Nein?"

"Echt nicht? Das kann doch jeder," meinte Yuusuke dazu.

"Du zählst nicht," antwortete Emma. "Du bist ein Geist."

"Was hat das denn damit zu tun?"

"Ja, das ist echt unlogisch," bestärkte Fritz Yuusuke.

"Okay, okay. Aber meine Freundin kann auch nicht mit den Ohren wackeln."

Emma fasste nicht, dass sie dieses verrückte Mädchen mit den lila Haaren gerade als ihre Freundin bezeichnet hatte.

"Du hast eine Freundin?" Selbst Yuusuke war skeptisch.

"Ist es etwa so verwunderlich?", fragte Emma trotzig.

Da fiel Fritz ein: "Meinst du etwa das Mädchen auf'm Foto mit der Explosion?"

Das Foto hatte sie total vergessen. "Ja, genau die meine ich."

"Was? Du hast wirklich eine Freundin?", fragte Yuusuke theatralisch. "Und da denkt man, man kenne eine Person."

Emma versuchte ihn zu hauen, doch ihre Hand ging glatt durch seinen Körper durch.

"Gewalt!", schrie Yuusuke.

"Klappe", antwortete Emma.

"Sie wollt' doch ein Gemälde davon?", fragte Fritz.

"Genau."

"Das hab ich heut' gemalt."

"Was?", fragte Emma überrascht.

"Ich hab das Gemälde heute gemalt. Es steht im Flur. Soll ich's hol'n?"

"Du hast das Gemälde gemalt?"

"Sag ich doch die ganze Zeit." Fritz stand auf, ging in den Flur und kam mit einem großen, aufgerollten Bogen Papier wieder.

Er überreichte es Emma, die es vorsichtig ausrollte.

Das Gemälde war erstaunlich gut. Ariane sah sehr realistisch aus und die Explosion war dramatisch angehaucht.

"Wow," stieß Emma hervor.

"Ich hab den Himmel grün gemalt. Das sieht cooler aus."

"Das hast wirklich du gemalt?"

"Ja, das sag ich doch die ganze Zeit. Glaubst du mir etwa nicht? Bloß weil ich obdachlos bin?"

Emma antwortete nicht und starrte nur wie gebannt auf das Bild.

"Erst diskriminierst du Geister und dann auch noch Obdachlose," fing Yuusuke an. "Womit haben wir das nur verdient?"

"Klappe," antwortete Emma kurz und starrte wieder das Bild an.
 

Am Abend des nächsten Tages wartete Emma zusammen mit Fritz an dem Treffpunkt, den Ariane Emma genannt hatte.

Am Nachmittag hatte sie vor der Chemiefakultät gewartet.

Endlich hatten sich die Türen geöffnet und die Studenten, die das Gebäude verlassen hatten, hatten alle den Geruch nach Rauch mit sich gebracht.

Als letzte war auch Ariane durch die Tür gekommen. Sie hatte am stärksten nach Rauch gerochen

"Emma! Das ist ja eine Überraschung!"

"Hi! Ich hab dein Gemälde dabei."

Emma hatte den Bogen Papier vorsichtig entrollt und ihr den Inhalt gezeigt.

"Cool." Wie gestern Emma hatte auch Ariane das Bild eine Weile sprachlos angestarrt.

"Das hab aber nicht ich gemalt," hatte Emma erklärt, doch Ariane schien es nicht gehört zu haben, so gebannt hatte sie auf das Bild gestarrt.

Nach einer Weile hatte sie dann gemeint: "Ich geb' dir deinen Lohn heute Abend. Sei um Acht vor dem Bahnhof Dammtor. Ich muss jetzt aber los, hab noch viel vorzubereiten."

Mit den Worten war sie abgezogen, bevor Emma noch etwas hatte erwidern können.

Emma hatte daraufhin Fritz unter seiner Brücke aufgesucht. Wenn einer den Lohn verdient hatte, dann er.

So standen sie nun um fünf nach Acht vor dem Bahnhof und froren in der kalten Novembernacht.

Da tauchte auch Ariane auf. "Hallo Emma!"

Sie blickte auf Fritz. "Und wer ist das?"

Emma stellte ihn vor: "Das ist Fritz. Er hat das Bild gemalt."

"Du bist doch kein Polizist?", fragte Ariane ihn. Emma ahnte böses.

"Nein, ich bin Penner."

"Cool. Na dann kommt mal. Je mehr, desto besser."

Die beiden folgten Ariane, Emma mit einem unguten Gefühl.
 

Ariane führte sie auf ein verlassenes Industriegelände an den Schienen.

"Da wären wir. Bleibt dort am besten stehen."

Ariane ging etwa fünfzig Meter weiter, auf ein paar Kisten, die auf dem Boden standen, zu.

Man sah, wie sie etwas aus ihrer Tasche holte und es entzündete.

"Aaaa, Feuer," rief Fritz und versteckte sich hinter Emma.

Nachdem Ariane eine Art Lunte angezündet hatte, kam sie auf die beiden zu gerannt und stellte sich zu ihnen.

"Gleich ist es so weit."

Emma war etwas mulmig zu Mute und Fritz, der sich immer noch hinter ihrem Rücken versteckte, machte das Gefühl nicht besser.

Ein scharfer knall ertönte.

Ariane begann breit zu grinsen und starrte auf den Himmel herauf.

Emma sah ihr Gesicht grün aufleuchten und schaute selbst auf den Himmel.

Feuerwerk erleuchtete mit leisem knallen in allen Formen und Farben.

Fritzs Griff lockerte sich, als er selbst in den Himmel schaute.

"Wow," sagte er.

"Toll, nicht wahr? Das habe ich alles selber gemacht."

"Du hast das Feuerwerk selbst zusammengebaut?", fragte Emma.

"Und das Schwarzpulver synthetisiert."

"Hätte ich nicht besser hingekriegt," meinte Fritz dazu.

Die restlichen fünf Minuten starrten sie schweigend in den Himmel.

Das Feuerwerk ebbte ab.

"So, das war der Testlauf für Silvester gewesen," meinte Ariane. "Nun aber schnell weg hier"

Sie sprintete auf die Boxen zu, griff sie und rannte genauso schnell zurück.

"Na, setzt euch in Bewegung! Weg hier!"

Ariane hielt nicht an und rannte an ihnen vorbei.

Fritz folgte ihr und Emma tat es ihm langsam gleich. Beide waren sehr viel schneller als Emma und als sie endlich auf die Straße kamen, hatten sie etwa zweihundert Meter Vorsprung.

Emma keuchte, als sie sie eingeholt hatte.

"Die aller sportlichste bist du aber nicht," kommentierte Ariane. "Ich muss dich wohl mal zum Joggen mitnehmen.

Außer Atem fragte Emma: "Warum... müssen... wir... überhaupt... weg... rennen?"

"Nur für den Fall," antwortete sie.

"Welchen Fall?"

"Na, dass jemand die Bullen gerufen hat," erklärte Fritz.

Ariane fügte hinzu: "Feuerwerk braucht außer an Silvester eine Genehmigung. Und selbstgebasteltes Feuerwerk ist schon mal sowieso verboten."

'Wo bin ich da nur wieder hineingeraten?', fragte sich Emma zum wiederholten Male seit den letzten paar Tagen.

Kapitel 7
 

Mit einem Geist zusammen zu leben, bedeutet keine Privatsphäre zu haben. Kann man sich normalerweise gegen Mitbewohner durch das Zuschließen einer Tür schützen, schwebt der Geist einfach durch die Tür hindurch.

Emma konnte ein Lied davon singen. Ständig schwebte der Geist in das Badezimmer, wenn sie gerade duschte.

"Kann ich mir mal deine Zahnpasta ausleihen?"

"Aaa, komm gefälligst nicht ins Bad, wenn ich nackt bin!"

"Ach, ich hatte sieben Schwestern. Du hast nichts, was ich nicht schon gesehen hätte."

Das war die bescheuertste und hartnäckigste Begründung überhaupt zu diesem Thema.

"Das ist mir so was von egal! Raus hier!"

"Und die Zahnpasta?"

"Wozu braucht ein Geist Zahnpasta?"

"Darf ich etwa, bloß weil ich ein Geist bin, keine Zahnpasta haben? Du bist ja rassistisch... äh... geististisch..."

"Nimm sie!", unterbrach Emma ihn. "Und raus aus dem Badezimmer!"
 

Als Emma mit Duschen fertig war und das Bad verließ, fand sie den Geist in ihrem Schlafzimmer vor. Er stand mit dem Rücken zu ihr gewandt am Fenster. Als Emma näher kam, erkannte sie wozu der Geist die Zahnpasta gebraucht hatte: Er hatte mit der Zahnpasta angefangen, auf der Fensterscheibe zu malen.

"Yuusuke," versuchte sie ruhig zu sagen, "was machst du da?"

"Ich dekoriere die Fenster. Bald ist Weihnachten."

"Mit Zahnpasta?" Emma rang sich ein lächeln ab.

"Macht man das nicht so? Die Nachbarn haben auch so eine Dekoration."

"Das ist ein Spray, das genau dafür gemacht ist."

"Oh, mein Fehler." Der Geist wirkte nicht gerade schuldbewusst.

"Mach es ab," sagte sie zu ihm in einem Ton, wie man mit einem Kind redet, welches Unsinn gemacht hat.

"Von allen Fenstern?"

"Alle Fenster?", wiederholte Emma erschrocken und rannte so schnell wie möglich die Küche.

Auch dort befand sich die Zahnpasta an der Fensterscheibe. Das Motiv sah allerdings nicht besonders Weihnachtlich aus. auf der einen Scheibe war ein riesiger Penis aufgemalt und auf der anderen Stand spiegelverkehrt: Wahlrecht den Geistern! Stoppt die Unterdrückung der Geister!

Plötzlich wurde Emma klar, dass die Fenster zur Straße hin ausgerichtet waren.

Panisch und peinlich berührt sprintete sie zu den Fenstern und verwischte erst den Penis und danach den Schriftzug.

Erst danach entspannte sie sich ein wenig. Aber nur bis ihr klar wurde, dass Yuusuke vermutlich auch die anderen Fenster verschmiert hatte.

Schnell wieder Blitz rannte sie von Raum zu Raum und Fenster zu Fenster. Erst als sie alle "Kunstwerke" zumindest unkenntlich gemacht hatte, ging sie sehr wütend in ihr Schlafzimmer zurück.

"Her mit der Zahnpasta!"

"Aber..." Der Geist verzog das Gesicht und war kurz davor schon wieder zu weinen. Niedergeschlagen gab er ihr die fast leere Zahnpastatube.

"Ab in die Ecke und denk über dein Verhalten nach." Emma zeigte wütend auf eine Ecke des Zimmers und Yuusuke gehorchte.

Sie holte einen mit Wasser gefüllten Eimer und einen Schwamm.

Weil sie nicht wusste, was Yuusuke anstellen würde, begann sie selber die Fenster zu putzen.

Es klingelte an der Tür.

Bevor Emma Yuusuke aufhalten konnte, war er zu der Wohnungstür geschwebt und hatte diese geöffnet.

"Oh," sagte das Mädchen vor der Tür. "Wohnt hier nicht Emma?"

Emma bog in den Flur ein und erblickte Ariane in voller Joggingmontur.

"Du bist ein Geist, oder?", fragte Ariane Emmas Mitbewohner.

"Sieht so aus," antwortete dieser. Inzwischen war er es gewohnt, dass keiner mehr Angst vor ihm hatte.

"Cool. Kannst du auch durch Wände schweben?"

"Ja, das kann ich. Übrigens, schicke Haarfarbe!"

"Danke, den Farbstoff habe ich selbst synthetisiert."

Emma schaltete sich ein: "Was machst du hier überhaupt, Ariane?"

"Ich wollt dich doch zum Joggen abholen."

"Da hättest du mir aber ruhig vorher Bescheid sagen können."

"Ich hatte deine Telefonnummer nicht."

"Und woher wusstest du, wo ich wohne?", fragte sie verwundert.

"Fritz hat es mir verraten."

Emma dachte an Fritz, der jetzt unter der Brücke, zwei Straßen weiter saß. Ariane und Fritz hatten sich gut mit einander verstanden, als sie sich vor einer Woche zuerst getroffen hatten. "Achso."

"Na, dann zieh dich mal um!"

"Du willst bei der Kälte Joggen?", fragte sie, um sich vor dem Sport drücken zu können.

"Na klar, im Winter ist es viel effektiver."

"Ich hab aber keine Sportsachen." Emma dachte an ihre alten Sportsachen aus Schulzeiten, die sie seit selbiger nicht mehr angehabt hatte.

"Du wirst schon was finden."

"Na, hop, hop! Ein bisschen Sport könnte dir auch mal nichts schaden," meinte Yuusuke dazu.

Emma seufzte. Sie wusste, dass sie nicht mehr darum herum kommen konnte.
 

"Du hast echt ganz schön viel Nachholbedarf," meinte Ariane, als sie vor Emmas Haus anhielt.

"Ich... hasse... Laufen... und Sport... und überhaupt Bewegung," keuchte diese.

"Das waren doch nur zwei Kilometer und ich bin extra langsam gelaufen."

Langsam kehrte ihr Atem zurück.

"Das waren aber zwei Kilometer zu viel!"

Ariane seufzte. Sie blickte auf die grauen Wolken, die tief im Himmel hingen.

"Glaubst du, es wird bald schneien?", fragte sie Emma.

"Kann sein. Denkst du an weiße Weihnachten?"

"Nee, an Weihnachten regnet es immer in Hamburg."

Emma dachte an Weihnachten. Es waren nur noch zweieinhalb Wochen bis dahin, aber die festliche Stimmung war noch nicht bei ihr angekommen.

"Feierst du Weihnachten mit deiner Familie?", fragte Emma Ariane.

"Ich hab keine Familie. Ich bin eine Waise."

Emma wurde wieder bedrückt. Nach Fritz und (offensichtlich) Yuusuke war sie schon die dritte Person in ihrem Umfeld ohne Familie.

"Mach dir keine Sorgen darum. Ich kann mich nicht einmal an meine Eltern erinnern. Und was machst du Weihnachten?"

"Wahrscheinlich komme ich nicht darum herum, mit meinen Eltern zu feiern."

Emma fühlte sich schlecht dafür, dass sie mit ihren Eltern nicht klar kam während andere gar keine mehr hatten.

"Ich lauf jetzt aber besser nach Hause, bevor ich noch kalt werde," verabschiedete sich Ariane und lief davon.

Ihr Lächeln machte es Emma einfacher, das Thema zu vergessen.

Emmas Blick fiel auf den kleinen Edeka an der Ecke und dachte an Yuusuke.

'Ich kann ja mal schauen, ob sie so ein Fensterspray da haben.'
 

Vollgepackt öffnete Emma die Wohnungstür.

"Was soll denn das werden?", fragte Yuusuke auf Emmas Einkauf blickend.

"Kekse!", antwortete diese.

In dem Laden war Emma eingefallen, dass sie schon lange nicht mehr Weihnachtsbäckerei gespielt hatte. Sie fragte sich warum eigentlich. Und so hatte sie zusammen mit den Zutaten auch gleich noch ein wenig Weihnachtsdekoration mitgebracht.

Nun brachte sie die Sachen erst einmal in die Küche und stellte sich Schüsseln und Töpfe bereit.

Emma begann Honig, Zucker, Butter und Milch in einen Topf zu füllen.

Yuusuke betrachtete dies skeptisch.

"Willst du die Zutaten nicht abwiegen?"

"Ich mach das nach Gefühl."

Sie stellte den Herd an.

Kurz darauf begann die Milch über zu kochen und über den Herd zu laufen.

Der Elektroherd zischte.

"Was machst du denn da für einen Unsinn?", fragte Yuusuke.

"Das war nicht mit Absicht!", rief Emma, die völlig überfordert versuchte, den Topf vom Herd zu nehmen.

"Du brauchst einen Topflappen oder Kochhandschuhe dafür."

"Sowas habe ich aber nicht." Emma versuchte es mit einem Geschirrhandtuch, scheiterte aber kläglich.

Yuusuke seufze.

"Lass mich das machen," sagte er und nahm den Topf vom Herd. Da er ein Geist war, konnte er sich zum Glück auch nicht verbrennen.

"Was für ein Rezept hast du denn?"

Emma rechte ihm ihr Smartphone, welches ein Rezept für Kekse anzeigte.

Yuusuke nahm die Waage und begann, die einzelnen Zutaten abzuwiegen. Er erwärmte sie langsam in einem Topf und verrührte sie vorsichtig. Gleichzeitig mischte er in einer Schüssel Mehl, Backpulver, Speisestärke und Zimt. Nachdem er den Inhalt des Topfes etwas abkühlen ließ, mischte er Beide Inhalte zusammen und stellte die fertige Masse zum Abkühlen in den Kühlschrank.

"So, der Teig muss noch eine Stunde kühl stehen bleiben und dann fünf bis zehn Minuten gebacken werden."

Emma hatte ihm die ganze Zeit still dabei zugesehen.

"Ich wusste gar nicht, dass du so geschickt in der Küche bist."

"Und ich wusste gar nicht, dass du dich sooo ungeschickt anstellst."

Emma verzog ihr Gesicht beleidigt.

"Wenn du das so gut kannst, kannst du ja öfters für mich kochen."

"Das kommt gar nicht in Frage. Ich will mich ja nicht überarbeiten."

"Wovon denn überarbeiten?"

"Ich bin ein viel beschäftigter Geist!"

Emma konnte sich kein Lachen verkneifen.

"Lach nicht," entgegnete Yuusuke beleidigt. "Ich gehöre immerhin der Partei für Geister an.

"Nie von gehört."

"Ach ja? Du wirst schon noch von uns hören, wenn wir die Welt erobert haben."

Emma konnte sich jetzt gar nicht mehr halten und brach in lautes Gelächter aus.

"Immerhin stinke ich nicht so sehr wie du," versuchte Yuusuke sich zu verteidigen.

Emma antwortete: "Ich kann mich aber immer duschen. Und genau das werde ich jetzt auch tun."

Sie ging kichernd ins Bad. 'Partei der Geister!'
 

Zwei Stunden später waren die Kekse gebacken und die Wohnung weihnachtlich geschmückt.

Da sie keine Ausstechformen hatten, hatte Emma die Kekse per Hand geformt. Sie war sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.

Auch Yuusukes Werk war gelungen: Emma hatte noch nie so gute Kekse gegessen.

"Yuusuke, probier doch auch einen!"

"Schon vergessen? Ich bin ein Geist. Ich esse nicht."

"Aber du kannst manchmal Sachen anfassen und manchmal durch sie hindurch schweben."

Yuusuke seufzte. "Na gut, dann zeige ich dir mal, was passiert, wenn ich versuche etwas zu essen."

Er nahm einen Keks und biss ein Stück ab.

Es fiel seinen Hals herunter, dann durch seinen Torso und landete schließlich auf dem Boden. "Schmeckt köstlich!", sagte er ironisch.

"Dann wohl eben nicht."

"Aber wir könnten Fritz und Ariane ein paar Kekse vorbei bringen."

"Und meinen Eltern."

"Okay, du gibst sie deinen Eltern und ich erledige den Rest."

"Meinetwegen." Sie war nicht zu glücklich darüber, ihre Eltern wieder zu sehen, aber Yuusuke konnte sie unmöglich schicken.
 

Seit sie ausgezogen war, war Emma ein paar mal zu Hause gewesen. Ihre Mutter versuchte sie immer noch pausenlos dazu zu überreden, einen der Söhne ihrer Freunde zu treffen und ihr Vater machte die ganze Zeit Andeutungen über die Yaoi-Bilder, die sie in ihrer Wohnung entdeckt hatten.

Emma schloss die Tür zu der Wohnung ihrer Eltern auf.

Sie konnte sie im Wohnzimmer kichern hören.

'Immerhin streiten sie sich nicht.'

Emma rief: "Hallo!" in die Wohnung hinein.

Ihre Eltern tauchten in der Wohnzimmertür auf.

"Hallo, Emma."

"Wie geht es dir."

Beide waren in ausgezeichneter Laune.

Emma ging auf sie zu und reichte ihnen eine Tüte mit Keksen.

"Die hab ich selbst gebacken."

Ihr Vater nahm sie entgegen und seine Gattin meinte ungläubig: "Was? Das hast du gebacken?"

"Deinen letzten Versuch haben wir immer noch in der Küche hängen."

Emma erinnerte sich, warum sie so lange keine Kekse mehr gebacken hatte: Mit Fünfzehn hatte sie versucht, die Kekse ihrer Oma nach zu backen. Das Ergebnis war steinhart und ungenießbar. Dafür war die Form ausgesprochen gelungen und so wurde das Kunstwerk in der Küche aufgehängt und erinnerte sie fortan immer, wenn sie in die Küche kam an ihre Handwerkliche Begabung und daran, dass sie nie wieder Kekse backen wollte.

"Die habe ich aber gebacken," versicherte sie. Sie konnte nicht zugeben, dass Yuusuke den schwierigen Teil übernommen hatte teils aus Trotz gegenüber ihren Eltern und teils weil er ein Geist war, der zufällig in ihrer Wohnung wohnte.

"Dann wollen wir dir mal glauben. Die Formen stammen jedenfalls eindeutig von dir," sagte ihre Mutter.

Ihr Vater fügte hinzu: "Immerhin hast du keine schwulen Pärchen als Motiv gewählt."

Emma sagte nichts.

Ihre Mutter brach die Stille: "Du kommst doch an Weihnachten?"

"Na klar." Das hatte sie befürchtet. Diskutieren brauchte sie das gar nicht erst.

"Gut. Wir haben ein paar Freunde eingeladen," meinte Emmas Mutter.

Emma antwortete in ironischem Ton: "Super." und rang sich ein lächeln ab. Wieder einmal ahnte sie böses.

Kapitel 8
 

Es war Weihnachten. Emma stand im Badezimmer ihrer elterlichen Wohnung und sprach flüsternd am Telefon mit Ariane.

"Ich halt das nicht mehr aus. Du musst mich hier rausholen."

"Was ist denn passiert?", fragte Ariane am anderen Ende der Leitung.

"Hipsters und HipHopper überall!"

"Na gut, ich lass mir was einfallen. Wo wohnst du?"

Emma nannte ihr die Adresse.

"Welcher Stock?"

"Erdgeschoss."

"Prima. In einer halben Stunde bin ich da."

Ariane hatte das Gespräch beendet.

Emma seufzte, setzte ihr schönstes Lächeln auf und ging zurück in das Esszimmer.

"Du warst aber lange weg," meinte ihre Mutter.

Sie betrachtete die volle Runde: Ihre Eltern, drei der Freundinnen ihrer Mutter mit samt Ehemännern, einer Tochter und am wichtigsten: ihre drei Söhne in Emmas Alter.

"War kacken," antwortete Emma ihrer Mutter aus Protest.

"Emma!", ermahnte diese sie.

Emma setzte sich.
 

Früher Am Tag war sie zu ihren Eltern gegangen, um Weihnachten mit ihnen zu verbringen.

Ihre Mutter hatte gekocht und sie hatte ihrem Vater dabei geholfen, das Haus zu schmücken.

Um fünf vor Sechs waren die ersten Gäste erschienen.

"Was geht, Zuckerschnecke?", hatte ihr Sohn Emma gefragt.

Die Eltern hatten dies nur mit einem Lächeln abgetan.

Kurz darauf waren auch die beiden anderen Familien erschienen.

Was auch immer irgendjemand ihnen erzählt hatte: Alle drei hatten die ganze Zeit versucht, sie an zu baggern:

"Hey Baby, bist du vom Himmel gefallen...?" "Ich verbrenn mir gleich die Augen, denn du bist H. O. T" Und so weiter.

Um Acht Uhr hatte sie endgültig genug davon gehabt und hatte sich auf die Toilette entschuldigt.
 

Emma wartete ungeduldig am Esstisch.

Sie stocherte in ihrer halb aufgegessenen Mahlzeit herum.

Die Unterhaltung drehte sich um die Aktuelle Regierung.

Einer der Jungs dachte offenbar, Putin sei in der SPD.

Eine halbe Stunde verging, in der Emma immer nervöser wurde.

Endlich vibrierte ihr Handy in ihrer Tasche.

Heimlich las Emma die SMS unter dem Tisch:

'Halte deine Sachen bereit.'

Dann roch sie es.

Sie konnte nicht sagen, was es war, aber es war definitiv der ekelhafteste Geruch, den sie je gerochen hatte.

Faule Eier? Erbrochenes? Definitiv war Klärwerk dabei.

"Was zum Teufel ist das?", fragte einer der Gäste.

Emma wurde übel. "Raus hier!", rief sie und ging in Richtung Tür.

Die Gruppe folgte ihr.

Leichte Panik breitete sich aus.

Schlauerweise griff sich Emma ihren langen, schwarzen Mantel und ihre Umhängetasche, bevor sie die Wohnung verließ.

Unten, vor dem Haus stellte sich die Gruppe auf und betrachtete die Wohnung im Erdgeschoss.

"Tja, so schnell können wir wohl nicht wieder in die Wohnung zurück," meinte Emma.

"Was zum Teufel war das?", wollte ihr Vater wissen.

"Vielleicht ein Rohrbruch," schlug der Gatte einer Freundin von Emmas Mutter vor.

"Was auch immer, ich geh in meine Wohnung. Man sieht sich." Mit diesen Worten entfernte sich Emma von der Gruppe in Richtung ihrer eigenen Wohnung.

An der nächsten Straßenecke gesellte sich Ariane zu ihr.

"Hat wie ich sehe funktioniert."

"Ja, aber hätte es nicht auch etwas weniger ekelerregendes sein können?"

"Musste doch überzeugend sein."

"Naja. Aber trotzdem danke."

"Gern geschehen. Die Mischung habe ich selbst synthetisiert."

Sie gingen in Richtung ihrer Wohnung.

Emma sagte nach einer Weile: "Willst du nicht den Rest von Weihnachten bei mir und Yuusuke feiern? Ich glaube, Fritz ist auch schon da."

"Na klar," antwortete Ariane glücklich.
 

Emma schloss die Tür zu ihrer eigenen Wohnung auf; Ariane hinter ihr.

Aus dem Wohnzimmer hörten sie leise Weihnachtslieder kommen.

Yuusuke, der sie gehört hatte, kam in den Flur geschwebt.

"Schon zurück, Emma? Hallo Ariane."

"Hi," sagte Ariane und Emma erklärte:

"Ich habs bei meinen Eltern nicht mehr ausgehalten."

Sie gingen ins Wohnzimmer, wo Fritz auf dem roten Sessel saß. "Hey, Homies!"

Ariane antwortete "Wie geht's Fischers Fritze?"

"Seht euch den Weihnachtsbaum an!", meinte Yuusuke.

Der Tannenbaum war klein. Und der Stamm verlief im Zickzack. Geschmückt war er mit alten Bierdosen.

"Den hab ich gefunden," sagte Yuusuke stolz. "Hat nur einen Euro gekostet."

"Und ich hab ihn gekauft und geschmückt," fügte Fritz hinzu.

"Sind das Bierdosen?", fragte Emma.

"Ja, die möchte ich aber später wieder zurück."

Die Mädchen setzten sich auf das Sofa während Yuusuke neben ihnen schwebte. Fritz hatte in Emmas Küche Pizza gebacken.

"Das ist aber nicht besonders viel Pizza für drei Personen," erwähnte Ariane.

"Ich hab ja auch nicht damit gerechnet, dass wir noch so viele werden."

"Tschuldigung," sagte Emma. "Immerhin isst Yuusuke nichts."

"Für den Nachtisch habe ich noch Plätzchen mitgebracht."

Ariane holte eine Dose aus ihrem Rucksack und öffnete sie.

"Die haben sogar alle die Form von Molekülen," erklärte sie stolz.

Und so probierten Emma und Fritz beide Arianes Plätzchen. Sie waren ausgezeichnet.

Beide nahmen gleich einen nach.

"Nicht so stürmisch," meinte Ariane, die bei einem Plätzchen blieb.

Emma fing an zu kichern: "Du bist ein Geist."

"Nein, du bist ein Geist," antwortete Fritz.

"Wir sind beide Geister," sagte Emma daraufhin. "Sag mal, hast du was in die Plätzchen reingetan? Ich fühl mich auf einmal so... fröhlich."

"Ja," auch Ariane hatte inzwischen angefangen zu kichern. "Habe ich selbst synthetisiert."

"Hahahahahaa, sie hat synthetisiert gesagt."

"Ich glaube, ich bin ein Boot."

"Wow, ich habe Hände."

"Ich kann Lucy im Himmel sehen, aber die Diamanten fehlen!"

"Leute? Was ist mit euch?" Yuusuke klang besorgt. Er hatte als einziger keine Kekse gegessen.

"Umarm mich!" rief Emma und stürmte auf ihn zu. Doch ihr Griff ging glatt durch ihn durch und sie fiel auf den Boden. Dort lag sie in einer verdrehten Position und kicherte.

Fritz Blick war derweil auf den Tannenbaum gefallen. "Lass uns Dosentreten spielen!"

"Gute Idee!"

Ariane und Fritz sprangen auf und hechteten zum Baum, doch leider fielen auch sie vorher hin.

"War auch besser so," meinte Ariane. "Du hättest dann bestimmt keinen Dosenpfand mehr bekommen."

"Er wird uns angreifen!", rief Fritz panisch. "Der Weihnachtsbaumkönig wird uns angreifen!"

"Oje, schon ein Horrortrip."

"Muss ich einen Arzt rufen?", fragte Yuusuke.

"Ja, ruf den Doktor! Aber bitte den neunten," verlangte Emma.

"Nee, der zehnte ist besser," protestierte Ariane.

Fritz schrie panisch.

"Nein, der ist viel zu dünn. Den neunten will ich."

"Wie auch immer. Der elfte ist jedenfalls blöd."

"Genau, niemand will den elften. Der ist ja noch fast ein Kind."

Ariane und Emma lachten auf dem Boden während Fritz panisch um Hilfe vor dem Weihnachtsbaumkönig schrie.

Da klingelte es an der Tür.

"Wer kann denn das sein?", fragte Emma kichernd und sprintete auf den Weg zur Wohnungstür.

Sie öffnete sie. Vor der Tür stand ein Mädchen mit kurzen, blonden Locken.

"Hi, hi, hi Lina!", kicherte Emma. Sie streckte ihre Hand nach ihr Aus. "Du bist ja in 3D!"

Yuusuke bog in den Flur ein: "Alles in Ordnung?"

Lina und Yuusuke starrten sich ein paar Sekunden wortlos an.

"Ein Ge...Ge..."

Dann fiel Lina in Ohnmacht.

Kapitel 9
 

Lina wachte auf einem alten, blauen Sofa auf.

Sie schaute aus dem Fenster. Draußen regnete es.

Dann fiel ihr ein, welcher Tag heute war und dachte:

'Es regnet immer an Weihnachten.'

Sie schreckte hoch. Plötzlich erinnerte sie sich an alles, was gestern geschehen war.

Fußschritte näherten sich und Emma tauchte in der Tür auf.

"Na, ausgeschlafen?"

"Emma! Da war ein Ge...ge..Geist!"

Emma lächelte verlegen. "Uhm, was ich wohl vergessen habe zu erwähnen... Mein Mitbewohner ist ein Geist."

"Ein Geist?"

"Ja, ein Geist. Du brauchst aber keine Angst vor ihm zu haben."

"Wirklich ein Geist?", fragte Lina weiterhin fassungslos.

"Ja, er ist aber ganz lieb." 'Jedenfalls meistens," fügte Emma in ihren Gedanken zu.

"Ein schwebender, durchscheinender Geist, der durch Wände gehen kann?"

Emma seufzte. So würde sie nicht weiter kommen.

Sie rief: "Yuusuke!"

Yuusuke kam durch die Wand geschwebt.

"Aaah! Ein Geist!" Lina versteckte sich unter der Wolldecke, mit der Emma sie die Nacht zuvor bedeckt hatte.

Emma dachte daran, dass Lina als einzige von allen, die Yuusuke zu Gesicht bekommen hatten, Angst vor ihm hatte.

"Du brauchst wirklich keine Angst zu haben," versicherte ihr Emma.

Lina lugte unter der Decke hervor.

Der Geist schwebte immer noch in der gleichen Position vor ihr.

"Was geht?", fragte der Geist.

"Siehst du, er tut nichts."

"Und er wird mich nicht Nachts im Schlaf ermorden?"

"Hab ich es letzte Nacht getan?", warf Yuusuke ein. "Nein, habe ich nicht."

Lina entspannte sich ein wenig, aber immer noch auf der Hut vor dem Geist.

"Aber was viel wichtiger ist," fing Emma an. "Warum bist du hier?"

Lina fiel der Grund ihres Besuchs wieder ein.

Sie schaute traurig auf die Decke. Eine Träne begann sich in ihrem Auge zu bilden.

Dann blickte sie Emma an: "Alex hat eine Andere. Ich hab die beiden in seinem Bett erwischt." Lina schluchzte.

"Oh," Emma begann nervös zu werden. Nun musste sie ihre Freundin trösten. Doch was sagt man in solch einem Fall?

Unsicher legte sie einen arm um sie.

Lina fuhr fort: "Ich will ihn nie wieder sehen! Ich gehe weg aus Köln!"

"Ist das nicht ein wenig... drastisch?"

"Mir egal!"

"Und was willst du hier machen?"

"Ich versuch irgendwie in das Physikstudium hereinzukommen. Ich hasse ihn!" Linas Schluchzen hatte sich inzwischen in lautstarkes heulen verwandelt.

"Nun fäll doch erst einmal keine überstürzten Schlüsse."

Ihre Freundin tat ihr Leid und trotzdem fühlte sie sich unangenehm in dieser Situation.

"Schokolade!", fiel Emma plötzlich ein. Das aßen Frauen doch immer bei Liebeskummer. "Jetzt kriegst du erst mal Schokolade zum Frühstück."
 

Nach ein paar Stunden hatte sich Lina wieder fast komplett beruhigt und saß im Wohnzimmer während Emma eine Dusche nahm.

Es klingelte an der Tür.

"Geh du. Wer weiß, wer da ist," sagte Yuusuke, der kurz durch die Wand lugte.

Lina erschreckte sich einen Moment, tat dann aber, was der Geist gesagt hatte.

Sie ging zum Flur und öffnete die Tür.

Draußen stand ein Penner.

"Hallo hübsche Frau, ist die Dusche gerade frei?"

Lina knallte die Tür zu.

"Ey, war das Fritz?", fragte Yuusuke und öffnete die Tür. "Komm rein, Fritz."

"Ich glaube, Emmas Freundin mag mich nicht."

Lina klopfte an der Badezimmertür. Sie war nicht abgeschlossen und so betrat sie den Raum.

"Emma, da ist ein Penner, der duschen will und der Geist hat ihn einfach so herein gelassen."

"Sag ihm, die Dusche ist gleich frei."

Lina wusste nicht, was sie denken sollte.

Sie verließ das Bad.

"Emma sagt, die Dusche ist gleich frei."

"Prima." Fritz ging in das Wohnzimmer.

Lina blieb lieber in sicherer Entfernung von ihm und begab sich deshalb in die Küche.

"Oh, Kekse." sie hatten eine schöne Form. Lina griff zu. Sie konnte Emma aus dem Badezimmer kommen hören. Sie sprach mit dem Penner und dem Geist, sie konnte aber nicht verstehen, was.

Dann betrat Emma die Küche, das Handtuch auf dem Kopf zusammengerollt.

Emma rief: "Ach du Scheiße! Sind das etwa Arianes Plätzchen?"

Lina betrachtete die Teigware in ihrer Hand. "Oh nein! Ich habe es getötet."

Lina fing an zu heulen. Dann fing sie an hysterisch zu lachen. Dann weinte sie wieder.

Emma wurde leicht panisch.

'Ariane!' Ariane musste helfen können.

Sie suchte nach ihrem Handy. Es musste in ihrem Zimmer sein.

Tatsächlich lag es auf dem Schreibtisch.

Als Emma zurück in die Küche kam, hatte Lina inzwischen die Sprühsahne entdeckt und in ihr Gesicht gesprüht.

"Kuck mal! Ich bin der Weihnachtsmann!"

Linas Version vom Weihnachtsmann sah aus, als hätte Picasso ihn gemalt.

"Sehr schön."

Das Handy verband.

"Auf der Suche nach verlorenen Erinnerungen?", fragte die Stimme auf der anderen Seite.

"Nee, die hab ich noch alle... zumindest so ungefähr."

"Gut, sonst wäre es auch gefährlich gewesen."

"Und so eine Droge gibst du uns zum Essen?"

Emma nahm Lina das Plätzchen aus der Hand, welches sie gerade versuchte in ihren Mund zu stecken.

"Bei mir ist es noch niemals dazu gekommen," erklärte Ariane.

"Ist jetzt doch egal. Ich hab ein viel wichtigeres Problem: Meine Freundin, die von gestern, hat die Plätzchen gefunden und einen gegessen."

"Nur einen?"

"Ja."

"Und deshalb rufst du an?"

"Ja."

"Und? Was ist passiert?"

"Naja, sie ist... happy."

"Ist doch schön für sie."

"If you're happy and you know it clap your hands" Lina klatschte mit den Händen und kicherte.

"Ist aber nicht schön für mich. Was soll ich tun?"

"Leg sie schlafen, pass auf dass sie keinen Unsinn macht und gib ihr am besten noch etwas Baldrian."

"Na, gut. Ich versuche es. Da muss ich aber erst zur Apotheke."

Emma legte auf und nahm die kichernde Lina bei der Hand.

"Auf ins Bettchen!"

"Ich bin aber noch gar nicht müde!"

"Nein, Bettzeit ist sofort."

Emma setze sie auf das blaue Sofa und legte eine Decke über sie.

"Und du passt auf sie auf während ich weg bin", ermahnte sie Yuusuke.

Draußen auf der Straße fiel ihr ein, dass die Apotheken heute geschlossen hatten. Und den Notdienst wollte sie deswegen nicht betrauen.

Doch da war es auch schon zu spät.

Lina hatte das Fenster geöffnet und war lachend hindurch auf ein parkendes Auto gesprungen.

Der Alarm des Autos ertönte.

Emma rannte auf sie zu: "Lina! Was machst du da? Komm da sofort runter."

"Fang mich doch, wenn du kannst!"

Lina rannte davon über die parkenden Autos hinweg, deren Alarme alle dabei ertönten.

Emma sprintete hinterher, doch Lina war viel zu schnell und so verlor sie sie zwei Straßen weiter aus den Augen.

'Ab jetzt gehe ich aber regelmäßig mit Ariane joggen.'

Emma suchte zwar noch eine Weile, doch als sie keinen Erfolg hatte, ging sie schließlich in die Wohnung zurück.

"Solltest du nicht auf sie aufpassen," warf sie Yuusuke vor.

"Sie hat mich gejagt! Und dann ist sie zum Fenster gerannt und war weg bevor ich ein zweites Mal hinsehen konnte."

"Und was machen wir jetzt? Die Polizei anrufen?"

"Sucht ihr die Blondine?" Fritz betrat den Raum. "Da kann ich helfen."

"Wie denn das?", wollte Emma wissen.

"Obdachlosennetzwerk."

"Was?"

"Noch nie Sherlock Holmes gelesen?"

"Ist nicht so meine Art der Literatur."

"Solltest du aber mal. Jedenfalls hat Holmes in London ein Netzwerk aus Obdachlosen aufgebaut, die sich für ihn in der Stadt umhörn. Und genau so was hab ich auch in Hamburg aufgebaut. Ist zwar nicht so groß wie das von Holmes, weil nicht alle mitmachen wollten, aber cool ist's trotzdem."

"Aha, dann such mal schön." Emma klang nicht besonders überzeugt.

"Mach ich auch," sagte Fritz und verließ die Wohnung.

Emma schmiss sich auf das Sofa, auf dem noch immer die Wolldecke lag, mit der sie Lina letzte Nacht zugedeckt hatte.

Jetzt blieb ihr eigentlich nur noch übrig zu warten. Nervös wartete sie auf Nachricht.

Endlich klingelte ihr Handy. Ariane war am Apparat.

"Ich wollte mal nachfragen, wie es so läuft."

"Beschissen. Die Prinzessin ist in einem anderen Schloss."

"Oh, du musst sie aber vor Mitternacht zurück bringen, sonst bleibt sie für immer so."

"Das ist nicht witzig."

"Sag mir Bescheid, wenn sie wieder da ist."

Ariane legte auf und kurz darauf klingelte ihr Handy erneut.

Diesmal war es eine unbekannte Nummer.

"Hallo?"

"Emma? Ich bin's Fritz. Ich hab sie gefunden."

Emma sprang auf. "Wirklich?"

"Ja, sie ist im Schloss Bergedorf."

"Das war nur ein Witz gewesen, dass die Prinzessin im anderen Schloss sei."

"Hä? Sie ist jedenfalls wirklich dort."
 

Sofort machte sich Emma auf den Weg nach Bergedorf. Mit der S-Bahn war sie in einer halben Stunde dort.

Fritz hatte gesagt, sie sei im Keller. Dafür müsse sie sich hinten in das Gebäude schleichen. Emma hoffte, niemand sei da um sie bei dem Einbruch zu erwischen.

Zum Glück war die Tür aufgeschlossen.

Emma betrat das kleine Schloss und suchte nach der Treppe nach unten.

Sie ging langsam die Treppen herunter. Dort befand sich ein Weinkeller.

Emma durchquerte diesen und kam an einer großen Tür an.

Sie öffnete sie.

Dahinter saß Lina, die mit einem Rittergeist und zwei Pennern Mau-Mau spielte. Sie blickten sich um auf Emma.

"Du musst Emma sein," meinte der Rittergeist. "Ich bin Balthasar. Fritz hat mir schon viel über dich erzählt."

"Hi hi hi, Emma Em ma", sagte Lina. Dann fiel sie plötzlich zur Seite und schlief ein.

Kapitel 10
 

Ein Wecker klingelte. Ein weiterer. Und noch einer.

Emma wachte auf.

Immer mehr Wecker klingelten.

Sie öffnete die Augen.

Eine Reihe Wecker stand neben ihr auf dem Boden.

'Wie spät ist es?', fragte sie sich.

Die Wecker zeigten fünf Uhr morgens an.

Emma griff nach einem und schaltete ihn aus.

Doch die restlichen klingelten erbarmungslos weiter.

Todmüde raffte sie sich auf, rollte aus dem Bett und machte sich an das Werk auch noch die restlichen Wecker aus zu stellen.

Aber das Klingeln hörte nicht auf, als sie die Wecker auf dem Boden ausgestellt hatte. Im ganzen Zimmer klingelte es wie wild.

Einer lag auf ihrem Schreibtisch. Ausgestellt.

Einer im Papierkorb. Ausgestellt.

Welche auf der Fensterbank, im Bücherregal und unter ihrem Bett. Ausgestellt.

Nur noch ein Wecker klingelte. Wo war der letzte?

Emma folgte dem Klingeln in Richtung ihres Kleiderschranks. Es kam von dort, war aber viel zu laut, um aus dem Kleiderschrank selbst zu kommen.

Sie stand genau vor dem Kleiderschrank. Das Geräusch kam von oben.

Sie musste auf einen Stuhl klettern, um den Wecker, der auf dem Kleiderschrank lag, auszuschalten.

Endlich kehrte Stille ein.

Doch inzwischen war Emma auch gar nicht mehr müde.

Sie suchte nach Yuusuke: "Du nutzloser Geist, wo versteckst du dich?"

"Warum bist du nicht im Bett?", fragte dieser unschuldig.

"Willst du mich verarschen? Weil du fünfzehn Wecker auf fünf Uhr morgens gestellt hast."

"Oh, da habe ich wohl aus versehen die falsche Zeit eingestellt."

"Bei fünfzehn Weckern?"

"Glaubst du etwa, ich würde lügen?"

"Ich weiß nicht einmal, ob man es eine Lüge nennen kann, wenn es so offensichtlich ist."

"Du bist ja so gemein!" Yuusuke fing an zu weinen. "So wenig Vertrauen hast du also in mich!"

Emma hatte diese Situation schon zu oft erlebt, um Mitleid mit ihm zu haben. Sie wusste, eine weitere Diskussion würde rein gar nichts bringen.

Lina tauchte in der Wohnzimmertür auf.

"Was ist denn hier los, so früh am morgen?"

"Nichts. Schlaf weiter."

Wie auf Kommando schien sie im stehen einzuschlafen. Dann bewegten sich ihre Beine wieder zum blauen Sofa zurück.

Es war der Tag vor Silvester, fast eine Woche nachdem Lina in Hamburg angekommen war. Inzwischen hatte sie sich ein wenig beruhigt und verbrachte nicht mehr Stunden im Wohnzimmer über ihren Exfreund heulend.

Jetzt floss die Müdigkeit auch zurück in Emmas Kopf. Sie bewegte sich zu ihrem Bett um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, denn am Nachmittag würde sie Arbeiten gehen müssen.
 

Emma seufzte.

Am Ende des Monats waren schon die ersten Rechnungen in ihrem Briefkasten eingetroffen.

Ihre Kasse war knapp. Sie hatte zwar Bafög beantragt, aber nicht den vollen Satz bekommen und ihre Eltern wollte sie auch nicht zu sehr belasten.

Darum machte sie sich jetzt auf dem Weg zu ihrem Nebenjob als Kellnerin.

Sie verdiente dort zwar nicht viel, aber es war ein wichtiger Bestandteil um über die Runden zu kommen.

Es war noch Nachmittag und doch war die Sonne schon dabei hinter den dicken, grauen Wolken unter zu gehen, als sie das italienische Restaurant erreichte.

Ihre Schicht verlief reibungslos.

Doch dann am Abend, wollte sie gerade die Bestellung an Tisch 1 aufnehmen.

"Darf ich bei Ihnen denn schon etwas zu trinken aufnehmen?"

Der Gast nahm die Karte herunter und ein Mädchen mit wasserstoffblonden Haaren und Designerkleidung blickte ihr entgegen.

"Oh, Emma. Du lebst ja auch noch," sagte diese höhnisch.

"Olivia, hallo," versuchte Emma freundlich zu sagen.

"Wie ich sehe bist du aus deinem Loch gekrochen und hast dich unter Menschen gewagt."

"Und du? Bist endlich aus Bolivien zurück gekehrt?"

"Es waren die USA."

"Ist doch alles das gleiche. Ich muss jetzt in die Küche."

Emma verschwand.

Von allen Personen, die in dem Restaurant hätten auftauchen können, musste es ja ausgerechnet Olivia sein.

Damals, in der fünften Klasse, als Lina gerade nach Köln umgezogen war, hatte Emma alleine in der Klasse gesessen. Ihre Klassenkameraden hatten angefangen, sie zu mobben, doch dann stellte sich Olivia ihnen in den Weg. Sie wurden beste Freundinnen. Emma himmelte sie an. Sie war reich, schön, hatte immer gute Noten und war ja so erwachsen. Sie vertraute Olivia voll und ganz.

Doch als sie eines Tages nichtsahnend in die Klasse kam, starrten alle ihre Klassenkameraden sie an. Dann fingen sie an, sie auszulachen. "Hure!" "Schlampe!" "Flittchen!"

Emma entdeckte den Grund dafür: Jemand hatte Bilder von ihr in erotischen Kostümen in der Klasse verteilt. Das konnte nur Olivia gewesen sein. Am Tag zuvor hatte sie Emma dazu überredet, die Kleidung an zu ziehen und Fotos zum Spaß zu machen. Da hatte sich Emma noch nichts dabei gedacht.

Sie hatte Olivia angeschaut: "Hast du etwa geglaubt, ich würde mich mit einer wie dir abgeben?"

Seit dem hatte Emma keine Freunde mehr gehabt.

Doch das hatte sich inzwischen geändert. Sie hatte Freunde und fühlte sich wohl bei ihnen.

Trotzdem fragte sie ihren Kollegen, ob er nicht Tisch 1 übernehmen könne. Doch der hatte sich gerade die Hand verbrannt und war auf dem Weg in das Krankenhaus. Emma war also allein.

Tief durchatmend näherte sie sich wieder Olivia.

"Haben sie schon gewählt?"

"Da ist ja mein kleiner Emo wieder. Hast du dich auf dem Weg in die Küche verlaufen?"

Emma schluckte ihren Ärger runter. "Ihre Bestellung, bitte."

"Aw, wie süß. Sie muss freundlich bleiben."

"Wenn sie noch nicht gewählt haben, bediene ich erst einen anderen Tisch."

"Ich nehme den besten Wein, den dieser Laden zu bieten hat und zum Essen die Pasta Italia aber ohne Oliven."

Emma schrieb die Bestellung auf. "Kommt sofort."

Sie reichte die Bestellung in der Küche ein und bediente erst noch einen anderen Tisch.

Dann kam sie mit dem Wein wieder.

Olivia nahm ihn grinsend entgegen, schüttete ihn über Emmas Kleidung und sagte: "Oh, da ist er mir wohl aus Versehen aus der Hand gerutscht. Tut mir echt leid."

Emma zählte innerlich bis zehn.

"Ich hole Ihnen sofort einen neuen."

Emmas Uniform war pitschnass und dunkelrot gefärbt. Sie zog sich um und brachte Olivia ihren neuen Wein.

Diese probierte einen Schluck und spuckte ihn zurück in ihr Glas.

"Igitt! Der ist ja bitter! Bring mir einen, der schmeckt."

Emmas Geduldsfaden war kurz davor, zu reißen. Sie nahm das Glas Wein, ging an die Bar und entleerte einen Zuckerstreuer in den Wein. Damit Olivia es nicht bemerkte, rührte sie ihn um und wischte den Rand sauber.

"Geht doch," meinte diese, als sie ihn probierte.

Doch sie hatte sich schon wieder etwas neues einfallen lassen.

"Aus Versehen" ließ sie ihre Gabel fallen und verlangte nach einer neuen.

Als Emma sich bückte, um die alte Gabel auf zu heben, schrie Olivia: "Oh, ja! Bück dich! Das tust du ja so gerne!"

Das gesamte Restaurant starrte die beiden an.

Olivia fuhr fort: "Wo finde ich denn deine Nacktfotos? Nicht, dass die gut wären, so klein und hässlich, wie du bist. Aber es gibt bestimmt ein paar kranke Typen, die auf dich stehen."

Emma ging wortlos.

Der Koch reichte ihr Olivias Bestellung.

Da hatte Emma eine Idee.

"Hatte ich etwa gesagt, ohne Oliven? Mein Fehler. Sie sagte mit extra Portion Oliven."

"Wirklich?"

"Ja, schütt einfach einen ganzen Haufen Oliven darüber, dann wird es schon in Ordnung sein."

Emma brachte die Oliven mit Pasta: "So, mit extra Oliven für Olivia!"

Olivia starrte ihr Essen fassungslos an.

Emma ging kichernd.

Kapitel 11
 

"Mach dir nichts daraus," meinte Lina. "Heute Abend gehen wir erst einmal auf eine schöne Party."

Nachdem Emma Olivia die Oliven überreicht hatte, hatte diese sich beschwert und Emma war gefeuert worden.

Zu Hause angekommen, hatte sie Lina und Yuusuke alles erzählt.

Den ganzen nächsten Morgen hatte sie schlecht gelaunt in ihrem Zimmer gesessen. Erst als Ariane am Nachmittag vorbei gekommen war, hatten sie es geschafft, Emma aus ihrem Zimmer in das Wohnzimmer zu kriegen.

"Wo finde ich denn jetzt einen neuen Job?"

"Mach dir darum mal keine Sorgen. Das findet sich schon."

"Willst du ein Plätzchen?", fragte Ariane.

Alle schauten sie böse an.

"Was? Danach ist man jedenfalls wieder glücklich."

Emma begann leise zu singen: "I walk a lonely road, the only one that I have ever known..."

"Stopp!", rief Lina und fasste Emma bei der Hand. "Du kommst jetzt mit mir mit und ich machen dich schick für heute Abend."

"Gute Idee," meinte Ariane. "Ich geh auch noch mal kurz nach Hause und zieh mir etwas anderes an. Das Feuerwerk für heute Abend lasse ich hier."
 

Pünktlich um Mitternacht schoss die erste Rakete von Ariane in die Luft. Um sie herum taten es ihnen die Nachbarn gleich, doch Arianes Feuerwerk schien den ganzen Himmel zu dominieren.

Die Gruppe hatte sich auf dem Dach stationiert. Eigentlich war dort niemand erlaubt, doch Ariane hatte sie alle überzeugt. Am Ende war auch Lina mit heraufgestiegen, die sich bis zuletzt geweigert hatte.

Inzwischen trug Emma ein kurzes, schwarzes Kleid mit Rüschen und war von Lina geschminkt und frisiert worden. Irgendwie hatte sie es geschafft, ihr ein richtiges Party-Outfit zu verpassen.

Lina selbst trug ein elegantes rotes Kleid und Ariane stach heraus mit ihrem weißen Kleid, auf dem ein Muster aus Molekülen aufgedruckt war.

Nach einer halben Stunde verebbte das Feuerwerk und die drei Mädchen machten sich auf dem Weg zur Reeperbahn.

"Da vorne ist keine Schlange," schlug Lina vor, aber Ariane war nicht einverstanden:

"Nee, nehmen wir lieber den mit der langen Schlange. Wo viele Leute hin wollen ist es bestimmt besser."

"Na gut."

"Aber es ist kalt," jammerte Emma.

"Dann beweg dich halt."

Nach einer halben Stunde in der Kälte hatten sie es endlich bis zum Türsteher geschafft.

"Ausweise."

Er gab den Stapel Ausweise an Lina zurück.

"Hey, du hast ja in Wirklichkeit braune Haare, Ariane."

"Glaubst du etwa, sie seien von Natur aus Lila? Den Stoff habe ich selbst synthetisiert."

Als sie die Ausweise wieder verteilte, fiel ihr auf: "Cool. Dein Nachname ist ja Lorentz. Wie die Lorentzkraft. Bist du mit dem Verwandt?"

Ariane nahm ihren Ausweis entgegen: "Nee, ich glaube nicht. Ich habe aber auch keine lebenden Verwandten mehr, die ich fragen könnte."

"Leben deine Eltern denn auch nicht mehr?"

"Die sind gestorben, als ich 18 Monate alt war. Und weil ich sonst keine Familie hatte, habe ich von da an im Waisenhaus gelebt."

Emma fühlte sich bedrückt bei dem Thema, doch Lina fragte weiter:

"Kannst du dich denn überhaupt noch an deine Eltern erinnern?"

"Überhaupt nicht. Ist deshalb auch nicht so schlimm für mich gewesen."

"Achso. Wie war es dann die ganze Zeit im Waisenhaus?"

Ariane überlegte eine Weile. Inzwischen hatten sie sich auf die andere Seite des Clubs durchgekämpft, wo die Tische standen.

"Ich würde sagen, es ist wie in einer riesigen Familie aufzuwachsen. Menschen kommen und gehen. Doch ein paar bleiben wie ich ein Leben lang."

"Wollte dich denn keiner adoptieren?", fragte Emma.

"Ein paar schon, doch am Ende wurde niemals etwas daraus. Wenn man erst einmal ein gewisses Alter überschritten hat, sinken die Chancen auf eine Vermittlung enorm. Und ich war sowieso ein... schwieriger Fall."

"Schwieriger Fall?", hakte Emma nach.

"Na ja, ich mochte Chemie schon immer, wohl weil meine Eltern beide Chemiker waren, doch als kleines Kind wagt man sich zu viel und kann aber weniger. Wie beim betrunken sein."

"Was ist passiert?"

"Ich hab die Bude in die Luft gesprengt. Mehrmals."

"Oh," meinte Lina, aber Emma sagte nur:

"Ach so, hätte ich mir ja denken können."

Ein Tisch neben ihnen wurde gerade frei.

Mit schnellen, gezielten Bewegungen näherten sie sich und setzten sich hin bevor eine andere Gruppe diesen Tisch in Anspruch nehmen konnte.

"Also, was wollt ihr trinken?", fragte Ariane.

"Bloody Mary," antwortete Emma.

"So etwas trinkst du?", fragte Lina. "Das ist mit Tomatensaft!"

"Es hat bloody im Namen."

"Und du, Lina?"

"Ehm, ich glaube, ich nehme einen Pina Colada."

Ariane stand auf und verschwand mit dieser Bestellung.

"Woher kennst du die eigentlich?", wollte Lina wissen.

"Die wollte ein Portrait von mir gemalt haben, welches am Ende der Penner gemalt hat und seit dem werde ich die beiden nicht mehr los. Aber inzwischen will ich das auch gar nicht mehr."

"Na ja, wenn man mit einem Geist zusammen lebt, kommen einem solche Leute wohl eher normal vor."

"Anders herum. Yuusuke erscheint mir normaler als Ariane zu sein."

"Aha. Er ist ein Geist."

"Hey, fang jetzt bloß nicht an, auch noch die Geister zu diskriminieren," meinte Emma kichernd.

Ariane kam mit den Getränken zurück.

Anschließend packte sie etwas aus ihrer Tasche aus: Einen Teststreifen und eine Pipette.

Sie nahm die Pipette und entnahm ihrem Getränk etwas Flüssigkeit.

"Was machst du da?", fragte Lina.

"Ich teste auf Vergewaltigungsdrogen. Man weiß ja nie."

Erst nachdem alle Getränke nicht mit dem Teststreifen reagiert hatten, nahm sie zufrieden einen Schluck von ihrer Rum-Cola.

"Ich hab gehört, du willst jetzt nach Hamburg ziehen, Lina?", fragte Ariane.

"Ja, ich will meinen Ex nie wieder sehen."

"So schlimm?"

"Ja, sogar noch schlimmer."

"Und was willst du hier machen?", hakte Ariane weiter nach.

Lina überlegte kurz: "Vielleicht versuche ich, in das Physikstudium hier noch hereinzukommen."

"Das wird aber nicht möglich sein," meinte Emma dazu.

"Vielleicht ja doch," sagte Ariane. "Es gibt immer wieder welche, die abspringen. Hast du denn an einer anderen Uni schon Physik studiert?"

"Ja, in Köln. Ich habe aber erst Oktober angefangen. Da dachte ich, dass die mich vielleicht noch hereinlassen, so ganz am Anfang."

"Da sind die Chancen zumindest höher," erklärte Ariane. "Aber hast du erst letztes Jahr dein Abi gemacht?"

"Nee, ich war vorher ein Jahr in England als Freiwillige. Dort habe ich auch meinen Freund kennen gelernt." Lina fing an zu schluchzen. "Ich bin nur wegen ihm in Köln geblieben. Eigentlich wollte ich schon immer wieder her ziehen."

Lina schaute traurig auf ihr fast leeres Glas. Dann sprang sie plötzlich auf.

"Aber genug von dem traurigen Thema." Sie packte Emma bei der Hand. "Komm, lass uns tanzen."

"Ich tanze nicht," versuchte Emma zu protestieren.

Doch Ariane schob sie von hinten auf die Tanzfläche während Lina sie zog. "Keine Müdigkeit vorschützen!"

Lina und Ariane begannen zu tanzen.

Emma blieb stehen.

Um sie herum bewegten sich die Körper.

Lina und Ariane schienen sie nicht mehr weiter zu beachten und so nutze sie die Chance und schlich sich von der Tanzfläche an die Bar.

"Einen Tequila Sunrise, bitte."

Sie schaute sich an der Bar um: In der Mitte war zwar ein Gedränge darum, als erster Bedient zu werden. Doch am linken Flügel, wo sie jetzt selbst saß, war kaum eine Person. Links neben ihr saß nur noch ein anderer junger Mann, der an seinem Getränk nippte.

Inzwischen war auch ihr Getränk fertig gemixt. Sie bezahlte und nahm einen Schluck.

Der Typ neben ihr sprach sie an: "Na? Auch so alleine an der Bar?"

Emma erklärte: "Meine Freunde sind Tanzen, aber ich mag es nicht zu tanzen."

"Geht mir genauso." Er lächelte sie an. Seine grünen Augen leuchteten im Licht der Bar. Er strich sich eine blonde Strähne aus seinem Gesicht und wollte wissen: "Wie ist dein Name?"

Emma zögerte. Bei neuen Menschen war sie immer vorsichtig, aber dieser schien nett zu sein. Und sie fand, dass er sehr gut aussah.

"Emma, und du?"

"Ich bin Torben."

"Schön, dich kennen zu lernen."

"Was machst du so? Studierst du oder machst du eine Lehre?"

"Ich studiere Kunst hier an der Universität."

"Cool. Kannst du mir etwas malen?"

"Worauf denn?"

Er schaute sich kurz um, griff dann nach einer Serviette und einem Kugelschreiber.

Emma lachte verlegen: "Was soll ich denn zeichnen?"

"Was du willst."

"Nee, du musst mir schon sagen, was ich zeichnen soll."

"Dann zeichne mir ein Portrait von dir, damit ich dich nicht vergesse. Du kannst es auch mit deiner Telefonnummer garnieren, wenn du willst."

Emma wollte gerade ihren Mund öffnen um etwas zu sagen, als ein Schrei ertönte.

Er kam von der Hintertür und dort versammelte sich eine hysterische Menge.

Auch Emma verließ jetzt die Bar, um zu schauen, was los war.

Sie drängelte sich durch die Massen, bis sie endlich etwas sehen konnte: Auf dem Boden lag Ariane mit weit aufgerissenen Augen und sprach in einer viel zu tiefen Stimme für sie: "Verbeugt euch vor mir, Deutschen! Euer neuer Herrscher ist angekommen und ich werde sie alle, vernichten, die es gewagt haben, sich uns in den Weg zu stellen."

Kapitel 12
 

Man hatte Ariane mit Verdacht auf Drogenkonsum in ein Krankenhaus gebracht. Vormittags, am gleichen Tag besuchten Emma und Ariane sie dort. Auch Yuusuke war mitgekommen. Er war den ganzen Weg über unsichtbar gewesen. Erst, als sie alleine in Arianes Einzelzimmer waren, wagte er es, in seine normale, sichtbare Form zurück zu kehren.

Arianes Augen waren geschlossen, aber sie schien nicht zu schlafen.

"Hallo, Ariane. Wir sind es," sagte Emma.

"Wie geht es dir denn?", wollte Lina wissen.

Emma fügte hinzu: "Und warum bist du überhaupt gefesselt?"

Ariane lag in einer Zwangsjacke, die an dem Bett befestigt war. Unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet.

Jetzt öffneten sich ihre Augen und schauten die Gruppe böse an.

Mit der gleichen, tiefen Stimme von der vergangenen Nacht rief sie: "Ihr Narren! Lasst mich gehen! Ich muss wieder richtig stellen, was diese Versager falsch gemacht haben."

"Ach du Scheiße!", rief Yuusuke. "Ich glaube, Ariane ist besessen."

"Was? So etwas gibt es wirklich?", wollte Lina wissen.

Emma sagte dazu: "Wenn man einen Geister kennt, ist es eigentlich nicht so schwierig, sich auch noch vorzustellen, dass ein Mensch besetzt werden kann."

Ariane rief: "Ich muss Deutschland wieder in seine alte, glanzvolle Position zurückbringen!"

"Und wie es aussieht, hat dieser Dämon oder Geist auch noch einen ungutes Vorhaben."

"Aber was machen wir jetzt?" Emma blickte auf Ariane, die dazu rief:

"Lasst mich frei, ihr Pimmellutscher!"

"Irgendwie erinnert die mich an the exorcist," meinte Lina. "Fängt sie auch gleich an, uns grün ins Gesicht zu kotzen?"

"Kann ich gerne machen," antwortete Ariane.

"Jetzt aber mal zurück zum Thema," fing Emma an. "Kannst du so etwas wie Exorzismus, Yuusuke?"

"Nein. Aber ich kenne eine Person, die das schon mal gemacht hat."

"Wer?"

"Balthasar."

"Der komische Rittergeist mit dem Lina Karten an Weihnachten gespielt hat, als sie auf Droge war?"

"Genau der."

Lina fiel ein: "Wenn ich jetzt so recht darüber nachdenke, waren es doch Arianes Drogen. Meinetwegen können wir sie gerne so lassen."

"Bitte nur ernst gemeinte Vorschläge," ermahnte sie Emma. "Und wie kriegen wir den jetzt her?"

"Einer von euch muss ihn holen," meinte Yuusuke.

"Ginge es nicht schneller, wenn du es tust? Du kannst immerhin durch Wände schweben und einfacher in das Schloss einbrechen."

"Das Stimmt. Dann hole ich Balthasar und ihr passt auf Ariane auf."

Yuusuke machte sich unsichtbar während er davon schwebte.
 

Als Yuusuke mit Balthasar nach einer halben Stunde zurückkehrte, fanden sie Emma und Lina nervös wartend im Krankenhausflur vor Arianes Zimmer vor.

Die Mädchen erschreckten sich fürchterlich, als eine Stimme aus dem Nichts fragte: "Warum seit ihr hier?"

Erst da wurde ihnen klar, dass es Yuusukes Stimme war.

Er erklärte: "Hier sind zu viele Leute, die mich sehen könnten."

Emma antwortete: "Ariane wurde immer lauter und irgendwann kam die Schwester und hat uns rausgeschmissen. Aber viel wichtiger: Ist Balthasar dabei?"

"Ich bin hier," sagte eine Stimme.

"Und was machen wir jetzt, Balthasar?"

"Erst einmal müssen wir ein paar Sachen für den Exorzismus besorgen," fing der Rittergeist an. "Wir brauchen einen Gegenstand, der der Besessenen wichtig ist. Und dann brauchen wir noch etwas Salz und Öl und am besten auch noch Rosenblätter."

"Wo sollen wir denn zu dieser Jahreszeit Rosenblätter her kriegen?", fragte Lina.

Emma wollte wissen: "Irgendein bestimmtes Salz oder Öl? Vielleicht geweihtes?"

"Als ob es einen Unterschied machen würde, ob ein Priester einen Spruch darüber aufsagt. Nein, das Salz und Öl ist vollkommen egal. Es kann auch Speiseöl sein. Mit den Rosenblättern kann ich euch leider auch nicht weiter helfen."

"Ich schlage vor," fing Emma an, "ich gehe in Arianes Wohnung und du, Lina gehst in meine Wohnung und besorgst Salz und Öl."

"Und ich schaue mich mal nach Rosen um," meinte Yuusuke.

Die Gruppe trennte sich und ging ihren verschiedenen Aufgaben nach.

Balthasar holte Emma Arianes Wohnungsschlüssel aus dem Zimmer und diese machte sich auf den Weg dahin.

Sie kannte zwar die Adresse, war aber bisher noch nie dort gewesen.

Ariane wohnte in einem alten Hochhaus in einem heruntergekommenen Viertel. Die Wohnung lag im Fünfzehnten Stock und war so klein, dass man es gerade so in ihr aushalten konnte. Trotzdem lagen überall Dinge verstreut: Bücher, Kleidung und ganz viele chemisches Zeugs. In der winzigen Küche gab es kaum normales Geschirr. Statt dessen benutzte Ariane Bechergläser, Rundkolben und ähnliches. Ein Bunsenbrenner stand auf der Ablage. Darüber stand ein halb getrunkener Becher Kaffee auf einem Ständer. Emma schaute in den Kühlschrank: Dort befand sich auch nur wenig essbares. Hauptsächlich lagerte Ariane dort Chemikalien.

Eine Sache erregte Emmas Aufmerksamkeit. Sie nahm die kleine Flasche aus dem Kühlschrank und lächelte.
 

"Ich habe ihr komisches Kuscheltier mitgebracht," erklärte Emma und zeigte es der Runde.

"Das ist ein Wasserstoffmolekül," erklärte Lina.

"Was auch immer, Hauptsache es funktioniert. Hast du Salz und Öl gefunden?"

"Nach langem Suchen, ja."

"Ich hatte leider keinen Erfolg mit Rosen," erklärte Yuusuke.

"Damit könnte ich vielleicht helfen," begann Emma. Sie zog das kleine Fläschchen aus Arianes Kühlschrank aus ihrer Tasche. "Funktioniert auch Rosenöl?"

"Ich hab es zwar noch nie mit Rosenöl versucht, aber es müsste auch funktionieren," antwortete Balthasar.

"Jetzt müssen wir nur noch in ihr Zimmer kommen," dachte Lina laut.

"Darüber habe ich mir Gedanken gemacht," sagte Balthasar. "Es ist vielleicht nicht der beste Plan, aber er wird bestimmt funktionieren."

"Na, dann lass mal hören."
 

Sie machten sich bereit. Lina lief schreiend voran:

"Hilfe, ein Geist!"

Yuusuke folgte ihr in voller Rüstung.

Der Plan ging auf. Sobald Personal, Besucher und Kranke den Geist erblickten, liefen sie so schnell wie es ihnen möglich war, panisch Richtung Ausgang.

Der Flur war schnell frei von Menschen.

Emma schlüpfte in Arianes Zimmer; Balthasar nahm den direkten Weg durch die Wand.

"Warum muss ich noch mal den Exorzismus ausführen?", fragte Emma den Rittergeist.

"Weil Geister das nicht können. Es muss ein Mensch sein. Und je besser der Mensch den Besessenen kennt, desto besser funktioniert er."

Die beiden näherten sich dem Bett.

"Ihr Arschwichser werdet mich niemals klein kriegen!"

Balthasar begann zu erklären: "Zuerst benutzt du das Salz. Streue es über den Körper. Das macht es bewegungsunfähig."

Emma folgte den Anweisungen.

Ariane schrie dabei gequält.

"Und nun platziere ihren Gegenstand auf dem Körper. Genau. Nimm das Rosenöl und träufle es von den Füßen aufwärts auf die Besessene."

Ariane wand sich schreiend vor Schmerzen.

"Da wir Rosenöl haben, brauchen wir kein normales Öl mehr. Aber jetzt kommt der trickreichste Part: Du musst versuchen, deine Freundin aus dem inneren ihres Körpers zu erreichen. Das Rosenöl schwächt das böse Wesen nur; austreiben kann man es aber nur von Innen."

"Wie soll ich sie denn erreichen?"

Emma hatte inzwischen den Kopf erreicht.

"Sprich mit ihr."

Emma überlegte.

Sie griff Arianes Hand und sprach: "Ariane, kannst du mich hören?"

Ariane schrie nur.

"Ich bin es, Emma."

"Genau so, erzähl ihr etwas persönliches."

Emma fuhr fort: "Erinnerst du dich noch, wie wir uns kennen gelernt hatten? Du warst zu mir in den Hörsaal gekommen und hattest mich ausgewählt, ein Bild für dich zu malen. Damals fand ich dich nur idiotisch und verrückt und wollte nichts mit dir zu tun haben. Aber du hast nicht locker gelassen. Am Ende hat Fritz das Bild für dich gemalt, aber du bliebst trotzdem bei mir. Du hast mich sogar vor meinen Eltern an Weihnachten gerettet und danach Drogenkekse zu essen gegeben, ohne dass ich etwas davon wusste."

Emma kicherte leise.

"Wir kennen uns zwar nicht einmal zwei Monate, aber ich möchte mir ein Leben ohne dich, und alle anderen, die ich seit meinem Auszug getroffen habe, nicht mehr vorstellen. Deswegen musst du das Wesen in deinem Körper jetzt besiegen!"

"Das werdet ihr bereuen," schrie Ariane.

Eine Art Rauchschwade kam aus ihrem Körper.

Daraus bildete sich ein Geist mit einer Militäruniform.

Er rief: "Ich, Oberst von Himmelreich werde wiederkommen!"

Dann flog er wie ein Blitz durch das Fenster davon.

"Emma?" Arianes Stimme war wieder normal geworden. "Und wer ist dieser Geist?"

"Ich bin Balthasar."

"Der Geist, mit dem Lina am ersten Weihnachtstag Karten gespielt hat, als sie auf Droge war?"

"Genau der," antwortete Emma.

"Oh, ihr habt mir ja mein Plüschwassermolekül mitgebracht. Wo habt ihr das denn her? Und warum rieche ich so nach Rosen?"

"Das ist eine lange Geschichte," erklärte Emma.

"Dann hast du jetzt ja viel Zeit, sie mir zu erklären. Das war ja übrigens eine herzerweichende Rede, die du mir da gehalten hast."

"Klappe!"

"Hey, ich bin krank. Ich liege in einem Krankenbett!

Kapitel 13
 

Der Januar schritt voran und ehe sich Emma versah, waren die Weihnachtsferien auch schon vorbei und sie musste zurück zur Universität.

Lina hatte es auf wundersame Weise tatsächlich noch in das Wintersemester Physik geschafft und wohnte vorerst in Emmas Wohnung.

Auf dem Weg zurück von der Uni kam Emma an einem Supermarkt vorbei und entschied sich, den leeren Kühlschrank noch ein wenig zu füllen.

Draußen vor dem Supermarkt entdeckte sie zwei bekannte Personen, die sich miteinander unterhielten:

Der eine war der attraktive Typ, der sie an der Bar angesprochen hatte.

Die andere Person war Olivia.

Emma beobachtete, wie Olivia ihn anlachte. Ein falsches Lachen.

'Hoffentlich haben die mich jetzt nicht gesehen.'

Emma setzte sich ihre Kapuze auf und schlich sich an ihnen vorbei, in den Laden.

'Milch, Ravioli, noch irgendwas anderes in der Dose, Müsli, Toast, Nutella, Baked Beans, Obst und Lina mag doch so gerne Lakritzschnecken.'

Emma bewegte sich zur Kasse.

Es war nur eine Kasse offen und so musste sie sich an die schon nennenswerte Schlange anstellen.

Endlich kam auch sie dran.

Die Kassiererin scannte die Produkte.

"27,99, bitte."

Emma öffnete ihr Portemonnaie.

Irgendetwas störte sie an dem Anblick.

Sie nahm einen Schein heraus.

Er war viel kleiner als ein normaler Schein, die Rückseite unbedruckt, war 10,000 Reichsmark wert und hatte ein dickes, fettes Logo: Monopoly.

Sie betrachtete den Schein eine Weile.

Dann wurde ihr ihre Situation klar.

"Der gilt hier aber nicht," meinte der Kassierer.

"Den muss mein... äh... kleiner Neffe wohl da rein gesteckt haben." 'Scheiß Yuusuke!'

Emma durchsuchte ihr gesamtes Geld, doch alle Scheine waren ausgetauscht. Selbst die Münzen waren durch Schokotaler ausgewechselt.

"Es tut mir leid. Aber können sie die Sachen hier kurz lagern, so lange ich nach Hause gehe und echtes Geld hole?"

"Wie soll ich denn das machen?" Der Kassierer war verständnislos.

"Geht es denn mal bald weiter?", fragte der Herr hinter ihr in der Schlange.

"Ich leih dir das Geld."

Emma blickte auf. Drei Personen hinter ihr stand Torben und lächelte sie an.

"Dann machen Sie aber zu," sagte der Herr ärgerlich.

Emma war sich unsicher, ob sie dieses Angebot annehmen sollte, doch die anderen Kunden und der Kassierer schauten sie böse an.

"Das wäre echt ganz lieb von dir."
 

Draußen wartete Emma auf Torben, der ein paar Minuten später auch den Laden verließ.

"Wie soll ich dir denn das Geld zurück geben? Ich weiß ja noch nicht einmal wo du wohnst."

"Du studierst doch auch an der Uni?"

"Ja."

"Dann sehen wir uns bestimmt dort mal wieder."

Emma schaute ihn zweifelnd an.

Torben fügte hinzu: "Du schuldest mir sowieso noch eine Telefonnummer. Wie wär's wenn du mir die als Pfand da lässt?"

Eigentlich wollte Emma gar nicht ihre Telefonnummer herausrücken, doch konnte sie ihn nach allem nicht mehr so einfach zurück weisen. Und Ariane würde auch nicht wieder zufällig besessen um die Ecke biegen.

"Na gut."

Was Emma nicht sah, als sie mit Torben sprach, war das wasserstoffblonde Mädchen, welches sie verärgert beobachtete.
 

"Yuusuke! Beweg sofort deinen durchsichtigen Geisterarsch hierher! Heute bist du einfach zu weit gegangen!"

"Was auch immer es war, ich war es nicht." Yuusuke tauchte unschuldig kuckend im Wohnzimmer auf.

"Du hast also nicht mein Geld gegen Spielgeld ausgetauscht?", fragte sie wütend. "War es etwa Lina? Willst du jetzt auch noch Unschuldige beschuldigen?"

Yuusuke fing an zu heulen: "Du hast dich doch immer darüber beschwert, dass du zu wenig Geld hast. Jetzt hast du Geld, aber es ist dir auch nicht recht."

Emma wusste, dass Yuusuke nur schauspielerte und in Wirklichkeit überhaupt nichts bedauerte.

"Ab sofort hast du einen Monat Laptopverbot!", rief sie.

Da klingelte die Haustür.

"Ich habe hier ein paar Pakete für eine Frau... Schneider," las der Paketbote von seinem PDA ab.

"Habe ich die bestellt?"

"Nein, Absender ist ein gewisser John Smith."

Emma schaute Yuusuke drohend an, der abwehrend seine Hand hochhielt, ohne dass der Paketbote ihn sehen konnte.

Dann unterschrieb sie und der Bote verschwand wieder.

Insgesamt waren es zwölf Kartons in der Größe von jeweils zwei Schuhkartons.

Emma schleppte sie herein. Von Yuusuke kam keine Hilfe.

Sie öffnete einen Karton.

Mit einem Mal kamen ihr mehrere hundert Heuschrecken entgegen gesprungen.

Emma schrie auf vor Überraschung.

"Igitt, Heuschrecken!", rief Yuusuke.

Die Heuschrecken verteilten sich blitzschnell in der gesamten Wohnung.

"Die wirst du nie wieder los, wenn die sich erst einmal in der Wand versteckt haben," erklärte Yuusuke.

"Warum schickst du mir so etwas dann?"

"Ich war es nicht! Echt nicht! Ich hasse die Viecher selbst wie die Pest."

'Aber wer dann?', fragte sie sich.

Sie untersuchte die anderen Kartons, horchte an ihnen. In allen zirpten leise Heuschrecken.

Dann entdeckte sie den Fehler, den der Absender gemacht hatte:

Laut Adresse kam John Smith aus den USA, die Briefmarke zeigte aber eindeutig, dass das Paket innerhalb Deutschlands verschickt worden war.

Emma kannte nur eine Person, die eine Zeit lang in den USA gelebt hatte.

"Yuusuke," fing sie böse grinsend an. "Möchtest du deinen Streich mit dem Monopolygeld wieder gut machen? Es wird auch Spaß machen."

"Wenn es Spaß macht, bin ich immer dabei."

"Gut. Dann fange zuerst alle Heuschrecken wieder ein und tu sie zurück in den Karton."

Yuusuke schloss die Augen uns konzentrierte sich.

Er streckte beide Arme seitlich von sich aus und hob sie langsam.

Die hüpfenden Heuschrecken standen auf einmal still und fingen an, synchron mit Yuusukes Armbewegung nach oben zu schweben.

Dann bewegte der Geist seine Arme nach vorne und die Heuschrecke flogen zurück in den Karton. Der Deckel schloss sich.

"Und das waren alle?"

"Hundertprozentig. Ich kann jedes lebende Wesen im Umkreis von zwanzig Metern spüren."

"Gut. Kommen wir dann zu Teil zwei."
 

"Lass sie frei."

Yuusuke gehorchte und aus Olivias Wohnung kamen helle Schreie.

Emma beobachtete durch ihr Fernglas das hysterische Mädchen schreiend durch die Wohnung laufen.

Lachend fiel sie zu Boden. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes rolling on the floor laughing.

"Das hast du gut hingekriegt, Yuusuke."

Ein paar Stunden zuvor hatte Emma das Obdachlosennetzwerk von Fritz damit beauftragt Olivias Wohnung zu finden. Als diese die Adresse herausgefunden hatten, hatte sie sich mit Yuusuke und ungefähr 2500 Heuschrecken auf den Weg gemacht.

Yuusuke hatte die Wohnung auf Olivias Abwesenheit hin kontrolliert.

Dann hatte er das Fenster von innen geöffnet und die zwölf Kartons vorsichtig, so dass kein Nachbar sie schweben sah, herein befördert.

Emma hatte mittlerweile eine gute Position auf dem Dach des Nachbarhauses gefunden.

Nun hieß es warten.

Eine halbe Stunde später war es auch endlich so weit und die verhasste Figur hatte die Straße betreten.

Emma hatte Yuusuke angewiesen, die Deckel abzunehmen, aber die Heuschrecken drinnen fest zu halten.

Erst als Olivia den Raum betreten hatte, wurden sie endlich frei gelassen.

"Da bekommt das Wort Heu-schreck-e eine ganz andere Bedeutung," kicherte Yuusuke.

Kapitel 14
 

Emma wurde von schauriger Klaviermusik geweckt.

Langsam öffnete sie ihre Augen und raffte sich auf, aus ihrem Bett zu steigen.

Schlaftrunken bewegte sich sich in die Richtung, aus der die Musik kam.

Sie fand sich selbst im Wohnzimmer wieder.

Dort stand ein Klavier und Yuusuke spielte darauf.

Als er sie erblickte, änderte er sofort die Melodie und begann zu singen:

"Ebony and Ivory, live together in perfect harmony. Side by side on my piano keyb..."

Emma schlug den Deckel mit einem Krachen zu.

Wäre Yuusuke ein Mensch, hätte sie jetzt seine Finger eingeklemmt.

"Hey," meckerte er. "Hast du denn aus dem Lied gar nichts gelernt."

Yuusuke fuhr fort, spielte ohne Hände mit geschlossenem Deckel weiter:

"...keyboard, oh Lord, why don't we?"

"Ruhe!", befahl Emma und machte sich gähnend auf in die Küche. Wenn sie schon einmal wach war, konnte sie auch gleich Frühstücken.

In der Küche war das Radio eingeschaltet. Es liefen Nachrichten.

Lina kam herein: "Na, auch schon wach?"

"Der Geist spielt Schauermusik."

"Was soll ich dann erst sagen. Vor zwei Stunden wurde ich aufgeweckt, als er das Klavier durch das Fenster schweben ließ."

"Wo hat er das überhaupt her?"

"Er meinte, Sperrmüll." Lina ging zurück ins Wohnzimmer.

Im Radio hörte Emma eine Nachricht: "Wie uns unabhängige Quellen soeben bestätigt haben, wurde in der Militärstation in Pinnauburg in der Nacht zu heute eingebrochen. Die Diebe waren offenbar gut informiert und nahmen eine Reihe von Waffen mit. Welche genau, verrät die Bundeswehr noch nicht. In Pinnauburg liegt der größte Militärstützpunkt Deutschlands. Hier wird seit Jahren an neuen Waffen geforscht. Nun zum Sport..."

Emma schaltete das Radio aus und gesellte sich mit ihrer Schale Müsli zu Lina ins Wohnzimmer.

"Heute ist Sonnabend. Wollen wir etwas machen?", fragte Lina.

"Was sollen wir denn machen?"

"Wir könnten ins Kino gehen. Dentist of the Dead läuft gerade."

"Oh, cool. Den wollte ich sowieso sehen."
 

Emma entdeckte in der Schlange für die Tickets vor ihnen ein Mädchen mit wasserstoffblonden Haaren.

Sie versteckte sich hinter Lina.

"Was ist denn los?"

"Da vorne ist Olivia."

"Welche?"

"Die mit den blond gefärbten Haaren."

"Die hässliche, die versucht sich mit fake tan und Designerkleidung aufzuwerten?"

"Genau die."

Emma entdeckte noch eine andere Person: Torben stand mit Olivia in der Schlange.

Emma fühlte einen Stich in ihrem Herzen.

Lina schlug vor: "Geh du auf Klo und warte dort so lange, bis ich die Karten gekauft habe."

Emma nickte und ging Richtung Toilette.

Doch auch Torben ging dort hin und die beiden trafen sich.

"So sieht man sich wieder," begrüßte er sie.

"Oh, was für eine Überraschung! Ich schulde dir ja noch Geld."

"Das hatte ich ja schon fast vergessen."

Emma gab ihm die Summe zurück.

"Wie geht es dir?", fragte er.

"Äh, gut." Emma schoss Blut in den Kopf. "Ich muss nur mal ganz dringend auf Klo."

Schnell schlüpfte sie in die Damentoilette herein, bevor er noch etwas sagen konnte.

Erst als die Tür wieder geschlossen war, entspannte sie sich wieder.

Nach einer kurzen Wartezeit wurde eine Kabine frei und Emma belegte sie.

In den vier Wänden fühlte sie sich privat und sicher, obwohl sie die Geräusche der anderen Kinobesucherinnen hören konnte.

Doch zu lange konnte sie hier drin auch nicht verweilen. Dazu war die Schlange zu lang.

Überraschender Weise wartete niemand mehr vor den Kabinen, als Emma schließlich herauskam.

Da spürte sie, wie jemand ihr den Arm von hinten um den Hals legte.

Eine Stimme flüsterte ihr ins Ohr: "Nur dass das klar ist. Torben gehört mir! Halt dich von ihm fern!"

Emma erkannte Olivias Stimme.

"Als ob mich das interessieren würde, was du denkst, wer wem gehört. Ich kann reden mit wem ich will!", antwortete sie.

Der Griff um ihren Hals wurde fester.

"Ich weiß zwar nicht, wie du das mit den Heuschrecken gemacht hast, aber ich werde es noch heraus finden und dann bist du dran wegen Einbruch und Sachbeschädigung!"

"Welche Heuschrecken?", fragte Emma ahnungslos.

"Du weißt genau, was ich meine!"

Emma wurde der Griff zu eng. Sie holte mit ihrem Bein vorne aus und trat Olivia mit der Hacke gegen das Scheinbein.

Der Erfolg war sofort zu spüren: Olivia schrie auf und ließ Emma los.

Emma drehte sich um und sagte ihr ins Gesicht: "Es ist mir egal, was du meinst und was nicht. Wenn es eine Person gäbe, dessen Meinung mir noch egaler ist, als deine, sage ich dir Bescheid. Dann könnt ihr euch gegenseitig fertig machen."

Dann drehte sich Emma auf dem Absatz und verließ die Toilette, ohne noch einmal zurück zu blicken.

"Das wird die noch leid tun," rief Olivia noch hinterher.

Auf dem Weg zurück zu Lina, die inzwischen ganz vorne in der Schlange stand, fühlte sie sich großartig. In der Auseinandersetzung mit Olivia ging sie eindeutig als Siegerin hervor. Sie nahm sich vor, sich ab jetzt nie wieder vor Olivia zu verstecken und sich ihr statt dessen entgegen zu stellen.

Olivia kam rasend vor Wut aus der Damentoilette, ganz zum Leid eines Kinobesuchers, der ihr im Weg stand.

"Aus dem Weg, Bigfoot!", rief sie und schubste ihn, sodass er fiel.

Dann war sie auch schon weg.

Emma ging zu dem Fremden, der auf dem Boden lag und half ihm auf.

Bigfoot war vielleicht noch etwas untertrieben. Trotz seiner geringen Körpergröße passten seine Füße eher zum größten Mann der Welt. Ansonsten sah er aber wie ein ganz normaler Nerd aus.

Emma meinte zu ihm: "Hör ihr nicht zu. Sie ist eine eingebildete Bitch."

"Keine Sorge," antwortete er. Seine Augen hinter einer dicken Hornbrille und einem langen, schwarzen Pony versteckt. "Ich wurde mein ganzes Leben lang gemobbt. Ich bin daran gewöhnt."

"Aber bloß, weil man sich daran gewöhnt hat, heißt es noch lange nicht, dass es in Ordnung ist."

"Das habe ich auch nicht behauptet."

Lina kam mit den frisch gekauften Karten in der Hand dazu: "Alles okay, bei euch?"

"Ja, nur wieder eines von Olivias Werken," erklärte Emma.

Der Fremde betrachtete die Kinokarten in Linas Hand: "Schaut ihr etwa auch Dentist of the Dead?"

"Nein, die Karten sind nur zur Zierde da," entgegnete Lina trocken.

"Na, dann könnt ihr euch ja ein Kartenhäuschen daraus bauen."

"Aber nur ein kleines," Emma kicherte und fragte: "Ich heiße Emma und das ist meine Freundin Lina. Und wie ist dein Name?"

"Sergej. Sehr erfreut."

"Sergej. Kommst du etwa aus Russland?", wollte Lina wissen.

"Meine Eltern kamen aus Russland, aber ich bin hier geboren worden und aufgewachsen."

"Das hört man auch gleich an dem akzentfreien Deutsch," lobte Lina ihn, doch Emma hatte gerade einen Blick auf eine Uhr erhaschen können:

"Ich glaube, wir sollten mal langsam in den Saal gehen. Der Film fängt gleich an."

"Vielleicht sehen wir uns ja noch nach dem Film," meinte Lina.
 

"Das Ende war cool," meinte Emma.

"Ich glaube, ich möchte jetzt eine Weile nicht mehr zum Zahnarzt gehen," antwortete Lina.

Sie bewegten sich auf den Ausgang zu.

Draußen waren die beiden Mädchen kaum um die Ecke gebogen, als eine Überraschung auf sie wartete:

Jassin und seine Freunde warteten bewaffnet mit Baseballschlägern und bösem Grinsen auf sie.

"Das sind sie," rief einer.

Jassin selbst geriet in Panik in dem Moment, als er Emma erblickte:

"Ach du Scheiße! Das Mädchen? Da mach ich nicht mit!" Er lief davon und rief noch zurück: "Die hat einen Geist, der sie beschützt!"

Die anderen schienen nicht so verängstigst zu sein:

"Was denn los, Kumpel?"

"Geister? An so was glaubst du?"

"Wir kriegen fünfhundert Euro, da trete ich auch gerne gegen einen "Geist" an."

'Nur ist der Geist leider gerade nicht hier,' dachte Emma. Leicht ängstlich blickte sie auf die Gruppe. Was sollte sie nur tun?

"Wir haben aber einen Geist, der euch fertig machen wird," drohte Lina mit Blick auf Emma.

Lachen brach in der Gruppe aus:

"Den will ich gerne mal sehen."

Emma versuchte die Situation zu entschärfen: "Wir können doch über alles reden. Gewalt ist niemals ein guter Weg."

"Mir doch egal. Ich krieg meinen Anteil an den fünfhundert Euro," sagte einer und holte mit dem Baseballschläger aus.

'Jetzt ist es aus," dachte Emma.

Doch als der junge Jurastudent gerade zuschlagen wollte, bewegte sich der Baseballschläger nicht.

Er versuchte es mit aller Kraft.

Nichts.

Noch ein Versuch.

Jetzt bewegte sich der Baseballschläger, aber mit viel zu viel Kraft, sodass er sein Ziel verfehlte und statt dessen auf den Boden schlug.

Dann schrie der Student auf und krümmte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengegend bekommen.

"Was ist los, Kevin?"

Ein weiterer flog durch eine unsichtbare Kraft zurück und landete mit einem Aufschrei.

Leichte Panik breitete sich in der Gruppe aus.

Zwei Jungen wurden zusammen gestoßen, ein anderer schien eine Ohrfeige zu bekommen.

Einer versuchte, in die Luft zu schlagen, traf aber nichts.

Statt dessen wurde er am Rücken getroffen und fiel klatschend zu Boden.

Eine Stimme rief aus dem Nichts: "Na, glaubt ihr jetzt an Geister?"

Entsetzen breitete sich in den Augen der Jurastudenten aus.

Innerhalb von Sekunden waren diese auch schon wieder auf den Beinen und liefen schreiend davon.

Emma war bewusst, dass Yuusuke zwar Leute erschrecken konnte, sie aber unmöglich verprügelt kriegte.

"Wer ist da?", rief sie in die Luft.

"Keine Angst," rief eine Stimme.

An dem Ort, wo vorhin noch Jassins Gang gestanden hatte, wurde nun eine Person langsam sichtbar: Sergej, der Nerd mir den großen Füßen.

"Ich hoffe, ich verschrecke euch jetzt nicht damit", meinte er.

Emma und Lina blickten sich an,

stießen ein kurzes Lachen aus.

"Ihr Mitbewohner ist ein Geist," sagte Lina.

"Und ich habe neulich mit einem anderen Geist einen Exorzismus ausgeführt," fügte Emma hinzu.

"Muss ich jetzt Angst haben?", fragte sie ihr Retter.

Kapitel 15
 

Lina und Emma hatten Sergej zu sich nach Hause eingeladen und befanden sich nun auf den Weg dahin.

"Du bist also ein Kobold?", wollte Lina wissen. "Das ist mal etwas neues."

"Ich bin aber bei Menschen aufgewachsen. Ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass ich ein Kobold bin."

"Aber haben dich die großen Füße nicht verraten?", hakte Emma nach.

"Am Ende schon. Ich wusste schon immer, dass etwas anders ist an mir. Aber dass ich gleich einer anderen Rasse angehöre, hätte ich mir nicht ausmalen können."

Sie kamen an einem Zeitungsladen vorbei.

Linas Blick wurde von der Titelseite der Bild-Zeitung angezogen:

'Bundeswehr kann nicht auf ihre Waffen aufpassen!'

"Schlimme Sache," fing sie an, "das mit den Waffen."

"Ja, da vermutet man gleich wieder einen Terroranschlag," sagte Emma.

Segej fügte hinzu: "Im Internet geht das Gerücht um, es handele sich um Alienwaffen."

"Nach zwei Geistern und einem Kobold schließe ich inzwischen Aliens auch nicht mehr aus," erklärte Lina.

Sie waren fast bei Emmas Wohnung angekommen, als ihr Handy klingelte.

"Hallo?"

Emmas Mutter war am Apparat: "Emma, Schätzchen!"

"Wie geht es dir, Mama?"

"Mir geht es gut. Deinem Vater auch."

"Das freut mich. Weswegen rufst du an?"

"Wir haben eine Überraschung für dich."

"Überraschung?"

"Heute wird ein Speeddating für Leute in deinem Alter veranstaltet."

Emma legte auf.

"Genug ist genug," rief sie verärgert.

"Du!", Emma schaute Sergej an, der verwundert zurückblickte. "Ich?"

"Du musst jetzt leider mitkommen!" Sie nahm Sergej bei der Hand und ging schnellen Schrittes davon.

"Nicht so schnell," hörte Lina Sergej noch sagen. "Mit meinen Füßen geht das nicht."
 

Emma klingelte diesmal bei ihren Eltern, anstatt ihren Hausschlüssel zu benutzen.

Ihre Mutter öffnete die Tür.

"Nanu, Emma. Und wer ist das?"

"Das," begann Emma, "ist mein fester Freund!"

"Was?", riefen Sergej und Emmas Mutter gleichzeitig?

Dann lächelte Emmas Mutter mit hochgezogenen Brauen: "Wirklich? Und das soll ich dir glauben?"

"Ja, es stimmt. Oder, Sergej?"

Sergej antwortete zaghaft: "Jaaaa, natürlich?"

"Dann küss ihn."

"Was?" Diesmal kam die Frage von Sergej und Emma gleichzeitig.

"Wenn er dein fester Freund ist, dann macht es dir bestimmt nichts aus, ihn zu küssen."

Emma blickte den verunsicherten Sergej an.

Sie betrachtete seine Lippen.

Ein Kuss konnte doch wohl nichts schaden?

Aber wollte sie ihren ersten Kuss an einen Kobold, den sie gerade erst kennen gelernt hatte verschwenden?

Sie dachte an Yuusuke und dann an Torben. Den attraktiven Torben.

"Na gut, du hast gewonnen. Er ist nicht mein Freund."

"Jaaaa," nickte Emmas Mutter.

Emma fuhr fort: "Aber ich möchte dir eine andere Person vorstellen."

"Wen denn?"

"Das wirst du schon sehen. Er ist in meiner Wohnung. Papa soll auch mitkommen."
 

Zu viert, Emma, ihre Eltern und Sergej, hatten sie sich auf den Weg durch das winterliche Hamburg gemacht.

Nun schloss Emma dir Tür zu ihrer Wohnung auf.

"Sag mal, hast du dass mit den Waffen aus Pinnauburg gehört?", fragte ihr Vater.

"Jetzt nicht vom Thema ablenken," antwortete Emma.

Sie führte die Gruppe ins Wohnzimmer.

"Oh, Lina," rief ihre Mutter. "Ich wusste gar nicht, dass du in Hamburg bist."

"Ich bin auch noch nicht so lange hier."

"War das die Person, die du uns vorstellen wolltest?", fragte Emmas Mutter ihre Tochter.

"Nein," antwortete diese. "Er ist noch nicht im Raum. ... Yuusuke, bist du da?"

Nichts passierte.

"Seit wann spielst du Klavier?" Emmas Vater hatte Yuusukes Klavier entdeckt.

"Nicht ich spiele Klavier, sondern mein Mitbewohner. ... Yuusuke komm endlich raus!"

"Das kann ich bezeugen," meinte Lina. "Er spielt sogar ohne Hände."

"Ohne Hände?", fragte Emmas Vater verdutzt.

"Yuusuke!", rief Emma nun schon leicht wütend. "Du brauchst keine Angst vor meinen Eltern zu haben. Komm jetzt sofort her!"

"Wenn du wirklich meinst," kam eine Stimme aus dem Nichts.

Yuusuke machte sich für alle sichtbar und schwebte über dem Wohnzimmertisch.

Emmas Eltern fielen gleichzeitig ohnmächtig nach hinten über.
 

Mit vereinten Kräften hatten sie es geschafft, Emmas Vater auf das alte, blaue Sofa zu legen und Emmas Mutter in Emmas Bett.

Langsam wachten diese nun endlich auf.

"Ein Geist...," murmelte ihr Vater vor sich hin.

Yuusuke schwebte am Fenster.

Emmas Mutter kam ins Wohnzimmer herein: "Nimm mich und lass meine Tochter gehen!", rief sie.

"Mama! Er tut nichts."

"Ein Geist...," murmelte ihr Vater weiter.

"Und was ist er?", sie deutete auf Sergej.

"Ich bin ein Kobold," antwortete dieser.

"Und was kommt noch? Eine Meerjungfrau? Eine Elfe?"

"Ein Geist..." Emmas Vater lag noch immer auf dem Sofa.

Es klingelte an der Tür.

Lina ging, um die Tür auf zu machen.

"Ihr braucht wirklich keine Angst vor ihnen zu haben," erklärte Emma.

Der Besucher war Ariane, die nun das Wohnzimmer betrat.

Stolz rief sie: "Kuck mal Emma, den neuen Haarfärbestoff, den ich synthetisiert habe. Der leuchtet im Dunkeln!"

Alle Augen waren auf sie gerichtet.

Arianes Haarfarbe hatte sich tatsächlich geändert. Sie waren zwar noch immer lila, aber nun schien ein leuchtender Glanz von ihnen aus zu gehen.

"Und was ist sie?", fragte Emmas Mutter. "Eine Todesfee oder so was?"

"Nicht das ich wüsste. Ich bin nur Chemikerin," meinte Ariane. "Todesfee wäre aber auch cool."

Ariane hatte den Kobold, der im roten Sessel saß, entdeckt.

"Sergej! Was machst du denn hier?"

"Das frage ich mich so langsam auch," antwortete er.

Ariane fragte weiter: "Bist du in Russland gewesen, um deine Herkunft zu erforschen, wie du wolltest?"

"Ja, die habe ich herausgefunden. Und nun bin ich wieder zurück nach Hause gekommen."

"Ihr kennt euch?", fragte Emma.

"Ja, wir sind im gleichen Waisenhaus aufgewachsen."

"Ach, deswegen wusste er nichts davon, dass er ein Kobold ist," erkannte Lina.

"Kobolde, Geister, Mädchen mit leuchtenden Haaren. Mir wird das zu bunt. Was ist nur mit dir passiert, Emma?" Ihre Mutter schien kurz davor zu sein, zu heulen.

"Du wolltest doch immer, dass ich neue Leute kennen lerne."

"Ich habe aber Menschen gemeint, Menschen!"

"Nun habe ich aber diese Leute getroffen. Und es sind meine Freunde!"

Emmas Vater stand plötzlich auf.

Er ging zum Fenster und griff nach Yuusuke.

Seine Hand ging glatt durch seinen Körper durch.

"Ein Geist, also. ... Na gut. ... Könnte schlimmer sein."

"Okay?", antwortete Yuusuke zaghaft.

"Schatz? Alles in Ordnung?", fragte seine Frau ihn.

"Alles ist bestens. Ein Geist. Warum nicht? Ich glaube, wir gehen jetzt wieder nach Hause und lassen Emma und ihre Freunde allein."

Schweigend ging er vor.

Emmas Mutter blickte sich noch einmal um und folgte dann ihrem Gatten.

"Was für ein Tag," meinte Sergej resigniert. "Was für ein Tag."

"Das kannst du aber laut sagen," antwortete Emma.
 

Ein paar Kilometer weiter redete ein wasserstoffblondes Mädchen mit einigen jungen Männern.

"Mit der leg ich mich jedenfalls nicht noch einmal an."

"Ich auch nicht."

"Ich glaube, sie ist eine Hexe."

"Sie kann auf jeden Fall Geister beschwören."

"Deine fünfhundert Euro kannst du gerne behalten."

"Wir sind raus!"

Das Mädchen blickte der Gang hinterher, als diese Abzog.

'Verdammt," dachte sie. 'Wieso kann ich sie nicht besiegen?'

"Was hat sie, was ich nicht habe?", fragte sie sich laut.

"Ich weiß, was sie hat," antwortete eine Stimme hinter ihr.

Kapitel 16
 

"Warum kucken wir Nachrichten?", fragte Yuusuke.

"Weil es wichtig ist, zu wissen, was in der Welt passiert," antwortete Emma.

Die beiden saßen vor Emmas Laptop.

"Ich will aber Doktor House sehen."

"House läuft dir nicht davon. Außerdem, warum sollte ich jemanden, der mir Seife in die Zahnpastatube tut, Doktor House sehen lassen?"

"Ich dachte, damit werden die Zähne noch sauberer."

"Ja, ja. Das kannst du deiner Oma erzählen!"

"Die ist tot."

"Du auch."

Yuusuke streckte Emma die Zunge raus und zog beleidigt ab.

Emma widmete ihre Aufmerksamkeit wieder der 14-Uhr-Tagesschausprecherin:

"...Offenbar handelte es sich bei den in Pinnauburg gestohlenen Waffen um neuartig entwickelte Raketen vom Typ E-141 mit verbesserter Reichweite. Die Bundeswehr zeigte sich auf einer Pressekonferenz zu dem Thema betroffen, dementierte aber Vorwürfe von einer mangelhaften Sicherung der Waffen. ...

... Berlin. Im Reichstagsgebäude ist in der vergangenen Nacht eingebrochen worden. Die Täter haben sich Zugang zum Dach des Gebäudes verschafft und die Kuppel über dem Bundestag beschmiert. Bislang äußerte sich die Polizei noch nicht zu möglichen Hinweisen auf einen Täter. Die Regierung vermutet linksradikale Täter. ... New York. ..."

Emma hielt das Video an, weil es an ihrer Tür klingelte.

'Das ist bestimmt wieder Fritz,' dachte sie und ging im Pyjama zur Tür.

Ahnungslos öffnete sie sie und wurde von drei Polizisten überrascht. Die zwei an der Seite trugen Uniformen und der in der Mitte war in zivil gekleidet.

Der Mittlere Polizist fing an: "Emma Schneider? Ich bin Oberkommissar Lasser. Sie sind festgenommen!"

"Wie bitte?"

"Sie haben mich schon verstanden. Ziehen sie sich bitte etwas an."

Starr vor Schock ging Emma in ihr Zimmer, die Polizisten folgten ihr, blieben aber vor der Tür zu ihrem Zimmer stehen.

Emma zog sich ein T-Shirt und eine Jeans an.

Sie betrachtete das Fenster und dachte daran, zu fliehen, entschied sich aber dann dagegen. Das würde sie nur noch verdächtiger wirken lassen.

Yuusuke kam durch die Wand geschwebt: "Was ist den los?"

"Die Polizei hat mich verhaftet."

"Was hast du denn angestellt?"

"Nichts, dass ich wüsste." Emma kamen die illegal heruntergeladenen Videos in den Sinn.

"Das wird sich bestimmt alles gleich aufklären," meinte sie und verließ den Raum.

"Mit wem haben sie da eben geredet?" fragte der Oberkommissar.

"Äh..."

Einer der uniformierten Polizisten stieß die Tür auf und blickte sich um: "Hier ist niemand."

"Das war über Skype," erklärte Emma. Von dem Geist konnte sie unmöglich erzählen.
 

Man brachte sie auf eine Polizeiwache, wo man sie direkt in den Verhörraum führte.

"Sie wissen, warum sie hier sind?", fragte Herr Lasser.

"Nein."

"Wo waren sie heute Nacht zwischen ein und drei Uhr?"

"Im Bett."

"Zeugen?"

"Der Geist, der in meiner Wohnung spukt."

Her Lasser begann zu lachen. Dann wurde er wieder ernst und schlug auf den Tisch: "Das ist eine ernste Angelegenheit!"

"Worum geht es denn überhaupt?"

Der Oberkommissar zog zwei Fotos aus einer Mappe.

Sie zeigten die zwei Seiten einer Glaskuppel. Darauf hatte jemand einmal um die Kuppel herum geschrieben:

Ich habe die E-141 gestohlen. Gruß, Emma Schneider.

"Ach du Scheiße!", rief Emma. "Das war ich nicht!"

"Wir haben auch noch das hier:"

Er zog ein paar weitere Fotos aus der Mappe. Offenbar waren dies Standbilder aus der Videoüberwachung.

"Die anderen Überwachungskameras wurden ausgeschaltet. Wir wissen also nicht, wie Sie dort heraufgekommen sind," erklärte der Oberkommissar.

Emma betrachtete die Bilder: Sie zeigten ein Mädchen beim schreiben der Nachricht. Sie war schwarz gekleidet, hatte lange, schwarze Haare... bis auf ihr Pony, der war blau gefärbt.

Emma schluckte.

"Wollen Sie immer noch behaupten, Sie waren es nicht?"

"Ich weiß, das sieht jetzt doof für mich aus, aber wenn ich nicht gerade schlafwandeln war, kann ich es nicht gewesen sein."

"Erzählen Sie keine Lügen!" Noch einmal schlug der Polizist kräftig auf den Tisch, sodass Emma zusammen zuckte.

"Moment mal. Steht mir nicht eigentlich ein Anwalt zu?"
 

Auch wenn Herr Lasser es ungern tat, hatte er Emma trotzdem telefonieren lassen müssen.

Sie hatte ihren Vater angerufen und ihre Situation geschildert.

Der wollte ihr das zunächst nicht glauben, versprach dann aber einen Anwalt zu schicken. Bis der eintraf, musste sie alleine im Verhörraum warten.

Dann, endlich öffnete sich die Tür.

Ein vertrauenerweckender älterer Herr betrat den Raum.

"Guten Tag. Bernd Nimmburg, mein Name. Und Sie sind Emma Schneider?"

Emma nickte.

Herr Nimmburg setzte sich neben sie.

"Bevor die Polizisten wieder reinkommen, müssen Sie mir ein paar Fragen beantworten."

Wieder nickte Emma.

"Seien Sie bitte ganz ehrlich: Waren Sie es?"

"Nein, natürlich nicht!"

"Okay. Dann glaube ich Ihnen mal. Aber ich habe mir die Fallakte angesehen und ich muss sagen: Die Beweise sprechen eindeutig gegen Sie."

"Das weiß ich auch. Aber ich war es trotzdem nicht."

"Dann will ich mal versuchen, Sie da heraus zu holen."

Der Oberkommissar betrat den Raum wieder. "Genug geredet. Jetzt geht es wieder zur Sache!"

"Wir haben das Recht, uns so lange zu besprechen, wie wir brauchen," entgegnete der Anwalt.

"Ist schon gut," meinte Emma zu ihm.

Der Kommissar begann: "Also noch einmal: Wo waren sie gestern Nacht zwischen ein und drei Uhr?"

Emma schaute ihren Anwalt an, dieser nickte. "Ich war immer noch im Bett."

"Ohne Zeugen?"

"Ohne Zeugen." Yuusuke konnte sie ja wohl kaum als Zeugen aufzählen.

"Sie vergessen aber noch etwas wichtiges," begann Herr Nimmburg. "Die Tat wurde in Berlin verübt und meine Mandantin war in Hamburg. Wie soll sie dort hin gekommen sein?"

"Sie hatte genug Zeit dafür."

"Wie lange braucht man dort mindestens hin? Zwei Stunden?"

"Ungefähr." Der Oberkommissar war etwas kleinlauter geworden.

"Stimmen Sie mir also zu, dass wenn meine Mandantin nach Elf Uhr noch hier war, als Täterin nicht in Frage kommt?"

"Schon."

Emmas Herz wurde leichter: "Ein paar Freunde von mir waren bis Mitternacht noch zu Besuch!"

Missmutig fragte Herr Lasser: "Name und Adresse?"

Emma nannte sie ihm. Bei der Adresse von Fritz horchte er auf, aber Emmas Anwalt erinnerte ihn daran, dass das nichts mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu tun hatte.

"Ich werde das überprüfen," meinte der Oberkommissar.

"Ich habe noch etwas," begann Herr Nimmburg.

"Ich höre?", fragte der Polizist genervt.

Emmas Anwalt deutete auf eines der Fotos von der Überwachungskamera. Es zeigte die Täterin, die grinsend in die Kamera blickte.

"Dieses Mädchen sieht meiner Mandantin zweifellos ähnlich, aber wenn Sie genau hinschauen, erkennt man die Unterschiede: Erstens, die blaue Färbung der Haare ist ein wenig anders. Sehen Sie hier: Bei meiner Mandantin geht die blaue Farbe links noch ein wenig weiter, bis zu den langen Haaren."

"Nun gut. Das hätte man aber umfärben können."

Der Anwalt fuhr fort: "Außerdem ist die Körbchengröße der Täterin um einiges Größer."

Emma errötete.

Der Polizist antwortete nur: "Kann man ausstopfen."

"Ich habe aber noch einen Punkt: Die Täterin hat doch eindeutig grüne Augen während meine Mandantin blaue Augen hat."

Der Oberkommissar blickte in Emmas Augen. "Stimmt. Aber es gibt auch gefärbte Kontaktlinsen."

Da antwortete Emma: "Aber ist das nicht zu kompliziert? Wäre es nicht viel einfacher, eine Perücke auf zu setzen, wie es die Täterin vermutlich gemacht hat? Außerdem, warum sollte ich bitteschön mit meinem richtigen Namen unterschreiben?"

"Sie sehen, ihre Beweise haben vor Gericht keine Aussagekraft," fügte der Anwalt hinzu.

Der Polizist verzog sein Gesicht beleidigt. "Ich werde Ihr Alibi überprüfen." Dann verließ er wieder den Raum.

"Danke," sagte Emma zu ihrem Anwalt.

"Es war mir eine Freude. Die Rechnung schicke ich dann zu Ihrem Vater?"

Daran hatte Emma gar nicht gedacht.

"Wie viel ist es denn?"

"Machen Sie sich darum mal keine Sorgen. Ich werde nach Stunden bezahlt und dieser Fall war ja doch recht schnell erledigt."

Emma lächelte.

Die restliche Zeit musste sie auf dem Flur warten.

Sie kannte nur eine Person mit grünen Augen, die ihr etwas böses wollte. Aber wie war sie auf das Reichstagsgebäude gekommen?

Der Kommissar kam genervt: "Sie können gehen. Ihre Zeugen haben Ihr Alibi bestätigt."

"Sag ich doch."

"Jetzt werden Sie mal nicht frech! Bei einigen Ihrer Zeugen zweifle ich die Zurechnungsfähigkeit noch an. Besonders dieses Mädchen mit den lila Haaren, welches immer davon geredet hat, dass ihre Haare im Dunkeln leuchten, ist mir suspekt."

"Kann ich jetzt gehen?"

"Ja," grummelte der Oberkommissar.

Kapitel 17
 

Wie zum Teufel war Olivia auf das Reichstagsgebäude gekommen?

Falls sie es überhaupt gewesen ist.

Aber daran hegte Emma keinen Zweifel.

Sie stand vor der Polizeiwache, überlegte.

Dann entschloss sie sich, an Olivias Wohnung vorbei zu gehen.

Dort herum war aber gerade ein Zelt mit dem Aufdruck "Schädlingsbekämpfung Meier" aufgebaut.

Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Aber nun war sie bestimmt nicht in ihrer Wohnung.

Sie konnte überall sein.

Emmas nächster Halt war vor einer gewissen Brücke zwei Straßen von ihrer Wohnung entfernt.

"Ich habe einen Auftrag für dein Obdachlosennetzwerk."

"Ich höre?"

"Erinnerst du dich an das Mädchen, dass du vor einer Woche schon mal suchen solltest?"

"Die Bitch?"

"Genau. Die müsst ihr noch einmal finden. Es ist wichtig."
 

Olivias Vater hatte ihr offenbar ein teures Hotelzimmer in der Übergangszeit bezahlt und vor genau jenem Hotel wartete zwei Tage später Emma in unauffälliger Kleidung und blonder Perücke.

Olivia verließ das Hotel, anscheinend ohne Emma zu bemerken.

Sie ging zur Universität. Daran war erst einmal nichts ungewöhnliches.

Da Emma selbst dort hin musste, übernahm Fritz so lange die Beschattung.

Emma verabschiedete sich so schnell wie möglich von ihren Aufgaben an der Uni und verfolgte Olivia wieder persönlich.

Diese ging erst Schuhe kaufen. In den Laden hätte sich Emma niemals mit ihrem leeren Portemonnaie herein getraut.

Danach ging es noch in verschiedene, teure Kleidungsgeschäfte.

Olivia hatte offenbar eine Person entdeckt, denn sie winkte jemanden und lief auf ihn zu.

Es war Torben.

Dieser schien sich nicht wirklich für sie zu interessieren, sprach dann aber doch mit ihr, als sie sich ihm in den Weg stellte.

'So ist das also," dachte Emma und fühlte sich ein wenig erleichtert.

Die beiden trennten sich wieder und Olivia ging noch in eine Drogerie und danach zurück in ihr Hotel.

Emma überlegte, ob sie sich dort herein schleichen sollte.

Fritz hatte ihr die Zimmernummer genannt: 403.

Aber in so einem teuren Hotel würde sie doch sicherlich auffallen.

Immerhin sah sie ein wenig normaler aus mit ihrer blonden Perücke und so versuchte sie es mit dem Angestellteneingang.

Ihr Herz pochte wie wild.

Eine Frau in Uniform kam um die Ecke gebogen.

Sie ging direkt auf Emma zu, beachtete sie aber nicht weiter.

'Hier müssen doch irgendwo ein paar Uniformen herum liegen.'

Tatsächlich hatte Emma Glück.

In der schwarzen Uniform der Hausmädchen fühlte sie sich zwar wie eine Maid aus einem Anime, konnte sich aber problemlos in den vierten Stock schleichen.

Zimmer 403.

Mit dem Wagen mit der dreckigen Wäsche sah sie aus, als wäre sie gerade bei der Arbeit. Trotzdem blickte sie sich verstohlen um, bevor sie schließlich ihr Ohr an die Tür presste.

Drinnen konnte sie zwei Stimmen ausmachen: Eine weibliche und eine tiefe, männliche.

"Sind das die richtigen Zettel?", fragte Olivia.

Ihr Gesprächspartner antwortete: "Die werden funktionieren. Hast du alle Zutaten bekommen?"

"Ich glaube, ja."

Emma konnte Flaschen klirren hören.

"Du wirst vorsichtig sein müssen, sie zu vermischen."

"Hast du das Gelände gecheckt?"

"Alles klar. Morgen Abend können wir loslegen. Dann wird das Triple Entente endlich platt gemacht!" Ein tiefes, böses Lachen ertönte.

Emma kam die tiefe Stimme bekannt vor, konnte sie aber noch nicht zuordnen.

"Ich kann immer noch nicht glauben, dass man so einfach in die Militärstation von Wedel einbrechen kann."

"Als Geist ist das kein Problem!"

Emma schreckte hoch. Plötzlich erinnerte sie sich an die Stimme.

"Hast du das gehört?", kam es von der tiefen Stimme im Hotelzimmer.

"Nein," antwortete Olivia.

"Geh nachschauen!"

'Verdammt!' Jetzt war es aus. Panisch blickte Emma sich nach einem Versteck um.

Olivia öffnete die Tür.

Emmas Herz raste.

"Hier ist niemand," rief Olivia und schloss die Tür wieder. "Du hörst wohl Gespenster."

"Vielleicht. Aber wir sollten ab jetzt vorsichtiger sein."

Emma kam unter der schmutzigen Wäsche hervor.

Sie hatte genug gehört.

Vorsichtig, um keine Geräusche zu machen, schlich sie sich bis zur Treppe.

Den Rest des Weges lief sie so schnell wie sie konnte.
 

"Also, was ist los?"

Inzwischen hatte Emma eine kleine Krisensitzung in ihrer Wohnung versammelt. Neben Yuusuke und Lina waren auch Ariane, Fritz, Sergej und Balthasar erschienen.

Emma blickte die Runde an: "Erinnert ihr euch noch an den Geist, der Ariane besetzt hat? Der hat sich jetzt mit Olivia verbündet und will die Gewinner des ersten Weltkriegs vernichten."

"Ich komm nicht ganz mit," gestand Sergej.

Emma erklärte ihm die Situation.

Anschließend meinte Yuusuke: "Wir müssen den Geist aufhalten!"

"Wie denn?", fragte Lina. "Sollen wir die Polizei rufen: '"Hilfe! "Ein Geist und eine durchgedrehte Bitch wollen in der Militärstation von Wedel einbrechen und drei Nationen vernichten."' Oder Was?"

"Wir müssen sie eben selbst aufhalten," schlug Balthasar vor.

"Bist du verrückt?", antwortete Lina.

Ariane meinte: "Also, ich wär dabei."

"Wenn nicht wir, wer dann?", sagte Sergej.

"Ich habe nichts zu verlieren," erklärte Fritz.

Und Emma fügte hinzu: "Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl."

Lina war als einzige noch nicht überzeugt.

"Ich habe auch Angst davor, aber ich habe mir vorgenommen, mich nie wieder vor Olivia zu verstecken," versuchte Emma ihre Freundin zu überreden.

"Na gut," sprach diese schließlich. "Wenn ihr die Welt retten geht, kann ich ja schlecht fehlen."

Kapitel 18
 

Die Gruppe traf sich in Emmas Wohnung, um gemeinsam nach Wedel zu reisen. Sie hatten allerlei nützliches Zeug zusammen gepackt: Messer, Pfannen, Ferngläser...

Die letzten paar Kilometer waren sie durch die kalte, dunkle Januarnacht zu Fuß gegangen. Nun warteten sie am Waldrand, geschützt von Bäumen und Büschen mit perfekten Blick auf den Eingang des Militärgeländes.

Emma schaute durch ihr Fernglas.

"Am Eingang steht eine Wache. ... Die hat einen komischen, roten Zettel an der Stirn kleben."

"Sie werden schon drinnen sein," erklärte Balthasar. "Die roten Zettel dienen vermutlich dazu, den Körper der Wache zu kontrollieren."

"Dann müssen wir uns beeilen," fügte Fritz hinzu.

Lina fragte: "Aber wie kommen wir an der Wache vorbei?"

"Überlass das mir!", sagte Sergej und machte sich unsichtbar.

Wieder schaute Emma durch das Fernglas.

Nach ein paar Minuten sank die Wache plötzlich und leise zusammen.

Sergej machte sich neben der Wache wieder sichtbar und deutete mit einem Zeichen, dass sie kommen sollen.

Sie hatten keine Probleme, das Gebäude zu betreten.

"Was jetzt?", fragte Emma.

Yuusuke antwortete: "Ich kann die Präsenz des Geistes spüren. Ich führe euch hin."

"Aber hier sind doch bestimmt eine Menge Wachen, oder?", wollte Lina wissen.

Yuusuke nickte.

"Wie sollen wir an den allen vorbei kommen?"

"Da hab ich eine Idee," meinte Ariane. "Ich werfe einfach ein paar Rauchbomben und dann können die uns nicht mehr sehen."

"Wir können dann aber auch nichts mehr sehen," erkannte Fritz.

"Dann halten wir uns einfach bei den Händen."

"Hat irgendwer einen besseren Vorschlag?", fragte Emma in die Runde.

Niemand sagte etwas.

"Gut, dann machen wir es so."

Ariane fing an zu grinsen, langte in ihre Tasche und warf den Inhalt vor sie auf den Boden. Von dort breitete sich sofort ein dicker, grauer Rauch aus.

"Gehen wir," wies Emma die Gruppe an.

Durch den Rauch kamen sie nur langsam voran, doch Yuusuke führte sie sicher durch die Gänge. Ab und zu hörte eine Wache ihre Schritte und feuerte in die Luft, doch Balthasar hatte keine Mühe, die Kugeln auf zu fangen.

Sie kamen an einer verschlossenen Tür an.

"Wie kommen wir da rein?"

"Auch dafür habe ich eine Lösung," sagte Ariane. "Ich nehme einfach ein wenig Sprengstoff und sprenge die Tür."

Yuusuke seufzte: "Übertreib es nicht."

Wortlos schwebte er durch die Tür und entriegelte sie von der anderen Seite.

Eine große Halle breitete sich vor ihnen aus. Drinnen befanden sich keine Wachen.

"Sie sind hinter dieser Tür," erzählte Yuusuke und deutete auf die andere Seite.

Sofort öffnete sich jene Tür auch.

Olivia stand im Türrahmen: "Emma!"

Sie lachte teuflisch.

"Und wie ich sehe, hast du auch noch Verstärkung mitgebracht!"

"Ja, und wir werden euch aufhalten!"

Wieder musste Olivia lachen. "Das glaube ich aber nicht. Ich habe nämlich auch Verstärkung dabei."

Sie ließ eine Gruppe junger Männer, bewaffnet mit Baseballschlägern, durch die Tür gehen. Emma erkannte sofort Jassins Gang wieder. Doch diesmal hatten auch sie die roten Zettel auf der Stirn kleben.

"Du erinnerst dich doch noch an sie?", fragte Olivia höhnisch. "Bis ihr mit denen fertig seid, haben wir schon längst unser Ziel erreicht."

Dann schloss Olivia die Tür mit einem Krachen.

Zurück blieben die sechsköpfige Gruppe um Jassin und Emma mit ihren Freunden.

"Emma, geh du vor! Wir halten sie so lange auf," sagte Yuusuke.

"Warum denn ich?"

"Weil du die Heldin dieser Geschichte bist."

"Red keinen Unsinn. Ich bin doch keine Heldin."

"Geh einfach," unterbrach Lina sie.

Emma blieb keine andere Wahl.

Sie machte sich auf, im Bogen an den Jurastudenten vorbei zu gehen, doch die versuchten sie auf zu halten.

Sergej kam zur Hilfe und trat den Jungen mit seinen riesigen Füßen in den Magen, sodass der weg flog.

"Ich bin ein Kobold," fing er an zu erklären. "Ich beschütze Sachen. Für manche ist es ein Haus, für andere ein Goldschatz. Für mich sind es meine Freunde!"

"Du kennst uns erst seit zehn Tagen," meinte Emma trocken. "Trotzdem danke."

Sie rannte zur Tür, öffnete sie und...

das Seil um ihre Beine zog sich zusammen und sie hing kopfüber an der Decke.

Sie konnte den Raum, in dem sie sich befand, als Steuerzentrale von irgendetwas erkennen. Zwei Gestalten standen am Pult.

Olivia und der Geist drehten sich um.

"Oh, wirklich? Einer von euch Affen hat es bis hier hin geschafft," sagte der Geist in militärischer Uniform.

"Und auch noch gleich so schnell," fügte Olivia hinzu.

"Das wird ihr aber auch nichts nützen."

"Weißt du, was ich mich schon immer gefragt habe, Oberst?"

"Was denn, Olivia?"

"Warum erzählen Bösewichter in Filmen den Agenten immer erst ihren Plan, bevor sie sie versuchen zu töten, damit er genug Zeit hat, sich zu befreien?"

"Ich weiß es nicht, Olivia."

"Darf ich?" Olivia nahm ein Maschinengewehr vom Tisch.

"Nur zu."

Olivia nahm die Waffe, richtete sie auf Emma und tastete nach dem Auslöser.

Sie grinste, als sie ihn fand.

"Bye..."

"Halt!", schrie Emma.

Olivia hielt inne.

"Ich weiß, warum die Bösewichter immer erst den Plan verraten."

Olivia nahm das Maschinengewehr herunter.

"Ich höre."

Emma sprach: " Es ist doch viel entwürdigender für den Helden, wenn er erst den Plan hört, den er nicht mehr verhindern kann, bevor er getötet wird."

Der Oberst und Olivia überlegten einen Moment.

Schließlich brach der Geist die Stille: "Wo sie Recht hat, hat sie recht."

"Willst du ihr dann den Plan verraten?"

"Warum nicht. Von ihr haben wir nichts zu befürchten."

"Na gut, du bist der Boss."

Der Oberst fing an: "Siehst du diesen roten Knopf dort vorne?"

Er zeigte auf eine rote Box mit einem roten Knopf oben drauf und einem Schlüssel, der an der Seite steckte.

"Wenn meine Assistentin hier, den Knopf drückt, werden 52 Raketen vom Typ E-141 losgeschossen werden mit den Zielen Großbritannien, Frankreich und Russland. Und niemand kann das mehr verhindern!"

"Was ist, wenn man den Schlüssel herauszieht?", fragte eine Stimme hinter Olivia und dem Oberst.

Yuusuke machte sich sichtbar und hielt die Schlüssel in der Hand.

"Du elender... Aber das wird auch keinen Unterschied mehr machen. Dann besiegen wir dich eben zuerst."

Yuusuke flog schnell zu Emma herüber und löste das Seil.

Kaum war Emma wieder richtig herum auf dem Boden meinte er: "Schluck den Schlüssel herunter."

"Ich hör wohl nicht richtig," sagte diese ungläubig.

"Na mach schon, ich kann es nicht."

Emma griff nach dem Schlüssel und wollte ihn gerade in den Mund stecken. Der Oberst und Olivia blickten sie nur mit offenen Mündern an.

Dann entschied sich Emma anders und steckte den Schlüssel statt dessen in ihren BH.

"Da ist er genauso gut aufgehoben."

"Nicht mehr, wenn du tot bist," entgegnete der Geist mit der Militäruniform.

"Das werde ich zu verhindern wissen," sprach Yuusuke.

Der Oberst lachte. "Du willst mich besiegen? Ich habe schon in einem Krieg gekämpft!"

"Denkst du etwa, ich nicht? Außerdem bin ich bestimmt drei mal so alt wie du."

Yuusuke wandte sich zu Emma und flüsterte ihr ins Ohr: "Wenn wir ihn besiegen wollen, muss ich dich besetzten."

"Wieso das denn?", flüsterte sie zurück.

"Du bist viel stärker als ich. Als Geist wirkt man vielleicht gruselig und kann Leute verschrecken, aber in Wirklichkeit sind wir nichts weiter als bloße, hartnäckige Überbleibsel eines menschlichen Lebens. Warum sonst sollte er sich mit einem Menschen verbündet haben, wenn er viel leichter hier alleine hereingekommen wäre? Aber wenn ich deinen Körper benutze, kann ich meine Kenntnisse in Kendo anwenden und ihn besiegen."

"Was flüstert ihr da?", fragte der Oberst höhnisch. "Etwa Geheimnisse?"

Emma sagte: "Okay, dann mach es!"

Yuusuke nickte. Er begann, seine Form in blauen Rauch auf zu lösen. Dieser Rauch flog wie eine Schlange Richtung Emma.

"Neeiiiin," schrie der Geist noch, doch er war zu spät.

Der blaue Rauch drang durch Emmas Mund in ihren Körper ein.

Sie öffnete ihre Augen wieder.

Immer noch befand sie sich im Steuerraum. Sie hatte es sich irgendwie anders vorgestellt, besessen zu sein, unangenehmer. Statt dessen fühlte sie sich nur angenehm kühl und mit einer anderen Person untrennbar verbunden.

Yuusuke sprach in ihren Gedanken: 'Ich habe deinen Körper nicht vollständig übernommen. Du kannst immer noch sehen, was passiert.'

'Okay,' antwortete sie.

"Verdammt," rief der Oberst vor ihnen. "Olivia, wir müssen es genauso tun."

"Was? Ich will mich aber nicht besetzen lassen."

"Schweig, und tu, was ich dir sage!"

"Wenn es denn sein muss..."

Auch der Oberst formte sich zu Rauch, diesmal schwarzer, und drang in Olivias Körper ein.

Sofort veränderte sich Olivias Gesichtsausdruck in eine grässliche, grinsende Fratze.

Der Oberst ließ das Maschinengewehr fallen, das Olivia noch immer in ihren Händen gehalten hatte. "Viel zu einfach!"

Statt dessen nahm er eine längliche Tasche vom Tisch und öffnete sie. Er zog einen alten Säbel mit goldenem Griff daraus.

"Oh, ein Schwertkampf!", erkannte Yuusuke.

Es fühlte sich komisch für Emma an, dass sich ihr Mund bewegte, ohne dass sie etwas tat. Und dann sprach sie auch noch mit Yuusukes Stimme!

Yuusuke fuhr fort: "Na, wer da wohl die Überhand hat? Aber ich schlage vor, wir gehen dazu in den anderen Raum. Da ist mehr Platz."

"Einverstanden," sagte der Oberst und folgte Yuusuke, der rückwärts, um seinen Feind nicht aus den Augen zu lassen, zur Tür hinaus ging.

In der großen Halle hatten die Kämpfe inzwischen aufgehört. Die Jurastudenten lagen bewusstlos am Boden und Ariane, Fritz, Lina, Sergej und Balthasar ruhten sich daneben aus. Außer ein paar Kratzern waren diese unverletzt davon gekommen.

Die Gruppe betrachtete nun die beiden Mädchen, die mit ernsten Gesichtern die Halle betraten und eine günstige Position suchten.

Emma wandte sich zu ihnen und fragte mit Yuusukes Stimme: "Hat mal irgendwer ein Schwert von euch? Am besten ein Katana!"

Ihre Freunde blickten sich um.

"Ich glaube, nicht," antwortete Lina.

Dann stand Sergej auf. "Ich hab eins!"

Er rannte auf Emma und Yuusuke zu, sprang in die Luft und verwandelte sich in ein langes Katana mit schwarz-blau gemustertem Griff und silbern leuchtender Klinge.

Yuusuke fing es auf.

"Das ist ja praktisch, dass du so etwas als Kobold auch kannst."

"Kobold sein hat auch seine Vorteile."

"Habt ihr jetzt genug geschwafelt? Ich möchte heute noch ein paar Nationen zerstören!" Die Stimme des Mädchens war tief und grässlich.

Yuusuke brachte sich in Stellung: Er nahm einen schulterbreiten Stand ein, griff das Katana fest mit beiden Händen und richtete seinen Blick nach vorne.

'Diesmal werde ich nicht unglücklich stolpern!'

Der Oberst griff an. Er rannte schreiend mit dem Schwert auf Yuusuke zu, bereit zu zu stechen.

Yuusuke blieb ruhig stehen.

Erst als der böse Geist nur wenige Zentimeter vor ihm war, wich er in einer geschickten Drehbewegung zur Seite aus.

Ihr Gegner lief ins leere, fasste sich aber schnell wieder, drehte sich blitzschnell um und schlug von Oben zu.

Für Yuusuke war es nur eine kleine Bewegung, das Schwert mit seinem abzufangen.

Ein Angriff von der Seite. Abgewehrt.

Andere Seite. Wieder traf nur Klinge auf Klinge.

Yuusuke nutze die Zeit und führte einen geraden Fußtritt nach vorne aus, der das besetzte Mädchen drei Meter nach hinten schleuderte.

"Ist das schon alles, was du kannst?"

Wütend griff ihr Gegner wieder an, stieß zu. Yuusuke ging einen Schritt zurück.

Noch ein Stich. Noch ein Schritt zurück.

Das ganze ging ein paar Meter so weiter.

Der Geist ließ Olivias Gesicht grinsen.

Er stieß noch ein mal zu.

Yuusuke konnte nicht weiter nach Hinten ausweichen. Dort lagen die bewusstlosen Jurastudenten.

Die Schwertklinge raste auf Yuusuke und Emma zu.

Da senkte Yuusuke der Klinge ausweichend einfach Emmas Körper, machte einen Ausfallschritt nach vorne und rammte seinem Gegner den Griff des Schwertes in den Magen.

Dieser krümmte sich und Yuusuke befreite sich aus der Enge.

Überraschender Weise blieb das wasserstoffblonde Mädchen stehen.

Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Augen funkelten böse. Dann griff sie wieder an.

Sie holte oben aus.

'Wie offensichtlich,' dachte Yuusuke und machte sich bereit.

Doch kurz bevor der Geist in Olivia Yuusuke erreicht hatte, änderte er den Angriff und schwang das Schwert von der Seite auf Emmas Körper zu.

'Billiger Trick.' Blitzschnell drehte er Emmas Körper um 90° und schlug mit dem Katana das Schwert des Oberst zu Boden. Genauso schnell wandte er sich wieder dem Oberst zu und hielt seine Klinge an seinen Hals.

"Es ist aus. Gib auf!"

Der Oberst lachte grässlich. Dann zog er einen Revolver aus Olivias Hose und schoss auf Emma.

Yuusuke versuchte noch, diese ab zu wehren, aber sie war viel zu schnell.

Einen Moment später drang die Kugel in einen Körper ein.

Doch es war nicht Emmas Körper.

Sergej hatte sich wieder zurück verwandelt und die Kugel aufgefangen.

"Das tut weh, du Arschloch!", rief er und schlug dem Gegner wütend auf das Kinn. Olivias Körper wurde sofort bewusstlos.

"Sergej!" rief Emma. Aus ihrem Mund kam wieder ihre Stimme.

"Ist halb so wild. Ich wurde nur am Arm getroffen. Glatter Durchschuss, wie es aussieht. Und außerdem: Ich habe doch gesagt, dass ich meine Freunde beschütze!"

Kapitel 19
 

Der Schlag, der Olivia hatte bewusstlos werden lassen, hatte anscheinend auch den bösen Geist in ihr für einen Moment ausgeschaltet. Balthasar hatte genug Zeit um Emma zu erklären, wie sie ihn ein für alle mal vernichten konnte.

Nun nahm Emma ihre Hand und legte sie auf Olivias Stirn.

Sie konzentrierte sich, versuchte ihren eigenen Geist zu spüren. Dann schloss sie ihre Augen und versuchte sich, auf den Geist in Olivia zu konzentrieren.

Emma wusste nicht, was sie tat, aber es fühlte sich richtig an, als ob sie das pure Böse mit ihrem ganzen Körper berühren würde. In ihrem Kopf schlang sie ihren Geist um die böse Aura und drückte so kräftig zu, dass sie das Umschlungene zersplittern fühlen konnte, wie ein Glas, bei dem man zu fest zugedrückt hat.

Sie öffnete die Augen.

Tatsächlich schienen tausende Splitter aus Olivias Körper zu kommen und langsam zu verdampfen.

"Und was machen wir jetzt?", fragte Fritz.

"Ich würde sagen, abhauen," antwortete Balthasar. "Wenn die Beschwörerin bewusstlos ist, wird sie die Wachen nicht mehr mit den roten Zetteln kontrollieren können."

"Und am Ende glauben die auch noch wir seien die Täter gewesen," fügte Fritz hinzu.

Sie ließen Olivia und die Jurastudenten zurück und flohen.

Yuusuke führte sie einen anderen Weg heraus. Zu ihrem Glück waren die Wachen, die ihnen begegneten, noch alle bewusstlos. Trotzdem beeilte sich die Gruppe, um in den Schutz des Wald es zurückzukehren.

"Ich glaube, das war das coolste, was ich jemals in meinem Leben erlebt habe," sagte Lina im Wald angekommen.

"Und du wolltest zuerst nicht mitkommen," meinte Ariane dazu.

Die gesamte Anspannung war wie verflogen. Emma hatte sich noch nie besser gefühlt.

'Ich kann alles schaffen!", dachte sie. Die Anwesenheit ihrer Freunde gab ihr Kraft.

Ihr kam Torben in den Sinn. 'Morgen bitte ich ihn um ein Date!"
 

Emma war sich am nächsten Tag ganz sicher.

Sie suchte das gesamte Unigelände ab, hielt nach Torben Ausschau.

Doch sie konnte ihn nirgends finden.

Niedergeschlagen machte sie sich schließlich auf den Weg nach Hause.

"Hallo, schönes Mädchen!"

Emma blickte auf. Torben kam ihr gelassen lächelnd entgegen. Sofort hob sich ihre Laune wieder.

'Ich werde ihn auf ein Date ausfragen! Weil ich es kann. Ich bin hübsch, egal was Olivia auch immer sagt.'

"Hi," fing sie an.

"Wie geht es dir?", fragte er.

"Gut. Und dir?"

"Ich kann nicht klagen."

Emma betrachtete sein attraktives Gesicht.

"Ich wollte dich etwas fragen... ," begann sie.

'Er ist nett und charmant und sieht gut aus. Er ist der perfekte Freund.'

Doch auf einmal manifestierte sich Yuusukes Abbild in ihrem Kopf, wie er schelmisch grinsend ihr allerlei Streiche spielte, wie sie gemeinsam vor ihrem Laptop Videos schauten und zusammen lachten.

Yuusuke wollte einfach nicht aus Emmas Kopf verschwinden. Da wurde ihr etwas klar: Eigentlich wollte sie keinen Freund wie Torben. Wenn sie sich das perfekte Leben vorstellte, hatte sie nicht Torben und sich im Sinn. Vielmehr dachte sie daran, wie sie mit Yuusuke den ganzen Tag in der Wohnung abhing. Wie er ihr Streiche spielte und sie mit ihm dann schimpfte, aber gleich verzieh. Eigentlich wollte sie für alle Ewigkeit mit Yuusuke abhängen. Ob er jetzt ein Geist war, oder nicht.

"Was wolltest du mich fragen?" Aus der Stille heraus hatte Torben das Wort ergriffen.

Emma suchte nach einer Ausrede. Dann fragte sie: "Wie spät ist es? Meine Uhr ist kaputt."

"Neunzehn Uhr," antwortete Torben verwundert. "Ich habe aber auch noch eine Frage an dich:

Würdest du mit mir ausgehen?"

Die Plötzlichkeit der Frage warf Emma aus der Bahn.

"Ääh.... tut mir leid. Aber ich habe schon einen festen Freund."

"Ach so, schade."

Enttäuscht verließ er Emma wieder.
 

Als sie wieder zurück in ihre Wohnung kam, begrüßte Yuusuke sie auf gewohnte Weise: "Okaeri nasai, Emma-san."

"Tada ima," antwortete diese.

"Was hast du heute so gemacht?"

"Nichts besonderes. Ich bin nur durch die Gegend geirrt auf der Suche nach der falschen Person."

"Aha," sagte er skeptisch. "Hast du Drogen genommen?"

Emma antwortete lachen: "Nein. Mir ist nur etwas klar geworden. ... Und zwar, dass ich für immer bei dir bleiben möchte."

"So langsam mache ich mir echt Sorgen um dich. Hast du Fieber?"

"Klappe!"



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2015-01-20T12:13:47+00:00 20.01.2015 13:13
Klasse Geschichte XD
Emma hätte die Oliven vom Koch lieber kleinschneiden und unters Essen mischen lassen sollen, das wäre echt fies *muoahahaha*
Antwort von:  Helium-chan
22.01.2015 09:28
XD darauf bin ich gar nicht gekommen. Das wäre ja sogar noch besser gewesen. *böse grins*
Von:  Emma_Uschiha
2014-10-21T05:00:35+00:00 21.10.2014 07:00
xddd Echt Geil und das besste ich ja ich weiße Emma


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